Archiv der
Brandenburg
gesell schaff
heimatkunde
Brandenburgia,
gesellschaft für
heimatkunde der
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IN COMMKMORVTION OF THE VISIT OF
HIS ROYAL HIGHNESS
PRINCE HENRY OF PRUSSIA
MAKCII SIXTH.I90*
ON HE HALF OF IIIS MAJESTY
THE GERMAN EMPEROR
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ARCHIV
DER
„BRANDENBURGS"
GESELLSCHAFT FÜR HEIMATKUNDE
DER
PROVINZ BRANDENBURG
ZU
13ER.L.IIV. - '
Unter Mitwirkung des Märkischen Provinzial-Museums
herausgegeben
vom
Gesellschafts - Vorstande.
1. Band.
Berlin, 1894.
Druck und Verlag von P. Stankicwicz' Buchdruckerei,
Bernburgcrstrasse 14.
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Hasard College Library
APR 23 1909
Hohcnzollorn Collection
Gift of A. C. Cooüc'-e
1
3j
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Ankündigung
betreffend das
Archiv der „Brandenburgia"
Gesellschaft für Heimatkunde der Provinz Brandenburg.
In Bezug auf die Herausgabe des „Archivs" ist bei den mehrfachen
Erörterungen im Vorstand und Ausschuss übereinstimmend Folgendes
beschlossen worden.
1. Das Archiv erscheint in zwanglosen, zu Bänden zu vereinigenden
Heften oder in fertigen Bänden, unter Mitwirkung des Märkischen
Provinzial-Museums, in Druck und Verlag von P. Stankiewicz'
Buchdruckerei hierselbst mit einer Auflage von 500 Exemplaren
und der Ausstattung des Monatsblatts unserer Gesellschaft, heraus-
gegeben vom Gesellschafts- Vorstande.
2. Die Verfasser der einzelnen Aufsätze und Mitteilungen sind für
den formellen wie materiellen Inhalt derselben verantwortlich.
3. Die Mitglieder der Gesellschaft erhalten ein Exemplar des Archivs
unentgeltlich.
4. Die zu 2 bezeichneten Verfasser erhalten zwanzig Sonderabzüge
ihrer Aufsätze und Mitteilungen unentgeltlich. Zu diesem Behnfe
hat der Drucker es so einzurichten, dass jeder Aufsatz pp. mit
einer vollen Seite und entsprechendem Titel beginnt. Die Pagi-
nirung läuft aber durch den jedesmaligen Band des Archivs
ununterbrochen fort.
5. Im Tauschverkehr wird der Regel nach diesseitig nur das Monats-
blatt abgegeben, das Archiv ausserdem nur dann, wenn die
Gegenleistungen sei es durch ihren Inhalt, sei es durch ihre
Ausstattung (Abbildungen pp.) besonders werthvoll sind.
6. Der Ladenpreis für das Archiv wird von Band zu Band in jedem
einzelnen Falle durch ßeschluss festgesetzt werden.
Berlin den 1. April 1894.
Vorstand und Ausschuss der Gesellschaft für Heimatkunde
der Provinz Brandenburg.
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Übersicht.
S«ita
1. Einleitung von Ernst Friedel VII
2. Dr. Emil Bali rfeld: Das markische Münzwesen im Mittelalter. (Mit Ab-
bildungen.) 1
3. G. Bluth, Geh. Baurat und Konservator der Kunstdenkmaler der Provinz
Brandenburg: über neuaufgefundene Tafelbilder in der Kirche zu Zielenzig.
(Mit Abbildungen.) 25
4. Dr. Georg Galland: Was eine Brandenburgische Kurfüretin an Schmuck,
Gerätschaften und dgl. besass 28
5. Emil von Maltitz, Major z. D.: Zur Geschichte des Cistercienser- Jungfrauen-
Klosters und Stifts zum Heiligen Grabe bei Wilsnack in der Priegnitz. ... 36
6. Erich Schild, Divisionspf arrer : Das brandenburgisch - preussische Feld-
predigerwesen in seiner geschichtlichen Entwickelung 85
7. Rodert Mielke: Das Bauernhaus in der Mark. M(it Abbildungen.) . . . 104
8. Dr. Paul Schwartz-Friedenau: Kirchliches Leben in einer märkischen
Stadt während des siebzehnten Jahrhunderts (Königsberg N.-M.) 127
9. Dr. Wilhelm Schwartz, Geheimer Regierungsrat und Professor: Vom
Sagensammeln. Erinnerungen aus meinen Wanderungen in den Jahren
1837-1849 143
10. Register 159
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■
Einleitung.
Laut Beschluss des Vorstandes und Ausschusses giebt die Gesell-
schaft für Heimatkunde der Provinz Brandenburg neben dem regelmässig
erscheinenden „Monatsblatt" ein „Archiv" heraus in zwanglosen Heften,
welche nach Bedarf zu Bänden vereinigt werden.
Anlässlich der Veröffentlichung des ersten Heftes unsers Archivs
wird es angezeigt erscheinen, auf das satzungsgemässe Forschungsgebiet
der Gesellschaft hinzuweisen: Landeskunde, Altertumskunde, Ge-
schic htskunde.
Die Landeskunde, oder wie wir es lieber ausdrücken, die
Heimatkunde unserer Provinz Brandenburg, ist absichtlich voran-
gestellt, denn unsere Gesellschaft betrachtet sich, ihrer Entstehung gemäss,
zuvörderst als ein dienendes Glied der Zent ral-Kommission für
wissenschaf tliche L andeskunde von Deutschland und wird sich
diesbezüglich gern auch dem zu begründenden Zentral-Verein für
wissenschaftliche Landeskunde von Deutschland unterordnen. Die nahe
Verwandtschaft der Landeskunde mit der angewandten Erdkunde springt
ins Auge, steht doch die Pflege der Landeskunde unsers Vaterlandes auf
der Tagesordnung der Deutschen Geographentage fast ebenso lange, als
diese abgehalten werden; so nachhaltig haben die Anregungen gewirkt,
welche Richard Lehmann 1882 gegeben hat,*) und, fügen wir hinzu,
welche durch Alfred Kirchhof!' und Albrecht Penck so unermüdlich
in fachkundigster Weise gefördert und unterstützt worden sind.
Wenn wir in u nsei en Satzungen die Förderung der A 1 1 e r t u m s -
kuude besonders hervorheben, obwohl dieselbe unter den Begriff der
Landes- und Heimatkunde allgemein gerechnet wird, so geschieht dies
zunächst aus dem äusserlichen Grunde, weil anderweitig keine Zeitschrift
*) Vgl. Penck: Berieht der Zentral- Kommission für Wissensch. Landeskunde
von Deutschland Aber die zwei Geschäftsjahre von Ostern 1891 bis Ostein 18fl;l.
Bcvlir. iso.-i. s. 4.
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VIII
Einleitung.
und keine Gesellschaft sich der Altertumskunde der gesammten Provinz
Brandenburg widmet, insbesondere aber auch deshalb, weil die Begründung
einer wissenschaftlichen Altertumskunde unseres Landes erst wenige
Jahrzehnte alt ist, dieselbe gleichwohl aber, namentlich soweit die Vor-
geschichte umfassend, das allgemeinste Interesse erregt und doshalb
besonders in den Vordergrund gestellt zu werden verdient.
Was die Geschichtskunde anlangt, so sind die bedeutendsten
Forscher im Gebiet der Landeskunde bis jetzt über die Gebiete der
Geschichte, welche sich für die landes- oder heimatkundliche Bearbeitung
eignen, bis zum heutigen Tage schwankend. Friedrich Bach mann in
seinem vortrefflichen Werk: Die landeskundliche Literatur über die
Grossherzogtümer Mecklenburg (Güstrow 1889) hat die politische
Geschichte ganz fortgelassen. Als unsere „Braudenburgia" begründet
wurde, haben über diesen Punkt unter Zuziehung von bewährten Sach-
verstandigen im Schoosse des Vorstandes und Ausschusses eingehende
Erörterungen stattgefunden, welche ohne Widerspruch einstimmig dahiu
übereinkamen, die eigentliche politische und archivalische Geschichte
auszuschliessen und sich mehr auf die Kulturgeschichte zu beschränken.
Solches muss heut nochmals auf das Nachdrücklichste betont werden.*)
Es sind mehrere wissenschaftliche Vereinigungen in Berlin und der
Provinz Brandenburg vorhanden, welche jene Geschichts- Gebiete pflegen;
unser Arbeitsplan ist ohnehin ein ausserordentlich weiter und in vielen
Feldern noch kaum augebaut, sodass wir auf die politische Geschichts-
forschung verzichten zu sollen vermeinen, desgleichen auf die archi-
valische Herausgabe von Urkunden u. dgl. Allerdings sind die Grenzen
zwischen Staaten- und Kultur-Geschichte schwer zu ziehen, sie können
im gegebenen Falle sich vermengen, und es mag ein Aufsatz oder Vor-
trag, den wir gern annehmen, wohl auch einmal unter das Schema der
politischen Geschichte rubrizierbar sein. Das ändert aber an dem Prinzip,
wie wir es im Allgemeinen bezüglich der Geschichtsforschung für unsere
Gesellschaft aufgestellt haben, in keiner Weise etwas.
Immerhin wird es unseren Mitgliedern uud manchen ausserhalb
unserer Braudenburgia stehenden Gelehrten von Wichtigkeit sein, eine
genauere Inhalts- Übersicht der hauptsächlicheren Fächer unsere wissen-
schaftlichen Forsehungsstoftes kennen zu lernen. Die nachfolgende Ver-
teilung des letztern schliesst sich an das von Friedrich Bachmann a. a. O.
aufgestellte System im Wesentlichen an.
I. Bibliographie der Heimatkunde.
II. Landesvermessung, Karten, Pläne u. dgl.
III. Heimatkundliche Gesamtdarstellungen und Statistik.
*) Siehe Monatsblatt. I. S. 'JS.
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Einleitung.
IX
IV. Landesnatur.
A. Oberflächengestaltung und geologischer Bau.
B. Gewässer.
C. Klimatische Verhältnisse.
D. Pflanzenwelt.
E. Tierwelt.
V. Bewohner.
A. Allgemein Kulturgeschichtliches.
B. Die Bewohner nach Körperbau, Herkunft und Wohnsitzen
von der Ur- und Vorgeschichte ab.
C. Die Bewohner nach ihrer Sprache.
D. Die Bewohner nach Volksglaube und Volkssitte.
E. Bevölkerungsstatistik.
F. Gesundheitsverhältnisse.
G. Wirtschaftliche Kultur.
H. Geistige Kultur.
VI. Spezielle Ortschaftskunde.
VII. Vergleichende Heimatkunde.
Was uns besonders not thut, ist — zu I des Forschungsplans —
ein wissenschaftliches Repertorium über die gesamte landes-
kundliche Literatur. An Vorarbeiten fehlt es nicht ganz, dem Märkischen
Museum sind im Lauf der letzten Jahre einzelne Anfänge (namentlich
atif die Münzkunde und die Mediziualkunde bezüglich) zugegangen, welche
aber der Ergänzung und Anpassung an ein allgemeineres System be-
dürfen. Dadurch, dass Berlin von der Provinz Brandenburg weder aus-
geschlossen werden soll noch kann, häufen sich, wie auf der Hand
liegt, die Schwierigkeiten bei Aufstellung der Literatur -Verzeichnisse
ganz ausserordentlich.
Soll die Literatur, wie Dr. E r man (Verh. der Gesellsch. für Erdkunde
zu Berlin, XH. 1885 S. 96 — 113) es verlangt, d. h. mit peinlichster
archivalischer Genauigkeit und Umständlichkeit, was ja zweifellos an
sich recht wünschenswert ist, zusammengestellt werden, so bedingt dies
an die Opferwilligkeit freiwilliger Bearbeiter recht grosse Anforderungen
inbezug auf Zeit, Arbeitskraft und auch Geld. Veröffentlicht man da-
gegen die Schriften -Titel in der meist beliebten abgekürzten Form, so
wird man auf kritische Angriffe und Bemängelungen gefasst sein müssen.
Die „Brandenburgia" wird Veranlassung nehmen, auf diesen wichtigen
Punkt, der hier nur angestreift werden kann, in ihren Arbeits-Sitzungen
und in ihrem „Archiv" eingehend zurückzukommen.
Nach diesseitiger Auffassung wäre die Aufstellung eines,
alle deutschen Landesteile umfassenden heimatkundlichen
Literatur-Verzo ichnisses recht eigentlich Sa che des Deutschen
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X
Ernst Friedel.
Reichs, welches einen besoudern wissenschaftlichen und
geschäftlichen ständigen Ausschuss dafür berufen und die
nicht unbeträchtlichen Mittel für die Besoldung der Mit-
arbeiter, die Korrespondenz und die sonstigen Kosten (der
Drucklegung u. s. f.) zu bestreiten haben würde. Es ist eine
Ehrensache des Deutschen Reichs diese hochwichtige vaterländische und
wissenschaftliche Angelegenheit neben der Herausgabe der Monumenta
Germaniae, neben der Erforschung des römischen Grenzwalls (limes
romanus) und ähnlichem von Amtswegen zu betreiben.
Soweit die heimatkundliche Literatur der Provinz Brandenburg in
Frage kommt, würde unsere Gesellschaft zu einer Förderung und Unter-
stützung jeder Zeit sich willig bereit finden lassen.
Berlin den 18. April 1894.
Ernst Friedel.
Das märkische Münzwesen im Mittelalter.*)
Von
Dr. Emil Bahrfeldt.
Selbst in unseren sonst so aufgeklärten Tagen hört man bisweilen
noch die Frage aufwerfen, ob denn der Beschäftigung mit alten Münzen
in der That ein tieferer Wert innewohne, ob die Münzkunde wirklich
eine so wichtige Wissenschaft sei, wie die Numismatiker behaupten.
Manche können sich von dein Wesen dieser Wissenschaft keine rechte
Vorstellung machen, sie sehen den Numismatiker lediglich als Kuriosi-
tätensammler an, der seiner Liebhaberei frölint, ohne ein tieferes, ernstes
Streben damit zu verbinden. Man kann es nicht recht verstehen, dass
nicht allein die öffentlichen, staatlichen wie städtischen, Münzsammlungen
kultiviert werden, sondern dass auch Privatleute mit grossen Opfern an
Zeit und Gehl es sich angelegen sein lassen, eine Münzsammlung zu
halten, zu pflegen und ihrem Studium sich hinzugeben.
Früher urteilte mau freilich noch härter in dieser Beziehung, das
belegt z. B. eine alte Nachricht, die den ehrwürdigen Bischof v. Culm,
Stephan v. Heideburg, am Ende des 15. Jahrhunderts betrifft. Ihn
hatte nämlich das damals immer schlechter werdende Geld veranlasst,
auf seinem Residenzschlosse Lübau in Preussen eine sehr bedeutende
Anzahl Münzen zu wissenschaftlichen Untersuchungen zu sammeln. Je
vereinzelter aber ein solches numismatisches Studium für damalige Zeiten
war, desto mehr war der gelehrte Greis dem verkehrten Urteile der
grossen Menge ausgesetzt. Und so lieisst es denn über ihn wört-
lich: „Er sass uf seinem schlösse zu Luhe und besag den tag über die
fremde und seltsame muntze, die er hatte. Denn man sagte von yiu,
das er sich vorhin beflissen hette, das er aller lande muntze bette. Dys
that er mehr aus dumbheit, denn anders warumb, den er war seer
ein alter manu!"
*) Vortrag, gehalten in den Sitzungen der Bramlenhurgia vom 25. Januar und
22. Februar ISO:}. Vgl. Monatsblatt der Oes. für Heimatkunde Heft 11 u. 12.
1
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2
Emil RahrfeMt:
Nun, wenn auch heute ein solches Urfeil über den Numismatiker
nicht mehr vorkonunen kann, so sind die von ihm verfolgten Ziele doch
immerhin noch nicht allgemein erkannt und gewürdigt. Die Aufgabe
und das Ziel des Münzforschers ist es aber, die Münzen unserer Vor-
fahren nach Zeit und Ort ihrer Prägung festzustellen, ihre Prägejierren
zu ermitteln, die Darstellungen, Zeichen und Inschriften auf den Münzen
zur Erklärung zu bringen, die Münzen nach Metall, Form, Grösse,
Schrot, Korn und Wert zu bestimmen, die Münztechnik zu beleuchten,
die Entwickelung und das Fortschreiten in der Kunst des Stempelschnei-
dens und Prägens durch die Münzbeamten zu verfolgen, — Alles in
Allem: die Münzen in historischer und kulturgeschichtlicher Beziehung
zu erforschen.
Die Münzkunde gehört zur Archäologie, während die Geldlehre,
um einen Schritt weiter zu gehen, einen Zweig der Nationalökonomie
bildet und die Münzen als gesetzliches Zahlungsmittel und als Wert-
mass für die wirtschaftlichen Güter behandelt. Münzkunde und Geld-
lehre greifen eng in einander. Bei dem jetzigen Stande der Wissenschaft
ist es für den Numisiuatiker durchaus unerlässlieh, auch die Geldlehre
zu berücksichtigen. Leider Oberseiten das selbst heute noch Münzforscher,
die zu den hervorragenderen gezählt sein wollen.
Die hauptsächlichsten Quellen, aus denen der Numismatiker bei seinem
Studium zu schöpfen hat, sind die Münzfunde und die Archive. Die
ersteren bringen die ehernen Zeugen dahingeschwundener Jahrhunderte
aus Licht, und die letzteren machen mit dem geschriebenen Worte über
das Münz- und Geldwesen bekannt. Nur die Benutzung beider Quellen
führt zum Ziele; wer die eine oder andere entbehren zu können glaubt,
gerät auf Abwege und kommt zu falschen Schlüssen, die sich bitter
rächen.
Und nun der Nutzen der Münzkunde, — wie wird er meist unter-
schätzt! Und doch ist er von höchster Wichtigkeit. Denn die Münzen
geben Aufschluss über die Kultur längst untergegangener Völker, sie
leltren uns ihre Sitten und Gebräuche kennen, die Entwickelung ihrer
Industrie und Gewerbe, ihrer Handels- und Verkehrsverhältnisse. Die
Münzen zeigen uns die früheren Bauwerke und deren Einrichtung, die
Geräte und sonstigen Gegenstände des täglichen Lebens, die Watten und die
Ausrüstungen in kriegerischen Zeiten. Sie sind die sprechenden Beweise
für den einstigen Bildungsgrad der Völker, sie führen uns das Auf-
steigen, die Blüte und den Niedergang der Kunst vor Augen. Sie über-
liefern die getreuen Gesichtszüge der Herrscher früherer Jahrhunderte,
und oftmals weisen sie allein die Namen verschollener Fürsten, unter-
gegangener Städte nach, wiederholt sind durch sie Personen und Orte
ermittelt worden, die die historische Ueberlieferung garnicht kennt.
Dunkele geschichtliche Thatsachen werden durch die Münzen aufgehellt
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Das milrkische Münzwesen im Mittelalter. 3
und erforscht, irrige Angaben der Schriftsteller berichtigt. Und endlich
sind bei Altertuinsfunden oft ausschliesslich die beigegebenen Münzen
es gewesen, aus denen mit Zuverlässigkeit das Alter der Gegenstände
gesichert werden konnte.
Dies sind alles Punkte, die eiue so weittragende Bedeutung in sich
schliesseu, dass es nur dieses kurzen Hinweises bedürfen wird, um den
Glauben an die Wichtigkeit und den Nutzen des Studiums der Münz-
kunde bei Jedermann zu festigen.
Auf eingehendere Auslassungen über den Begriff Münze, über den
Anfang der Münzprägung überhaupt, die Herstellungsweise des Geldes,
die verschiedenen Münzsysteme und dergleichen an dieser Stelle näher
einzugehen, muss ich mir versagen. Ich berühre nur, dass man ebenso
wie die Geschichte, auch die Münzkunde in drei grosse Abschnitte teilt:
die alte, die mittelalterliche und die neue. Die Grenzen sind nicht in
allen Ländern gleichmässig zu ziehen, aber im allgemeinen wird man
die antike Münzprägung von etwa 600 vor Christi bis ungefähr zum Jahre 500
nach Christi Geburt, die mittelalterliche bis etwas über das Jahr 1500
hinaus, bis gegen 1520, die neue von da ab bis zur Jetztzeit zu rechnen
haben.
Für unsere engere Heimat, dio Mark Brandenburg, deren Münz-
wesen ich als Gegenstand meiner Abhandlung gewählt habe, kommen
die antiken Münzen nur in sofern in Betracht, als es von numis-
matischem Interesse ist, die spärlichen Auffindungen solcher Gepräge
in ihr zu verzeichnen. Die Mark hat selbstständige Gepräge erst aus
mittelalterlicher Zeit geliefert, erst verhältnissmässig spät eigenes Geld
gehabt, nicht vor dem 2. Viertel des 12. Jahrhunderts. Was vor dieser
Zeit im Lande in beschränktem Masse umlief, das waren von Westen
her gekommene deutsche Denare, zweiseitige Silber-Pfenninge, wie sie
heute noch in den Funden öfter zu Tage treten.
Es ist eine alte Erfahrung, dass die Münzprägung fast immer
neben dem Christentum einhergeschritten ist, so auch in der Mark. Als
im 12. Jahrhundert die Bekehrung des Hevellerfürsten Przibislaw zum
Christentum geschehen, da ist auch alsbald die erste märkische Münz-
prägung zu verzeichnen. Die Zeit Przibislaws ist immer noch dunkel,
viel Sagenhaftes umgiebt ihn. Die Quelle, aus der früher die Nach-
richten über ihn geflossen, ist die Chronik des Pulkava, geschrieben um
1373 und entnommen aus der Chronica episcoporum Brandeuburgensium.
Pulkava berichtet ausführlich, dass Przibislaw mit seiner Gemahlin zum
Christentum übergetreten sei und, da er keinen Leibeserben gehabt, seinen
Nachbarn Albrecht den Bären zu seinem Erben eingesetzt habe. Auch
sei er Pate von Albrechts ältestem Sohne Otto gewesen, dem er die
Zauche als Patengeschenk gegeben habe. In Folge der Annahme des
christlichen Glaubens habe Przibislaw oder, wie er als Christ hiess,
J
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4
Emil BahrfeMt:
Heinrich, «Iii* Praemonstratcnser als Canonici des heiligen Petrus nach
Brandenburg berufen, wobei er sich der Unterstützung des branden-
burgisehen Bischofs Wigger bedient habe. Als Heinrich hoch betagt
in Brandenburg gestorben sei, habe seine Gattin Petrissa den Tod zu-
erst verheimlicht und schleunigst Albrecht dem Bären davon Nachricht
gegeben, damit er käme und Besitz von dem Lande, seinem Erbe, nähme.
Das sei geschehen. Indessen habe Heinrichs Verwandter, der Fürst
Jacza, der Erbansprüche zu besitzen geglaubt, die Feste Brandenburg
Albrecht dem Bären durch Bestechung entrissen, letzterer aber habe sie
mit Hülfe des Erzbisehofs Wichmann von Magdeburg am 11. Juni 1157
wieder erobert.
Die Zweifel, mit denen man diese Nachrichten früher betrachtet
hat, sind später geschwunden gegenüber dem Fragment einer Chronik
aus dem Anfange des 14. Jahrhunderts, aufgefunden durch O. v. Heine-
mann, die fast wörtlich mit Pulkavas Bericht übereinstimmt, und weiter
auch durch eine gleichzeitige Chronik, die Annalen von Pöhlde. Und
nun treten schliesslich auch noch die Münzen in die Reihe, die wenigstens
die. einstige Existenz der sagenhaften Fürstin Petrissa bestätigen.
Im Herbste 1880 ist nämlich bei Michendorf, unweit Potsdam, ein
Münzenfund von so hervorragender Wichtigkeit gehoben worden, wie er
für die brandenburgische Münzkunde seines Gleichen im entferntesten
nicht hat, und in diesem Funde traten zum ersten Male Münzen auf,
die auf der Vorderseite das Brustbild Heinrichs, gesichert durch die
Umschrift HF:iN BRAND, und auf der Rückseite das Brustbild Petrissas
mit der Umschrift ihres Namens tragen. (Abbild No. 1 u. 2.) Das war
eine Entdeckung, die in der numismatischen Welt das grösste Aufsehen
hervorrief.
Der Name Petrissa, nicht etwa slavisch, sondern gut deutsch, ist
Femininalform von Petrus, also Petra, Petrussa, Petrissa. Der Name
kommt auch anderweitig unter christlichen Namen vor. Wie Heinrichs
Gemahlin vor ihrem Übertritte zum Christentum geheissen, steht noch
nicht fest; den Namen Petrissa hat sie zu Ehren des heiligen Petrus,
Brandenburgs Schutzpatron, angenommen.
Neben diesem Gepräge giebt es noch zwei sichere andere Pfenninge
Przibislaw- Heinrichs (No. 3 u. 4), beide mit seinem Reiterbilde, der
i.
2.
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Das markische Münzwesen im Mittelalter.
5
eine mit einein viertürmigen Gebäude, der andere mit einem Bischöfe,
wahrscheinlich dem Bischöfe Wigger von Brandenburg, auf der Rückseite.
Dieser stammt aus einem schon 1858 bei Schollehne, unweit Havelberg
gemachten Funde, jener wie der Petrissapfenning aus dorn Schatze von
Michendorf.
Anzuschliessen ist auch noch ein Pfenning (No. 5), der freilich
nicht mit derselben Sicherheit wie die vorigen au Przibislaw-Heinrich
gegeben werden kann. Er hat zwei sitzende Fürsten, deren verstümmelte
Beisehriften auf Heinrich und auf Albrecht den Raren deuten können
und den Gedanken an eine Gemeinschaftsprägung der beiden Nachbarn
nicht ganz unterdrücken lassen.
Heinrich starb im Jahre 1150 uud es reihen sich an seine Münzen
diejenigen seines Verwandten, des vorher schon genannten VVendenfürsten,
oder -Knaes, Jakza, der seinen Sitz in Köpenick bei Berlin hatte. Waren
die Münzen Przibislaw-Heinrichs zweiseitige Denare, so haben wir es
bei denen Jakzas mit ganz dünnen, einseitig geprägten Denaren zu thun, die
von den Numismatikern, nicht aber zur Zeit ihrer Prägung, mit dem
Kunstausdruck Bracteaten bezeichnet werden, nach dem lateinischen
bractea, dünnes Metallblech.
Abgesehen von einem Stücke (No. 10) sind die Bracteaten .lakzas
mit einer Umschrift versehen, die in abgekürzter Form IACZA KNES,
IACZA COPNIO CNES, IACZA DE COPNIC und einmal sogar, auf dem
kostbaren Unikum meiner Sammlung (No. 11), TACZO DE COFNING
DEN AK 11 lauten.
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G
Euiil Bahrfeldt:
10 11 12
Diese 7 Bracteaten (No. 6 bis 12) zeigen den Knaes viermal im
Brustbilde, einmal stehend in ganzer Figur, zweimal sitzend. Er ist
bewehrt mit Schwert, Schild, Fahne, vereinzelt trägt er das Patriarchen-
kreuz, bei sechs Exemplaren ist ein Palmzweig angebracht. Die Münzen
sind von zierlicher Arbeit, die Aufschriften korrekt, ja bei dem einen
Bracteaten (No. 7) mit dem grossen, langbärtigen Profilkopfe wird man
sogar glauben dürfen, das Portrait Jakzas vor sich zu haben. Die
Münzen schliessen sich aufs engste an gleichzeitige magdeburgische
Bracteaten an. Es unterliegt keinem Zweifel, dass die Attribute Palm-
zweig und Patriarchenkreuz magdeburgischen Pfenningen entlehnt sind,
dass letztere die Vorbilder für Jakzas Prägung abgegeben haben. In
Magdeburg waren Bracteaten mit dem heiligen Moriz, sogenannte Moriz-
pfenninge, gang und gäbe. Es bietet keine Schwierigkeiten einzelne davon
als Vorbilder herauszufinden. Auch schon bei den Denaren Heinrichs
waren die magdeburgischen Pfenninge die Muster, und gleiches werden
wir auch unter den nächsten Herrschern der Mark noch mehrfach zu
sehen haben; in der Münzprägung kam dem jungen brandenburgischen
Staate die Kultur von Magdeburg.
Das Alter der Bracteaten Jakzas von Köpenick lässt sich ziemlich
genau bestimmen und zwar aus den Urkunden. Jakzas Münzen tragen
sämmtlich sichere Embleme des Christentums; er hat sie also zu-
versichtlich erst schlagen lassen, nachdem er Christ geworden war.
Als er Brandenburg einnahm und bis zur Wiedereroberung durch Albrecht
den Bären am 11. Juni 1157 besass, war er noch Heide, das steht fest
aus einer Urkunde des Bischofs Wilmar von Brandenburg vom
Jahre 1161. Jakza hat also erst nach 1157 den christlichen Glauben
angenommen und dann die Prägung vor sich gehen lassen.
Es ist wiederholt der Nachweis versucht worden, dass unser Jakza
von Köpenick nicht der Münzherr der besprochenen Bracteaten sei. Rabe
war es im Jahre 1856, der die Ansicht vertrat, dass der Jakza ein
polnischer Heerführer und das auf seinen Münzen genannte Köpenick
das Kopuitz in der Provinz Posen gewesen sei. Nachdem dieser Ver-
such widerlegt, ist Sello 1885 wieder auf die Frage zurückgekommen
und hat die Behauptung aufgestellt, der Münzjakza sei mit dem
urkundlich als a\ unculus des Przibislaw-Hcinrich genannten Jakza nicht
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Das märkische Münzwesen im Mittelalter.
7
identisch, weil letzterer in den Urkunden dux Poloniae genannt werde
und der Name Jakza häufig vorkomme. Nur das Letztere ist richtig:
es hat viele I Torren des Namens Jakza gegeben, denn dieser ist lediglich
die slavische Form für .Johannes, — alles Andere ist hinfällig. Der Münz-
kenner weiss die Unmöglichkeit, dass die Umschrift der Münzen einen
anderen Ort als unser Köpenick an der Spree bezeichnen kann. Und
ferner hat man da,s Polonia zu damaligen Zeiten ganz gewiss im weiteren
Sinne zu verstehen, nicht in dem engen Rahmen des eigentlichen Polens,
so dass es sich sehr wohl auf einen, vom deutschen Einflüsse unab-
hängigen Wendenfürsteu, auf unsern Jakza beziehen kann. Der historische
Jakza, «1er avunculus Przibislaws, ist unbedingt identisch mit dem
Köpenicker Müuzjakza.
Die Münzen der slavischen Herrscher in der Mark sind hiermit
erschöpft. Wir kommen nun zu denen der Markgrafen aus dem
askanischen Hause, von 1134 bis 1323, deren Ahnherr Albrecht
der Bär, von 1134 bis 1170, eine stattliche Reihe der schönsten Ge-
präge hinterlassen hat.
Seine älteste Münze (No. 13) ist noch zweiseitig geprägt. Sie
schliesst sich ganz eng an die Heinrichs an und ist wohl sicher noch
zu des letzteren Lebzeiten geschlagen. Die Münze zeigt die geharnischte
Gestalt Albrechts mit Fahne und Schild bewehrt auf der Vorder- und einen
Palmzweig zwischen zwei Th firmen auf der Rückseite. Sie ist wieder
ein Kabinetstück ersten Ranges und nur in zwei Exemplaren, eins
in der Sammlung des Herrn Killisch v. Horn zu Berlin, das andere
in meiner Sammlung, bekannt.
An diesen Denar reihen sich im Altersrange ein Bracteat (No. 14)
mit dein geharnischten Markgrafen zu Pferde und der Umschrift ALBRKII,
das ist die deutsche Form Albrech, gerade so wie . auf dem einen Denar
Przibislaw-Heinriehs das Brandburh als Brandeburch aufzulösen ist.
Diese beiden Münzen sind danach also die ersten märkischen, die
mit deutscher Aufschriftsform versehen sind.
Bei dieser Gelegenheit möchte ich darauf hinweisen, dass man bei
einer Reihe von Schriftstellern, die sich mit der Geschichte der Mark
beschäftigt haben, als alten Namen für die Stadt Brandenburg die Be-
zeichnung Brennabor findet.*) Wer dies zuerst aufgebracht hat, weiss
*) Neuerdings noch in einem Vortrage iles Dr. Hammer über „märkische Ort*
namen" in der Sitzung der „Brandenburgia" am 2:5. Mai 1891.
13
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Emil Bahrfeldt:
ich nicht, aber es steht fest, dass diese Namensform erst neueren
Ursprunges ist und urkundlich nicht vorkommt. Die alten Urkunden haben
die Form Brande-, Branden- oder Brandeinburg, bezw. -bureh, auch
Brandunburg, Branneburch und Brandanbur, aber meines Wissens
niemals Brennabor.
Aus der nun folgenden Keine der Bracteaten Albrechts sind zu-
nächst noch zwei herauszuheben (Nr. 15 u. 16), die sein Brustbild zwischen
Türmen darstellen und infolge ihres altertümlichen Aussehens wohl
dem eben genannten Keiterbracteaten angefügt werden dürfen.
Bis hierher wird die Folge der Albrechtsmünzen als chronologisch
richtig anzusehen sein, bei seinen anderen Geprägen lässt sich eine
Altersreihe nicht innehalten. Ich zähle noch 14 Stück Bracteaten Al-
brechts, z. T. mit Namensaufschrift, z. T. stumm, d. h. ohne Schrift. Der
Markgraf wird meist geharnischt und mit der Beckenbaube dargestellt,
stehend, sitzend oder im Brustbilde; als Wehr führt er wechselnd
Schwert, Schild und Fahne, aber auch friedliche Embleme trägt er bis-
weilen: die Lilie, den Palmzweig, das Kreuz.
Aus dieser vortrefflichen Gruppe ist vor allen ein Bracteat zu
nennen (No. 17), der die besondere Aufmerksamkeit auf sich lenkt. Es
ist der, auf welchem neben Albrecht dem Bären auch seine Gemahlin,
die Markgrälin Sophie, erscheint. Sie stammt nicht aus hohenstaufenschein
Geschlechte, sondern war eine Tochter des Grafen v. Formbach und
Winzenburg (f 1122) und der Hedwig von Waltingerode. Sophie starb
im Jahre 1160, und das giebt einen Anhalt für das Alter des Bracteaten:
er muss naturgemäss vor diesem Jahre und zwar, dem schönen Stile
nach, kurz zuvor geschlagen worden sein.
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Das märkische Mttiizwesen im Mittelalter.
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Ei» weiteres sehr wichtiges Stück ist ein Bracteat mit dem
baarhäuptigen Brustbilde des Markgrafen, mit erhobenen Händen, in
der Kecltten eine Lilie haltend und mit der Umschrift 4- AÜELDEHTVS
+ MAKCIIIO -f ANEHALDENSI. Er stammt aus dem grossartigen
Bracteatensehatze von Frecklebeu im Anhaltischen, der im Jahre 1804
gehoben worden ist. Auf Münzen tritt der Name Anhalt hier zuerst auf,
und die Bezeichnung Albertus marchio Anehaldensis : Markgraf Albrecht
von Anhalt ist urkundlich überhaupt noch nicht vorgekommen.
Zweifellos sind nicht alle Münzen Albrechts in der Mark Branden-
burg gepraegt worden, bei der Ausgedehntheit seiner Besitzungen ist
dies nicht anders zu erwarten. Aber z. Zt. steht es noch nicht fest,
um welche Stücke es sich dabei handelt, und so muss eine Trennung vor-
läufig noch unterbleiben.
Nach dem Tode Albrechts des Bären folgte auf dem branden-
burgisehen Throne sein ältester Sohn Otto J. von 1170 bis 1184. Er
hat nur Bracteaten geprägt, die meist mit seinem Namen versehen sind.
(No. 18 — 24.) Die Darstellungen sind im allgemeinen sehr überein-
stimmend mit denen auf seines Vaters Münzen, ja bei einzelnen stummen
kann man mit unbedingter Sicherheit nicht einmal sagen, ob sie vom Vater
oder vom Sohne herrühren.
18 19 20 21
Besonders aufmerksam zu machen ist auf den Bracteaten mit dem
Stehenden geharnischten Markgrafen, der Fahne und Schild trägt und
die deutsche Umschrift MAKCGKAVE OTTO hat (No. 24). In letzterer
Hinsicht gesellt sich der Pfenning jenen mit deutscher Aufschriftsform von
l'rzibislaw- Heinrich und Albrecht dem Bären bei. Und so kommt denn
auch in der Mark die deutsche Sprache auf Münzen weit früher zur An-
wendung als auf Siegeln; denn letztere führen solche, soweit bis jetzt
bekannt, nicht vor dem 14. Jahrhunderte.
10
Emil Bahrfeldt:
Wenn ich die bisherigen Gepräge ausführlicher behandelt habe, als es
bei den folgenden der Fall sein wird, so liegt der Grund dafür in dem
Umstände, dass gerade diese ältesten Münzen ein besonderes historisches
Interesse gewähren und dass auch vom künstlerischen Staudpunkte aus,
namentlich die Pfenninge der beiden ersten askanischen Markgrafen im
höchsten Grade beachtenswert sind. Denn unter ihnen befand sich die
Stempelschneidekunst auf einer Höhe, wie sie im Mittelalter für die
Mark nie wieder erreicht worden ist. Wenn man die ausserordentliche
Feinheit der Arbeit bei den meisten dieser Münzen betrachtet, so muss
man staunen über die Kunstfertigkeit, die sich in ihnen ausdrückt. Dass
die Künstler, die die Stempel geschnitten, indessen sämmtlich Märker
gewesen seien, das ist stark zu bezweifeln, denn wie schon bei Heinrich
und Jakza erwähnt, sind als Vorbilder zu den märkischen Münzen viel-
fach magdeburgische Gepräge benutzt worden, das lässt sich auch bei
Albrecht dem Bären und Otto I. verfolgen. Mit den magdeburgischen
Vorbildern werden aber gewiss auch magdeburgische Künstler in die
Mark gekommen sein, die belehrend und erziehend auf die einheimischen
Steinpelschneider gewirkt haben.
Diese Blüte der Stempelschneidekunst in der Mark ist schnell
vorübergegangen. Schon bei den Bracteaten des nächsten Markgrafen,
Ottos IT. 1184 — 1205, springt ein ganz wesentlicher Rückgang in dieser
Beziehung in die Augen. Sie werden kleiner, die Arbeit wird gering-
wertiger, roher, und das Bild ist meist mit einem ziemlich starken
Wulstrande umgeben. Diese Kennzeichen ermöglichen es, die Bracteaten
der beiden gleichnamigen, in der Regierung sich folgenden Markgrafen
auseinander zu halten und gestatten für den jüngeren Otto 35 Stück
Bracteaten auszusondern, von denen übrigens ungefähr der dritte Teil
als besonders selten anzusprechen ist.
Unter Otto II. kommt zuerst auf Münzen der brandenburgische
Adler vor und zwar in einem Schilde, den der Markgraf nebst einer
Fahne trägt. (No. 25.) Auch beginnt unter ihm wieder die Prägung
zweiseitiger Denare, von denen sich ein paar erhalten haben. (No. 26.)
25 '20
Iiis in die Zeit Ottos II. hinein haben wir keine. Sicherheit, in
welchen Prägestätten des Landes die Pfenninge gesehlagen worden sind.
Zwar spricht die starke Wahrscheinlichkeit dafür, dass Przibislaw-Hein-
rieh in Brandenburg und Jakza in Köpenick, auch vielleicht Albrecht der
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Das markische Münzwesen im Mittelalter.
11
Bär z. T. in ersterer Stadt geprägt habe, aber die Belege dafür fehlen,
<lenn wie ans der ältesten Zeit Urkunden im Allgemeinen sehr spärlich
vorhanden sind, so mangeln Münznrkunden aus jener Periode überhaupt.
Meines Wissens werden sicher erst im Jahre 1232 stendalisches Silber,
1245 der erste märkische Münzmeister (Herbord in Kyritz) und 1248
zuerst brandenburgische Pfenninge genannt. Wir sind deshalb gezwungen,
bis zum Auftreten sicherer numismatischer Belege lediglich aus dem
vorhandenen Münzmaterial unsere Schlüsse zu ziehen, so trügerisch das
manchmal auch sein mag. Erschwert wird die Aufgabe auch noch da-
durch, dass vom 13. Jahrhunderte ab die Münzen meist stumm sind. Da
müssen denn, soweit es angängig ist, auch die Siegel mit ihren Bildern
zur Deutung herangezogen werden. Wenn Münzbild und Wappenbild
übereinstimmen, dann wird man die betreffende Münze mit Zuversicht-
. lichkeit oftmals auf die Prägestätte beziehen dürfen, deren Wappen sie
zeigt. Dabei muss man aber immerhin sehr vorsichtig sein und
nicht nebensächliche Figuren ausschlaggebend sein lassen. Nicht jeder
Schlüssel im Münzbilde deutet auf Salzwedel, nicht jede Lilie auf Kyritz,
nicht jeder Helm, Stern, Adlerschild auf Spandau, Perleberg, Branden-
burg, weil diese Städte die genannten Zeichen im Wappen führen. Oft
sind solche Figuren nur der Laune des Stempelschneiders entsprungen,
oft dienen sie zur Kennzeichnung der verschiedenen Jahrgänge der Münzen.
Der erste märkische Pfenning, der sicher seine Prägestätte nennt,
ist der unter Otto II. geschlagene Bracteat mit der Aufschrift MARCHIO
STENDALE, in wenigen Exemplaren im Jahre 1877 bei Letzlingen in
der Altmark gefunden. Daran schliessen sich Bracteaten, hervorragend
kostbare Stücke von Salzwedel mit den Aufschriften MARCHIO SALT-
WEDEL, SALTWELDEL EST DANARIVS und ähnliche, die nur in
den Kabinetten zu Christiania, Leipzig und in meiner Sammlung bekannt
sind. Auch von dem Bruder Ottos, dem Grafen Heinrich von Garde-
legen, 1184— 1192, sind in Salzwedel Denare und Bracteaten geschlagen
worden und ebenso von dem letzten des Brüdertriumvirats, Alb recht II.
1205—1220. Er hat hauptsächlich Denare schlagen lassen, die den
Aufschriften und den Fundorten nach in Stendal entstanden sind.
Ich berühre diese altmärkischen Münzen hier nur nebenbei, da die Alt-
mark ausserhalb des Interessenkreises unserer Gesellschaft gelegen ist.
Die drei Brüder haben jedenfalls auch gemeinsam geprägt, das
deuten einige Bracteaten und Denare au, doch ist hier die Sicherheit
der Zuteilung etwas beschrankt, da an ihnen auch die nachfolgenden
Söhne Albrechts IL, Johann 1. und Otto HL, 1220—1266 67, Auteil
haben mögen, die teils gemeinsam, teils einzeln Bracteaten und Denare
gepraegt haben, unter denen besonders die beiden Bracteaten Johanns
ml der Umschrift MARCHIO JOHANNES und ähnlich (No. 27, 28.)
durch ihre Seltenheit hervorragen.
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12
Emil Hahrfeldt:
27 . 28
Da es sich bei dieser Besprechung nicht um ein ganz spezielles
Eingehen auf jeden einzelnen Münztypus, sondern nur um einen all-
gemeinen AbrLss des märkischen Münzwesens zu handeln hat, so darf
ich mir gestatten, über die nächste lange Reihe der Gepräge unter den
Markgrafen askanischen Stammes, die bis zum Jahre 1323 dauert, kürzer
hinwegzugehen. Ich weise nur auf die bildliche Darstellung einiger
35 36 37
dieser Denare (No. 29 bis 37) und Bracteaten (No. 38 bis 47) hin und
bemerke dazu, dass von ersteren etwa 150, von letzteren ungefähr
180 verschiedene Typen bekannt sind, die eine ziemlich eintönige Folge
bilden. Die Darstellungen wechseln zwar vielfach, haben aber doch das
Übereinstimmende, dass bei den Denaren meist auf der einen Seite der
Markgraf, auf der anderen Gebäude, Tiere, Blumen, Kreuze, Sterne und
dergl. sich finden, während bei den Bracteaten in der Hauptsache der
Markgraf, weniger häufig Darstellungen wie auf den Rückseiten der
Denare angebracht sind. Es befinden sich unter diesen Pfenningen
ebenfalls sehr bemerkenswerte und interessante Stücke, im allgemeinen
aber reichen sie weder in artistischer Beziehung, noch im Werte an die
bisher besprochenen älteren Gepräge heran. Man verfolgt deutlich, wie
unter Albrecht dem Bären und Otto 1. die Blüte in der Münzprägung
bestanden, und wie sich dann von Otto II. ab allmälich ein Rückgang
vollzieht, der weiterhin unter den Markgrafen aus dem bayerischen und
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Das märkische Münzwesen im Mittelalter.
13
Iützelburgi sehen Hause, wie wir selten werden, noch schroffer in die
Erscheinung tritt.
43 44 46 40 47
Unter den slavischen Herrschern sind die mutmasslichen Münz-
schmieden Brandenburg etwa 1150 und Köpenick ungefähr 1157 schon
erwähnt worden; unter den Askaniern waren sodann im Betriebe, nach
der Reihenfolge ihres Auftretens, urkundlich oder durch die Münzen
belegt,
die markgräfliehen Münzstätten:
Stendal 1269, zuerst urkundlich; nach den Münzen schon Ende
des 12. Jahrhunderts,
Salzwedel, Ende des 12. Jhdts., nach den Münzen,
Crossen, etwa 1275, auf Grund der Münzen,
Berlin 1280, zuerst urkundlich,
Schwedt 1281, desgleichen
Brandenburg 1280 „
Görzke 1293
Lydien 1302
Prenzlau 1309 „ unter Pommern schon gegen 1185 vor-
kommend.
Guben 1311, zuerst urkundlich,
Spandau 1319, desgleichen
Luckau, 1321
die städtischen Münzstätten:
Salzwedel 1314, zuerst urkundlich,
Guben 1319 desgleichen
Beeskow 1321
14
Etnil Bahrfeklt:
Im 12. und 13. Jahrhundert*' hatte, wie aus dieser Aufstellung
folgt, noch keine märkische Stadt das Münzreeht erworhen, erst im
14. Jahrhunderte treten Stadtmünzen auf.
Für alle vorgenannten Orte ist es nicht möglich die Erzeugnisse
ihrer Münzschmieden nachzuweisen, es sind aus dieser Zeit nur die
Prägungen iu Stendal, Salzwedel, Crossen, Brandenburg, Spandau zu
belegen. Und so ist denn für die Mehrzahl der märkischen Mittelalter-
münzen wohl die Zeit ihrer Entstehung festgestellt, nicht aber iu gleichem
Masse sind es ihre Heimatsstätten.
Was das System betrifft, nach welchem in der Mark gerechnet
wurde, so kann es nur dasjenige gewesen sein, «las Kaiser Karl der
Grosse in seinem Reiche eingeführt hatte, nämlich die Rechnung nach
Pfunden. Ein Gewichtspfuud (\\brn) feinen Silbers zertiel in 20 Schillinge
(solidi), je zu 12 Pfenningen (Deuarii), mithin in 240 Pfenninge. Diese
letzteren bildeten also einen festen, mit dem Gewichtspfunde überein-
kommenden Geldwert, der natürlich aber nur solange im richtigen Ver-
hältnisse zum Pfunde feinen Silbers stand, als die Pfenninge vollwichtig
und fein ausgebracht wurden. Anfangs geschah dies wohl bei den
deutschen Münzen im allgemeinen, bald jedoch trat eine Verringerung
der Pfenninge ein, die um so mehr sich steigerte, als nach und nach
von den Kaisern mehr weltlichen wie geistlichen Herren das Münzrecht
verliehen wurde. Die Fürsten sahen aber in der Anbringung ihrer Bild-
nisse und ihres Namens auf den Münzen nicht etwa ein ehrendes Zeichen
ihrer Würde, sondern sie betrachteten das Münzreeht einzig und allein
als ein gewinnbringendes Monopol, das zu Gunsten ihrer Kasseu zu
pflegen sei. So ist es erklärlich, dass überall gegen die kaiserliche
Verordnung gesündigt, die Pfenninge geringer als vorgeschrieben aus-
gebracht wurden. Trotz dieser Verschlechterung der einzelnen Pfenninge
galten indessen, nach alter Gewohnheit, immer noch 240 abgezählte
Pfenninge gleich einem Pfunde feineu Silbers und das ursprüngliche
Gewichtspfuud sank dadurch zum Zählpfuude herab.
Neben der Bezeichnung libra für Pfund tritt in den Urkunden,
wenig später als erstere, die gleichbedeutende Benennung talentum auf.
Die libra verschwindet aus den brandenburgischen Nachrichten etwa im
3. Viertel des 12. Jahrhunderts, das talentum hält sich dagegen selbst
noch vereinzelt bis Mitte des 15. Jahrhunderts. Daneben kommt aber
noch eine zweite Rechnung vor, nach Marken, in Brandenburg schon
seit dem 2. Viertel des 12. Jahrhunderts, so dass also die Rechnung
nach Pfunden (libris beziehentlich talentis) neben der nach Marken fort-
bestand. Die Mark Silber (marca pura, marca puri argenti) als Geldwert
bestand ursprünglich aus einzelnen Barren feinen Silbers, nach der
Schwere einer Gewiehtsmark bereitet. Bald aber ward es Gebrauch,
auch auf die Pfenningrechuung die Bezeichnung Mark anzuwenden und
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Das märkische Mttnzwesen im Mittelalter.
15
»ach Mark Pfenningen (inareis denarioruin) zu rechnen, d. Ii. soviel
Pfenninge als dem Gewichte nach auf eine Mark gingen, dafür zu
gehen. Dadurch ward aber der geringhaltigen Ausprägung der einzelnen
Pfenninge ein sehr weiter Spielraum gewährt und der Münzverschlechter-
uug nicht nur nicht begegnet, sondern sie geradezu befördert.
Die erwähnten Silbermarkstücke wurden in den Münzschinieden
von den Münzbeamten bereitet. Nur diesen und den Goldschmieden, in-
soweit es die Prüfung ihrer Arbeiten erforderte, war es erlaubt, Silber
zu schmelzen. Übertretungen wurden, wie die Falschmünzerei, schwer be-
straft. Zur Beglaubigung des Feingehaltes wurden die Barren mit dem
Stempel der Münzstätte versehen. Besonders war stendalisches Silber,
auch über die Grenzen der Mark hinaus, beliebt, dann auch branden-
burgisches und frankfurtisches. Das Gewicht der Barren wurde nach
der in Deuteehland allgemein üblichen kölnischen Mark bestimmt, und
die urkundlichen Stellen, in denen von Marken stendalischen, frank-
furtischen und dergl. Gewichtes die Rede ist, weisen nicht etwa auf eben-
so viele verschiedene Gewichtsmarken hin, sondern bedeuten nur, dass
die betreffenden Barren mit den von den Obrigkeiten der bezeichneten
Städte geaichten Gewichten nach der kölnischen Mark abgewogen seien.
Von den Münzen der slavischen Herrscher, die abseits von denen
ihrer brandenburgischen Zeitgenossen stehen, abgesehen, hält sich der
Wert der Pfenninge unter Albrecht dem Bären, Otto I. und Otto IT. auf
ziemlich gleicher Stufe. Erst nach dieser Zeit tritt ein allmäliges Sinken
im Gewicht und Gehalt ein, dem der Beginn des artistischen* Verfalles,
wie bereits erwähnt, schon seit Ottos II. Zeiten vorangegangen war.
Der Rückgang in dem Werte der Pfenninge stellt sich so dar, dass die
ältesten Pfenninge unter Albrecht dem Bären etwa 12-lötig waren und
ihrer gegen 276 Stück auf eine Mark gingen, während am Ende der
Regierung der Askanier die Pfenninge — einige Schwankungen unbe-
rücksichtigt — bis auf ungefähr 13 Lot fein und 361 Stück aus der
Mark gesunken waren.
Die wirklich ausgeprägten Geldstücke sind in der Mark der Pfen-
ning und der halbe Pfenning. Der Schilling oder Solid us, 12 Pfenningen
gleich, der sich oft in Geschichtswerken als Geldstück angeführt findet, ist
niemals in der Mark geschlagen worden, sondern lediglich Rechnnngsmünze
gewesen. Pfenninge oder Denare waren, wie schon erwähnt, sowohl die
zweiseitigen, wie die einseitigen Stücke, die zu gleicher Zeit auch den
gleichen Wert hatten. Ein Mittelding zwischen zwei- und einseitigem
Pfenning sind die sogenannten Halbbractcatcn, das sind die Denare
l'rzibislaw-Heinrichs und der einzige Denar Albrechts des Bären (No. 1
bis 4 u. 13.), die so dünn sind, dass beim i 'rügen der Stempel der einen
Seite selbst auf der entgegengesetzten Seite der Münze sich bemerkbar
macht, wodurch das Bild in den meisten Fällen undeutlich wird.
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IG
Kmil Bahrfeldt:
lu der 2. Hälfte des 13. Jahrhunderts kommen halbe Pfenninge
in der Mark auf, zweiseitige und einseitige, Obole und Schorf« genannt,
Sie sind selten. Uni daher dem Mangel an kleinem Golde im täglichen
Verkehre abzuhelfen, war es Gebrauch geworden, die ganzen Pfenninge
mit der Scheere zu halbieren. Oft kommen solche in den Funden in ver-
hältnissmässig grosser Anzahl vor.
Die märkischen Pfenninge hatten, wahrscheinlich seit dem 13. Jahr-
hunderte, nur für ein Jahr Gültigkeit. Um Jacobi jedes Jahres wurden
sie „verrufen", d. h. ausser Kurs gesetzt, und Jedermann war bei Strafe
verpflichtet, sie bei den Münzmeistern in der Münze gegen neue Pfen-
ninge umzuwechseln. Statt 16 alter erhielt man einen Schilling =
12 Stück neuer Pfenninge, der Gewinn aus dieser Umwechslung tloss
dem Landesherrn zu.
Diese alljährliche Erneuerung der Pfenninge ist auch die Ursache
der grossen Mannigfaltigkeit in ihren Typen. Damit die neuen von den
alten Pfenningen zu unterscheiden waren, mussten alljährlich neue
Münzbilder geschaffen werden, denn Jahreszahlen gab es damals auf den
Münzen noch nicht. Um diesen Zweck zu erreichen, setzten die
Stempelschneider oft die Wappen der Städte, in denen sie prägten, auf
die Pfenninge, häufiger noch nahmen sie ihre Zuflucht zu Darstellungen
aus der Tier- und Pflanzenwelt, aus dem täglichen Leben. So finden
sich denn auf den Münzen alle möglichen Dinge und Gegenstände ver-
treten, oft auch solche, die heute jeder Deutung spotten.
Die Münzmeister waren die Vorsteher der Münz Werkstätten. Sie
wurden — abgesehen von den späteren städtischen Münzmeistern —
vom Landesherrn ernannt und unterlagen als Staatsbeamte der Hofge-
richtsbarkeit. In der Kegel waren sie reiche und angesehene Leute, die
neben ihrem Amte als Münzer auch noch einen Münzwechsel, d. h. eine
Wechselstube zu halten hatten, deren hauptsächlichster Zweck es war,
dem Einwechseln des benötigten Silbers für den Münzenschlag zu dienen.
Niemand anders als die Münzmeister durfte einen Wechsel halten. Als
später die Münzstätten an reiche Kapitalisten verpachtet wurden, hielten
die Pächter sich ihre Meister für den Betrieb der Münze, doch waren
oft auch die Pächter selbst Münzmeister. —
Es ist vorher erörtert worden, wie sich unter den Markgrafen aus
dem askanischen Hause ein allmäliger Rückgang in der Güte der Pfen-
ninge vollzogen hatte, und dieser war noch keineswegs zum Stillstande
gekommen, als das wittelsbachsche oder bayerische Haus, das von
1323 bis 1373 regierte, den brandenburgischen Thron bestieg. Im Gegenteil
gerade unter den Regenten dieses Hauses war in münzpolitischer Be-
ziehung die trübste Zeit in der Mark. Ludwig I., der Bayer, der erste
Markgraf aus diesem Hause, hatte grosse pekuniäre Opfer zu bringen
für die Wiedererwerbung der vor ihm abgefalleneu Teile der Mark.
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Das märkische Mfinzwesen im Mittelalter.
17
Was Wunder, wenn er sich fortwährend in Geldnöten befand und diesen
dadurch zu begegnen trachtete, dass er die Münzen noch leichter und
geringhaltiger schlagen Hess, als bisher geschehen. So finden sich seine
und auch seiner beiden Nachfolger, Ludwigs T. und Ottos VIII., des Faulen,
Pfenninge nur noch 12-lötig und auf die Mark gingen etwa 410 Stück.
Dieser Rückgang hatte zur Folge, dass man sich, wo immer es anging,
des Barrensilbers bediente und • bei grösseren Geldzahlungen nach
Marken reinen Silbers rechnete; für den Kleinverkehr gab es freilich
keinen Rettungsweg, den Verlusten durch die geringe Münze zu entgehen.
Unter den Markgrafen des bayerischen Hauses traten zu den Präge-
stätteu, die zur Zeit der askauischen Herrscher genannt worden sind,
noch folgende landesherrliche Münzstätten hinzu:
Kyritz, zuerst urkundlich 1325.
Königsberg, „ „ 1335.
Soldin, „ „ 1340. (?)
Perleberg, „ „ 1347.
Morin, , „ 1352.
Bärwalde, „ „ 1353.
Frankfurt, „ „ 1365.
Um nun den fortwährenden Geldkalamitäten abzuhelfen, kamen
die Markgrafen leider auf das Auskuuftsmittel, die Münzstätten zu ver-
pachten. Von einem Teile der eben genannten Münzschmieden sind die
betreffenden Kontrakte erhalten geblieben. So wurde Stendal schon vor
1333, Brandenburg und Kyritz im Jahre 1333, Königsberg 1344,
Bärwalde 1353 an bemittelte Unternehmer z. T. auf lange Jahre
hinaus in Pacht gegeben. Dass die Pächter natürlich ihr Privileg
ausnutzten, so weit sie irgend konnten, und dass bei diesen Zu-
ständen das Publikum schlechter daran war, als bei direkter Ver-
waltung der Münzstätten für Rechnung des Laudesherrn, bedarf keiner '
besonderen Betonung. Die Klagen über diese Missstände nahmen denn
auch überhand und führten endlich dahin, dass die Städte der Münz-
bezirke Stendal und Berlin zusammentraten, und, wie schon 1314 die
Ritterschaft und Städte der Bezirke Salzwedel und der Grafschaft Lüchow
die Münze zu Salzwedel an sich gebracht hatten, nun im .fahre 1369
ebenfalls dem Markgrafen Otto das Müuzrecht abkauften und damit die
Berechtigung erwarben, Münzen zu schlagen, die fortwährend Gültig-
keit hatten uud der üblichen alljährlichen Uniwechselung nicht unter-
worfen waren. Mau nannte dies Privileg das Recht des ewigen Pfennings.
Aus der Urkunde von 1369 ersehen wir, dass Münzbezirke, soge-
nannte Münzyser (von Müuzysen, Münzeiseu, Münzstempel) bestanden.
Der berlinische umfasste die Städte Berlin, C'öln, Frankfurt, Spandau,
Bernau, Eberswalde, Laudsberg, Straussberg, Münrheberg, Drossen,
Fürstenwalde, Mittenwalde, Wriezen, Freienwalde. Zum s tenda lischen
2
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18
Emil TlahrfrMt:
gehörten Stendal, Gardelegen, Seehausen, Tangermünde, Osterburg, Werben,
Havel berg.
Im berlinischen Münzyser wurde nur in Berlin und Frankfurt ge-
prägt, im stendalischen Bezirke nur in Stendal. Diese Münzstätten
versorgten je ihren ganzen Bezirk mit Geld. Es ist deshalb ein Miss ver-
stehen der Urkunde von 1369, wenn besonders in manchen Chroniken
der Städte häufig davon die Rede ist, dass die vorgenannten Orte mit
Erwerbung des ewigen Pfennings auch je einzeln das Münzrecht er-
worben hätten.
Wann diese Einteilung in Münzbezirke aufgekommen ist, hat sich
nicht ermitteln lassen, ebensowenig ob ausser den genannten drei, noch
andere solche Bezirke bestandeu haben. Letzteres ist wahrscheinlich.
So wird jedenfalls die Ukermark mit Prenzlau, die Neumark mit Königs-
berg und Morin, die Gegend von Brandenburg mit dieser Stadt selbst,
die Priegnitz mit Perleberg und Kyritz, oder einer dieser beiden Städte,
je einen besonderen Münzbezirk gebildet haben. Mutmassen lässt sich
dies, abgesehen von den nachgewiesenen Beispielen von Salzwedel,
Stendal und Berlin, auch aus dem Umstände, dass die märkischen Pfen-
ninge in der späteren Zeit nicht überall gleichen Wert hatten. Die aus
Brandenburg waren am besten, dann folgten die stendalischen, zuletzt
die berlinischen; 6 braudenburgische waren gleich 7 stendalischen, gleich
8 berlinischen. Dieser Wertsunterschied machte das Ganze nur noch ver-
worrener, und es ist in der That zu verwundern, wie das Volk in diesen
verwickelten Verhältnissen überhaupt sich noch zurecht gefunden hat.
Bei den markgräflichen Verordnungen über Münzausprägungen, bei
den Verpachtungen der Münzstätten, den Verkäufen des Münzrechts an
die Städte und bei allen sonstigen landesherrlichen Massnahmen und
Verfügungen die Münze betreffend, findet sich in den Urkunden stets
der Zusatz seitens der Markgrafen gebraucht „mit rade unseres rades",
oder „mit rate unserer land und der stete" und ähnlich so. Mit dieser
Bezeichnung sind die Stände in der Mark gemeint, und die Beschränkung,
die sich in diesen Worten ausspricht, beweist, dass die Landesherren
ungeachtet ihres unbestrittenen Hoheitsrechtes auch damals verpflichtet
waren, über alle Massnahmen in Münzsachen die Zustimmung der
Stände auf den Landtagen einzuholen. Dass diese Befragung der Stände
nicht etwa leere Phrase gewesen ist, wird u. a. auch dadurch belegt,
dass z. B. an dem Widerspruche der Stände die im Jahre 1345 von
Ludwig I. beabsichtigte sehr wesentliche Verringerung des Geldes
scheiterte.
Das unter den bayerischen Markgrafen geschlagene Geld besteht
nur in Denaren und Obolen; die Bracteaten hören schon vorher auf.
Ihre Schriftdenare tragen meist den Namen des Münzherrn. So
werden die drei Typen mit stehendem Markgrafen, der einmal zwei
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Das märkische Mttnzwesen im Mittelalter.
19
Schwerter, in zwei anderen, selteneren Fällen (No. 48, 49) zwei Lilien
hält und mit LODEVIC, LDEYIO, LIDVTO um einen grossen Helm, an
Ludwig L (1323-1351) zu legen, und zwei andere, der eine mit kleinem
Helme und der Umschrift LODEVICH, der andere nur mit einem L an
Ludwig II. (1351—1365) zu geben sein, während im Hinblick auf die
48 49
vorher entwickelten Feingehaltsangaben, natürlich unter allen branden-
burgischen Denaren, die den Namen OTTO tragen, die allerschlechtesten
an Otto Vni., den Faulen 1365—1373, zu überlassen sind.
Die städtischen Prägungen nach Erwerbung des ewigen Pfennings
sind leider den einzelnen Münzschmieden nur in beschränktem Grade
mit Sicherheit zuzuteilen. Für die unsere Gesellschaft besonders in-
teressirenden, aus Berlin und Frankfurt, kann ich indessen ein Paar
siehere vorführen. Das ist für Berlin ein Denar (No. 50), der auf der
Hauptseite den Markgrafen mit Lanze und Schwert, und auf der Kehrseite
das Wappentier Berlins, den Bären, zur Darstellung bringt. Ein Obol
dazu (No. 51), von dem nur zwei Exemplare existiren, hat ganz die-
selben Münzbilder, nur in verkleinertem Massstabe. Diese beiden Stücke
sind die einzigen sicheren Münzen der Stadt Berlin aus jener Zeit.
Berlinische Stadtmünzen treten dann erst wieder unter Kurfürst
Joachim I. etwa 1511 auf.
50 51 52
Der Denar, den ich der Stadt Frankfurt zueigne (No. 52), zeigt
den Markgrafen mit einem Schlüssel in jeder Hand und auf der Kehr-
seite das Stadtzeichen, den Hahn, — der einzig sichere Denar dieser
Stadt. Die Berechtigung bei den genannten drei Münzen Berlins und
Frankfurts von einer Sicherheit in der Zuteilung sprechen zu können,
beruht mit darin, dass die Münzbilder, Bar und Hahn, sonst niemals
in der Bracteaten- und der Denarzeit auf brandenburgischen Geprägeu
vorkommen.
Nachdem die obigen Denare mit Regentennamen und diese wenigen
städtischen Schlages aus der bayerischen Zeit herausgesoitriert sind,
bleibt für die übrigen Denare dieser Periode nur übrig, ohne Rücksicht
2*
20
Emil Bahrfeldt:
auf ihre mutmasslichen Prägestätten , sie in Gruppen für die drei Re-
genten Ludwig I., Ludwig II. und Otto VIII. zusammenzustellen. Da
sie ohne Aufschriften sind, so würde dies nicht gelingen können, wenn
hier nicht die Funde zu Hülfe kämen. Besonders aufklärend haben
nach dieser Kichtung hin zwei Funde gewirkt, das ist der von Aschers-
lebeu und ein anderer ohne Fundortsangabe aus der Provinz Sachsen,
denen ich eingehende Untersuchungen widmen konnte, — der erstere
umfasste nicht weniger als 11500 Stück! —
Die letzte markgräfliehe Periode war die unter den Regenten aus dem
luxemburgischen oder lützelburgischen Hause von 1373 bis 1415.
Aber mit Ausnahme der kurzen Regierung Kaiser Karls IV., als Vormund
seines Solines Wenzel, war die Herrschaft der Lützelburger für die
Mark nichts weniger als segensreich. Unter ihnen herrschten die aller-
trübsten Zustände, hervorgerufen teils durch ihre Unfähigkeit, teils durch
ihre Abwesenheit von der Mark, die infolge dessen Statthaltern über-
lassen werden musste, deren hauptsächlichstes Streben nur danach ging,
möglichst viel Einkünfte aus dem Lande zu ziehen. Im Innern stand
das Faustrecht in voller Blüte, von aussen machten die Nachbarn Ein-
fälle und Eroberungszüge in das Land.
Darf es da überraschen, wenn auch das Müuzwesen, das schon
unter den bayerischen Markgrafen in stark abwärts gehenden Bahnen
sich bewegt hatte, nicht wieder zum Aufblühen kommen konnte. Zwar
wurden die Pfenninge im Gewichte etwas schwerer ausgebracht als in
der bayerischen Periode, nämlich zu etwa 370 Stück aus der Mark, aber
ihr Gehalt war noch geringer als vorher, nämlich im Durchschnitte nur
11 Lotli fein. Sie an die einzelnen Regenten Karl, Wenzel, Sigismund,
Johann und Jobst zu verteilen, ist unmöglich, da sie sämmtlich stumm
und fast durchweg von geringwertiger, nachlässiger Arbeit sind. Sie
können nur in einer gemeinsamen Gruppe behandelt werden, um so mehr
als auch für die Prägestätten, aus denen sie gekommen sind, keine
sicheren Merkpunkte vorliegen.
Die Zahl der Münzstätten scheint übrigens unter den Lützelburgern
eine wesentliche Erweiterung nicht erfahren zu haben, denn urkundlich
nachweisbar ist nur das Hinzutreten der städtischen Münzschmiede
in Spremberg, die 1397 erwähnt wird.
In dieser Zeit war in der Mark auch schon die Rechnung nach
Groschen gang und gäbe. Ich linde sie schon unter den bayerischen
Markgrafen, und zwar zuerst 1343 urkundlich erwähnt. Unter den
Lützelburgern traten die Groschen besonders stark auf, so dass sie fast
die Pfenninge verdrängten. Das waren aber nicht märkische Groschen,
sondern böhmische, die man nach Schocken und Mandeln rechnete.
Die ersten brundunburgischen entstanden erst unter Kurfürst Friedrich II.
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Das märkische Münzwesen im Mittelalter.
21
Über die Rechnung nach böhmischen Groschen giebt am ausführ-
lichsten das Landbuch Kaiser Karls IV. vom Jahre 1375 Auskunft, ob-
scfaon es in den vorliegenden Bearbeitungen von Hendrick, Herzberg
und Fidicin, der vielen Fehler wegen, nur mit Vorsicht zu benutzen ist.
Auf diese Groschenrechnung hier näher einzugehen, erscheint nicht von
Nöten, da es sich noch nicht um märkische Groschen handelt; es wird
besser sein, an anderer Stelle bei Besprechung der hohenzollernschen
Prägungen dies zu thun. Iiier sei indessen einer anderen eigentümlichen
Rechnungsweise gedacht, der Rechnung nach Frusta oder Stücken Geldes,
die anscheinend nur in der Mark vorkommt. Sie ist wohl nur an-
gewendet worden, wenn es sich um die Bemessung von Lasten und
Abgaben, die von Liegenschaften zu entrichten waren, oder um Gefälle
von Gerechtsamen handelte. Nicht immer war der Wert eines Frustums
gleichmässig, aber im allgemeinen rechnete er gleich einem Wispel
Roggen, oder zwei Wispeln Hafer, oder zwei Schock Hühnern, oder
einem Pfunde Pfenninge. —
Neben den Markgrafen von Brandenburg haben auch, wenngleich in
sehr beschränktem Masse, die märkischen Bistümer den Münzenschlag
ausgeübt. Die Geringfügigkeit ilirer Prägung liegt in den damaligen
politischen Verhältnissen begründet, die sie nicht im entferntesten eine
so grosse Rolle spielen Hessen, wie z. B. die Stifter Magdeburg, Halber-
stadt und Quedlinburg. So sind denn so gut wie gar keine Münz-
urkunden und nur wenig Münzen von ihnen vorhanden.
Im Bistum Brandenburg hat Bischof Otto 1251 — 1260, ein
Paar Bracteaten ausgehen lassen, darunter als Leitstück den mit den
Buchstaben E = 0 (No. 53), was berechtigterweise Episcopus Otto ge-
lesen wird.
53
Bischof Friedrich v. Plötzke, 1306—1316, hat einen Denar
(No. 54) und einen Obol hinterlassen, Heinrich III. v. Bodendyk,
1393 — 1406, ebenfalls einen Obol (No. 55), dessen einzig noch vor-
handenes Exemplar sich in meinem Besitze befindet.
Dem Bistum Havelberg wurden bis zu meiner Entdeckung des
Bracteaten Dietrichs I., 1325—1341, sichere Münzen überhaupt nicht
zugeteilt, doch nahm man mit Recht an, dass man in der Reihe
unbestimmter Denare, die sich durch den Bischof mit zwei Krummstäben
als geistliche Gepräge kennzeichnen, ebenso wie brandenburgisch-
bischöfliche, so auch havelbergische zu suchen habe.
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22
Emil Bahrfeldt:
56 57 58
Das dritte märkische Bistum ist Lelms. Ihm werden drei von
mir aus dem Bracteatenfunde von Lübhen neu entdeckte ßracteatcn
(No. 56, 57, 58) zugewiesen.
Dass die Bischöfe mit ihrer Münzprägung sich nach dem gleich-
zeitigen markgräflich brandenburgischen Oelde gerichtet haben, ist aus
der territorialen Lage ihres Gebietes und dessen Handelsbeziehungen
zur Mark erklärlich.
Es erübrigt nun noch auch der Münzgerechtigkeit der Edelherren
in der Mark zu gedenken. Da sind in erster Linie zu nennen, die
Edlen Herren von Plotho und die Edlen Herren v. Friesack.
Von ihnen ist ein gemeinsamer Denar ausgegangen (No. 59), der auf
der Hs. die Lilie, das plothosehe Wappen zeigt, und deren Umschrift
auf Johannes v. Plotho deutet. Die Kehrseite der Münze trägt ein
Seeblatt und die Umschrift R1CHARDVS DE VRT (sach). Der Denar
stammt aus der Mitte des 13. Jahrhunderts und hat schon eine ganze
Literatur hervorgerufen. Zuletzt wurde in den Mitteil, des Vereins für
die Gesch. Berlins die irrtümliche Nachricht über ihn gebracht, dass er
sich auf die Stadt Plaue bei Brandenburg a. H. oder die Schlossherren
von Plaue beziehen sollte. Das hat bereits in der genannten Zeitschrift
selbst Widerlegung gefunden. Wenn ich hier indessen noch einmal kurz
auf die näheren Einzelheiten des wichtigen Pfennings zurückkommen
darf, so sei dieserhalb Folgendes erwähnt.
Die Edlen Herren von Plotho, jetzt Freiherren v. Plotho, waren
ehemals reich begütert in der Mark und in Meklenburg und lassen
sich urkundlich bis 1142 zurück verfolgen. Sie waren Gründer und
Besitzer der Städte Kyritz und Wusterhausen, die beide noch heute die
plothosehe Lilie als Wappenbild tragen. Das PLOVC auf der Münze
hat zu der Deutung Plaue Anlass gegeben, aber es kann lediglich für
['LOTE stehen, eine Corrnmpirung, die ähnlich im Mittelalter sehr
häufig vorkommt. Mit Plaue an der Havel oder Plaue in Meklenburg
kann es nicht in Verbindung gebraeht werden, da dieser Name vor 1350
nur in der Form Plave oder Plawe, niemals als Plove oder Plowe an-
getroffen wird.
Die Kehrseite des Denars weist auf die Familie der Edlen Herren
von Friesack in der Mark, die aus dem Geschlechte der Herren von
Jericho w im Magdeburgischen stammen, von denen sie sich gegen Mitte
des 13. Jahrhunderts abtrennen. Der Richard von Friesack der Münze
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Das niälrkische Münzwesen im Mittelalter.
23
kommt 1256 bis 12G1 urkundlich vor; das friesaeksche Wappenbild war
«las sog. Seeblatt, das Blatt der weissen Wasserlilie (Nymphaea alba).
Es unterliegt keinem Bedenken, den Denar als Gemeinschaftsmünze
der genannten Herren, die Nachbarn und wohl auch verschwägert mit
einander waren, anzusehen. Er wird vermutlich in der plothoschen
Stadt Kyritz geschlagen sein, wo 1245 -- wie schon vorher erwähnt —
ein Münzmeister Herbord vorkommt.
69 00 61
Auch jedem Einzelnen der beiden Edelherren habe ich Münzen zu-
gewiesen, so den Plothos einen Denar mit der Lilie u. 2 Fischen (No. 60)
und den Friesacks drei Denare mit dem Seeblatte. (No. 61).
Von märkischen Geschlechtern sind z. Z. weitere sichere Münzen
nicht bekannt. Z war hat man den G r a f e u von Lindow und K u p p i n ,
den Herren v. d. Schulenburg, v. d. Knesebeck, von Alvensleben,
ferner den Edlen Herren zu Putlitz und den Herren v. Dahme
Münzen beilegen, beziehungsweise ihnen das Müuzreeht zusprechen wollen,
aber zu Unrecht. Die Grafen v. Lindow und Ruppin haben weder eine
Nachricht noch eine Münze hinterlassen, die auch nur die geringste
Wahrscheinlichkeit einer Prägung annehmen Hesse. Was die Schulen-
burgs, Knesebecks und Alvenslebeus anlangt, so haben diese früher in
Beziehung zu der Münze in Salzwedel gestanden insofern, als sie zu den
Ständen gehörten, die 1314 in den Distrikten Salzwedel und Lüchow
die salzwedelsche Münze kauften. Sie haben auch, wie die Urkunden
lehren, öfter zusammen mit den Städten Vereinbarungen wegen des
Münzenschlages in Salzwedel geführt, — aber persönlich haben sie das
Hecht zu münzen deswegen doch niemals besessen.
Auch die Edlen Herren zu Putlitz sind nie münzberechtigt
gewesen. Die Gans, ihr Wappentier, die man angeblich auf einigen
märkischen Pfenningen hat sehen wollen, habe ich als Adler entlarvt,
und damit fallt der einzige Halt für die Annahme ihrer Prägegerechtigkeit.
Zweifelhaft liegt die Sache bei den Herren von Dahme. Hier
werden noch fortgesetzte Forschungen es entscheiden müssen, ob man
ihnen mit Recht oder Unrecht gewisse Bracteateu zuteilt.
Zum Schlüsse sind noch zwoi nieder laus itzi sehe Familien zu
nennen, die tatsächlich gemünzt haben. Zunächst die Herren von
Strele, denen unter anderen Besitzungen die Herrschaft Beeskow-Stor-
kow gehörte, und zwar Beeskow schon seit 1272, nicht erst seit 1316
wie Riedel und v. Ledebur augeben. Die Prägung der Stadt Beeskow
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24
Emil Bahrfeldt: Das märkische Mflntwesen im Mittelalter.
habe ich schon unter den Askaniern berührt; die Münze der Herren von
Strahle darin wird 1314 erwähnt. Aus ihr mag ein Bracteat hervorge-
gangen sein, der leider nur halbirt vorhanden ist und der das Wappen der
Herren, die drei Senseuklingen, zu tragen scheint,
Daun folgen die Herreu v. Cottbus in der Stadt gleichen Namens.
Die Herren sind urkundlich schon 1156 nachzuweisen; sie führten einen
Krebs im Wappen, der auch das Zeichen der Stadt ist. Einen Krebs
lässt auch ein Bracteat von niederlausitzischer Fabrik in meiner Sammlung
sehen, den ich den Herren von Cottbus, wahrscheinlich dem Friedrich
oder Johann beilegen darf, die 1304 unkundlich auftreten. —
Soweit die Betrachtungen über das märkische Münzwesen während
der Bracteaten- und Denarperiode. Sie bildet ein selbststündiges Ganzes.
Die nächste Periode unter den Hoheuzollern, deren erste Kegenten zwar
noch dem Mittelalter angehören, steht unter der Herrschaft des Groschens
und hat einen so völlig veränderten Charakter, dass es angebracht erscheint,
mit der markgräflichen Zeit hier abzuschliessen und die kurfürstliche
einer späteren Besprechung vorzubehalten.
Ueber neu aufgefundene Tafelbilder in der Kircbe zu Zielenzi«.
25
Ueber neu augefundene Tafelbilder in der
Kirche zu Zielenzig.
Von G. Bluth.
Geh. Bauratb und Konservator der Baudenkmäler in der Provinz Brandenburg.
An dem in der Kirche zu Zielenzig befindlichen Flügelaltare
wurde vor Kurzem die Entdeckung gemacht, dass auf der Rückseite des-
selben sich auf den daselbst angebrachten — in C'harniereu beweg-
lichen — Tafeln sogenannte Tafelbilder befanden, welche bisher unbe-
kannt geblieben waren, weil der Schnitzaitar stets geöffnet war; dieser
konnte auch nicht geschlossen werden, da dies durch in späterer Zeit
au den senkrechten Aussenseiten der beweglichen Flügel befestigte Ba-
rockverzieningen verhindert wurde. Der Raum hinter dem Altare ist
aber so wenig beleuchtet, dass die auf der Rückseite befindlichen
— übrigens mit starker Staubschicht bedeckten — Gemälde nicht zu
erkennen waren. Der geöffnete Altarschrein war demnach bisher, wie
in der Figur I angedeutet, geöffnet gehalten und bezeichnet darin a den
•trrmriirmutitttfiimii u.
,,,,,,,.,,1,11,
mittleren festen Teil, b die seitlichen Flügel des eigentlichen Schnitzaltares,
in welchemdie figürlichen Darstellungen sieh befinden, wie sie in No 4(i
des Sonntagsblattes des Reiehsboten von Dr. Reinhold Hoffmann näher
beschrieben sind. Die auf der Rückseite befindlichen, in Charnieren dreh-
baren Tafeln c der Fig.l nehmen die aufgefundenen Tafelbilder auf, welche
sich dem Beschauer zeigten, sobald die Flügel des Schnitzaltars ge-
schlossen, bezw. vor den mittleren Teil desselben vorgelegt wurden,
wie in Figur II angedeutet. In letzterer Darstellung sind die gleichen
Teile mit denselben Buchstaben wie iu Fig. 1 bezeichnet. Es fallen aber
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2ß
G. Bluth:
in Fig. II. die Barocknm
rahmungen d fort, weil diese
die Drehung der Fügel be-
hindern würden.
Ist der Altarschrein voll-
^:v.v,v,vvy.; . ■ J ESg^,..^J- Ständig geschlossen, — wie
in Fig. II angegeben — so boten sieh dem Beschauer zwei Bildtafeln
dar, deren jede durch einen horizontalen Rahinen in zwei Flächen ge-
teilt ist. Auf den sc» gebildeten ingesamt vier Bildflächen sind die
12 Apostel — auf jeder derselben deren 3 — dargestellt und zwar in
den beiden oberen Bildern der Reihe nach Simon Alphäus, Juda, Mat-
thias, Petrus, Johannes und Paulus, in den unteren wie vor Thomas,
Jacobus, Matthäus, Andreas, Philippus und Bartholomäus.
Werden die beiden Flügel geöffnet, sodass sie die in der Fig. II punktirt
angedeutete Stellung annehmen, so treten auf den darunter befindlichen
beiden Tafeln, deren jede nicht nur horizontal, sondern auch vertikal
durch Rahmen geteilt ist, acht Bilder hervor, welche die Verherrlichung
der Jungfrau Maria zum Gegenstande haben.
Die vier Bilder auf der einen dieser Tafeln stellen dar:
1. Die Verkündigung und zwar die Jungfrau mit dem Engel
der Verkündigung und dem Spruchbande „Ave Grntiae Plenae;*
Gott Vater thront in den Wolken: darunter befindet sich
2. Die Begegnung der Maria mit der heiligen Elisabeth
im Hintergründe Zacharias; oben neben dem Bilde zu 1:
3. Die Geburt Christi und unter diesem
4. Die Anbetung der heiligen drei Könige.
Die vier Bilder auf der zweiten diesen' Tafeln behandeln
5. den Tempelgang der Maria, welche eine Treppe zu dein
geöffneten Tempel emporschreitet. Seitwärts befindet sich die
heilige Elisabeth und Zacharias, sowie noch eine männliche
und eine weibliche Figur — wahrscheinlich die heilige Anna
und Joseph — Unter diesem Bilde
o\ Die Ausgiessung des heiligen Geistes. In der Mitte
Maria als Wittwe aufgefasst, zu jeder Seite 6 Apostel; jede
dieser Figuren ist mit einer Flamme auf dem Haupte darge-
stellt. Darüber schwebt der heilige Geist als Taube.
Rechts neben dem Bilde zu 5
7. Die Himmelfahrt der Maria
und unter diesem
8. Die Krönung der Maria.
Die Malerei dieser im Ganzen wohlerhaltenen Bilder ist auf einem
Kreidegruude, der auf den llolztafelu aufgebracht ist, in Temperafarben
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Ueber neu aufgefundene Tafelbilder in der Kirche iu Zielenzig.
27
ausgeführt, wobei Gold nicht zur Verwendung gelangt ist, während man
von diesem an den Figuren bezw. an dem Hintergrunde des Schnitzaltars
ausgiebigen Gebrauch gemacht hat. Die Gestalten — namentlich die
der Apostel sind kernig mit charakteristischen Köpfen und mit dem
Ausdrucke grosser Innigkeit und Andacht dargestellt und es ist bemer-
kenswert, dass auf den verschiedenen Bildern, auf welchen die Apostel
abgebildet sind, jeder von ihnen nach demselben Modelle aufgefasst ist.
Maria ist überall — mit Ausnahme des Bildes der Ausgiessung des
heiligen Geistes — mit dem Sehleier, als dem Symbole der .Jungfräulich-
keit und niemals mit dem Heiligenscheine dargestellt. Haare und Augen
der Figuren sind mit grosser Sorgfalt behandelt. Dasselbe ist von der
Gewandung hinsichtlich ihres Faltenreichtums und der Farbengebung,
bei welcher gelb, grün und rot vorherrschen, aber auch gemusterte
Stoffe vorkommen, zu sagen. Weniger befriedigend sind Hände und
Füsse gezeichnet.
Das sanfte innige Empfinden, welches in den zur Darstellung ge-
langten Köpfen zum Ausdrucke kommt, sowie die zarte Auffassung und
die weiche Behandlung, in welcher die Gemälde ausgeführt sind, dürfte
die Annahme rechtfertigen, dass wir es mit Bildern zu thun haben,
welche um die Mitte des XV. Jahrhunderts entstanden sind, zu einer
Zeit^ in welcher die Kölner Schule von grossem Einflüsse auf die Be-
handlung derartiger Tafelbilder war.
Berlin, den 5. December 1893.
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28 Georg Galland.
Was eine Brandenburgische Kurfürstin an Schmuck,
Gerätschaften u. dgl. besass.
Von
Georg Galland.
Im Preussisehen Geh. Staatsarchiv*) befindet sich ein früher der
Künigl. Bibliothek zu Berlin**) einverleibt gewesenes Munuscript, ein
Buch der Kurfürstin Louise Henriette mit eigenhändigem, holländisch
geschriebenem Inhalt. So viel ich weiss, ist letzterer bisher unbekannt
geblieben. Das Interesse, welches die hohe Schreiberin, die Gemahlin
Friedrich Wilhelms des Grossen, beanspruchen darf, rechtfertigt wohl
die Veröffentlichung dieses holländischen Notizbuches, eines der Zeug-
nisse der sorgfältigen Wirtschaftsführung jener Kurfürstin. Da die
Blätter des Manuscripts keinerlei Datierung aufweisen, Ist die Frage
nach der Zeit der Abfassung der unten mitgeteilten Verzeichnisse
leider schwer zu lösen. Ich gestehe offen, dass ich nicht hinlänglich
Kenntnis von den Wandlungen der Handschrift der kurfürstlichen
Schreiberin besitze, um die vorliegende Frage mit absoluter Sicher-
heit zu beantworten. Aber ich glaube das Richtige zu vermuten, wenn
ich annehme, dass diese Verzeichnisse gegen Anfang der kurfürstlichen
Ehe und wohl bei Gelegenheit der Uebersiedelung des Hofes von Cleve
nach der Mark Brandenburg im October 1649 entstanden. Meine Annahme
stützt sich auf folgende Wahrnehmungen. Erstens steht auf dem Titel-
blatt des Buches: „Louise de Nassau d'Orange". Meines Wissens hat
sich die Kurfürstin später gewöhnlich der kurzen Namenschrift „Louise
Corvorstin" bedient. Aber in jenein, ihrem Vaterland benachbarten, damals
eigentlich halbholländischen Ländchen Cleve, glaubte sie sich wohl noch
anfänglich nicht verpflichtet, auf ihre bisherigen Gewohnheiten zu ver-
zichten und ihren Familiennamen abzulegen. Ferner entnehme ich aus
den zahlreichen Gegenständen, die das Verzeichnis anführt, dass es sich
hier um einen bestimmten Teil der Aussteuer, der Ilochzeitsgaben und
älterer Andenken der Prinzessin von Oranien handelt, besitzt sie doch
damals sogar noch ihr „poppen goet", ihr Kinderspielzeug) als Erinnerung
an die glückliche Zeit ihrer Jugend.
♦) R. f>4 IV. H« ü.
*♦) Ms. boruss. quart 17*2.
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Was eine Brandenbg. KurfOrstin an Schmuck, Gerätschaften u. dgl. besass. 29
Leider ist die Handschrift der hohen Schreiberin an mehreren
Stellen, zumal am Ende des Manuskriptes, sehr undeutlich, so dass die
Entzifferung und die Uebersetzung ins Hochdeutsche erhobliehe Schwierig-
keiten verursachte, um so mohr, als die von der Kurfürstin gewählte
Bezeichnung verschiedener Gegenstände in Holland längst ausser Gebrauch
und Kenntuis gekommen ist. Einzelne Bezeichnungen waren beim bestem
Willen nicht zu verdeutschen. Für Winke und Belehrung von Seiten
besserer Sprachkenner wäre ich daher sehr dankbar.
Berlin, Weihnachten 1893. G. G.
Silver warde.
twalf schoetels.
een lumppet*) Schoettel ende
beneven vier en twintich telluren.
leppels twalf.
nach een leppel.
gafellins twalf.
twee sout vaetten.
een schaevoer.
een groetten silveren korf.
twee klinne silverre korven met
deksels daer op de een is vergult.
vier silverre kandellaers.
een beet pan.
twee silverre pilpotten**; opt nacht
goet.
twee kistlins opt nacht goet met
deksels.
een kistlien opt nacht goet, haes
gheeu dekselopen Lseen Schims***)
paen van silver.
een leppellien met een houtte steel.
een klin bet paneken.
noch saeventien stuck alderhande
poppengoet.
een silverren ding daer men braet
op rostert.
*) lomp.
*•) pi spotten?
•♦•) 8cherm, Slym oder Schims?
Silber Werte.
Zwölf Schüssel.
Eine massive Schüssel und dazu
vierundzwanzig Teller.
Zwölf Löffel.
Noch ein Löffel.
Zwölf Gabelchen.
Zwei Salzfässer.
Ein Schaber (Reibeisen?).
Ein grosser silberner Korb.
Zwei kleine silberne Körbe mit
Deckeln darauf, der eine ist ver-
goldet.
Vier silberne Candelaber.
Eine Buttpfanne (Bettwärmer).
Zwei silberne Pillentöpfe als Nacht-
zeug.
Zwei Kästchen als Nachtzeug mit
Deckeln.
Ein Kästchen als Nachtzeug hat
keinen Deckel drauf und ist eine
Schutzpfaime (?) von Silber.
Ein Lötfelcheu mit einem hölzernen
Stiel.
Ein kleines Bettpfännehen.
Noch siebenzehn Stück allerhand
Puppenzeug.
Ein silbernes Ding damit man auf
Rost bratet.
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30
Georg Galland:
een kanneken inet een silverren lit.
een ding in een kustody*) van
silver.
een kristallen beker.
twee tabberretten**) inet silver.
een groette silverren blaeker.
een potlyn inet een koein daer op.
een silverre koein.
twee koussen en van silver.
Aen porselyn.
twee groette potten.
een die wat klinder is.
acht groette langhe potten.
noch vier die onder wiet syn.
noch acht die wat klinder syn.
twee groette schotteis.
twee klinne schotteis.
een baksken.
vier bakskens die wat klinder syn.
noch twee schotteis die klin syn.
twee kandellaers.
vier klinne baxkens.
vier die noch klinder syn.
vier vyoellins.
twee klinne vyollins.
twee klinne schotellyns.
twee sout /aetten.
twe bekerlyns.
een olli kan.
twee mostter potten.
tien deel van alder haende wit
goets.
swenen***) deel van alderhande aem-
ber ende kristal dat in koesen is,
daer is een koes onder daer soe
alderhaende aember in is.
dertien schilderyen dit is in de
groette holtte kist.
Ein Kännchen mit einem silberneu
Glied.
Ein Ding in einem Futteral von
Silber.
Ein krystallener Becher.
Zwei Sessel mit Silber.
Ein grosser silberner Leuchter.
Ein Töpfchen mit einem Napf darauf.
Ein silberner Napf.
Zwei Filtrirbeutel von Silber.
An Porzellan.
Zwei grosse Töpfe.
Einer der etwas kleiner ist.
Acht grosse hohe Töpfe.
Noch vier die unten weit sind.
Noch acht die etwas kleiner sind.
Zwei grosse Schüsseln.
Zwei kleine Schüsseln.
Eine Schale.
Vier Schalen die etwa6 kleiner sind.
Noch zwei Schüsseln die klein sind.
Zwei Candelaber.
Vier kleine Schalen.
Vier die noch kleiner sind.
Vier Violinchen.
Zwei kleine Violinchen.
Zwei kleine Schusselchen.
Zwei Salzfässer.
Zwei Becherchen.
Eine Oelkanue.
Zwei Senftöpfe.
Zehn Teile von allerhand Porzellan-
zeug.
Sieben Teile von allerhand Bern-
stein und Kristall das in Beuteln
i8t,da Ist ein Beutel darunter, darin
allerhand Bernstein ist.
Dreizehn Malereien diese sind in
der grossen Holzkiste.
*) Nach Sanders Deutschem Wörterbuch: „Wächter".
**) tabonret« (franx.).
♦•*) seven.
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Was eine Brandenbg. Kurfüretin an Schmuck, Gerätschaften u. dgl. besass. 31
Dit is dat in bot uieuwe kabvnet
yn is aen lint ende handschoen.
onghemackt lint.
veertien stuck Huts dat breet is.
achttien stuk lints dat oek breet is.
noch drie stuk lints dat heel
breet is.
noch vicf stuck lins dat smaldcr
is als hier boeven.
neeghen stuck lint dat smal is.
noch vief stuck op planghskens
ghe wunden.
Dies ist was in dem neuen
Schrank darin ist an Band und
Handschuhen.
Umgearbeitetes Band.
Vierzehn Stück Band das breit ist.
Achtzehn Stück Band das auch breit
ist.
Noch drei Stück Band das sehr
breit ist.
Noch fünf Stück Band das schmäler
ist als voriges.
Neun S{ück Band das schmal ist.
Noch fünf Stück auf Brettchen
gewickelt.
Aen haentschoen.
een pack daer drie doesyn haent-
schoen in syn die wite syn.
noch een pack daer drieentwintich
paer in syn.
eelf paer brunne haentschoen.
Aen boecken groet ende klin
dat in dt« aender kist is.
viefentsestich met leder oener
trohen. (?)
vier met vlouwcel.
groette bocken by sonder ses bocken
met paepier beneven twaelf.
een leerre kistlyn met aller haende
goet.
twee kislyns met silver.
een klin kabynetyn.
noch een silverre kistyen.
een parle moeder kistyn.
twee groette spighels.
twee speldewercks kuseus.
een niew schriftoerken*) van hout.
een klin kusentyen.
An Handschuhen.
Ein Pack da drei Dutzend Hand-
schuhe darin sind, die weiss sind.
Noch ein Pack da dreiundzwanzig
Paar darin sind.
Klf Paar braune Handschuhe.
An Büchern gross und klein,
die in der audem Kiste sind.
Fünfundsechzig mit Leder (in einer
Truhe?)
Vier mit Snnimct.
Grosse Bücher besonders sechs
Bücher mit Papier nebst zwölf.
Ein Lederkästlein mit allerhand
Sachen.
Zwei Kästlein mit Silber.
Ein kleines Schränkehen.
Noch ein silbernes Kästchen.
Ein Perlmutter-Kästchen.
Zwei grosse Spiegel.
Zwei Spitzenarbcits Kissen.
Uine neue Hl. Schrift*) in Hoiss.
Ein kleines Kissenchen.
*) schriftuur?
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32
Georg Galland :
Dit is all«; de yuwellen euch»
dat van gout is dat de Cour-
vnrstin lieft.
vief diamautte boetteu.
een groette boette tuet Robinuen.
een boette van schavier met een
spieghel achtter aen.
twee pacr diaemanttc pendanten.
vief diaemantten poyntsons*).
drie vraye diamantten ringhcu.
twee goude sloetyens met dia-
mantten.
twee braselletten met robiiiiien daer
goude sloetyens aen syn met
diaemantten.
acht goude ringhen klyn ende groet.
een orllosy met diaemaentten.
twee (irllosyen.
acht stak daer emeroeden ende
diaemantten op syn 0111 op liet
hoeft te setten.
een toer paerllen daer is int ghetal
ses en dartieh stuk aen.
noch een toer van veertich parllen.
twee brasselletten van perllen daer
aen elcks is twe borniert vier en
twintich stuck,
een kelderken van gout met vlessen
daer is de sehilderi van de prin-
ses Rovael.
een goude doesken.
de order van de prinses Royael.
een gowde kastlcn daer men tan-
stoekers in doen.
een gowde spighel met aeghaetten
beset.
een ghebet boek met diamantten
beset.
een Uobin die inet**) en is in
ghevat.
Dies sind alle die Juwelen und
das von Gold ist, was die
Kurfürs tili hat.
Fünf diamantene Vorstecknadeln.
Eine grosse Vorstecknadel mit Ru-
binen.
Kine Vorstecknadel von Saphir mit
einem Spiegel dahinter.
Zwei Paar Diamanten-Gehänge.
Fünf diamantene Haarnadeln.
Drei hübsche Diamant-Ringe.
Zwei goldene Schlösschen mit Dia-
manten.
Zwei Armbänder mit Rubinen, de-
ren goldene Schlösschen mit Dia-
manten sind.
Acht goldene Ringe klein und gross.
Eine Uhr mit Diamanten.
Zwei Uhren.
Acht Stück darauf Smaragde und
Diamanten siud, um auf das
Haupt zu setzen.
Eine Kette Perlen, daran in der
Zahl sechsunddreissig Stück.
Noch eine Kette von vierzig Perlen.
Zwei Armbänder von Perlen daran
je zweihundert vierundzwanzig
Stück .
Ein Flaschenkörbchen von Gold mit
Flaschen, daran die Malerei vou
der Prinzcss Royal ist.
Ein goldenes Doschen.
Der Orden der Prinzess Royal.
Ein goldenes Kästchen, darin man
Zahnstocher thut.
Ein goldener Spiegel mit Achaten
besetzt.
Ein Gebetbuch mit Diamanten be-
setzt.
Ein Rubin der mit ist ein-
gefasst.
*) französisch: puiueons. - +*) Wohl verschrieben.
xJ by Google
Was eine Brandenburgische Kurfürstin an Schmuck,Gerätschaften u. dgl. besass. 33
twee naeltyns daer in mersekeu*)
in hanghen.
een gout postoltyu.
vier gowde penigben groot ende klin.
een gout uaeltyn met een eineroede
daer in.
een krus van dieamantcn.
een pelikaen van diamanten,
een duyfken met diamanten,
twee kruyskens de een van roe-
binnen ende het aeuder vau eme-
roede.
een hartyeu van emeroude.
een gowde lompet Schottel ende
beker.
twee gowde kandlaers.
een gowde kam***) ende een gowde
leppel.
dit is het nieuwe linneu soe
de Corvorstin lieft.
tes paer slaeplaekens
twaelf paer kussentiettcn.f )
vier entwiutich nachts hemden.
vier entwiutich dacli hemden.
vier entwiutich nachts halsdoeken.
vier entwiutich schortel doeken.
vier entwiutich paer nacht mntsen.
vier entwiutich nusdoeken in de
sack te draeghen.
sveveu nachts kleeden.
kaeinysoellen acht,
twaelf uerstyens.ff)
twee met befkeus ock nerstyens.
acht mousoers.fft)
twaelf toer met kautteu.
twaelf kalsons*f)
kowsen twalf paer.
nervetten drie doesyn.
Zwei Nadelchen daran Körbchen
hängen.
Eine goldene Pistole.**)
Vier Goldpfennige gross und klein.
Ein goldenes Nadelchen mit einem
Smaragd daran.
Ein Kreuz von Diamanten.
Ein Pelikan von Diamanten.
Ein Täubchen mit Diamanten.
Zwei Kreuzchen das eine von Ru-
binen und das andere von Sma-
ragd.
Ein Herzchen von Smaragd.
Eine goldene massive Schüssel und
Becher.
Zwei goldene Kandelaber.
Ein goldener Kamin und ein gol-
dener Löffel.
Dies ist das neue Linnen, so
die Kurfürstin hat.
Sechs Paar Sehlaftücher.
Zwölf Paar Kissen (?).
Vierundzwauzig Nachthemden.
Vierundzwanzig Taghemden.
Vierundzwanzig Nachthalstücher.
Vierundzwanzig Schurztücher.
Vierundzwanzig Paar Nachtmützen.
Vierundzwauzig Schneuztücher in
der Tasche zu tragen.
Sieben Nachtkleider.
Acht Camisols.
Zwölf Busen westen.
Zwei mit Bäffchen auch Busen westen.
Acht Hauben.
Zwölf Köllen mit Spitzen.
Zwölf Strümpfe (?).
Strümpfe zwölf Paar.
Servietten drei Dutzend.
*) ineers (veraltet) heisst bei Vondel: Kiepe. Hier ist wohl ein korhähnliches
Gehänge gemeint — **) Wohl Goldmünze. — ***) kann oder kurn?
f, Die Endung ist wohl ungenau. — f|) heute: neerstik oder neerstuk. — fff) Wohl
moutsens. — *f) Wohl koesens
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Georg Galland.
dit. is het linneji soe de Cour-
vorstin lieft dat niet nieuw
en is.
drie pacr laekens.
heeindcn, nachts lienulen ende dach
hemden ouder malkauderren dar-
ticli .
vief olde slechtte nusdoeken.
noch sveven slechtte nusdoeken.
vief kolleretten.
drie inet befkens.
aenderhalf doesyn in de sulses
kalsons.
vier witte linnen onderkussen.
ses kaemysoellen.
vief nachts halsdoeken.
sveven voersehoetten.
ses pacr kousen.
ses ondermutsehen ende ses boeven
mutschen.
tabberts.
een sittron silverre laekens tabart.
yesebel silverre laekens tabbart.
een yessebel silverre inoewe.
een witte silverre laekens tabl)art
met kant gheboert.
sittron koullar inoewe.
stof tot een tabbart dat niet en ist
op ghcmackt.
noch twee tabberts die niet en syn
op ghemaekt die ut vra nkrick
syn ghekoemen.
een blaw satinne tabbart.
een as graw satinne tabbart.
een yessebel satinne tabbart van
poede soy*).
een swarttc satinne tabbart.
een swartte tabbynne**) tabbart.
Dies ist das Linnen so die
Kurfürstin hat, das nicht
mehr neu ist.
Drei Paar Tücher.
Hemden, Nachthemden und Ti\g-
heinden durcheinander dreissig.
Fünf alte gewöhididieTaschentücher.
Noch sieben gewöhnliche Taschen-
tücher.
Fünf Halskragen.
Drei mit Bäflehen.
Anderthalb Dutzend in (?)
Vier weissleinene Unterkissen.
Sechs Kamisols.
Fünf NTacht-I lalstücher.
Sieben Schürzen.
Sechs Paar Strümpfe.
Sechs Unter -Mützen und sechs
Ober-Mützen.
Mäntel.
Ein Citron-silberner Tuch- Mantel.
Isabel-silberner Tuch-Mantel.
Ein isabel-silberner Aermel.
Ein weiss-silberner Tuch- Mantel
mit Spitze eingefasst.
Citronfarbiger Aermel.
Stoff zu einem Mantel, der noch
nicht vollendet ist.
Noch zwei Mäntel «lie nicht vollendet
sind, die aus Frankreich ge-
kommen sind.
Ein blauer Satin-Mantel.
Ein asch-grauer Satin-Mantel.
Ein isabelfarbener Satin - Mantel
von starkem Seidenzeug.
Ein schwarzer Satin-Mantel.
Ein schwarzer Taffet-Mantel.
*) Pou de-soie (franziisieh).
**) Tabijn ist gewasserter starker Tati'et (Doppeltaffet).
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Was eine Brandenburgische Kurfürstin an Schmuck, Geratschaften u. dgl. besass. 35
een koullur de roesse nacht,
tabbart het plus daer onder het
bovenste Ls van alder hande
koullur.
een konllur de roesse onghevlin.
as graw sarsye onghelin.
twe silvere laekense oukevroeken.
silvere laekens daer koulur in Ls
tot eeu ander roek dat niet en
is ghemaekt.
ten koullur de roese silveren ock
noch een gant laekens noch daer
Ls een buen ut glienoemen die
lieht daer by.
in kornaet sattinue rock,
eeu yessebel armoesyne rock,
een arinoesynue pelsken.
vier satinue rocken,
een koullur de roesse sunrlif.
tvvee nachts kleden, een van silverre
moeve ende een van koullur de
naekerre armoesyn.
eeu armocsinne dekentyeu inet bont.
een ostiukese nachtabl)art.
een yndyaense dcken niet pluys
ghevoedert.
vier sinken silverre laekens dat
tot de sleep is ghewest.
noch een silverre kaut tot eeu rock.
een annoesinne Sluyer niet eeu
kunt daroni.
Ein rosafarbiger Nacüt(mantel).
Mantel, der Plüsch unter dem äussern
Stoff ist verschiedenfarbig.
Ein rosafarbiger
Aschgrauer Sarsche
Zwei silberne Tücher ungearbeitet.
Silberne Tücher, gefärbt, zu einem
andern Hock, der noch nicht ge-
macht ist.
Eiu rosafarbiger
. . . herausgenommen, der liegt dabei.
Satinrock.
Ein isabel farbiger Arinoisin*) Kock.
Ein Arinoisiu-Pelzehen.
Vier Satin-Röcke.
Ein rosafarbiges Schuürleib.
Zwei Nachtkleider, eius mit süber-
neu Aerinelu und eins aus schwarz-
farbigem Armoisiu.
Ein Arinoisin-Deckchen mit Bunt.
Ein ostiukese Nachtmantel.
Eine indianische Decke mit Plüsch
gefüttert.
Vier Stück silberne Tücher die zur
Schleppe gedient haben.
Noch eine silberne Spitze zu einem
Rock.
Eiu Armoisiu -Schleier mit einer
Spitze darum.
♦) Armoisiu ist bekanntlich eine Art ganz dünner Taffet.
Zur Geschichte des Cistercienser Jungfrauen-
Klosters und Stifts zum „Heiligen-Grab e" bei
Wilsnack in der Priegnitz.
Aus urkundlichen Quellen zusammengestellt
von
Emil von Maltitz, Major z. D.
Vorgeschichte.
Es war im 4. und 5. .lahrhuiulert nach der Geburt unsers Herrn,
als in unsenn deutschen Volke das merkwürdige Bewegen und Hegen
sich kund gab, was wir in der Geschichte mit dein Namen der „ Völ ker-
wanderung" bezeichnen. Grosse und zahlreiche deutsche Völker-
schaften erhoben sich aus ihren Sitzen und zogen dem fernen Westen
und Süden zu.
Auf diesen Wegen begegnete ihnen das Kreuz, die Predigt von dem
Weltheilande, von der Versöhnung und Erlösung der verlorenen Mensch-
heit und anbetend sanken sie nieder vor dein gottseligen Geheimnis,
da ss Gott geottenbaret ist im Fleische. Die wandernden Deutschen werden
Erben des römischen Keiches und zugleich des Christentums.
In die von den Deutschen verlassenen (fegenden drängte von Osten
her ein anderer, grosser Volksstamm — die Slaven — nach. Wirtinden
sie unter verschiedenen Namen das bisherige deutsche Land bis zur
Elbe und Saale, bis zum Fiehtelgebirge und den Böhmer- Wald einnehmen.
Westwärts von Elbe und Saale sass der mächtige deutsche Volksstanim
der Sachsen, der seine heimischen Sitze nicht verlassen hatte, der auch
noch festhielt, am angeerbten germanischen Heidentum. Die Kriege und
Fehden, welche in den Grenzgebieten zwischen Slaven und Sachsen statt-
gefunden, verlieren sich in ein unerhellbares Dunkel. Erst mit. Karl
dem Grossen beginnt für diese Gebiete und die sie bewohnenden Völker-
schaften die geschichtliche Zeit.
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Zur Geschichte des Cistercienser Jungfrauen Klosters.
37
Nachdem dieser mächtige Fürst die Sachsen in langwierigen Kriegen
unterworfen hatte, legte er an den deutschen Ostgrenzen verschiedene
Marggrafschaften an, in der Absicht, das Volk der Slaven allmählig
zu unterwerfen und zu Christen zu machen. Die Anfänge zu diesem
Werke gingen in den unruhigen Zeiten der Karolinger zu Grund«1. Erst
Heinrich I., aus dein Stamme der Sachsen, nahm das Werk Karl des
(i rossen wieder auf.
Dem sächsischen Volksstamme, der unter allen deutschen Stämmen
sein germanisches Gepräge rein bewahrt, und zugleich das Christentum
am tiefsten erfasst hatte, fiel die grosse Aufgabe zu, «lie einst deutschen
— jetzt mit Slaven bevölkerten Gebiete für das deutsche Wesen wieder
zu gewinnen und zugleich das Christentum in diese Gegenden zu ver-
pflanzen. Diese grosse Aufgabe brachte das Volk der Sachsen in jahr-
humlertlanger, schwieriger Arbeit, in Kämpfen und Ringen — auch im
Dulden und Leiden, zu Stande.
Zunächst wurden hierbei die Slaven nach hartnäckigem Kampfe
unterworfen; alsdann wurden in den unterworfenen Gebieten Bisthümer,
Kirchen und Klöster gegründet, als die Pflanzstätten des Christentums.
Priester und Mönche missionierten unter den unterworfenen Völker-
schaften. Wie die Missionare den Kriegern, so folgten den Missionaren
deutsche Kolonisten, das Land bebauend und deutsche Kultur verbreitend.
Nach einigen Jahrhunderten zählen wir in der Mark 3 Bistümer:
Havelberg, Brandenburg und Lebus mit einer zahlreichen Domgeistlich-
keit; eine grosse Menge von Kirchen mit zahlreicher Priesterschaft:
gegen cO Klöster mit etwa 2000 Insassen. Von diesen Klöstern sagt .
Spieker in seiner Kirchengeschichte der Mark Brandenburg:
„Die Mönche haben die errettende Lehre des Christentums mit
„Aufopferung und Lehensgefahr unter wilde Völker verbreitet
„und der Kirche viele treffliche Lehrer und treue Hirten erzogen."
Wenden wir uns nach diesem Blick auf die allgemeinen Verhält-
nisse der Mark zu der Landschaft derselben, in welcher das
„Kloster zum Heiligen-Gra be"
gegründet wurde — zur Priegnitz.
Nächst der auf dem linken Ufer der brandenburger Elbe gelegenen
Altmark ist die Priegnitz der älteste Teil der prenssischen Monarchie.
Auch die Priegnitz war von Slaven besetzt, hier den Namen „Pritzencr"
trugen, von welchen das Land vermutlich auch seinen Namen trägt. In
früherer Zeit wurde die Priegnitz häutig „Land IIa velberg" genannt,
weil «1er grösstc TVil derselben im Besitz der Bischöfe von Havelberg,
un<l diese Stadt die hervorragendste der Landschaft war. Auch findet
sich häufig der Name „Die Vormark", weil die Priegnitz von der
Altmark aus die vorderste Mark im alten Wendenlamle war. Der
Name ,,Priegnitz,{ scheint erst seit dem vorigen Jahrlmmlert ausschliess-
lich herrschend geworden zu sein.
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Emil von Maltitz, Major z. D.
Am linken Ufer der Elbe, dem Priegnitzer-Lande gegenüberliegend,
hatte Heinrich I. im Jahre 927 die Mark „Nord-Sachsen" gegründet.
Sie sollte eine starke Wacht des deutschen Reiches gegen den slavischen
Osten sein. Unter dem grossen Sohne des Königs Heinrich — dem
Kaiser Otto I. — wurde von hier aus die Unterwerfung und Christiani-
sirung des slavischen Grenzgebietes — der Priegnitz — ernstlich in
Angriff genommen. Otto ernannte den mächtigen und energischen Gero
zum Markgrafen der Nordmark und gründete im Jahr 939 im Lande
der Pritzener — in Havelberg — ein Bistum. Die Stiftungs-Urkunde
wurde von Otto erst am 9. Mai 946 vollzogen.
„Im Namen der heiligen und unteilbaren Dreieinigkeit Otto
„durch Gottes Güte König."
„Weil es der christlichen Gottesverehrung würdig ist, dass
„Wir Uns für die Ausbreitung des Glaubens bemühen, so gründen
„Wir, indem Wir den allein vor Augen haben, welcher kein
„gutes Werk unvergolten lässt, auf Rath und Veranlassung des
„Uns geliebten, ehrenwürdigen Oberpriesters Mariuus, des Ge-
sandten der römischen Küche, und des Erzbischofs Friedrich,
„anderer Bischöfe und Unseres Bruders Bruno und des Gero,
„unsers geliebten Markgrafen, in der Burg Havelberg, welche
„in jenes Mark gelegen ist — zur Ehre des Herrn und Heilandes
„Jesu Christi und seiner heiligen Mutter Maria, einen bischöf-
lichen Sitz, indem Wir ihm den ehrwürdigen und frommen
„Oberpriester Oudo zum Vorsteher geben."
Das neue Bistum wurde von seinem kaiserlichen Stifter mit reichen
Gütern und Gerechtsamen ausgestattet, die sich in der erwähnten
Urkunde aufgeführt finden.
Der Bischof und seine Kleriker waren Missionare. Sie durch-
zogen, das Evangelium verkündend, die unwirtlichen Gegenden der
Priegnitz und der angrenzenden Gebiete. Aber nur die Furcht vor der
Obmacht des deutschen Kaisers konnte den Bischof Udo und seine
Priester gegen die Rache des über den Verlust seiner Selbstständigkeit
erbitterten Volkes schützen. Als Kaiser Otto aber nach Süddeutschland
gezogen war, um die dort hausenden Ungarn zu züchtigen, da loderte
der verhaltene Hass der Prizaner gegen Christentum und Deutschtum
in hellen Flammen anf. Das neue Bistum geriet in die grösste Gefahr.
Nachdem Otto die Ungarn im Jahre 955 auf dem Lechfelde besiegt
hatte, eilte er schnell mit einem Heere an die Nordost-Grenze seines
Reiches In der Nähe von Wittstock brachte er in Gemeinschaft mit
dem Markgrafen Gero von der Nordmark den Prizancrn samt den mit
ihnen verbündeten, benachbarten, slavischen Völkerschaften eine empfind-
liche Niederlage bei.
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Zur Geschichte des Cistercienser Jungfrauen- Klosters.
39
Durch geheime Boten wurden alle wendischen Völkerschaften an
dem rechten Elbufer zum Aufstande gegen die deutsche Herrschaft auf-
gefordert. Es begannen langjährige, erbitterte Kämpfe.
Da man das Christentum als ein Mittel zur Unterdrückung ansah,
so wandte sich der Hass der Aufständischen vornehmlich gegen die
Bistümer und Klöster.
Am 28. Juni 983 wurde die Stadt Havelberg überfallen, die Burg
erobert, die kaiserliche Besatzung niedergemacht, die Kirche verwüstet,
und der Ort angezündet. Gegen die Christen wurden ohne Unterschied
des Alters und des Geschlechts die abscheulichsten Frevel verübt. Der
erste Bischof von Havelberg - Udo — fand mit den meisten Priestern
an diesem Schreckenstage seinen Tod. Sie besiegelten ihr christliches
Bekenntnis mit ihrem Blute.
Später wurden zwar die Slaven durch den Herzog Bernhard von
Sachsen genötigt, die zerstörten Kirchen im Wendenlande wieder herzu-
stellen, aber, da dieser Fürst in einen Streit mit dem Kaiser verwickelt
wurde, brachen die gegen Christentum und Deutschtum erbitterten Slaven
von neuem los.
Von Hamburg bis weit über Havelberg hinaus wütete der Aufstand.
Alle Güter der Deutschen wurden verwüstet, die Kirchen dem Erdboden
gleich gemacht, die Kreuze geschändet, die Priester gemordet, die Ge-
fangenen in wildem Jubel zu Tode gequält.
Die Götzenaltäre wurden durch das Blut christlicher Priester
geweiht.
In allen Landen vom rechten Elbufer blieb keine Spur vom
Christentum.
Die deutschen Kaiser dieser Zeit waren durch den Kampf mit den
Päbsten — überhaupt durch die italienischen Angelegenheiten — so in
Anspruch genommen, dass sie den bedrängten Ostgrenzen des Reiches
keine Hilfe bringen konnten. —
So ist auch in unsere Mark die Saat des Christentums aus dem
Blut der Märtyrer erwachsen. Die cluistlichc Kirche ist unter harten
Kämpfen geboren, kann sich nur durch Kampf behaupten, kann nur
durch Leiden und Dulden vollendet werden.
Diese Wahrheit predigt auch die Geschichte der Einführung des
Christentums in unsern Marken.
In jener schweren Kampfeszeit bestand zwar das Bistum Havelberg
dem Namen nach fort, aber die Bischöfe konnten sich in ihrem Sprengel
nicht behaupten. Durch anderthalb Jahrhunderte finden wir die Bischöfe
von Havelberg an dem Hofe des Erzbischofs von Magdeburg, dem das
Bistum Havelberg unterstellt war. —
Endlich fanden die empörten Slaven ihren Bändiger in dem
Markgrafen Albrecht den Bären aus dem Hause der Anhaltiner,
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40
Emil von Maltitz, Major %. V).
dem die Nordmark im Jahre 1133 vom Kaiser Lothar verliehen
wurde.
Nun erst begann das Werk der Germanisiemng und Christianisie-
rung der Priegnitz, wie überhaupt der Mark Brandenburg, mit dauern-
dem Erfolge.
Auch das Bistum Havelberg wurde wieder hergestellt. Zu jener
Zeit sass Norbert, der berühmte Gründer des Prämenstratenser-Ordens,
auf dem bischöflichen Stuhl von Magdeburg. Dieser ernannte seinen
Freund, den Magdeburger Domherrn Anselm zum Bischof von Havel-
berg. Anselm, der in nahem Verhältnis zu den Kaisern Lothar und
Conrad III. stand, und zu wichtigen diplomatischen Sendungen benutzt
wurde, widmete sich doch auch mit Eifer seinen bischöflichen Pflichten,
besonders seit er sich mehr vom Hofleben zurückzog.
Der Abt Wibold von Corvey war sein Freund, mit dem er in dem
frömmsten Briefwechsel stand.
Gestützt auf die Macht des befreundeten Kaisers und des Mark-
grafen Albrecht, stellte Anselm die in den langen Kriegen verwüsteten
Kirchen wieder her, gründete Klöster und rief deutsche Kolonisten in
das Land. Anselm wurde 1155 Erzbisehof von Ravenna. Das Werk,
welches er begonnen, wurde unter dem Schutze der anhaltinischen
Fürsten von seinen Nachfolgern auf dem bischöflichen Stuhle fortgeführt.
An den Ufern der Elbe folgte auf eine Zeit langwieriger blutiger Kriege
eine Zeit, stiller, gesegneter Arbeit.
Unter den zahlreichen Klöstern, die unter den Anhaltinern in
der Mark entstanden und von welchen aus das Werk der Gerinanisierung
und Christianisierung unter dem Slavenvolke vollendet wurde, befindet
sich auch das Cistercienser Nonnenkloster „Zum Heiligen-
GrabeM, zu dessen Geschichte wir nunmehr übergehen.
Die Quellen, welche zur Entwerfung eines Geschichtsbildes unseres
Klosters zur Verfügung stehen, sind sparsam.
Tn den Stürmen des d reissigjährigen Krieges sind die meisten
Urkunden verloren gegangen. Wir können uns daher nur auf Nach-
stehendes beschränken.
Das Cistercienser Jungf rau en-K lostor zum „Hei II gen -Grabe"
bei Techow in der Priegnitz.
Das Blut, welches aus geweihten Hostien hervorquoll, wenn diese
gemissbraucht oder misshandelt wurden, und welches hernach, zum
Gegenstande frommer Verehrung und Anbetung gemacht, wunderthätig
wirkte, hatte um die Mitte des 13. Jahrhunderts in der Bischöflich
Brandenburgischen Diöcese schon zur Errichtung von 2 Wallfahrts-Orteu
Veranlassung gegeben.
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Zur Geschichte des Cistercienser Jungfrauen-Klosters.
41
Im Jahre 1247 entstand zu Belitz, im Jahre 1249 zu Zehdcnick
ein solcher Quell wunderthätiger Kraft, und am letztern Orte führte
uns die Stiftung des dortigen Cistercienser Nonnen-Klosters herbei, damit
das Heiligtum von jungfräulicher Hand in würdiger Weise aufbewahrt
werde. In dem Bischöflich Havelbergischen Stiftssprengel fehlte es da-
mals, ausser dem Stifte Stevenitz an solchen Heiligtümern und Wall-
fahrtsorten, da das heilige Blut zu Wilsnack, welches hernach der be-
rühmte Wunderquell dieser Art wurde, erst viel später seinen Anfang
nahm. Bald aber gab, wie die Legende berichtet, die Frevelthat, welche
ein Sächsischer Jude an einer aus der Kirche zu Techow gestohlenen
Hostie verübte, in diesem Dorfe solchem heiligen Blute und mittelbar
dadurch dem Kloster
„zum Heilige n-Grabett
den Ursprung.
Die Legende wird mit einigen andern Nachrichten von diesem
Kloster von Hindenberg in Bernollrs Sammlungen von Reisebesrhrei-
bungen Bd. VI und VII, in Hey's handschriftlicher Geschichte der Stadt
Pritawalk, welche letztere in der Königl. Bibliothek zu Breslau auf-
bewahrt wird, sowie in Klödcn's Werke „Die Quitzow und ihre Zeit",
Teil III, 87, mehr oder weniger nach modernem Geschmacke aus-
geschmückt, erzählt.
Hier möge die Erzählung in den Worten Platz finden , womit ein
altes noch aus der Zeit vor der Reformation herrührendes Werk den
Vorfall, der zur Stiftung des Klosters Veranlassung gab, in altertüm-
licher, einfacher Form überliefert.
Dies Werk wurde 1516 in lateinischer Sprache, 1521 in deutscher
Sprache bei Ludwig Dietz in Rostock gedruckt, und in vielen Exemplaren
von dem Geistlichen verbreitet. Dennoch ist es so selten geworden, dass
in keiner zugängig gewesenen Bibliothek noch ein Druck-Exemplar zu
finden war, und nur eine in der Königlichen Bibliothek zu Breslau auf-
bewahrte, im Jahre 1679 angefertigte Abschrift in den Stand setzte, dies
altertümliche Schriftstück, um dasselbe hierdurch zugleich zu erhalten,
hier mitzuteilen:
„De wisslike Gelowe, so dicke unde vaken de van den ungclo-
„vigen bekört wert, So wert he dennoch nicht dardoch (wo se
„verhopen) vorringert, ed dir verschwekket, Sünder vulmer unde
„alle tyt mit groten billigkeit vorlüchtet, dat mannigerley Wyse
„befunden unde sünderlich durch eynen Jeden van Fryberg, ut
„dem Lande tu myssen; welker allersnödeste Jude, alse de ge-
„herberget ward in enem dorpe Techow genand, belegen in dem
„Stichte to Havelberg, nnnen de Herrstop des dorchlüchtigesten
„hochgebornen Forsten unde Herrn, Herrn Jochens, des heilligen
„Römischen Richs Ertzkamraerers, Kurfürsten Marg Grafen to
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Emil von Maltitz, Major z. D.
„Brandenborg etc an ejnem Frydage na der hilligen himmelfart,
„Christi unsere Herrn in dein Jare dusend twehundert unde
„Söven unde achtentich, in de naclit dess filfftcn frydags, also
„he sick vennoden was goder tyt to synein böfen vornehmen,
„so öpente he de Kereken darsülves, unde stall trefliken daruth
„dat werdige, hillige Sacrament mit dem Kresem, unde gedachte
„ylend darmet to Prisswalk (hv euer Myle weges van dar be-
„legen) to lopende. to etliken synes Gelowes darfülves wohu-
„hafftig. Owers dem allweldigen behagede nicht also syn holsker
„Vornehmcnt, wurte aljs he gar geringes weges unde doch mit
„groter Swarheit van dein dorp gekamen was, do wart he dorch
„Gottlicke Straffe so harte met euer S waren borde heladen, dat
„he nich forder kamen konde, sondern muste under ener Eyken
„(noch hüte dages yn dem wege stahnde) rouven. Alse avers
„darna de sulffte Jöde was to syk siilvers gekamen, nnde gar
„nouve enese stenworp weges vort gegahn was, so quam he an
„enen See, bye wolcher etz eyne Galge stunt, darna ehn mann
„gehangen, unde darbaven ehn Kad, darup he gestott unde gelegt
„was, in welkeren der heden Middele de Jöd ehno Kuhle makete,
„darinn he dat hillige Sacrament (So he to vorne in Klein Stücke
„wreef) lede, unde herackede dat darsülves, unde lepe dar van
„(met groten torchten, na Prysswalk, sik vaken umbsehende,
„unde quam also heu na Prysswalk, doch also, das syne hostike
„daet, dorch den Gottlichen Willen vormiddelss synen henden
„de gantz unde met alle blodig weren) beteykent ward. So
„nun de leonis lüde offlte housvolck yn dem dorpe des morgens
„up den Kirchhoff kamende, de Kereken upgebraken sehgen, ock
„theyken dat dat hillige Sacrament gestohlen was, do worden
..se alle seer vorschrecket unde bedrövet; unde so see avers er-
koren, dat in de vergangenen Nacht ehn Jöde in dem Kroge
„geherberget hadde, de met blodigen bänden na Prysswalgk ge-
„lopen was, so sümende se nich lange, sundern lupen unde fol-
„geden ylends im groten thorm so lange, dat see en funden to
„Prysswalgk, met annern Joden sittende unde Spraken hollende,
„De Buren frageden den Jöden unde beden en, ümme de Geschieht
„to openbaren unde bekennen, vermachten overs nich en jengger-
„ley wyse darben to bryngen, dat he en wolde de warheyt seggen,
„offte he des jehm were, de sodahne öveldath begahn hed<le.tt
„Se gyngen to Rade unde weren alle enes sinnes, den
„Missdeder met stide to vorvorsken, so was dar ehn borger,
„an<lechtigen goden levendes, de tarede em, dat he sick wolde
„laten em Platten skeren, unde gantz to bereden, alls en Preester
„unde ock Preestern Kleeder anthoen, Welcker een Jöden met
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Zur Geschieht« des Cistercienser Jungfrauen Klosters.
43
„söten Worten anqvam un bath ein, doch den eversten Gott, de
„loef unde Grass geschapen hebbe, ock durch leve der Oltvädere
„des Jödescken Voleks, dat he emme doch mochte de Warheit
„seggen, denn he möchte dat ane allen forchten dhoen, he seghe
,jo woll, dat hei elin Preester were, de jümmers dat jene, wat
„in de Bycht gesegt, by Strafte lives unde Godes vermöge de
„Geestliken Rechte nich melden moste. De Jöde wart dorch de
„söten Wörde det falsken Preesters beweget, unde gyngk met ein
„an den Ort, dar he det billige Sacrament begraben hädde, doch
„wolde he em dat nich met synen Kynghern odder hovende
„wysin, odder führ etlicken maten antögen, sondern met synen
Jachtern Volke flott he darupp unde sprak:
„Hie ligt jouwe God!"
„De Jöde wosste nicht de behendichoyt det falschen Preesters,
„unde wart also dorch syne lyst bedragen unde to stund van
„den baren (de sick in dem busk verborgen hadden) angeyrepen,
„unde vort in Gefengniss gevort, dar he syne Missedad bekennen
„musste. An dem dage, dar he scholde verordelt werden, dar
„quam da vele grotes solopes, de Richters Spraken ehn billich
„ördel, dat de Jöde scholde pynliken geradebraket werden to
„enem byspöl offte Exeinpel der groten ummildicheyt, de he be-
„begahn hadde. Alse nun de Jöde dem smeliken dod geleden
„hadde, so wart dat hyllige Sacrament yu der mathen, also dat
„was vn klene stücken towreven van den Preestern vn
„groter Versammlynge det jnnigen Voleks upgehaven, unde de
„grötesten dele rotfarff vans blöde in ebnen fedderkyhl bewart,
„also de kleensten dele yn enem roden syden dok gewunnen,
„doch nit so gar eygenlik, dat de Gottheyt darvon off gefunder
„het, alssdenn dat sülvers van euer frawen, van dem höfen
„Geeste heseten, dorch etliche hillige Zegeninge ervahren und
„openbahre tüchnisse gebort wart, dat welke ghar kleyne, offryss
„dargebleven, so man gar nouve hedde erkennen möghen , in
„welkeren doch nich weynigher derGotheyt dran yn dem andern
„were, unde ock nich weniger in dem bröckesken, denn in dem
„gantzen, unde ahn allen twifel unde bedroch de wahe Gott von
„den hilligen Engeln geehret und gelavet alle tyd dar were.
„Unde dat ist de erste Ursprung des Klosters unde Ordens,
„welkeren ock to stunde hehhere erluchtet, de mannichvoldich-
„heit der Mirakel dat men de alle met der Körte nich ver-
bellen kan.a
„Overs de Kirchherr to Prysswalgk to der sülfften tyt (her
„Werner genant.) de dat hillige Sacrament also in der blodigen
„Gestalt, wo dat gefunden, geweldichlichen weggenamen hadde,
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Emil von Maltitx, Major z. D.
„behelt dat ehn Jahr lang yn Yorhopeninge , dat yt darsülver
„ock theken dhon scholde, dannit he dorch besökinge der Pel-
„grinnen rike werren möchte, Avers dar geschegen keynerley
„theken odder Myrakel, sunder allem an der vorigen stede, dar
„dat gefunden war, dar de Wundertheken nich affleten."
„Also beghaff et sick, das Bisohop Hinrich tho Havel borg
„wolde yn Prysswalgh ryden, de och nich alto vele gelevede der
„nyen geschichte, unde dewyl he Untrüwelick daroon gedachte,
„so befeel he inet froarer unde groter Krankheyt, dat men cm
„musste van den Pferde hören und up de Erde legen, darup he
„dat hillige Sacrament an unde lavede, dat to hesöcken, unde
„to stunde an wart he widder gesund."
„Als ho övers dat nich allein besochte, sunder ock dem
„Yolck, dat ungefehrlick dar was, de Mirakel van dem Bredigstohl
„verkündigen wolle, so ward end van dem hem met getöget de
„hyllioheit der stede, wente he haven dem Graven up de sülfften
„Stede den han met open Sack, dardorch he myt so velen innighen
„trauen hegoten ward, dat he ehn wort nich spoken konde,
„sunder bevohl synen Cappellan allent wat ein bejent was, dem
„Yolcke to open hahrende: Van de tyt an was de Bischop der
„hilligen Stede to gedhan, unde gehod ernstlyken dem Kerckherrn
„to Prysswalk, dat he das hyllige Sacrament in der Gestalt, wo
„he dat wegghenamen hedde, scholde werlder overgeven. Dat
„he denne (we wol inet Unduldichevt) dede unde met groten
„Ehre, unde bernenden Kersszen, di dorch nyum Unstymieheyt
„des Weders mochten utgelöschet werden, an dat Ende, da dat
„erste gehabt, wedder hengebracht word.
„Id beghaflf sick, dat de dorchluehtige hochgebohrne fforste,
„herre Otte Marggraff to der tyt yn der Ukermarke, dorch syne
„Rederd unde havedenerers angeherdet unde von dar togeraden
„wart, dath yd hether were unde seer nütte scholde syn, dar-
„sülvers an den Ort ehn slott to legende, dot dem gantzen lande
„darsülvers met syn möchte, Dorch wolkum Rath unde Anter-
„dinge des Synen he beweget ward unde gantz geneget, dat he
„de Stede to eynen slote wolde bruken laten, dat ok also ge-
„schegen wird, wo ein de Göttlicke Wille, nich widderstahn
„hedde. So beghaff yd sick dat he darum länger rette de Stede
„to besehende, unde so he denne a vormals von synen Rederern
„unde denern angeröget wart, dat nich nütte syn scholde ehm
„Geestlike Stede an dem sülfften Ort to loggende don befohl he
„etliken synen denerern, de finen dish plegeu to besorgunde,
„unde och andern, den dat mede helwede, dat se alle dat offer,
„dat se das fundennemm unde darran ene gode Maleltyt to be-
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Zur Geschichte des Cistercienser Jungfrauen-Klosters. 45
„neydeii scholden, yn ema dorne, dar benaven belcgeu, Manekmus
„benennet, wenn er hena gvesser, dat alsdenn also geskach, Overs
„so he niet den Synen to diske sat, unde angericht was, so wart
„alle de Spise, (bede gesoden unde gebraden) to Blöde, nnde so
„man dat tum andermahl besochte unde up dat nye anrichtete,
„So geschach yd avennabls. Also derhalveu de framdfförste
„gar sehr verskrack, unnde vul inet den Synen up ere Knee, unde
„bededen den Allmäclitigen God üinine Gnade. De Here lavede
„by synen Treu wen, so an de all weidige God gefund van dar
„liülpe, so wolde be de Stede sülvers inet ynnicbeyt besöben,
„unde darsttlves eyn Kloster bawen.
„Als he nun inet groten Auxte yn euer Nacht betrachtede,
„wat mathe he dat Kloster wolde buwen, so quam ein eyne
„Stimme van dem heinmele, dat he siek man uninütte bekümmerde,
„denn yd were van Anbeginn der Welt geordnet, unde uthgesegen,
„dat een Jungfruwen Kloster an dem Orde stahn scholde Cister-
„cien Ordens, mit graven Kappen gekledet, alse sünte Bera-
„hardus gedragen hadde, ander der Regulen S. Benedicti. Alse
„nun de fforst durch soleke Vorkündinge des Klusters Stiebtinge
„erinnert ward, so bad he de Ebdissin to Nyendorp dat se ein
„twelff Jungfruwen uth crem Kloster skieken wolde, unde wes-
„voll se dat sülffk dem forsten nicht weygeren wolde edder
„mochte, so gedachte se ein doch twelff de aller unnöttesten to
„skickende, derhalveu se yn volgender Nacht gar swarliken durch
„Göttlike Geschichte gestraffet word, dardorch se denn bewoget
„ward, dat se sülver inet eylff andern Jungfruwen an dem
„Orte tog, unde dem All weidigen (rode darsülvers met erend
„y innigen Geheder unnde Wcrcken de dage erer levens denede.
„An weichern Orthe datsülffte Kloster gebuwet ward, dar inen
„noch dat sülffte hyllige Sacrament so blodig yn enen Crystalleu
„yn sv den doch hylligliken toget."
„Welkere Stede ock to dysser ty dt und by Regimente det
„dorchlüchtigsten unde hochgebohrnen fförsten unde Herrn, Herrn
„Jochims Marg-Craven to Brandenburg, Korfforsten etc dorch
„groten tolop veler Pelgrimme uth ohrsacken de Myrakel inet
„Ynniehevt heymgesoket ward."
Soweit gebt das alt»* Druckwerk: dann folgen, die Erzählung an-
^'liaulieber zu machen, in demselben die Abbildungen einzelner Scenen
*li«*s*er Legende, wie sie am Chor der heiligen Grabes-Kapelle zu er-
^Wii sind.
Die Stiftuugs-Urkuudc des Klosters, welche ausgefertigt sein
S°H, ist nicht erhalten; auch die ersten Besitzungen, mit welchen das-
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Emil von Maltitz, Major z. D.
selbe dotiert ist, sind daher nicht mehr bekannt. Gewiss aber erhielt
das Kloster bei seiner Stiftung schon den Ort Techow durch die Frei-
giebigkeit des Markgrafen. Der Bischof von Ilavelberg soll ihm einige
Besitzungen in der Altmark überwiesen haben, nämlich Wende mark
in der altmärkischen Wische, 2 Höfe zu Paris und die Zehnterhebung
von einigen Hufen Landes zu Werben. Die letzteren Güter wurden in
der Folge zum Teil vielleicht gegen näher und bequem gelegene Be-
sitzungen vertauscht, zum Teil gehören sie bis auf die heutige Zeit dein
Stifte an, wie der Werbeifsehe Zehent und einige WVndeinark'sehe Prä-
stationen, die 1782 in Erbpacht ausgethan sind. Gegen Ende des
13. Jahrhunderts Ritter Yo von Königsmarck und Ritter Degenhard
von Krackow ihren in das Kloster aufgenommenen Töchtern eine
Getreidehebung aus der Mühle zu Papen brück, welche nach dem Tode
dieser Conventualinnen zur Vermehrung der Präbenden dem Stifte ver-
blieben.
1306 hatte das Kloster in Folge früherer Erwerbung das Dorf
Breiten fei d in Besitz, und bewog es die Markgrafen Otto und Wal-
demar, dem Kloster das lehnsherrliche Eigentum für 60 Mark Silbers
zu überlassen.
Bald hernach, im Jahre 1317, kaufte das Kloster vom Markgrafen
Waldemar das Dorf K ü nie kend o rf mit 14 Wohnungen für 506 branden-
burgische Mark. Nach dem hohen Preise zu schliessen, war das Dorf
vorher zu den unmittelbaren markgräflichen Besitzungen gehörig gewesen
und der Lelmsbesitz desselben daher nicht schon anderweitig von dem
Stifte erworben. In späterer Zeit wurde «las Dorf wüst und erst zwischen
1747 unter dem Namen „ K ön ckeudor f" wieder aufgebaut.
1318 erkaufte das Stift von Rutger von Bluinentlial das Dorf
Hennickendorf, einen unter diesem Namen jetzt nicht mehr be-
kannten Ort.
Bald darauf erwarb das Kloster von der Familie von Plaue dan
Dorf Kemnitz. Zwar machte ein Vasall derer von Plaue, Namens
Heinrich Krämer, noch Ansprüche auf einige Lehnstüeke im gedachten
Dorfe: doch das Kloster Hess ihn vor «las geistliche Gericht des Probstes
zu Wittstock eitieren und hier gab Heinrich Krämer seine Ansprüche auf.
6 Jahre darnach vereiguete und verkaufte Markgraf Ludwig dem
Kloster eine Wassermühle zwischen Breitenfeld und Lankonow,
welche schon damals die „G räv e n dick sin ühle M genannt wurde.
1328 erwarb das Kloster wiederum im Wege des Kaufes ein Dorf
Namens ,, He\ d clberg", was den Gebrüdern Johann und Friedrich
von Osterb urg gehörte. Viele angesehene Knappen der Umgegend
verbürgten sich für die Rechtsbeständigkeit dieses Kaufes, gegen welchen
das Kloster Einspruch befürchtet zu haben scheint. Doch besitzet das
Stift noch gegenwärtig in der ,.Ileidelbergsmühleu, welche um 1381
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Zur Geschichte des Cislercienser Jungfrauen Klosters.
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mit besonderer Genehmigung derer von Blumenthal angelegt, und
auch mit Gerechtigkeiten auf der Blumentharschen Feldmark ausgestattet
wurde, ein Überbleibsel des schon in alter Zeit eingegangenen uud mit
Holz bewachsenen Dorfes Heidelberg.
CIn einer Urkunde von 1350 ist noch eines Schulzen von Heidelberg
als Zeuge gedacht in der Nähe von Blumenthal.)
1339 kaufte das Kloster die Hälfte des Dorfes Damelack von
dein Lehnsbesitzer desselben, dem Ritter Arnold Sack uud dessen
Brüdern, und Markgraf Ludwig schenkte in demselben Jahre bei seinem
damaligen Aufenthalte zu Pritzwalk dein Stifte das Eigentum daran.
1350 verkaufte Junker Coneke von Crusemark dem Probate
uud Convente das Dorf Boltzic, das heute „ßoltzke" heisst.
Um dieselbe Zeit uberlicss Joachim von Pinnow und dessen
Mutter dem Kloster das Dorf Vollmersdorf, einen nicht mehr be-
kannten Ort.
Damals besass das Kloster auch schon einen Anteil an Wilmers-
dorf; Markgraf Ludwig schenkte ihm das Eigentum daran durch Ver-
mittelung des wahrscheinlichen früheren Besitzers, eines Knappen Conrad
von Platen, der im Stifte eiuen Altar zu Ehren St. Johannis des
Evangelisten errichtet hatte, zu dessen Bewidmung von dem Kloster
6 Hufen aus dein Dorfe Wilmersdorf unter bischöflicher Genehmigung
ausgesetzt wurden. Im Übrigen besassen Wilmersdorf damals noch
die von Platen, die es 13Gb' der rittermässigen, aus dem Braunsen wei-
bischen stammenden Familie Bogel überliesseu, durch deren Häude das
Dorf später ganz an das Stift gekommen zu sein scheint.
Bald nach der Mitte des 14. Jahrhunderts wurde auch Bläsen-
dorf von dem Kloster erworben. Ywan von Uetzdorf, der zwei
Schwestern in dem Kloster hatte, gab davon zuerst 1354 zehn Hufen
her. Dann wurden die der Familie von Scheplitz in diesem Dorfe
zuständigen Besitzungen nach Urkunden von 1356 und 1397 vom Stifte
erkauft.
1371 vereinigte Markgraf Otto mit dem Kloster das Dorf Klein-
Woitersdorf, dessen Besitz von Henning, Beteke und Vibianz
v»n Kirch berg als früheren Lehnsträger dieses Dorfes, erworben war.
1387 erlangte das Kloster im Wege des Kaufes von llenneke
Scheplitz und von Ilse von Quitzow auch Hebung im Dorfe Sarnow
und einige Jahre hernach erkaufte es von den Gebrüdern von Sacken
oder von Kolrep das Dorf Kohlrep. Wegen dieser Besitzungen ent-
standen mehrfache Streitigkeiten*), aber Kurfürst Johann von Branden-
burg vergleicht die von Klitziug:
•) Riedel, cod. diplom. brand. I., Hptteil B. 3 pag. 506/507; Kunnark. LehnCop.
Bach im Geh. Staats- Arch. Berlin, Bd. 28 p. 210.
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Emil von Maltitz, Major i. D.
Herrn Dietrich und Herrn Joachim, Domherrn zu Magdeburg,
und
Dietrich, Henning, Hans, Otto, Lippold, Viske, und Jorgen, Ge-
brüder und Vettern
die von Klitzing vor sich und
Claws Kliczing nachgelassene unmündige Kinder, und das
Kloster H eiligen-G rabe wegen der streitigen Besitzungen
zu Sarnow, Kohlrep (Kollrep) und Schönebeck im
Jahre 1494.
de dato Cölln an der Spree, Donnerstag nach Conversionis
Pauli 1494.
Aus einer im Jahre 1394 geschlichteten Streitigkeit, welche dieser
Erwerbung halber entstanden war, ersieht man zugleich, dass dem
Kloster damals auch das Patronat in Vehlow zuständig war. Der
Markgraf Ludwig der Ältere von Brandenburg hatte dem Kloster damals
auch das Patronat über die Pfarrkirche zu Pritzwalk geschenkt und zu
Perleberg hatte das Kloster von dem Bürger Hans Dossow ein Ver-
mächtnis erhalten.
Das 14. Jahrhundert brachte also eine ausserordentliche Vermehrung
der dein Stifte angehörigeu Besitzungen mit sich, und während andere
Klöster, wie z. B. Stepnitz, ihre* ineisten Erwerbungen nur durch Dota-
tion der Nonnen, die sie aufnahmen, oder aus Vermächtnissen für Seel-
messen entnahmen, so wurde von dem Kloster „zum He iligeu-Grabe"
das Meiste baar erkauft. So gross war also das Maass der Opfer, welche
von frommen Händen auf dem Altar des heiligen Blutes dargebracht
wurde. Ausser dem Kapital, womit das Kloster einen grossen Teil der
benachbarten Dörfer ankaufte, hatte es auch öfter noch Geld in der
damals üblichen Form auf Zins ausgethan, wie Schuldverschreibungen
von 1327 und 1354 erwiesen. Zwar klagt der Bischof Bernhard 1368,
da er einen in der Kloster-Kapelle gegründeten Altar dem Kloster in-
corporirte, dass die geweihten Jungfrauen und deren notwendige Be-
diente nicht einmal ihreu Unterhalt hätten, wegen der Kriegsleideu,
welche sie zu erdulden gehabt. Doch musste die Armut, in der sich
das Stift damals befand, eine vorübergehende sein, wie denn auch die
bischöfliche Urkunde von 1368 als Grund derselben nicht den Mangel
an Besitzungen, sondern deren Verwüstung durch Krieg und Fehden
bezeichnet. Die Verheerungen, welche die inneren Kriege jener Zeit
besonders in der Priegnitz verbreiteten, tasteten nicht selten die geist-
lichen Besitzungen in verderblicher Weise an: Raub, Brand und Zer-
störung der ihnen ungehörigen Dörfer entzogen auch den reichsten
Stiftern zu Zeiten die Möglichkeit des Auskommens mit ihren Einnahmen
und besonders war dies in dein ersten Dezennium des folgenden Jahr-
hunderts der Fall, in welchem die Fehden in der Priegnitz die grösstc
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Zur Geschichte des Cistercienser Jungfrauen-Klosters.
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Ausdehuung erreichten. In diese Zeit muss auch das Kloster „Heiligen-
grabe" an seinen Besitzungen bedeutend gelitten haben, da es während
derselben überall keine neuen Erwerbungen zu machen im Stande, viel-
mehr zu manchen Anleihen gezwungen war.
Im Jahre 1403 hatten zwar noch einige Nonnen, meistens aus der
Familie von Rohr, einige Baarschaft, die sie ihrer. Familie gegen
Verpfändung von Hebungen in Ilohrdorf darliehen, dagegen legen die
folgenden Urkunden bis gegen die Mitte des 15. Jahrhunderts nur Zeug-
nisse von der Insuffizienz der Kloster-Keveuuen ab, wie z. B. dass die
von Predöhl sich 1420 bewegen Hessen, den zum Seelenheil ihrer Vor-
fahren in der Klosterkirche errichteten eigenen Familien-Altar aufzugeben,
damit die dazu gewidmeten Einkünfte für die Tafel der Conventualinnen
mit verwendet werden möchten, und dass das Kloster nach einer Urkunde
von 1422 von einem Bürger zu Wittstock 60 Schock böhmische Groschen
zu hohen Zinsen geliehen hatte, von welcher Schuld es dadurch befreit
wurde, dass eine Nonne diese Schuldforderung aus ihrem Privatvermögen
an sich kaufte und den Schuldbrief dem Kloster vermachte.
Als aber im Anfange des 15. Jahrhunderts die Hohenzollern in die
Mark einzogen, mit starker Hand den ltaubadel niederhielten, Friede
und geordnete Zustände zurückführten, da gelangte auch das Kloster
Heil igen -Grabe bald wieder zu seinem alten Wohlstande. Indess sank
in dieser Zeit die Blüte des Klosterlebens dahin. — Ihre Aufgabe, das
Christentum unter die Heiden zu verkündigen, deutsches Wesen im
Slavenlande zu pflanzen und unwirtliche Gegenden zu kultivieren, hatten
die Klöster in der Mark erfüllt. Mit dem Müssiggange, dem man sich
häufig in den Klöstern ergab, ging die einfache strenge Lebensordnung
und damit der Segen des Klosterlebens zu Grunde.
Auch die Nonnenklöster wurden von dem allgemeinen Verderben
angegriffen, wie zahlreiche Klagen und Ausführungen aus jener Zeit be-
wiesen. Gewiss waren nicht alle Klöster in gleicher Weise der Corrup-
tion verfallen. Uber den damaligen iiinern Zustand des Klosters
Heiligen-Grabe fehlen uns die nähern Nachrichten.
Die Sehnsucht aller Bessergesinnten nach einer Reformation der
Kirche an Haupt und Gliedern wurde endlich durch die göttliche Gnade
in Martin Luther erfüllt. Aus den Arbeiten, Ringen und Nöthen eines
um die Gewisheit seiner Seelen-Seligkeit bekümmerten Mönches wurde
die Reformation der Kirche geboren, wurde zu Stande gebracht, was
drei glänzende Concilieu vergeblich erstrebt hatten. Unter dem Kur-
fürsten Joachim II. faud die Reformation auch Eingang i r i unsere
Marken. Bevor wir diese Zeit weiter behandeln, wollen wir den
Grundbesitz des Klosters seit Anfang des 15. Jahrhunderts näher be-
trachten.
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Emil von Maltitz, Major %. D.
Gegen Mitte des 15. Jahrhunderts muss es dem Kloste r Heilige n-
Grabe wieder gelungen sein, seine zerstörten Besitzungen wieder auf-
zubauen und seinen zerrütteten ökonomischen Zustand wieder in früherer
Art herzustellen, da hiernach wieder neue Erwerbungen folgen.
Zuerst finden sieh um die Mitte des 15. Jahrhunderts Zeugnisse
von Kloster-Besitzungen in Sadenbeck, wo das Kloster um diese Zeit
die Ablösung einiger Ländereien von dem Lelmsehulzenhofe gestattete,
wodurch die noch jetzt in dem Dorfe bestehenden Abhängigkeiten zum
Lelmsehulzenhofe entstanden.
Dann erkaufte das Kloster 1455 von denen von Königsmarck
deren Besitzungen in Damelack, einem Dorfe, welches im 14. Jahr-
hundert bereits zur Hälfte erworben war, und welches durch das Hin-
zukommen dieser neuen Anjuisition wahrscheinlich völlig in die Gehörig-
keit des Stiftes überging.
Im folgenden Jahre war das Kloster vermögend genug, den Er-
mahnungen eines herumreisenden Commissarius des Dreifaltigkeits-Ordens
Gehör zu geben, und sich mit allen seiner zugehörigen Personen in den
Dreifaltigkeits-Orden einzukaufen, wodurch nach näbstlichen Privilegien
ihnen das Hecht zustand, sich jährlich fast von allen und jeden Sünden,
namentlich auch von der Sünde der Vernachlässigung ihrer „lloren-
oder Betstunden" absolvieren zu lassen.
In dieser Zeit scheint auch die Erwerbung von Boddin zu fallen.
Es gab damals 2 Orte dieses Namens, nämlich „besessen" (d. h. bewohnt)
Boddin und „wüsten Boddin".
Vom Jahre 1458 ist ein vom Gonvent ausgefertigter Lehnbrief fin-
den Schulzen in den besessen Boddin vorhanden, dies Dorf inuss
also damals schon dem Kloster gehört haben. Die von Blumenthal
genehmigten diesen Lelmbrief durch ihre Mituntersehrift , wonach es
scheint, als hätten sie konkurrierende Hechte daran gehabt; dieser be-
stätigt denn eben auch 1495 die Erwerbung von „wüsten Boddin u,
welches der Konvent des Klosters von Otto und Hans v. Blumen-
thal erkaufte. Zwischen diesen Erwerbungen beider Dörfer, von denen
das letztere nicht wieder aufgebaut ist, lagen aber noch mehrere andere
Erwerbungen.
Kitter Werner von Bülow schenkte dem Kloster 14G8 zu seinem
Seelenheil 100 Mark Silbers, die wahrscheinlich zu Erwerbungen von
Halenbeck mit verwendet wurden: welchen Kauf der Konvent im
nächsten Jahre von Dietrich und II ans Mann, dessen Lehnsbesitzern,
erstand. Gegen die Bedingung, dass der Konvent, ausser der gewöhn-
lichen Gedächtnisfeier für die markgräfliche Familie, noch jährlich an
einem bestimmten Tage am Morgen und Abend feierlichst Seelinessen
für die Landesherrschaft halten lassen sollte, genehmigte Kurfürst
Friedrich als Lehnsherr diesen Kauf.
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Zur Geschichte des Cistercienser Jungfrauen Klosters.
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Der Probst Konrad Voss bereichert« das Kloster 1482 um einige
Besitzungen zu Reugcrslage in der Altuiark.
(Gereken, Fragm.: March. III. j». 98.)
Dietrich Manu verkaufte 1474 den Klostcrdauien Marianne und
Klisabeth v. Jagow, Gertrud v. Grabow und Adrlhaid v. Bis-
marck zur Stiftung einer in dem Kloster vor dem Marienbilde hangen-
den, ewig brennenden Lampe einige Hebungen im Dorfe Buchhol t%
hei Pritzwalk, jedoch wiederverkäuflich.
Demnächst verlieh Berend von Rohr in seinem Testamente dein
Kloster die Pachte von den Bauer- und Kossäthenstellen im Dorfe
Kos so w, worüber seine Sohne und Enkel 1485 ein Anerkennt nis
ausstellen.
Aus spätem Kloster-Nachrichten erfahren wir dann noch von Be-
sitzungen, welche das Stift zu Sehönbeek, welche die von Winter-
feld 1380 denen von Kerberg abgetreten hatten, zu Krüssow,
welches 1367 an die Familie v. Kohr gekommen war, und auf der
wüsten Feldmark Rühehof, worüber es 1525 mit denen von Rohr in
Srreit geraten war, inne hatte.
Neben solchen Erwerbungen von Grundstücken und Grundrenten,
die das Stift gemacht hatte, und die hier wegen nicht vollständig er-
haltener Erwerbungsurkunden, nicht einmal in ihrem ganzen Umfange
aufgeführt sind, besass es noch verschiedene Geld-Kapitalien, die bei
benachbarten Gutsbesitzern ausstanden. So grosse Reichtümer konnte
der fromme Glaube jener Zeit in einem armen Lande schnell in die
Hände einer geistlichen Stiftung zusanunenhäufen, die mit Verheissung
jenseitigen Lohnes den Besitz zeitlicher Habe gering zu schätzen und
willig zu opfern lehrte!
„Das Dorf Alt-Krüssow war in der katholischen Zeit durch
„ein wunderthätiges St. Annen- oder St. Marien-Bild berühmt,
„zu welchem viel Wallfahrten stattgefunden und durch dessen
„mit Opfer begleitete Anbetung viel Kranke gesund geworden
„sein sollen.
„Auch Ludicus in seiner Geschichte des heiligen Blutes
„gedenkt des Aberglaubens, der mit St. Annen zu Krüssow
„getrieben ist. Im Anfange des 18. .Jahrhunderts soll der Pfarrer
„George Krause die Krücken, welche in der Kirche zum Zeichen
„der Wunderkuren des Bildes aufgehäuft waren, schockweise
„herausgeworfen haben, nur ein Paar wurde zur Erinnerung auf-
bewahrt. Das Dorf verdankt diesem Aberglauben aber die
„schone gewölbte Kirche, die Bischof Johann von Havel-
„berg 1520 daselbst erbauen Hess. Das Kloster II eilige n-
„Grabe hatte indessen wahrscheinlich an den reichen Einnahmen,
„welche diese Wallfahrten nach Krüssow zu Wege brachten,
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52
Emil von Maltitz, Major z. D.
„keinen Teil; da nicht ihm, sondern dem Domstifte zu Havel-
„berg, das Patronat über die Kirche zuständig war. (Riedel I,
„III pag 469.)"
Rücksichtlich seiner Verwaltung erfreute das Stift sich der beson-
dern Obhut der Bischöfe von Havelberg, die bei der Nähe ihrer
Residenz Wittstock das Kloster, worin sie, sowie die Markgrafen, des
Rechtes freien Ablegens genossen, mit häufigen persönlichen Besuchen
beehrt haben sollen, und deren eigne Verehrung des heiligen Blutes auf
das Ansehen des Heiligtums in der Umgegend vorteilhaft einwirkte.
Die spezielle Wahrnehmung der Angelegenheit des Klosters lag zu-
nächst einem Probste ob, dem Vorgänger des jetzigen Stiftshaupt-
manns. Der Probst war ein Weltgeistlicher, bald adliger, bald bürger-
licher Herkunft; er genoss als Probst einen grossen Anteil an den
gesamten Klostereinkünften und ausserdem öfters noch als Pfarrer in
fremden Paroehien, die er durch V teure versehen Hess, oder als Altar ist
von einzelnen in der Kapelle der Klosterkirche errichteten Altären, er-
heblichen Einnahmen. Männer, welche als Verwalter dieses Amtes in
unseren Urkunden namhaft gemacht werden, waren:
im Jahre 1318 Theoderich oder Dietrich,
im Jahre 1350 Jan vtm rore (d. i. Johann von Rohr , vor
diesem in nicht zu bestimmenden Jahren Heinrich von
Rossow;
ferner:
1351 ein anderer Heinrich, der keinen Familiennamen führte,
demnächst
ein gewisser Albert, den man zugleich als Pfarrer zu Pankow
kennen lernt,
im Jahre 1380 Hüneke Karstedt,
im Jahre 1422 Nicolaus Poppentiu,
im Jahre 1450 Peter Kuhbier,
1455 und 1458 Johann Jordan,
1469 und 1482 Curd Voss,
1495 Meinhard Kruseke,
1510 Heinrich Kegel,
1529 Jodocus Nagel und
1538 Heinrich Müller.
Der Convent bestand anfänglich aus 12 Personen Die Fähigkeit
zur Aufnahme war nicht an die (iehurt aus bestimmten Familien ge-
knüpft, wiewol gewiss den Nachkommen grosser Wohlthäter des Stifts
auch in Ansehung der Reception ein billiger Vorzug zugestanden wurde.
Die reichsten Familien bewarben sich um die Aufnahme ihrer Töchter
in die Schaar der Gott geweihten Jungfrauen, um dadurch sie und sich
besonderer göttlichen Gnade teilhaftig zu macheu. Denn das Kloster
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Zur Geschichte des Cisterciensei Jungfrauen Klosters.
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war keine Versorgungs- Anstalt derer, welchen die Ehe keinen anderen
Beruf anwies, sondern die Einsegnung zur Nonne galt eine geistliche
Vermählung mit der Gottheit, der keine weltliche Vermählung an Würdig-
keit gleichgeschätzt werden konnte. Daher achtete man für Jungfrauen
im Alter der zartesten Kindheit schon dem stillen Klosterleben unwider-
ruflich gewidmet zu werden, für ein Glück, welches Eltern für ihre
Kinder und Brüder für ihre Geschwister mit den grössten Opfern an
Uabo und Gut, wodurch sie der Convent dafür zu bestimmen suchte,
als Ziel verfolgen.
Familien, wie die von Rohr, v. Quitzow, Edlen zu Putlitz
u. s. w. , welche bei ihrem damaligen grossen Güterbesitz das Kloster
ausnehmend bereicherten, sahen daher oft einen grossen Teil des Con-
vents aus Töchtern ihrer Häuser bestehen, wie z. B. eine Urkunde des
Anhangs vom Jahre 1403 zeigt.
Um den Convent zur Aufnahme günstig zu stimmen, wurden dem
Kloster von solchen Familien reiche Schenkungen gemacht. Besonders
finden wir die Töchter des Priegnitzer Adels im Kloster 11 eil igen -
Grabe vertreten.
Dem Convent stand eine Äbtissin und eine Priorin nach den
Regeln des Cistercienser-Ordens vor. Äbtissinnen aus der katholischen
Zeit, welche die Urkunden namhaft machen, waren
1330 Gertrud von Osterburg,
1351 Margarethe,
1380 Elisabeth,
1422 Elisabeth von Rohr,
1450 Adelhaid von Wartenberg,
1455 und 1-158 Anna Konow,
1469 Elisabeth von Lüderitz,
1495—1519 Anna von Rohr,
1538—1549 Anna von Quitzow; sie starb am Tage St. Mau-
ritius 65 Jahre alt. Sie nahm das Evangelium an.
Prior innen in derselben Zeit waren:
1350 und 1351 Margarethe Grassow,
1380 Christiane,
1422 Katharina, wahrscheinlich von Rohr,
1450 Anna Konow,
1455 und 1458 Katharina Sc he plitz,
1469 Anna v. Borchhagen,
1495 Anna von der Weide,
1498 und 1502 Euphemia von Möllendorff,
1510 Anna von Klitzing,
1529 Anna von Rochow,
1538 Elisabeth von Alvensleben.
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Emil von Maltitz., Major t. D.
Die letztgedaehte Priorin und die Äbtissin Anna von Quitzow
waren es, unter denen die kirehliclie Reformation sieh in der Mark zu
• verbleiten begann. Die Reformation wurde 1539 schon fast in allen
Städten der Priegnitz ausser in Wittstock und Wilsnack angenommen.
Kurfürst Joachim wollte in weiser Zurückhaltung Zwang in kirchlichen
Dingen nämlich nicht anwenden; daher es kam, dass in der Priegnitz
vorläufig der Katholicismus herrschend blieb. Bei dem nahen Einflüsse
des bis zu seinem Tode staudhaft den katholischen Kirchengebräuchen
anhangenden Bischofs Busso von Alvensleben auf das klosterliche
Sti ft Heiligen-Gra.be gelang es dem Bischof, den ihm treu ergebenen
Convent in gleicher Beharrlichkeit zu erhalten. Er wehrte daher nicht
nur dem Eindringen der evangelischen Lehre während der Jahre 1539,
1540 und 1 541, sondern die mannhafte Äbtissin wagte es bei dieser Rück-
stärkung auch, sich der Annahme der kurfürstlichen Kirchen-Ordnung
von 1542 und seiner Neuerung dreist zu widersetzen.
Mit gleichem Mute verweigerte sie daneben die Erhebung der all-
gemeinen Landessteuern zuzulassen, die auf kurfürstlichem Befehl auch
von den Unterthanen des Klosters erhoben werden sollten. Diese in
einer Zeit, welche so viel allen geistlichen Stiften ein Ende machte, um
so kühnere Widersetzlichkeit bewog den Kurfürsten, der sonst die im
Bereiche der bischöflichen Herrschaft gelegenen Orte nachsichtig schonte,
zu strengen Maassregeln. Der Landeshauptmann der Priegnitz, Curt von
Rohr, hatte 5000 Gulden der kurfürstlichen Kammer vorgestreckt und es
bedurfte dafür eines einträglichen Pfandstückes, woran es bei den
damaligen Domainen in der Priegnitz gebrach. Da nun das Kloster
Heiligen-G rabe verschmähte, als evangelisches Stift fortzubestehen,
so erhielt Curt von Rohr noch im Jahre 1542 den Befehl, dasselbe in
Besitz zu nehmen und zu sequestrieren.
Der Convent wurde bis auf wenige Glieder, die die Annahme der
neuen Lehre sich nicht weigerten, ganz aus dem Kloster entfernt. Ver-
mutlich nahmen die flüchtigen Damen, zumal da die Priorin eine nahe
Verwandte des Bischofs von Havelberg war, bei diesem ihren Zufluchts-
ort, Sie traten dann zugleich mit dem Pabste und dein katholischen
Hofe zu Wien in Unterhandlungen, und die Äbtissin soll im Begriff ge-
standen zu haben , mit ihren treu verbliebenen Nonnen zu Fuss nach
Wien zu wandern, als Bischof Busso und mit ihm die letzte Stütze
des Katholicismus in der Priegnitz dahinsank. Es gelang nun den Be-
mühungen ihrer Familie, die Äbtissin zur Aufgabe ihres beharrlichen
Festhalten* au der alten Kirchenreforni zu vermögen, worauf der Kurfürst
unter der Bedingung, dass die evangelische Kirchenordnung angenommen
und die Schuld an Curt von Rohr zur Auslösung der Klosterbesitzungen
von dem Convente übernommen werde, der Äbtissin und ihren Jungfrauen
nach vorheriger Abbitte wegen ihres Ungehorsams, die Rückkehr in das
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Zur Geschichte des Cistercienser Jungfrauen Klosters. 55
Kloster gestattete. Vermittler dieser Ausführung zwischen dem Kur-
fürsten Joachim II. und dem Convent, wodurch das Kloster seine
Herstellung fand, waren
die Gevattern von Quitzow, nämlich
Dietrich der Ältere zu Ruhstädt,
Lüdeke zu Stavenow, und
Dietrich, Hauptmann zu Lenzen.
Der Kurfürst Hess dem Stifte a lle früher er worbe neu Hechte
and Besitzungen, und so kehrte die Äbtissin mit ihren Gon-
ventuali nnen nach sechsjähriger Abwesenheit, den Dienstag nach
Misericordias domini mit Lob- und Freuden-Liedern in ihr Kloster
zurück. Dieser Tag ist noch lange nachher jährlich gefeiert, und an
demselben über den 129. Psalm eine Dankpredigt gehalten worden. Man
nannte ihn
„des Klosters Einzugs-Fest. "
Ungeachtet der erwähnten Religionsveränderung behielt das Kloster
jedoch noch lange Manches aus der katholischen Zeit bei, namentlich
die Ordenskleidung und das Begräbnis. Freilich das Nonnengelübde und
die strenge Ordensregel fielen weg. Das Kloster wurde in ein ade-
liges Fräuleinstift verwandelt.
Die Conventualinnen Hessen sich darnach ohne Sang in ihren
Kappen begraben und das Gesicht mit einer hölzernen Schüssel bedecken.
Die Kappen legten sie erst nach dem dreissigjährigen Kriege ab Der
Verdienst des Pritzwalk'schen Tuchmachers, welcher dem .luden das
Geständnis abgelockt hatte, zog bis dahin dem dortigen Ge werke den
Vorteil zu, dass es diese Kappen lieferte. Nach anderer Nachricht gaben
die Tuchmacher die den Jungfrauen nötigen Kappen unentgeltlich her.
Die Umwandlung des Klosters Hei I igen -Grabe in ein evange-
lisches Stift führte zugleich manche Veränderung seiner äusseren Ver-
fassung mit sich. Zunächst war die Würde eines Probstes entbehr-
lich und wurde abgeschafft. Nur in der neuesten Zeit wurde sie
auf wenige Jahre hergestellt, indem das Stift 1790 dem Minister der
geistlichen Angelegenheiten von Wöllner, die Winde eines Stiftsprobstcs
antrug, welche auch von diesem angenommen und vom Könige Friedrich
Wilhelm IL bestätigt wurde.
Es war dies jedoch eine blosse Ehrenbezeugung. Dem neuen
Probste standen als solchem weder Rechte noch Einkünfte im Stifte zu.
Die weltliche Verwaltung der Stiftsangelegenheiten , die schon in
den letzten katholischen Zeiten eine Hauptobliegenheit der Probstei
gebildet hatte, ging zur Zeit der Reformation auf einen weltlichen Be-
amten, den Stiftshauptmann, über. Derselbe nahm nun in der
»Kemnade" oder „Kembde", eigentlich „eaminata", welches im mittel-
alterlichen Latein ein „festes Haus" — bezeichnet, auf dein frühern Sitze
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Emil von Maltitz, Major r.. P.
der Pröbste, seine Wohnung. Der Stiftshauptmann wurde vom
Convent erwählt und bestellt und vom Landesherrn confirmiert.
Nach Aussage des Kirchenbuches vom Heiligen-Grabe war die
von Kröche r die letzte, die sich auf diese Weise beerdigen Hess.
Die ganze Reihe der Ilauptloute des Stiftes ist aus den vorhan-
denen Nachrichten nicht mehr zu ersehen. Wir vermögen sie vielmehr
nur bis an das Ende des 16. Jahrhunderts zurückzu verfolgen, wobei die
Namen derer verschwiegen bleiben, die von 1550 — 1600 dem Stifte vor-
standen. Nur wird uns Hans v. Quitzow zu Gottberge genannt, der
Erbzinssessener und von 1552—1576 Stiftshauptmann gewesen. Femer
wissen wir aus diesem Zeitraum zu nennen, den Bürgermeister zu Pritz-
walk, Antonius Rau, der den 13. Mai 1589 im 56. Jahre seines Alters
starb, und nacli zuverlässigem Zeugnisse Hauptmann des Klosters war.
(Hays Beschr. der Stadt Pritzwalk, manuserpt. Anh. p. 301.)
Im 17 Jahrhundert versahen die Hauptmannschaft: von 1600
bis 1606 Einer von Scharfenberg; von 1606 bis in den dreissig-
jährigen Krieg: Joachim von Winterfeld. Dieser starb in der Kriegs-
zeit mit dem grössten Teil des Convents an der Pest und seine Stelle
blieb eine Zeit lang unbesetzt. Dann übernahm dieselbe 1645 Erd mann
von Bartekow, der im Jahre 1680 starb, worauf ihm Reimar
Christoph von Karstedt folgte, der bis ins Jahr 1705 die Stiftshaupt-
mannschaft verwaltete; den 20. Mai 1705 succedierte demselben Christian
Ludwig von Rohr auf Ilolzhanscn.
Alle diese Stiftshauptleute hatte der Convent erwählt und bestallt,
nur bei dem letzteren war eine Königliche Confirmation der Bestallung
erfolgt.
Im Jahre 1722 aber erteilte der König dem in der Armee dienen-
den Lieutenant von Werdeck eine Anwartschaft auf diese Hauptmann-
schaft, die dem Offizier auch im Jahre 1730 durch den Tod des von
Rohr erledigt wurde.
Der Convent sträubte sich vergebens gegen die Anerkennung des
Offiziers, der im Militärdienste blieb. Durch Irrtum wurde 1738 der
Oberforstmeister von Jürgas zum Stiftshauptmann ernannt. von
Werdeck war noch am Leben und die jenem erteilte Bestallung wurde
daher als Adjunctions-Patent gedeutet, welches ohne Folgen blieb. Als
der inzwischen zum Oberst avancierte von Werdeck bei Chotnsitz im
Jahre 1742 das Leben verlor, bestallte der König unterm 31. Mai dieses
Jahres einen Oberst von Röel, der gleichfalls dienstthuender Offizier
blieb, zum Nachfolger des Verstorbenen in der Stiftshauptmannschaft.
Stellvertreter des von Röel in diesem Amte war anfänglich der Bürger-
meister Schmidt zu Pritzwalk, und nachdem dieser dem Convente grosse
Verdriesslichkeiten verursacht hatte, Joachim Dettlof von Winter-
feld, der mit dem Titel eines „Yicestiftshauptmanns" und mit der
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Zur Geschichte des Cistercienser Jungfrauen-Klosters. 57
Hoffnung anf Nachfolge in die Stiftshauptmannsehaft nach von Röel's
Abgange sich der Amtsführung unterzogen hatte.
Als der Oberst von Röel jedoch im Jahre 1745 starb, wurde unterin
7. Januar 1746 der General-Major Reimer Julius von Schwerin mit
der erledigten Stifthauptmannschaft begnadigt, bevor der von Winter-
feld seine Ansprüche anmeldete.
Diesem wurde daher nur nachgelassen, dem General seine erlangten
Ansprüche auf die Stifthauptmannschaft abzukaufen. Man wurde über
eine Abstandssumme von 3500 Thaler einig, nach deren Erlegung der
Vicestiftshauptmann von Winter fehl als ordentlicher und alleiniger
Stiftshauptmann eintrat.
Die Stifthauptmannschaft schien hiernach ein Objekt von Handels-
spekulation zu werden, denn von Winterfeld, der sein daran ge-
wandtes Kapital wieder herauszuziehen wünschte, trat darüber mit meh-
reren Personen, namentlich mit einem Herrn von Rochow, der in
sächsischen Militärdiensten stand, in Unterhandlung. Der Convent gab
dazu auch seine Genehmigung, unter dem Bedinge, dass der von
Rochow sich im Voraus anheischig machte, nicht wieder eine ähnliche
Veräusserung vorzunehmen. Doch inzwischen war der König von der
dem Stifte eigentlich gebührenden freien Wahl des Hauptmanns unter-
richtet worden, und es wurde daher diesem Veräusserungsvertrage die
Allerhöchste Genehmigung mit der Erklärung versagt,
„dass der Convent des Stiftes künftig wieder freie Wahlgerech-
„tigkeit in Ansehung seines Stiftshauptmannes ausüben solle."
Da nun der bejahrte Hauptmann von Winterfeld einer Unter-
stützung bedurfte, so machte der Convent im Jahre 1768 einen von
Karstedt zum Adjunkten und dieser trat 1787, da der altersschwache
von Winterfeld völlig resignierte, als wirklicher Stiftshauptmann ein.
Die Hauptmannschaf t des Stifts war noch im 17. Jahrhundert
sehr einträglich, denn der Hauptmann empfing alle Einnahmen des Stiftes,
gab davon den Conventnalinnen und übrigen Klosterbedienteil ihre
Gehalte und Deputatstücke , sorgte für die Bestreitung der übrigen not-
wendigen Ausgaben, und behielt den Uberschuss für sich. Auf der Kem-
nade fand daher auch in der Regel ein sehr liberaler Haushalt statt, der
timsomehr zu Beschwerden Anlass gab, je kärglicher oft den Conventna-
linnen ihre Geld- und Natural hebnngen zugemessen wurden. Wenn man
die bis in das 18. Jahrhundert in altertümlicher Form beibehaltene Be-
stallung der Klosterhauptleute, wie noch der von Rohr sie erhielt, in\s
Auge fasst, so lassen zwar die dem Hauptmann verschriebenen 86 Gulden
Gehalt, die halben Gerichtsgefälle, das Annahmegeld von den Bauern,
die freien Stiefel und Schuhe, die ihm gegeben werden sollten , und die
6 Stein Wolle, die er bei jeder Wollschur zu seiner Kleidung empfing
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Eroil von Maltitz, Major z. D.
und dergleichen kleine Vorteile, eine so günstige ökonomische Stellung
des Stiftshauptmanns gar nicht vermuten.
Darin aber, dass dem Hauptmann freier Tisch und freie Fütterung
für Reit- und Wagenpferde zugesichert war, lag die Möglichkeit unge-
messener Ausdehnung seiner Natural-Consumtion. Die gewöhnliche Be-
stellung der Hauptleute, wie sie zuletzt noch dem Stifts-Hauptinann von
Hohr auf IJolzhausen erteilt wurde, lautete folgendermaassen 1705:
„Wir Hedwig Maria von Vietstrucken, Domina, Anna Elisa-
beth von Ketzdorfiin, Priurissa und gesampter Capitel des
„adelichen Jungfräulichen Clusters heiligen-Grahe, uhrkunden
„undt Bekennen hiermit vor unss und unsere Nachkommen am
„Cluster auch sonst männigliehen :
„Nachdem wir nach gehabten reiften Käthe und tleissiger
„deliberation den wohlgebohrnen horrn, herrn Christian L ud-
„wig von Rhor auf llolzhausen Erbgesessen, zum Hauptmann
„dieses Clusters, solchem nach aller Möglichkeit fleisig und treu-
lich vorzustehen und dessen bestes überall zu suchen und zu
„befordern, einhellig eligiret und beruften, Er auch diese Haupt-
„mannschaft jetzt berührtermassen acceptiret, und angenommen,
„dass wir derowegen wohlgedachten herrn Hauptmann zum
Jährlichen Salario Sechs und Achtzig G üblen Märkischer Wäh-
„rung am Gelde, einem freyeu Tisch, die halbe Gerichts-Gefälle,
„das Annahmegeld von den Bauern, freye Stiefeln und Schuhe,
„Sechs Steine Wolle von jeder Schar«», und wenn Mast vor-
„banden, zehn freye Mast-Schweine, darzu Er aber die Schweine
„seihst schaffet, von seinen eigenen Mitteln, auch freye Reit- und
„Wagen-Pferde yn des (.Mosters Verrichtungen, nebst andern ge-
wöhnlichen Accidentien versprochen und zugesaget. Wir unss
„denn auch in Kraft dieses nochmals vorptlichten, solches alles
„jährlich dem herrn Hauptmann Christian Ludwig von
„Rhore zu verschaffen und abfolgen zu lassen.
„Uhrkundlich haben wir obbenbenahmte Domina und Prio-
„rissa diesen Brieft' eigenhändig unterschrieben und mit des
„Clusters gewöhnlichen Secret versiegeln lassen. Actum Cluster
„heiligen Grabe den 13. Marty des Eintausend Siebenhundert
„und fünftten Jahres.4'
Diese Stellung des Hauptmanns änderte sich jedoch in Folge der
neuen Einrichtung, welche König Friedrich Wilhelm I. dem Stifte
geben Hess.
Dieser die Sparsamkeit und Einfachheit der Lebensweise so sehr
liebende Monarch, war 17H selbst, in Heiligen-Grabe anwesend und vun
dem damaligen Stiftshauptniaiin vun Ruhr aufs Prächtigste bewirtet
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Zur Geschichte des Cistercienser Jungfrauen -Klosters.
worden. Der König — über diesen Aufwand ungehalten — .soll geäussert
haben: „So was conveniert sieb vor die Frölens nicht."
Desto mehr Eingang fanden die Klagen, welche die Stiftsdamen
dem Könige persönlich vortrugen, dass auf der Hauptmanuschaft Ver-
schwendung und in ihren Zellen dagegen die grösste Dürftigkeit herrsche.
Der König Hess die Angelegenheiten des Stifts, wie er bei seiner An-
wesenheit versprochen hatte, durch eine Kommission regulieren. Der
dieser Kommission erteilten Instruktion wurden aber besonders die
Worte eingerückt:
„des Klosterhauptmanns Besoldung auf ein Gewisses zu setzen
„und dagegen Defraiirung oder Diäten gänzlich abzuschaffen; im
„Übrigen es auch dahin zu richten und den neu zu entwerfen-
„den Statuten mit einzuverleiben, dass die bisherige grosso Gast-
freiheit*), — welche «lern Verlaut nach dem Kloster jährlich
„ein Beträchtliches gekostet, einigermaßen eingeschränkt oder
„zum wenigsten nicht nach Gefallen gemissbraucht werde."
Diese Anordnung wurde von den Kommissarien genau beobachtet
und die Einnahme des Stiftshauptmanns dadurch so sehr mindert, dass
der Convent selbst bald hernach dieselbe für unangemessen geringe er-
achtete, und dem Hauptmann aus den Überschüssen des Klosters, ohne
höhere Genehmigung längere Zeit eine beträchtliche Zulage gewährte.
Die Statuten sind ein Denkmal des frommen Sinnes dieses Fürsten.
Es heisst darin unter Anderem:
„Weil denn das vornehmste in dergleichen Oonventen der Gottes-
dienst ist und sein muss, so soll fürnehmlich über denselben ge-
lullten und dahin gesehen werden, dass der allmächtige, allsehende
„und allgegenwärtige Gott nicht aus eitler Gewohnheit, dem
..Munde und Lippen allein, sondern aus Herzensgründe in wahrem
„Glauben auf das vollkommene Verdienst unseres Erlösers Jesu
„Christi, jedesmal andächtig angebetet und demüthig verehrt
„werde."
Es folgt nun eine spezielle Anweisung, wie die täglichen Betstunden
zu halten seien, die mit den Worten schliesst:
„Wobei sie aber die Privatübung des Christentums im Beten,
„Singen, Lesen der heiligen Schrift, gottseligen Discursen unter
*) In der 1622 zu Tübingen gedruckten Beschreibung der Mark Brandenburg
von Gottfried von Warnsteden, heisst es in Bezug auf diese Gastfreiheit:
„Dieses Kloster (.heiligen Grabe) jährliche Einkommen sind so stattlich und
„ansehnlich, dass sie nicht allein zu ihrer Notdurft, sondern auch an fremden
„Nationen können Gutes daran thun, ininassen allda, ein fremder vom Adel
„3 Tage samt Tferde und Dienern zu bleiben hat, und wird mit ansehnlicher
„Tractation auf der Probstei von dem Hauptmann, so dazu verordnet, sovi0|
„möglich versehen."
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Emil von Maltitz, Major z. D
„sich und mit Andern nicht aus der Acht lassen, sondern täglich,
„ja unaufhörlich, soweit es die nöthige Arbeit zulassen will,
„damit umgehen soll."
In dringlichen Worten wird zur Sparsamkeit aufgefordert; aber
dabei gesagt:
„Es hat aber nicht das Absehen, dass der Anmuth ein
„Allmosen dadurch entzogen werden solle, denn dieses alles
„Pflichten seien, die dem Kloster insonderheit obliegen — und
„ohne bei Gott und der ehrbaren Welt gröblich sich zu ver-
sündigen, und anzustossen nicht unterlassen werden können,
„wie denn insonderheit Domina und Conventualinnen vor die
„Armut zu allererst zu sorgen, dieselbe reichlich, soviel immer
„des Klosters Zustand und Vermögen zulassen will, zu begaben
„und dadurch des Herrn reichen Segen auf sich und das Kloster
„zu deriviren."
Der Stiftshauptmann ist übrigens der beständige Deputierte des
Stifts und ein Vorstand desselben in ähnlicher Verfassung, wie solche
bei dem Stift in Ausführung kam. Wie dort, wird auch zum Heiligen-
Grabe die Justiz durch einen Hechtsgelehtten unter Leitung des Stifts-
hauptmanns verwaltet, und ist demselben zu untergeordneten Dienst-
verrichtungen ein Stifts -Secretair zugegeben. Die Stelle, welche zu
Stepnitz das erbliche Patronat einnimmt, vertreten hier zwei aus der
Ritterschaft gewählte Curatoren, deren Befugnisse jedoch nicht so gross
sind, wie das Patronat, welches über „Heiligen-Grabe" dem Landes-
herrn angehört, es mit sich bringt.
Das Alter dieses eingerichteten Curatoriums scheint einer neueren
Zeit ihren Ursprung zu verdanken, da solche erst aus dem Jahre 1708
in den vorliegenden Nachrichten ersichtlich. So wird uns der Oberst
von Quitzow auf Bullendorf genannt, der 1816 Einer der beiden
Stifts- Vorsteher war.
Die evangelischen Prediger des Klosters Heiligen-Grabe waren
der erste: Joachim Freienstein, der noch katholischer Geistlicher daselbst
gewesen war, und 1556 verstarb. Ihm folgte Andreas Renchlin und
diesem Thomas Benzin, der 1626 verstarb. An seine Stelle kam Arnold
Krusemark bis zur Verwüstung des Stifts im dreissigjährigen Kriege.
Nach der Herstellung des Klosters stand bis 1651 George Krause dem
Gottesdienste des Klosters vor, den er wegen seines schwächlichen
Körpers bei der Geringheit des Convents im Zimmer der Domina zu
halten pflegte. Nach seinem Tode wurde 1651 M. Wilhelm Sauer nach
dem Kloster berufen; es war aber eine üble getroffene Wahl; dieser
Geistliche führte ein böses Leben und erstach zuletzt 1667 den Stuhl-
schreiber zu Wittstock Havekenthal. Nun folgte ihm M. Johann Helwig
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Zur Geschichte des Cistercienser Jungfrauen- Klosters
61
bis 1681; diesem Johann Georg Bersenius bis 1692, darnach Paul
Krambiegel bis 1711, demnächst Georg Dietrich Lüdewald u. s. w.
In Rücksicht auf die Würdenträgerinnen im Convent brachte die
Reformation zunächst nur eine Veränderung der Bezeichnung der
Äbtissin mit sich. Sie hiess jetzt Domina. Sie wurde am Sarge
ihrer Vorgängerin oder doch spätestens 4 Wochen nach dem Tode der-
selben vom Convent gewählt.
Durch Allerb. Kabinets-Ordre vom 4. Oktober 1876 ist dieses Recht
dem Convente entzogen. Des Königs Majestät haben sich vorbehalten,
die Äbtissin zu ernennen, weil die Einfügung der wohlthätigen Anstalten
in den Organismus des Stifts eine Änderung in diesem Punkte wünschens-
wert erscheinen lasse. —
Täglich wurden noch bestimmte Gebetsstunden — Hören genanut —
im Kloster gehalten. Die übrige Zeit konnten die Conventualinnen nach
Gefallen verwenden; auch lebten manche zeitweise ausserhalb des Klosters
in ihren Familien oder bei Verwandten.
Die Conventualinnen wurden teils vom Landesherrn ernannt,
teils vom Convent recipiert, indem die adeligen Familien ihre Töchter
oft noch in ganz jungen Jahren gegen bedeutende Geld-Zahlungen zur
künftigen Aufnahme einschreiben Hessen. Auch dieses findet in der
neusten Zeit in Folge Allerhöchster Kabinets-Ordre nicht mehr statt,
sondern Sr. Majestät behalten sich auch diese Besetzung vor.
Neben der Domina blieb aber die Stelle der Priorin als einer
Gehilfin und Stellvertreterin der Domina, die daher auch von der Domina
dem Convent zur Wahl in Vorschlag gebracht werden soll. Nur in
neuerer Zeit stellte König Friedrich II. den Titel „Äbtissin" für die
Vorsteherin des Convents her, indem die Domina von Winterfeld,
eine besonders verehrungswerte und auch vom Könige persönlich hoch-
geschätzte Dame, mit der Würde einer Äbtissin des Stifts beehrt wurde.
Ausser der Domina gab es im vorigen Jahrhundert öfter auch eine
Domina „Adjuncte oder eine Vice- Domina" im Stifte.
Am 12. November 1720 wurde die Conventualin Julianne Doro-
thea Edle zu Putlitz, die nicht einmal als Conventualin durch Wahl-
beschluss aufgenommen, sondern durch die Gnade der Königin, vermöge
des zum ersten Male dabei geübten Rechtos der primae preccs in den
Convent gekommen war, zum grossen Verdruss des letztern, der Domina
von Jargard mit der Hoffnung zur Nachfolge adjunctiert. Als diese
darnach Domina geworden war, stellte der Convent durch Wahlbeschluss
das Fräulein Christine Charlotte von Einsiedel n zur Vice-
Domina auf.
Die Reihe der Damen, welche seit der Reformation dem klösterlichen
Stifte zu Heiligeu-Grabe als Domina vorstanden, ist schon aus
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02 Eini! von Maltitx, Major z. I>.
Hindcnhcrga zu Anfang dieser Abhandlung erwähnten Nachrichten zu
erselien. Die nächste Nachfolgerin der von Quitzow war
Ursula von der Schulen bn rg, die im Alter blind geworden sein und
ihr Amt daher niedergelegt haben soll, worauf
Lucia von Königsinarek aus Kölin succedierte, die 1581 verstarb.
Dann folgte
Anna von llinttorff aus Plessow, die nach 29 jähriger Führung ihres
Amtes 1010 verstirbt. Dieser folgte
Ilsabe von Kapellen aus Mankmus, die 1635 mit Tode abging. Wäh-
rend ihrer 25 jährigen Amtsführung hatte sie einen grossen Teil
der Lasten und Leiden des dreissigjährigen Krieges zu tragen
gehabt. Doch der Tod überhob sie den ärgsten Ereignissen,
welche während «lieser Zeit das Stift betrafen. Ihre Nach-
folgerin
Elsa von Wartenberg aus Nebelin erlebt«' die traurige Verwüstung
des Stiftes, sah im Jahre 1036 die (lebäude der Hauptmann-
schaft oder die „Kembde" in Flammen aufgehen und sich ge-
zwungen, mit den 4G dem Kloster ungehörigen Personen dasselbe
zu verlassen. Die Kostbarkeiten, Urkunden und Briefschaften
des Klosters schickte sie nach Hamburg, von wo dieselben zum
Teil niemals zurückgekehrt und wobei namentlich — (mehreren
Erklärungen des Convents aus dem 17. Jahrhundert zufolge) viele
der älteren Urkunden eingebüsst sind. Die Domina selbst begab
sieh mit ihrem zahlreichen (iefolge nach W'ittstock, wo sie im
Jahre 1(537 mit dem grössten Teil ihrer ( ouventualinnen ein
Opfer der damals hier wütenden Pest wurde.
Anna von Rathenow sammelte um das Jahr 1645 die noch übrig ge-
blichenen, durch die Kriegsunruheu zerstreuten ('ouventualinnen
wieder und sorgte mit dem Beistände des zum Stiftshauptmann
erwählten Hans Erdmann von Bertikow für die Herstellung
des Stiftes und seiner Besitzungen. Damals entstanden wahr-
scheinlich auch zuerst die Wohnungen der ( 'ouventualinnen ausser
dein eigentlichen Klostergebäude. Ein eigenes Wohnhaus für
den Klosterhanptmann wurde erst 1070 wieder aufgerichtet. In-
zwischen war die Duinina Anna von Rathenow aus IMöuitz
im Jahre 1063 gestorben und ihr
Elisabeth von Eimbeck, doch nur auf 2 Jahre gefolgt, worauf
Anna Dorothea von Munthen im Jahre 1065 zur Stiftregierung ge-
langte, der sie 33 Jahre hindurch vorstund. Im Jahre 1098
folgte ihr
Hedwig Maria von Wittstruck aus Berlit und derselben
Maria von Jagard im Jahre 17o7. Unter der letztgenannten Domina
erhielt das Kloster seine Statuten vom Jahre 1710 und vom
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Zur Geschichte des Cistercienser Jungfrauen Klosters.
7. November 1714 und trugen sich die Verändern ngen zu, deren
rücksichtlieh des Einkommens der Stiftshauptinannsehaft bereits
oben gedacht ist.
Am 12. November 1720 wurde, wie oben erwähnt worden,
dieser Doinina, welche 1713 ihr klösterliches Jubeljahr gefeiert
hatte, die Gonventualin
Julian ii e> Dorothea Freiin Gans Edle zuPutlitz durcli des Königs
Befehl adjungiert. Doch *lu» ganze Versammlung des Klosters
war sehr feindselig gegen dies gebildete und thätige Fräulein
gesinnt, schon weil sie ohne Wahl zu der bald erledigten Stelle
der Domina emporstieg
Es gelang ihrer Klugheit nicht, diese Feindschaft zu ver-
söhnen. Obwohl sie die Revenuen der Stiftsdamen über die
Gebühr vermehrte, auch dem Hauptmann die schon früher er-
wähnte Zulage gab, so blieb sie doch in ununterboehenen
Streitigkeiten mit dein Convente verwickelt, die ihre Gesundheit
untergruben und ihrem Leben schon im Jahn- 1732 ein Ende
setzte. Ihr folgte die im Jahre 1727 erwählte Vice-Domina
Christ ine Charlotte von Einsiedeln aus dein Hause Fatcnrode im
Mansfeldisehcn, die im Jahre 1740 verstarb und der nachmaligen
Äbtissi n
.luliaune Auguste Henriette von Winterfeld aus dein Hause
Sehmarsow in der rkermark Platz machte. Diese Domina hat
über 50 Jahre dem Stifte vorgestanden, denn sie stirbt erst den
14. Dezember 1790, und nach ihrem Tode fiel die Wahl des
Convente auf
Magdalena Marie Rosina von CJuitzow a. d. H. Kuhsdorf. Durch
die besondere Gnade, worin die Doinina von Winterfeld bei
Hofe stand, wurde ihr im Jahre 1743 nicht nur die Wind«'
einer Äbtissin zu Teil, sondern auch zu der melancholischen
schwarzen wollenen Kleidung, welche die Conventualinuen
mit weissem Halskragen und weisser Schärpe trugen, der Schmuck
eines Orden sk reuzes verstattet, welches an einem gris-de-liu
farbenen, mit Silber eingefassten Bande getragen wird, weiss
emaillirt, mit Gold eingefasst und auf der einen Seite mit den
Worten in goldenen Buchstaben im goldenen Grunde
„par grace"
und an den 4 Ecken mit dem gekrönten Namenszug des Königs
versehen ist: auf der andern Seite aber in der Mitte mit der
Inschrift:
„pour la Conservation de la maison royale"
und iu den Ecken mit 4 Paar zum Gebet aufgehobenen Händen.
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64 Euiil von Maltitz, Major %. D.
s
Im Jahre 1776 wurde diesem Kreuze auf den Antrag der Äbtissin
auch noch ein auf der linken Brust im Kleide gestickter Stern
hinzugefügt, welchen die jedesmalige Äbtissin und die wirklich zur
Hebung gekommenen und eingeführten Stiftsdameu zu tragen berechtigt
wurden.
Die Coucession lautet:
„Wir Friedrich von Gottes Gnaden, König von Preussen etc.
„Urkunden und bekennen hiermit für Uns und Unsere Nach-
„kommen und fügen männiglich zu wissen, was maassen die
„Aebtissin des Stifftes heil Grabe, von Winterfeld, bey Uns aller-
„demüthigst Ansuchen gethan. gedachten adlichen Stitt't zum
„heiig. Grabe allergnädigst zu erlauben, einen Stern auf der
„linken Seite des Kleides eingestickt zu tragen. Wir auch in
„allergnädigster Erwägung derjenigen Devotion und Ergebenheit,
„so mehr erwehntes adl. Stitt't zum heiligen Grabe Uns jederzeit
„bezeiget, zum Merkmahl und beständigen Andenken Unserer
„darüber hegenden Zufriedenheit, sothanen geziemenden Gesuch
„in allerhöchsten Gnaden zu deferiren geruhet. Als wollen Wir
„hiermit und kraft't dieses offenen Briefes der jedesmaligen
„Aebtissin und deren zur Hebung gekommenen würklich intro-
„ducirten Chanoinessen, ausser dem zeitherigen Ordenszeichen
„den von besagter Aebtissin eingesandten und von Uns allerhöchst
„genehmigten Stern mit der Umschrift
„Par Grace 1776",
„und in dem runden felde den gekrönten Namenszug F. H. wie
„solcher Stern nach seinen natürlichen färben alliier abgebildet
„worden, allergnädigst erlauben, sothanen Stern auf der linken
„Seite dos Kleides zu besonderen distinction und immerwehrren-
„den Andenken Unsers gnädigsten Wohlwollens von nun an zu
„ewigen Zeiten zu tragen.
„Wie Wir denn oftermeldetes adl. Stifft bey diesen Unseren
„demselben verliehenen Gnadens Bezeugung bedirffenden falls
„jederzeit königlich schützen und handhaben wollen.
„Des zu Urkund haben Wir diese Coucession höchst Eigen-
„händig unterschrieben und Unser königliches Tnsiegel daran
„hängen lassen; so geschehen und gegeben in Unserer König-
lichen Residenzstadt Berlin, den 17. Tag Monaths Octobris
„nach Christi Unsers Herrn Geburth im Eintausend Sieben-
hundert Sechs und Siebenzigsten Unser königlichen Regierung
„aber im Sieben und dreysigsten .lahrs."
„gez. Friedrich.
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Zur Geschichte dea Ciatercienaer Jungfrauen- Klosters.
65
(Abbildungen des Ordenszeichens, sowie des ganzen Ilabits der
Stiftsdamen des Klosters Heiligen-Grabe findet man in den Beilagen
zu Joh. Bernoulli's kurzen Reisebeschreibungen Jahrgang 1782 Bd. VII.)
Die Domina Magdalena Marie Uosina von Quitzow war seit
1730 eingekleidet, seit 1741 Conventualin, seit 1790 Domina uud verstarb
am 4. Juni 1802 im 76. Lebensjahre.
Ihr folgte ihre Schwester Eleonore Elisabeth von Quitzow
1802 als Domina. Sie war seit 1730 eingekleidet, ward den 4. Februar
1800 Priorin, und verstarb den 1. Juni 1816 im Alter von 85 Jahren.
Ihr folgte als Äbtissin Henriette Wilhelmine Elisabeth von
Stein wehr, welche am 13. Mai 1843 verstarb.
Sie hatte als Nachfolgerin die später vielfach erwähnte Äbtissin
Katharina Elisabeth Auguste Ernestine Luise von Schierste dt.
Im Jahre 1790 den 16. Dezember wurde endlich auch dem Stifts-
hauptmann bewilligt, den Orden anzulegen.
Durch Allerh. Kabinets-Ordre vom 8. Oktober 1847 wurde den
Stiftsdamen statt des bisherigen Stifts-Ordens das alte Ordenszeichen
des heiligen Grabes zu Jerusalem verliehen. Dasselbe besteht aus einem
achteckigen silbernen Stern mit 5 roten Kreuzen. Die Äbtissin trägt
einen goldenen Stern. An einem breiten schweren Ordensbande mit
Silberstreifen au dem Rande, das von der rechten Schulter zur linken
Hüfte hinabreicht, werden noch 5 rote Kreuze getragen.
Bei festlicher Gelegenheit wird ein weiter, weisser bis auf die
Füsse reichender Schleier angelegt.
Die ursprüngliche Anzahl der 12 Nonnen ausser der Doinina
oder Äbtissin wurde vermutlich schon im 14. Jahrhundert verdoppelt;
und diese Anzahl von 25 Mitgliedern des klösterlichen Convents, jedoch
einschliesslich der Äbtissin oder Domina und der IViorin blieb bis in
das 17. Jahrhundert unverändert fortbestehen. Im Anfange des 17. Jahr-
hunderts wurden jedoch an die Stelle der jüngsten, Major-Präbenden
gesetzt, wodurch der Conveut auf 25 Mitglieder ausser der Doinina an-
wuchs. Von diesen 25 Conventualin neu hatten 23 volle Hebungen oder
Major-Präbenden, und jede ihre eigene Wohnung, die beiden letzteren
genossen nur Minor-Präbendeu, ' welche aus einer geringem jährlichen
Geldhebung bestanden, und womit keine Naturalvorteile und keine eigene
Wohnung verbunden waren. Diese Minoren wurden jedoch dessen-
ungeachtet bei ihrem Autritte, nachdem sie das gewöhnliche Probejahr
im Kloster vorher gehalten hatten, förmlich eingekleidet und introducirt,
hatten gleich jenen 23 Sitz und Stimme auf dem Chor und im Kapitel
und standen jenen in keiner anderen Beziehung nach, als in Rücksicht
auf die Einkünfte. Daher rückten die beiden Besitzerinnen der Minor-
Präbendeu auch ohne alle weitere Feierlichkeit in die höhern Präbenden
nach der Reihenfolge ein, sobald sich solche Urnen erledigten. Diese
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GÜ
Emil von Maltitz, Major z. D.
schon vor dein dreissigjährigen Kriege bestehende Besetzung des Convents
winde auch in den Statuten des Klosters vom 20. Februar 1710 anerkannt.
Die Statuten von 1714 veränderten dieselbe jedoch durch das Zuthun
von zwei neuen Miuor-Prübeuden. Die Domina von Putlitz nahm es in
der Folge sogar über sich, allen Minoren die Hebungen voller Präbenden
zuzugestehen. Bis 1734 wurden daher wirklich ausser der doppelten Prä-
bende der Doinina 27 volle Präbenden aus den Kloster- Revenuen gezahlt.
Nach dem Tode der Domina vereinigten sich indess die sämtlichen
Conventualinnen zu dein unter dem 18. Januar 1734 gefassten Kapitel-
Beschlüsse nach dem Uebertritt der zeitigen Besitzerinnen der 4 letzten
Präbenden, die eigentlich Minor -Präbenden sein sollten, zum Genuss
voller Hebungen, den 4 jüngsten Conventualinnen wieder nur die statuten-
mässigen Minor - Präbenden zu reichen. Unter dem 25. Dezember 1768
und dem 26. April 1760 machte dann aber das Ober-Consistorium bei
Hofe den Vorschlag, noch 4 neue halbe Präbenden bei dem Stifte zu er-
richten, indem das Consistorium aus dem Einnahme-Etat die Mittel dazu
nachwies. Diesem Vorschlage wurde Folge gegeben und 1773 sogar noch
die 32. Stelle hinzugefügt.
Die Präbenden der Stiftsdamen bestanden bis in das 18. Jahr-
hundert grösstenteils aus Naturalien und nur aus sehr geringer Geld-
hebung. Es bekam nämlich
jede Conventualiu jählich an Geld 25 Thlr. und 1 Thlr. von der Domina ;
au Victnalien 1 Wispel Roggen,
1 dito Gerste,
2 Scheffel Buchweitzen,
2 dito weissen Hafer,
2 dito Rauhhafer,
1 dito Weitzel),
1 dito Erbsen,
1 fettes Schwein,
1 Hammel,
17t Scheffel Salz,
22 Pfund Stockfisch und
14 Lot Dorsch.
Noch wurde dem Fräulein von der Domina jährlich an Gewürz u. dgl.
gereicht 1 Quart Wein,
1 Lot Nelken,
1 dito Muskat-Xuss,
1 dito Zimmet,
7. Viertel Pfeiler,
Vi dito Ingwer,
Vi Pfund Rosinen,
V« dito kleine Rosinen,
1 ger. Semmel.
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Zur Geschichte des Cistercienser Jungfrauen ■ Klosters.
67
Ferner wurde von dem Hauptmann den Conventaalinnen jährlich gereicht
and unter dieselben verteilt,
2 Hirsche, 9 Ochsen, 10 Kühe, 8 Schweine, 6 Hammel und
4 Tonnen Heringe, und
von beiden Wollschuren jährlich einer jeden 4 Pfund Wolle und von den
Meier- und Schäfereien nach Advent etwas an Butter und Käse, wenn
die Pacht davon einkam, sowie einige Eier und Pachthühner, welche die
Unterthauen bei den Damen einliefern mussten.
Dabei hatte jedes Fräuleiu jährlich eine Schulzeufuhre, nach ihrer
Bequemlichkeit damit zu reisen, jedoch dass sie in der Saat- und Ernte-
zeit die Schulzen damit verschonen musste.
Die Priorin hatte dagegen eine doppelte Schulzenfuhre. Die
Dom in a hatte in Allem eine doppelte Portion und überdies noch 20 Thlr.
Dienstgeld aus Sarnow von Hans Schültken und Hans Dahlen^
bürg s Höfen, ungleichen
12 Stein Wolle, 2 Scheffel Leinsamen,
welche ihr auf der Meierei nalenbeck gesäet wurden, wogegen sie der
Meierei, welche das gesamte Vieh futterte, 20 Ellen Leinen, und wenn
deren Laken und Betttücher entzwei waren, deren 9 geben musste.
Auch bekam die Domina 6 fette Gänse und
die Priorin 4 Gänse.
Im Anfang des 18. Jahrhunderts wurden diese Naturalhebungen je-
doch allmählich mehr und mehr in Geldhebungen verwandelt und die
Commission von 1714 liess sich mit dem Bestreben, die ärmlichen
Präbenden überhaupt zu erhöhen, zugleich die möglichste Abschaffung
aller Natural-Leistungen angelegen sein.
Die Vollhebung der Conventualinnen, welche die Domina doppelt
genoss, bestand nach den Statuten von l714, ausser in Wohnung, Garten,
Holz und dergleichen
in jährlichen 115 Thlrn,
nebst 12 Scheffel Roggen und
12 dito Gerste.
Als nachher aber die Einkünfte des Stiftes sich vermehrten, be-
sonders durch ansehnlichen Holzvcrkauf Kapitalien angesammelt waren,
so wurden die daraus erwachsenden Mehreinnahmen in der Stille, damit
nicht die in den Statuten von 1714 für den Fall der Vermehrung der
Stifts-Revenuen vorbehaltene Vergrösserung des Convents stattfinde, ohne
höhere Approbation jährlich unter die Conventualinnen verteilt.
Überdies machten sich dieselben eigenmächtig ansehnliche Zulagen
von ihrer Natural-Getreidehebung und bedachten auch den Stiftshauptmanu
von Winterfeld mit einer beträchtlichen Gehalts Vermehrung. Ebenso
eigenmächtig wurde einigen Conventualinnen wegen des Vorsingens be-
sondere Remunerationen ausgesetzt. Diejenigen Kapitalien und Einkünfte,
6*
68
Kuail von Maltitz., Major z. D.
die zum Überschuss gerechnet wurden, kamen niemals in die Hanpt-
rechnung zur Einnahme oder Ausgabe, sondern bildeten eine besondere
Kasse, und wurden jahrlich um Johanni verteilt, daher diese Gelder den
„des Johannis -Termins"
bekamen.
Als dieses statutenwidrige Verfahren aber durch die kommissarfsche
Untersuchung im Jahre 1767 dem Consistorio bekannt wurde, so geschah
demselben sogleich Einhalt, und trat demnächst die schon erwähnte
Erweiterung des Convents ein; doch wurde dabei auch auf die veränderten
Zeitumstände und die gestiegenen Preise aller Dinge billige Rücksicht
genommen, und den Conventualinneu sowohl an ihrer Geldhebung, als an
Naturalien eine Zulage gegeben.
Zur wirklichen Einkleidung und zu dem Genuss einer Präbende im
Stift ist nach einer Königlichen Anordnung vom 15. Juli 1771 sowohl
bei dem vom Könige exspectivirten, als bei den durch Einschreiben von
Seiten des Stifts zur Ascensiou stehenden Personen das zurückgelegte
15. Lebensjahr erforderlich; jedoch treten die früher berechtigten, nur
wegen nicht vollständigen Alters ausgeschlosseneu Personen, wenn sie
das Alter erreicht habeu, den ihnen inzwischen „vortütenen" (vorgetreten eu),
sowohl rücksichtlich der Revenuen, als der Wohnung demnächst wieder vor.
Die Verfassung des Klosters kommt übrigens mit der Verfassung
des Klosters Stepenitz (Riedel, cod. diplom. brandenburg, B. I p. 236)
in den meisten Punkten genau überein.
Das Kloster gehörte dem Orden der Gistercienser an. — Dieser
Orden wurde im Jahre 1098 von Robert zu Citeaux bei Dijon gestiftet.
Der berühmte und gewaltige Abt Bernhard von Clairvaux, der diesem
Orden angehörte, erhob ihn zu. grossem Anselm. Im 13. Jahrhundert
zählte der Orden schon 2000 Mannes- und 6000 Frauenklöster. Die
Gistercienser- Mönche .teilten ihre Zeit zwischen gottesdieustlichen Ver-
richtungen und der Arbeit. Solche arbeitsamen Mönche waren recht
geeignet, die unwirtlichen ( legenden des Wendenlandes zu kultivieren, und
sie haben darin auch Grosses geleistet.
Bei dein hohen Rufe der Heiligkeit, in welchem die Gistercienser
standen, konnte es nicht fehlen, dass zur Entsngung geneigte Frauen
nach einein Leben- unter der Regel dieses Ordens sich sehnten.
Je höher der Ruhin des Ordens stieg, um so zahlreicher wurden
die Gesuche von Fürsten und Adeligen, dein Orden Nonnenklöster ein-
verleiben oder neue nach seiner Regel gründen zu dürfen. Als man sich
anfangs des 13. Jahrhunderts dazu entschloss, verbreiteten sich die
Nonnenklöster mit wissender Schnelligkeit im Abendlande und auch im
Morgenlande. — Das Mittelalter löste durch seine Frauenklöster zugleich
seine Frauenfrage — um mit einem anderen Ausdruck zu sprechen.
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Zur Geschichte des Cistercienser Jungfrauen • Klosters. fJ9
Hatte eine Jungfrau oder Wittwe den Entschluss gefasst, ins Kloster
zu treten, so wurde sie ins Kapitel geführt, und nachdem sie vor der
Äbtissin niedergekniet war, fragte diese:
„Was suchest Du?"
Sie antwortete: „Gottes und Eure Gnade".
Dann stand sie auf. Die Äbtissin hielt nun folgende Ansprache:
„Liebe, bist Du in der Absicht hier, um den heiligen Orden
„anzunehmen und das Ordenskleid zu empfangen und willst Du
„unserm Herrn gern dienen, so musst Du zum Ersten Gott Deine
„Reinheit geloben und Dein Eigentum übergeben, darfst kein Gut
„ohne den Willen Deiner Oberin haben und musst Deiner Oberin
„in jedem Stück gehorsam sein. Auch musst Du Dein Wesen um-
wandeln, demütig sein und gelassen in Worten und Werken,
„musst alle Deine Arbeit treulich nach allen Deinen Kräften thun.
„Aus diesem Kloster darfst Du nicht gehen, ausser wo es zum
„Nutzen desselben geschieht und dann auch nur mit Urlaub. Im
„Chor, Schlafsaal und im Kreuzgang musst Du Schweigen
„beobachten und die bestimmten Zeiten im Gebet zubringen."
Nach dieser Annahme musste sie als Schwester ein Probejahr durch-
machen. War dieses zu Ende, so kam der Vaterabt — der Visitator
und Vorgesetzte des Klosters — , um sie ordentlich aufzunehmen.
Mit dem Gesänge: „Komm hcil'ger Geist — " begann die Feier.
Singend: „Prüfe mich, Herr, und versuche mich, läutere meine Nieren
und mein Herz" (Ps. 26,2) trat die Nonne vor den. Altar, machte ein
Kreuz, neigte sich und legte den Professbrief auf den Altar.
Derselbe lautete:
„Ich verspreche Euch — dem Vaterabt, der Äbtissin und
„Euren Nachfolgern in allen göttlichen, ordentlichen und redlichen
„Sachen gehorsam zu sein, und ein keusches, reines und wohl-
„berüchtigtes Leben zu führen. Und würde ich hierin gebrechlich
„gefunden, dann will ich darum die gesetzliche Pönitenz leiden
„und mich bessern. Würde mir ein Amt von dem Kloster über-
tragen, so will ich das zu des Klosters Nutzen treulich führen.
„So helfe mir Gott und seine Heiligen".
Dann trat sie zu den Altarstufen zurück und sang dreimal „Nimm
mich an", warf sich dann vor dem Altar nieder, während der Chor der
Jungfrauen sang: „Herr sei mir gnädig'*. Der Abt weihte nun das
Ordenskleid, indem er betete:
„Herr Gott, Geber aller guten Gaben und Spender alles Segens,
„wir bitten Dich inbrünstig, Du wollest dies Gewand, welches
„Deine Magd zum Zeichen Deines Dienstes anziehen will, segnen
„und heiligen, damit sie unter den übrigen Frauen erkannt werde,
„als Dir geweiht.'*
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70
Emil vou Maltitz, Major i. D.
Dann besprengte er das Gewand und die Nonne mit Weihwasser,
nahm den Kopfschmuck vom Haupte und schor ein wenig vom Haupt-
haare ab. Nachher zog er ihr das weltliche Kleid aus, indem er sprach :
„Es ziehe der Herr Dir den alten Menschen aus mit seinem
„Wesen".
Darauf that er ihr das Ordensgewand an und legte den Schleier
auf ihr Haupt, indem er sprach:
„Der Herr ziehe Dir den neuen Menschen an, der nach Gott
„geschaffen ist in rechtschaffener Gerechtigkeit und Heiligkeit".
Während nun die neue Nonne an den Stufen des Altars kniete,
sang der Chor:
„Gieb Segen Deiner Magd", und der Abt betete: „Nimm, o Herr,
„Deine Magd auf unter die Zahl Deiner Gläubigen, und da wir
„sie in unsere Gemeinschaft aufgenommen haben, so gieb ihr
„Beständigkeit auszuharren und Gnade, zur ewigen Seligkeit zu
„gelangen".
Die Communion beschloss die Feier.
Nach der Reformation änderte sich diese Ceremonie confessions-
gemäss, so dass das Gelübde, womit die Novizen nach Ablegung des
Probejahrs sich mit ihrer öffentlichen Vorstellung auf dem Chor und der
Leistung des Handschlages der Domina verwandt machen mussten, nach
den Statuten von 1710 folgendermassen lautete:
„Ich promittiere und verspreche Gehorsam, schuldige Reverenz
„und Ehrerbietung im Angesicht Gottes, Euch der hoch würdigen,
„hochedlen und andächtigen N. N. dieses jungfräulichen Klosters
„zum Heiligen -Grabe, so Gott zu Ehren und dem jungfräulichen
„Stande erbauet, wohlverordneten Dominae".
Die vorgeschriebenen Cistercienser- Regeln mussten auch in den
Cistercienser -Nonnenklöstern aufs Gewissenhafteste beobachtet werden.
Die Hauptbeschäftigung der Klosterfrauen war Gebet, Teilnahme am
Gottesdienste und Versenkung in die Geheimnisse des christlichen
Glanbens. Aber die Nonnen beschäftigten sich auch sonst noch. Da sie
in der Regel die Mauern des Klosters nicht verlassen durften, 60 be-
schränkte sich die Beschäftigung im Freien auf die Arbeit in den Kloster-
gärten, die — wie das noch heute in Heil igen- Grabe der Fall ist, —
von hohen Mauern umschlossen waren und nur vom Klosterhofe ans Zu-
gänge hatten. Vorzugsweise beschäftigten sich die Nonnen mit Hand-
arbeiten; ihre Stickereien wurden sehr gerühmt. Sie wählten dazu nur
heilige Gegenstände aus dem Alten und Neuen Testamente, um mit ihnen
die heiligen Altäre zu schmücken und die Anbetung Gottes zu fördern. —
Die Eintrittsgebühren bestanden ausser in einem Einbringen an Betten
und Leinenzeug, in 109 Thalern; die Häuser der ausser dein Kreuzgange
wohnenden Conventualiunen waren auch hier eigentlich Privateigentum,
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Zur Geschichte des Cistercienser Jungfrauen Klosters.
71
wie zu Stepnitz, und mussten von den Bewohnerinnen gebaut und ge-
bessert werden; doch übernahm das Kloster im Jahre 1710 gleichfalls
die Bauten an Kellern, Wänden und Dächern. Von den durch die Con-
ventualinnen bestrittenen Baukosten wohnten dieselben jährlich den
vierzigsten Teil ab; was nach ihrem Abgänge übrig blieb, musste die
Nachfolgerin ausbezahlen.
Von bemerkenswerten Veränderungen in den früheren Besitzungen
des Klosters, die sich seit den Zeiten der Reformation ereignet hätten,
liegen in unsern Quellen keine Nachrichten vor. Nur das scheint in
dieser Beziehung erwähnungswert, dass George von Rohr und Caspar
Köne von Burghagen den 9. November 1650 dem Kloster die Feld-
mark Veltenhagen für 4000 Gulden verkauften. Unter dem 4. Juni 1652
wurde auch der lehnsherrliche Consens des Kurfürsten zu dieser Ver-
äussemng erteilt, jedoch die Lehnseigenschaft der Feldmark nicht auf-
gehoben. Das Stift musste daher die Bclehnung mit diesem Gute suchen,
und da diese später versäumt wurde, im Jahre 1685 um Verzeihung
seines Lehnsfehlers bitten. Diese wurde ihm unter dem 11. Januar 1685
zu teil, auch den 3. März desselben Jahres dem Stiftshauptmann von
Karstedt die Belehnung erteilt. Bei der bald darauf erfolgten Regierungs-
veränderung wurde das Lehn zwar von neuem gemutet, die nachherige
ordentliche Belehnung aber wieder versäumt. Letzteres kam 1710 zur
Sprache, worauf der begangene Lehnsfehler zwar nochmals verziehen,
aber die Bclehnung unter der Bedingung erteilt wurde,
„dass hinführo der jetzige Hauptmann des Klosters nicht mehr
„das Lehn tragen noch verfolgen, sondern damit possibilitas der
„Caducität existiren möge, entweder durch das Geschlecht des
»jetzigen Hauptmanns a. D. der von Rohr, oder einem anderen,
„welchen Wir (nb. der König) praesentiren werden, und durch
„dessen ersten Lehnsträgers Descendenten, nicht aber collaterales,
„dieses Lehn von Fällen zu Fällen verfolgt werden sollte."
Gegen diese Einrichtung verwandte sich zwar der Convent mit
dringenden Bitten, es bei der alten Observanz und bei dem im Edikt
vom 25. März 1685 bestätigten Herkommen, dass nur die Domina das
Lehn trage, bewenden zu lassen. Doch wurde dadurch nichts Anderes
erreicht, als dass dem Stifte durch die Königliche Resolution vom
5. März 1711 die Versicherung gegeben wurde, dass, wenn die erwähnte
Feldmark einmal zur Apertur kommen, und vom Könige einem andern
Vasallen verliehen werden sollte, alsdann dieser gehalten sein werde, dem
Stifte den für das Lehn gezahlten Kaufpreis zu restituiren.
(Diese Urkunden-Sammlung zum Stift Heiligen-Grabe aus dem Archiv
des Stifts daselbst entnommen; Riedel B. I von pag. 463 - 479.)
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Emil von Maltitz, Major z. D.
Kloster und Ruinen Heiligen - Grabe bei Wittstock.
Bruchstück aus einem Reisetagebuch des Professors Riedel.
(Märkische Forsc hungen B. I pag. 165.)
In dem zwischen der Elbe und der Oder belegenen Teile der Kur-
mark Brandenburg ist die Priegnitz, sowie an mannigfaltigen Spuren des
Altertums auch an alten Klostergebäuden, Burggebäuden und altertüm-
lichen Befestigungswerken der Städte besonders reich; während dagegen
die Überbleibsel der Vorzeit in keinem Teile der Mark Brandenburg in
dem Grade mangeln, als in der Mittelmark, wo das moderne Leben, was
sich von der Residenz aus verbreitet, die Spuren des Altertums am
meisten verwischt hat. Nach Burgruinen, welche nur in das 13. und
\i. Jahrhundert zurückreichen, sucht man in einem ziemlich weiten Um-
kreise um die Residenzstadt vergebens : die Stadtmauern von Mittenwalde
sind fast die einzigen noch wohl erhaltenen Umwehrungen einer mittel-
märkischen Stadt, und von den vielen geistlichen Stiften der Mittelmark
zeigen eigentlich nur Leitzkav und Lehnin noch ansehnliche Uberreste.
Dagegen bestehen in dem nördlichen Teile der Kurmark Brandenburg,
nämlich in der Priegnitz, in der Ukermark und in der Herrschaft Ruppin
nicht nur noch jetzt 4 stattliche Klöster aus der Zeit des 13. Jahrhunderts
her in der Form von adligen Fräuleinstiften, sondern auch zahlreiche
Ruinen von anderen in der kirchlichen Reformation eingezogenen geistlichen
Stiftungen, sowie von alten landesherrlichen und Ritterburgen führen hier
in die ältesten Zeiträume der Geschichte dieses Landes zurück. Selbst
die Städte dieser Gegenden sind noch meistens mit ihren altertümlichen
Befestigungswerken ganz oder zum Teil umgeben und gewähren mit
ihren Mauern und Wallgräben, mit ihren Warttürmen und Thortürmen,
Wykhäusern und sonstigen mittelalterlichen Schutzwehren interessante
Denkmale vorzeitiger Verhältnisse.
Heiligen-Grab e ist von den noch gegenwärtig bestehenden vier
Klöstern zwar nicht das älteste, aber das bedeutendste.
Es wurde im Jahre 1287 bei dem Dorfe Techow zwischen Witt-
stock und Pritzwalk durch den Markgrafen Otto den Langen gestiftet,
nachdem der Sage zufolge die Misshandlung einer geweihten Hostie
durch einen Juden, welche nach der Entdeckung des Frevels hier feierlich
begraben wurde und demnächst wunderthätig wirkte, dazu Veranlassung
gegeben hatte.
Das Stift liegt in einem reizenden von Bächen und Teichen durch-
zogenen und von mannigfaltigen Waldgruppierungen umgebenen Wiesen-
Thale und sehr abgeschieden von der Aussenwelt. Jede der beiden
nächsten Städte ist zwei Meilen vom Kloster entlegen; selbst das Dorf
Techow liegt noch eine ziemliche Strecke vom Kloster entfernt und durch
Gärten davon getrennt. Diese umschliesst eine weitausgedehnte Kloster-
niaiier mit dem eigentlichen Klostergebäude, mehreren Wohnhäusern der
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Zur Geschichte des Cistercienser Jungfrauen • Klosters.
73
Conventualinnen, der Stiftsbauptmannschaft , der Klosterkirche, der
Heil igen -Grabes-Kapelle, dem Klostervorwerke und anderen
Gebäuden.
Die Gebäude des alten Klosters zu Heiligen-Grabe sind sehr
sehenswert und dürften wohl merkwürdiger als die den Freunden vater-
ländischer Altertümer gewöhnlich bekannten Ruinen von Lehnin und
Chorin sein; denn Heiligen-Grabe ist das einzige Kloster in der Kur-
mark, dessen Gebäude noch vollständig erhalten sind. Nun gewahrt man
aber bei Vergleichung der verschiedenen, von Märkischen Klöstern er-
haltenen Ruinen sehr leicht, dass bei Weitem die meisten gleichsam nach
einem Plane angelegt sind. In allen übrigen, von Märkischen Klöstern
erhaltenen Ruinen findet man nur mehr oder minder deutlich das Bild
des Klosters Heiligen-Grabe wieder vor. Die Betrachtung dieser
Klostergebäude giebt daher die beste Anleitung sich in Märkischen
Klosterruinen überhaupt zurecht zu finden.
Das älteste Gebäude des Ortes ist indessen nicht das eigentliche
Kloster, sondern die der Einfahrt etwas nähere, den Hauptgebäuden des
Klosters abgesonderte Grabkapelle. Die in der Sage erwähnten
zwölf Nonnen aus dem Cistercienser-Kloster Neuendorf in der
Altmark Hessen sich zunächst in dem Dorfe Techow nieder, bauten aber
sofort diese Kapelle über den Ort, wo das heilige Blut seine Wunder
that, und bildeten darin das Heilige Grab nach. Daher Kloster „zum
Heiligen-Grabe*. Sie ist von Backsteinen erbaut, in Vergleich mit
der gewöhnlichen Grösse von solchen Klosterkapellen, sowohl von ausser-
ordentlicher Höhe, als von ungewöhnlicher Ausdehnung. Man sieht, es
ist darauf gerechnet, dass die Kapelle eine grosse Menge von Ver-
ehrern des Heiligtums auf einmal aufzunehmen vermöge. Äusserlich ist
die Kapelle mit ausserge wohnlich schönen Giebeln geziert der Art, wie
man sie bei Gebäuden der Mark selten, doch öfters in den ihr südlich
benachbarten Ländern, z. B. an den Wohngebäuden des Abts zu Zinna,
und an dem schönen Rathause zu Zerbst erhalten, antrifft. Wie diese
schönen Giebel der Kapelle auf den Baustil der Gegend eingewirkt, er-
kennt man aber aus dem Umstände, dass in dieser Gegend viele sonst
in gewöhnlicher einfachen Weise aufgeführten Landkirchen, namentlich
von Heiligen-Grabe aus gegen Putlitz und Freienstein hiu, mit Giebeln
im Character der Giebel dieser Grabkapelle verziert sind. Auch bei dem
erst 1520 vollendeten Bau der ausserordentlich schönen Kirche zu Alt-
Krüssow, welche dieser Ort den Wallfahrten zu einem dortigen wunder-
tätigen St. Annen- oder Marienbilde verdankt, die bis zu den Zeiten der
Reformation fortgesetzt wurden, scheint die Grabkapelle noch zum Vor-
bild gedient zu haben.
Im Innern der Kapelle in den Aussenwänden der Chöre hat sehr
alte Malerei die Legende bildlich dargestellt, wie der Jude aus Meissen
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74
Emil von Maltitz, Major z. D.
die geweihte Hostie aus der Kirche zu Techow stahl, wie er sie auf der
Stelle, wo jetzt die Kapelle, ehemals aber ein Galgen stand, zerrieb und
blutend unter Schmähungen einscharrte, wie die Schlauheit eines Pritz-
walker Bürgers, welcher sich als Geistlicher verkleidete, dem Juden das
Geständnis der Frevelthat ablockte, wie der Jude dann hingerichtet, die
Hostie aber von Pritzwalk, wohin sie anfangs gebracht war, mit grossem
Gepränge nach ihrem Fundorte zurückgebracht wurde, wie der Bischof
Heinrich von llavelberg von seinem in die Wunderkraft der Hostie
gesetzten Zweifel durch eine Krankheit, welche ihn beim beabsichtigten
Vorbeiziehen vor dieser Stelle überfiel und hier des Heiligtums zu ge-
denken zwang, durch die Kraft des heiligen Blutes geheilt wurde, wie
der Markgraf Otto der Lange, indem er ein Jagdschloss statt eines
Klosters hier zu errichten beabsichtigte, und von den hier durch Gläubige
bereits zusammengebrachten Opfern seine Tafel bestellen Hess, durch die
Verwandlung der Speisen in Blut und durch eine nächtliche Vision zur
Gründung des Klosters aufgefordert wurde, u. s. w., wie solche im Ver-
folg der Legende.
In späterer Zeit stand die Kapelle zum Heiligen-Grabe unbenutzt;
endlich wurde sie sogar als Kornspeicher gebraucht. —
Der hochselige König Friedrich Wilhelm IV. interessierte sich bei
seiner Anwesenheit im Stift für den schönen mittelalterlichen Bau; er
Hess die Kapelle im Innern würdig restaurieren und durch den General-
Superintendenten Dr. Hoffmann im Jahre 1855 neu weihen zum gottes-
dienstlichen Gebrauch. Der König selbst war bei der Feier zugegen.
An der Stelle des „Heiligen Grabes" erhebt sich nun der Altar der
Kapelle.
Solche Erläuterungen der Sagen von der Stiftung des Klosters durch
bildliche Darstellungen waren in frühern Zeiten sehr gewöhnlich. Dahin
gehört z. B. die bis in das 18. Jahrhundert erhaltene Vorstellung der
Fundation des Bistums Havelberg durch Kaiser Otto in einem Saale
der bischöflichen Burg zu Wittstock.
Wahrscheinlich sind auch die beiden bekannten in der Klosterkirche
zu Lehnin aufbewahrten alten Tafeln von der Ermordung des ersten
Abtes Siboldus, der versuchten Auswanderung der Mönche und der
Erscheinung der Jungfrau Maria mit dem Christuskinde, welche sie zur
Rückkehr aufforderte, nur Bruchstücke solcher altertümlichen, in den
Klöstern häufig anzutreffenden, in Bildern dargestellten Geschichts-
erzählungen der ersten Schicksale des Stiftes. Denn selbst bis in die
neuere Zeit hinab erstreckte sich die alte Sitte, den Akt der Gründung
solcher Stiftungen durch die Sprache des Pinsels zu beschreiben, wie
namentlich Pinacker's schönes, bis jetzt zii wenig beachtetes Gemälde
zeigt, wodurch des Grossen Kurfürten Stiftung des Waisenhauses zu
Oranienburg verherrlicht, und welches dort im Waisenhause zu sehen ist.
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Zur Geschichte des Cißtercienser Jungfrauen -Klosters.
75
Ganz ähnlich den Chor-Gemälden von Heiligen-Grabe sind aber
im Umfange der Priegnitz selbst, die in das 14. Jahrhundert gehörigen
bildlichen Darstellungen der Geschichte des Wilsnacker Wunderlandes an
dem Chore in der Kirche zu Wilsnack. Auch hier ist die ganze be-
kannt« Sage von der Einäscherung der dortigen Pfarrkirche, der blutigen
in der Asche gefundenen Hostie und von den Wundern, welche dieselben
wirkten, in einer Reihe von vielen, die einzelnen Scenen vor Augen
führenden Gemälden dargestellt. Diese Gemälde sind zwar der Gegen-
wart noch erhalten, aber bei der Baufälligkeit der Chöre, welche deren
baldige Erneuerung erwarten lässt, in der höchsten Gefahr des Unter-
ganges. Da der — ohnehin durch das grossartige Gebäude der Pfarr-
kirche zu Wilsnack ungewöhnlich beschwerte adlige Patron — Fritz
von Saldern — dasselbe — sich schwerlich veranlasst fühlen dürfte,
kostbare Anstalten zur Conservation der wurmstichigen Bretter, welche
von diesen Gemälden überdeckt sind, zu treffen.
Was sonst das Innere unserer Kapelle des Heiligen-Grabes
betrifft, so ist die freie Ansicht dessolben seit längerer Zeit durch die
Einrichtung einer Zwischendecke und dergleichen mehreren Anstalten ge-
raubt; denn seit langer Zeit war diese ehemals frommer Andacht ge-
widmete Stätte zu gemeinem Wirtschaftsgebrauche bestimmt, welcher
dergleichen Eingebäude erforderlich machte. Doch die Sorgfalt, womit
der zeitige Stiftshauptmann und Ritterschaftsrat von Avemann für die
Conservation und Herstellung aller altertümlichen Zierden des ihm an-
vertrauten Stiftes bemüht war, lässt zuverlässig die bald erfolgende
Hinwegräumung auch dieser Verunstaltung der gedachten Kapelle er-
warten, — wenn solche nicht vielleicht in dieser Zeit, seitdem der Bericht-
erstatter selbige nicht gesehen, schon vorgenommen sein sollte.
Das eigentliche Kloster mit der Klosterkirche liegt einige
Schritte entfernt von dieser Kapelle. Es bildet ein aus Backsteinen auf-
geführtes Viereck, wovon die eine (östliche) Seite durch die Klosterkirche,
die andern drei Seiten durch die ehemaligen Wohnungen der Nonnen und
des Convents eingenommen werden. Diese Gebäude umschliessen einen
geräumigen Klosterhof. Ein breiter Kreuzgang mit schöner Wölbung
läuft im Innern des Klostergebäudes an allen vier Flügeln hin und um-
giebt zugleich den innern Klosterhof, die Begräbnisstätte der Nonnen. —
Im Innern des Gebäudes sind die Zellen verschwunden; sie sind zu
wohnlichen Sälen, Zimmern und Schulräumen ausgebaut, denn eine
fröhliche Kinderschar tummelt sich jetzt in den Räumen und Gängen,
wo früher die schweigsamen Nonnen in düsterer Tracht umhergingen.
Im obern Stock ist ebenfalls ein Gang, der jedoch ungewölbt und zum
Teil mit einem Getäfel, was Spuren sehr alter Malerei zeigt, bedeckt,
auch wegen neuerer Einbauten nicht mehr ganz erhalten ist. Von diesen
Gängen begab man sich in die Zellen, welche jetzt meistens nicht mehr
von den Stiftsdamen bewohnt werden.
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Emi! von Maltitz, Major z. D.
In dem untern Gange sind einige Begräbnissteine alter
Äbtissinnen und Stiftshauptleute. Die Inschriften derselben hat jedoch
der Fusstritt zerstört. Auffallend ist unter denselben besonders ein Stein
von ausserordentlicher Länge und Breite, der unmittelbar vor dem Ein-
gange zu einer Zelle liegt, und zwei Begräbnisse zu decken scheint. Auf
demselben sieht man die Umrisse von den Bildnissen zweier geharnischter
Ritter mit einer Umschrift, welche die Namen und die Veranlassung des
Todes dieser Ritter angegeben haben soll, von der jedoch jetzt nur noch
an einer Ecke die Jahrzahl „MCCCCXXXI« zu lesen ist. Die Sage er-
gänzt aber die Inschrift also:
„Zwei Ritter liebten eine dem Himmel geweihte Jungfrau, welche
„in dieser Zelle wohnte; beide gleich hoffnungslos, gaben sich
„hier gegenseitig den Tod, wo der Convent ihnen mit weiblicher
„Milde verzeihend, wenigstens eine Begräbnisstätte verstattete".
Jetzt wohnen die Stiftsdamen meistens in kleinen Häusern hinter
dem Kloster und stehen die Zellen zum Teil unbewohnt. So wohnte
z. B. Dorothea Anna Charlotte Gottliebe von Zieten a. d. II. Gross-
Gotsehow zur Miete im Stift Heiligen-Grabe, und starb hierselbst
den 29. Juli 1813 in einem Alter von 53 Jahren. Doch die Gebäude sind
wohl erhalten und nach Hinwegräumung von allerhand Vorgebäuden,
welche die freie Ansicht beschränkten, bieten sich die alten Spitzbogen
der Kreuzgänge in grosser Schönheit noch vollständig dem Blicke dar.
Die Kirche ist ein ebenfalls schön gewölbtes geräumiges Gebäude,
jedoch ohne sonderlichen Merkwürdigkeiten. Ihr grosser Umfang erklärt
sich aus der Menge von Fremden, welche ehemals hier an hohen Fest-
und Feiertagen zusammen kamen, und aus der grossen Anzahl von
einzelnen Altären, welche darin betanden. Jetzt ist sie freilich für das
Bedürfnis der kleinen Gemeinde, zu deren Gottesdienst sie gebraucht
wird, viel zu gross.
Altäre, deren in den Urkunden gedacht wird, waren namentlich:
ein Altar der Familie von Predöhl und
ein Frühmessen-Altar nach einer Urkunde von 1420;
ein Altar der Jungfrau Maria und des Evangelisten Johannes,
den Conrad von Plate n gestiftet hatte, und dessen im Jahre
1351 gedacht wird, und - •
ein Altar der Familie von Rohr, der zu Ehren der Apostel Petrus
und Paulus geweiht war, dessen 1468 Erwähnung geschieht.
Diese bestanden in der Pfarrkirche.
Ausserdem gab es aber auch in der Kapelle eigene Nebenaltäre, z. B.
nach einer Urkunde von 1386 einen Marien- und Johannis- Altar.
Nach dec Reformation sind diese Altäre vermutlich bald aus der
Kirche entfert worden, und jetzt findet sich keine Spur ihres ehemaligen
Vorhanden mehr.
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Zur Geschichte des Cistercienser Jungfrauen-Klosters.
77
Dagegen steht noch eine kleine, in den Klosterhof hineingebante
Kapelle, welche unmittelbar mit der Klosterkirche zusammenhängt und
jetzt als Aufbewahrungsort eines reichhaltigen Archives des Klosters
benutzt wird.
Auf der andern Seite der Kirche ist die Ruhestätte der Entschlafenen,
der Klosterkirchhof. Die ehemalige Probstei — die jetzt Stifts-
hauptmanuswohnung — mit den Wirtschaftsgebäuden, ist einige Schritte
vom Kloster entfernt.
Der Zeit nach gehört die Erbauung der Kapelle des Heiligen-
Grabes wahrscheinlich in das 13.,
Der Bau des Klostorgebäudes und der Klosterkirche in das
U. Jahrhundert.
Es lag nämlich diese Kapelle eine ziemliche Strecke vom Dorfe
Techow entfernt, überdies war es in Tcchow auch zu einer abgeschlossen
klösterlichen Einrichtung nicht gekommen, so dass man an den Bau
eines Klosters nahe jener Grabkapelle ging. Uni 1317 muss dieser Bau
begonnen sein. Während bis dahin nur der Name „K loste r Techow"
vorkommt, tritt nun die Bezeichnung „Kloster zum Heiligen-Grube
in Techow" auf. 1819 verspricht — nach einer alten Urkunde im
Stifts-Archiv — die Familie von G üblen zum Heile ihrer Seelen 76 Mark
Silber zum Bau des Klosters zum Heiligen Grabe herzugeben. Man
führte dergleichen Bauten damals nicht so schnell auf, wie in neuerer
Zeit; sondern baute, gewöhnlich mit Unterbrechungen, Jahrzehnte daran
fort, sowie unentgeltliche Hilfeleistungen, unentgeltliche Hergabe von
Materialien oder Geldspenden frommer Wohlthäter die Fortsetzung ge-
statteten. Wenn daher gleich schon im Jahre 1287 oder 1289 der Anfang
mit der Errichtung des Klosters gemacht worden ist, so kann doch sehr
wohl sein, dass selbiges erst nach 50 oder 100 Jahren vollendet wurde.
Das Jahr 1803 war verhängnissvoll für die Bistümer, Klöster und
geistlichen Stifte in Deutschland. Im Frieden zu Luneville 1801 inusste
das linke Rhein-Ufer an Frankreich abgetreten werden: zugleich wurde
hier stipuliert, dass die deutschen Fürsten für die am linken Rhein-Ufer
abgetretenen Gebietsteile sich schadlos halten sollten durch die Media-
tisieruug der kleineren Reichsfürsten und der Reichsstädte und durch die
Säcularisierung der geistlichen Güter. Durch den am 25. Februar 1803
erfolgten Reichsdeputations-Hauptsehluss wurde die Säcularisierung in
Vollzug gesetzt. Preussen wurde dadurch «las Recht beigelegt, alle in
seinem Gebiete liegenden Bistümer und Stifte einzuziehen. — Indess
blieben die evangelischen Frauenstifte bestehen: unter ihnen auch
Heiligen -Grabe. In der bezüglichen ;m das Stift Heiligen -Grabe
unter dem 5. Dezember 1805 erlassenen Kabiuets-Ordre heisst es:
„Von Gottes Gnaden Friedrich Wilhelm König von Preussen etc.
„Unsern gnädigen Gruss zuvor. Würdige und Andächtige, Liebe,
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Emil von Maltitz, Major t D.
„Besondere. Obwohl Wir durch den Reichs-Deputations-Schluss
„die Befugnis erhalten haben, die Stifte in allen Unsern alten,
„mit dem Deutschen Reiche in Verhältnis stehenden Landen
„aufzuheben, so haben Wir dennoch Uns allergnädigst entschlossen,
„solche fortdauern zu lassen, jedoch Uns das Recht vorbehalten,
„die bisherige Verfassung zu modificieren". —
Diese Modifikation bestand unter anderem darin, dass der König je
zwei Stiftsstellen besetzte, sich bei der dritten das Recht der ersten Bitte
vorbehielt, ausserdem das Recht auf die Vorschläge des Kapitels zur
dritten Stelle nach Befinden Rücksicht zu nehmen. Ausserdem wird be-
stimmt, dass fortan nicht allein au Damen lutherischer Confession
— wie bisher — sondern auch an solche reform irten Bekenntnisses
Stiftsstellen im Stifte verliehen werden sollen.
Als durch den unglücklichen Krieg mit Frankreich 1806/1807 uud
durch die zu leistenden Kriegs -Contributioneu die Finanzen des Staates
aufs äusserste erschöpft waren, sah sich der König Friedrich Wilhelm III.
genötigt, durch Edikt vom 30. October 1810 zu verfügen:
„Alle Klöster, Dom- und andere Stifte, Collegen und Kommenden
„werden von jetzt ab als Staatsgüter betrachtet Über die pro-
testantischen, weiblichen Stifte aber wird bestimmt, dass in den
„Verhältnissen derselben nichts geändert, sondern sie in ihrem
„Wesen erhalten bleiben sollen".
Indess verlor das Stifts -Capitel das — freilich sehr bedingte —
Vorschlagsrecht zur dritten Stelle. Alle Präbonden wurden von Sr. Majestät
vergeben und dabei ist es seitdem verblieben.
In den äussern Verhältnissen des Stifts traten in jenen Zeiten noch
weitere, bedeutende Veränderungen ein. Auf Grund des Gesetzes vom
14. September 1811 erhielten die Bauern der dem Stifte zugehörigen
Dörfer die freie Verfügung über ihren Grundbesitz; die an das Kloster
zu leistenden Hand-, Spann- und andere Frohndienste und Abgaben
wurden abgelöst.
Der Besitz des Stiftes beschränkte sich von nun an auf die drei
gutsherrlichen, dem Stifte gehörigen Rittergüter mit einem Vorwerk uud
auf die Kapitalien, die dem Stifte durch die eben erwähnten Ablösungen
zuflössen. So bestanden die Verhältnisse des Stiftes bis in die vierziger
Jahre fort, dann fanden neue Veränderungen statt.
Der hochselige König Friedrich Wilhelm IV., der in lebendigem
Interesse für die Kirche und kirchlichen Stiftungen das aus alter Zeit
noch als lebensfähig Vorgefundene zu erhalten, das Veraltete zeitgemäss
zu reformieren und mit dem Geiste christlichen, evangelischen Lebens zu
erfüllen suchte, wandte dem Stifte Heiligen - Grabe besonderes
Interesse zu. Die thatkraftige, mit christlichem Geiste und Sinn erfüllte
Äbtissin von Schierstädt, von der wir noch später einiges erfahren
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Zur Geschichte <les Cisteroienser Jungfrauen Klosters.
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werden, und die im Jahre 1843 zur Äbtissin erwählt worden war, kam
dein Könige in dem Streben, die Verfassung des Stifts in dem auge-
deuteten Sinne neu zu gestalten, willig entgegen. Nach eingehender
Prüfung der Stifts -Verhältnisse wurde beschlossen, die Revenuen- Über-
schüsse des Stifts zu Werken christlicher Liebe im Dienste der Kirche
zu verwenden. Der König besuchte wiederholt das Stift und wandte den
.Stifts-Angelegenheiten ein lebendiges Interesso zu. Unter dein 11. Üctober
1853 erschien eine Königliche Kabinets-Ordre, in welcher es unter
Auderem heisst:
„Ich habe Mich bewogen gefunden, unter Berücksichtigung des
„kirchlichen Ursprungs und Charakters des Klosters zum
„Heiligen-Grabe — dieser von Meinen in Gott ruhenden Vor-
„fahren gegründeten, frommen Stiftung durch Emanation eines
„neuen Statuts wiederum eine solche Einrichtung und Verfassung
„zu geben, dass die Dienste der in das Kloster aufgenommenen
„Frauen und die aus der Vermögens-Verwaltung desselben auf-
kommenden Überschusse fortan dauernd zu christlichen Liebes-
„zweeken gewidmet sein sollen. Um aber den rechtlichen
„Charakter des Klosters als einer Anstalt der evangelischen
„Kirche für alle Folgezeit sicher zu stellen, habe Ich ferner be-
schlossen, die Aufsicht über dasselbe dem Evangelischen Ober-
„kirchenrate zu übertragen".
Nach Massgabe dieser Allerhöchsten Ordre wurden nun die Statuten
von 1714 in verschiedenen Punkten geändert, so dass die Stifts-Ver-
hältnisse in folgender Weise geordnet wurden:
Die oberste Verwaltungsbehörde des Stiftes bildet der
Evangelische Oberkirchenrat, der in wichtigen Fällen die Entscheidung
Se. Majestät des Königs einzuholen hat. Der Evangelische Oberkirchen rat
hat ein aus drei Mitgliedern bestehendes Kuratorium gebildet, welches
zunächst mit der Verwaltung der Stiftsangelegen heiten betraut ist. Zwei
Mitglieder desselben gehören dem Evangelischen Oberkirchenrat, eins dem
Ministerium des Innern an.
Die Stiftshauptinannschaft war eine Zeitlang aufgehoben und
die Verwaltung der äussern Stifts -Angelegenheit führten zwei Stifts-
Vorsteher, welche schon in frühern Zeiten zur Stiftsverwaltung gehörten.
Durch die Allerhöchste Kabinets-Ordre vom 31. Mai 1881 ward dem-
nächst unter Beseitigung der Stifts -Vorsteher von Neuem ein Stifts -
Hauptmann eingesetzt, — zunäch der Landgerichts-Präsident Petrenz
in Neu-Ruppin, 1884 Magdeburg — und unter wesentlicher Beschränkung
der Rechte des Kapitels, der Äbtissin unter Zuziehung des Stiftshauptmanns
bei gewissen wichtigeren Geschäften im Wesentlichen die Verwaltung
des Stift-Vermögens übertragen.
Zugleich wurde die Stelle eines Stift-Probstes wiederhergestellt,
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Emil von Maltitx, Major z. D.
aber die Funktionen desselben auf die inneren Angelegenheiten des Stifts
beschränkt. — Das Kapitel nebst der Äbtissin ist an den Beirat des
Probstes in allen Angelegenheiten, welche die wohlthätigen Anstalten,
die Besetzung der unter dein Stifts - Patronate stehenden Pfarr- und
Schulstellen, und welche das Verhältnis der Äbtissin zum Convente be-
treffen, gebunden. Derselbe hat feiner, so oft er im Stifte anwesend ist,
das Recht der Predigt und Seelsorge. Der Probst soll ein angesehener
Geistlicher der Landeskirche sein.
Das Stifts-Kapitel besteht aus der Äbtissin und den Conventua-
linnen, die im Stifte wohnen. Ihre Zahl betrug im Jahre 1884 zwölf.
Die übrigen vierzehn Stiftsdamen, welche Präbenden beziehen, wohnen
ausserhalb des Stiftes, üben aber keine Rechte in Bezug auf die Stifts- Ver-
waltuug aus. Wenn eine Conventualin ernannt ist, so wird sie — in-
sonderheit wenn sie im Stift Wohnung nehmen will — auf feierliche
Weise und unter specieller Verpflichtung zum Gehorsam gegen die
Kloster - Ordnung von der Äbtissin in Gegenwart des Kapitels aufge-
nommen.
Das der Äbtissin speciell geleistete Gelöbnis — das in die Hand
derselben abgelegt wird — lautet:
„Ich N. N. promittire und verspreche willigen Gehorsam,
„schuldige Reverenz und Ehrerbietung im Angesichte Gottes Euch
„der Hochwfirdigen , Hoehedelen und Andächtigen N. N. dieses
„jungfräulichen Klosters zum lleiligen-Grabe — so Gott zu Ehren
„und dem jungfräulichen Stande erbaut ist — wohlverordneten
„Äbtissin*.
Der Aufnahme schliesst sich eine kirchliche Feier unmittelbar an.
Der Conventualin wird auf das Gelübde eines frommen, gottseligen
Lehens der kirchliche Segen erteilt.
In der durch die neuen Statuten mit dein Stifte verbundenen Er-
ziehung*-A ustalt werden 16 Töchter aus bedürftigen adeligen Familien
erzogen und unterrichtet. Die Art und Weise, in welcher diese Er-
ziehung geführt werden soll, wird durch das Reglement vom H. September
1853 unter anderen in folgenden Worten bezeichnet: „Die Aufgabe der
„Anstalt ist, — eingedenk der Worte des Herrn:
„Lasset die Kindlein zu mir kommen und wehret ihnen nicht!"
„— die ihr anvertrauten Kinder auf Grund des Wortes Gottes also zu
„erziehen, unterrichten und auszubilden, dasssie in demselben gewurzelt,
„sich durch des Herrn Gnade im Leben erweisen lernen als Bäume der
„Gerechtigkeit, Pflanzen des Herrn zum Preise — und nach vollendeter
„Erziehung im Stande sind, in der Kette der menschlichen Gesellschaft,
„nach Massgabe ihrer Gaben und Fälligkeiten, den ihnen vom Herrn
„angewiesenen Platz — sei es als Hausfrauen, Erzieherinnen, Lehrerinneu
„oder Gesellschafterinnen — einnehmen, ausfüllen und sich auf diesem
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Zur Geschichte des Cistercienser Jungfrauen Klosters.
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„Wege ohne Verleugnung ihres Standes eine anstündige Existenz bereiten
„zu können. Insbesondere sollen die Befähigteren tinter den Kindern
„soweit ausgebildet werden, dass sie den Anforderungen für das Lehrerinnen-
„Examen zu genügen vermögen."
Die Leitung der Erziehung dieser Kinder soll unter Oberaufsieht
der Äbtissin einer sich dazu eignenden Conventualin übertragen werden.
Der Unterricht wird von einein Theologen, der das Rektors-Examen ab-
solviert hat, und der Vorsteherin der Anstalt unter Teilnahme und Kenntnis-
nahme der Äbtissin und des Frohstes geleitet. Mit der Revision der
Schule ist der Provinzial-Schulrat betraut. Die vier unterrichtenden
Minorinneu haben Anwartschaft auf eine Conventualinnenstelle. Die
je dritte Präbende soll an eine solche thätige Dame, die vor ihrer An-
stellung ein Probejahr an der Anstalt zu absolvieren hat, verliehen wer-
den. Die Vorsteherin der Anstalt, die Lehrerinnen und die Kinder
wohnen in der Abtei, dem alten Klostergebäude; sie bilden gleichsam
die Familie der Äbtissiu, die als Hausmutter unter ihnen waltet.
In der Abtei werden ausserdem acht Waisenkinder aus den untern
Ständen frei erzogen und ausgebildet.
In dem sogenannten „Beginenhause" des Stifts finden alte, arbeits-
unfähige Wittwen aus den Stiftsgütern Aufnahme und Verpflegung. Eben-
so werden in dem im Dorfe Techow gelegenen Armenhause des Stiftes
unterstützungsbedürftige Personen oder auch ganze Familien aufgenommen
und nach Bedürfnis versorgt.
Endlich geniessen die Bedürftigen in dein Dorfe Techow aus den
Tagelöhnerhäusern der Stiftsgüter Unterstützung an Nahrungsmitteln,
Arzt und Arzneien.
Es sind also wirklich Werke der christlichen Barmherzigkeit an
den Verlassenen, Armen und Elenden, zu welcher die Revenuen -Über-
schüsse des Stiftes verwandt werden.
Eine praktische Lösung der socialen Frage in diesem kleinen
Bereiche.
Die Stifts-Conventualinnen, von denen jede ein eigenes kleines
Haus nebst Garten inue hat, — erweisen sich thiitig für die Zwecke der
äussern und inneren Mission, auch in den Werken christlicher Barm-
herzigkeit an den Armen und Kranken.
So ist das Leben in dem frühern alten Nonnenkloster mit
der Zeit ein anderes geworden, dem Leben und Wesen der
evangelischen Kirche entsprechend.
Ehe wir zum Schluss übergehen, möge noch Nachstehendes hier
eine Anreihuug finden.
Wir haben gesehen, dass im letzten halben .Jahrhundert sich Vieles
in der Organisation im Klosterstift Heiligeu-Grabe geändert hat,
und so wollen wir solche Reorganisation nochmals kurz durchgehen.
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Emil von Maltitz, Major z. D.
Es ist nicht bloss die Stifts probatste He besetzt worden, der
zeitige Probst hat nicht bloss das Stifts-Ordens -Kreuz erhalten,
sondern es ist auch eine Erziehungs-Anstalt für adlige Töchter
und ein Waisenhaus eingerichtet und damit verbunden worden.
Am 23. August 1876, Morgens VU Uhr, ward durch einen sanften
Tod von ihrem jahrelangen schweren Leiden die FrauÄbtissin Katharina
Elisabeth Auguste Ernestine Luise von Schierstedt erlöst und
sie aus dem dunklen Thal der Trübsal in die ewige Herrlichkeit des
Herrn eingeführt.
Sie war im tiefsten Sinne des Wortes eine treue, liebevolle, un-
ermüdlich sorgende Mutter dieses Stiftes, der Abtei, der wohlthiitigen
Anstalten und jedes einzelnen Gliedes derselben, eine Mutter der Armen,
eine Trösterin der Verlassenen, der Wittwen und Waisen, und Aller, die
der Hilfe und des Beistandes bedurften. — Der Herr, Der gesagt hat:
„Was Ihr gethan habt, diesen geringsten unter meinen Brüdern,
„das habt Ihr Mir gethan";
wolle ihr ein reicher Vergelter sein aller Liebe, die sie dem Ganzen und
jedem Einzelnen unter den Stiftsdamen, Beamten und Waisen, erwiesen
hat, und in Gnaden zu ihr sprechen:
„Ei Du fromme und getreue Magd, Du bist über Wenigen ge-
„treu gewesen. Ich will Dich über Viel setzen, gehe ein zu Deines
„Herrn Freude".
Mit diesen Abschiedsworten und mit diesem Nachruf betrauerten
dieselbe ausser dem Stiftshauptmann "n(l den anderen weltlichen und
geistlichen Beamten das Stiftskapitel zum Heiligen-Grabe:
Gräfin von Schlippenbach, Vertreterin der Frau Äbtissin,
Fräulein von Greiffenberg,
Gräfin Herzberg,
Fräulein von Trützschler,
Fräulein Clara von Banchet,
Fräulein Marie von Lancizollc,
Fräulein Clara von Hagen,
Fräulein Sophie von Schmeling,
Fräulein Luise von Tippelski rch, Thätige Stiftsdanie der Abtei,
Fräulein Adelhaid von Wentzel,
Fräulein Agathe von Folie r, Stiftsdame, früher Zögling der
Erziehungs-Anstalt,
Fräulein Minna von Wedel 1, Thätige Stiftsdanie der Abtei,
Fräulein Marie von Clausewitz, Thätige Minorin der Abtei,
Fräulein Therese von Foller, Thätige Minorin der Abtei,
Fräulein Fanny Scheder, Sprachlehrerill der Abtei.
Die früheren Zöglinge der Erziehungs-Anstalt, die der dahin-
geschiedenen Frau Äbtissin aber dem Herzen nach noch angehörten:
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Zur Geschichte des Cistercienser Jungfrauen - Klosters.
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Fräulein Paula von Wedel, Pflegetochter,
Fräulein Ida von Wedel,
Fräulein Eveliue von Oer teil,
Frau Marie Ciaessen, geborene von Dollen,
Frau Clara Hankey, geborene von Cellani,
Fräulein Marie von Kaphengst,
Fräulein Sophie von Hheinbaben,
Fräuleins Martha, Käthe und Rosa von Wulf fen,
Fräulein Martha von der Osten,
Gertrud Gräfin von Rittberg,
Fräulein Mathilde von S chachtmey er,
Fräulein Hedwig von Enckevort,
Frau Clara Ger lach, geborene von Förster,
Fräulein Elisabeth von Dewitz,
Frau Ida von Bülow, geborene von Dewitz,
Fräulein Anna von Seehausen,
Fräulein Anna von Milecka,
Fräulein Luitgard von Bünau,
Fräulein Ida von Alten,
Fräulein Eva von Eickstedt,
Fräulein Cilly von Briesen,
Fräulein Marie von der Goltz,
Fräulein Anna von Albedyil.
Die Kinder der Erziehungs-Anstalt:
Martha von der Decken,
Meta von Goddenthow,
Camilla von Gfug,
Therese und Anna von Wietersheim,
Anna und Ida von Dorpowska,
Ethelka von Kl och,
Agathe von Böhmer,
Luise und Edith von Z an t hier,
Adele von Dambska,
Anna von Ramm,
Agnes von Enckevort,
Erika von Pfeil,
Hedwig von Restorff,
Edith von Zedlitz.
Die acht Kinder des Waisenhauses.
In der letzten Woche des Monats Juni 1881 fand im Stift
Heiligen-Grabe eine für dasselbe bedeutungsvolle Doppelfeier statt.
1) An Stelle des verewigten Oberhofpredigers von Hengsten-
berg war von dem Capitel der Hof- und Dom-Prediger Dr. Baur
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Emil von Maltitz, Major z. D.
zum Stiftsprobst gewählt und als solcher von Se. Majestät dem
Kaiser und König bestätigt worden. Derselbe erhielt im Juni
1883 die Berufung als General-Superintendent nach Coblenz.
2) Ferner wurde die seit 1876 erledigte Stelle der Äbtissin wieder
besetzt und von Se. Majestät die Conveutualin Gräfin Mathilde
von Schlippenbach, welche bereits viele Jahre die Erziehungs-
Anstalt des Stiftes geleitet und seit 1876 auch die Geschäfte
des erledigten Äbtissin-Amtes mit voller Anerkennung versehen
hatte, zur Äbtissin ernannt worden.
Zu dieser Doppelfeier versammelten sich die Mitglieder und Freunde
des Stiftes.
Aber auch diese Äbtissin verstarb schon nach kaum vierjähriger
Amts-Thätigkeit am 19. Mai 1887 nach kurzem, aber schwerem Leiden
im Alter von 72 Jahren und 2 Monaten.
Ihre Beerdigung war ausserordentlich feierlich in Gegenwart des
Stiftshauptmanns, Präsidenten Petrenz aus Magdeburg, des neuernannten
Stiftsprobstes, Oberconsistorialrats Hofpredigers Bayer, nebs den Geist-
lichen aus dem Stiftspatronat mit ihrem Superintendenten, Oberpfarrer
Spiess, des Capitels, der Zöglinge der Erziehungs-Anstalt und des Waisen-
hauses, und vielen andern Freunden und Bekannten.
Auf dem Stiftskirchhofe im Schatten ehrwürdiger Bäume wurde der
Sarg der Entschlafenen beigesetzt. Hier am offenen Grabe sprach der
langjährige Gehilfe und Freund der Heimgegangenen, der Orts- und
Stiftsgeistliche, Pastor Lütgert, noch ein wehmütiges Abschiedswort im
Anschluss an die Stelle 1. Petri 1, 8—4.
Mittelst Erlass Sr. Maj. des Kaisers und Königs vom 8. Oktober 1887
ward die Conventualiu und bisherige Vertreterin der Äbtissin, Adelhaid
von Wentzel zur Äbtissin ernannt.
Manches wird sich im Stifte und vielleicht schon in der nächsten
Zukunft wandeln und ändern — dabei ist unser Wunsch, dass dem Stifte
in Bezug auf die äussern Mittel auch ferner die Möglichkeit bleibe, die
Armen und Elenden thatkräftig zu unterstützen und der christliche Sinn
und Geist erhalten werde, der solche Werk« übt aus Liebe zu Gott und
dem Nächsten, um dem Herrn zu dienen in seinen unmündigen und armen
Gliedern.
Möge das alte Kloster ein Ort des stillen Lebens sein und bleiben,
damit auch hier Gottes Name geheiligt werde.
„Sein Reich komme und Sein Wille geschehe!"
„Das walte Gott in Gnaden!"
(Pastor Lütgert im Dorf Techow, 1884; Evang. Vereiu in Berlin 1879.)
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Das brandenburgisch -preussische Feldprediger-
wesen in seiner geschichtlichen Entwickelung.
Vortrag,
gehalten in der öffentlichen Sitzung dea Vereins für Heimatkunde der Provinz Brandenburg
zu Berlin, am 29. November 1898 von
Divisionspfarrer Erich Schild aus Torgau.
Der Ursprung des preussischen Foldpredigerwesens ist in jener Zeit
zu suchen, in der den brandenburgischen Landen alle Triebe einer grossen
Entwickelung eingepflanzt wurden, also unter der Regierung Friedrich
Wilhelm's, des Grossen Kurfürsten. Gleich nach seinem Regierungs-
antritt machte er den Anfang mit der Bildung eines stehenden Heeres.
Von seinem Vorgänger hatte er 5 Regimenter Fussvolk und 3 Regimenter
Reiterei, in Starke von 3600 bezw. 2500 Mann, 41 Mann Artillerie und
1 Kompagnie Leibwache überkommen. Aber bereits im Jahre 1651, als
— bald wieder vermittelte — Streitigkeiten zwischen dem Kurfürsten
und dem Herzoge von Pfalz-Neuburg entstanden waren, hatte die Starke
des brandenburgischen Heeres derartig zugenommen, dass Friedrich
Wilhelm 48 Geschwader zu Ross und 86 Hauptin annschaften zu Fuss auf-
stellen konnte. Vier Jahre später, anno 1655, war das brandenburgische
Heer, mit welchem der Grosse Kurfürst nach Preussen in den schwedisch-
polnischen Krieg zog, 26800 Mann stark und bestand aus 15 Regimentern
zu Ross, 7 Dragonerregimentern, 10 Regimentern zu Fuss, wozu noch
eine zahlreiche Feldartillerie, 72 Stücke, 73 Rüstwagen wie auch Schiff-
brücken und anderes erforderliches Kriegsgerät umfassend, kam. Das
Jahr 1655 ist dasjenige, seit welchem der Kurfürst ein grösseres Heer
fortwährend in seinen Diensten hielt.
Diesen brandenburgischen Truppen wurden zu Kriegszeiten besondere
Prediger beigegeben. Das Jahr 1655, wo der Kurfürst seine erste kriege-
rische Expedition unternahm, ist deshalb auch Geburtsjahr des preussi-
schen Feldpredigerwcsens. Die in diesem Jahre vom Kurfürsten erlassene
Interims- Verpflegungsordonnanz bestimmt bereits Sold und Servis für die
bei den Regimentern zu Fuss und zu Ross angestellten, auf der Prima
Plana der Musterrolle unter den Personen des Regimentsstabes aufge-
führten Prediger. Der Feldprediger im Regimentsstab zu Ross bekam
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Erich Schild, Divisionspfurrer.
monatlich 10 Thaler, der im Kegimentsstab zu Fuss monatlich 12 Thalcr
Traktatucnt. Als Feldprediger bei der kurfürstlichen Leihgarde und zu-
gleich der Zeit nach erster Garnisonprediger von Berlin wird 1655 Hanisius
genannt, dem 1663 Georg- Jordan im Amt folgte.
Bekannt ist des Grossen Kurfürsten frommer Sinn und fester Glaube
an die evangelische Wahrheit. Wir haben noch ein von ihm eigenhändig
niedergeschriebenes, jetzt im Hohenzollernmuscum uuter Glas und Kähmen
aufbewahrtes Gebet, das höchstwahrscheinlich sein täglicher Huf zu Gott
gewesen ist. Dasselbe Ist ungemein charakteristisch für des Kurfürsten
ganze religiöse Denkweise und lautet buchstäblich also:
„O Almechtiger Herr Herr, Alle deine straffen undt Züchtigungen
so ich von Deiner vatterlichen Hundt empfange, seindt nur alle
zeichen Deiner Gnaden gegen mich, denn ein Vatter, so sein
Kindt liebet, züchtiget selbiges; verlei mir die Gnadt, dass ich
sie auch also erkenne undt aufnehme, dass Du dadurch recht
Dein vattcrliehes Hertze gegen mich erweissest und mich prüffest,
auf dass ich mich an dich desto fester in inbrünstiger Liebe,
Vertrauen undt Hoffnung zu volführung deines heilligen Willens
halte, undt gewis des Ewigen Lebens und Selligkeit versichert
sein undt in Ewigkeit genissen möge. Amen."
Noch in späteren Jahren hat er verzeichnet, wie seine Mutter ihm
die Lehre gegeben, Gott vor allem und seine Unterthanen zu lieben,
dann werde Gott seinen Stuhl bestätigen. Weil nun solchergestalt die
Religion recht eigentlich der innerste Kern seiner gewaltigen Persönlich-
keit, seines thatkräftigen, geistig umfassenden Lebens war, so wollte der
Kurfürst, dass dieselbe Gesinnung auch auf seine Soldaten übergehe und
der feste Grund werde, auf dem die Tüchtigkeit seines Heeres sich er-
baue. Das zeigt deutlich der von ihm im Jahre 1656 erlassene „Articuls-
Brieff oder Churfürstlich Brandenburgisch Krieges-Recht", dem nach kur-
fürstlichem Willen „männiglich insgemein und insonderheit unsere hohen
und niederen Kriegs -Offiziere und gemeine Soldatesca stricte nachleben
sollen". Da heisst es im § 1 : „Da von dem grundgütigen und allmächtigen
Gott alles Glück, Segen und Gedeihen herrühret, derselbe auch von allen
wahren Christen einzig und allein, wie er sich in seinem heiligen Worte
geoffenbart hat,. geehrt und angebetet sein will: so verbieten wir hiermit
alle Abgötterei dergestalt, dass nun und hinführo kein anderer, als der
einige wahre Gott angebetet werden soll, alle falschen Anbeter dagegen,
Abgötterei*, Zauberer, Waffenbeschwörer, Teufelskünstler in unseren
Lagern, Guarnisonen und Quartiren unter unserem Kriegsvolk nicht ge-
litten werden sollen, sondern da einer betreten würde, der Abgötterei,
falsche und dem Worte Gottes zuwiderlaufende Handlung treibet, die
Leute, Waffen und Gewehr beschwöret, mit Zauberei und sothanem
teuflischen Wesen und Führnehmen umgeht und auf geschehene Warnung
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Das brandenbg. preuBS. Feldpredigerwesen in seiner goschichtl. Entwickelung. 87
und Unterrichten davon nicht abstehen will, mit einem Solchen nach
göttlichen und unseren Rechten verfahren werden, oder, da während der
Exekution Ober einen solchen ruchlosen Menschen etwas Bedenkliches
fürfallen würde, er unseres Lagers und Landes verwiesen werden soll. —
§ 2: Welcher Soldat Gottes Wort lästert oder mit demselben und mit
dem Gottesdienst, es sei auf was Mass es wolle, trunkenen oder nüchternen
Mundes Alfenspiel treibet, von den Hochwürdigen Sacramenten lästerlich
und spöttisch redet, der soll ohne Gnade am Leben gestraft werden. —
§ 3: Der hochheilige Name Gottes soll mit Fluchen, Schwören, Lügen und
Trügen nicht gemis*braucht werden; wer darüber betreten wird, der soll
nach Gelegenheit seines Standes Etwas in die Armenbüchse zur Busse geben,
und, da er sich weigert, beim Gottesdienst in Gegenwart seines Regiments
gepfändet werden. — § 4: Der Gottesdienst soll, damit die wahre Gottes-
furcht in der Kriegsleute Herzen eingepflanzt werde, vor allem Kriegs-
volk im Lager Morgens und Abends abgewartet, und allemal durch des
Lagercommandeurs Pauken, Trompeten und Trommelschlag vor und nach
dem Gottesdienst ein Zeichen gegeben werden, und soll kein Priester bei
Verlust eines Monatssoldes, der den Armen verfallen sein soll, ohne er-
hebliche Ursachen denselben versäumen, auch kein Soldat bei Vermeidung
der Strafe des Halseisens vom Gottesdienst wegbleiben. — § 5: Es soll
sich kein Priester, wenn er den Gottesdienst halten soll,' trunken finden
lassen, oder auf solchen Fall aus dem Lager relcgiret werden. —
§ 6: Welcher Priester sonsten ausser der Zeit, da der Gottesdienst gc-
schiehet, einen ärgerlichen Wandel führet und sein Leben nicht nach
seiner Lehre anstellet, derselbe soll durchaus in unserem Lager, wenn er
vorher davon abzustehen dreimal ermahnet und sich nicht bessert, nicht
gelitten werden. — § 7 : Unter währendem Gottesdienst sollen die Schenken
und Markedenter bei Verlust der Waaren kein Fressen und Saufen ge-
statten, sondern ihre Buden verschlossen halten."
Wenn in diesen Kriegsartikeln (im Ganzen einige 60 Paragraphen)
des Grossen Kurfürsten — die sich übrigens auf die Verordnungen
Karl's V. für die Landsknechte und auf das Kriegsrecht Gustav Adolfs
von Schweden gründeten — auch die Trunkenheit der Feldprediger mit
besonderen Strafen bedräuet wird, so muss man berücksichtigen, dass
das nur der Auffassung und Lebensweise einer Generation entsprach,
die erst durch acht Jahre von der wilden Zeit des dreissigjährigen
Krieges getrennt war.
Ausser deu angeführten Paragraphen des Articuls- Briefes gab es
besondere schriftliche Verordnungen für die Feldprediger damals noch
nicht Zwar fehlt es nicht an einzelnen kurfürstlichen Erlassen aus
jener Zeit, die auch das Militärkirchenwesen berühren. So wird im
Februar 1665 dem Garnisonprediger in Berlin befohlen, keinen Soldaten
zu kopulieren, er sei denn von ihm drei Sonntage nach einander im
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Erich Schild, Divisionspfarrer.
Militärgottesdienst aufgeboten worden. Ferner befahl der Kurfürst im
Jahre 1682, dass sich kein Soldat ohne Vorwissen seiner Offiziere ehelich
trauen lassen dürfe, eine Verordnung, die seitdem in voller Kraft ge-
blieben ist. Aber eine eigentliche, ausführliche und schriftliche Amts-
anweisung für die Feldprediger war noch nicht vorhanden. Das Gesetz
des Gewissens veitrat die Stelle vieler gedruckter Befehle. Der Grosse
Kurfürst instruierte selbst den in seiner unmittelbaren Umgebung be-
findlichen Generalstabs-Feldprediger und überwachte seine Amts-
tätigkeit. Nach diesem richteten sich die Regimentsprediger der kur-
fürstliehen Prinzen, Generale und Obersten. Es wurden für die Feld-
prcdigerstellen in der Regel schlecht besoldete, schon im Amt gestandene,
erfahrene kräftige Männer gewählt, die nach Beendigung des Krieges,
wenn die Regimenter auf Friedensfuss gesetzt wurden, bessere Zivil-
pfarrstellen erhielten.
In Berlin war eine eigene Garnisonkirche noch nicht vorhanden,
vielmehr winden daselbst zum Militärgottesdienst die Hospitalkirche zum
Heiligen Geist und der dabei gelegene Kirchhof benutzt.
Um das Jahr 1670 fing auf Befehl des Grossen Kurfürsten die so-
genannte Kirchen -Parade in der Weise an, dass die Garnison von
Berlin jeden Sonntag Vormittag in Parade zur Kirche geführt wurde.
Die Ileilige-Geist-Kirche, mit der die Garnison sich behelfen musste, war
aber so klein, dass sie kaum den dritten Teil der am Sonntag Vormittag
ihr zugeführten Truppen fassen konnte. „Die übrigen zerstreuten sich
indessen hierhin und dorthin, auch entzogen sich einige freche Gemüter
bei solcher (Gelegenheit dem Gehör göttlichen Wortes wohl ganz und
gar, und trieben unter währendem Gottesdienst allerlei Unordnungen."
Die vom Garnisonprediger hierüber erhobene Klage veranlasste
unter dem Nachfolger des Grossen Kurfürsten den Bau einer besonderen
Garnisonkirche in Berlin.
In Bezug auf die Ausstattung anderer kurbrandenburgischer Garni-
sonen mit besonderen Garnisonkirchen ist bemerkenswert eine Stelle in
den Ratsprotokollen der Stadt und Festung Küstrin vom Jahre 1683, wo
einer Verordnung des Grossen Kurfürsten gedacht wird, dass „boi genüg-
samer Versicherung die kleine Kirche am Walle der das igen Garnison
vergönnt werden solle", nachdem bis dahin für die Soldaten in Küstrin
auf dem Rathause durch einen Diakonus Predigten gehalten worden
waren. Es kam am 21. Mai 1683 zu einem Vergleich zwischen Magistrat
und Garnison, demzufolge crsterer besagte Kirche der Garnison zur be-
ständigen Benutzung einräumte. Die Garnison von Küstrin betrug da-
mals (J00 Gemeine und 150 Gefreite in 6 Kompagnien. Ausserdem stand
dort eine kleine Artillerie-Besatzung.
Aus der Rangliste des 20. Leibregimentes zu Fuss. Kurfürstin, vom
Miirz 1683 entnehmen wir, dass damals Feldprediger beim Regiment war
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Das brandenbg. preuss Feldpredigerwesen in seiner geschicbtl. Entwickelung. 89
Ernst Daniel Jablonski. Er wurde später Königlicher Ober-Hofprediger
bei der reformierten Hof- und Dom -Gemeinde und als solcher persona
grata beim König Friedrich Wilhelm I. Auch als Gelehrter, namentlich
als Kenner der rabbinischen Schriften und Sprache hat er sich später
einen Namen gemacht.
Als der Grosse Kurfürst im Jahre 1674 den Versuch machte, das
elsässische Land dem deutschen Volke zurückzuerobern, war jedes der
mitgeführten Regimenter von seinem Feldgeistlichen begleitet, während
in der Umgebung des Kurfürsten selbst sich sein „calvinistiseher Hof-
prädikant" befand, welcher sowohl in der Reichsstadt Strossburg, als
auch im kurfürstlichen Hauptquartier zu Kolinar amtlich fungieren
musste. Der grosse Hohenzoller scheint dabei die Konfession der
evangelischen Bürger der Stadt Kolmar in fürstlicher Toleranz respektiert
zu haben, denn er Hess seinen calvinischeu Hofprädikanten nicht in dem
Gotteshause Augsburgischer Konfession, sondern in der Schneiderzunft
predigen. Über eine Predigt „Von des Deutschlands Wehr und Waffen
wider Frankreich", die einer der kurbrandenburgischen Feldprediger
damals gehalten, findet sich eine Notiz in dem interessanten Protokoll
der sogenannten Dreizehner der freien deutschen Reichsstadt Strass-
burg, welche das diplomatische Korps der städtischen Republik dar-
stellten. Aus dem Jahre 1674 steht im Protokoll folgender Vermerk:
Montag den 5. Octobris 1674. Ses. ord. M. g. Herren d. XIII. Der
regierende Herr Ammeister berichtet, es habe ein Chur-Brandenburgischer
Feldprediger Namens Johann Hermann Thal hausen Meinen gnädigen
Herren eine Predigt von des Deutschlands Wehr und Waffen wider
Frankreich dedicirt und ihm 6 exemplaria zugestellt, werde zu M. g.
Herren stehen, was sie ihm erkennen wollen, dass ihm dagegen verehrt
werden solle. Bekandt: Soll ihm 6 Reichsthaler verehrt werden."
Auch nach Ofen, der von 8000 Türken besetzten Festung, haben
brandenburgische Feldprediger das im April 1686 vom Grossen Kur-
fürsten entsandte, 8269 Mann starke, unter dem Kommando des General-
lieutenants von Schöning stehende brandenburgische Hilfskorps begleitet
und angesichts des türkischen Halbmondes evangelischen Gottesdienst
gehalten.
Unter dem Nachfolger des Grossen Kurfürsten, Kurfürst Friedrich HI.,
dem nachmaligen ersten König in Preussen, trat eine für die Weiter-
entwickelung des brandenburgisch -preussischen Feldpredigerwesens be-
deutsame Änderung des früheren Modus dadurch ein, dass der Kurfürst,
als er 1692 seine Armee gegen die Franzosen vermehren musste, durch
den zum WTirkl. Geh. Staats- und Kriegsrat ernannten Eberhard von
Dankelmann die erste -schriftliche Instruktion (vom 7. April 1692) für
seine Feldprediger geben Hess, die Errichtung eines besonderen Militär-
Konsistoriums verfügte und von da an die Feldprediger auch in Friedens-
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Krich Sehild, Divisionspfarrer.
Zeiten beibehielt. Der Regimentschef bekam das Recht der Wahl des
Feldpredigers für sein Regiment, den dann die kirchliche Behörde exami-
nierte und, wenn es sich um einen Kandidaten handelte, ordinierte. Das
Militär- oder Feld-Konsistorium (Consistorium Militare Castrense) hatte
als beständigen Präsidenten den General-Auditeur. Beisitzer waren zwei
Stabsoffiziere und zwei gottesfürehtige und verständige Feldprediger vom
Generalstabe oder von den Regimentern. Unter dem Militär-Konsistorium
als ihrem forum competens standen alle Garnison- und Feldprediger so-
wohl in Amts- als Personalsachen, ferner alle übrigen Militärpersonen,
Ofliziere und Gemeine, mit ihren Frauen und Kindern, auch Domestiken
in Militärfamilien oder bei einzelnen Militärs, sowie die Enrollirten, die
noch den Pass hatten. Alle Ehesachen dieser Personen, insonderheit alle
Ehescheidungsprozesse , die bei der Armee vorkamen, wurden vor dem
Militär-Konsistorium geführt, nachdem vorher der Garnison- oder Regi-
ments-Auditeur des Ortes, wo der Beklagte sich aufhielt, die Akten zum
Spruche instruiert hatte. Insonderheit sollte das Militär-Konsistorium auch
dahin sehen, dass „Gottes Ehre und dessen Dienst bei der Armee befördert,
die Hochachtung und Feierung des Sonntages und der Besuch der Bet-
stunden gehandhabt würde, auch alle scandala, Ärgernisse und Steine
des Anstosses gänzlich aufgehoben oder zum Wenigsten so viel als
menschenmöglich aus dem Wege geräumet und vermieden werden." Zu
dem Zweck sollen „etwa befindliche ruchlose und einen ärgerlichen
Wandel führende Regiments-Prediger vom commandirenden General und
Officirer dem Feld-Consistorio angezeiget und von demselben, dem Be-
linden nach, angesehen werden aus dem Grunde, weil das Krieges-Volk
durch der Priester exemplarisches Leben zur Gottesfurcht, zu aller Zucht
und Ehrbarkeit erbauet und gebessert werden muss. Wie dann denen
Feldpredigern sonderlich recommandiret wird, einen unsträflichen Wandel
zu führen und den Soldaten mit gutem Exempel vorzugehen."
Im Jahre 1704 Hess König Friedrich I. einen „Unterricht für christ-
liche Kriegesleute" aus dem Englischen übersetzen, auf seine Kosten
drucken und in fünftausend Exemplaren unter seine Soldaten verteilen.
Die kriegerische Thätigkeit der Brandenburger ist niemals ausge-
breiteter gewesen, als unter Friedrich I. Da haben sie in der Schlacht
von Höchstädt und zwei Jahre später bei Turin auf das tapferste ge-
fochten. Mit den Türken haben sie sich in gefährlichen Feldschlachten
gemessen. Im südlichen Frankreich erschienen sie bei dem Unternehmen
von Toulon. Auf dem Gebiete des Papstes, ganz nahe bei Rom, wurde
der protestantische Feldgottesdienst zuerst in ihrer Mitte gehalten; denn
überall hin folgten ihnen ihre geistlichen Pfleger und Berater, die Feld-
prediger. Brandenburgische Truppen, die in Italien überhaupt eine neue
Erscheinung waren, nahmen, allerdings nur in der Stärke von einem
Regiment zu Pferde (es war das kronprinzliche Reiterregiment), im
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Das brandenbg. preusB. Feldpredigerwesen in seiner geschieht!. Entwicklung. 91
Jahre 1708 an dem Zuge teil, den der Graf Daun auf Befehl des Kaisers
gegen den Papst ausführte. Um letzterem die Galle möglichst zu er-
regen , hatte Graf Daun gerade dies Regiment ketzerischer Prcussen
mitgenommen. Mit seinen Truppen trieb er die päpstlichen Völker, die
ihm Widerstand leisten sollten, immer vor sich her, bis ganz nahe vor
Koin. Der Papst wurde dadurch gezwungen, sich dem Kaiser zu fügen
und Karl III. als König von Spanien anzuerkennen. Während Daun mit
seinen Truppen vor Horn stand, hielt der Feldprediger des preussisehen
Reiterregiments des Öfteren angesichts der „einzigen" Stadt, wie s'u- der
römische Bürger heute noch in stolzem Selbstgefühl nennt, den evangeli-
schen Gottesdienst für seine Soldaten ab. Dieser Feldprediger wurde
nachmals Zivilpfarrer in einer kurmärkischen Stadt und hat da, wie
Buchholtz in seiner Geschichte der Kurmark Brandenburg berichtet, gern
und vielfältig erzählt, „welch eine Menge Menschen aus Rom und anderen
Orten des Kirchenstaates, als die erste Furcht vorbei gewesen und sie
gemerkt, dass die Preussen eben keine Menschenfresser wären, in das
deutsche Lager gekommen seien und sonderlich gern dem preussisehen
Feldgottesdienst beigewohnt hätten mit den richtigsten äusserliehen Kenn-
zeichen ihrer Erbauung, obwohl sie die deutsche Sprache nicht ver-
standen. Ja, es hätteu auch sehr viele Deutsche, die man in Korn für
Katholiken gehalten, weil sie da gewohnt, um deren Gottesdienst sich
aber dortselbst Niemand bekümmert, sich des Abendmahls mit den
preussisehen Soldaten bedienet."
Neue Förderung erhielt das preussische Feldpredigerwesen durch
Friedrich Wilhelm I., dem die Pflege religiöser Gesinnung in seinen
Soldaten ganz besonders am Herzen lag. Er trennte die Feldprediger-
stellen ganz von der kirchlichen Verfassung des Landes, vereinigte sie
für sich in ein besonderes System und ernannte im Jahre 1717 den ersten
Feld-Inspektor oder Feld-Propst. Lampertus Gedike, bis dahin Garnison-
Prediger in Berlin, erhielt die Stelle. Ihm als beständigem Beisitzer des
Militär- Konsistoriums in Friedenszeiten wurden die Feldprediger vor-
nehmlich in Rücksicht des Inneren der Militär -Kirchen- und Schul-
angelegenheiten unterstellt.
Man versteht, dass bei der Zusammensetzung des preussisehen
Heeres in jener Zeit die Arbeit der Feldprediger ihre besonderen
Schwierigkeiten hatte. Damals bestand ja nach und nach ein immer
grösserer Teil, ja endlich die Hälfte des preussisehen Heeres aus frei-
willig oder gewaltsam geworbenen Fremden, zum Teil dem Auswurf aller
Nationen, die nur durch die allerschärfsten, bis zur Grausamkeit gehen-
den Strafen in Zucht und Gehorsam erhalten werden konnten. Das jetzt
vergessene Sprüchwort: „Wer Vater und Mutter nicht hören will, muss
dem Kalbfell folgen", stammt aus jener Zoit und zwar aus der innersten
Anschauung der sozialen Verhältnisse jener Tage. Mit Abneigung sahen
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Ü2
Erich Schild, Divieionepfarrer.
Bürger und Bauer den übelbeleumundeten Soldatenstand an. Betrat ein
Soldat die Gaststube eines Wirtshauses, so entfernten sich die etwa an-
wesenden Gäste bürgerlichen Standes augenblicklich. Einzelne Feld-
prediger, die es mit der Katechismuslehre und dem von ihnen für die
Mannschaften eingeführten Unterricht im Lesen und Schreiben besonders
ernst nahmen, wie z. B. 1729 Feldprediger Michaelis vom Regiment
v. Kalkstein, zogen sich dadurch den Hass roher und unwissender
Soldaten in solchem Masse zu, dass sie zu Zeiten ohne Lebensgefahr
nicht ausgehen konnten, und Nachts, wenn sie zu Kranken gerufen
wurden, auf Befehl des für sie besorgten Regimentschefs durch eine
Wache begleitet werden mussten. „Unter einem solchen Haufen un-
wissender, roher, boshafter Menschen", seufzt eine Hirtenstimme aus
jenen Tagen, „muss ein Feldprediger das Wort führen. Und darin hat
er von den Befehlshabern und Officieren schlechten Beistand. Denn ein
Teil derselben ist im Grunde nicht viel besser. Der wahre Feldprediger
mag sagen, was er will, er findet wenig oder nichts Gehör. Und sei er
um den Schaden Josephs noch so bekümmert, so ist doch Niemand, der
Lust hätte, ihm seinen Kummer zu erleichtern."
Wir sehen sie vor uns, jene gewaltthätige, absolutistisch willkürliche
Zeit, wo ein roher General im Despotismus so weit geht, dass er aus
einer kleinlichen Ursache seinen Feldprediger in Arrest setzen und, weil
täglich Betstunden gehalten werden mussten, ihn acht Tage lang durch
ein Kommando zum Versammlungsorte hin- und nach beendigtem Gottes-
dienste wieder in die Wache zurückführen lässt; wo ein anderer Regiments-
chef, dessen Sohn der Feldprediger noch dazu aus Gefälligkeit Privat-Unter-
richt erteilte, sich nicht schämte, den Feldprediger nach Beendigung eines
Spazierganges, den derselbe mit seinem Zögling zu einem Amtsbruder
im benachbarten Dorfe unternommen, am Thore der Stadt arretieren
und in die Wache setzen zu lassen, weil er sich um mehrere Stunden
mit der Rückkehr verspätet habe. An interessanten Willkürakten wird
in den alten Militärkirchenbüchern, denen als verschwiegenen Freunden
die Feldprediger nicht selten ihre Klagen vertrauten, ferner gemeldet,
dass das Regiment N. N. vier Jahre ohne Feldprediger gewesen, weil des
damaligen Herrn Generallieutenants v. N. N. Excellenz das Tractament des
Feldpredigers — monatlich 16 Thaler — als ein „Douceur" bezogen ; in-
gleichen, dass der Rittmeister v. N. N. von Ihro Königlichen Majestät zum
Offizial des Pommeranischen Konsistoriums gesetzt wurde, eine Ernennung,
dio uns unwillkürlich an den Kandidaten der Theologie erinnert, der, ge-
waltsam zum „langen Kerl" gepresst, von da unerwartet zum General-
Superintendenten von Pommern avancierte und, als das Stettincr Kon-
sistorium gegen diese Ernennung geltend gemacht hatte, dass der
solchergestalt Beförderte nicht die zur Prüfung der Kandidaten erforder-
liche Fertigkeit im mündlichen Gebrauch der lateinischen Sprache habe,
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Das brandenbg.-preuss. Feldpredigerwesen in seiner geschieht). Entwicklung. 93
in seinem neuen Amt bestätigt wurde durch ein Reskript Friedrich
Wilhelms I. an das pommersche Konsistorium des Inhaltes: „Kann er
kein Latein, so kann ich es auch nicht; bedürfenden Falls soll er sich
einen lateinischen Lesebengel halten."
Heutzutage sehnt sich vielleicht Mancher nach der angeblich „guten
alten Zeit" zurück. Würde ihm sein Begehren erfüllt, könnte er um
160 Jahre plötzlich zurückversetzt werden, er würde sich mit Schrecken
in einer hässlichen, uns Kindern der Gegenwart völlig unerträglichen
Wirklichkeit finden, wo viel Rohheit der Sitte unter gefirnisster, ge-
schnörkelter und gezierter Oberfläche sich nur schlecht verbarg; es
würden ihm Bildungselemente, sittliche Lebensfaktoreu fehlen, die uns
so in Fleisch und Blut übergegangen sind, dass wir sie gar nicht mehr
als solche spüren und würdigen ; kurz, es würde sich an ihm im vollsten
Masse erfüllen das Shakespeare'sche Wort:
So geschieht's,
Dass, was wir haben, wir nach Wert nicht achten,
So lange wir's gemessen; ist's verloren, ja dann
Erkennen wir den Wert, den uns Besitz
Missachten Hess.
Bei vielem Trüben fehlten jedoch für die damaligen Feldprediger
die Lichtseiten nicht ganz. Neben den Geworbenen diente ja eine giHis.se
Zahl gutgearteter kantonpflichtiger Landeskinder, an denen der Feld-
prediger schon eher Früchte seiner Wirksamkeit wahrnehmen konnte.
Die alten Autoren wissen auch von manchem „ausbrechenden Segen und
bleibenden Nutzen" zu berichten, den die Amtsführung treuer Feld-
prediger geschaffen. Hatten diese doch an dem obersten Kriegsherrn,
dem König selbst, den besten Rückhalt und eifrigsten Beförderer für
alle ihre auf sittlich -religiöse Hebung des Soldatenstandes gerichteten
Bestrebungen! Auf das ernstlichste Hess es sich der König angelegen
sein, durch Unterricht im Christentum wie auch im Lesen und Schreiben
deu gemeinen Soldaten zum guten Christen und brauchbaren Menschen
heranzubilden. Die Arbeit seiner Feldprediger an den Soldaten suchte
der König auf jede Weise zu unterstützen, unter anderem dadurch, dass
er Exemplare des neuen Testaments, in einem Anhange die Psalmen
Davids sowie eine Anzahl kirchlicher Gesänge enthaltend, an die Kom-
pagnien verteilen liess. Für den Feldzug sollte jede Kompagnie
22 Exemplare, jedes Zelt eines haben. Er verordnete, dass die in jenem
Anhange gedruckten Gesänge regelmässig beim Militärgottesdienst wieder-
kehren sollten, damit der Soldat sich daran gewöhne, sie auswendig
lerne. „Die rechten Eigenschaften eines Kriegsmannes", sagt Leopold
v.Ranke, „entwickelte man damals an den Beispielen des alten Testaments,
au Benaja, der mit seinem Stecken deu wohlbewaffueteu Egypter er-
schlägt, oder an Samma, der mitten unter dem flieheuden Volk sein
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Erich Schild, Divisionspfarror.
Ackerstück gegen den Feind verteidigt. So nährte sich an den ältesten
Urkunden der menschlichen Geschichte die künftige Tapferkeit des
preussischen Heeres."
Am 22. Januar 1720 erschien eine Königliche Verordnung, durch
welche den Feldpredigern besonders das Halten von Katechismus-
predigten und Katechisationen zur Pflicht gemacht wurde, damit die Un-
wissenden, vornehmlich die Jugend, gehörig unterrichtet würden. Wie
schwach es damals mit der in der Armee vorhandenen allgemeinen
Bildung bestellt war, zeigen die vielfach sehr ungünstigen Resultate des
Katechismusexamens, das die Feldprediger mit jedem Soldaten, der zur
Kommunion ging, ja auch mit deren Frauen, vorher abzuhalten pflegten.
Bei einer grossen Zahl von Soldaten und Frauen findet sich in den
Kommuiükantenlisten aus jener Zeit die Note: „Kann nicht lesen", bei
noch mehreren die Bemerkung: „Hat den Katechismus nicht inne", oder
„Kann ihn so so", oder „Kanu nur die Gebote, nicht die Erklärungen",
oder „Kann die Gebote nur bis zu dem oder dem Gebot." Einmal heisst
es auch: „Kann den Katechismus so so, aber vor vielem Lachen weiss
er nichts"; meist aber wird bemerkt: „Doch will er ihn lernen."
An Sonn- und Festtagen sollte der Feldprediger in der ihm ange-
wiesenen Kirche predigen und dabei besonders auf die Bedürfnisse der
hohen und niederen Kriegsmänner Rücksicht nehmen. Inbetreff des
dogmatischen Inhalts seiner Predigten hatte er sich bei schwerer Ahndung
der Verunglimpfung der Reformierten und anderer Religionsverwandter
zu enthalten, sollte auch keine bitteren Kontroverspredigten über die
Gnaden wähl und andere streitige Lehren halten. Die Predigt selbst
durfte nicht länger als eine Stunde dauern; im Übertretungsfalle konnte
der betreffende Prediger vom Wache habenden Adjutanten mit einer
Geldbusse zu Gunsten der Invalidenkasse belegt werden.
Nach Friedrich Wilhelm's I. Willen sollten eben die Prediger aller
Religionsparteien die ihnen anvertrauten Seelen nur „in der Furcht dos
Herrn und den» wahren thätigen Christentum" unterweisen, Kontroversen
aber, die dazu nicht dienen, nicht auf die Kanzel bringen. Der König
wollte also Erbauung, Seelsorge, Toleranz, wie er denn selbst in voll-
kommener Tolerenz voranging. „Ich bin gut reformirt", schreibt er in
der Instruktion für den Kronprinzen 1722, „glaube aber, dass ein
Lutherischer eben so gut selig werden kann, und der Unterschied nur von
den Predigerzänkereien herrührt." Für seine katholischen Soldaten, die
infolge der ausländischen Werbungen so zahlreich waren, dass zu Zeiten
ein Vierteil des ganzen Heeres aus Katholiken bestand, billigte er nicht
allein, sondern beförderte er die Wirksamkeit einiger Dominikanermönche,
sorgte auch dafür, dass neben jenen Ordensleuten katholische Welt-
geistliche die Garnisonen regelmässig bereisten, um monatlich einmal
die Katholiken in seinen Regimentern zum Gottesdienst zu versammeln.
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Das brandenbg. prcuss. Feldpredigerwesen in seiner geschieht!. Entwickelung. 95
Er hat sich die Namen derjenigen katholischen Soldaten angeben lassen,
die in den herkömmlichen Zeiten nicht zur Beichte gekommen waren.
„Er wusste wohl, dass ohne die allgemeinste religiöse Verpflichtung, die
Heilighaltung des Eides, weder sein Staat, noch sein Heer bestehen
würden" (Leopold v. Ranke). Nur die Jesuiten wollte er durchaus nicht,
weder in der Armee, noch in seinen Ländern überhaupt sehen.
Da die Riesengardo des Königs aus allen Ecken und Enden der
Welt zusammengeholt war und die Grenadiere den verschiedensten
Glaubensbekenntnissen angehörten (auch Moliren waren darunter, die
mit einem türkischen Bunde auf dem Kopfe in militärischem Aufzuge
vor dem Riesenregimente einherschritten), so hatte man auf königlichen
Befehl neben dem evangelischen und römisch-katholischen auch einen
griechisch- katholischen Gottesdienst eingerichtet; ja es Hess der König
mit grossen Kosten sogar griechische Priester und Kirchensänger aus
Russland kommen, um für das geistliche Wohl der blauen Riesen zu
sorgen. Den Türken, die er vom Herzog von Kurland für sein Leib-
regiment geschenkt erhielt, liess er einen Saal in Potsdam zur Abhaltung
des muhammedanischen Gottesdienstes überweisen. Grosse Summen ver-
schlang der Militärkirchhof in Potsdam, wo der König seine Riesen be-
grub, die in ihrer engen und uuzweckmässigen Kleidung meist durch
Schwindsucht und Blutbrechen schnell weggerafft wurden.
In Berlin war die von dem Vater des Königs erbaute Garnison-
kirche durch die Explosion eines benachbarten, als Pulvermagazin be-
nutzten, alten Vertoidigungstunnes am 12. August 1720 teilweise zer-
stört worden. Kurze Zeit nach der Katastrophe befahl Friedrich Wilhelm I.
den Neubau der Kirche auf derselben Stelle. Ende Mai 1722 war der
Bau vollendet. Die feierliche Einweihung der neuen Kirche fand am
Sonntag den 31. Mai statt.
Betreffs des geordneten Kirchenbesuches der Soldaten erging unter
unter dem 4. Juni 1725 eine Königliche Cirkular-Ordre an alle Regiments-
chefs, die Kapitäns anzuhalten, dass sie in Person ihre Leute in die
Kirche führen. Die lutherischen Offiziere sollen allemal in die Kirche
gehen und die Schildwachen an den Kirchentüren Niemanden vor dein
Segensprechen herauslassen. Offizieren und Gemeinen wird in derselben
Ordre eingeschärft, den Genuss des heiligen Abendmahls nicht zu
unterlassen.
Aus der trüben Zeit tiefgreifender Konflikte in der Familie des
Königs ist besonders der Feldprediger Müller von dem in Berlin stehen-
den Regiment Gensd'armes, dem Musterregiment unter der Reiterei des
Heeres, bekannt geworden. Der König hatte viel Gutes von ihm gehört.
Anf Königlichen Befehl musste Müller den Lieutenant v. Kattc zum Tode
vorbereiten und mit ihm nach Küstrin gehen, wo der unglückliche junge
Mann auf dem Wege zum Blutgerüst von Müller und dem in Küstrin
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Erich Schild, Divisionspfarrer.
stationierten Garnisonpredigfi* Besser begleitet wurde. Dem Feldprediger
Müller war vom König noch besonders befohlen, er solle nach der
Exekution zu dem gefangenen Kronprinzen gehen und ihm ins Gewissen
reden, in sieh zu gehen und Gott mit zerknirschtem Herzen um Ver-
zeihung der schweren Süude zu bitten, die er begangen, indem er Leute
verführt, deren einer das mit dem Leben gebüsst habe. Müller, dem der
Kronprinz viel Zuneigung und Vertrauen bezeigte, konnte Gutes be-
richten und erhielt Weisung vom König, bei dem Prinzen in Küstrin zu
bleiben, unablässig an dessen Bekehrung zu arbeiten und ihm vorzüglich
den schweren Irrtum von der unbedingten Gnadenwahl zu benehmeu,
eine dem König besonders widerwärtige Lehre, die der Prinz früher
wiederholt seinem Königlichen Vater gegenüber verteidigt hatte. Wie
Müllers Bemühungen vom besten Erfolg gekrönt wurden, der Kron-
prinz seinen Vater schriftlich bat, ihm zu verzeihen, und der Gnade
seines Vaters sich völlig unterwarf, ist aus der vaterländischen Ge-
schichte bekannt.
Am 31. Mai 1740 beschloss der König, dessen Bedeutung für die
innere Geschichte Preusseus erst in unserer Zeit voll und ganz erkannt
und gewürdigt worden ist, mit den Worten: „Herr Jesu! Du bist mein
Gewinn im Leben und im Sterben", seine irdische Laufbahn. Einige
Tage vor seinem Tode, am 27. Mai, hatte er den Feldpredigor Oesfeld
rufen lassen, um sich zum Tode vorbereiten zu lassen. Gute treue Seel-
sorger hatte der König stets gern gehabt, wenn sie ihm auch die herbsten
Wahrheiten sagten. So durfte der strenge Kousistorialrat und Propst
Roloff, der mit den beiden Feldpredigern Oesfehl und Cochius am 30. Mai
am Bette des Königs weilte, dem sterbenden Monarchen noch so scharfe
Ermahnungen erteilen, wie sie sich wohl selten jemals ein Fürst hat
gefallen lassen. Der König behauptete, dass er die Geistlichen immer
geehrt, Gottes Wort gern gehört, die Kirche tleissig besucht, auch keinen
Ehebruch begangen habe, sondern seiner Frau unverbrüchlich treu ge-
wesen sei, und wollte von Siunesäuderung nichts wissen. Roloff wider-
sprach ihm aber, indem er anführte, dass der König z. B. durch er-
zwungenes Häuserbauen in Berlin viele seiner Unterthanen gedrückt,
dass er Todesurteil«? geschürft und ungerechte Hinrichtungen verfügt
habe. Da sagte der König: „Er schont meiner nicht; er spricht als ein
guter Christ und als ein ehrlicher Mann mit mir. Ich danke ihm dafür
und erkenne, dass ich ein grosser Sünder bin." So starb er mit der
frommen Ergebung eiues Christen in der gewissen Hoffnung auf
Gottes Gnade.
Seinem Nachfolger hinterliess er ein trefflich geübtes und mit allem
zum Kriege Notwendigen reichlich ausgerüstetes Heer, das er während
seiner Regierungszeit von 38000 bis auf einige und 80000 Manu ver-
mehrt hatte. Bei keinem stehenden Heere der damaligen Zeit, ja des
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Da* bramlunbg.-preuss. FeMpredigonvesen in seiner geschieht!. Entwicklung 97
vorigen Jahrhunderts überhaupt, war für (Ho religiösen Bedürfnisse der
regulären Truppen in Friedens- uud Kriegszeiten so ausgezeichnet ge-
sorgt, als bei diesem, wo jedes auf dem Feldetat stehende Infanterie-
und Kavallerieregiment seinen eigenen evangelisch-lutherischen Feld-
prediger hatte, wahrend mit der Seelsorge für die reformierten und
katholischen Soldaten, die in Friedenszeiten der geistlichen Fürsorge
bestimmter Zivilpfarrer ihrer Konfessionen empfohlen waren, in Kriegs-
zeiten (seit Friedrich 'dem Grossen) eigens für die Dauer des Krieges
angestellte und besoldete evangelisch - reformierte Feldprediger bez.
katholische Feldpater betraut wurden.
Friedrich der Grosse, obwohl für seine Person dem Glauben der
Kirche abgewandt, wollte doch die Religion in Armee uud Volk erhalten
wissen. Carlyle, sein englischer Biograph und begeisterter Verehrer, sagt
von ihm: „Er giebt sich viel Mühe mit seiner predigenden Geistlichkeit
von dem Feldprediger an aufwärts — giebt ihnen wohl mitunter bei
Gelegenheit Text und Thema für ihre Predigt an; ist allezeit bedacht,
zum geistlichen Beamten den rechten Mann am wichtigen Platze zu
haben; . . . und es ist bemerkenswert, welch ein Fond von Gottesfurcht
und religiösem Glauben in rauher, wirksamer Form in den Armeen und
Völkern eines solchen Königs existirt."
Unter Friedrich dem Grossen trat an die Stelle aller früheren Ver-
ordnungen eine ausführliche Aintsordnung für die Feldprediger des
preussischen Heeres, die sogenannte Feldpredigerordnung vom lü. Juli
1750, die vom Feldpropst Decker in Gemeinschaft mit dem damaligen
General -Auditeur Mylius ausgearbeitet ist und bis zum Erlass des
Militär-Kirchenreglements vom 2^. März 1811 Geltung gehabt hat. Sie
handelt im ersten Hauptabschnitt vom Militär- oder Krieges-Konsistorium,
im zweiten von der Kirchenordnung der Feldprediger: im dritten giebt
sie agendarische Formulare. Die Gesammtzahl der evangelischen Feld-
prediger belief sich nach einem im geheimen Staatsarehiv befindlichen
vollständigen Verzeichnis aus dem Jahre 1756" auf 118. Die Armee war
damals 152 000 Mann stark. Rechnet man die Katholiken -ah, so hatte
jeder Feldpredigcr durchschnittlich etwa 1000 Mann geistlich zu versorgen.
Friedrich der Grosse hielt etwas auf tüchtige Feldprediger. Man
darf dies wenigstens aus der Weisung schliesscn, die er einige Jahre
vor dem siebenjährigen Kriege dem Fehlpropst Decker erteilte, keinem
Kandidaten ein Feldpredigeramt zu geben, wenn er nicht „im Examen
seiner Wissenschaften und Moraütät wohl bestanden wäre." Auch seine
Äusserung zu dem englischen Gesandten Mitehel: „Nun wird das Land
und die Armee bald mehr Prediger bekommen, denn ich lasse an der
Verbesserung der Schulen und Universitäten tüchtig und tapfer arbeiten",
zeigt, dass der ihm früher gemachte, jedoch schon von seinem Zeit-
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Erich SchiM, DivisionHpfarrer.
genossen «lern Oberkonsistorialrat Abrah. Teller widerlegte, Vorwurf, er
habe die Verminderung des Predigerstandes bei seiner Armee eingeführt,
ein ungerechter war.
Andererseits freilich gab es doch auch wieder Zeiten, wo er un-
gerechter Weise die Thätigkeit der Feldprediger gering schätzte und die
Feldprediger selbst mit dem Spottnamen Chekers (in seiner Schreibart)
belegte. Das geschah besonders, wenn er im Gespräch mit Voltaire
oder anderen französischen Gelehrten seiner Umgebung auf die Unduld-
samkeit der katholischen Priester zu reden kam, wobei er sein abfälliges
Urteil wohl auch auf die protestantischen Geistlichen ausdehnte, sie
„dumme Pietisten oder Heuchler" schalt, die nach seiner Ansicht nicht
„helle" genug dächten.
Diesem Vorurteil des grossen Königs steht die Thatsache entgegen,
dass in den schlesischen Kriegen und im siebenjährigen Kriege im Heere
Friedrichs eine grosse Zahl nachweislich ausgezeichneter Feldprediger
diente, die durch unermüdcte Sorgfalt für die Kranken und Blessirten,
durch Beförderung und Verbreitung einer religiösen Gesinnung unter
den Soldaten, durch Besonnenheit und Klugheit in entscheidenden Augen-
blicken sich rühmlichst hervorthaten. Es genügt, in dieser Beziehung
zu nennen Seegebart, von dem F. L. .Jahn im deutschen Volkstum
sagt: „Seegebarts Bildniss — der als Feldprediger das Regiment Erb-
prinz von Dessau und einige Schwader Reuterei in dem Treffen bei
Chotusitz sammelte und gegen den Feind führte — sollte jeder Feld-
prediger auf einer Denkmünze tragen." Ferner: Tiede, gestorben als
Konsistorialrat in Schweidnitz; Herrnschmid , später Hauptpastor zu
St. Michaelis in Hamburg; die Feldpröpste Carsted, Decker, Balk.
Letzterer war früher Feldprediger beim Seydlitzschen Regiment Kürassiere
gewesen, mit welchem er, jedoch ohne selbst ein Schwert zu führen,
bei Rossbach die berühmte Attacke gegen die feindliche Kavallerie mit-
geritten hatte. Seydlitz hielt grosse Stücke auf diesen seinen Feldprediger,
der dem berühmten Reitergeneral auch insofern eine geistige Rüstkammer
war, als er sämmtliche Bücher, die Seydlitz vom König zur Lektüre
erhalten, indessen selbst durchzulesen keine Lust hatte, eingehend
studieren und Seydlitz kurz über den Inhalt berichten musste, damit
dieser an der Tafel des Königs, wenn das Gespräch auf jene Bücher
sich lenkte, darüber mitreden konnte. Zur Aufbewahrung für solche
ihm von seinem Regimentschef übergebene königliche Bücher führte
Balk im Felde ein besonderes Kistehen mit sich. Andere tüchtige
Feldprediger aus jener Zeit waren Protzen, Feldprediger bei dem
Prinz Leopold Braunschweig'schen Infanterie-Regiment, später Inspektor
und Oberprediger in Züllichau, Verfasser der ausgezeichneten, in
mehreren Auflagen erschienenen, jetzt noch für den Militärprediger
sehr lesenswerten „Feldaudachten und Predigten für Kriegsleute";
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Das brandenbg.preuss. Feldpredigerwesen in seiner gesebiehtl Entwicklung. 99
Töllner*), später Professor der Theologie in Frankfurt a. 0.; Karl
Daniel Küster, reformierter Stabsfeldprediger, später Konsistorialrat,
Inspektor und erster Prediger der reformierten Gemeinde in Magdeburg;
Samuel Christian Küster, Feldprediger des Graf Gessler'schen Kürassier-
regimentes, später Inspektor und erster Prediger auf dem Friedrichs-
Werder und der Dorotheenstadt in Berlin; Sadewasser, von 1741 an
Fehlprediger bei dem damals neuerrichteten Dragoner -Regiment von
Nassau, später Ober-Konsistorialrath in Berlin; Borowsky, am 5. Juli
1762 in Berlin zum Regimentsprediger ordiniert, später geadelt und zum
evangelischen Erzbisehof ernannt; Süssmilch, später Ober-Konsistorial-
rat, Propst und Inspektor in Berlin: Fischer, Verfasser von „Homilien",
die ihrer Zeit mit vielem Beifall aufgenommen wurden: Haehn, bis
1752 Feldprediger beim Regiment Gensdarmes, später Generalsuperinten-
dent von Ostfriesland: Pappelbaum, Feldprediger beim von Bornstedt'-
sehen Regiment und der Berliner Garnisonkirche, Verfasser von „Feld-
predigten": Schröter, Goldbeck, Benike, und viele andere. Benike
war Garnisonprediger in Küstrin, wo am 5. Juli 1762 gegen 4000, in
den Kasematten der Festung liegende, österreichische Gefangene revol-
tierten, die Wachen ermordeten und, nachdem sie der vor den Eingängen
der Kasematten aufgepflanzten Kanonen sowie der Gewehre der Wach-
mannschaften sich bemächtigt, auf die Wälle drangen und aus dem
Geschütz von hier in die Strassen der Stadt feuerten. Der Kommandant
Oberstlieutenant v. Heyderstädt wurde dadurch am Fasse verwundet.
Da wagte sich Garnisonprediger Benike mit Lebensgefahr auf den Wall,
redete den Rebellen gütlich zu und trug dadurch sehr viel zur Stillung
der gefährlichen Revolte bei.
Neben den pastoralen Funktionen, war die Thätigkeit des Feld-
predigers für den Jugendunterricht vielfach in Anspruch genommen, da
sich in den Garnisonsorten viele Soldatenfainilien befanden, deren Kinder
auf Kosten des Regimentes Schulunterricht empfingen. Tin preussischen
Heere war die Zahl der Soldatenkinder erstaunlich gross, weil das
Heiraten der Unteroffiziere und Gemeinen „ zur Steigerung der Population"
von allerhöchster Stelle aus im vorigen Jahrhundert in jeder Weise be-
fördert wurde. Stabsfehlprediger Küster rechnet im Durchschnitt auf
1000 Mann 500 Kinder, so dass nach seiner Meinung gegen Ende der
•) Töllner war Feldprediger im Regiment des Fcldmarschalls Schwerin, der dem
König wiederholt bei Tafel von der Amtswirksamkcit seines Feldpredigers erzählt
hatte. Als nun Töllner vom Feldprcdiger zum Frankfurter Universitätsprofessor be-
fördert war, sagte der König dem FHdmarschnll Schwerin: „Empfehle er seinem
bisherigen Fehlprediger nur, dass er du- künftigen jungen Priester besser unterrichtet,
als es von so vielen butten Professoren geschieht. Die Studenten müssen zuvörderst
Locke's und Wolff's Philosophie studiren und dann erst ihre Theologie verstehen und
prüfen lernen; sonst werden sie Saalhaders."
7*
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loo
Erich Schild, Divisionspfarrer
Regierung Friedrich des Grossen „die auf 200,000 Mann angestiegene
Armee gewiss 100,000 Söhne und Töchter zählte." Schon im .Jahre 1740
hatte das aus dem Potsdamer Riesenregiment nach Autlösung desselben
hervorgegangene Grenadier-Garde-Bataillon allein 5*3. Kinder. Und eine
„Seelenliste der Berliner Garnison vom Jahre 17 76" berechnet die Starke
der letzteren ohne die Beurlaubten, die mit ihren Frauen und Kindern
auf dem platten Lande lebten, auf 18,052 Köpfe, wozu 552(3 Soldaten-
frauen mit 6662 Kindern gehörten.
Die Soldatenfrauen und Soldatenkinder wurden als zur Armee
gehörig betrachtet. Für den Unterricht der letzteren sorgten die Regi-
ments- oder Garnisonschulen, deren Inspektor der Regiments- oder
Garnisonprediger war. Die Regiments- oder Garnisonschule war eine
niedere Bürgerschule. Als Lehrer fungierte vielfach der Regimentsküster.
Den Religionsunterricht erteilte der Feldprediger oft selbst, dem auch
die Führung des Rechnungswesens der Schule oblag.
Im allgemeinen empfahl Friedrich der Grosse, man solle die Kinder
nicht mit der „sogenannten Schultheologie" belästigen; denn dieSoldaton-
und Bürgerkinder sollten „nicht gelehrte, sondern nur vernünftige
Christen" werden, welche Gott und ihrem Landesherrn gehorchten und
einen guten Wandel führten, der Gott und Menschen wohlgefiele. Dazu
werde aber nur ein einfacher und auf den Charakter des Menschen ein-
wirkender Unterricht erfordert. Namentlich sei recht deutlich zu lehren,
was der grösste Menschenkenner Christus als wichtig klar vorgestellet hätte.
Wie die Regiments- und Garnisonschulen, so hatten die Feldprediger
auch die Lazarette fleissig zu besuchen und von Zeit zu Zeit daselbst
Betstunden zu halten. Den Fahnjunkern aber sollten sie in der Friedens-
garnison wöchentlich zweimal über religiöse Moral und über geschicht-
liche Themata Vorlesungen halten. Später wurde diese Einrichtung
durch Kabinetsordre dahin erweitert, dass der Feldprediger in der
Junkerschule seines Regimentes den Fähnrichen Unterricht im deutschen
Stil, Geographie, Geschichte, Moral, französischer Sprache und in den
Anfangsgründen der Mathematik zu erteilen hatte.
Ihr schmales Einkommen suchten manche Feldprediger dadurch
zu verbessern, dass sie einem oder mehreren Fahnjunkern gegen Be-
zahlung Wohnung und Essen in ihrem Hause gewährten, sie also zu
sich in Pension nahmen. Männer wie York von Wartenburg, der
preussische Generalfeldmarschall, haben nach Drovsens Zeugnis ausser
dem Elementarunterricht in früher Jugend keine andere geistige Aus-
bildung in ihren Jünglingsjahren genossen, als diejenige, die sie als
Fahnjunker durch den Feldpredigcr ihres Regimentes erhielten.
Betreffs der Amtskleidung der Feldprediger hatte schon eine könig-
liche Ordre vom 14. Dezember 1742 bestimmt: „Wegen der Feldprediger
ist es mein Wille, dass solche ebenso gekleidet sein sollen als der jetzige
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Das brandenbg. prenss Feldpredigerweson in seiner geschieht!. Entwiekelung. 101
Feldprediger von meinem Regiment (Gartie). u Eine besondere Tracht
für seine Feldprediger anzuordnen, war der gross« König im ersten
sehlesischen Kriege durch den Umstand veranlasst worden, dass einige
katholische Ordensleute um desswillen mit Verachtung von den prote-
stantischen Feldpredigern gesprochen hatten, weil diese für gewöhnlich,
wenn sie nicht Amtshandlungen zu verrichten hatten, einen einfachen
blauen Kock trugen. „Seheu die Herren auf die Kleidung", sagte der
König, „so will ich meine protestantischen Feldprediger bald in den
Augen dieser Schwachköpfe Schätzungswert machen. Ich will ihnen den
Anzug eines distinguirten katholischen Geistlichen geben". Und so er-
hielten denn die Feldprediger Befehl, ein kurzes gekräuseltes Haar,
seidenen Mantel, blau-weisse Kragen, seidene Strümpfe und kurze blaue
Manschetten, wie ein französischer Abbe, anzulegen. Als in Preussen
durch Königliche Verordnung vom 1. Januar 1811 die Amtskleidung
der evangelischen Geistlichen geregelt und überall der „Chorrock oder
Hube von Satin, oder anderen leichten wollenen Zeugen von schwarzer
Farbe nebst Sammtbarett und weissem Halskragen unter dem Kinn"
eingeführt wurde, verschwand auch die bisherige Amtstracht der Feld-
prediger. Doch ist speziell das blaue Päftchen vielfach noch in den
Freiheitskriegen das Abzeichen des Feldpredigers gewesen. In einer
jetzt im Hohenzollern- Museum befindlichen Sammlung kleiner Wachs-
ligürehen von Offizieren aller Regimenter der friderieianischen Annen,
dem Unifo einschnitt nach aus der Zeit kurz vor dein siebenjährigen
Kriege, ist auch die Figur eines Feldpredigers, die in ihrem Anzüge
ganz der erwähnten, vom König 1742 für die Feldprediger erlassenen
Bekleidungsordre entspricht.
Die Rangliste der prenssischen Armee vom Jahre 1801 zählt auf
bei jedem Infanterie- und Kavallerieregiment sowie bei jedem der sechs
Füsilier-Bataillone (deren Garnisonorte Bialystok, Plock, Bielsk, Petrikau,
Wloclawek und Kreuzberg waren) einen Feldprediger — mit Ausnahme
des Husaren regimeutes Nr. 10 (im Jahre 1800" Regiment Usedom), das
zwei Feldprediger, nämlich bei jedem Bataillon «'inen hatte. Ausserdem
gab es Garnisonprediger in Königsberg, Magdeburg, Kosel, Kolberg,
Spandau, Küstrin, Pillau, 1 Prediger beim Invalidenkorps und 1 Prediger
beim Kadettenkorps in Berlin. Auch zwei katholische Militärgeistliche
verzeichuet die genannte Rangliste, 1 beim Invalidenkorps und 1 beim
Regiment Courbiere Nr. 58. Merkwürdigerweise war damals auch ein
muhamedanischer Feldgeistlicher in der prenssischen Armee angestellt.
Bei dein fünf Eskadrons starken Bataillou der Towarczys nämlich (einer
Art Ulanen, 1788 als selbstständiger Truppenteil aus dem Bosniakenkorps
gebildet, heute 1. und 2. Ulanen-Regiment) bestand die fünfte Eskadron,
die sogenannte Tataren-Eskadron, aus wirklichen Tataren. Sie hatten
einen eigens für sie besoldeten inuhainedanischen Kaplan (fmam).
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102
Erich Schild, Diviftionspfarrer.
Nach der Zertrümmerung der alten, durch den Tilsiter Frieden von
Napoleon auf 42,000 Mann verringerten preussischen Armee brach eine
furchtbare Not herein wie über so viele entlassene Offiziere und Staats-
beamte, so auch über die grosse Mehrzahl der preussischen Feldprediger.
Einer derselben schreibt im März 1807: „Jetzt, in den Tagen allgemeiner
Zerrüttung und Auflösung, ohne Amt, ohne Besoldung, müssen wir die
harte Hand des Schicksals männlich ertragen und uns durch die Hoffnung
besserer Zeiten beruhigen. * Von den Beamten aller Grade, welche
schaarenweise durch das Unglück des Staates brotlos geworden waren,
sah man damals Männer aus hohen Stellungen, Regierungs- und andere
Räte, selbst Dorfschullehrerstellcu annehmen, um nur das nackte Leben
zu fristen. Ein Feldprediger in Neisse, dein es in dieser furchtbaren
Zeit der Prüfung nicht gelang, auch nur die dürftigsten Existenzmittel
zu finden, gab sich aus Verzweiflung über seine Lage mit seiner Frau
in den Wellen des Flusses den Tod.
Sehr instruktiv für diese Zeit und zugleich interessant für die
bürgerlichen Zustände der letzten dreissig Jahre des vorigen Jahrhunderts
ist das bis zum Jahre 1810 reichende Tagebuch des w eiland preussischen
Feldpredigcrs Johann Adam Stahr, Vaters des im Jahre 187ü verstorbenen
bekannten Aesthetikers und Literarhistorikers Adolf Stahr. Vor etwa
zehn Jahren schrieb mir des letzteren Wittwe Frau Fanny Lehwald Stahr,
dass sie beabsichtige, diese Lebensbeschreibung ihres Schwiegervaters
selbst durch den Druck zu veröffentlichen. Leider hat der Tod sie er-
eilt, ehe sie diese ihre Absicht zur Ausführung bringen konnte.
Im Jahre 1811 unter dem 28. März erschien das, die Feldprediger-
ordnung vom Jahre 1750 aufhebende, umfangreiche Königl. Preuss.
Militair-Kirchen-Reglement, wodurch die religiöse Versorgung des nume-
risch so stark reduzierten Heeres von neuem fest geordnet wurde. Bei
jeder der sechs Brigaden der Armee wurden sowohl im Frieden, als im
Kriege drei Prediger angestellt, deren Gehalt im Frieden jährlich für
jeden 400 Thaler betrug. Sie hatten ihre Gemeinden überallhin, es sei
im Kriege, oder im Frieden, zu begleiten. In jeder der drei Hauptstädte
Berlin, Königsberg und Breslau befand sich ausserdem ein „für immer
an diesem Ort fixierter" besonderer Garnisonprediger, von denen der
in Königsberg auch der littauischen Sprache völlig kundig sein musste.
Besondere Festungsprediger wurden für Pi Mau und Silberberg angestellt.
Bezüglich der Militärprediger überhaupt bestimmte das Reglement: „Sie
sind sämtlich der evangelisch -lutherischen Konfession zugethan. in
Kriegszeiten sollen jedoch ausserdem bei einem jeden Armeekorps auch
ein oder einige reformierte und katholische Geistliche angestellt werden,
auch soll bei den Haupt- Lazaretten, wo es nötig ist, ein besonderer
Prediger alsdann angesetzt werden."
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Das brandenbg.preuss. Feklpredigerwesen in seiner geschichtl. Entwickelung. 103
Das Kriegskonsistorium wurde aufgehoben. Sämtliche
Militärprediger standen nunmehr unter der Civil -Konsistorial- Behörde.
Auch die Stelle des Feldpropstes ging ein. Ebenso ward das
Recht der Wahl des Feldpredigers durch den Regiments- oder jetzt
Brigade-Chef beseitigt. Die Vokation für den Militärprediger fertigte
nunmehr diejenige geistliche Regierungs-Deputation aus, in deren Bezirk
die dem Prediger zum Wohnort angewiesene Garnison lag.
Als nach den Befreiungskriegen, aus denen leider nur wenige Auf-
zeichnungen preussischer Feldprediger vorliegen — der namhafteste unter
ihnen war Offelsmeyer — , das preussische stehende Heer wieder eine
Stärke von 130,000 Mann erhalten hatte, wurden durch die jetzt noch
geltende Militär-Kirchen-Ordnung vom 12. Februar 1832 die kirchlichen
Verhältnisse der Armee dementsprechend neu geregelt. Die 1811 ein-
geführte Unterstellung der Militärprediger unter die Superintendenten
wurde wieder aufgehoben und die Zahl der Militärgeistlichen dadurch
etwas vermehrt, dass bei jeder Division zwei Divisionspfarrer und eine
Anzahl Garnisonpfarrer für die Festungen angestellt wurden.
In Bezug auf die Thätigkeit der preussischen Feldgeistlichkeit irn
letzten Kriege darf ich zum Schluss mitteilen das Telegramm, das der
verewigte Kaiser Wilhelm I. am 8. März 1871 von Ferneres aus dem
Feldpropst Thielen zusandte:
„Erst jetzt, nachdem der Friede gesichert, vermag Ich Ihnen Meinen
aufrichtigen Dank für Ihr Glückwünschungsschreiben auszusprechen.
Wenn der Herr der Heerschaaren mit uns ist, wer will wider uns sein?
Es hat sich hier erwiesen in den gewaltigen Kämpfen, die immer zum
Siege führten, und in dem ehrenvollen Frieden. Dass er dauernd sein
möge nach so schweren Opfern, die das Heer im Felde und die Vater-
landsliebe in der Heimat brachte! Mir ist ein Loos zugefallen, das Ich
niemals erträumt hatte und das Ich in Demut von Gottes Willen an-
nehme. Ihre Feldgeistlichen haben allgemeines Lob und An-
erkenntnis gefunden und sind in ihrem Berufe gefallen und
haben geblutet.
Wilhelm.14
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Das Bauernhaus in der Mark.
Von Robert Mielke.
Mit 1 Tnfel und 33 Textabbildungen.
Die reiche Literatur, welche sich mit iler Geschichte und der Ver-
breitung des deutscheu Bauernhauses beschäftigt, ist bisher im Wesent-
lichen bei den einzelnen Arten desselben stehen geblieben, ohne Rücksicht
auf die Abwandlungen zu nehmen, die der herrschende Typus im Rahmen
eines bestimmten Territoriums erlitten hat. Dabei ist die Mark Branden-
burg insofern zu kurz gekommen, als man sie im Allgemeinen mit in
jenes umfangreiche Gebiet einschloss, für welches der fränkische Typus
als der vorherrschende gilt. Meitzen*) lässt zwar in der seiner Schrift
beigegebenen Verbreitungskarte das sächsische Haus den nördlich der
Spree gelegenen Teil der Mark bis zur Oder einnehmen, ohne jedoch in
dem Text weiter darauf einzugehen; während Henning**), der für die
norddeutsche Tiefebene zwischen Elbe und Weichsel drei Stilgattungen
annimmt, die Grenzlinie zwischen fränkischem und sächsischem Haus
von Taugermündo nach den Odermündungen zieht. Wenn auch in den
nachfolgenden Ausführungen, die als Ergebnisse mancher tag- oder
wochenlangen Wanderung auf märkischen Boden nur eine bescheidene
Würdigung beanspruchen, diese Trennungslinie nicht weiter verändert
wird, so werden sie doch erkennen lassen, dass sich innerhalb des be-
schränkten Gebietes eine rege Tliätigkeit in dem Häuserbau entwickelt
hat, die im engsten Zusammenhange mit der Kolonisationsbeweguug
steht. Denn wie sich hier die einzelnen Völkerstämme durcheinander-
schoben, nicht ohne ihre besonderen Eigentümlichkeiten in breiten
Schichten abzusetzen, so haben sich auch die Typen des Bauernhauses
deutlich abgelagert. Wie wir slavische, flämische, sächsische und
fränkische Elemente in der Bevölkerung nachweisen können, die teil-
weise vermischt, teilweise auch noch getrennt in lokalen Distrikten
nebeneinander bestehen, so zeigt sich auch in der bäuerlichen Architektur
der formale Niederschlag dieser so verschieden beanlagten Stämme.
*) Meitzen. Das deutsche Haus in seinen volkstümlichen Formen. Berlin 1882.
**) Henning. Das deutsche Haus in seiner historischen Eutwiekelung. Strasa-
burg 1882.
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Das Bauernhaus in der Mark.
105
Zwar beherrscht das fränkische Haus, das ja nachweisbar immer
.siegreicher in Deutschland vordringt, und das eines Tages vielleicht alle
anderen verdrängt haben wird, auch im Lande des roten Adlers alle
anderen Formen; doch tritt schon in dem slavischen, wie es sich mehr
oder minder beeinflusst in den Spreewaldlandschaften erhalten hat, eine
in sich abgeschlossene Abart deutlich hervor. Hei aufmerksamer Be-
obachtung zeigt sich aber, dass die Mark reicher an Stilgattungen ist,
als ein flüchtiger Umblick erwarten lässt, wenn auch so prachtvolle
Entwickelungen, wie sie Norwegen, die Schweiz und einzelne Gegenden
Mitteldeutschlands hervorgebracht haben, hier nicht zu suchen sind.
Gegen das Übergewicht des fränkischen Hauses haben sich die anderen
nur schwer und das zum Teil unter Aufgeben einzelner ihrer Eigentüm-
lichkeiten halten können; dazu kommt dann noch, dass der Einfluss des
städtischen Hauses, der von einer so beherrschenden Centrale wie Berlin
auf das Land getragen wird, umgestaltend auf die altererbten Über-
lieferungen einwirkt und neue, den ländlichen Bedürfnissen schon ent-
fremdete Formen erzeugt. Es ist nicht schwer diese letzteren, zum
grössten Teil recht geschmacklosen Einflüsse, herauszufinden; schwieriger
ist es schon, die ursprünglich nebeneinander bestehenden 1 laustypen zu
erkennen. Hier kann nur ein Verfolgen der einzelnen und ihre Ver-
gleichung mit den anderen in Deutschland vorkommenden Hausarten
Klarheit geben. Haben wir also einerseits mit erheblichen Schwierig-
keiten zu kämpfen, um zur Erkennung der Urformen zu gelangen, so
haben wir andererseits die Befriedigung, der Entwicklung der Typen
auf einem Boden nachzugehen, der wie wenige einen Reichtum von den-
selben besitzt, und dessen festgelagerte Schichten das allmälige Werden
illustrieren. Von der armseligen Lchmkuthc durch alle Stadien des
Holzbaues hindurch bis zum feuersicheren Backsteinbau lässt sich in
der Mark die Entwicklung und mit dieser zugleich die Wechselbeziehung
des Bauernhauses mit dem Stadthause verfolgen.
Von den vier Typen, die sich deutlich von einander abheben, nimmt
der fränkische den grössten Raum ein; obwohl auch das wendische
Haus in verhältnismässig zusammenhängenden Komplexen erscheint.
Daneben sind die Grenzdistrikte im Osten von dem polnisch-slavischen,
im Norden von dem sächsischen reichhaltiger durchsetzt. Während aber
das letztere sich in einzelnen Linien bis zur Spree hinzieht, finden sich
auf dem ganzen Gebiet die Einflüsse des wendischen mehr oder minder
deutlich ausgesprochen. Das fränkische Gehöft kehrt überall in seinen
typischen Grundanlagen wieder, bestehend aus dem grossen, an der Dorf-
strasse gelegenen Thorhause, der gegenüber liegenden Scheune und den
die beiden anderen Seiten des Grundvierecks abschliessenden Wohn-
und Stallgebäuden (Abb. 1). In der Regel steht das Wohnhaus links
von dem in den Hof Eintretenden ; doch ist es auch vereinzelt, z. B. in
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10G
Robert Mieike.
1. Seegefeld bei Spandau.
Mellon bei Zossen (Abb. 2) auf der rechten Seite angeordnet Der Haus-
eingang ist stets auf der Langseite nach dein Wirtschaftshof zu. Das
Thorhaus , welches häufig
Kammern für die Wirtsehafts-
geräte enthält, ist nicht immer
vorhanden, sondern wird, be-
sonders nördlich von Berlin,
durch ein einfaches Bretter-
portal ersetzt. Zu einer neuen
Variante ist es auf dem öst-
ft^'i^/p liehen Ende des Fläming, wo
sich überhaupt viel wendische
Einflüsse geltend gemacht haben,
ausgebildet, dadurch, dass es den
ganzen Raum zwischen dem Wohn-
und dem Stallgebäude ausfüllt und
auch in gleicher Frontlinie mit
beiden steht (Abb. 3 u. 4). Nur
ein schmaler Gang bleibt in diesem
'/w^ Falle zwischen den Mauern stehen,
' der auch noch bisweilen kassirt
wird, so dass dann das Thorhaus mit den
beiden oder einem der beiden Nachbarhäuser
organisch zusammenwächst, eine um so be-
fremdendere Bildung, als sie an das in
Dänemark vorkommende Gehöft oder den
bayrischen Einödhof erinnert, ohne dass
an eine gegenseitige Einwirkung zu denken
wäre. Sie unterstützt aber die
Behauptung Bank alaris*), dass
der sogenannte oberösterreichische
Vierkant, der ein ganzes Carre
bildet, aus Einzelhäusern zusam-
mengewachsen sei, eine Behaup-
tung, der sich Dr. R. Meringer
4. Horsdorf. anschliesst **j
Eine bemerkenswerte Erscheinung und, wie es scheint, noch nicht
als Wegweiser für die Besiedelungsgeschichte der Mark herbeigezogen,
ist, dass sich vorzugsweise in der westlichen Hälfte der Provinz und
auf Anhöhen ganze Wirthschaftsgehöfte linden, die in ihrer einsamen
2. Mellen bei Zossen.
3 Görsdorf.
•j Ausland 1891.
*•) Sitzungsberichte der Anthropologischen Gesellschaft in Wien XXII. Band 181)2.
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Das Bauernhaus in der Mark.
107
Lage, von stämmigen Linden oder Kastanien umrauscht, an die Einzei-
lig fe Westfalens und Manövers erinnern, nur dass in der Mark das
Sächsische Wohnhaus durch das fränkische ersetzt ist. Ob dies nun
eine spätere Ersetzung ist, oder ob gleiche Verhältnisse zu gleichen An-
lagen geführt haben, sei dahingestellt. Jedenfalls verdienen diese Bauern-
höfe ein eingehendes Interesse.
Neben diesen (irosswirthsehaften, haben die Drangsale, welche in
jahrhondertlanger, reicher Folge die agrarischen Verhältnisse Branden-
burgs mehr als andere Länder zerrütteten, vereinfachtere Anlagen ge-
schaffen, die sich auf das fränkische, mit der Langseite der Dorfstrasse
zugewandte, Wohnhaus beschränken, dem sich ein hinterwärts parallel
gebautes Stall- und Scheunenhaus zugesellt. In den Dörfern des Ruppiner
Kreises hat man den Häusern durch ein aufgesetztes Stockwerk ein ganz
stattliches Aussehen gegeben, während anderwärts, z. B. in der Nuthe-
niederung mittels einer vorgebauten Laube eine höchst malerische Wirkung
erzielt ist.
Besonderer Ausbildung ist vielfach dem Stallgebäude gewidmet,
dessen Daehranm, um für die Heuvorräte den nötigen Platz zu schaffen,
oft um ein halbes oder ganzes
Stockwerk erhöht und an der
Hofseite bedeutend hervorgekragt
ist. (Abb. 5.) Bisweilen wird
diese Her vorkragung zu einer
offenen (lalerie ausgebildet, die
bald weniger, bald mehr künst-
lerisch verziert ist. (Abb. (>. 7.)
ß. Mellon bei Zossen.
Es scheint diese Galerie, welche auch im Erz-
gebirge vorkommt*), eine alte Bautradition
zu sein, denn sie findet sich schon auf dem
Merianschen Prospekt des Amtes Zehden
(Abb. 8). Im Verein mit den Vorlauben und
der noch weiterhin zu erwähnenden Holz-
ornamentik bezeugt diese, dass auch das mär-
kische Bauernhaus eine gewisse künstlerische
Ausbildung erfahren, die es
in der Gegenwart leider auf-
gegeben bat.
Da die fränkischen Wohn-
häuser bei uns in der Hegel
selten älter als hundert Jahre
sind, in den meisten Fällen 7 Bucbholi b xiemeok.
f. Zöllmomlort.
« Such Merian.
•) Landau. Beilagen zum Correspond<-n/.Matt d. deutsch. Gesch. u. Alt -Vereine VI. S.U.
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108
Robert Mielke
sind sie sogar erst in dem laufenden Jahrhundert entstanden, so ist die
ursprünglich einfache Anlage durch die Bedürfnisse der vorgeschrittenen
Zeit verwischt. Die alte Einteilung in zwei Haupträume, welche durch
den quer das Haus durchschneidenden Gang hergestellt wird, ist zwar
noch vorhanden, aber beide Hälften sind jetzt zu Wohnstuben herge-
richtet und der Herdrauin, einst den bedeutenderen Flur einnehmend,
ist heute durch eine Querwand von dein vorderen Teil desselben getrennt
und zu einer selbständigen Küche umgewandelt, in der die Feuerstelle
so an die Seitenwand gerückt ist, dass von ihr aus der benachbarte
Stubenofen mit erwärmt werden kann. Doch giebt es ohne Zweifel noch
ursprünglichere Anlagen. Herr Stadtrat Friede 1 entdeckte eine solche
in nächster Umgebung von Berlin, die nicht nur die älteste Einteilung
klar erkennen, sondern sicli auch urkundlich bis zum Jahre 1G71 zurück-
verfolgen lässt. Wahrscheinlich ist diese, das in dem Dorfe Dallgow
bei Spandau befindliche Pfarrhaus, noch viel älter, denn erst von dem
gedachten Jahre führen die noch vorhandenen Kirchenrechnungen die
einzelnen Verbesserungen und Veränderungen auf. Die Vermutung ist
gerechtfertigt, dass es noch immer seinem ursprüng-
lichen Zwecke dient, weil der Wirthsehaftshof (Abb. D)
einen nur kleinen Betrieb voraussetzen lässt. Das zwei-
geschossige Wohnhaus ist, wie sich aus der Lage der
: Dachbalken erkennen lässt, in späterer Zeit auf beiden
• Langseiten mit Anbauten versehen, von denen einer
> (Abb. 10 u. 11) schon seit Ge-
i— — *-< — — i
*-.i.ip *.r<*+*jn.fi. nerationen teilweis als Kaum
i^i^lnndnu für Abfälle benutzt wird, die
denselben noch heute bis zu dem zweiten Stock
füllen. Auch der hinterste Stall scheint erst
nachträglich hinzugefügt zu sein, denn die
durchgehende Fundamentschwelle beweist, dass
er mit dem benachbarten Seitenbau zugleich Dallgow,
errichtet wurde. Denkt man sich die durch Schraffur in dem Grundriss
angedeuteten späteren Anbauten fort, so ist die
alte Aidage deutlich erkennbar. Vom Flur aus
gelangt der Eintretende in die jetzt durch eine
Wand von diesem abgeschiedene überraschend
grosse Küche, in deren rechten vorderen Ecke
sich der aufgemauerte breite Herd erhebt. Zu
beiden Seiten führen Thüren in die nach der
li. Dallgow. Strasse gelegenen Stuben und, wenn man Bich
die eingebaute Kanuner fortdenkt, unmittelbar in den Stall. Verrät auch
die Eintheilung eine, vielleicht des besonderen Zweckes wegen beab-
sichtigte, Neigung zu ungewöhnlicher Wohnlichkeit, so gehört das Haus
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Das Bauernhaus in der Mark
109
doch zu den selteneren Denkmälern, welche noch durch die Wertschätzung
des Ilerdraumes an die älteste deutsche Bautradition gemahnen.
Nördlich der Spree haben die Dörfer ein wesentlich anderes Aus-
sehen als südlich derselben. Zwar herrscht auch hier der fränkische
Hof vor; aber es schiebt sich, erst bescheiden, dann immer stärker
hervortretend, das sächsische Haus dazwischen, um sich an der Elb-
Kreuze in dem reinen sächsischen Altmarkshause zu verlieren. Bekannt-
lieh vereinigt dieser Typus Menschen, Tiere und Ernte unter demselben
Dache. Die dafür bestimmten Einzelräume sind dann derartig gruppiert,
dass die ganze wirtschaftliche Thätigkeit nach demselben grossen Räume,
der Diele, zustrebt. Zu beiden Seiten der Diele befinden sich die offenen
Ställe, am Ende derselben der, in den ältesten Häusern freistehende
niedrige Herd, hinter dem mehrere Zimmer das Haus abschliessen. Durch
den Giebeleingang steht es zu dem fränkischen Hause in einem scharf
ausgesprochenen Gegensatz. Von dieser ursprünglichen Art sind Beste
nur noch in dem äussersten nordwestlichen Zipfel, der sich in den von
Elbe und Löcknitz gebildeten Winkel hineinschiebt, vorhanden, liier
tinden wir auch noch das uralte Rauchloch; hier beweisen noch die
schwarz angeblakten Balken, dass der Rauch einst das ganze Haus
durchzog, ehe er in das Freie gelangte. (Abb. 12).*)
Abwandlungen dieses alten Grundschemas lassen
sich bis in die Nähe von Berlin nachweisen. Es
giebt solche in Marzahne, 2 Meilen nördlich
von Brandenburg, Neueudorf a. Havel, Wans-
dorf und Bötzow im Osthavellande, Seege-
feld und Rohrbeek bei Spandau, Liepe bei
Oderberg und in Blankenburg bei Berlin. In
Rohrbeck stehen heut nur noch wenige, von
denen mehrere als aus dem vorigen Jahrhundert
stammend datiert sind. Eines derselben aus dem
i2. MMiich. Jahr 1744 lässt die ursprüngliche Anlage deutlich
hervortreten. Die Dreiteilung des Grundrisses in Diele und seitlich an-
geordnete Ställe ist erkennbar, nur sind letztere zu
Wohnräumen und Kammern umgewandelt, während der
Herd nach der rechten vorderen Ecke des Flures gewan-
dert ist, um die benachbarten Stuben mit zu erwärmen.
Noch lässt sich aber durch einen sonst ganz unmotivierten
Wandvorsprung und einen darauf lagernden, mächtigen
**t* Balken erkennen, dass gerade der hintere Teil der Diele
u KohrUok. einschneidenden Veränderungen unterworfen wurde.
*) Nähere Angaben in: Zeitschrift für Ethn. etc. 1886 Seite 42(5 fg.
>
3i. I./. 1 1
JUX./.
*
fffWII
F
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110
Robert Mielke,
Es ist nicht immer leicht, den sächsischen Typus ohne weiteres
festzustellen, da oft ausser dem Giebeleingang, der aus örtlichen Gründen
auch an fränkischen Hänsern bisweilen angebracht wurde (z. B. an dem
oben erwähnten Pfarrhans zu Dallgow) nichts weiter darauf hinweist
und selbst dieser, welcher bei den Stammhäusern in Westfalen, Hannover
und selbst bei den erwähnten Häusern im Nordwesten der Mark durch
ein grosses zweiflügeliges Portal angezeigt wird, schrumpft bei den
Märkern zu kleinen unbedeutenden Thülen zusammen. Die alte Diele
ist zu einem, zwischen den Wohngelassen laufenden Gang komprimiert,
der auf die Küche zu führt. Den hinteren Teil des Hauses nehmen,
wenn nicht besondere Gebäude dafür vorhanden sind, die Ställe ein,
und häutig hängt dann noch die Scheune hinten an. Nichtsdestoweniger
haben wir in dieser so veränderten Gestalt Verkümmerungen des sachlichen
Hauses zu suchen. Einmal ist das häutige Vorkommen an der nördlichen
und nordwestlichen Grenze der Mark, die an das grosse Verbreitungs-
gebiet des sächsischen Typus stösst, nicht minder beweisend als die in
den Kaumdispositionen noch immer festgehaltene ursprüngliche Einteilung;
es linden sich aber vereinzelt auch noch Exemplare, wie das Rohrbecker
Haus, bei denen die Verkümmerung noch nicht in dem skizzierten Masse
fortgeschritten ist. In dein Dorfe Herzberg im Kuppiner Kreise steht
ein solches, das wahrscheinlich mit zu den ältesten der Mark zu rechnen
ist. Auch bei ihm ist die Eingangsthür nur klein, der Flur befindet
sich in der Mitte, zu deren Seiten die Wohnzimmer liegen. Im Hinter-
grunde sehliesst sich aber die Küche
an, die einen verhältnismässig sehr
grossen Kaum einnimmt und in dieser
Gestalt an das „Flet" des sächsischen
Hauses erinnert. Da die weiteren An-
bauten nach Aussage des Besitzers 1779
errichtet sind, so können wir das Haus
selbst in den Anfang des Jahrhunderts,
wenn nicht noch früher setzen. Das-
selbe erregtauch noch dadurch Interesse,
dass ein Teil als eine Art Blockbau
mit Lehmverstopfung ausgeführt ist,
eine in der Mark ganz vereinzelt vor-
kommende Technik.
Neben diesen beiden genannten Haustypen tritt in der Provinz
Brandenburg noch eine dritte auf, die weder mit der fränkischen noch
mit der sächsischen und der noch zu erwähnenden wendischen zusammen-
gehört. Bei derselben ist die Giebelseite meistens der Strasse zugekehrt,
häutig zweigeschossig, und es wird der mächtig vorspringende obere
Teil des Giebels derartig von Säulen oder Pfosten gestützt, dass hier
L
14. Horrberg bei Nou-Rappin.
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Das Bauernhaus in der Mark.
111
eine räumlich ganz bedeutende Vorlaube entsteht, unter der sich, bald
in der Mitte, bald an der Seite, der Eingang befindet. Letzterer öffnet
einen Gang, der geradenwegs zu dem imponierenden Herdraum führt
An den Seiten liegen Stuben. Der sich an die Küche schliessende Kaum
ist ursprünglich für Stallungen bestimmt, in neuerer Zeit jedoch oft zu
Wohnräumen umgebaut, während erstere dann in Nebengebäuden unter-
gebracht sind. Am interessantesten ist der Herdraum, welcher sich in
einen mächtigen Schlot nach oben öffnet. Neuerdings ist derselbe nicht
mehr im Gebrauch, weil er zuviel Feuerung verschlingt; man hat dann
eine Kammer zur Küche umgewandelt, ihn aber meistens unverändert
gelassen. Der Stall ist für Pferde, Kinder und Schweine bestimmt. In
einem solchen Hause in Zäckerick*) am rechten Oderufer führen einige
Stufen von dem Herdraum in denselben, der früher für 16 Kühe, die
mit dem Kopf nach aussen
standen, eingerichtet war
I Abb. 15). Die Laube ist jetzt
häufig zugebaut (Zäckerick)
oder auch abgebrochen. In
dem letzteren Falle ähneln sie
dem sächsischen Typus, und
es ist fraglich, ob nicht Häuser ifc Ziickori.k «. o.
welehe demselben zugesprochen werden, hier hingehören. Zweifelhaft
ist es mir bei Häusern des Dorfes Liepe bei Oderberg. Der Grundriss
(Abb. 16) könnte sie zu sächsischen machen, die Nähe
jedoch des Gebietes der I,
mutung, dass sie verderbte
Immer sind Taubenhäuser von sehr grossen Ausdehnungen jr- j
und eignen sich vortrefflich für die häufig in ihnen betriebene \*' \
Gastwirtschaft. Der Zweck der Lauben wird von den Land-
leuten übereinstimmend dahin gedeutet, dass sie zum
Unterfahren des Erntewagens gedient haben. In den Dörfern des rechten
Oderufers, Alt-lilessin und Zäckerick sind noch verhältnismässig viel
Exemplare vorhanden, in anderen wie Alt-K üthnick (1849 durch Brand)
hat sie die Zeit verschwinden lassen.*) Wenngleich von diesem, an der
Oder Läwing- oder Löwinghäuser genannten Typus immer mehr ver-
schwindet, so kann er doch als ein solcher gelten. Denn wenn ein
Haus in räumlich so entfernten Punkten erscheint und dabei nach Grund-
riss und mehr noch nach äusserer Erscheinung übereinstimmend gebaut
ist, dann hat nicht nur der Zufall bei der Entwicklung bestimmend
•) Das Dorf, welches noch heute 7 von diesen alten Häusern besitzt, ist nach
einer Kircheninschrift 1774 abgebrannt; es müssen die Häuser also nach diesem Jahr
entstanden sein.
*♦/ Einige sind abgebildet und beschrieben in: Zeitseh. f Kthn. XXII JS'io. S. 530.
sächsischen machen, die Nähe , .
aubenhäuser gestattet die Ver- St^ite*
e Formen derselben darstellen, r~ tu )
ltl. Liepo
bei Oilertterg.
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112 Hubert Miclkc.
gewaltet. Der gedachte Aufsatz in der Zeitschrift für Ethnologie er-
wähnt Alt-Blessin und Zäckerick als Orte, wo solche Läwinge noch
vorhanden sind und Nahausen bei Königsberg i. N., Roderbeck in
Pommern und ganz allgemein den Templiner Kreis (Ukermark), wo
welche stehen .sollen. Diesen kann ich noch anreihen: Jädiekendorf
b. Königsberg i. X. (heute ohne Vorlaube), Butterfelde b. Mohrin i. N.,
_ Zichow (Abb. 17) zwischen Greifenberg und Prenzlau,
n'i^t_E3 Gr. Wubiser bei Mohrin; dann Linn in*), Sehönfliess
''"jZ / nördl. Herlin, Giesendorf bei Berlin (in jüngster Zeit
j*. t jtH^pr^j erst verschwunden), Rüthnick im Kreise Ruppin, Zinna*)
17. zichow. und Gerswalde i. U.
Wo ist nun die Urform dieses Hauses zu suchen? Sächsisch ist sie
sicher nicht, wie sehr auch der Grundriss zu einer solchen Annahme
herausfordert ; denn sonst müsste die Laube auch auf sächsischem Boden
zu linden sein. An fränkischen Ursprung ist erst recht nicht zu denken.
Wohl aber giebt es in Pommern, Posen, West- und Ostpreussen ein
Haus, das eine gewisse Übereinstimmung mit unserem märkischen Hause
aufweist, und das bis nach Russisch-Polen und Galizien hin verbreitet
ist. Auch bei ihm erhält das Äussere durch die mehr oder minder
freie Vorlaube sein charakteristisches Aussehen; auch bei ihm schliesst
sich an den Herdraum der Stall, nur dass, je mehr wir nach Osten
kommen, Herd- und Wohnraum zusammenfallen. Ist die Laube zuge-
baut, dann liegen auch noch vor dem ersteren Wohnräume. Wir können
also eine dreifache Entwicklung der Grundform verfolgen: Im Osten
Laube, Heid- und Stallraum, westlicher die erstere in Stuben verwandelt
und in der Mark offene Laube, aber der einfache Grundriss hat sich
unter den Einflüssen der überlegeneren Kultur zu einer grösseren Wohn-
lichkeit herausgestaltet. Je weiter wir nach Westen vorschreiten, um
so mehr entfaltet sich die letzte Phase und um so mehr entfernt sie sich
von der Urform. In der Neumark linden sich sicher noch mehr von
diesen Laubenhäusern, da ja der Typus bei seinem Weiterschreiten von
Osten nach dem Westen sicher häufigere Spuren seines Daseins jenseits
der Oder zurückgelassen haben wird.
Dass wir es hier mit einer alten Bautradition zu thun haben, bezeugt
Merian, der uns in seiner er. 1650 erschienenen märkischen Topographie
ein solches Haus aus Arnswalde im Abbilde (Abb. 18) er-
halten hat und ferner die in Schlesien seit Jahrhunderten
übliche Bauweise, deren Reste nicht allein in den alten
18 Nach Mormn städtischen Häusern noch erhalten sind, sondern die auch
in der Mark seit langer Zeit Eingang gefunden hat. Ein klassisches
Beispiel dieser Laubenhäuser bilden die am Ringe zu Schwiebus
'*) Abbildung in Bergan. Inventarisation »1. Hau- u. Kunstdunkm. d.M. Brandenburg
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Das Bauernhaus in der Mark
113
stehenden, welche Berg au in seiner Inventarisation erwähnt*), Suto-
rius**), der im Anfange des vorigen Jahrhunderts in Löwenberg lebende
Geschichtsschreiber dieser Stadt schildert uns Häuser in dieser ehemals
slavischen Gegend, die mit unseren Laubenhäusern viel Ähnlichkeit be-
sitzen. Auch wissen wir von ihm, dass schon 1519 die Lauben offiziell
abgeschafft wurden, dass sie also entbehrlich waren, wie sie ja auch
heute in den Dörfern des Oderbruches nicht mehr ihrem ursprünglichen
Zwecke, sondern dem Trocknen der Tabackblätter, dienen. Es ist dies inso-
fern von Bedeutung, als diese Entbehrlichkeit erklärt, warum von dem sicher
einst viel verbreiteren Typus heut nur noch Spärliches vorhanden ist.
An einer anderen Stelle, im Spreewald, ist, worauf noch zurückzukommen
sein wird, die Laube zu einer rein ornamentalen Bedeutung zusammen-
geschrumpft.
Vorerst sei jedoch des Spreewaldhauses gedacht, das zwar keinen
selbständigen Typus darstellt, das aber zu einer bestimmten künstle-
rischen Ausprägung gelangt ist, welche wie keine andere auf die Ge-
staltung einer volkstümlichen Bauweise in der Mark eingewirkt hat.
Wie bei den anderen Häusern liegen auch bei ihm die unterscheidenden
Merkmale in der Grundrissdispositiou des Wohnhauses. In der Anlage
des Wirtschaftshofes hat sich der wendische Bauer hauptsächlich an das
fränkische Vorbild angeschlossen, indem er Thor-, Wohn-, Stallhaus und
Scheune in gleicher Anordnung erbaut. Das Wohnhaus ist ein lang-
gestreckter, einstockiger Bau, der auf grösseren Bauern wirtschaften nur
Wohnräume, in kleineren Betrieben aber Ställe, Scheune und Wohngelasse
unter demselben Dache vereint. Der Eingang befindet sich wie bei dem
fränkischen Hanse, aus dem das wendische ohne Zweifel hervorgegangen
ist, immer an der Langseite; er führt auf den durchgehenden Flur, der
in älteren Häusern noch den Kochherd hat, bisweilen durch eine tren-
^ 1. nende Mauer zur eigentlichen Küche umgewandelt.
I Auf der einen Seite des Flures liegt die Stube,
■^a I auf der anderen Stall und Scheune, wenn nicht
I auch hier Wohn-
19. spreewaidhani. gelasse angeord-
net sind. (Abb. 19 aus der Zeitsch. f. Ethn.
etc. 1836 S. 123.) Auch
beschränkt sich der Flur,
namentlich bei ärmliche-
rer Anlage, auf einen
kleinen Vorraum, hinter
dessen Rückwand die
£5
e3
b L
<.--| tu,l. |
2J. Bargor-Kfttipen.
beiderseitigen Stuben direkt aufeinanderstossen (Abb. 20).
* ) Abbildung in: Burgau. Inventarisation S. 702.
Vergl. Latsch. Die Kunstdenkmttler Schlesiens III. S. 33:1 ff.
Die ganze
8
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1U
Robert Mielke.
Anordnung ist der Verbreitung sein* günstig, weil sie dem Bedürfnisse
des Kleinbauern, der nicht die Mittel für abgesonderte Wirtschaftsgebäude
besitzt, sehr entgegenkommen. Wir finden es darum auch in manchen
Abschwächungen über einen grossen Teil der Mark verbreitet, und wenn
die innere Einteilung längst in die rein fränkische wieder aufgegangen
ist, zeugt noch das Äussere von diesem Ursprung.
Das Interessanteste und von dem fränkischen Vorbild abweichend
ist, dass die Stuben einen besonderen Vorflur haben, den man häufig zur
Küche umgewandelt hat, nachdem sich diese von dem grossen Hausflur
zurückgezogen. Danach scheint es fast, als ob die Wenden, bevor
sie allgemein das fränkische Haus aceciitierten, eine I rausform benutzten,
welche ihnen die Anlage eines solchen Vorraumes nahelegte. Dieses
ältere Haus kann nur das oben erwähnte Laubenhaus gewesen sein, das
sich nun in dieser Vereinfachung mit dem fränkischen verband. Es
lässt sich dies um so mehr annehmen, als sich selbst im Spreewahl
diese Giebellaube, wenn auch in verderbter Gestalt, erhalten hat.
Bevor ich jedoch diesen Gedanken weiter verfolge, seien vorerst
einige Worte dem Baumaterial im Allgemeinen gewidmet. Das deutsche
Bauernhaus ist ein Fachwerkbau, soweit nicht die Holzbestände des
Gebirgslandes zu dem Block- und Ständerbau geführt haben. Bei dem
fränkischen und sächsischen Hause ist an dem Fachwerk festgehalten,
das meistens unverhüllt bleibt. So schildert sie uns auch unser märkische
Chronist Leutinger in seiner Topographia*), in dem er sagt: „Die
Häuser der Reichen baut man aus Ziegel- oder Bruchstein, Mörtel und
Holz; die der Ärmeren aus Lehm und Holz; letztere auch niedriger.
In der Mittelmark deckt man sie mit Ziegeln oder Schiefer, sowohl des
besseren Ansehens, als der geringeren Feuersgefahr halber; in der Lausitz
und im Krossenschen mit Schindeln, was in letzterer Hinsicht weniger
sicher ist. In der Ukermark, sowie in der alten und neuen Mark sind
Strohdächer die Regel." **) — Haben die Einflüsse der Backsteintechnik
*) Ich folge hier der vortrefflichen Übersetzung, die Herr Dr. Bolle in dein
„Bar" 1893 gegeben hat.
**) Der Krieg, der im übrigen Deutschland bereits seit Anfang des 15. Jahr-
hunderts behördlicherseits gegen die Strohdächer geführt wird, entbrennt in der Mark
erst mit dem Jahre 1540, in welchem der Markgraf Johannes durch Polizeiverordnung
befiehlt, dass die Hlluser in den Städten anstatt mit Stroh mit Ziegelsteinen zu decken
seien. Ferner erliessen Polizeiverordnungen in diesem Sinne : Friedrich Wilhelm 1660,
1601, 108«. Friedrich I 1601, 1701 und Friedrich Wilhelm I. 1718, 1720, 1731, 1732,
„welcher letztere auch einem jeden, der binnen 4 Jahren sein Stroh-, Rohr- oder
Schindeldach und Haus niederreissen und ein neues Haus mit Ziegeln wieder auf-
bauen würde J3 Thlr. Procent reichen zu lassen versprochen." Nithere Angaben in
Beckmann I Tb. S 287. Sp. 1.
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Das Bauernhaus in der Mark.
115
keinen Eingang gefunden, und das ist im Allgemeinen überall der Fall,
wo nicht eine besondere Behäbigkeit vorherrschend ist, da sind die
Räume zwischen den Pfosten und Riegeln des Fachwerks mit Lehm aus-
gefüllt. Um demselben Halt zu geben, werden roh bearbeitete Holz-
scheite zwischen den Riegeln senkrecht eingeklemmt, die den mit Stroh
gemischten Lehm aufnehmen und in seiner Lage erhalten. Die Aus-
füllung mit roten Backsteinen zeigt einen Kulturfortschritt an, der, wenn
er auch nicht immer eine zeitliche Folge andeutet, doch stets Einfluss
eines überlegneren technischen Könnens ist. In ihrer höchsten Ent-
wicklung tritt uns diese Bauweise in den unteren Elbmarschen entgegen,
wo die Backsteinziegel zu mosaikartigen Gebilden höchst malerisch zu-
sammengestellt sind. Bescheidener ist sie in der Mark, die reine unver-
putzte Ziegelbauten nur vereinzelt aufzuweisen hat. Nach meinen Er-
mittelungen giebt es nur auf dem westlichen Fläming solche Dörfer
(Grubo, Buchholz), in denen die Häuser dieser Art übereinstimmend
aufgeführt sind. Vielleicht steht diese örtliche Backsteintechnik nicht
ohne Zusammenhang mit der niederdeutschen Kolonisation, denn die
Häuser, obwohl sie erst diesem Jahrhundert entstammen, deuten doch
mit der nahen Kirche von Pechfile darauf hin, dass eine solche Technik
eine lange Tradition voraussetzt, die nicht nur von dem lehmhaltigen
Boden verursacht sein kann. Doch dies hier nur in Parenthese. Die
Backsteinhäuser, welche Mörtelbewurf tragen, sind, wenn nicht der
letztere nachträglich auf das alte Mauerwerk kam, neueren Datunis.
Der Mörtel als Bekleidung ist erst aus den Städten und zwar vorwiegend
seit der Mitte unseres Jahrhunderts, wie aus den klassizierendeu Orna-
mentformen hervorgeht, auf das Land gedrungen, wo er die Periode der
Geschmacklosigkeit und des Verfalls anzeigt.
Dieser deutschen Art des Bauens steht die slavisch-wendische gegen-
über, welche auf dem reinen Holzbau begründet ist. Das Spree wald-
haus ist noch echter Blockbau (Abb. 21)
der, je weiter er nach Westen gelangt,
diesen Charakter mehr und mehr verliert
und sich mit Bretterverschalung begnügt.
Diese ist also als Rudiment des ehemals
ganz aus Holz erbauten Hauses aus der
Konstruktion hervorgegangen, während *i Burgor-Kaupon.
die Bretterverkleidung, welche sich in reindeutsehen Gebieten findet,
sich umgekehrt aus ornamentalen Beweggründen entwickelt hat, falls
nicht von vorn herein wendischer Einfluss angenommen werden muss.
Es geht das daraus hervor, dass bei dem deutschen Hause die Bretter
nicht schlechtweg ganze Mauerwände sondern nur Teile derselben be-
decken, nachdem sie zu runden oder eckigen Profilen zurechtgeschnitten
oder gar wie in Norwegen und an sagenhaften Bauten der deutschen
8*
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116
Robert Mielke
Vergangenheit skulptiert sind.*) Auch die wagerechte Lage der Bretter
spricht für diesen Ursprung der deutschen Bretterverkleidung, während
sie, wenn sie am wendischen Hause den Blockbau verhüllen mit einer
noch zu erwähnenden Ausnahme senkrecht angeordnet sind, um den
Regen ablaufen zu lassen und durch ihre Struktur die Festigkeit der
horizontal geschichteten Balken zu erhöhen. Je mehr man aber nach
Westen in ehemals von Slaven bewohnte Gebiete kommt, um so mehr
nimmt die Bretterverschalung zu, die dann Fach- und Lehmwerk bedeckt.
Zuerst wird noch die ganze Langfront oder der Giebel damit verkleidet,
wie ein Haus aus Hennigsdorf a. Havel
(Abb. 22) belegt ; dann aber ist es nur der
obere Teil des letzteren, der ohne Balken-
unterbrechung mit langen Brettern bedeckt
wird und, da der Bodenraum hauptsäch-
lich für Lagerung der Stroh- und Heu-
vorräte dient, also auch keinen Wärme-
schutz verlangt, ohne Lehmunterlage. Hennigsdorf * Havel.
Im Spree wald, wo der Dachraum demselben Zwecke dient, sind die
Giebeldreicke bei sonst streng durchgeführtem Blockbau ebenfalls nur
mit Brettern in einer ganz charakteristischen Weise bekleidet. Bis zur
Mitte desselben stehen nämlich die Bretter senkrecht, die obere Abschluss-
linie wird dann durch ein wagerechtes, nach vorn etwas herabgeneigtes
Brett markiert, worauf die übrigen Bretter parallel den Windlatteu ein-
ander zugekehrt sind und in einer senkrechten Linie aufeinanderstossen
(Abb. 20, 21, 23). Es entstellt dadurch ein sehr geschmackvolles Muster,
das durch die, über den Fugen aufgenagelten, Leisten noch lebendiger
wird. Dieses so eigenartig ausgestaltete Giebeldreieck kehrt fast überall
da wieder, wo einst Wenden gewohnt haben und zeugt dann, nachdem
Sprache, Sitte und Tracht längst verschwunden sind, noch immer von
ihrer einstigen Herrschaft.*)
Die slavische Vorliebe für ornamentalen Holzschmuck kommt aber
auch an anderen Stellen zum Vorschein. Das wagerechte Abschlussbrett,
zu dem sich oft noch ein zweites oberes gesellt, wird an den Enden
und in der Mitte profiliert und von schönlinigen Konsolen unterstützt.
*) Priscus, der 44S im Gefolge einer byzantinischen Gesandschaft zu Attila
kam und dessen Äusserungen wir wohl auf deutsche Stamme beziehen kennen, rflhnit
in seinem Bericht die mit Schnitzwerk verzierten Bretter, welche die Gebäude be-
kleideten (Schnaase Gesch. d. Bild. Kttnst. III. 1. S. 509.
**) Üie Bretterbekleidung wendischer Häuser fiel schon dem preussischen Mus-
ketier Dominikus auf, der in seinem Tagebuch, welches den siebenjährigen Krieg
urnfasst, bemerkt, dass die Wenden „haben kleine Ililuser, aber grosse Stuben, sind
allerorten mit Bretter bekleidet." (Siehe: Aus dem siebenjährigen Kriege. Tagebuch
des preussischen Musketiers Dominikus. Nebst ungedruckten Kriegs- und Soldaten-
Uedem. München 1801.
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Das Bauernhaus in der Mark.
117
Seinen eigenartigsten Schmuck besitzt aber das echte Spree waldhaus in
der Behandlung der vorderen Giebelseite, die zugleich auf den ursprüng-
lichen Zusammenhang mit dem sogenannten nordisch-ostdeutschen Hause
hinweist, dessen eine Abwandlung wir schon in den Laubenhäusern
kennen gelernt haben. Wer den Spreewald besucht hat, wird sich jener
alten Häuser erinnern, deren Giebelseiten
durch ihre fremdartige Behandlung auf-
fallen. Es stehen bei diesem unmittelbar
vor der Blockwand 4 aufrechte Pfosten,
je einer an den beiden äusseren Ecken
und zwei in der Mitte, die einen wage-
rechten Querbalken tragen, mit dem sie
durch schräge Kopf bänder verbunden sind
(Abb. 23). Diese einst konstruktive Bil-
dung ist nichts weiter als die in der
Form festgehaltene Vorhalle, welche hier
nur noch eine ornamentale Bedeutung
besitzt. Dieselbe ist aber nicht bloss auf
das Gebiet der Spreewaldwenden beschränkt. Noch heute ist sie in Masuren
zu finden, wie aus einem in der Gartenlaube*) unlängst abgebildeten
Hause (Abb. 24) hervorgeht, obgleich der Abstand
der Pfosten von der Wand hier etwas weiter zu
sein scheint. Auch Meitzen bringt in seiner Schrift
über das deutsche Bauernhaus (Siehe dort Tafel I.
Fig. 1) ein solches, das von ihm als ein fränkisches
bezeichnet wird, das aher wohl umsomehr ein sla- 24. Masnren.
visches ist, als auch das masurische wie jenes den Eingang an der
Langseite hat, und die Grundrissanlage des wendischen Hauses über-
haupt viel Ähnlichkeit mit dem fränkischen hat. Am auffallendsten ist
aber das Vorkommen dieses Giebels im nördlichsten Zipfel Deutschlands
in Caspergaard bei Wonsbeck im Kreise Hadersleben, wo er an dem
Blockbau des Pfarrhauses erscheint.**) Hat dieses die Wanderung vom
slavischen Osten oder vom skandinavischen Norden dahin gemacht? —
Jedenfalls haben wir es in diesen Fällen (den letzten vielleicht ausge-
nommen!) mit einer Venpüekung zweier Typen zu thun, bei der das
Innere nach dem wohnlicheren fränkischen Vorbilde umgebildet ist, das
Äussere jedoch noch immer den ererbten Habitus beibehalten hat.
Von besonderem Reiz ist an all diesen Bauwerken die vortreffliche
*) Gartenlaube 1892 S. 512
•*) Abbildung in Haupt. Die Bau- und Kunstdenkmale der Provinz Schleswig-
Holstein. Kiel 1889. — Nach Bericht eines Landmannes au» der Ukermark, der in
»einen jungen Jahren in Schleswig war, kommen auch Laubenhäuser ähnlich den
markischen in jener Provinz vor.
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118
Robert Mielko
künstlerische Holzbearbeitung. Die Pfosten und Stützen sind mit einer
technischen Sorgfalt und mit einer KenntuLss der stilistischen Eigen-
schaften des Materials bearbeitet, die eine hohe
Achtung vor der Zimmerkunst der Verfertiger
! erweckt. (Abb. 23, 25.)
Wie nachhaltig sich auch an der deutsch-
slavischen Grenze die Bauarten mischten, so
wurde doch dabei, wie sich aus der reichen 2'» Detail an» zarkerick.
Verwendung des Materials ergiebt, fest an dem slavischen Holzbau ge-
halten. Ein glänzendes Beispiel dafür sind die Laubenhäuser am Ringe
zu Schwiebus. In den Distrikten mit ehemals slavischer Bevölkerung
grenzt die Verwendung des Holzes zu Fachwerken fast an Verschwendung.
Je mehr man nach dem Osten kommt, um so auffallender ist diese; in
Dahme und den Dörfern der Umgebung giebt es Häuser, deren Fach-
werke bis zur Hälfte des Materials aus grossen dicken Balken bestehen,
deren Backsteinfüllungen oft nur einen Fuss im Geviert gross sind.
Wenn wir sehen, wie auch an anderen Orten, in Oberbayern, sich die
Fachwerkhäuser durch einen überraschenden Holzreichtum auszeichnen,
der hier von dem Blockbau der Alpen beeinflusst ist, dann wird dieses
Festhalten an dem alten Material erklärlich. Die Vorliebe der Slaven
für eine gestaltungsreiche Holzornamentik kommt auch an Thüren, Zäunen
und am Mobiliar zum Ausdruck, was auf einen jahrhundertelangen
volkstümlichen Gebrauch schliessen lässt. Nur unschwer trennt sich der
Bauer von der altgewohnten Bretterverkleidung und versucht noch lange,
sie in ihren verblassten Zügen festzuhalten. So giebt es beispielsweise
in der Lieberoser Gegend Häuser, die vollständig aus Backsteinen erbaut
sind, bei denen aber noch immer die oberste Spitze des Giebeldreiecks
mit Brettern bekleidet ist. Auch bei dem sächsischen Hause ist zu be-
obachten, wie mit äusserster Zähigkeit die ehemals gewalmte Dachkappe
festgehalten ist, welche die Ornamentik des Giebelfeldes beherrscht.*)
Bis in die Nähe Brüssels kann man verfolgen, wie der Giebel mit
besonderer Sorgfalt künstlerisch ausgeschmückt wird. Erinnert man
sich dabei, dass bei den klassischen Völkern das Giebeldreieck für ge-
heiligt galt und nur an Tempeln angebracht werden durfte, dass anderer-
seits der kleine walmartige Vorbau an der Spitze englischer Häuser, das
Thanszeichen, als Symbol eines grösseren Bodenbesitzes galt, so scheint
es fast, als ob das Giebeldreieck bei einzelnen Gliedern der indogerma-
nischen Völkerfamilie eine gewisse sakrale Bedeutung besessen hätte,
die im Volksbewusstsein noch immer nachwirkt. — — —
Eine offene Frage bleibt es noch, wieweit sich der Einfluss wendischer
*) Vergl. meinen Aufsatz: Zur Giebelentwickelung des sächsischen Bauernhauses
in der Zeitsch. d, Ver. f. Volkskunde 189"J S. 134 ff.
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Das Bauernbaus in der Mark.
119
28 Döbciitz
Bauart auf die Ausschmückung der Häuser mit Lauben erstreckt. Bei
den bisher erwähnten Laubenhäusern befanden sich dieselben stets an
der Giebelseite; doch kommen auch solche in verschiedener Ausführung
au Häusern von zweifellos fränkischer Art vor. Döberitz bei Spandau
(Abb. 26). Beuten, Groeben
im Nuthethal, Schünow bei
Trebbin (Abb. 27), B o r n s t ä d t
bei Potsdam (Abb. 28), Rangs-
dorf bei Zossen (Abb. 29). In
Rangsdorf besteht sie aus
kolossalen dicken Mauernfei-
len], die noch ein oberes Ge- «• Bönstadt,
schoss tragen. Da auch fränkische Häuser in
anderen Provinzen
mit solchen Lauben
versehen sind, so ist
es immerhin möglich,
dass dieselben auf
deutsche Vorbilder 29 Ringsdorf,
zurückgehen;*; doch möchte ich auch hier auf
slavischen Eintluss schliessen, weil in den ge-
nannten Dörfern andere Häuser deutliche wen-
dische Züge bewahrt haben, und weil das
russische Bauernhaus ganz allgemein diese Vorlaube besitzt.**) Vielleicht
spricht aber noch etwas anderes mit, das die Verbreitung derselben
förderte. In vielen unserer märkischen Laubenhäuser wird oder wurde
eine Krugwirtschaft betrieben. Ebenso ist es mir von mehreren andern
bekannt, dass teils heute, teils früher der Inhaber zugleich das Lehn-
schulzenamt besass. Der Zusammenhang zwischen diesen Häusern und
solchen in Dörfern repräsentierenden Persönlichkeiten, wie es Schulz
und Gastwirt sind, scheint demnach kein zufälliger zu sein, sondern
es liegt nahe, dass sich ein gewisses Standes- oder Berufsinteresse bei
der Verbreitung geltend gemacht hat.
Mit dem wendischen Haus ist die Reihe der in der Mark vor-
kommenden Typen erschöpft: es dürfen jedoch bei einer Umschau einige
Varianten nicht unerwähnt bleiben. Da ist zunächst das Haus des
Käthners, welches als Wohnung des ärmeren Teils der Bevölkerung eine
grössere Verbreitung hat. Es findet sich häufig in ehemaligen Fischer-
dörfern, in den Kietzen und in von den grossen Verkehrsadern abge-
~7{ Bögen o<ler Lauben dobia) lassen sieh schon 1184 in Münster und zwar in
der Gegend der Lambertikirche, also am Markte nachweisen. (Nordhoff. Der Holz
und Steinbau Westfalens S. 42ü.)
Nach mündlichen Berichten und Haxthausen, Etudes. 1847.
27. Schünow.
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Robert Mielke.
schnittenen Ortschaften und ist in den ineisten Fällen eine Vereinfachung
des fränkischen Hauses. So beschränkt es sich auf die notwendigsten
Wohngelasse; Ställe befinden sich in kleinen, ohne Regel angebauten
Annexen. Der Eingang ist an der Langseite; ein Gang führt auf die
Küche, wenn nicht beide vereint sind, während rechts und links je eine
oder zwei Stuben sind. Mit dem freundlichen Fachwerk, dem bretter-
bekleideten Giebel, dem moosbewachsenen Rohrdache und der Giebel-
verzierung machen sie in der Regel einen freundlichen Eindruck, der
durch den üppigen, am Spalier sich emporrankenden wilden Wein noch
sehr gehoben wird.
Den Landbaumeistern Friedrichs d. Gr. haben ohne Zweifel diese
Häuser vorgeschwebt, als sie die trockengelegten Niederungen des Oder-
bruches und anderer Flüsse mit Kolonistenhäusern besetzten. Dieselben
sind übereinstimmend paarig gebaut, so dass dasselbe Dach immer zwei
Häuser vereinigt. Die Fluren sind in der Mitte gelegen und durch eine
massive Brandmauer getrennt; hinter ihnen sind die rzmIZT'~T''~rZZJZl
Küchen, eine Stube nach der Strassenseite und da- h— ^
hinter eine Kammer vervollständigen den Grundriss. jj*"'* ( 7t^ j
Wirtschaftsgebäude sind auf dem Hof errichtet ( Abb. 30). 1o. DiedendorT*
Die Ziegeldächer märkischer Häuser werden seit der Mitte dieses
Jahrhunderts mit Vorliebe abgewalmt, ein Verfahren, das fast gleich-
massig in dem nördlichen Deutschland verbreitet ist. Zweifelhaft mag
es sein, ob dieser Walm eine Erinnerung an den ältesten Hausbau oder
eine fremde, vielleicht orientalische Einwirkung ist, die durch die unga-
rische Tiefebene und Böhmen zu uns gelangte. Sicher lässt sich dieses
Walmdach schon früh nachweisen. 1649 erscheint es auf einer Miniatur
in der Handschrift des Froissard*) und dann 1493 auf einer Abbildung
in Hartmann S che d eis Chronik, in der fast alle Häuser ein solches
tragen. Auch Merian zeichnet in den Prospekten von Boytzenburg,
Fürsten walde, Wulfshagen u. a. vereinzelte Wahne. Für städtische
Häuser scheinen dieselben also schon sehr lange in Gebrauch zu sein,
von denen sie in diesem Jahrhundert mit der Verbreitung derselben auf
dem Lande dahin gelangt sein werden.
Zu Schluss seien auch der Giebelverzierungen gedacht, (S. Tafel 1),
die in der Mark ebensowenig fehlen wie in anderen Gegenden Deutsch-
lands. Während aber in anderen Distrikten bestimmte Formen lokalisiert
sind, haben wir bei uns eine ganze Reihe von Bildzeichen, die vielleicht
auf wenige Urformen zurückgehen, aber im Laufe der Zeiten zu unbe-
stimmten ornamentalen Gebilden verflüchtigt sind. Der Pferdekopf im
westlichen und nördlichen Deutschland häufig vorkommend, ist bei uns
*) Stadtbibliothek Breslau. .Siehe auch A. Schultz. Deutsches Leben im 15. und
16. Jahrg. Fig. 10.
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Das Bauernhaus in der Mark.
121
GrM*chnow. Gr G Um che. Jütrylotz aJ,*,*« ßtryfeldt. fihönflitfs.
Muenclorj,.H. Xuftei/Uuen, liebelet Aaaen. Byhlcguhrc ß«^oT\M*<AU.
£um*nt. Lähars. fVfflttndorf. Wolteridorf B uytr XaiyxJt.
J*d<cktn<io>j. JadicAenderf JZdtcktndorf Mfert&gMW** Wolterrdorf
Liepe. ytueHk<nyt*t.AltCus(rtncht*.ALCustnr*chtn. ÄärtericA.
Xxttrick. Xarkenck. X*ckerük. %itfrric*. Au-MtitfW,
Tafel L
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122
Robert Mielke.
eine Seltenheit. Desto zahlreicher treten zwei Typen hervor: Der Hahnen-
kopf vorwiegend bei wendischen Häusern und ein sehr stilisierter, den
man vielleicht als Hasen- oder Hundskopf deuten kann; wenigstens
lassen die bisweilen herausgearbeiteten Extremitäten auf einen Vierfüsser
schliessen. Daneben kommen dann rein ornamentale Giebelzeichen vor,
die aber nichtsdestoweniger nur Abbreviaturen des einstigen animalischen
Vorbildes sind, was sich aus einer Reihe von Übergängen erkennen lässt.
Die Deutung der manchmal sehr abenteuerlichen Figuren ist oft schwierig,
denn mehr als in anderen Provinzen Ist bei uns die Erinnerung an die
einstige Bedeutuug erloschen. Häufig findet man sogar zwei verschiedene
Sinnbilder, von denen das zweite nachlässiger gearbeitet, also wohl eine
spätere Ergänzung ist. Es giebt übrigens neben diesen Giebelfiguren
noch geometrische, die als senkrecht stehende Bretter an die Stelle der
eigentlichen Windlatten getreten sind; namentlich ist die Neumark reich
an ihnen (Tafel 1).
Die unbeabsichtigte Wandlungsfähigkeit der Giebeltiere lässt sich
bisweilen gut verfolgen. Bekanntlich entstehen dieselben dadurch, dass
in die über den First hinaus verlängerten Windlatteu Tierprofile geschnitten
Ä werden. Eine Verzierung aus Rangsdorf
& (Abb. 31) zeigt noch die ausgesprochene Nacken-
buchtung, während der Kopf des zweifelhaften
j-^/iz»- jMVuj lüi,r*»+ Tieres nur ungeschickt angedeutet ist. Bei
si. Giebelfiguren. anderen Beispielen aus Schönwalde bei
Bernau und Schiepzig bei Lübbenau ist dieser Kopf in eine Spitze
ausgezogen und schliesslich erscheint eine Form, welche, wie eine Ver-
zierung aus der Gegend von Lieberose erkennen lässt, beinahe wie
zwei sich ansehende Tiere aussieht. So ist also aus den sich abkehren-
den Tieren die Umkehrung geworden; eine Mahnung zur Vorsicht bei
der Deutung solcher» Gebilde. Wer das Beispiel ohne die vorherigen
Übergänge sieht, würde es vielleicht für zwei gegeneinander gerichtete
Pferde halten.
Fragen wir nun, wie der geschichtliche Verlauf in der Entwicke-
lung des märkischen Hausbaues war, so wird die Antwort nur im
Zusammenhange mit den Völkerwellen, welche über das Land gingen,
erfolgen können. Aber wenn wir auch die politischen Veränderungen
in der Mark einigermassen kennen, so sind wir um so mehr im Dunkeln,
je weiter wir den Anfangen der Kultur daselbst nachgehen. Die äusserst
spärlichen Nachrichten, welche römische Autoren gelegentlich über den
germanischen Hausbau bringen, sind einesteils zu widersprechend, als
dass wir ihnen eine besondere Autorität zusprechen dürfen, andererseits
werden wir aber auch das wenige, welches unbestritten bleibt, nur mit
Vorsicht für unsere Gegenden gebrauchen können. Plinius, der die
an der unteren Elbe sitzenden Stämme aus eigener Anschauung kannte,
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Das Bauernhaus in der Mnrk.
323
berichtet, dass die nördlichen Völker, zu denen wir die in der Mark
sitzenden Seinnonen rechnen dürfen, sich des Rohres bedienen, um ihre
Häuser zu bedecken, und dann rühmt er, dass die hohen Dächer Jahr-
hunderte dauern. Erkennen wir in dieser Beschreibung unschwer die
hohen, in Nord Westdeutschland fast bis zur Erde herabreichenden Dächer
des sächsischen Hauses wieder, so wissen wir aus Funden prähistorischer
Wohnstätten, wie sie unter anderen nördlich vom Harz*) und bei Guben**)
gemacht sind, dass die Wände aus Lehm mit unterstützendem Holzgeflecht
bestanden haben müssen. Wir dürfen ferner annehmen, dass die Haus-
urnen***), welche teilweise auf märkischem Boden, in dem Stromgebiet
der mittleren Elbe, der Havel und der Saale, gefunden wordeu sind, ein
schwaches Bild des alten Semnonenhauses geben, das danach ans einem
rechteckigen Schiff mit hohem Walmdach bestand; auch sie weisen also
auf ein, dem sächsischen Typus nahestehendes, Hans hin. Es würde
dem auch eine Nachricht bei Strabof), nach der die sue vischen Völker
ihre Hütten mit Leichtigkeit in andere Gegenden hin verpflanzten, durch-
aus nicht widersprechen, wie man wohl angenommen hat, denn der ein-
fache Konstruktionsgedanke des sächsischen Hauses, der bei den bedürf-
nislosen Germanen der Vorzeit wahrscheinlich noch weniger Umstände
als heute verursachte, gestattet eine solche Wandelbarkeit des Hauses
leicht.
Mit der hereinbrechenden Slavenflut sind dann jedenfalls andere
Formen ins Land gedrungen, die, wenn sie auch weit unter der von den
Deutschen erreichten Höhe standen, doch eine abweichende Fortentwicke-
lung nahmen und sich neben den deutschen Formen behaupteten. Ver-
mutlich waren sie mit den primitiven Hütten zufrieden, von deren
Bedürfnislosigkeit uns die spärlichen Pfahlbaureste eine schwache Kunde
geben. Noch aus dem 12. Jahrhundert erzählt unser alter Gewährsmann,
der Pfarrer Helmold von Bosau bei Plön von ihnen „dass sie sich nicht
einmal beim Häuserban viele Mühe geben, dass sie vielmehr Hütten aus
Flechtwerk verfertigten, wo sie nur zur Not Schutz gegen Sturm und
Regen suchen." Ein Anfang zu höherer Kultur kann erst sehr spät
versucht worden sein; er setzte vor allen Dingen Ersatz des Flecht-
werkes durch eüi dauerhafteres Material voraus und ein solches erhielten
sie mit der Annahme des Blockbaues, der ihnen wahrscheinlich durch
durch eine Verkettung von Umständen von den Germanen mitgeteilt wurde.
Während nämlich die Slaven mit der Front nach Westen standen,
*) Vergl. M. Much. Über prähistorische Bauart und Ornaraentierung der mensch-
lichen Wohnungen in „Mitt. d. anthropol. Gcsellsch. in Wien. Bd. 7.
**) Vergl. Mitt d. Verf f. d. Gesch. Berlins 1890. S. 152 flg. „Ein Kulturbild
aus unserer Vorzeit.
***) 3 Abb. in Meitzen. Das deutsche Haus. Tafel IV.
f) Strabo B 7 c. 1.
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124
Robert Mielke.
um die zurückflutende deutsche Völkerwelle zurückzustauen, hatte sich
hinter ihrem Kücken eine tiefgehende Änderung vollzogen. Die Waräger
überfluteten von dem südlichen Schweden aus den westlichen Teil des
heutigen Russland und machten dort den in ihrer Heimat hochentwickelten
Blockbau heimisch, der nun westwärts vordringend, dem sla vischen
Hause eine bestimmte Form gab.*) Diese ist das langgestreckte, an der
Giebelseite mit einer Vorlaube versehene, Haus, das, wie oben erwähnt,
in Russisch-Polen, Galizien, Ost- und Westpreussen, Posen und Pommern
heimisch ist und in seinen Ausstrahlungen bis in die Mark Brandenburg,
ja vielleicht selbst bis Schleswig-Holstein noch heute zu verfolgen ist,
und dessen Vorbilder man in Skandinavien zu suchen hat. In Schlesien
hat dann dieser Typus seine weiteste, in Böhmen aber seine künst-
lerischeste Ausbildung erfahren, während das Gros der Slaven bei dem
unausgebildeten , rohen Schema stehen blieb oder dasselbe zu Gunsten
des fränkischen Hauses aufgab. Der Blockbau kann allerdings auch
direkt von Deutschland aus zu den Slaven gelangt sein, denn auch hier
war derselbe nicht ganz unbekannt. An einer Stelle des römischen
Schriftstellers Herodianus**) haben wir einen Beleg dafür, dass der-
selbe um 236* in Deutschland in Gebrauch war; es ist diese Bemerkung
aber wohl auf die nadelholzreichen südlichen Gebirgsländer zu beschränken.
Wir haben also wenig Grund den durch die heute noch stehenden Häuser
gekennzeichneten Weg aufzugeben zu Gunsten einer so unbestimmten
Äusserung. Mit der Neubesiedelung der Mark durch die deutschen Stämme
mögen dann Kulturströmungen in das Land gekommen sein, die das
fränkische Haus hier dauernd heimisch machten.
Merkwürdigerweise haben dio Spreewaldwenden schon früh den
ihnen vom Osten überbrachten nordischen Typus verlassen, um sich dem
fränkischen zuzuweuden. Dass sie ihn vorher besessen, beweist nicht
allein das Lehdesche Haus mit der rudimentären Laube sondern auch
der Gebrauch des Blockbaues selbst. Das fränkische Haus ist ein Fach-
werkhaus; nur das Schwarz wälder und Schweizer Haus kennt den
Blockbau, und keine Spur leitet darauf hin, dass von ihm aus diese
Technik zu den Wenden gelangt sei. Der Grnndriss des Spreewald-
hauses ist aber, wie die oben besprochenen Häuser klar erkennen lassen,
aus dem fränkischen entwickelt. Durch das Hineinziehen der Laube
als Vorhalle und am Äusseren kommt allein der nationale Sinn zum
Vorschein.
*) Diese Beeinflussung ist um so wahrscheinlicher, als die übersiedelten Skandi-
navier noch bis etwa 1100 mit ihrer Heimat in lebhafter Verbindung blieben und die
nordische Hausform, soweit bis jetzt Beobachtungen vorliegen, nur in den westlichen
Gouvernements, der alten transbaltischen Völkerbrticke zwischen Skandinavien und
Deutschland, vorkommen.
**) Herodianus. VII. c. 2.
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Das Bauernhaus in der Mark.
125
Können wir annehmen, dass das fränkische Haus mit den deutschen
Einwanderern in die Mark gelangt sei, so dürfte das sächsische noch
eine ältere Geschichte besitzen : denn es sind sieher viele von den alten
Semnonenhäusern mit den zurückgebliebenen Germanen im Lande ge-
lassen worden, die auch von den neuen Herren übernommen wurden.
Von der Altmark, dem hannoverschen Wendlande und Holstein wissen
wir, dass die dort sesshaften Slaven ihre ursprüngliche Hütte mit den-
selben vertauschten. Jedenfalls hatte in der ersten Zeit der christlichen
Besiedelung das sächsische Haus eine ungleich grössere Verbreitung als
heute, wo es nur im äussersten Nordwesten und in einzelnen Linien
bis zur Spree vorkommt. Noch im vorigen Jahrhundert mnss es weit
mehr verbreitet gewesen sein, denn der Zeichner zu dem 1751 erschienenen
Buche des Christian Ludwig Beckmann giebt auf einer sehr ausführ-
lichen Karte des oberen Rhin nur sächsische Häuser an, was doch ein,
wenn auch ungewisser, Beleg für die allgemeine Ausbreitung ist. Aber
auch abgesehen von dem heutigen Vorkommen auf dem ebenen Lande
deutet das Stadthaus noch auf seine Gleichberechtigung mit dem frän-
kischen Hause hin. Wie in allen Städten der norddeutschen Küstenländer
die Häuser mit der Giebelseite der Strasse zugekehrt sind, so ist dasselbe
auch für viele märkische Städte, namentlich nördlich der Linie Branden-
burg-Frankfurt a. 0., nachweisbar. Der Sehultz'sche Plan von Berlin
vom Jahre 1688 lässt erkennen, dass die Häuser, je näher sie den alten
Stadtteilen Berlin und Köln stehen, den Giebel nach der Strasse gekehrt
haben. Allerdings giebt es auch solche Häuser in Süd- und Mittel-
deutschland, aber liier mischt sich schon früh dieser Stadttypus mit dem
Langhaus, so dass wir annehmen müssen, er sei, wenn nicht direkt
vom Norden übertragen, nur aus Gründen der besseren Raumverwertung
entstanden.
In der südlichen Hälfte der Mark überwiegen denn auch die Lang-
häuser; in Jüterbock, Beizig, Treuenbrietzen, Baruth, Golssen ,
Dahme, Luckau sind fast nur solche erhalten. Bisweilen aber taucht
in ihrer Reihe ein Frontgiebel auf, der um so mehr an sächsischen Ur-
sprung gemahnt, je mehr er isoliert erscheint. Ganz frappierend ist
z. B. die Ähnlichkeit, wenigstens im Äusseren, zwischen einem nause
in Niemegk ( Belzigerstr. 362)
und einem solchen in dem Dorfe
Ma rz a h n e nördlich Brandenburg
(Abb. 32, 33). Für Berlin kann
es als sicherstellend gelten, dass
seine ältesten Stadthäuser säch-
sisch sind; in gewissem Grade
wird dies ja auch durch die Namen
der Bewohner und durch die Sprache bestätigt, die beide nach sächsischer
33. Marzabne.
32. Niemegk
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126
Robert Mielke.
Heimat weisen. Das wendische Haus, welches wahrscheinlich für die
Gestaltung märkischer Stadtarchitekturen nicht ohne Einfluss war, hat
jedenfalls erst spät Eingang in dieselben gefunden, was ja bei der
Aversion der Deutschen gegen die Slaven natürlich war. Sein Einfluss,
der besonders auf dem östlichen Fläming und in den Spreewaldstädten
bemerkbar ist, beschränkt sich aber immer auf den Giebel mit seiner
eigenartigen Bretterverkleidung.
Zum Schluss sei noch des Hauses gedacht, das heute in der Mark
mit Vorliebe gebaut wird. Was wir hier und zwar dicht vor den Thoren
Berlins sehen, ist in mehr als einer Hinsicht bedauerlich. Nicht mehr
die alten malerischen Vorbilder werden bevorzugt sondern ein stillose.?
und darum geschmackloses Surrogat des modernen Schablonenhauses,
das in nicht seltenen Fällen sogar noch von dem Mörtel entblösst bleibt.
In der Gegend vonTeupitz sind ganze Dorfzeilen in dieser widerlichen
Armseligkeit entstanden, die sich aus Liederlichkeit und falsch ange-
wandter Sparsamkeit ergiebt. Wenn erst einmal dieses Prinzip des
Trivial-Nützlichen bei der Landbevölkerung zur Anerkennung gelangt,
dann wird es schwer sein, seinen Rückwirkungen auf die Volksseele
entgegenzutreten. Schon ist das gemauerte, teilweise mit Stuck und
Mörtel überladene Haus, das in seiner stereotypen Stubenöde , weder
Charakter noch Reiz besitzt, auf dem Wege, neben den alten Formen
ein gleichberechtigter Typus zu werden; schon siud vollständige Dörfer
in diesem gleichförmig-langweiligen Geisto entstanden, erstehen täglich
und erfüllen den Bauer mit Gleichgültigkeit gegen seinen Hof. Kein
Baum beschattet diesen, keine freundlichen Fensterladen oder Stiegen
schmücken das Haus, keine Laube ladet zum Verweilen ein — alles
traurig — monoton — nüchtern. Das Haus steht nicht mehr im Zu-
sammenhange mit der Landschaft, der Bewohner nicht mehr mit dem
Hause. Und mit der Nüchternheit im Äusseren zieht die Oede ins Imaere
hinein; die Häuslichkeit verliert ihren Reiz und entfernt sich immer
mehr von jenem Ideal, das der Engländer so schön durch das Wort
ausdrückt: „My house is my Castle". Wenn auch die moderne Zeit so
manche Änderung in dem Bauernhause hervorruft, so ist es doch zu
beklagen, dass dabei die alten Formen verschwinden müssen zu Gunsten
des langweiligen Kastenbaues der Gegenwart. Möge er wenigstens in
der Mark wieder den alten Typen Platz machen, dann werden wir auch
in den malerischen Dörfern wieder eine freundlich zufriedene Bevölkerung
linden, dann wird auch die Poesie wieder eine Heimstätte auf dem
Lande haben.
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Kirchliches Leben in einer märkischen Stadt
während des siebzehnten Jahrhunderts.
(Königsberg N.-M.)
Von Dr. Paul Schwär tz -Friedenau.
In die Neumark führen wir den Leser, zu einem Städtchen, das
in einem Thal des baltischen Landrückens liegt. Bei Schwedt über-
schreiten wir auf einem langen, von alten Bäumen beschatteten Damm
die breite Oderniederung. Nun geht's den steilen Abhang des baltischen
Laudrückens hinauf. Oben empfangt uns eine freundliche Hügelland-
schaft, durch welche die Strasse bergauf und bergab zieht, einem Walde
zu. Da zeigt sich in einer Senke ein schlanker Kirchturm, an den sich
ein gewaltiges Dach lehnt; von der Stadt selbst ist nichts zu sehen.
Das ist der Kirchturm von Königsberg; fast 100 Meter ragt er auf,
das höchste Bauwerk der Mark. In diesem Jahrhundert ist er aufge-
führt, würdig der alten Kirche, die man als eine der schönsten der
engeren Heimat rühmt. Er verschwindet wieder hinter dem Walde.
Beim Austritt aus demselben erblicken wir das Städtchen vor uns aus-
gebreitet. Wie ein Riese ragt die Marienkirche über alle Gebäude hin-
auf, als ein Denkmal jener Zeit, in der das Gotteshaus die Seele der
Stadt war, in der sich die bürgerliche Gemeinde vorwiegend als eine
Gemeinschaft von Christen fühlte. Von der Zeit wollen wir berichten,
von den Äusserungen und den Erscheinungen kirchlichen Lebens, wie
sie in dem engbegrenzten Raum des genannten Städtchens zu Tage ge-
treten sind. Sie dürften aber für die ganze Mark typisch sein.
Als das siebzehnte Jahrhundert anbrach, hatte die Mark Branden-
burg eine lange, glückliche Zeit des Friedens hinter sich. Die Unruhen
and Kriege der Reformationszeit waren von ihren Grenzen fern geblieben,
dank der Klugheit ihrer Fürsten; ohne den Blutpreis hatten die Märker
das Evangelium erworben. In behaglicher Ruhe floss das Leben dahin.
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Dr. Paul Schwirls Friedenau.
Manchmal jedoch wich die Freude am Dasein dem jähen Entsetzen vor
einer verheerenden Seuche, oder der Frohsinn räumte auf kurze Zeit
dem Bedenken das Feld, wenn der Herr durch feurige Zeichen am
Himmel sprach. Auch die Astrologen sorgten für die nötige Unter-
brechung der Reihe von guten Tagen, indem sie allerhand Unheil ver-
kündeten, kritische Tage erster Ordnung oder wohl gar den Untergang
der Welt. So hatte ein anerkannter Königsberger Prophet für das
Jahr 1588 vorausgesagt:
Geht alsdann die Welt nicht unter,
So geschehen doch viel Wunder.
Die Welt blieb zwar bestehen, aber der Wunder geschahen genug:
in der Stadt wurden viele Leute unsinnig, und in der Nachbarschaft be-
kamen zahlreiche alte Leute Stechen in der linken Seite, und am dritten
oder vierten Tage waren sie tot Gern knüpfte auch die warnende
Stimme des Geistlichen an einen seltsamen Vorgang an. Da kommt
1593 ein Monstrum, eine Missgeburt, zur Welt, ein Kind mit Backen-
und Yorderzähnen, statt der Oberlippe trägt es unter der Nase ein Ge-
wächs wie einen Rüssel. Der gelehrte Oberpfarrer von Königsberg,
Pontanus, hält darüber eine Predigt, die auch im Druck erscheint: die
Zähne seien eine Mahnung gegen den Kornwucher, es drohe Teurung
und der Einfall barbarischer Völker, die kommen werden wie das beissige
Vieh; der Rüssel aber deute hin auf das viehische Leben in Essen und
Trinken. Doch Hess man sich solche Warnungen nicht anfechten,
soudern ass und trank weiter wie zuvor.
Die Freude am Leben äusserte sich auch in der Art, wie man den
religiösen Pflichten nachkam. Der neumärkische Kanzler Hans Georg
von dem Borne hat bald nach dem Regierungsantritt des grossen Kur-
fürsten ein Büchlein geschrieben „Über den gegenwärtigen, betrübten
und kümmerlichen Zustand der Mark Brandenburg". Darin suchte er
die Ursachen darzulegen, weshalb Gott die Mark so furchtbar heimge-
sucht habe. Die erste Ursache erkannte er in der Gottlosigkeit, die alle
Stände gleichmäßig ergriffen hatte. Von den kirchlichen Zuständen in
der Mark gab er folgende Schilderung: „In den Städten überall hat man
es für einen grossen Gottesdienst gehalten, und noch, wann man an
den Sonn- und Festtagen sich stattlich ausgeputzet und der Gewohnheit
nach zweimal öfters ohne einige Andacht in die Kirchen gangen. Nach
geendigten Predigten hat man alsbald angefangen, alle Sünden, die man
auf den Werktag nicht hat thun mögen, mit freudigem Mut zu verüben.
Da hat es müssen — wir bitten wegen der kräftigen Ausdrücke um
Verzeihung, aber der brave Kanzler hat nun einmal so geschrieben —
gefressen, gesoffen, gespielet, spazieret, banketieret, buhlieret sein; da
hat man alle Gasthöfe, Sckänken, Wein- und Bierkeller voller Gesell-
schaft gesehen, die sich toll und voll gesoffen und bis in die Nacht
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Kirchliches Lehen in einer märkischen Stadt während des 17. Jahrhunderts. 129
geschwärmet, ihnen mit Trommeln, Pfeifen und Geigen aufwarten lassen;
da hat man müssen nach der Scheiben oder den Vogel abschiessen;
öfters hat man Komödianten auch wohl in den Kirchen, Fechtmeister,
Springer, Linienflieher, Tanzmeister, Bären-, Affen- und anderer unge-
wöhnlicher wilden Tiere Leiter und Führer auftreten und durch die-
selbigen dem Volke ein Spektakel und Kurzweil machen lassen, welchem
auch der Magistrat und die Geistlichen selber mit sonderbarer Ergötz-
lichkeit beigewohnt. — Auf dem Lande in Flecken und Dörfern ist es
mit dem Gottesdienst noch viel schlechter dahergegangen. Dann obgleich
ein Dorfpriester in seinen zugeordneten Kirchen die Woche einmal auf
den Sonntag mit grosser Mühe nur eine einige Predigt abgeleget und
zuwege gebracht, so ist es manchmal mit solcher Kaltsinnigkeit und
schlechten Disposition geschehen, dass die Zuhörer und Pfarrkinder wenig
Lehre und Trost daraus begreifen und mit nach Hause nehmen können.
Wann etwa der Pfarr mit den Patronen und Zuhörern in Streit und
Misshelligkeit geraten, so ist das eben eine Materia gewesen, damit die
meisten Predigten gespicket, und dabei des Decems, Messkorns, Opfers
etc. nicht vergessen, der wahren Busse aber, Bekehrung zu Gott und
Besserung des Lebens wenig oder selten gedacht worden. In den Filial-
kirchen ist der Gottesdienst mehrenteils zu unrechter Zeit nach Mittage
oder des Winters auf den späten Abend, wann sich die Leute und Zu-
hörer voll gesoffen und gefressen, verrichtet und mit Schlafen zugebracht
worden. Nach gehaltener Predigt ist der Pfarr zu dem Patron oder
Schulzen des Dorfes eingeladen, die Bauern aber sämtlich mit den
Weibern und Kindern in den Krug oder Gasthof gangen, sich daselbst
toll und voll gesoffen und die ganze Nacht durehgeschwärmet und nach
der Sackpfeifeu herumgesprungen, dabei sich denn auch öfters der Beicht-
vater weidlich mitgebrauchen lassen." Diese Stelle ist seltsamerweise
missverstanden und als ein Beweis dafür angeführt worden, wie entsitt-
lichend der dreissigjährige Krieg gewirkt habe, während der Verfasser
offenbar die Zustände vor dem Kriege gemeint hat. Während des Krieges
verging den Leuten das Singen und Springen, da lernten sie inbrünstig
beten, wie ein unten mitgeteilter Brief zeigen wird.
Weihnachten 1603 wurde die Festfreude der Königsberger Gemeinde
gestört: die grosse Glocke, die Marienglocke, welche weithin über Stadt
und Land ihre Stimme hatte ertönen lassen, bekam einen Sprung. Uber
ein Jahr fehlte im Dreiklaug des Geläutes der tiefe Ton. Die Kosten
eines Glockengusses konnte die Kirche allein nicht aufbringen; deshalb
wandten sich die Kirchenvorsteher um Beihülfe an die Gemeinde. Die
Gaben an Geld und Erz reichten aus, eine 100 Centner schwere Glocke
zu schaffen. Am Donnerstag vor Johann i 1605 wurde sie vor der Stadt
gegossen, nachdem sich die Gemeinde in der Kirche versammelt hatte,
um Gottes Segen für die Arbeit zu erflehen. Unter welchen Feierlich-
9
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130
Dr. Faul Schwärt» Friedenau.
Weiten sollte sie an ihre Stelle geschafft werden? In der katholischen
Zeit hatte man die Glocke wie ein lebendes Wesen behandelt. Für die
Taufe wurde ihr wie einein Täufling ein weisses Kleid angelegt. So
stand sie unten im Turm. Die Gevattern aber — vornehme Herren aus
der Nachbarschaft oder besonders freigebige Spender — fassten die
Stricke, wahrend der Geistliche die Taufrede hielt und der Glocke den
Namen gab. Danach wurde sie in die Höhe gezogen. Da man aber
nun ängstlich alles zu vermeiden suchte, was an „den päpstlichen Aber-
glauben" erinnern konnte, so wurde von .solcher Feier abgesehen. Die
Glocke wurde auf einen Wagen geladen, mit Kränzen geschmückt und
„zu inehrenteil vom gemeinen Volk, Frauen, Jungfern, Mägden und
Kindern" in den Turm gezogen, ein Anblick, „der vielen aus Freuden
und Wehmut die Timmen zu den Augen herausgetrieben*. Die Glocke
trag die Aufschrift: Laudo Deum verum. Plebem voco. Congrego clerum.
Defunctos ploro. Satanam fugo. Fes tu decoro.
Allein die Freudenrufe sollten sich bald in Wehklagen verwandeln.
Schon waren einzelne verdächtige Krankheitsfälle in der Stadt vorge-
kommen; aber kaum hatte man die Glocke in den Turm geschafft, da
brach das Verderben herein — die Pest. Im Juni erlagen ihr 20, im
Juli 202, im August 354, im September 324, im Oktober 109, im
November 21; im ganzen 1030 von etwa 3000 Einwohnern. Dabei hatte
die Stadt erst vor zwanzig und vor fünfzig Jahren eine gleiche Heim-
suchung erfahren: 1585 waren 1085 au der Pest gestorben, 1550 sogar
1900. Erst am Sonnabend vor Palmarum 160G wurde die Glocke auf
den Turm gebracht, um das Osterfest einzuläuten.
In höchste Aufregung geriet die Gemeinde, als Kurfürst Johann
Sigismund 1613 zum reformierten Bekenntnis übertrat. In der Voll-
macht, welche im Namen der Gemeinde den städtischen Abgeordneten
zum Landtage 1014 ausgestellt wurde, ward denselben eingeschärft: sie
sollten namentlich dahin sehen, dass die Bürger und ihre Nachkommen
zuvörderst bei der reinen Lehre göttlichen Wortes mögen erhalten und
geschützet werden. Ähnlich lauteten die Weisungen auch für die übrigen
Abgeordneten, und so äusserte denn der Landtag in einer Vorstellung
an den Landesherrn die Besorgnis : es scheine, dass man das Land vom
Hofe aus zum reformierten Bekenntnis bringen wolle. Die besorgten
Stände erhielten aber vom Kurfürsten die Versicherung, dass jedem
Freiheit des Gewissens vergönnt sein, dass keiner wegen der Religion
gehasst oder verfolgt wei den solle : doch forderte der Kurfürst auch für
sich Gewissensfreiheit und das Recht, in der Religion zu leben, in der
er selig zu werden festiglieh vertraue.
Die ersten Jahre des d reissigjährigen Krieges verschonten die Mark
vor Kriegesnot. Aber zahlreiche Flüchtlinge, zumal aus Böhmen, durch-
zogen das Land und wussteu von der entfesselten Kriegswut zu berichten.
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Kirchliches Leben in einer märkischen Stadt wahrend des 17. Jahrhundert». 18 1
Dann kamen die erbarmungslosen Feinde selbst, im Jahre 1626. Vor
ihnen aber meldete sieh 1625 noch ein anderer Feind an den Thoren
Königsbergs, die Pest. Schon zu Pfingsten hatte keine rechte Fest-
stimmung aufkommen wollen, denn einige Häuser waren von dem un-
heimlichen Gast heimgesucht worden. Zahlreicher wurden die Opfer,
und am Trinitatissonntag musste der Geistliche der geängstigten Gemeinde
die vom Rat erlassene Pestordnung vorlesen. „Wegen der grossen
Sünden", so leitete er die Mitteilung ein, „lässt Gott seine ernste Straf-
rute sehen, um allhier auch mit der abscheulichen Seuche der Pestilenz
die Menschen etlichermassen anheimzusuchen." Schwer war die Heim-
suchung der von allem Verkelir mit der Nachbarschaft abgesperrten
Stadt. Als im Oktober die Seuche erlosch, hatte sie 990 Opfer gefordert.
Daun kam der Feind.
Nunmehr begann eine Zeit, in der die Geistlichen sich als gute
Hirten bewähren konnten. In der schweren Bedrängnis, welche jetzt
ihren Anfang nahm, war das ermutigende oder tröstende Wort des Seel-
sorgers, sein Beispiel der Standhaftigkeit und Duldung von höherem
Wert für die Gemeinde als die weltlichen Behörden. Weltliche Macht
erwies sich machtl os ; der sonst gefürchtete Bürgermeister wahr wehrlos
gegenüber dem pochenden Trossknecht. Da scharte sich die Gemeinde
um iliren Seelsorger, und wohl ihr, wenn sie eine gute Wahl getroffen
hatte. Bei einem Brande im Königsberger Kathaus 1674 sind die Rats-
protokollo bis auf eins vernichtet worden, welches die Jahre 1638 und
1639 umfasst, gerade die traurigste Zeit des Krieges für die Neumark.
Aus diesem Buch erfahren wir auch einiges über kirchliche Verhältnisse.
Der Inspektor (Superintendent, Oberpfarrer) Gödenius, der sonst als
„ein feiner Mann" gerühmt wird, besüss nicht das Vertrauen der Gemeinde.
Bei der ersten Bürgersprache auf dem Rathaus, am 11. Januar 1638,
richtete die Bürgerschaft an den Rath die dringendo Bitte, er möchte
den Inspektor anhalten, seine Predigten „zu Trost, Lehr und Vermahnung
zu dirigieren". So wenig gewissenhaft waltete der Geistliche seines
Amtes, dass er sich nie auf die Predigten vorbereitete und zuweilen
erst beim Besteigen der Kanzel den Küster nach dem sonntäglichen
Evangelium fragte. Darauf erging an ihn ein Schreiben des Rats. Die
Bürger haben sich beklagt, schrieb derselbe, „wie sie nebst den Ihrigen
nicht allein wenig oder garnichts an Trost und Lehren aus des Herrn
Predigten vernehmen, sondern vielmehr nur mit weitläuftigen und ametho-
dischen und übel disponierten Diskursen nicht ohne Verdruss und Ärger-
nis, sonderlich bei jetziger kalten Winterzeit aufgehalten würden, und
daher uns gebeten, wir möchten dem Herrn dieses zu einer Änderuug
und gewünschten Besserung untersagen. — Es wird dem Herrn sein
eigen Gewissen predigen, dass der Herr wider des Sirachs Vermahnung
cap. 39 v. 11 auf seine Predigten wenig studieret, die Textus zwar ab-
9*
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Dr. Paul Snhwarlz-Friedenaa.
liese, aber ohne gute Disposition den Nervuni wenig berühret, sondern
seinem dono eloquentiae und lang gezogenen, oft wiederholeten Worten
mehr trauet, denn dass er um den nucleum und pondera verborum,
weniger gute res, womit unsern Seelen am meisten gedienet, sich be-
kümmern sollte. Zudem ist dem Herrn bewusst, wie er wider Ihre
Kurf. Durchlaucht diesesfalls ausgegangenen, ausdrücklichen, vorge-
schriebenen, eigentlichen Willen auf die Busstage gar impertinentes
textus, etwa überbliebene Teile aus den Predigten u. dgl., auf den Frei-
tagen aber aus gar unzeitigem Eifer die Augsburgische Konfession abe-
lieset und davon weitläuftig, auch mit eingemengeten Fabeln und Alcoran-
Historien sermonieret, da uns doch bei dieser höchst kläglichen Zeit
mehr mit Busstexten und Psalmen, Threnis Jeremiae oder dem Buche
Josuä, Hiob u. dgl. trostbringenden Sprüchen und Büchern nach dem
Exempel anderer fleissigen Lehrer gedienet wäre. Wenn aber dem Herrn
das schlechte Maledictum beim Jeremia 48 v. 10 wohl bekannt, die
minus praemeditatae conciones auch an einem andern Ort maledietae
genennet werden; als bitten den Herrn wir all im Namen der ganzen
Stadt um Gotteswillen, er wolle doch zu seiner schweren Verantwortung
unsre Seelen nicht versäumen, dieselben bei diesen trostlosen Zeiten
mehr mit Gottes Wort methodice zu unserer Behaltnuss trösten und lehren,
als mit weitläufigen und zu den abgelesenen Texten wenig gehangen
Discursen verdriesslich sein." Die nächste Sonntagspredigt war des
Inspektors Antwort, über die sich der Rat bei der Regierung beschwerte :
der Inspektor habe diejenigen, welche er für Verfasser des Schreibens
halte, auf der Kanzel „sareastice angestochen" und feierlich erklärt, der
Teufel selbst müsse sie angestiftet haben. Dem Streit zwischen der
Gemeinde und ihrem Seelsorger machte die Pest ein Ende, die zwischen
Ostern und Pfingsten ausbrach. Am Himmelfahrtstage konnte das Abend-
mahl nicht gereicht werden, weil kein Tropfen Wrein in der Stadt auf-
zutreiben war; zum Ptingsfest wurde das Gotteshaus — zum erstenmale,
so lange man denken konnte — nicht mit Maien geschmückt. „Nach
Pfingsten", berichtet das Ratsprotokoll, „haben die schwedischen Soldaten
von den Banerschen die Stadt etzliche Wochen aufeinander geplündert,
dass kein Mensch hat bleiben können". Am ersten Sonntag nach Trini-
tatis brach der Feind ein. Die Kirche, welche bisher verschont geblieben
war, und in welcher manches Besitztum, namentlich das der unmündigen
Waisen geborgen war, wurde erbrochen und ausgeplündert. „Der Tempel
des Herrn", lautet ein Bericht, „ward feindseliger Weise erbrochen,
seines herrlichen Ornats beraubet und dergestalt profanieret, dass man
innerhalb sechs Wochen und mehr ihn nicht hat besuchen können ;
dessen Priester wurden ohn einigen Respekt greulich geschlagen, ver-
windet, aufgehängt, andere, so von Dörfern hineingeflohen waren,
gleicherweise also traktieret, mit stinkendem Wasser gequälet, mit härenen
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Kirchliches Lehen in einer märkischen Stadt während des 17. Jahrhunderts. 133
Seilen gepeiniget, an ihrem Leibe entblösset, mit Seilen an Pferde ge-
bunden, von einem Gut zum andern geschleppt mit höchster Gefahr und
Bestürzung ihres Lebens." Da raffte die Gemeinde zusammen, was ihr
noch geblieben war, und flüchtete in die Sümpfe des Oderbruchs. Hier
hauste sie in Hütten, bis sie Michaelis in die verwüstete Stadt zurück-
kehren konnte. Wieder hatte das Jahr ihre Reihen schrecklich gelichtet:
494 Gestorbene zählt das Kirchenbuch auf, „darunter 2*h Hundert peste,
die andern teils Hungers, teils aber natürlichen Todes verblichen". 1640
starb der Inspektor Gödenius, nachdem er, wie ihm bezeugt wird, mit
der Gemeinde getreulich Kriegs-, Sterbens- und Hungersnot geteilt hatte.
Die verwaiste Herde sah sich nach einem neuen Hirten um, den
sie in Konrad Wittscheibe fand. Im Vertrauen auf Gottes Schutz machte
er sich von Fürstenau her, einem Dorf bei Arnswalde, auf den gefahr-
lichen Weg — der Rat sandte ihm sechs Wagen zur Fortschaffung seines
Hausrats — und langte auch unbeschädigt an Leib und Gut in Königs-
berg an. Zwar hatte er jährlich 160 Gulden an Gehalt zu fordern, aber
die Kirche war gänzlich verarmt. Von den 119 Hufen der städtischen
Feldmark besass sie 15 V2; aber die meisten lagen unbebaut, weil sich
keine Pächter mehr gefunden hatten, und 1611 kündigten auch noch die
letzten Pächter auf. Selbst für die halbe Pacht wollte niemand das
Kirchenland haben. So wurde es denn «lern neuen Inspektor überlassen,
der nach und nach 5 Hufen in Beackeruug nahm.
Endlich zog der Friede ins Land, und langsam kehrte die Ordnung
zurück. Auf 50 Bürger war die Gemeinde zusammengeschmolzen; von
420 Baustellen lagen etwa 300 wüst, und aus den Trümmern der Stadt
ragte als gewaltige Ruine die Kirche auf. Dazu schlug 1658 der Blitz
in den Turm, der in Flammen aufging und niederbrannte; die Glocken
schmolzen in der Glut. 1664 wandte sich der Rat an den Kurfürsten
mit der Bitte, für den Bau des Turmes eine Sammlung im Lande zu
gestatten. Da die Stadt selbst nicht die Mittel besass, Leute mit Bitt-
briefen abzusenden, wie das sonst gebräuchlich war, so erging vom
Konsistorium an die Inspektoren der Mark die Weisung, von den Kanzeln
herab zu Beiträgen auffordern zu lassen. Allein die Gemeinden hatten
genug mit sich selbst zu thun, und so erscholl der Hilferuf vergeblich.
Der Turm blieb in Trümmern stehen, bis die Stadt seine Wiederher-
stellung aus eigenen Mitteln in Angriff nehmen konnte. Doch waren
wenigstens schon 1659 aus dem beim Brande geschmolzenen Glockengut
zwei Glocken gegossen worden, deren gross te dieselbe Inschrift tragen
sollte wie die vom Jahre 1605. Allein das Konsistorium rügte den
Satz Satanam fugo, da er den Schein „des päpstlichen Aberglaubens"
trüge. Dazu war zwischen dem Rat und dem Inspektor ein heftiger
Streit entbrannt über die Forderung des Inspektors, dass auf der Glocke
sein Name vor denen der Ratsnütglieder stehe. Deshalb wurde von
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134 I>r. Paul Schwarte- Friedenau.
jeglicher Inschrift abgesehen, und ausser der Jahreszahl schmückte nur
der Name des Kurfürsten die Glocke. Die beiden Glocken hingen bis
1687 in einem Glockenhaus auf dem Kirchhof.
Dreissig Jahre vergehen nach dem Frieden, bis die Gemeinde daran
denken kann, die Kirche auszubauen und annähernd in früheren Stand
zu setzen.*) 1680 sind die Bürger eifrig bemüht, für den Ausbau die
von der Obrigkeit geforderten Mittel aufzubringen. Wer Fuhrwerk be-
sitzt, fährt Bauholz und Steine heran; nicht vergebens hat der Rat die
Bürgerschaft ermahnt, „zu Gottes Ehre eine Fuhre zu thun" ; „sie würde
sich zu Gottes Ehre nicht entbrechen", hat sie durch ihre Vorsteher
erwidern lassen. Die andern schicken Knechte, Mägde und Kinder, um
Handlangerdienste zu verrichten. Den Maurern und Zimraerleuten wird
eingeschärft, „weil es ein Bau, der Gottes Ehre anbelanget, sich fleissig
und getreu bei der Arbeit zu erweisen und die Zeit nicht vergebens zu-
zubringen". So schreitet bei freudigem Eifer aller Beteiligten der Bau
rüstig vorwärts. Im Innern benutzt man die Gelegenheit, die letzten
Spuren aus der katholischen Zeit zu tilgen, nämlich „die abenteuerlichen
Figuren und Gesichter", mit denen Wände und Gewölbe bemalt sind.
Der naive Humor des Mittelalters, der sich sogar in die Gotteshäuser
hineinwagte, sagt der ernsten Zeit nicht zu, und so werden seine Gebilde
durch einen weissen Anstrich den Augen der Andächtigen entzogen. Die
Fahnen, Degen und Sporen aber, die Bilder und Inschriften, mit denen
Pfeiler und Wände zum Gedächtnis der in der Kirche Beigesetzten ge-
schmückt sind, lässt man an ihrer Stelle. Eine Orgel ist wohl vor-
handen, aber sie reicht für die weiten Hallen nicht aus; es ist eine
Hausorgel, welche die Kirche einem Bürgermeister abgekauft hat. Der
Königsberger Orgelbauer erbietet sich, wenn ihm das Material geliefert
wird, für 400 Thlr. eine Orgel zu bauen. Nun wird Geld gesammelt,
und die Kirehenvorsteher gehen von Haus zu Haus, um Zinn zu erbitten,
und die Hausfrauen suchen aus, was sie von dem zinnernen Hausgerät
missen können. 1684 ist der Orgelbau schon so weit vorgeschritten,
dass zum Weihnachtsfest ein Stimmwerk vorgetragen werden kaun. Als
1689 die Orgel vollendet ist, wird die alte der Klosterkirche überwiesen,
die mit dem abgelegten Schmuck der Marienkirche ausgestattet wird.
Auch der Altar fällt der neuen Zeit zum Opfer, da er „etwas altvaterisch"
erscheint. Zwei Jahre nimmt die Arbeit an dem neuen in Anspruch.
Die kleinen Seitenkapellen rings herum sind einzelnen Gewerken über-
lassen gewesen, die hier in der katholischen Zeit ihre eigenen Altäre
gehabt hatten und jetzt ihre Begräbnisgerätschaften aufbewahren, Bahre,
Leichentücher und Grabscheite. Auch leere Särge stehen hier, lebenden
Personen gehörig, die noch bei Lebzeiten ihre letzte Lagerstatt sich
selbst hergerichtet haben. Jetzt werden die Kapellen geräumt, um mit
*) Vgl. Schriften des Vereins für Gesch. der Neuinark, Heft II, 80 ff.
Kirchliches Leben in einer märkischen StAdt während des 17. Jahrhunderts. 135
Sitzplätzen versehen oder zu Erbbegräbnissen für vornehme Familien
eingerichtet zu werden.
Die Kirchensitzo sind durch einen Gang in zwei Teile geteilt. Auf
der einen Seite sitzen die Männer, auf der andern die Frauen, alle in
peinlicher Ordnung nach dem Rang, der jedem und jeder gebührt. Wenn
einmal unter den Männern ein Versehen vorfällt, so lassen es die Be-
nachteiligten wohl stillschweigend geschehen; die Frauen aber dulden
keine Zurücksetzung. Lange vor Beendigung des Ausbaus richtet die
Bürgerschaft an den Rat die besorgliche Bitte: „wann nur die Frauens
wieder ihre Stühle in der Ordnung, wie sie die jetzo besitzen, wieder-
erlangen und nicht ein Streit unter den Frauen wegen der Obersitze
entstünde". Die Besorgnisse sind nur zu sehr gerechtfertigt, und Jahre
lang tobt unter den Frauen der Kampf um die Obersitze, mit Worten
und Werken. Sie schimpfeu und schlagen sich, sie treten einander ab-
sichtlich auf Schürzen und Röcke, sie reissen sich die Kleider vom Leibe
und die Anne aus den Gelenken. Der Rat muss oft strafend eingreifen.
Da führt die Frau eines Ratsherrn zum erstenmal ihre herangewachsene
Tochter mit sich in die Kirche; sie selbst nimmt den ersten Platz auf
der Bank ein, ihre Tochter neben ihr den zweiten. Darob gewaltige
Entrüstung auf der ganzen Bank. Du Grünschnabel! Du Schlaraffen-
gesichte! muss das arme Kind sich zuzischeln lassen. Solche- Frevle-
riuneu aber werden vom Rat in den Kahlwinkel gesetzt, einen dunklen
Verschlag unter der Treppe im Rathaus, der „für die unnützen Zänker
bestimmt ist, sonderlich die Weibesbilder, so mit der waschhaft ver-
logenen Zungen den Nächsten verunglimpfet4'. Die Frau eines andern
Ratsherrn will von ihrem Platz zum Altar treten, um das Abendmahl
zu nehmen. Als sie bei der Kannegiesscr Kaseler vorbeigeht, wird sie
von derselben „frevelhafter und boshafter Weise" mit der Faust in das
Kniegelenk geschlagen, dass sie zusammenbricht. Die Untersuchung er-
giebt, dass die Kaseler sich hat vom Zorn hinreissen lassen, weil die
Frau Ratsherr ihre Schwiegertochter mitgebracht und neben sich über
den andern Frauen hat sitzen lassen. Sie entschuldigt sich zwar, es
köune ja wohl vorkommen, dass man erzürnt und voll Eifers würde;
jedoch der Rat lässt solche Entschuldigung nicht gelten und verurteilt
sie zu einer Strafe von 10 Thlrn. oder 10 Tagen Kahlwinkel. Als aber
schliesslich auch die Frauen der Ratsmitglieder „sich in loco sacro an-
fochten und allerhand tort erwiesen", da wird 1732 vom Kat eine Sitz-
ordnung erlassen, welche alle nur möglichen Streitfälle zu schlichten
bestimmt ist. Für „konditionierte Frauen", das sind die Frauen der
Rathsherren und Geistlichen, werden geschlossene und vergitterte Sitze
längs der Wände errichtet. Frauen, deren Männer ein Ehrenamt be-
kleiden (als Kirchenvorsteher, Gerichtsbeisitzer, Stadthauptleute, Bürger-
deputierte), sitzen unter einander, nach dem Rang ihrer Männer. Kommen
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136
Dr. Paul Schwarte Friedenau.
sie mit gewöhnlichen Bürgerfrauen zusammen auf eine Bank zu sitzen,
so haben sie vor diesen den Obersitz. Die Bürgerfrauen ordnen sich
nach der Zeit, in der sie in den Ehestand getreten sind; die sich zuerst
verheiratet hat, erhält den ersten Platz. Die Jungfrauen sitzen unter
den verheirateten Frauen, doch so, dass die „aus einem Ehrenstande"
den Obersitz vor den gewöhnlichen Bürgerfrauen haben. Den Dienst-
mädchen werden die Plätze in den Gängen angewiesen. Dieselbe Ord-
nung gilt auch für Begräbnisse, bei denen die Frauen im Leichengefolge
mitgehen.
Der Gottesdienst ist viel ausgedehnter als heute. An den hohen
Festtagen und den Sonntagen werden drei Predigten gehalten : die Früh-
predigt um 7, die Hoch- oder Rechtpredigt um 9 und die Vesperpredigt
um 2 Uhr. Auch an jedem Dienstag, Mittwoch und Freitag wird ge-
predigt; die Freitagpredigten stehen den Landpredigern der Königsberger
Inspektion zu, die der Reihe nach sich hören lassen müssen. An den
übrigen Wochentagen werden früh um 6 oder 7 Uhr Betstunden veran-
staltet. In der Fastenzeit wird täglich gepredigt, ausser am Sonnabend;
dann findet Katechismusprüfung und Vorbereitung zur Beichte statt,
indem der Geistliche die Anwesenden prüft, ob sie auch die Stücke des
Katechismus, sowie die Haupt- und Kernsprüche aus der Bibel im Ge-
dächtnis haben. Ausser den bestimmten Predigten werden noch welche
zu besondern Gelegenheiten gehalten. Da werden Buss- und Bettage
angesetzt zur Abwendung der Türkengefahr, in gefährlichen Kriegs-
lasten, gegen die Heuschrecken, gegen die Pest; sind die Gefahren
glücklich beseitigt, so werden Dankfeste gefeiert. An solchen besondern
Bettagen hat die Gemeinde wirklich eine angestrengte Thätigkeit im
Singen, Beten und Anhören von Predigten zu entfalten. So wird von
einem Bettag bei Pestgefahr berichtet, dass der Gottesdienst ununter-
brochen von 8 Uhr morgens bis 3 Uhr nachmittags gedauert hat. Der
Gottesdienst nimmt darum viel längere Zeit in Anspruch als heut, weil
die Gemeinde aktiver, möchte man sagen, an demselben beteiligt war.
Zunächst durch den Gesang. Zur Vorbereitung auf die Predigt und
nach ihrer Beendigung werden mehrere Lieder gesungen. Die neu-
märkische Kirchenordnung von 1736 schränkt die Zahl der Lieder ein,
weil sie von den Unwissenden „doch nur ohne Verstand und Erbauung"
gesungen würden, und gestattet für die Früh- und Vesperpredigt nur
drei, für die Hochpredigt vier. Ausser dem Gesangbuch hat jeder Kirch-
gänger die Bibel mitzubringen, um sofort die Sprüche und Bibelstellen
aufzuschlagen und nachzulesen, mit denen der Geistliche seine Predigt
würzt; deshalb wird auch in der Schule das Bibelaufschlagen so eifrig
geübt. Nach der Vespergredigt soll die Gemeinde noch beisammen
bleiben, um einem Examen über die eben gehörte Predigt beizuwohnen,
welches der Geistliche anfangs mit der ganzen Gemeinde, in späteren
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Kirchliches Leben in einer märkischen Stadt während des 17. Jahrhunderts. J37
Jahren mit Rindern, Knechten, Mägden und Almosenempfängern anstellt.
Durch die Kirchenordnang von 1736 wird die Prüfung auf die Kinder
beschränkt; die älteren Leute soll man nur „mit Liebe und Sanftmut
dahin zu disponieren suchen, dass sie sich auch öffentlich mitzuantworten
nicht entziehen mögen". Der Notarius Rohde, eine bei dem Rat wenig
beliebte Persönlichkeit, weil er das Walten der rathäuslichen Gerechtig-
keit durch seine Advokatenkniffe stark erschwert, hat sich einer solchen
Prüfung entzogen. Der Inspektor verklagt ihn deshalb bei dem Rat,
der ihn vorfordert und in Gegenwart des Klägers ermahnt, sich nicht
wieder vor beendeter Prüfung zu entfernen. „Herr Rohde", so berichtet
das Protokoll, „gehet hierauf aus der Thüre, wirft die Nase in der Höhe
und fönget darüber ganz höhnisch an zu lachen, sagende: ha, ha, ha!"
Der Rat lässt ihn sofort durch den Diener zurückholen und einige
Stunden in den bürgerlichen Gehorsam setzen.
Bei so ausgedehnter Amtstätigkeit — auch ein benachbartes Dorf
muss noch mitbesorgt werden — haben die Geistlichen eine angestrengte,
aufreibende Arbeit, wenn sich auch ihrer drei in dieselbe teilen: der
Inspektor, der Archidiakonus und der Diakonus. Doch haben sie vom
1. Juli bis zum 1. September Hundtagsferien, während deren sie nur
den Sonntagsgottesdienst abzuwarten und die nötigen kirchlichen Hand-
lungen vorzunehmen brauchen; es ist dies die Erntezeit, in der über-
haupt nur ein schwacher Kirchenbesuch zu erwarten gewesen wäre.
Nach dem dreissigjährigen Kriege blieb die Stelle des Diakonus aus
Mangel an Mitteln unbesetzt; 1684 aber wird auf den Wunsch der Bürger-
schaft wieder ein Diakonus berufen, der auch als Rektor die Stadtschule
leitet. Die Stelle des Inspektors vergiebt der Landesherr. Anfangs wird
bei der Besetzung auf Wünsche des Rats und der Gemeinde Rücksicht
genommen, aber bei Friedrich Wilhelm I. linden sie nicht mehr Gehör.
Er schickt einen seiner Feldprediger, und damit ist die Sache erledigt.
Soll ein Archidiakonus oder ein Diakonus gewählt werden, so wird der
Inspektor ersucht, „dass er es wolle anordnen, dass zu dem höchsten
Gott ein andächtiges Gebet in öffentlicher Kirchenversammlung möge
gethan und er um Zusendung eines tüchtigen und der Kirche anständ-
lichen Subjecti, durch den sein heiliges Wort lauter, rein und erbaulich
möge gelehret werden, herzlich angeflehet werden. Nun laufen die Be-
werbungen ein, darunter manche wohl begründete wie die folgende:
„Dass man gar wohl, ohne Verletzung des Gewissens, um ein Predigamt
anhalten könne, dessen bin ich überzeuget a) aus der Beteuerung Pauli:
das ist je gewisslich wahr, so jemand ein Bischofsamt begehret, der
begehret ein köstlicli Werk, 1. Timoth. 3, 1; b) aus denen Gleichnissen,
hergenommen von jenen treuen Knechten, die ihre von ihrem Herrn
empfangenen Talente nicht vergraben und also vermodern und verrusten
lassen, sondern damit gewuchert haben, Matth. 25, 14; c) aus dem
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138
Dr. Paul Schwartz-Friedenau.
Excmpel Jesaiä, welcher, als er hörete, dass man eines treuen Predigers
benötiget, selber kam, sich anböte und zum Herrn sprach: Hie bin ich,
sende mich, .Tes. 6; d) wenn nur die in der H. Schrift verbotenen und
verdammten viae obliquae vermieden werden, der Hauptzweck aber
Gottes Ehre und der Gemeine Erbauung ist." Die Bewerbung schliesst
mit den Worten : „Der Herr aber zeige, wen er erwählet hat. Will der
alleinweise Gott mich senden und reflektiert ein Hochedler Magistrat
auf meine Person, siehe, hie bin ich !" Nachdem die Bewerber ihre Probe-
predigten gehalten haben, wird die Gemeinde um ihr Urteil befragt, und
danach schreitet der Hat zur Wahl. Die Stimmen werden, wenn nicht
eine einmütige Wahl vorauszusehen ist, schriftlich abgegeben; oft werden
sie mit einem Bibelspruch oder einer eingehenden Begründung begleitet.
Bei der Anstellung der Geistlichen gerät der Rat seit 1733 in Abhängig-
keit; da befiehlt der König, dass über die Anzustellenden zuvor das
Urteil der Berliner Pröbste Rolofl' und Reitibeck einzuholen sei. Übrigens
hat das Konsistorium jede Wahl zu bestätigen.
Bei der Einführung eines neuen Geistlichen bringen ihm die Kirch-
gänger „mit christlichem Gemüte nach Vermögen" ein Opfer. An den
Gottesdienst schliesst sich im Hause eines der Herren vom Rat, der die
Ausrichtung übernommen hat, ein Gastmahl, zu dem die Geistlichkeit,
der Rat, die Gerichtspersonen und die Kirchenvorsteher geladen werden.
Die Kosten trägt zu einem Drittel die Stadtkasse, zu zwei Dritteln die
Kirche. Nicht verächtlich ist, was bei solcher Gelegenheit von den
städtischen und kirchlichen Würdenträgern geleistet wird. Wir teilen
mit, was einmal bei der Einführung eines Diakonus draufgegangen ist.
GO Thlr. sind für das Mahl bewilligt, an dem 30 Personen teilnehmen.
Für die Speisen sind 30 Thlr. angesetzt. Der vom Oberbürgermeister
entworfene Speisezettel lautet:
Die Gerichte werden doppelt und auf 30 Personen eingerichtet.
Erster Gang.
1. Eine potage und zwar in einer Schüssel 4 Hühner und in der zweiten
eine Hammelkeule.
2. Zwei Schüsseln Sauerkohl mit Wurst.
3. Zwei gute Schinken und ein Paar geräucherte Ochsenzungen.
4. Zwei Pasteton von Hirschfleisch.
5. Zwei Schüsseln Salzfische, wobei Salat.
6. Zwei Schüsseln Rindfleisch mit grossen Rosinen und Meerrettig.
Zweiter Gang.
1. Zwei Hirschbraten.
2. Zwei Hasenbraten.
3. Eine Schüssel mit K rammeis vögeln, so nachgebracht wird.
4. Zwei Putliahnen.
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Kirchliches Leben in einer märkischen Stadt während des 17. Jahrhunderts. 139
5. Ein Paar Capaunen.
6. Ein Paar Gänsebraten.
Dritter Gang.
1. Zwei Bisquitknchen.
2. Zwei Napfkuchen.
3. Zwei Apfeltorten.
4. Zwei Citronattorten.
5. Zwei Schüsseln mit Äpfeln.
6. Zwei Schüsseln mit Birnen.
Eine Schüssel mit Pflaumen und eine mit Walnüssen wird nach-
gebracht, nebst Butter und Käse.
Für 60 Quart französischen und 15 Quart Rheinwein, die aus
Stettin verschrieben werden, sind 22 Thlr. in Rechnung gesetzt; für die
noch übrigen 8 Thlr. wird eine Tonne Schönfliesser Weissbier, eine Tonne
Königsberger Braunbier, nebst Pfeifen und Tabak beschafft.
Dem Geistlichen steht es anfangs frei, seine Predigten so kurz oder
so lang einzurichten, wie ihm beliebt. Doch werden häufig dem Rat
Klagen aus der Gemeinde über zu lange Predigten vorgetragen , bei
denen einem alle Andacht vergehe. So erweist sich denn Friedrich
Wilhelms I. Befehl von 1714 als eine Wohlthat: die Predigten sollten
nicht länger als eine Stunde dauern; wer die Zeit überschritt, sollte
2 Thlr. Strafe zahlen. Damit deshalb der Geistliche weiss, über wie
viel Zeit er zu verfügen hat, steht auf der Kanzel eine Sanduhr, die er
beim Beginn der Predigt umdreht. Die Aufmerksamkeit der Zuhörer
wird durch den Kirchenwecker überwacht, der auch Hundepeitscher
oder Mägdewecker heisst. Er geht mit einem langen Stecken umher
and mahnt die Schläfer daran, dass die Kirche keine Sehlafkammer ist.
Namentlich während der Vesperpredigt hat er viel zu thitn. Die Aus-
übung seines Amtes schafft ihm häufig Gelegenheit, die Andächtigen
zum Lachen zu bringen. 1708 wird auf Antrag des Inspektors der
Kirchenwecker abgesetzt, „weil er bei der Aufweckung der Leute viele
Insoleutien und Affekte verübet hat." Für seine Mühewaltung bezieht
er jährlich 2 Thlr. 15 Gr. und 2 Scheffel Roggen.
Die Predigten knüpfen häufig an Vorfälle in der Gemeinde, in einer
Familie, an bestimmte Personen an; oft in einer Weise, dass die Betroffenen
sich „wegen des Anstechens" von der Kanzel herab beim Konsistorium
beschweren. Will der Geistliche in einer Predigt ausschliesslich von
einem besondern Vorfall oder einer Person sprechen, so muss er beim
Konsistorium tun Erlaubnis dazu nachsuchen. Vor versammelter Gemeinde
erteilen die Geistlichen ihre Rügen; auch der Rat wird nicht verschont
und muss „stachlicbte Predigten" über sich ergehen lassen. Da predigt
ein Diakonus über den Mangel an frommer Gesinnung in der Stadt und
„stichelt" dabei auf die leeren Ratsstühle. Dafür fordert ihn der Rat
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140
Dr. Paul iSchwartz Friedenau.
vor sich und giebt ihm zu verstehen, dass er nicht nötig habe, bei dem
Diakonus sich Urlaub zu erbitten. Ein anderer spricht über das laster-
hafte Treiben in der Stadt und wird dabei so deutlich, dass sich aller
Augen auf zwei Itatsherren richten, die voll Ingrimms die Predigt über
sich ergehen lassen müssen. Wegen seiner „anzüglichen Formalien"
wird er vor den Rat zur Verantwortung gezogen. Er erklärt: „seine
Rede wäre generale gewesen, und hätte er die Laster im allgemeinen
gestrafet; wenn es sich aber jemand anzöge, so müsste ers geschehen
lassen; er könnte nicht sagen, dass er diesen oder jenen gemeinet, zu-
malen er mit seiner Predigt auf alle diejenigen, so in den Lastern er-
soffen wären, gezielet." Die Diakonatshäuser bedürfen dringend der
Ausbesserung, aber der Rat hält die Bewohner lange mit leeren Ver-
heissungen hin. Da macht der Diakonus seinem Verdruss gegen den
Rat in einer Predigt Luft, und zwar auf eine Weise, „dass ein gross
Gelächter unter der Gemeinde entstanden, hat auch endlich zu seinen
weitläufigen verdrießlichen Reden allerhand Fluchen und Vermaledeiung
gethan," wenn der Rat nicht bald zu dem Ausbau Anstalt treffen würde.
Sind die Beleidigungen besonders schwere, so wenden sich die Beleidigten
mit einer Beschwerde an das Konsistorium. Dieses beruft nun Kläger
und Beklagte zum Verhör nach Küstrin oder sendet eine Kommission
zur Untersuchung.
Nach der Predigt macht der Geistliche noch verschiedene Mitteilungen.
Was heut von den Behörden durch die Zeitungen bekannt gemacht wird,
das wird damals der Bürgerschaft von der Kanzel herab mitgeteilt.
Zwar wird wiederholt von der Regierung verboten, von der Kanzel „alle
und jede das Polizeiwesen und andere Profansachen concernierende Edicta,
Man data und Verordnungen abzulesen"; aber bei dem damals so regen
Kirchenbesuch war die Verkündigung von der Kanzel sicher das be-
währteste Mittel, au die Bürgerschaft eine Bekanntmachung gelangen zu
lassen, deren Mitteilung keinen Aufschub bis zur nächsten Bürgersprache
auf «lein Rathaus duldete. So erhält sich auch in Königsberg die Ge-
wohnheit, und noch 1729 schickt der Rat dem Inspektor einen Zettel
zum Verlesen, des Inhalts, „dass niemand sich solle gelüsten lassen,
Schoten vom Felde zu holen".
Der Kirchenbesuch ist ein recht reger, und der Eifer der Gemeinde-
mitglieder wird auch von den Geistlichen überwacht, namentlich ihre
Teilnahme am Abendmahl. Ist jemand seit längerer Zeit nicht zum
Tisch des Herrn getreten, so wird er an seine Pflicht gemahnt. Die
Zünfte überwachen selbst ihre Mitglieder in dieser Beziehung und be-
drohen mit Entziehung der Rechte oder Ausschliessung den, welcher
seine kirchlichen Pflichten vernachlässigt. Übrigens hat jeder Bürger
in langem schwarzen Mantel in der Kirche gleichwie im Rathaus zu
erscheinen; wer gegen diese Vorschrift verstösst, hat einen Groschen
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Kirchliches Leben in einer märkischen Stadt wahrend des 17. Jahrhunderts. 141
Strafe zu zahlen, „damit er sich künftig besser nach dieser zur Ehrbarkeit
zielenden Anordnung reguliere".
Stets und überall wird dem Bürger seine Zugehörigkeit zur christ-
lichen Gemeinschaft zum Bewusstsein gebracht, auch in Angelegenheiten,
die zur Kirche nicht in unmittelbarer Beziehung stehen. Die Neue
General-Polizei-Ordnung von 1661 beschäftigt sich gleich im ersten Ab-
schnitt mit der Gottesfurcht und der Heiligung der Sonn- und Festtage.
Es soll Hand-, Feld- und Gartenarbeit ruhen und kein Fuhrwerk benutzt
werden; die Stadtthore werden bis 4 Uhr Nachmittag geschlossen gehalten,
die Kaufläden den ganzen Tag, die Bierhäuser während der Predigt und
von 9 Uhr abends ab. Wer während der Predigt spazieren geht, tanzt,
bosselt (d. h. Kegel schiebt), wird mit Gefängnis oder einer „tapfern
Geldstrafe" belegt. Gastmähler müssen spätestens um 10 Uhr „unter
vernünftigem und ehrbarlichem Gespräch" beendet sein. Von Gottes-
lästerung, Fluchen und Schwören handelt der 5. Abschnitt. Wer solche
Sünden begeht, erhält zunächst eine Strafandrohung durch den Geist-
lichen oder die Obrigkeit, Fruchtet sie nicht, so tritt Gefängnisstrafe
ein, sodann eine empfindliche Geldstrafe oder der Pranger und endlich
die Leibesstrafe. Der 9. Abschnitt weist die Geistlichen an, gegen die
Völlerei zu predigen.
Steht der Bürger als Zeuge vor Gericht, so werden ihm ausser
den allgemeinen Fragen über seine Person auch noch andere vorgelegt,
die seinen Glauben angehen: ober sich gern zum Gehör göttlichen Wortes
und zum heiligen Abendmahl halte; wann er sich zum letzten Mal dazu
eingefunden habe; auf wen er seiner Seele Heil und Seligkeit setze; ob
er das achte Gebot verstehe und dessen Inhalt sagen könne; ob er
auch wisse, was ein Eid und falsches Zeugnis auf sich habe. Der Rat
führt die Aufsicht über die Sitten der Bürgerschaft wie ein Hausvater
über die Familie. Wollen aber seine Zuchtmittel, die weltlichen Strafen,
nicht mehr verfangen, so wendet er sich um Beistand an den Geistlichen;
wenn auch dessen gütliches Zureden nicht fruchtet, so wird als höchste
Strafe die Kirchenbusse verhängt. Natürlich handelt es sich hierbei
nicht um Verbrechen, die nach der peinlichen Gerichtsordnung abzu-
urteilen sind, wie Diebstahl, Mord u. dgl., sondern teils um leichtere
Vergehen, «Iis heut unter den Paragraphen vom groben Unfug fallen,
teils um Verstösse gegen das Gebot der Sittlichkeit, die durch das
Strafgesetz keine Sühne finden würden. Die Kirchenbusse verläuft nun
so. An dein für die Busse bestimmten Sonntage begiebt sich der Sünder
vor dem Gottesdienst zum Geistlichen, um an seiner Seite zur Kirche
zu gehen. Hier erhält er einen Platz angewiesen, auf dem er von der
ganzen Gemeinde gesehen werden kann. Nach beendigter Predigt lässt
er sich auf die Knie nieder und erwartet die Fragen des Geistlichen, die
er „mit geziemender Sittsamkeit und Niedergeschlagenheit4* zu beantworten
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Dr. Paul Schwartz-Friedenau.
hat. Der Geistliche stellt nun der Gemeinde den Sünder vor und
erwähnt sein Vergehen. Darauf fragt er ihn, ob er seine Sünden be-
daure und sich künftig eines besseren Lebenswandels befleissigen wolle.
Hat der Sünder die Fragen reumütig bejaht, so wird er losgesprochen.
Wie die Kirche eine Stätte ist, an der sich ein reges Leben der
Gemeinde entfaltet, so ist sie auch der Mittelpunkt für die stille Gemeinde
der Toten, die sich um sie schart, um in der Nähe des teueren Gottes-
hauses die ewige Ruhe zu finden. Um die Kirche breitet sich der
Friedhof aus. Wer sich als schlechter Christ bewährt hat, wer das
Gotteshaus gemieden hat, dem wird auch nicht der Friedhof aufgethan;
ausserhalb desselben dicht an der Mauer wird ihm sein Grab bereitet.
Kein Glockengrnss geleitet ihn auf seinem letzten Wege, ohne Sang und
Klang wird er eingescharrt, wie der arme Sünder draussen vor dem Thor am
Galgenberg. Doch sind es nur wenige Gräber, die da draussen an der
Kirchhofsmauer schmucklos verfallen. Auch die Kirche selbst nimmt
die Toten auf. Die Geistlichen, die Herren des Rats, vornehme Bürgers-
leute und ihre Angehörigen finden hier ihre letzte Ruhestatt, beneidet
von den Armen, die sich einmal mit einem Plätzcheu draussen bescheiden
müssen; denn ein Begräbnis in der Kirche kostet 20 Thaler. In den
Erbbegräbnissen, im Kellergewölbe reiht sich Sarg an Sarg.
So haben sie gestanden bis vor 10 Jahren. Da wurde die Ruhe
der Toten gestört, als die Kirche ausgebaut und mit Heizungsanlagen
versehen wurde. Die Gebeine wurden gesammelt und in eine gemein-
same Gruft gelegt. Auch der Friedhof ist seit einem Jahrhundert ver-
schwunden. Kein Stein, kein Kreuz erinnert daran, dass hier unter
dem Pflaster und den Blumenbeeten sich Tausende zum ewigen Schlaf
gebettet haben.
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Vom Sagensammeln.
Von Wilhelm Schwartz.
Erinnerungen aus meinen Wanderungen in den Jahren 1837—1849.
(Ein Vortrag in der Sitzung des hies. Vereins für Volkskunde aui 2ß. Januar 1894 gehalten.)
Die Aufforderung, welche mir von unserm hochverehrten Vorsitzen-
den*) geworden, um heutigen Tage aus meiner laterua magica, wie
derselbe sich ausdrückt, wieder einige Schlaglichter auf das Volkstum zu
werfen**), hat mich angeregt, einige Bilder Ihnen vorzuführen aus meinen
volkstümlichen Studien, namentlich aus den Jahren 1837/49, wo ich mit
Kuhn anüng, die Marken und überhaupt Norddeutschland, so oft die Zeit
es irgend gestattete, zu durchwandern, um die Sagen, besonders die
mythischen Traditionen und die Gebräuche, die sich in diesen Land-
strichen noch erhalten hatten, zu sammeln.
Wenn ich, so viel als möglich, Thatsachen sprechen lassen werde,
um Ihnen ein anschauliches Bild von dem Verkehr mit dem Volke auf
jenen Wanderungen und den Erfahrungen, die wir dabei gemacht, zu
geben, so muss ich um freundliche Nachsicht bitten, wenn persönliche
Beziehungen z. T. dabei nicht bloss berührt, sondern auch gelegentlich
ausführlicher geschildert werden ; sie gehören eben dazu, den Hintergrund
des Bildes zu zeichnen und dasselbe zu vervollständigen.
Ich muss gleich mit einer solchen anfaugen.
Es war Ende der 30er Jahre ein höchst angeregtes Leben auf dem
Gebiet der philologisch- historischen Wissenschaften, namentlich hier in
Berlin. Wie in den neusten Zeiten Schliemanns und seiner Nachfolger
Entdeckungen auf mehr archäologischem Gebiet blitzartig den Horizont
■
•) Geheimrat rrof. Dr. Weinhold.
••) Es bezieht sich dieser Ausdruck auf die vom Verf. in dem I., II. und III. Bande
der Zeitschrift für Volkskunde veröffentlichten vier Aufsätze mit dein Titel „Volks-
tümliche Schlaglichter".
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144
Vom Sagensainmeln.
der Studien des Altertums weiteten, so war es damals das Sanskrit und
die Germanistik, welche die Geister fortrissen und der Wissenschaft
eine neue Welt zu eröffnen und die klassischen Studien mehr in den
Hintergrund zu drangen schienen. Bopp und dann J. Grimm waren gleich-
sam die Sonnen, um die sich Alles drehte. Ich wurde in diesen Zauberkreis
durch Kuhn hineingezogen, der damals meiner Familie näher trat und
mich, seinen zukünftigen Schwager, für die neuen Wissenschaften gewann,
während er selbst an seine Doktor -Dissertation de conjugatione in — /ut
dachte. Obwohl ich eben erst in die Prima des Grauen Klosters hier-
selbst eingetreten war, fing ich an mit Gustav Freytag, der noch hier
in den letzten Semestern studierte und mit Kuhn befreundet war, sowie
mit einem jüdischen Studenten, — dem Freytag dann ein Ehren -Denkmal
in seinem „Soll und Haben" gesetzt hat — bei Kuhn Sanskrit zu treiben,
wie dieser mich auch in Grimms Mythologie einführte, die erst kürzlich
erschienen war. Freudig folgte ich auch seiner Aufforderung, mit ihm
in Grimms Sinne die ländlichen Traditionen der Mark zu sammeln.
In den Ferien, ja Sonnabends und Sonntags, so oft es möglich war und
die Jahreszeit es gestattete, wanderten wir hinaus in das Land.
In Stralow (wo damals noch, wie der Berliner sagte, der Eier-
kuchen nur auf einer Seite gebacken wurde, es hatte nur eine Reihe
Häuser) beim Schulzen Kracht, einem ächten Märker von klarem Kopf
und trocknein Humor, von dem sich manche Anekdoten erzählen Hessen,
machten wir unsere ersten volkstümlichen Studien. Knüpften sich doch
auch allerhand Gebräuche, ja auch Sagen an den sogen. Stralauer Fisch-
zug, (den Eröffnungstag des Fischfangs,) der damals noch im lebendigen
Volksleben stand. An Stralau reihte sich bald weiter im Osten Köpnick und
Rahnsdorf sowie die Umgegend der Müggelsberge mit ihrem Sagenkranze,
auf der anderen westlichen Seite Berlins dann Pichelsdorf mit dem
Schildhorn. Es hatte einen besonderen Reiz, so dicht vor den Thoren
Berlins mit dem Sagensammeln anzufangen. Freilich sah es damals noch
anders vor denselben aus als jetzt. In Pichelsdorf gab es damals nur Stroh-
dächer, und der Rauch kam unter denselben hervor; von Schornsteinen
war noch keine Rede. Und am Teufelssee bei den Müggelsbergen, wo
jetzt eine Restauration ist und der Berliner Kellner waltet, war noch
ein dichter Urwald alter Eichen, und an dem Wege, der sich im Dunkel
derselben an dem See hinzog, sollte es vor allem nicht recht richtig sein,
wie uns auch ein Rahusdorfer Bauer, mit dem wir von der Prinzessin
plauderten, deren Schloss dort untergegangen sein sollte, allen Ernstes
versicherte, dass, als er einmal in der Johannisnacht zu Wagen da vorbei-
gekommen, er Mühe gehabt hätte, die Pferde zu halten. Er selbst sei
auch betroffen geworden, als er an dem grossen Stein beim Teufelssee,
wo das Schloss der Prinzessin einst versunken sein sollte, leibhaftig
eine weisse Gestalt im Mondenschein hätte sitzen seilen.
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Vom Sagensamineln.
145
So wurden wir allmählig mit dem Volke vertrauter, leniteu es,
ein Gespräch mit den Leuten anzuknüpfen, das sie schliesslich geneigt
machte, auf unsere Ideen einzugehen, vor allein übten wir uus in der
Geduld, was dabei eine Hauptsache ist.
Eine recht charakteristische Secne, an die wir oft nachher noch,
wenn unsere Geduld auf die Probe gestellt wurde, in Humor zurück-
dachten, begegnete uns z. B. gleich in der ersten Zeit in Heiligensee bei
Tegel. Wir hatten uns eines Sonnabends Nachmittags dorthin aufgemacht,
um die an den dortigen sog. Ileiligensee sich knüpfenden Sagen zu erforschen
uud fanden in dem Schulmeister, der uns von einem Bauer, welcher uns
begegnet war, als ein alter Geschichtenmann, der alle solche Sachen
wisse, empfohlen war, und den wir deshalb aufsuchten, auch, wie es
schien, einen zugänglichen Mann. Er war aber leider schwerhörig, und
das sollte für uns verhängnisvoll werden. Denn als wir nach eiuigen
einleitenden Worten von den „alten" Geschichten anfingen, „Ja, sagte er,
es passiert viel Merkwürdiges in der Welt; ich erzähle auch meinen
Kindern in der Schule immer davon" und nun kam die Geschichte von
Josef zu Tage. Scheinbar andächtig hörten wir zu, in der Hoffnung,
dass wenn dies abgesponnen, doch noch etwas anderes hei1 vor kommen
würde. Von einein Ab- und auf eine andere Bahn Einlenken war bei
dem alten, tauben Herrn nicht die Rede. Als er mit Josef glücklich
fertig war, und wir wieder hoffnungsvoll einsetzten, fing er an: „Ja und
da ist noch die Geschichte von den drei Brüdern." Wir stutzten, denn
wir dachten, es würde sich etwa ein deutsches Märchen erschliessen.
Zu unserm Schrecken war es aber die Geschichte von den 3 Horatiern
und Cnriatiern, die er natürlich ohne Namen und ohne die spezielle
Beziehung auf Rom, sondern auf einen anderen Ort übertragen, — ich
weiss nicht mehr welchen, — in voller Behaglichkeit abspann. Wir
machten noch verschiedene Versuche, aber umsonst. Der Mann lebte
nur in den Geschichten, die er in der Schule verwertete, — und zu
unserm Schrecken hörten wir, da es inzwischen schon spät geworden
war, dass wir in Ileiligensee nicht bleiben könnten, es sei da kein Gast-
haus, wir lnüssten hinüber nach Nieder-Neuendorf: aber das Eis der Havel
hielte noch, — es war März, — er wolle uns jemand stellen, der uns
sicher hinüberführe.
Die Geschichte nahm übrigens noch schiesslich eine gute Wendung
und hatte am andern Tage ergiebige Resultate. Wir waren nämlich
ganz gut über die Havel gekommen, obgleich das Eis stellenweise un-
behaglich donnerte, es auch nicht gerade angenehm war, dass der vor-
angehende Führer bald rechts, bald links uns vor einer Luhme warnte,
die die Fischer sich gehauen hatten. Auch fanden wir noch ein Nacht-
quartier, — freilich keine Betten, sondern nur ein Strohlager, — indem
unser Führer mit Mühe das Mädchen im Krug herausklopfte. Von Essen war
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146
Wilhelm Schwärt*.
auch nicht mehr die Rede, kaum dass das Mädchen einen Kienspan an-
zündete und uns in der Wirtsstube noch etwas Stroh aufschütten zu
wollen erklärte, „wo, wie sie sagte, schon andere lägen". Wir machten
gute Miene zum bösen Spiel, richteten uns so gut es ging ein, und
sollten auch am andern Morgen reichlich dafür belohnt werden. Als
die Sonne durch die Kitzen der Laden blickte, wachte ich auf, zumal
es mir an der Seite so eigentümlich warm wurde und sich so rauh an-
fasste, was da lag. Es war ein schwarzer Kater, der sich zwischen mir
und meinem Schlafnachbar, dem Semmelmann aus Spandau, wie sich
nachher herausstellte, eine warme Stelle ausgesucht hatte und der nun
gleich, als wir etwas gefrühstückt, den Stoff bot, auf Katzengeschichten,
und dass Hexen oft als Katzen spukten, einzugehen. Und unser Semmel-
mann erwies sich in diesem Genre so bewandert, dass wir nachher noch
einen weiten Umweg mit ihm machten, um ihn möglichst gleichsam
auszupumpen.
Dass man, wenn man ins Volk geht, wie die russischen Nihilisten
sagen, sich möglichst weit ihm amalgamieren muss, um nicht den Ein-
druck des Fremdartigen zu machen, sondern als Einer von ihnen zu
erscheinen, davon hatte ich gleichzeitig eine besondere Erfahrung in Berlin
gemacht. Ich wollte ein Puppenspiel von „Linde" in der „Kurzenstrasse"
besuchen, nachdem ich mich mit dem Herrn angefreundet hatte, um seine
alten Manuskripte, nach denen er Fausts Höllenfahrt und ähnliche Stücke
spielte, näher kennen zu lernen. Trotzdem ich mich mit einem befreun-
deten Studenten, der noch jetzt hier als Geheimer Sanitätsrat lebt, so
schlecht als möglich angekleidet hatte, — es war im Jahre 1839, — und
wir uus ganz bescheiden benahmen, erregten wir doch Verdacht bei
einem etwas händelsüchtigen Teil des Publikums. Es fielen allerhand
Redensarten, als süssen da in der ersten Reihe welche, die nichts unter
ihnen zu suchen hätten und hinaus müssten, so dass wir uns für alle
Fälle enger mit einigen kräftigen Gardisten in unserer Nähe befreundeten,
indem wir ihnen Cigarren anboten, aber doch froh waren, dass Linde
in einer Pause an uns herantrat und unsern Besuch des Theaters so
coram publico legalisierte. Interessant war übrigens im höchsten Grade
die Spannung, mit der das Publikum der Vorstellung trotz der Dürftig-
keit solcher Marionettenvorstellung folgte, und oft brach die Teilnahme
in lauten Jubel aus. Besonders war dies bei einer Stelle der Fall, als der
Kasperle, der Diener Fausts, der Repräsentant des gesunden Volkshumors im
Stücke, den Zauberring seines Herrn findet und nun die Geister Fitzliputzli
undConsorten citierte und mit ihnen sein Spiel trieb. Als z.B. der Auerhahn,
ein kleiner Teufel, von ihm u. a. gefragt wurde, was er treibe, und sagte,
er mache die Kaiser und Könige, und Kasperle meinte, ,,aha ! darum fallen
sie auch so aus", da brach so ein grosser Jubel los, aber er hatte in der
harmlosen Heiterkeit der ganzen Aufführung nichts besonders Verfang-
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Vom Sagensamnieln.
147
liches. Anders machte es sich freilich, als ich nachher die Stelle im
Manuskript fixiert las ; und so war es auch erklärlich, dass die demselben
angehängte „Konzession zur Aufführung" aus der ersten Hälfte des vorigen
Jahrhunderts die betreffende Partie gestrichen sehen wollte. Das Manu-
skript schrieb ich übrigens nachher für Professor v. d. Hagen ab, der
Materialien für eine Herausgabe des Puppenspiels von Dr. Faust« Höllen-
fahrt sammelte.
In eine so bedenkliche Lage, wie bei jenem Puppenspiel in der
Kurzenstrasse bin ich freilich nie wieder gekommen; die Verhältnisse
auf dem Laude waren ja auch meist einfacher und gemütlicher, und
suchten wir uns da auch meist mehr zunächst an Einzelne zu halten, schon
deshalb, weil bei Anwesenheit Mehrerer leicht Debatten entstanden, die
nicht vorteilhaft für unsere Erörterungen waren. Aber auch, wo manch-
mal auf dem Lande wir uns bei einer grösseren Anzahl unter das Volk
mischten oder gar auch einmal an ihren Vergnügungen teilnahmen, fanden
wir meist harmloses Entgegenkommen. So erinnere ich mich, dass wir
einmal den 3. Weihnaehtsfeierhig, als der Winter gerade mild war,
nach dem Fläming eine Exkursion machten und gegen Abend in ein
Dorf kamen, wo im Kruge flott getanzt wurde, und man uns sogar dazu
aufforderte. Wir gingen auch darauf ein, hielten uns aber bald zu den
Alten, denn was uns für unsere 2 Groschen zugemutet wurde im Drei-
tritt in der Reihe abzutanzen, überstieg bald unsere städtischo Übung,
so dass ich wenigstens mich erinnere, bald mehr von meiner Tänzerin
geführt worden zu sein, als dass ich sie führte. Wir hatten aber doch
soviel erreicht, dass wir keine Spielverderber zu sein schienen, so dass
uns die älteren Männer, als wir uns zu ihnen an den Tisch setzten, ganz
freundlich annahmen und sich je länger je mehr, als namentlich noch ein
paar Unterförster eintrafen, ein Gespräch, wie wir es brauchten, entspann,
zuerst von allerhand Uäubern ä la Riualdini, dann von Spukgeschichten,
zu denen wir reichlich beisteuerten, aber auch entsprechende Gegengabe
empfingen, so dass, als die Mitternacht heraukam, und wir zu Bett gehen
wollten, einer der Förster unter allgemeiner Zustimmung uns einlud,
bald wieder vorzusprechen, indem er, wie Wagner im Faust dem
Gefühle Ausdruck gab, „mit uns zu diskut ieren, sei ehrenvoll und bringe
Gewinn."
Derartiges war und blieb freilich nur vereinzelt, hauptsächlich
schlössen wir uns jedem Wanderer an, der desselben Weges ging, um im
Gespräch mit ihm das sagenhafte Material der Gegend zu sondieren;
schwenkten vom Wege ab, wenn wir irgendwo eine Schaf- oder Kuh-
herde salien und wenn der betreffende Hirt zugänglich war, plauderten
wir mit ihm, so lange er gern zu plaudern schien oder wir von ihm
hofften etwas zu hören. Der nächste Krug war dann unsere Haupt-
station und besonders kamen wir gut an, wenn wir die Krügerfamilie
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Wilhelm Schwürt«.
allein fanden, wo sie zugänglicher war. Dann wurden die für die Gegend
angeknüpften Fäden weiter gesponnen, nachdem zuerst meist das Wetter
oder der Stand der Früchte oder eine besondere Eigentümlichkeit, zum
Beispiel ein grosser Stein, den angeblich ein Hiese dahin geworfen haben
sollte, Anknüpfung für Weiteres geboten.
Beziehungen zu gewissen volkstümlichen Gebräuchen an den hohen
Festen, die sich ja zum Teil in der Zeit an heidnische Feste anlehnen,
namentlich zu Weihnachten an den sogen. Zwölften, dem alten „Mitwinter-
sonnenfest", schlössen sich leicht an und verbreiterten den Inhalt der
Unterhaltung. Lernte sich ein derartiges Anknüpfen leichter, so war
die richtige Fragstellung behufs eingehender Feststellung der verschiedenen
Momente einer Sago oder eines Gebrauches sowie die Leituug eines Ge-
sprächs in der Weise, dass der Gefragte nicht mit einem , ja" oder „nein"
ant worten konnte, sondern selbst zu einem konkreten Ausdruck des Faktums
gebracht wurde, in jedem einzelnen Falle gleichsam eine besondere
pädagogische Aufgabe. Denn der natürliche Mensch ist in solchem
Falle nur zu leicht zu einem „ja" bereit, um den lästigen Frager los
zu werden, wie ein Kind auch seinem Lehrer, wenn derselbe, nach einer
gegebenen Auseinandersetzung einer Sache, es fragt „hast du es ver-
standen" in neun Fällen unter 10 mit „ja" antwortet. Derartiges spielt
auch, nebenbei bemerkt, bei sogen. Fragebogen oft eine Rolle, wie denn
überhaupt manches Apokryphe durch dieselben zu Tage gefördert wird,
wenn sie nicht bloss zur Orientirung benutzt werden, und das Einzelne
ohne weitere Kontrolle in die Wissenschaft übergeht, zumal auch die
meist gebildeten Mittelspersonen leicht „Subjektives" hineinbringen.
Konzentrierte sich nun aber der Verkehr mit dem Volke zunächst
meist in den Krügen und um die Personen, die wir in denselben antrafen,
so besuchten wir doch oft auch auf Einladungen, die wir unterwegs
erhielten, einzelne Bauernhäuser oder Leute, die angeblich etwas von so
alten Dingen wissen sollten. Namentlich haben wir in der ersten Zeit
oft einen alten Kuhhirten in Brodewin iin Barnimer Kreise besucht und
es war jedesmal ein Festtag der Familie, wenn wir einsprachen und der
Grossvater seine Geschichten, namentlich Märchen und Tierfabeln,
auspackte.
Der Zufall spielte aber immer eine besondere Holle. So erinnere
ich mich eines Nachmittags im sogen. „Hans Jochenwinkel" in der
Altmark, wo wir in einem Dorf unter einer alten Linde Grenzjäger und
Bauern trafen und uns zu ihnen setzten, und plötzlich von einem über
Jemand, der gerade gestorben, die Äusserung fiel „ja de is nu all auch
hen nach Nobiskrug". Das war für uns eine Veranlassung, in dem
Dorfe uns festzusetzen, und allmählich enthüllte sich nun der ganze Vor-
stellungskreis von einer Art Unterwelt, die sich aus heidnischer Zeit
hier erhalten und lokalisiert hatte. Denn mit Nobiskrug, was wir aus
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Vom Sagensammeln.
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Grimm als eine Bezeichnung für Hölle kannten, bezeichnete man dort
noch allgemein das Dorf Ferchau (Seelenau) an der Sumpfgegend des
Drömling. Dieselbe Vorstellung also, die bei den Griechen und Römern
solch ein Terrain für den Eingang zur Unterwelt hielt, hatte sich hier auch
am Rande der Sumpfgegend, die als unergründlich galt, im Namen
Seelenau wie Nobiskrug lokalisiert, und der Gebrauch, dass man dem
Toten eine Münze als eine Art Fährgeld in den Mund legte, den wir
bald allgemein verbreitet fanden, gab der Sache einen bedeutsamen
Hintergrund, zumal es hiess, Jemand, bei dem dies nicht geschehen,
komme sonst als „Nachzehrer" wieder und ziehe andere nach.*)
Wir machten dabei noch gleich eine besondere Erfahrung. Da wir
hörten, der Geistliche kümmere sich viel um Altertümer, und der Aber-
glaube das Begräbnis betraf, bei dem er doch auch zu fungieren hatte,
dachten wir Näheres von ihm zu hören. Wir suchten ihn deshalb auf.
Er hatte auch verschiedene Altertümer und Sammlungen, und es war
ein interessanter Herr.**) Von der Sache mit dem Totenpfennig wusste
er aber nichts und bestätigte sie erst nachher nach eingezogenen Er-
kundigungen. Zuerst fiel uns dies auf, aber bei eingehender Erwägung
erschien es natürlich, dass gerade ein solcher abergläubischer, aus dem
Heidentum herstammender Gebrauch speziell vor dem Prediger geheim
gehalten wird. Eine wunderbare Bestätigung der Sachlage hörte ich
auch nach Jahren noch von dem Kantor Hille in Liepe im Havelland,
dem ich mal die Sache erzählte, und der mir später eingestand, trotzdem
er dreissig Jahre dort fungiere und bei jedem Begräbnis zugegen gewesen
sei, sei er doch jetzt erst, durch mich aufmerksam gemacht, dahinter
gekommen, dass er keinen Toten zu Grabe gesungen, der nicht seinen
„Sechser" unter der Zunge gehabt. Die Sache ergab sich dann als auch
im Havellande allgemein üblich.
Ein ähnlicher fast komischer Zufall führte uns später auch zu der
Entdeckung der Frigg in der Uckermark, die Jacob Grimm noch so
viel Freude machte. Ich traf in einem Bauerhause, wo wir einmal in
den Herbstferien eingesprochen, die Mädchen beim Waschen und spielte
das Gespräch darauf über, dass es auch Zeiten gäbe, wo man nicht
waschen dürfe, z. B. an den Zwölften. Man lachte darüber, aber eine
der Mädchen meinte, dann dürfe man ja auch nicht spinnen, sonst käme
*) Den Namen Nobiskrug für Ferchau erwrthnt schon Walther, Sing. Magd. 1753
VII. 57. und dass er als Bezeichnung für den Aufenthalt der Toten andererseits
ru derselben Zeit noch allgemeiner bekannt war, zeigt die Krwahnung desselben
in diesem Sinne in einem Loblied auf das Bernauer Bier, welches Beckmann, Iiistor.
Beschreibung der Churmark Brandenburg. Berlin. 1751. S. 6.7J mitteilt.
••j So viel ich mich erinnere, spielte sich das (iauze in Lagendorf ab, und der
Prediger war der Pastor Krilger, den Parisius fast *J0 Jahr spater (1SG0) einmal auf-
suchte und von dem er in seinen „Bildern aus der Altmark*4. Hamburg 1S8:{, dann
S. 245 ff. erzählt.
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Wilhelm Schwartx.
„de Pfui" in den Wocken. Tch fragte, was denn das heisse, und man
meinte, der Wocken würde sonst beschmutzt, dass es ein Ekel sei. So
eigentümlich dies als Erklärung für den Namen Pfui klang, wenngleich
der Aberglaube von dem Beschmutztwerden des Wockens, wenn er in
den Zwölften nicht abgesponnen, uns schon aus den anderen Teilen der
Mark bekannt war, mussten wir uns zunächst mit der Erklärung
begnügen. Doch aufmerksam gemacht, forschten wir in dem betr.
Landstrich weiter danach und hörten zunächst deutlich die Formen
Fuick, Frick, dann wurde uns die Frick hier als eine alte Hexe be-
zeichnet, die in den Zwölften umzöge und jede Arbeit bestrafe, dort
hörten wir, sie zöge mit der wilden Jagd und Hunden, denen das Feuer
nur immer so aus dem Maule schlüge, kurz es ergaben sich Ueberreste
alter Mythen im Anschluss an den Namen, wie der Gebrauch noch das
unbewusste Fortleben altheidnischen Aberglaubens zur Zeit der Winter-
sonnenwende zeigte, und zwar in ähnlicher Weise wie es in Mecklen-
burg an den Wode in der Mittelmark an Frau Harke sich knüpft.
Oft täuschte aber, was vielversprechend zu werden schien, und Zeit
und Mühe, eine Sache zu verfolgen war vergeblich. Aber das half dann
nichts und durfte nicht entmutigen. So hatten wir einmal in der Ucker-
mark die Bezeichnung Puks für Kobold in einer Familie gehört und bei
weiterem Nachforschen ergab sich, die Geschichte rühre von einer alten
Verwandten her, die im Hospital zu Lydien sei. Der Puks in der
Uckermark war etwas besonderes, da er sonst nur an der Ostsee auf-
trat. Wir änderten unsere Marschroute und wanderten nach Lychen,
fanden auch glücklich die Frau im Hospital daselbst. Es war aber zum
Unglück an einem Sonntagmorgen, wo alle die alten Frauen im Hospital
in dem Saal zusammensassen. Vergeblich dass wir versuchten, die Frau
allein zu sprechen. Schon unser Erscheinen und Nachfrage erregte einen
gewissen Jubel. Die alten Frauen, keine war unter siebzig Jahr, fingen
sofort an, sich in die Unterhaltung zu mischen, die Unglückliche zu
necken, indem sie allerhand Sticheleien machten. Der Puks sei nur ein
Vorwand, wir seien ein paar schmucke Bräutigams, die sie sich bestellt,
kurz die ganze Sache fiel ins Wasser, und wir waren zuletzt froh, aus
der halb toll werdenden Versammlung glücklich wieder herauszukommen.
Ebenso missglückte öfter ein Versuch, wenn wir nachträglich erst
auf eine Sache besonders aufmerksam geworden, weiter „brieflich ' an-
zuknüpfen unternahmen. Mancher, wie der Schulze in Diesdorf, der des
Schreibens wohl mächtig war und auch sonst Interesse gezeigt hatte,
uns dies oder jenes zu erzählen, antwortete garnieht. Ein Bauer aus
dem Dröinling liess mir nach einem Vierteljahr einen langen, langen
Brief schreiben, in dem garnieht berührt war, wonach ich gefragt,
sondern aus einer alten Chronik mehrere Seiten abgeschrieben waren,
und der dann mit den Worten schloss „die Zeit wird sie wohl lang
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Vom Sagensainmeln.
151
dauern, aber meine umstände habens wollen nicht ehr Erlauben. Es
hat mir zwar Umstände und etwas kosten verursacht, aber was thut die
liebe bei Menschen. Lieber Schwartz leben Sie recht wohl, nun Adieu.
Natürlich ermutigten derartige Erfahrungen nicht zu ähnlichen Ver-
suchen, beim Wandern selbst aber darf man sich nicht abschrecken
lassen, wenn man an einem Orte nicht gleich bei den ersten Nachfragen
einen Erfolg erzielt. Es hängt nämlich sehr oft einfach davon ab, auf
welchen Teil der Bevölkerung eines Ortes man gerade stösst. Als wir
z. B. das erste Mal in Kloster Lehnin waren, bemühten wir uns ver-
geblich, noch etwas anderes zu hören als die bekannten Geschichten von
den in der Klosterkirche daselbst befindlichen alten Bildern, wie der
Abt Sebaldus von den heidnischen Bewohnern des Nachbardorfes Lehnin
erschlagen worden und die Jungfrau Maria den Mönchen dann erschienen
sei und sie zum Ausharren ermutigt habe. Wir waren nämlich, wie sich
später herausstellte, in ein Gasthaus und den Teil der Stadt geraten, in
dem die Nachkommen der alten französischen Kolonisten ansässig waren.
Als wir aber bei einem neuen Besuch dem anderen Teil der Bevölkerung
näher traten, in dem sich das deutsche Element reiner erhalten hatte,
hörten wir eine Fülle hübscher Sagen von Lehnin und namentlich auch
der Umgegend, die dann u. A., wie überhaupt unsere märkischen Sagen,
Willibald Alexis besonders erfreuten, so dass er einzelne auch in
seinen märkischen Romanen gelegentlich in die Schilderungen verwebte,
und sie so auch dem litterarischen Publikum als heimatliche, poetische
Genrebilder bald bekannt und vertraut wurden.*)
Spasshaft waren oft die Gedanken der Leute, weshalb wir so das
Land durchwanderten, da in der Mark es damals noch wenig Touristen
gab. Meist suchte man diesen oder jenen lokalen Grund in der Um-
gegend heraus, ein Gut oder eine Familie, dem eigentlich unsere Wan-
derung gelte, namentlich dass wir in der Gegend auf die Freite gingen.
Nur zweimal trat uns eine besondere Auffassung in eigentümlicher Art
entgegen. Ein uckermärkischer alter Manu, mit dein wir etwa eine
*i Dieselbe Beobachtung die wir speziell in betr. der Lehniner Verhältnisse ge-
macht, war, wie ich nachher sah, auch Riedel entgegengetreten, als er bei seiner
Suche nach märkischen Urkunden nach Kloster Lehnin gekommen und die Bevölke-
rung, wie er sagt, in Hinsicht auf alte Erinnerungen Gespensterfurcht und dergleichen
vollständig in zwei Gruppen geteilt fand, und derartiges nur bei den alten Unterthanen
des Stifts, wie er sich ausdruckt, hervortrat, wahrend den Reformierten, d. h die er-
wähnten Kolonisten, da sie überhaupt nicht an solche Sachen glaubten, geradezu die
Fähigkeit, Gespenster zu sehen, im Volke abgesprochen wurde. — Je mehr seit den
inzwischen verflossenen 50 Jahren die alten angesessenen Verhaltnisse durch Eisen-
bahnen, Freizügigkeit und dergl. durchbrochen sind, weiden ähnliche Erscheinungen
eich ev. mehren, zumal Zeitungen und überhaupt Lektüre mannigfacher Art auch bei
dem Landvolk dem Interesse für die alten Geschichten immer mehr den Boden
entzieht und nur in den langen Winterabenden in höchstens noch einmal auftauchen.
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Wilhelm Schwarte.
Meile zusammengegangen, auch unterwegs eingekehrt und ein Glas Bier
ihm spendiert hatten, fasste beim Abschied die Sache verschmitzt praktisch
auf, indem er sagte: „Nun meine Herren. Ich weiss nicht weshalb Sie
nach all' den alten Geschichten gefragt und sich das alles haben er-
zählen lassen. Aber einen Zweck haben Sie dabei, umsonst thun Sie
das auch nicht. Und wenn Sie etwas dabei verdienen, können Sie mir
auch was davon geben." Da er zumal etwas reduciert aussah, gaben
wir ihm gern eine Kleinigkeit, zumal er uns u. A. auch von der alten
Frick eine Geschichte erzählt hatte.
Fast wissenschaftlich, wenngleich vom Standpunkt des Elementar-
unterrichts aus, den er genossen, fasste ein Schulze aus der Nähe von
Boitzenburg die Sache auf. Es war eines Sonntags morgens, Anfang
der Vierziger, als wir ihn in dem Kruge vou Boitzenburg, das dem Grafen
Arnim gehört, trafen. Nach einigen Präliminarien kam er uns näher
und erzählte mit einem gewissen Stolz, er sei von der Frau Gräfin aufs
Schloss gerufen worden. Eines der Kinder hätte die Rose, deshalb habe
sie ihn holen lassen, dass er selbige bespreche. Herr Graf hielte zwar nicht
viel davon, aber Frau Gräfin sei eine sehr verständige Frau. „Übrigens,"
sagte er, „ich kenne die Herren wohl wieder, sie waren schon einmal
hier, und ich habe es gleich dem Wirt gesagt, „das sind die Herrn, die
so die Welt herum reisen und hören was sie überall für Sprachen
sprechen und für Geschichten haben," das ist 3 Jahr her, dass sie hier
waren und nun kommen sie wieder herum." Dies Factum mit den
drei Jahren war richtig, aber der Schluss daraus auf eine Wranderung
um die Welt, war die Folge eines Residuums seiner Schulbildung. Wenn
der Riese Schlagradodo in Immermanns Tulifäntchen das Resultat seiner
elementaren Bildung in den Spruch zusammenfasst:
Asien, Afrika, Europa
Und Amerika, und unten
Da im stillen Meer das viele
Gänseklein von Inselsuiten,
Sind die fünf Weltteil; es lebet
Ein allmächfger Gott im Himmel,
Sterben wir, ist die Geschichte
Nichts so mir nichts dir nichts aus.
Nein dann kommt das ewige Leben,
Und der Mensch hat freien Willen,
Wenn ich frage: Wem? Dann setz ich
Mir und frag' ich: Wen? Dann ziemts
Mich zu sagen; und die Erde
(i leicht 'ner alten Pomeranze. —
so war unserem Schulzen auch noch die Reminiscenz geblieben, dass man
drei Jahre gebrauche, die Erde zu umfahren, und so war ihm unst<r
Vom Sagensamineln. 153
Wiedererscheinen in Boitzenburg nach 3 Jahren zu einer Art Erd-
umsegelung geworden! —
Inzwischen waren aber unsere Sammlungen in den Marken im Laufe
der Jahre durch fortgesetzte Wanderungen schon zu einem Abschluss
gediehen, so dass im Jahre 1843 eine Herausgabe an der Zeit zu sein
schien. Trotz Kuhns Protest figurierte ich aber nicht auf dem Titel,
sondern nur in der Vorrede. Denn mein guter Vater fürchtete, dass,
da ich gerade vor dem Examen stand, mir das Bekenntnis eines fort-
gesetzten Wanderlebens bei demselben nachteilig werden könne, zumal
damals das Sagensammeln noch mehr als nutzloser Zeitvertreib oder
höchstens mehr alsein Amüsement denn als eine ernste Kulturarbeit erschien.
Uns hatte aber der Erfolg so angeregt, dass, zumal Kuhn eine
Unterstützung bei dem Könige Friedrich Wilhelm IV. fand, wir den Plan
fassten, die Sammlung der Volkstraditionen weiter über ganz Nord-
deutschland bis an den Rhein auszudehnen. Wir gingen aber nun plan-
massig ans Werk, zumal schon in den Marken eine geographische Gliederung
des alten Volksglaubens, dem wir immer mehr unsere Hauptaufmerk-
samkeit schenkten, hervorgetreten war, und wir dieselbe in den einzelnen
(»ruppen Norddeutschlands weiter verfolgen wollten. Die in kleinerem
Kreise der Mark gewonnene Praxis stählte unsern Mut und kam uns
dabei zu statten
Mit jedem neuen Landstrich eröffnen sich nicht blos sagenhafte
Nüancierungen, sondern auch ein gewisser Wechsel in der Landschaft,
der auf das Volkstum reflektierte. Hatte uns z. B. das fruchtbare West-
falen bei einer grösseren Tour in seinen lang sich hinziehenden Dörfern,
einzelnen Höfen schon äusserlich ein besonderes Bild selbständigen Bauern-
lebens gegeben, wie es Immennann so charakteristisch in seinem Münch-
hausen schildert, so bot der im Münsterlaude beginnende durch Sumpf viel-
fach unterbrochene Landstrich ganz andere Lebensverhältnisse und Be-
dingungen. Auch dass wir mitten in streng katholisches Land gekommen,
trat hervor. Als wir z. B. eine Frau, mit der wir längere Zeit geplaudert
hatten, wobei es herausgekommen, dass wir evangelisch waren, nach der
Wünschelrute und allerhand ähnlichen Dingen fragten, meinte sie: das
müssten wir doch viel besser wissen als sie, wir dürften doch die Bibel
lesen, und im 7. Buch (!) Mosis stände doch alles davon ganz ausführlich. Wir
thaten natürlich, als sei das eine neue Belehrung, die wir uns zu nutze
machen würden und später nachsehen, inzwischen möchte sie uns doch
immer sagen, was so die Leute davon dächten, denn in jeder Gegend
fasse man es doch anders auf.
War in betreff der Moore, der nördliche Teil des Münsterlandes,
-ohon charakteristisch gewesen, so war es noch in erhöhterem Masse
Ostfriesland, namentlich um das Saterland herum. Es war gerade das
Ende des Hochsommers und das Ilaidekraut stand in voller Blüte.
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Wilhelm Schwartz.
Soweit das Auge reichte, nichts als ein rötlicher Tcppich. Von den
Dimensionen in dieser Beziehung kann es ein Bild geben, wenn ich den
Weg beschreibe, den wir einmal eines Nachmittags etwa um 3 Uhr von
einem Dorfe aus nach Scharrel im Saterlande einschlugen. Ein Bauer
hatte uns aus dem Dorfe, das in einer Art Mulde lag, auf das Plateau
geführt und bezeichnete uns eine Baumgruppe, die am Horizont hervor-
ragte, als das nächste Ziel unserer Wanderung. Wir sollten dann nur
eine Strecke in der Richtung weitergehen, dann würden wir an einen
Graben kommen, an dem sollten wir entlang gehen, bis wir an einen
Fusssteig kämen, der uns nach einem Damm führen würde, welcher uns
schliesslich nach Scharrel brächte. Während dieser ganzen Zeit — es
kam der Abend heran, — sahen wir keine Spur menschlicher Thätigkeit
(keine spya dv$pww wie Homer sagt,) nichts als die endlose Ilaidefläche
vor uns, nur ab und zu flatterte ein Wasservogel auf, nur einmal hörten
wir ein Zischen in unserer Nähe, es kam von einer Otter, die sich über
dem Kraut erhob und sofort wieder verschwand.
Von den primitiven Zuständen, die gelegentlich im Saterlande auf-
tauchten, nur zwei Beispiele. In Tyrol hatte ich einmal in früheren
Jahren gesehen, wie Leute einen kleinen Quell, der bei ihrer Hütte
herabkam, benutzten, ein Rad zu treiben, das mit der im Innern des
Hauses an der Wand stehenden Wiege in Verbindung gebracht, diese in
Bewegung setzte. Hier im Saterlande hatte man in einer Torfhütte eine
Kuh zu demselben Zweck verwendet. Sie stand nämlich dicht neben
dem mittleren Raum, in dem die Leute selbst wohnten, nur durch eine
Bretterwand getrennt. Durch dieselbe war ein Loch gebohrt, und wenn
die Leute aufs Feld gingen, zogen sie den Schweif der Kuh hindurch
und befestigten ihn an der Wiege, welche dann durch das Zerren des
Tieres in die nötige Bewegung gesetzt wurde.
Mit dem Feueranmachen war es dort auch noch eine etwas
umständliche Sache, zumal die damals aufgekommenen Schwefel-
streichhölzer bei der feuchten Atmosphäre viel versagten. In jedem
grösseren Gehöft hielt man deshalb fortwährend Feuer auf dem Heerde,
indem man stets, namentlich auch des Nachts, Kohlen unter der Asche
barg, damit, wie Homer bei ähnlicher Gewohnheit sich ausdrückt, man
für den folgenden Tag „den Samen des Feuers" hätte.
Sonst trug die Bevölkerung hier einen eigentümlich selbstbewussten
historischen Charakter, indem der Konrapersweg (König Radbods Weg),
der mitten durch das Land ging, die Erinnerung an den alten Friesen-
fürsten Radbod aufrecht erhielt, und sie auch sonst gern von ihren alten
Häuptlingen, gestützt auf allerhand Chroniken, die in einzelnen Familien
waren, erzählten. Da auch sonst in Sprache, Gebrauch und Sage manches
Interessante uns entgegentrat, glaubten wir noch aus dem Volleren
schöpfen zu können, wenn wir eine der abgelegenen friesischen Inseln
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Vom Sagensauimeln.
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aufsuchten. Von Norderney aus Hessen wir uns nach Baltrum über-
setzen, aber wir sollten stark enttäuscht werden. Die ganze männliche
Bevölkerung der Insel bestand aus Seeleuten, die auf grösseren Fahrten
abwesend waren, und so waren meist nur Frauen und Kinder da, die
mit einem alten Ortsvorsteher, einem Geistlichen*) und einem Fährmann
bei Thee und Zuckerkant, Kartoffeln und Stippe und schwerem Brot ein
kärgliches Leben führten, bis zum Herbst die Männer wieder heim-
kehrten, wo dann ein verhältnismässig reiches Leben begann, aber auch
die Erinnerungen von Bombay und Madras und Amerika alles andere
überwucherten. So merkten wir bald, dass von alten friesischen Er-
innerungen wenig mehr übrig geblieben war.
Aber wir waren gefangen; denn der Fährmann, der uns allein
fortschaffen konnte, war nach Aurich hinüber, um seinen Sohn unter
die Soldaten zu bringen, und durch das Watt waten konnten wir uns
doch nicht zumuten, abgesehen davon, dass es auch gefährlich war. So
mussten wir denn aushalten, bis der Fährmann zurückkehrte und unsero
Erlösungsstunde schlug. — Neues hatten wir eben nicht gehört, ausser
die Bezeichnung Küpat für Milchstrasso. Aber wenn auch volkstümliches
deutsches Leben unter dem grossen Weltverkehr, der sich hier, wenn
auch nur in einzelnen Namen abspielte, geschwunden war, so glimmte
doch unter der Asche der Funke deutschen Lebens, der aufflammen
sollte, wenn seine Stunde gekommen. Der Ortsvorsteher — es war das
Jahr 1847 — studierte in seiner Trösteinsamkeit eifrig in der Spenerschen
die Verhandlungen des vereinigten preussischen Landtags. Der Mann
war natürlich damals noch hannöversch, aber sein Herz schlug ahnend
für Preussen und Deutschlands Zukunft. Es machte dies umsomehr
Eindruck auf uns, als im Paderbornsehen und Münsterlande in den Vor-
geschichten und den Sagen von der letzten Schlacht es immer noch
meist damit endete, dass zuletzt die Weissröcke (die Österreicher) siegten.
Die katholischen Sympathien überwogen damals immer noch.
So durchwanderten wir fast in allen Ferien der Jahre 1843—42
den Harz, Thüringen, Xiedersachsen, sowie Westfalen, Oldenburg, Ost-
friesland bis hinauf zu dem Inselkranz an den dortigen Watten. Aber
nicht bloss umfangreicher, sondern auch inhaltstiefer wurde unser Ein-
dringen in das Volksleben. Je mannigfacher die volkstümlichen Ge-
staltungen, die uns entgegengetreten waren, desto mehr galt es stets,
alle Seiten des Volksglaubens und der Gebräuche im Auge zu haben
und nach allen Kategorien hin die Sonde anzulegen. Es ward gleichsam
jede unserer Unterhaltungen ein stilles Examen nach Grimms
Mythologie. Bildete die wilde Jagd, die weisse Frau, Riesen, Zwerge
(Unterirdische), und Nixe den Hauptansgangspunkt für die Erforschung
*) Der zugleich nach hannoverschem Gebrauch Sclnillehrer war.
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Wilhelm Schwarte.
der mythischen Traditionen, so waren es in betreff der Gebräuche für
den Harz und Thüringen die Gebräuche der Pfingst- und Johanniszeit,
für Norddeutschland mehr die der Zwölften. Waren diese Themata er-
schöpft, so durchliefen wir im Gespräch, wenn es irgend ging, die
himmlichen Erscheinungen, forschten nach besonderen Bezeichnungen
für eine Gewitterwolke, die Milchstrasse, Sternschnuppen, Wirbelwind
u. dgl. Unsere gemeinsame Thätigkeit kam uns dabei sehr zu statten.
Denn nicht allein, dass es uns frisch erhielt bei der Arbeit, die sonst
leicht in den fortwährenden Wiederholungen derselben Thätigkeit von
des Morgens früh bis zum Abend Wochen hindurch leicht monoton ge-
worden wäre, auch im Einzelnverkehr war die Gemeinsamkeit sehr
förderlich. Kuhn hat auch dem in der Vorrede der Norddeutschen Sagen
Ausdruck gegeben, wenn er hervorhebt, dass unsere Art der gemein-
samen Wanderung und Forschung für die Zwecke der Sammlung äusserst
förderlich gewesen; „denn oft, wenn wir an eine reichlich fliessende
Quelle geraten waren'* sagt er, „und der Eine schon alle Kapitel der
Mythologie in seinen Fragen durchlaufen zu haben glaubte, kam der
Andere mit einem neuen Punkte zum Vorschein, der nicht selten Neues
und Wichtiges ans Licht brachte".
Ich reihe gleich noch ein anderes Moment an, dass unser Zusammen-
wirken auch für das Niederschreiben sehr vorteilhaft war. Wir haben
nie, um die Unbefangenheit der Leute nicht zu stören, etwas in ihrer
Anwesenheit niedergeschrieben ausser Lieder, auf die wir gelegentlich
auch unsere Aufmerksamkeit richteten. Aber am Abend, wenn wir auch
noch so müde von der Wanderung des Tages waren, gingen wir an die
Arbeit des Niederschreibens, damit das Gedächtnis noch frisch reagiere.
Kurze Daten fixierten wir gemeinsam, in betreff längerer Geschichten
teilten wir uns in die Arbeit. War namentlich der Gegenstand schwie-
riger aus den Unterhaltungen herauszuschälen, so schrieb jeder für sich
das betr. Stück nieder und in gemeinsamer Besprechung wurde dann
die Fassung so objektiv als möglich fixiert.
So entstanden neben den „Märkischen Sagen" unsere „Norddeutschen
Sagen, Märchen und Gebräuche aus Mecklenburg, Pommern, der Mark,
Sachsen, Thüringen, Brauuschweig, Hannover, Oldenburg und Westfalen
aus dem Mundo des Volkes gesammelt" und unter den Wehen des
Jahres 1848 herausgegeben und Sr. Majestät dem KönigFriedrich Wilhelm IV.
als hochherzigen Förderer des Unternehmens gewidmet. Später ver-
suchten wir noch einmal zusammen dann im Herbst 1849 die Sache
wieder aufzunehmen, aber ein unglücklicher Fall, den ich bei Seesen im
Harz eines Abends im Gebirge that und leicht nahm, schob mir einen
Hiegel vor. Während längeren Liegens schrieb ich dann meine mytho-
logische Erstlingsschrift „Der heutige Volksglaube und das alte Heidentum".
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Vom Sagcnsammeln.
157
Kuhn nahm in den fünfziger Jahren allein noch einmal das Sammeln
in Westfalen auf, von dem er die Resultate in den „Westfälischen Sagen"
niedergelegt hat. Ich fand später Gelegenheit hei einem Sommerauf-
enthalt in Nenstadt-Eberswalde und während meiner amtlichen Thätig-
keit als Direktor in Neuruppin noch manche Sage zu pflücken, auch
späterhin während gelegentlicher Sommerfrische in Colberg, Flins-
berg, Friedrichrode nnd Lauterberg, sowie auf Rügen es fortzusetzen,
aber nicht mehr im systematischen Wandern, das war nach jenem
unglücklichen Fall vorbei, sondern im zufällig sich bietenden Verkehr
hier und da, denn mir war das Schöpfen aus dem Volkstum eine Art
lieber Gewohnheit geworden, wo freie Zeit und Gelegenheit sich dazu
bot. Sagensammeln muss man aber eigentlich in der Jugend, wo man
zu einem alten Geschlecht aufschauend gleichsam als belehrungs- oder
wenigstens wissensbedürftig erscheint, als in alten Tagen, wo eher Andere
von Einem etwas zu hören erwarten und, wenn mau sie fragt, dies eher
Miss trauen als Vertrauen von Haus aus weckt, wie ich oft bemerkte.
Ich schliesse meine Schilderung, indem ich für einen besonderen
Vortrag mir vorbehalten möchte, darzulegen, wie die geschilderten, jahre-
lang fortgesetzten Wanderungen und der Verkehr mit dem Volkstum für
Kuhn und mich gleichsam zu einer praktischen Propädeutik auf
dem Gebiet des Volksglaubens und überhaupt der mythologischen Wissen-
schaft geworden sind, indem, während Kuhn in seinem Buche „Über die
Herabkunft des Feuers und des Göttertrankes bei den Indogermanen",
die historischen Bezüge der betr. Völker in gewissen Urge-
b rauchen darlegte, ich, wie Manhardt in seinen Wald- und Feldkultcn.
Berlin 1877 am Schluss S. 350 sagt: „Die Entdeckung machte,
dass der Volksglaube der Bauern (d. h. der naturwüchsigen, länd-
lichen Kreise) grösstenteils in unmittelbarem Zusammenhang
stehende Keime der höheren Mythologie in sich berge", welchem
Prinzip ich dann in meinen mythologischen Schriften auch eine allge-
meinere Geltung verschafft habe.
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Seite
Seite
Abschaffung der Propstwürde zu Hei-
Beizig, Stadt,
. . . . 129
55
Adliges Friluleinfltift zum Heiligen
55
„ niarkgräfl. Münzstätte
. . .13-11
Äbtissinnen zu Heiligen Grabo 53, 03,
„ städtische „
. . . . 19
78, 84
. . . . 125
4
. . . . 90
8, 9
Bettagu in Königsberg. N. M.
. . . . 130
11
. ... 119
Allerhöchste Kabinet sordre betr. Hei-
Bischöfe zu Havelberg 21, 38, 39, 40,
, 78
48, 51, 54, 74
VII
. . .21-22
Alvensleben v., M Ungerechtigkeit . .
23
. ... 109
Amtskleidung der Feldprediger . . .
100
. . 111, 112
Anhalt, als Name auf Münzen . . .
9
. . 110, 115
III
. . . . 25
Apostel auf dem Flügelaltar in Zie-
. ... 109
20
VII
. ... 128
112
. . . . 99
80
. ... 119
-10
. . . . 5
. . . . 21
115
, Münzstätte . .
. . . 13, 18
17
. . .1, 3, 4
1
Brennabor, falscher Name .
155
Barutb, Stadt,
125
. ... 115
104
-20
13
Münzstätte- d. Herrn v. Strele
21
Garstedt, Feldpropst ....
. . . . 9S
Reginenbaus zu Heiligen Grabe . . .
81
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160
Register.
Seite
Cochius, Feldprediger 96
Conventualinnen zum Heiligen Grabe
55, 01, 81
Caapergaard, Kr. Hadersleben. ... 117
Cottbus, Herren v., Münzgerechtigkeit 23
„ Stadtwappen 24
Crossen, Münzstätte 1:1, 14
Dahme, Herren \\, Münzgcrcchtigkcit 23
„ Stadt 118, 12;»
Dallgow bei Spandau 108
Dankehnann v 89
Daun, Graf 91
Decken, Feldpropst 07
Denar, mittelalt. Münze ö
Deutsche Aufschriften auf Münzen . 7, 9
„ Siegeln. . 0
Dietrich I, Bischof v Havelberg . . 21
Döberitz bei Spandau 119
Dornum, Würde zu Heiligen Grabe 61, Gf>
Dominikus, preuss. Musketier . . . .116
Dreissigjahrige Krieg i N. M 130
Kdelberren i. d. M., Münzrechlc 22, 23, 21
Kinfübning der Geistlichen in Königs-
berg i. X. M 138
Ermann, Dr IX
Erwerbungen des Stiftes zum Heiligen
Grabe 4G
Krziehungshaus zum Heiligen Grabe 80
Evangelische Prediger zum Heiligen
(trabe 60
Fach werk bau 114. 124
Familiennamen aus der Geschichte
des Klosters Heiligen Grabe 10, 46,
71, 76
Feldpredigerordnung Friedrichs des
Grossen 97
Feldpredigerwesen 85
Feldpropst 91
Fläming 10«, 126
Ferchau, Scelenau, um Deimling . . 1 19
Feueranmachen 154
Fischer, Feldprediger 99
Forschungsgebiet der Gesellschaft für
Heimatkunde der Provinz Bran-
denburg VIII
Fränkisches Haus 10"», 12;"»
Frey tag, Gustav . III
Seite
Friedel, Geheimer Regierungsrat und
Stadtrat VII
Friedrich I., Feldpredigerwesen ... 90
Friedrich der Grosse, Feldprediger-
wesen 97
FriedrichWilhelm, der Grosse Kurfürst,
Feldpredigerwesen 85
Friedrich Wilhelm I., Feldprediger-
wesen 91
Friedrich von Plötzke, Bischof . . . 22
Friesack, Edele Herren v., • 2
Frigg i. d. Uckermark 149
Froissard, Stadtbibliothek in Breslau . 120
Fürstenwalde a d. Spree 120
Galland, Dr. Georg 28
Garnisonkirche in Berlin 8S, 95
Gebet d. Gr. Kurfürsten 86
Gedike, Feldpropst ........ 91
Geldlehre, Zweig d. Nationalökonomie 2
Geldrechnung i. d. Mark 14
Generalstabsprediger H6
Gerswalde i. Uckermark 112
Giebeldreieck . 116, 118
Giebelverzierung . 120, 121
Giesendorf bei Berlin 112
Gödcniu», Oberpfarrer in Königsberg
X. M 131
(iürzke, Münzstätte 13
Goldbeck, Feldprediger ...... 99
Golssen, Stadt 125
Gottesdienst in Königsberg ... 136
I Grimm, Jacob .... 144
1 Groeben im Xuthethal 19
Groschen, böhmische 21
markische 21
Grube, Fläming llr>
Guben, Stadt . . 123
„ Münzstätte 13
Hnlbbrakteat, Münze 15
Hülm, Feldprediger 99
Hahnenkopf, an Häusern 122
Hans Jochenwinkel 1 18
Harke, Frau 50
Hnsenkopf an Häusern 122
Hausnrnen 123
Havelberg, Bistum, Münzstätte . . 21
Heer des Grossen Kurfürsten . . . S5
„ Friedrich Wilhelms d. I. . . . 96
Heilige Geist Kit ehe H8
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1Ü1
Kietz
120
Kirchenbesuch in Königsberg N. M. HO
„ der Soldaten .... 95
Kirchenordnung in Königsberg N. M. 130
Kirchenparaden in Berlin 88
Kirchensitze in Königsberg N. M. . 135
Kirchliches Leben in Königsberg N. M. 127
Kloster Heiligen Grabe 30
Knesebeck, Herr v., Mflnzgerechtigkeit 23
Königsberg N. M 107
Koepenick, Münzstätte . . . . 4, 5, 0, 13
„ Stadt 144
Konrapersweg 151
Kracht, Schulze in Stralau 144
Kriegsrecht, brandenburgisches ... 80
Kruger, Pastor 149
Küster, Feldpredigcr 99
Küstrin, Garnison 88
Kuhn, Forscher 144
Kurfürstin, eine v. Brandeburg ... 28
Landbuch der Mark Brandenburg
von 1375 21
Heiligen Grabe, Kloster 30
Heiligensee bei Tegel 145
Heimatkunde, Umfang VII
Heinrich IH. v. Bodendyk, Bischof . 25
Hennigsdorf a Havel 110
Herbord, Münzmeister 11, 23
Herodianus, Schriftsteller 124
Herrnschneid, Hauptpastor .... 98
Herzberg, Kr. Ruppin 110
Hofpradikant 89
Holzbau 115
Hundepeitscher 138
Hundskopf 122
Instruktion für Feldprediger .... 89
Jablonsky, Feldprediger 89
Jadickendorf b. Königsberg N. M. 112
Jakza, Knaes von Koepenick .... 4
„ dessen Münzen 5, 0
„ angeblich in Kopnitz in Posen 0
Joachim I., Kurfürst 9
Johann Sigismund, Kurfürst .... 130
Johann I., Markgraf 11, 12
Jüterbock, Stadt 125
Kahlwinkel der Kirche 135
Karl IV., Kaiser 20
Katte v., Lieutenant 95
Seit«
Landstände 18
Lebus, Bistum .... 22
Lehde, Spreewald 124
Lehmann, Dr. Richard VII
Lehnin, Kloster 72, 151
Libra 14
Lieberose 118, 122
Liepe, Dorf im Havelland ..... 144
„ bei Oderberg 109, 111
Lindow und Ruppin, Grafeiur., Münz-
gerechtigkeit 23
Linum 112
Löwenberg ..113
Luckau, Münzstätte . . 13
„ Stadt 125
Ludwig I , Markgraf 19, 20
Ludwig IL. ,, 19, 20
Luxemburger Markgrafen 20, 21
Lydien, Münzstätte 13
Mägdewecker in Königsberg ... 138
Malerei des Altars in Zielenzig ... 20
Maltitz, Major z. D 30
Maria, Bild der Jungfrau 28
Marienglocke zu Königsberg . . . .129
Mark Silber 14
Marzahne b. Brandenburg . . . 1»»*', 125
Masuren 117
Mellen bei Zossen 100
Merlan, Künstler 120
Michaelis, Feldprediger 92
Mielke, Robert 104
Militär-Konsistorium 89
t, Kirchenreglement 97
„ Kirchhof in Potsdam 92
Missgeburt in Königsberg 128
Mitchel, englischer Gesandter .... 99
Morin, Münzstätte 17
Moritzpfennige aus Magdeburg, Vor-
bilder d. brandenburgischen Münz-
prägung G, 10
Müuzbezirke (Münzyscr) 17, 18
Münzforscher, Aufgabe 2
Münzfunde: Michendorf b. Potsdam. 4, 9
„ Schollehne b. Ilavelberg 5
Münzkunde als Archäologie 2
„ Nutzen 2
., antike, mittelalterliche,
neue 3
Münzrecht 14, 22, 23
11
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1C2
Register.
Seito
Soitu
Münzstätten, nulrkische, 11, 13, 14,
>»4ia« 1 , 1 1 .1 «-» «m/I i /\ «a
yö
1 T
17,
1 Q Ort
rrziuisia« , iie\ euciiursi, ais v^nrisi.
„ Verpachtung . . . .
. 17
4, ü
i
Przibislaw, Hevellerfürst, Münzen . .
4, 5
\T \*ima i m fki i rti*<i 1 «i 11 1 1 1 ■ & 1 1 1*
Q7
Quellen zur Oeschicute des Klosters
40
Imhausen h. Königsberg >. M. . .
. 112
144
122
03
"Wiliialr rim
14«
"Rhin
1°5
112
OKaI nlln AIflr»Tr»
in
Reformation und Kloster Heiligen Grabe
54
Oft
Rohde, Xotarius in Königsberg . . .
137
lirAii iliA Mi*uiiaaitn l\Ai
ko
100
■ ■•♦/"kl £»•-■ i • r m' \+ 1 #"1 • il>il vi • f VA
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96
1 r.o
112
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1 1\ 1 1
Wy Iii
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99
Sachsisches Haus 109. 123. 125
1 £!
77
Otto, Bischof von Brandenburg . .
. 21
Salzwedel, Münzstätte . . . . 11, 13, 14
18
153
120
l'enck, Dr. Albrecht
. VII
10
17, 18
Schild, Erich, Divisionspfarrer. . . .
85
15
122
Pfahlbau
. 123
112
Pfennig (vergl. Brakteat, Denar, Übol,
Schöning, v., Generallieutnant ....
89
Si-herf).
122
. 17
99
. 10
99
„ alljährliche Uuiwechselung
. 10
23
07
„ AVertverringerung . . . 15,
17, 20
127
Pferdekopf 120, 122
Schwärt z, Geheimer Regicrungsrat . .
143
. 144
13
Plotho, Edle Herren von, Münzge-
118
. 22
98
pio
109
Pontanus, Oberpfarrer in Königsberg 128
Seelenliste der Berliner Garnison . .
100
Präbenden des Klosters Heiligen
123
65, 68
Siegel, Mittel zur Mtinzbestimmung .
11
Prägestätte, vergl. Münzstätte.
Silberbarren als Geld . . *
14
. 40
Soldatenkinder, Erziehung der ...
95
Priorinnen zu Heiligen Grabe . . .
53
Soldin, Münzstätte
17
■ 110
Sophie, Gemahlin Albrechts des Bären
8
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Register.
163
Seite
Stiftung des Klosters zum
Heiligen
Stiftshauptmann daselbst 55
62, 71, 74, 79
Stiftskapitel „
82
Stiftskreuz „
63
Stiftsorden „
Stiftsprobst „
. . . . 70, 84
Stempelschneidekunst im Mittelalter . 10
»»
»
. ... 17, 18
Münzstätte . . .
. . 11, 13. 14
Stepenitz. Kloster ....
. . 41, 48, 68
Stepban v. Heideburg, Bisebof v. Culin 1
123
Strehle, Herren v.. Münzgerecbtigkeit 23, 24
Tafelbilder in Zielcnzig . .
14
81
Thalhausen, Feldprediger .
89
Thütigkeit, kriegeriscbe der
Branden-
90
98
Tollen, Prof. d. Tbeologie .
99
125
Seite
Untergang der Welt 128
Urkunde des Klosters zum Heiligen
Grabe 38
Voltaire 89
Vorgescbicbte des Klosters zum Hei-
ligen Grabe 36
Verfassung des Stiftes 68, 78
Verwaltung des Stiftes .... 52, 78, 80
Walin 120, 123
Wansdorf, Osthavelland 109
Wappen als Mittel zur Mönzbestim
nmng 11, 16
Waräger 124
Wechselbank 16
Wenzel von Böhmen, Markgraf ... lJO
Wilhelm 1 103
Wilsnack, Kirche 41, 75
Wittscheibe, Oberpfarrer zu Königs-
berg 133
Wode 150
Wubiser-Gross, Kr. Königsberg N. M. 112
Wulfshagen 120
York von Wartenburg 100
Zückerick a. Oder 111, 112
Zehden a. Oder 107
Zehdenick, Quelle zu 41
Zentral- Kominission VII
Zichow, Uckermark 112
Zielenzig, Flügelaltar 25
Zinna 112
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ARCHIV
DER
„BRANDENBURGIA"
GESELLSCHAFT FÜR HEIMATKUNDE
DER
PROVINZ BRANDENBURG
ZU
BERLI1V.
Unter Mitwirkung des türkischen Provinzial-Museunis
herausgegeben
Gesellschafta - Vorstände.
2. Band.
Berlin, 1896.
Druck und Verlag von P. Stankiewicz' Buchdruckerei,
Bernburgerstrasse 14.
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Joh. Leonh. Frisch's
Briefwechsel
mit
G. "W. Leibniz.
Ein Beitrag itur Geschichte des geistigen Lebens in Berlin
zu Anfang 18. Jahrhunderts-
Mit Einleitung und Anmerkungen
herausgegeben
von
Dr. L. H. Fischer.
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Dem Andenken
des grossen Philosophen, Staatsmannes und Patrioten
Gottfried Wilhelm Leibniz
zu der 250. Wiederkehr seines Geburtstages
am 1. Juli 1896.
•
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Übersicht.
Seite
A. Einleitung I
ß. Der Briefwechsel XXXII
0. Anmerkungen zum Briefwechsel 49
D. Namen- und Sachregister 74
■
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Einleitung.
Die im Folgenden veröffentlichten Briefe befinden sich auf der
Königlichen Bibliothek zu Hannover in der grossen Sammlung des
Leibnizschen Briefwechsels (Vgl. Eduard Bodemann, Der Briefwechsel des
Gottfried Wilhelm Leibniz in der Königlichen öffentlichen Bibliothek zu
Hannover. Hannover 1889.) und sind dem Herausgeber durch das freund-
liche Entgegenkommen des Herrn Oberbibliothekars Dr. Bodemann zu
Hannover in einer sorgfaltigen Abschrift zugänglich gemacht.
Da 37 Briefen Frisch's an Leibniz nur 3 Briefe Leibniz' an Frisch
und ein von Leibniz an den Grafen von Wartenberg gerichteter und an
Frisch zur Übergabe gesandter gegenüberstehen, so ist diese Briefsamm-
lung in erster Linie für die Beurteilung des Berliner Schulmannes
Johann Leonhard Frisch und für die Kenntnis des geistigen Lebens in Berlin
zu Anfang des 18. Jahrhunderts von Wichtigkeit. Gleichwohl darf sie
hoffen, auch von den Leibniz-Forschern nicht übersehen zu werden.
Sind doch die Mitteilungen in den Schreiben Frisch's meist die Aut-
worten auf die uns nicht erhaltenen Briefe Leibniz', so dass sich aus
jenen teilweise der Inhalt der Leibnizschen Briefe wiederherstellen lässt.
Und wenn auch der vorliegende Briefwechsel nicht wesentlich neue Züge
zu dem Bilde des grossen Gelehrten und Politikers, dessen zweihundert-
undfünfzigjährigen Geburtstag wir in diesem Jahre(1896) feiern, hinzuzufügen
vermag, so giebt er doch dankenswerte Erläuterungen zu den mannig-
fachen Anregungen, welche das wissenschaftliche Leben Berlins Leibniz
zu verdanken hat. Für das Verständnis der Briefe ist die Kenntnis von
Frischs*) Leben und Wirken und eine Darstellung von Leibniz' Bemüh-
ungen um die Gründung, Erhaltung und Hebung der Societät der Wissen-
schaften zu Berlin nicht zu entbehren.
*) Eine Biographie Frischs nach den Quellen habe ich bereits als Einleitung
zu meiner Ausgabe von Frischs Schulspie] gegeben. (Heft 26 der Schriften des Vereins
für die Geschichte Berlins. Berlin 1890.) Dort ist besonders auf die äussere Lebens-
führung des Mannes eingegangen, hier gilt es, sein durch Leibniz' Ideen beeinflusstes
Wirken darzustellen.
1
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II
Kinleitung.
1. J. L. Frischs Lehr- und Wanderjahre.
Johann Leonhard Frisch wurde am 19. März 1666 zn Sulzbach bei
Nürnberg als der Sohn des kaiserlichen Notars Johann Leonhard Frisch
und seiner Gemahlin Sabina geb. Fecher (alias Fechner) geboren. Den
Überlieferungen der Familie entsprechend wurde der Knabe, der früh-
zeitig gute Begabung erkennen Hess, für den gelehrten Beruf bestimmt;
er widmete sich, nachdem er in Nürnberg das Gymnasium besucht, wie
sein Urgrossvater uud Grossvater väterlicherseits dem Studium der
Theologie. In den Jahren 1683—1690 lag er in Altorf, Jena und Strass-
burg diesem Studium ob. Da seine Eltern mit irdischen Schätzen nicht
gesegnet waren, rnusste er sich mühsam genug durchschlagen. Die
Ausgaben für seine Studien in Altorf und Jena bestritt er zum Teil von
den Ersparnissen, die er während seiner Gymnasialzeit als Famulus
eines Predigers und als Kurrendeschüler gemacht hatte, und in Stras-
burg erwarb er sich durch Privatunterricht seinen Lebensunterhalt.
Schon in diesen Jugendjahren trat bei ihm das vielseitige Interesse, das
ihn später wahrscheinlich' mit Leibniz in Verbindung brachte, deutlich
hervor. Auf seinen Wanderungen von einer Hochschule zur anderen
und von Strassburg nach Frankreich und durch die Schweiz besuchte
er, woJbin er kam, Bibliotheken und Kunstsammlungen, besichtigte
Fabriken, Maschinen, Zeughäuser und Werkstätten berühmter Meister
und bemühte sich um die Bekanntschaft hervorragender Gelehrter, deren
Äusserungen er aufzeichnete. Im Jahre 1690 oder öl bestand er in
Nürnberg die Prüfung als Kandidat der Theologie und sollte nach seiner
mit Beifall aufgenommenen Probepredigt Adjunkt eines Predigers werden,
verzichtete aber freiwillig, als er sah, dass durch seine Wahl ältere
Männer hintenangesetzt und gekrankt werden würden, und zog wieder
in die Fremde. Zu Neusol in Ungarn linden wir ihn als Adjunkt eines
Pastors Breithoru, wie er den bedrängten Evangelischen in einer Scheune
wegen ihres rohen, unchristlichen Wesens Busse predigt und als „Apostel
Herrn Magister Frankens** verhöhnt wird. In der Türkei, durch die er
darauf wandert, wird er von einem kaiserlichen Kriegskorps, «las gegen
die; Türken kämpft, als Dolmetscher angenommen und in Dragoneruni-
form gesteckt. Über Ober- Italien kehrt er 1693 nach Deutschland
zurück mit dem Vorsatz, „nechst dem studio theologico sich auch auf
Jura und oeconomie zu legen". Er tritt in den Dienst eines Barons
von Bodenhausen und ist zunächst auf dessen in der Nähe Nürnlwrgs
gelegenem Gute Oberdachsbach, dann auf den Besitzungen desselben
Mannes am Eichsfeld als Landwirt und Hofverwalter praktisch thütig.
In gleicher Eigenschaft wurde er 1696 von einem Herrn von Hartefels
in Blankenburg a. H. in Dienst genommen, und im nächsten Jahre wurde
er durch die Vermittlung eben dieses Mannes Erzieher des jungen Grafen
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Einleitung.
ITT
George Albrecht von Erbach. Schon nach einem .lahre treibt ihn die
Wanderlust wieder von dannen. Hicsmal sind es wesentlich theologische
Interessen, die sein Wanderziel bestimmen. In Erbach hatte er zum
ersten Mal wieder gepredigt und jetzt wollte er, wie sein Biograph
Wippel erzählt, „die Gemüts-Beschaffenheit etlicher dainahligen Fanati-
corum, Chiliasten und ausgeschriebenen Propheten gründlich prüfen".
Hatte er vor fünf Jahren den praktischen Beruf des Landwirts ergriffen,
weil religiöse Bedenken und Zweifel ihn bestürmten, und war diese
Krisis nun vorüber? Über Mainz und Köln begab er sich nach Amster-
dam und lernte hier Gichtel, den Stifter der asketischen Sekte der
Engelbrüder, und den Seh wärmer Quirin Kuhlmann kennen, besuchte
hier auch den Gottesdienst der Quäker. Als ihm die ßaarmittel völlig
ausgegangen waren, verdingte er sich als Arbeiter zum Einrammen von
Pfählen und wurde von einem Vorübergehenden, dem er bei dieser
Thätigkeit auffiel, mit einigen Dukaten Reisegeld unterstützt. Er begab
sich nun nach den beiden Akademien zu Franecker und Groningen,
ging nach Ostfrieslaud und von da zur See nach Hamburg. Von hier
wandte er sich nach Berlin und fand im Hause eines Landsmannes, des
Predigers au der Nikolaikiriche Paul Astmann, freundliche Aufnahme.
1698 wurde ihm das damals erledigte Subrektorat am Gymnasium zum
Grauen Kloster übertragen, und der uuruhige Wanderer dadurch und
durch seine ein Jahr später erfolgte Vermählung mit Sophie Elisabeth
Darnmann, der Tochter des Stadtpredigers Dammann zu Blankenburg a. IL,
für die Zeit seines Lebens in Berlin sesshaft gemacht.
2. Leibniz1 Wirken für die Gründung, Hebung und Erhaltung
der Societät der Wissenschaften .zu Berlin.
Um diese Zeit war auch Leibuiz, geboren den 1. Juli 1646, seit
1676 in Hannover, in nähere Beziehung zu Berlin getreten. Seine
Schülerin, die Prinzessin Sophie Charlotte von Hannover, die ebenbürtige
Tochter ihrer hochbegabten Mutter, der Kurfürstin Sophie, hatte sich im
Jahre 1684 mit «lern brandenburgischen Kurprinzen Friedrich vermählt.
Trotz des hohen Ansehens, in dem Leibniz bei der Kurfürstin Sophie
stand, und der Wertschätzung, deren er sich ohne Zweifel schon damals
seitens seiner fürstlichen Schülerin erfreute, hatte diese .Vermählung
Leibniz zunächst nicht in nähere Beziehung zum Berliner Hofe gebracht.
Zwar wechselte er in der Folgezeit Briefe mit angesehenen Persönlich-
keiten aus der Umgebung des Königs (C'uneau und Dunkelmann), kam
sogar als Nachfolger des Hof historiographen Pufendorf eine Zeit lang
in Frage, aber erst aus dem Jahre lülJ7, demselben Jahre, in welchem
der allmächtige Dankclmann gestürzt wurde, liegen uns Zeugnisse*) dafür
*) Vergl. Leibniz Briefwechsel mit Sophie Charlotte in Leibniz Werken
hurausgeg. v. Onno Klopp. 1. Reihe, Bd. fl, S. 4« ff. u. Bd. 10.
1*
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IV
Einleitung.
vor, dass Leibniz die Kurfürstin Sophie Charlotte für die Verwirklichung
seiner umfassenden Pläne in Berlin zu gewinnen trachtete.
Leibniz' philosophisches System gipfelt in der Idee der Weltharmonie,
d. h. in dem Gedanken, dass eine glückliche Notwendigkeit alles Seiende
beherrsche und das Entgegengesetzte selbst zu gemeinsamem Fortschritt
zusammenführe. Diese Harmonie ausfindig zu machen oder, wo sie ge-
hemmt und gestört war, nach Möglichkeit herzustellen, war sein be-
ständiges Streben. Daher war sein Lieblingsplan die Reunion der seit
der Reformation getrennten Schwesterkirchen, der katholischen und
evangelischen, und als diese Bemühungen sich zerschlugen, suchte er
für die Vereinigung des reformierten und lutherischen Bekenntnisses zu
wirken. Hannover und Brandenburg schienen ihm besonders geeignet,
diese Vereinigung anzubahnen und von hier aus über die ganze evan-
gelische Kirche Deutschlands zu verbreiten. Das reformierte Bekenntnis,
das am Berliner Hofe herrschte, war an sich schon duldsam und auf-
geklärt; dazu kam, dass der grosse Kurfürst trotz seiner eifernden
lutherischen Unterthanen die persönliche Gewissensfreiheit an seinem
Hofe und in seinem Lande hatte tliätig üben lassen; und dass dieser
Geist der Duldung auch nach seinem Tode sich erhalten hatte. Auch
in Hannover lagen die Verhältnisse für diese Unionsbestrebungen günstig:
Ernst August war lutherisch, aber freisinnig und mild auch gegen die
anderen Bekenntnisse, seine Gemahlin dagegen war reformiert, so dass
in dieser Ehe die Union gleichsam vorgebildet war. Diese Unions-
bestrebungen, die, wie bekannt, scheiterten, um spater durch ein ein-
faches königliches Edikt verwirklicht zu werden, nahmen 1697 ihren
Anfang, indem Leibniz an den brandenburgischen Kabinetssekretär
Cuneau eine Schrift „Kurze Vorstellung der Einigkeit uud des Unter-
schiedes bei den Protestierenden" übersandte. Ln demselben Jahre ge-
lang es Leibniz, auch für seine harmonistischen Bemühungen auf wissen-
schaftlichem Gebiete in Berlin Boden zu gewinnen.
In der Wissenschaft wollte er nicht nur widerstrebende Meinungen
ausgleichen, sondern auch die divergierenden Kräfte, die auf dem
geistigen Kampfplatze hervortraten, zum gemeinsamen Wirken verbinden.
Da die Verschiedenheit der Sprachen der buchten Verständigung hinder-
lich ist, trug er sich jahrelang mit dem Gedanken an eine Pasigraphie,
eine Weltschrift, die statt der Worte die Dinge und ihre charakteristischen
Beziehungen mitteilen sollte. In demselben Sinne war er auf Gründung
neuer Bibliotheken und Verbesserung vorhandener bedacht, wirkte
für die Verbesserung des Erziehungswesens und die Errichtung von
Fürstenschulen und Ritterakademieen und verwandte sich für Gründung
von Gelehrten -Akaderaieeu, deren er ein ganzes Netz über die Haupt-
städte Europas verbreitet zu sehen wünschte. Diese Akademieen dachte
er sich nicht als blosse Gelehrtenkonferenzen, sondern als wissenschaft-
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Einleitung. V
liehe Gemeinwesen, in denen alle Kräfte zu gemeinsamer Arbeit organisiert
sind. Dass Leibniz den Gedanken einer solchen Akademie gegen Ende
des Jahrhunderts gerade in Brandenburg zu verwirklichen suchte, hatte
aber seinen Grund nicht bloss in dem Umstände, dass er auf die Hülfe
seiner fürstlichen Schülerin Sophie Charlotte dabei hoffte.
Er hatte sich in früheren Zeiten keineswegs freundlich über
Brandenburg geäussert*), weil er in ihm nur einen gewöhnlichen, dazu
nach Ungebührlichem strebenden und daher für die anderen un-
angenehmen Kleinstaat sah. Wenn er als guter Patriot durch die Ver-
wirklichung seiner harmonistischen Ideen sein Vaterland von den Leiden
des vernichtenden Krieges, von den Wunden, welche allerlei schlimme
Leidenschaften ihm geschlagen, zu heilen gedachte und Deutschland aus
seiner tötlichen Ermattung zu dem Range eines vollbürtigen Gliedes
unter den glücklicheren Völkern emporzuheben hoffte, so hatten sich in
erster Linie seine Blicke hoffend nach dem führenden Staate, nach
Österreich, gewandt. Er erkannte aber, dass er gerade auf den beiden
Gebieten, auf denen er das Vaterland zu heben suchte, in Kirche und
Schule, bei Österreich keine Förderung finden würde, und je genauer
er die Politik Brandenburgs und die geistigen Strömungen am Berliner
Hofe zu beobachten Gelegenheit und Veranlassung hatte, um so mehr
befestigte sich in ihm die Meinung, dass dem Ringen und Streben dieses
kleinen protestantischen Staates doch etwas mehr zugrunde liege, als
blosse Überhebimg und Unart , und dass von ihm zunächst in geistiger
Beziehung für Deutschland doch etwas Tüchtiges zu erwarten sei. Daher
bemühte er sich, 'an diesem Hofe festen Fuss zu fassen, und durch die
Hilfe seiner Gönnerin, der Kurfürstin Sophie Charlotte, hatten diese
Bestrebungen schliesslich Erfolg..
Im Herbste 1097 äusserte sie bei der Tafel ihr Missfallen darüber,
dass in Berlin, dem Zusammenfluss so vieler Gelehrter, kein eigener
Kalender ausgegeben werde, noch ein Astronom und ein Observatorium
vorhanden sei. Der Hofprediger Jablonski berichtete diese Äusserung
an den Minister von Dankelmann, der sogleich auf diese Anregung ein-
ging und sein Bestes zu tliun versprach. Auch Leibniz, der durch den
Kabinetssekretär Cuneau von der Angelegenheit hörte, wandte ihr seine
lebhafteste Teilnahme zu**). Schon in seinem Antwortschreiben an
Cuneau kommt der Plan zum Ausdruck, an den kleinen Anfang der
Sternwarte die ganz«' Akademiegründling zu knüpfen, die eine weithin-
strahleude wissenschaftliche Leuchte werden sollte***). Der Sturz
*) Vgl. Ldmund l'fleiderer. (iottfrie«! Wilhelm Leibniz als Patriot, Staatsmann
und BUdungstritger (Leipzig ls70), S. 1-17 f.
**) Vgl. «einen Brief an .lie Kmtürstin bei Klo^. I. IM. s, S. 47 11
■■■*■■) Vgl. Pfleiderer a. a. O., S (>?<;.
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VI Einleitung.
Dankelmanns verzögerte die Ausführung des Planes: als aber auf dem
Reichstage zu Regensburg die Verhandinngen über die Einführung des
verbesserten gregorianischen Kalenders in den protestantischen Ländern
aufgenommen und glücklich durchgeführt wurden, gab dies in Berlin
Veranlassung, auf die Errichtung eines Observatoriums zurückzukommen,
und für Leibniz die Gelegenheit, in Verbindung mit diesem Projekt die
Gründung der Akademie zu betreiben. In dem Briefwechsel mit dein Hof-
prediger D. E. Jablonski*), der um diese Zeit besonders lebhaft war, erwähnt
Leibniz des Societätsplanes zuerst am 12. März 1700. Er hebt hervor, dass
das Observatorium und das Kalender wesen nicht das Einzige und Wichtigste
bleiben dürften, „sondern als ein schön accessorium zu eonsideriren"
seien, und entwickelt über die Organisation folgenden Plan. rl)ie
Societät unter churfürstlicher Protektion (denn so wollte ich's nach
xlenj exemplo Regiae et Leopoldinae lieber nennen als Academie) sollte
aus einigen Mein bris ordinariis nebst einem Directore und vielen Hono-
rariis bestehen, welche nicht nur die Astronomie, sondern totam
Mattlieseos et Physices latitudinem zu dem hauptsächlichen Objecto
hätten, sonderlich aber auf gemeinnützige Applicationes bedacht wären.
Dazu gehören cura Astronomiae, Mechanicae, Arehitectonieae, Chymiae,
Botanicae et Anatoinicae, also neben dem Observatorio auch ein Labora-
torium samt allerhand Kunstwerken ; zu geschweigen des übrigen physici
apparatus, daran denn bei eines grossen Potcutaten Hof nicht wohl er-
mangeln kann." Sei auch alles nicht gleich ausführbar, so müsse man
es doch im Entwurf so fassen, dass das Ziel der Grösse und dem Ruhm
des Stifters entspreche, und könne sich mit der stufenweisen Ausführung
begnügen. Mit dem Observatorium und dem Kalenderwesen müsse aber
jetzt begonnen werden, weil Gefahr im Verzuge. Jablonski fasste diese
Gedanken mit Eifer auf und entwarf auf (Jrund der Leibniz'sehen Aus-
einandersetzung für den Kurfürsten einen ausführlichen Plan, dem eine kurze
Ubersicht zur leichteren Orientierung beigelegt wurde. Nur Botanik und
Anatomie hatte er in dem Plan nicht berücksichtigt, „so aber daher
geschehen, weil allhier seit einiger Zeit ein Collegium medicum**) etablirt
worden, so zwar noch nichts publice prästiret, jedoch hat man, um an-
fänglich Collision zu vermeiden, solche Dinge, darauf sie ein besonderes
Recht sich zuschreiben, vorbeigehen wollen. Mit der Zeit wir« 1 es sich
von Selbsten geben, weil nicht nur die scientiae nmnexae, sondern auch
wir die besten Leute aus solchem < 'ollegio an uns ziehen können."
•) .F. E. Kuppen* Sammlung einiger vertrauten Briefe, welche zwischen
G. W. von Leibnix u. D. K. JaMonski gewechselt worden find. Leipzig 1745.
**) Das Collegium Sanitati» oder, wie <-s gewöhnlich genannt wird, Medicum war
am ]•_' November 1 <;•<;. gegründet worden. Mylius C. »\ March. V. 4 No. 10. Bei
läge 1 Sp. 1 1 f.
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Einleite.
Vll
Während einer Reise des Kurfürsten nach Oranienburg am 19. März
1700 legte ihm der Requetenmeister (maitre des requöts) M: von Wedel
beide Schriftstücke vor und erstattete ihm Bericht über die Angelegenheit.
Der Kurfürst genehmigte den Plan in allen seinen Stücken und er-
klärte, „die Societät gnädigst fundiren und protegiren zu wollen," fügte
aber hinzu, dass mnn auf die Kultur der deutschen Sprache bei dieser
Fundation gedenken möchte, gleichwie in Frankreich eine eigene Akademie
hierzu gestiftet sei. Zugleich wurde Leibniz auf Befehl des Kurfürsten
eingeladen, nach Berlin zu kommen und die Ausführung seines Planes
persönlich zu fördern.*) Für das Observatorium wurden Räume über
dem neuen Marstall an der Ecke der Letzten (Dorotheen-) und Char-
lotten-Strasse zum Neubau angewiesen und der Baumeister Grünberg mit
demselben beauftragt.**) Mancherlei Umstände verzögerten die Voll-
endung des Baues bis 1711.
Es kann nun nicht die Aufgabe dieser Einleitung sein, eine genaue
Geschichte der Berliner Akademie der Wissenschaften bis zii Leibniz'
Tode zu geben: denn abgesehen davon, dass zur vollkommenen Lösung
dieser Aufgabe u. a. der noch nicht veröffentlichte Briefwechsel Leibniz'
mit Cuneau, .Job. Theod. .Tubionski, Ancillon***) u. a. benutzt werden
müsste, ist es für unsere Zwecke nur nötig, diejenigen Thateachen her-
vorzuheben, welche zum Verständnis des nachfolgenden Briefwechsels
beizutragen geeignet sind. Unerlässlick^ scheint ein Eingehen auf die
beulen Denkschriften, welche Leibniz über die Organisation der Societät
verfasst hat, weil durch sie manche der im nachfolgenden Briefwechsel
enthaltenen Mitteilungen erst in das recht»' Licht gesetzt werden.
Mit welchem Eifer sich Leibniz der Angelegenheit annahm, geht auch
daraus hervor, dass er auf das Schreiben .lablonski's vom 23. März 1700, in
welchem dieser ihm von der günstigen Aufnahme des Akademieplanes
durch den Kurfürsten Nachricht gegeben hatte, umgehend am 26. März
antwortetet) und .lablonski's Denkschrift Punkt für Punkt durchging,
auch u. a. Katschläge über den Bau der Sternwarte, die Beschaffenheit
der astronomischen Instrumente und Anschaffung einer Bibliothek gab.
Ausserdem aber sandte er mit diesem Brief eine für den Kurfürsten
*) Das* Leibniz »'ine derartige Einladung annehmen konnte, Latte Sophie Char-
lotte in Hannover erwirkt Auch ist es nieht zweifelhaft, dass ihr KinHuss zu dem
schnellen Entschluss ihres Gemahls beigetragen hat; dass sie aber auif Leibniz' An-
stiften und in Gemeinschaft mit ihrer Mutter die Gründung der Societät vorzüglich
aus dem Gesichtspunkt betrieben und duichgesetzt habe, um durch Leibniz' Vermitt-
lung politische Zwecke zu verfolgen, scheint mir durch (>. Klopp'8 Ausführungen
<a. a. O. Bd. 10 S. XIII u S. XXIX it.) nicht erwiesen. V^l ebendort die Briefe Leibniz'
nn die Kurfürstin Sophie im Jahre 17(H> IM. S S l.M tf.
**\ Vgl Kapp a ». «i. S lf,5 und über den Fortgang des Baues 8. 1*5, 236. 288.
*'•) Vgl. Bodemann a. a. <>. zu diesen Namen.
S. Kapp a. a. O. S. I."i7 fl.
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VIII
Einleitung.
bestimmt« Denkschrift über die Errichtung der Societät und bald darauf
eine Auseinandersetzung über die Pflege der deutschen Sprache durch
die Societät.*) Der Inhalt jener Denkschrift**) ist im wesentlichen
folgender: »Die churfürstliche Societät müsste nicht auf blosse Curiosität
oder Wissbegierde und unfruchtbare Experimenta gerichtet sein oder bei
der blossen Erfindung nützlicher Dinge ohne Application und Anbringung
beruhen, wie etwa zu Paris, London und Florenz geschehen, daher eine
Verspottung erfolget und endlich die Hände abgezogen worden; sondern
man müsste gleich anfangs das Werk samt der Wissenschaft auf den
Nutzen richten und auf solche specimina denken, davon der hohe Ur-
heber Ehre und das gemeine Wesen ein mehrers zu erwarten Ursach
habe. Es wäre demnach der Zweck theoriam cum praxi zu vereinigen
und nicht allein die Künste und die Wissenschaften, sondern auch Land
und Leute, Feldbau, Manufacturen und Commerden und mit einem
Worte die Nahrungsmittel zu verbessern, überdies auch solche Ent-
deckungen zu thun, dadurch die überschwängliche Ehre Gottes mehr
ausgebreitet und dessen Wunder besser als bisher erkannt, mithin die
christliche Religion, auch gute Polizeiordnung und Sitten, theils bei heid-
nischen, theils noch rohen und barbarischen Völkern gepflanzet oder mehr
ausgebreitet würden. Wobei denn wohl zu betrachten, dass Churfürst-
liche Durchlaucht wegen Lagers oder Situation derer Lande und anderen
Conjuncturen dazu solche G^egenheit haben, dergleichen weder der
Kaiser noch König in Frankrei^ bei den ihrigen finden, und nicht allein
wegen guter Verständnis mit Moskau nach China , Indien und Persien
und in die grosse Tartarei trefl'liche Handlung anrichten uud neben dem
evangelischen Wesen ihren Ländern grosse Vortheile schaffen, sondern
auch in dem ihrigen wichtige, fast uukostliche Entdeckungen thun lassen
können, damit dem menschlichen Geschlecht überaus gedient sein würde."
Die Denkschrift beschäftigt sich sodann mit den Mitgliedern der Societät
und betont besonders die ausserordentlichen, deren Gewinnung und Er-
haltung keine besonderen Kosten verursachen würden. Als solche nennt
er „gelehrte Leute, Ingenieurs und Künstler, die von Churfürstlicher
Durchlaucht ohnedem besoldet werden" ; sie sollen „sowohl gegenwärtig,
wie sie bei Hof, als durch Correspondenz, wenn sie abwesend, con-
curriren, und nicht allein auf Begehren mit Nachrichten an die Hand
gehen, sondern auch von selbsten ihre observationes und Gedanken dar-
geben." „Ferner könnten die Churfürstlichen Gesandten, envoyes, resi-
denten, agenten und factoren, angewiesen werden, nicht allein, was ihnen
etwa von curiösen und nützlichen Dingen vorkommt, der Societät mit-
*) Vgl. Kapp a. a. O. S. 182. Vermutlich 1,.' „Unvorgreifüche Gedauken, be-
treffend die Ausübung und Verbesserung der Deutschen Sprache."
**) Abgedruckt bei Kapp a. a. 0. S. lOKff., Guhrauer, Leibniz" deutsche Schriften
II, 267 ff. und bei Klopp a. a. (>. Bd. 10 S. 2<»ö ff.
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Einleitung.
IX
zutheilen, sondern auch die von ihr verlangenden Erkundigungen einzu-
ziehen." Endlich solle man sich auch mit den tauglichsten unter den
Personen, welche an Universitäten, Akademien, Gymnasien und anderen
Schulen angestellt seien, ins Vernehmen setzen, „damit wackere Leute
darunter, die etwas Gutes zu thun Lust haben, dazu aufgemuntert, ihnen
die objecta, occasiones und allerhand dienliche Nachrichtungen zu ihrem
Zwecks suppeditiret, und also nichts zur Aufnahme der Wissenschaften
und Studien verabsäumt werde.** Zur Unterhaltung der ordentlichen
Mitglieder seien aber Einnahmen nötig, und damit die kurfürstlichen
Einkünfte möglichst wenig in Anspruch genommen würden, sei auf Er-
öffnung von Einnahmequellen für die Societät zu denken. In erster
Linie schlägt er vor, • diejenigen mit einer einmaligen Abgabe zu be-
lasten, welche aus kurfürstlichen Mitteln eine Gnadenerweisung erhalten.
Sodann empfiehlt er die Errichtung einer Feuerkasse: „Es sind auch ge-
wisse onera so bewandt, dass sie nicht beschwerlich, sondern angenehm,
wenn nämlich der Nutzen, so dadurch erhalten wird, ungleich grösser
als die Kosten, auf welchen Fall die Last nicht nur erträglich, sondern
auch erspriesslich und heilsam. Zum Exempel eines der nützlichsten
Dinge zum Besten von Land und Leuten wäre eine gute Anstalt gegen
Feuerschäden. Und weilen nun mehr vortreffliche Mittel dagegen auf-
gefunden, welche in machinis und mathematischen Grund beruhen, so
könnten alle grosse und kleine Städte in allen churfürstlichen Landen
damit aufs vortheilhafteste versehen, und ein Theil des fundi Societatis
zuvörderst darin gesuchet werden, indem alle Bürger nach Wert ihrer
Häuser ein Leidliches jährlich zu Anschaffung und Erhaltung der Brand-
spritzen und dazu gehöriger Mittel zu contribuiren hätten, solches auch,
als zu ihrer Wohlfahrt gereichend von Herzen gern thun würden, welches
denn also zu fassen, dass ein merklicher Übersehuss bleibe, welcher zu
nichts andern als ad cassam societatis scientiarum anzuwenden, damit
sie besser in Stand sei, mehr dergleichen landerspriessliche Dinge ab-
zufinden oder zu veranstalten. Daher auch die ganze Direktion dieses
Werkes nebenst denen dazu gehörigen Personen von ihr zu dependireti
hätte.«
Ebenso sei auf eine Anstalt gegen Wasserschäden zu denken, von
deren Einnahmen später ein Teil zum Besten der Societät verwendet
werden könnte. „Nun ist gewiss, dass an vielen Orten sich die Wasser
ergiessen und, wenn sie sich ergossen, lange Zeit stehen bleiben, da
entweder das allzu grosse Ergiessen durch diversiones zu verhüten oder
zu vermindern gewesen wäre oder das einmal ergossene Wasser förder-
lichst abgezogen werden könnte, so bloss aus Mangel Nachdenkens und
Erkenntnis unterlassen wird. Zu geschweigen der Seen und Moräste,
so allezeit stehen bleiben, und theils auszutrocknen und zu besserem
Nutz zu bringen."
X
-
Einleitung.
Entsprechend der kurfürstlichen Einladung kam Leibniz nun selbst
nach Berlin, wahrscheinlich am 21. Mai 1700. Vom 25. Mai 1700 ist
eine zweite Denkschrift*) datiert, die sich inhaltlich im wesentlichen mit
der ersten deckt und nur einige Punkte besonders hervorhebt. So be-
tont sie, dass die geplante Societät, wenn sie die realen Wissenschaften
pflege, alle ähnlichen Institute übertreffen und dem Gründer die Be-
wunderung der Mitwelt und unsterbliches Lob bei der Nachwelt ein-
bringen würde. Ferner wird der bereits in der ersten Denkschrift an-
gedeutete Gedanke von der Verbreitung des Christentums und christ-
licher Kultur durch die Societät weiter ausgeführt: es würde die Societät
„zur Ausbreitung der Ehre des grossen Gottes und Fortpflanzung des
reinen Evangelii gereichen, indem dadurch den Völkern, so noch im
Finstern sitzen, das wahre Licht mit angezündet werde, dieweil die
Wissenschaften und der irdische Himmel bequem befunden worden, die
verirreten Menschen gleich wie der Stern die morgenländischen Weisen,
zu dem, so recht himmlisch und göttlich ist, zu führen. Wozu nun-
mehr vermittelst sonderbarer Schickung der Providenz das so ungemein
gute persönliche Vernehmen mit dem Czar in dio grosse Tartarei und
das herrliche China ein weites Thor öffnet." Endlich aber giebt diese
Denkschrift eine Übersicht der Wissenschaften, welche die Societät zu
pflegen haben würde. ..Reale Wissenschaften sind mathesis und physica;
bei beiden sind vier Hauptstüeke. Bei mathesi diese: geometria, darunter
man inathesin generalem oder analysin begreifet, so den Anderen allen
das Licht anzündet: astronomia, worunter auch in der That geographia
und chronologia sowohl als optica, auf gewisse Maasse beschlossen,
dazu ein Observatorium mit instrumentis gehöret: ferner architectonica
(welche eivilem, militarem et nauticam architeetnram zusammenfasset,
tum picturam statuariam und andere artes ornamentorum als subordinatas
zu sich ziehet): und sonderlich mechanica, davon die Mühl- auch Kunst-
und Handwerke, so Bewegung erfordern, samt den Manufacturen regiert
werden, und sind zu der architectonica sowohl als mechanica Risse,
Modelle und Werkzeuge nöthig. Physica bestehet aus vier T heilen, näm-
lich chymia und den drei Reichen. Chymia ist die rechte physica gene-
ralis practica, so allen drei Reichen gemein, dadurch das Innerste der
Körper zu erfrischen, und wird ein Laboratorium dazu erfordert. Das
regnum ininerale hat zwar hauptsächlich in sich die Berg- und Hütten-
werke, auch mctalla, «loch sind auch Salz- und Salpeter- und andere
Siedereien, Stein- und Kohlenbrüche, Glasarbeiten aller Art und selbst
«las vortreffliche Regal des Agtsteins (Bernsteins i — so ( 'liurfiirstliche Durch-
laucht vor anderen Potentaten haben - dahin zu rechnen. Bei dem
reguo vegetabili ist botanica, daraus die agricultura neben der Gärtnerei
*■ l.eibni* Werke, herausy. v. Onnu Klo|ip, I. IM M.
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Einleitung
XI
und Forstwesen fliesser. — Und das regnum unimale, dessen rechte Er-
kenntnis von der anatomia dargegeben wird, hat Thierzucht, Waidwerk
und viel anders (der hohen Scienz der Medizin zu geschweigen) in sich."
Zunächst hatten die beiden Denkschriften keinen praktischen Erfolg,
denn der Berliner Hof war durch die Festlichkeiten in Anspruch ge-
nommen welche mit ausserordentlicher Pracht und grossem Aufwand
aus Veranlassung der Vermählung des Erbprinzen von Hessen-Kassel
mit Luise Dorothce Sophie, einzigen Tochter aus der ersten Ehe des
Kurfürsten, fast einen Monat lang gefeiert wurden. Auch Leibniz nahm
an ihnen teil und berichtete über sie allerlei Interessantes an die Kur-
fürstin Sophie nach Hannover.*)
Nach Beendigung der Festtage fand er Zeit, sich eingehender mit
der wichtigen Frage nach den Einkünften der Societät zu beschäftigen.
J'ar la socite ne doit rien couster ä l Electeur. Elle se doit faire son
propre fonds, qui ne consistera qu'en certaines concessions qne TElectenr
veut accorder saus qu'il luy en couste que des paroles et par eonsequent
res revenues seront un peu easuels"**) schreibt er unter dem 29. Juni
1700 an die Kurfürstin Sophie nach Hannover. Solcher Konzessionen
hatte er sechs vorgeschlagen, wie aus der Nachschrift eines von ihm an
den Kequetenmeister M. v. Wedel am 15. Juni 1700 gerichteten Briefes***)
hervorgeht: „Die ausser des Kalenderwesens ohnmassgeblich vorge-
schlagene puneta zum fundo societatis waren au der Zahl fünf. 1. Be-
dingte Indulgenz der Reisen pro re Germanica: 2. Feuerspritzen mit
ander Anstalt pro re meehaniea: 3. Cleri et ecclesiarum coneursus
pro missionibus et propaganda per scientias tide: 4. Bücher-* 'ommissariat
nnd Aufsicht dergleichen zu Frankfurt am Main, doch mit gewissem
Aufsatz auf rlie eingehenden Ballen, zum Theil nach dem englischen
frischen Exempel pro re litteraria: ö. Lotterie oder annehmliehe Ver-
losung". Leibniz erörterte die in Aussicht genommenen Einnahmequellen
teils in einer zusammenhängenden Darstellung (Einige Vorschlage pro
fundo Societatis scientiarum), teils in einigen Sonderaufsätzen, von
denen noch die Rede sein wird. Auf das Kalenderprivilegium noch ein-
mal genauer einzugehen, war keine Veranlassung, da bereits am 10. Mai
1700 ein „ Patent f), wodurch auswärtige Kalender verboten werden"
erlassen war. Doch waren die Einkünfte aus diesem Privilegium so
gering, dass Leibniz schon im ersten .fahre auf Verbcsserungen denken
musste und Jablonski eine grössere Mannigfaltigkeit in den zur Ausgabe
gelangenden Kalendern empfahl. ff ) Eine zweite Einnahmequelle sollte
*} Leibniz Werke, herausg. v. Unno Klopp, I. IM. s, SJ. löl ff.
**) Ebenda Bd. S, .S. 101.
***) Ebenda IM 10, S. .510.
-{■) Vgl. Mylius Corpus consiit. March. VI '1 N<>. •_> Sp. No. 14 Sp. U ; No. ss .Sp. 125.
ff) Ciuhrauer, Leibniz' Deuteln- .S-lirifton II, ISSfT.
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XII
Einleitung.
nach Leibniz' Meinung eine Steuer bilden, mit welcher alle Reisen ins
Ausland zu belegen soien. Die Begründung des Vorschlags ist zwar
nicht übel:*) „Weilen nach Churfürstl. Durchlaucht selbst eigenem
gnädigsten Gntlinden es eine teutech gesinnete Societät sein soll, so die
Ehre der teutschen Nation und Sprache sich angelegen sein lasse, so
könnte aus diesem scopo selbst ein Ansehnliches einkommen. Wann
nämlich anstatt der vorigen churfürstlichen Prohibitiv-Edicten gegen
gewisse ausländische Reisen, so als tacite durch den Frieden aufgehoben
geachtet werden wollen, gleichwohl aber nicht ausdrücklich revociret
worden, verordnet würde, dass alle churfürstlichen Vasallen und Unter-
thanen, so durch Reisen ihre Cultur zu suchen . vermeinen, solches nicht
anders als nach vorher erhaltener Special-Indulgenz zu thun befugt sein
sollen, und dass es ihnen nicht anders gnädigst zu erlauben als unter
gewissen Bedingungen, welche dieser teutsch gesinnten Societät zu statten
kommen könnten, damit der dabei waltende, der teutschen Nation so
schädliche Missbrauch einigermassen beschränket, das Böse selbst zum
Guten gekehret und Churfürstliche Durchlaucht zugleich von ihrer Vasallen
und Unterthanen Unternehmen und Fähigkeit zu dero Dienst desto bessern
Bericht erlangen mögen. " Aber der Vorschlag stimmt doch in keiner
Weise zu Leibniz' Grundanschauungen und ist ebenso wie der auf die
Lotterie bezügliche als ein Notbehelf zu betrachten. Die Lotterie wurde
auch, soweit ich habe ermitteln können, nicht bewilligt, dagegen erschien
am 8. Juli 1700 ein „Edikt**), wodurch das Reisen der Jugend in aus-
wärtige Provinzen verboten", zum Teil genau mit den Worten und
Wondungen des Leibniz'schen Entwurfes. Dass es für die Societät nutz-
bringend gewesen wäre, habe ich nirgends gefunden. Leibniz' Vorschläge
über die Feuerspritzen, wie wir sie in der ersten Denkschrift kennen
gelernt haben, werden jetzt ein wenig verändert: die Societät soll die
Spritzen anschaffen, die Leute wegen des Gebrauchs derselben unter-
weisen und dafür Sorge tragen, dass sie in gebührender Bereitschaft ge-
halten und von Zeit zu Zeit geprobt werden. Der Societät sollen von
den Gemeinden die Auslagen erstattet und ausserdem nach Zahl der
Spritzen eine gewisse Summe gezahlt werden. Einen greifbaren Erfolg
hat dieser Vorschlag nicht gehabt. Allerdings teilt Klopp ein vom
25. Juni 1700 datiertes Privilegium für die Societät auf Feuerspritzen
mit,***) und an einer anderen Stellet) wird ausdrücklich hervorgehoben,
dass ein derartiges Privilegium der Societät vom Könige verliehen worden
ist, zugleich aber geklagt, dass die neu gegründete Feuerkasse dasselbe
für die Societät wirkungslos gemacht habe.
) Leibniz' Werke, herausg. v. Onno Klopp I Bd. 10 S. öl l.
*■'") Mylhits Corp. const. Mareli. VT, •_» Sp. 7 ff.
Leibniz" Werke I Bd. 10 S. :}\:,.
j) ICbcndort S. 451.
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Einleitung.
XITI
Dio bereits in den ersten beiden Denkschriften zum Ausdruck ge-
brachten Ideen „fides per scientias" fortzupflanzen und die milden Stif-
tungen zu Beiträgen für die Erhaltung der Societät heranzuziehen, werden
jetzt in den „Vorschlägen pro fundo Societatis Scientiarum" wie in einem
besondern Aufsatz „Entwurf des Versuchs einer Besteuerung der milden
Stiftungen zum Zwecke der Missionen" vereinigt, und vorgeschlagen,
„diejenigen Mittel und Einkommen, so sonst zu milden Sachen gestiftet
und verwendet werden, wo dieselbigen Sachen ein solches erleiden und
entbehren mögen, in etwas zu Hülf zu nehmen" für die Missionsthätig-
keit, welche durch die Societät geregelt werden sollte.
Der „Entwurf des Auftrages eines Bücher -Commissariates für die
Societät der Wissenschaften" endlich empfiehlt, der Societät die Aufsicht
über die aus dem Auslande eingeführten Bücher und das Recht zu geben,
von jedem Zentner derselben einen gewissen Zoll für die Societätskasse
in Anspruch zu nehmen, ferner ihr ein Privilegium generale perpetuum
zu erteilen, „gewisse rechtschaffene Bücher zu verlegen und bei den
Schulen einzuführen" und ihr die Oberaufsicht über die im Lande vor-
kommenden Auktionen und Lotterien zu gestatten.
Ohne dass die Frage nach den Einkünften der Societät endgültig
entschieden wäre, wurde am 11. Juli 1700 der Stiftungsbrief*) der
Societät ausgefertigt und am 12. Leibniz zu ihrem Präsidenten**) er-
nannt. In dein Stiftungsbriefe wurde als Aufgabe der Societät be-
zeichnet, dass sie zur Ehre der deutschen Nation in Erhaltung der
deutschen Sprache und Pflege der deutschen Geschichte thätig sein, dass
sie dem genieinen Nutzen durch Förderung der Naturbeobachtung und
der Experimente dienen, und dass sie zur Verbreitung des christlichen
Glaubens und Hebung der Missionen beitragen solle. Leibniz war sich nicht
unklar darüber, dass sein Plan von seiner vollen Verwirklichung noch
weit entfernt war, aber er zweifelte nicht an der Durchführbarkeit und
war deshalb die folgenden Jahre unablässig bemüht, dem erstrebten
Ziele näher und näher zu kommen. Bis zum Tode seiner Gönnerin
Sophie Charlotte war er in jedem Jahre ein oder mehrere Male in Berliu
anwesend, um persönlich seine Sache zu betreiben und durch allerlei
Denkschriften seinen Vorschlägen Nachdruck zu geben. Dieselben sind
entweder bemüht, die Aufgaben der Societät zu erweitern oder ihr Ein-
nahmequellen zu erschliessen. So macht Leibniz noch im Jahre 1700
Vorschläge zur Verbesserung des Justizwesens und der Rechtspflege,***)
die er zwar zunächst nicht in Verbindung mit der Societät setzt: doch
ist nicht zu bezweifeln, dass wenn dieselben Eingang gefunden hätten,
*) Leibniz' Werke, herausg. v. Klopp, I Bd. 10 S. 32">.
**) Ebenda S. 328.
*♦♦) Ebenda S. 332 ff.
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XIV
Einleitung.
er die weitere Ausführung derselben an die Societät gezogen haben
würde. Wahrscheinlich aus dem nächsten Jahre .stammt seine „Summa-'
risclie punctation, die Medicinalische observationes betreffend, so durch-
geheuds anzustellen und beständig fortzusetzen seyu möchten"*), in
der er regelmässige Beobachtungen und Aufzeichnungen über das Wetter,
die Vegetation, die Viehseuchen und Krankheiten unter den Menschen
empfiehlt, Vorschläge, die spater zum Teil in den Acta medicorum
Beroliuensium collecta (Berlin 171 1 tf.) zur Ausführung gelangt sind.
Aus dem Herbst desselben Jahres stammt „Bedenken, wie bey «ler Neuen
Königl. Societät der Wissensehaften, der allergnädigsten Instruction ge-
mäss, propagatio lidei per scientias förderlichst zu veranstalten". Die
beiden von Kopp (Leibuiz' Werke I Bd. 10 S. 353) mitgeteilten Denk-
schriften sind vielleicht veranlasst durch die in England in demselben
Jahre gegründete Nova Soeietas propjigandae lidei und für uns in mehr-
facher Beziehung beachtenswert. Als besonders wichtig betont Leibniz
die Missionen „durch die Moscau nacher China. Denn in Moscau haben
Königl. Majestät und die ihrige vom Tzar alle gewogenheit zu erwarten.
In China ist ein vortrefflicher die Europäer und die Seieuzen hebender
Monarch und weise Leute: Man braucht auch, biss dahin zu kommen,
keine andere als die slavonische Sprach, und dann an der Stelle die
Mantchou-Tartarische zu anfangs, als welche in China doininiret und
ungleich leichter ist als die Chinesische selbst .... Es zeigen sich
auch dazu diese besondern Leichtigkeiten, dass jetzo leute vorhanden,
so an einem dictionario slavonico literali arbeiten, welches den Missionariis
Evangelieis in Muscovien hoch nöthig Es hat auch der Tzar bey
seiner an Wesenheit in Holland einem Lithauischen Reformirten in sla-
vonico literali sehr erfahrenen Prediger ein Privilegium auff den druck
slavoniseher Bibeln und anderer bücher geben, dessen executiou aber
durch intriguen eines andern (so nunmehr cessiren) etwas behindert
worden. Weil aber ein solches, zu mahl auf mehr libros pios slavonicos
extendirte Privilegium von einem überaus* grossen Nuzen seyn und ein
ansehnliches betragen würde, und gedachte Person mit »ler Societät sich
deswegen einzulassen gemeint, so köndte vcrhoft'entlich durch Königl.
reeommendation bey dem Tzar sowohl die billige manutenenz als an-
ständige Extension des privilegii zu grossem Nuzen dieser Mission er-
halten werden." Ferner wird ausgeführt, dass durch solche Missionen
nicht bloss Handelsverbindungen geknüpft und vorhandene befestigt,
sondern auch wissenschaftliche Beobachtungen, z. B. die Feststellung
der Isodynamen in den czarischen Ländern, ermöglicht würden. Die
in beiden Denksehritten befürwortete (iriindung eines der Societät zu
unterstellenden „Seminarium junger zu den Missionen bequemer Leute4,
•) Leibniz' Weike, horuusg. v. Klopp. I M. \i) S. :J4(i.
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Einleitung.
scheiterte am Mangel der erforderlichen' Geldmittel. Das Fehlen der nötig-
sten Mittel verursachte Leibniz grosse Sorge und veranlasste ihn (wahr-
scheinlich im Jahre 1702), dem Könige eine neue Denkschrift zu über-
reichen: „Erzählung von der Absieht der preussisehen Societät der
Wissenschaften, was sie bissher geleistet und wodurch sie gehindert
worden, ungleichen einige Vorschläge, was vor fundus ausser dem
Kalender- Wesen ihr zu statten kommen könne, wobey nebst den piis
causis und was aus allerhand Gnaden-eoneessionibus fallen könnte, ein
aufzurichtendes Bücher-eommissariat, reeeptur-Büehlein, Richtigkeit von
maass und gewicht, in betracht kommen."*) Der Aufsatz giebt wissens-
weite Aufschlüsse über die ersten Verhandlungen der Societat und bringt
die Hoffnung zum Ausdruck, „dermahleins zu einem rechtschaffenen
teutschen Wörter-sehaz gelangen zu können, sonderlich da durch hohe
hülffe die Kunst- und andere besondere Wörter, so bey verschiedenen
surfen der Menschen in gebrauch, zusammen zu bringen seyn möchten,"
stellt auch in Aussicht, „dass jahrlich einige miscellanea, durch Ver-
anlassung der societät, herfür kommen mögen". Ausser den in der
Uberschrift genannten Einnahmequellen wird die Feuerkasse, die im
Werk begriffen sei, genannt und gebeten, dieselbe für die Erhaltung der
Societät nutzbar zu machen. Die Receptur-Büchlein sollen an die Ka-
lender geheftet uud die obrigkeitlichen Einnehmer gehalten werden, den
Empfang der Steuern in diesen Büchern zu quittieren. Ferner wird
empfohlen, in Brandenburg -Preussen einheitliches Mass und Gewicht
(das Mass nach dem rheinlandischen Fuss) einzuführen, „die Abtheilung
zur grosser Bequemlichkeit, Nutzen des Publikums und Aufhebung der
Brüche in Dezimalzahlen zu machen, die hin und wieder in loeis publicis
et privatis befindlichen Masse und Gewichte danach richten zu lassen"
und aus dieser nützlichen Einrichtung der Societät einen Vorteil zu ge-
währen. Obwohl auch diese Vorschlage nicht verwirklicht wurden, verlor
Leibuiz den Mut nicht. Er interessierte sich lebhaft für den Plan, den
Seidenbau in Deutschland heimisch zu machen, **) und beschloss nun zu
versuchen, ob nicht durch die Verwirklichung dieses Planes der Societät
eine sichere und ausreichende Einnahmequelle geschaffen werden könnte.
Anfangs 1703 beginnen diese Bemühungen, nachhaltig unterstützt von
der Königin, welche gewissermassen das Protektorat über dieses Unter-
nehmen auf Leibniz' Bitten führte. Trotz dieser Unterstützung und der
eifrigsten Bemühungen Leibniz*, wie sie in den bei Kopp Bd. 10 S. 372
bis 887 abgedruckten Schriftstücken zu Tnge treten, Hess sich (Ins ge-
wünschte Privilegium zunächst nicht erreichen, s<> dass sich Leibniz noch
einmal zu seinen früheren Vorschlägen zurückwandte und im September
*) Leibniz' Werkt-, lierausg. v. Kopp, I Bd. in S. M}(> ff.
**) Schon 10!>2 schrieb er ..Bedenken über Soidenziehung44. Vgl. Klopp "s Aus-
gabe der Werke L. a I IM. «i, j_'7 ff.
1
XVI Einleitung.
1704 die Denkschrift verfasste „Ohnmassgeblicher Vorschlag, wie durch
allerhand Königliche und gemeinnüzige concessiones der societat der
Wissenschaften aufzuhelfen." *) Neu ist in diesem Aufsatz nur der Ge-
danke, dass der Societat die Vermittlung von Privatunterricht an Nicht-
Studirende überwiesen werden möge; ausserdem aber erfährt das bereits oben
S. XIII erwähnte „Privilegium generale perpetuum gewisse rechtschaffene
Bücher zn verlegen und bei den Schulen einzuführen" eine ausführliche Be-
gründung und Auslegung, die wegen der im nachfolgenden Briefwechsel
mehrfach erwähnten märkischen Schulbücher hier mitgeteilt werden mag.
„Weilen bekannt, dass eine grosse difformität sich bey denen in den
Schulen und sonst bey denen praeeeptoribus tarn privatis quam publicis
gebräuchlichen Büchern findet, dadurch die von einer Schule in die
andere ziehen, oder in der Schule selbst andere praeeeptores bekommen,
sich zu neuen büchern gewöhnen, auch wol andere dogmata annehmen
müssen, mithin in progressu studiorum nicht wenig turbiret und ge-
hindert werden ; über diess auch mehr als zu bekannt, dass die infor-
mation der Jugend oft schlecht bestellet, die Ingen ia weit herumb ge-
führet, zu Zeiten auch mit untauglichen theils schädlichen, meist ausser
landes verlegten büchern beladen wird: so könnten unter approbation
der societät richtige, deutliche, auf den alten zur Gottesfurcht und Tugend
gerichteten Grund gebauete, mit neuen erfindungen ausgezierte compendia,
tabulae und systemata diseiplinarum, auch notitiae historico-geographico-
genealogico-beraldicae, denn auch Grammatiken, januae, dictionaria,
nomenclatores, collectanea memorabilium, unter was Namen sie wollen,
und dergleichen, theils verfasset, theils erneuert, danebenst solche
Editiones autorum classicorum zum Druck befördert werden, welche mit
notis eriticis nicht überhäufet und vertheuert, und doch mit nöthigen
erklärungen versehen wären. Dazu gehörten auch Schreib- und Rechen-
bücher, und sonderlich ( atechismi, compendia theologica, in denen ge-
wisse taugende Gebet- und Gesang-, auch Spruchbücher, editiones des
neuen testamenti, auch der ganzen Bibel oder deren theile im original
und anderen Sprachen, auch sonderlich lexica und dictionaria von aller-
hand Sorten. Auch wird Königliche Majestät in Gnaden geruhen, der
societät eine generale Privilegium iinpressorium perpetuum more con-
sueto auf die von dero wegen verlegte bücher in Gnaden zu ertheilen.
Demnach würden Kön. Majestät in Gnaden geruhen, dero societät ein
Privilegium perpetuum generale auf die sogenannte Schulbücher aller-
gnädigst zu ertheilen, dass diese allein zu lectionibus und collegiis uni-
form iter in dero Landen gebraucht würden." Dass der Seidenbau in
dieser neuen Denkschrift nicht unerwähnt bleibt, ist natürlich. Aber
auch sie blieb ohne Erfolg
*) Leibniz ed. Kopp I Bd. lo S. 3*8 ff.
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Einleitung.
XVII
Hatten nun Leibniz' Entwürfe für die Erhaltung und Hebung der
Societät, obwohl sie von der Fürsprache der Königin Sophie Charlotte
unterstützt wurden, geringe Aussichten auf Erfolg gehabt, so mussten
nach dem am 1. Februar 1705 erfolgten Tode seiner Gönnerin diese Aus-
sichten sich noch mehr trüben. Aber mit bewunderungswürdiger Aus-
dauer hielt Leibniz an seinen Plänen fest. Im Herbst 1706, zur Zeit
der Heirat der hannoverschen Prinzessin Sophie Dorothee mit dem preussi-
schen Kronprinzen Friedrich Wilhelm, begab er sich wieder nach Berlin
und verblieb hier bis zum Mai des nächsten Jahres. Jetzt gelang es
seinen unermüdlichen Bemühungen, das Privilegium über den Seidenbau
für die Societät vom Könige zu erwirken. (Vgl. unten Anm. 16.) In
dieser Zeit trat er auch zu Joh. Leonhard Frisch in nähere Beziehung,
der ihm Unterricht im Russischen erteilt haben soll.- Frisch wurde 1706
zum Mitglied der Societät ernannt und von Leibniz für die geeignetste
Persönlichkeit erachtet, um in seiner Abwesenheit den Seidenbau für die
Societät zu leiten und zu überwachen. Noch während Leibniz in Berlin
anwesend war, beginnt Frisch's Briefwechsel mit ihm und dauert bis in
das Jahr seines Todes. In diesem Schriftwechsel spiegeln sich zum
grössten Teil Leibniz' weitere Bemühungen für die Berliner Societät, so
dass eine kurze Übersicht über dieselben hier ausreichend erscheint.
Nachdem Leibniz im Mai 1707 Berlin verlassen hatte, ist er nur
noch zweimal dort gewesen. Das erste Mal kam er im Januar 1709 auf
der Rückreise vod Wien dorthin und wurde einige Wochen durch die
Herausgabe der Miscellanea*) daselbst aufgehalten. Im Juni des folgenden
Jahres erhielt die Societät der Wissenschaften ohne Leibniz' Vorwissen
einen neuen Direktor in dem Minister von Printzen und eine straffere
Organisation.-*) Dass Leibniz über diese ihm widerfahrene Kränkung
unwillig war und mit einer Klage sich an die Kronprinzessin Sophie
Dorothee wandte, f) ist nur natürlich. Dennoch bezwang er, weil er durch
dieses Vorgehen eine Förderung der Societät erhoffte, seinen Unwillen und
übersandte auf Printzen's Veranlassung eine Denkschrift über den Zweck und
Bestand der Societät. ff) In dieser empfahl er, dass die bisher zu Gunsten
der Societät erlassenen Verordnungen durchgeführt, dass den Mitgliedern
„in puncto des Ranges und sonst gewisse königliche Gnaden beigelegt"
und denen, die etwas Besonderes leisten, ein Preis bewilligt werde. Da-
gegen möchten diejenigen, welche innerhalb dreier Jahre nichts den
Zweck der Societät Beförderndes geleistet hätten, aus dem Verzeichnis
der Mitglieder gestrichen werden. Ferner rät er, dass alle Ärzte ange-
*) Vgl. unten Anm. 140.
**) Vgl Mylius c. const. March. 6. Teil Nachlese No. VHI Sp. 27. „Endliche
Einrichtung der Königl. Preussischen Societät der Wissenschaften."
f) L."s Werke ed. Klopp I Bd. 10 S. 418 ff.
ff) Ebendort S. 427 ff.
2
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XVIJI
Kinl»Mtunjr.
iialten werden möchten, jährlich einige Beobachtungen teils „circa statum
anni physieomedicum", teils über interessante Fälle aus ihrer Praxis
einzusenden. Zum Zweck der Vermehrung der für die Societät erforder-
lichen Mittel kommt er auf seinen Vorschlag über die Flerausgabe von
Schulbüchern durch die Societät zurück und empfiehlt endlich, derselben
die Aufsicht über die Stipendien zu übertragen. Trotz dieses neu von
ihm bewiesenen Interesses für. die Societät wurde er weder von Printzen
noch von Jablouski zu der am 19. Januar 1711 stattfindenden Festfeier
eingeladen, durch welche die jetzt so genannte Akademie der Wissen-
schaften ihre eigentliche Inauguration erhalten sollte. Er Hess sich aber
durch eine wohlberechtigte Empfindlichkeit über diese Zurücksetzung
nicht abhalten, bei diesem Feste seiner Schöpfung auch ungeladen zu-
gegen zu sein, und reiste nach Berlin, wo er allerdings durch sein un-
erwartetes und unerwünschtes Erscheinen in eine schiefe und unan-
genehme Lage geiiet. Seine längere Anwesenheit in Berlin scheint aber
zur Klärung seiner Stellung beigetragen zu haben, so dass er sich ver-
anlasst sah, mit einem neuen Entwurf zu Gunsten der Berliner Societät
hervorzutreten. *) Sein auch diesmal erfolgloser Antrag bezweckte nichts
Geringeres, als eine Besteuerung des Branntwein-Brennens für die Aka^
demie der Wissenschaften zu erwirken. Ein anderes von Klopp**) mit-
geteiltes Schriftstück aus dieser Zeit ist nach des Herausgebers Meinung
nicht ein an König Friedrich gerichtetes Schreiben, sondern die Aus-
arbeitung des Vortrages für die Audienz, welche, wie aus den ersten
Worten der Schrift hervorgeht, der König zugesagt hatte. Leibniz verteidigt
sich darin gegen den Verdacht, als sei er als hannoverscher Spion nach
Berlin gekommen, zählt seine Bemühungen um die Societät auf und
kommt auf frühere Vorschläge zur Vermehrung der Einnahmen der-
selben zurück. Neu ist der Gedanke, es möchte ein junger Gelehrter
nach Süddeutschland geschickt werden, „die alten origines des Hauses
Zollern, wolches eines der ältesten in Teutschland" zu untersuchen.
*Da ihm von Hannover aus die Rückkehr dringend nahe gelegt
wurde, reiste er am 7. Mai von Berlin ab, ohne jemals wieder dorthin
zurückzukehren. In Wien, wo er sich von Ende 1712 bis in den August
1714 aufhielt und für die Gründung einer Akademie wirkte, erhielt er
die Nachricht vomTode des Königs Friedrich I. und von der Thronbesteigung
Königs Friedrich Wilhelm I., des Sohnes der Fürstin, die einst ihn so
hoch geschätzt. Die Hoffnung, die in seinen Briefen au die neue Königin
zum Ausdruck zu kommen scheint, der junge König werde sich die
Förderung der Akademie angelegen sein lassen, wurde arg getäuscht.
Trug sich doch, wie bekannt, Friedrich Wilhelm I. sogar mit dem Plane,
*) L.'s Werke ed. Klopp I Bd. 10 S. 442 ff,
**) Ebenda 8. 44fiff.
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Einleitung.
XIX
die Akademie, die er für eine völlig unnütze Einrichtung hielt, aufzu-
heben, und vermochte diese doch nur dadurch dem Schicksal der Auf-
lösung zu entgehen, dass sie sich anheischig machte, ein medizinisch-
chirurgisches Kollegium zum Unterrichte der Feldscherer zu stiften und
dazu ihr theatrum anatomicum*) herzugeben. Der König nahm den
Vorschlag an, übertrug aber zugleich der Akademie die Unterhaltung
des botanischen Gartens, welcher auf des Leibmedikus Gundelsheim
Vorschlag aus dem Hopfen- und Küchengarten vor dem Potsdamer Thor
gebildet war, so dass die Akademie ihre schon geringen Einkünfte mit
diesen beiden Anstalten teilen rausste.**) Dieser Umstand führte auch
zu dem Leibniz schwer kränkenden Beschluss der Mehrzahl der Societäts-
mitglieder, Leibniz das ihm ausgesetzte Gehalt von 600 Thalern nicht
weiter zu zahlen, weil dasselbe nur zur Deckung der Unkosten für die
im Interesse der Societät unternommenen Reisen und unterhaltenen
Korrespondenzen bestimmt gewesen, Leibniz aber in den letzten drei
oder vier Jahren weder einen Brief an oder für diese Societät geschrieben,
noch eine ßeise unternommen habe. Mit der energischen Zurück-
weisung***) dieser Vorwürfe (November 1715) schliessen bei Klopp die
auf die Societät bezüglichen Schriftstücke Leibniz'.
Wie eine gleiche Undankbarkeit au der Stätte seiner langjährigen
Wirksamkeit ihm die letzten Lebensjahre vergällte, ja nach seinem am
H. November 1716 erfolgten Tode bei seiner Bestattung sein Andenken
schändete, gehört nicht in diese Darstellung.
3. Frisch als Schulmann und Gelehrter.
Als Frisch 1706 zum Mitgliede der Societät der Wissenschaften er-
nannt wurde, hatte er sich in der gelehrten Welt durch irgend welche
Arbeiten noch nicht hervorgethan , man müsste denu zu jenen sein am
22. November 1700 „als am 126. Gedächtnistag der Aufrichtung des
Berlinischen Gymnasii" am Gymnasium zum grauen Kloster von Schülern
der Anstalt aufgeführtes und zugleich durch den Druck verbreitetes
Schulspiel „von der Unsauberkeit der falschen Dicht- und Reim-Kunst" f)
rechnen. Er selbst aber hat diese Arbeit wohl für nichts anderes als
für eine Gelegenheitsdichtung gehalten, durch die er in die damals üb-
lichen Protestäusserungen gegen die Unnatur der sogenannten zweiten
schlesischen Schule einstimmte.
*) Dasselbe, welches Friedrich III. für das Collegium medicum hatte anlegen
lassen? Vgl. oben S. VI u. König III, 50.
**) Vgl. Nicolai, Beschreibung von Berlin und Potsdam II, 703. König a. a. O.
IV, 1 8. 51.
***) L.'s Werke ed. Klopp I Bd. 10 8. 460 ff.
t) Vgl. meine Ausgabe im 26. Hefte der Schriften des Vereins für die Ge-
schichte Berlins.
2*
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XX
Einleitung.
Frisch hatte also seine Ernennung zum Mitgliede der Societät wohl
seiner persönlichen Bekanntschaft mit Leibniz zu verdanken. Es Ist
natürlich, dass dieser aus Veranlassung seiner oben angedeuteten Be-
strebungen bei seiner wiederholten und mehrfach länger ausgedehnten
Anwesenheit in Berlin dem Schulwesen und den bedeutendsten Schul-
männern dieser Stadt seine Aufmerksamkeit zuwandte. Seit der Mitte
des 17. Jahrhunderts hatte sich das höhere Schulwesen Berlins nicht
unwesentlich gehoben. 1610 hatte der Grosse Kurfürst das Joachims-
thalsche Gymnasium nach Berlin verlegt, und 1681 hatte er in dem neu-
gegründeten Stadtteil Friedrichswerder die Errichtung einer öffentlichen
lateinischen Schule angeordnet, welche 1701 zum Friedrich- Werderschen
Gymnasium erhoben wurde. In seinem Todesjahre hatte auch die neue
Dorotheenstadt eine derartige Schule erhalten, und von Friedrich III. war
im ersten Jahre seiner Regierung das schon von seinem Vater geplante
College royal francais gegründet. An der Spitze oder in den Lehrer-
kollegien dieser Lehranstalten standen Schulmänner, welche Gesinnungs-
genossen oder Schüler A. H. Franke'* waren, des Mannes, durch den
die Bestrebungen jener Zeit, die Gelehrtenschulen unter dem Einfluss
der höfischen Bildung und des Pietismus zu modernisieren, verkörpert
und verbreitet wurden. Im Franke'schen Sinne wirkte an der neu-
gegründeten Schule auf dem Friedrichs-Werder der Rektor Joachim
Lange (1698—1709), am Joachimsthalschen Gymnasium der Rektor
P. Volckmann, der 1694 die Friedrichsschule in Frankfurt a. O. im
gleichen Geiste organisiert hatte, am Gymnasium zum grauen Kloster
der 1708 zum Rektor der Anstalt ernanute Bodenburg und Johann Leon-
hard Frisch. Leibniz hatte durch Schrift und Wort zu dieser Reform-
bewegung selbst nicht wenig beigetragen,*) und so ist es nur natürlich,
dass er ihrer Verwirklichung in Berlin mit Interesse folgte. Dass er
aber von diesen Schulmännern gerade zu Frisch in nähere Beziehungen
trat, hatte einen doppelten Grund: einmal war für die Verwirklichung
der Seidenbaupläne niemand geeigneter als Frisch, der ja selbst als
Landwirt praktisch thätig gewesen war, dann aber hatte auch wohl
Leibniz in Frisch eine ihm in gewissem Grade congeniale Natur er-
kannt. In der That zeigt Frisch in der Universalität seines Wissens,
mit welcher er Gründlichkeit, Klarheit und Tiefe verband, eine gewisse
Ähnlichkeit mit Leibniz. An Friscirs Fähigkeiten und gutem Willen
hat es auch nicht gelegen, dass seine durch Leibniz veranlassten Be-
mühungen um die Einführung des Seidenbaues im Interesse der Societät
scheiterten, und der nachfolgende Briefwechsel lässt zur Genüge er-,
kennen, dass Frisch Leibniz' Erwartungen nicht getäuscht hat. Viel
grössere Förderung hat allerdings Frisch aus diesem Verkehr für sich
) Vgl. Panlsen, Geschichte des gelehrten Unterrichts S. 331 ff.
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Einleitung.
XXI
und seine geistige Entwicklung davongetragen. Es hiesse über das Ziel
binausschiessen, wollte man behaupten, dass Frisch's reiche litterarische
Thätigkeit, wie sie sich nach seiner Verbindung mit Leibniz entfaltet,
allein dem Eiufluss dieses Mannes zuzuschreiben sei; dass sie sich aber
durchaus im Ideenkreise Leibniz' bewegte, und zum Teil auch direkt von
Leibniz beeinflusst wurde, wird dem aufmerksamen Leser dieser Ein-
leitung und des nachfolgenden Briefwechsels nicht entgehen.
Die Wirksamkeit eines tüchtigen Schulmannes entzieht sich wie die
einer guten Hausfrau der öffentlichen Kenntnis: so ist auch über Frisch's
Wirken als Schulmann wenig bekannt.
Im Jahre 1708 erhielt er das Konrektorat am Grauen Kloster,
nachdem der frühere Konrektor ßodenburg dem verstorbenen Rodigast
als Rektor nachgefolgt war. Nach Bodenbnrg's Hinscheiden rückte er
1727 in das Rektorat ein, welches er bis zu seinem am 21. März 1743
erfolgten Tode verwaltete. Als Schulmann gehörte er, wie schon oben
erwähnt, der modernen Richtung an. Mathematik und Physik waren
seine hauptsächlichsten Unterrichtsfächer : ferner lehrte er mit besonderer
Vorliebe Geographie von Palästina, leitete aber auch die Lektüre des
Virgil, Horaz und des griechischen Neuen Testaments. Sein Interesse
für das Französische bekundete er durch Abfassung zweier Schulbücher,
eines französischen Vokabulars und eines Compendiums französischer
Sprüchwörter. Die lateinischen Deklamationen bei den Schulakten Hess
er durch deutsche Reden, auch historischen und patriotischen Inhalts,
ersetzen. Nach den Aeusserungen seines Biographen Wippel war er ein
geschickter Lehrer, dem es darauf ankam, dass die Schüler den Lern-
stoff geistig verarbeiteten, und dass sie nicht über Dinge zu schreiben
genötigt wurden, deren Verständnis ihnen noch fehlte.
Viel gründlicher sind wir, wie natürlich, über Frisch's wissen-
schaftliche Thätigkeit unterrichtet. Der Societät der Wissenschaften
widmete er auch nach Leibniz' Entfernung von dem Amte des Präsi-
denten und nach dem bald darauf erfolgten Tode seines Gönners einen
grossen Teil seiner Kraft. An den Veröffentlichungen der Societät be-
teiligte er sich sehr eifrig, wie nachstehende Übersicht zeigt Im ersten
Bande der „Miscellanea Berolinensia ex scriptis societati regiae exhibitis
edita" (1710) veröffentlichte er einen etymologischen Aufsatz: Origo
(juorundam vocabulorum Germanicorum et cum aliis Unguis affinitas.
Im zweiten Bande (1723) erschien von ihm: Etymon nominis Weser
(Visnrgis), fluminis Germaniae und Significatio nominis Montacoc, quod
Comiti cuidam Hennebergensi olim datum fuit. Der dritte, 1727 er-
schienene Band enthält eine ganze Reihe Frisch'scher Abhandlungen:
1. Alia ratio solvendi quatuor posteriores versus aenigmatis Basilii Va-
lentin!, cuius tomo I Miscellaneorum Berol. p. 21 mentio facta est.
2. De cortice arborum circumcirca sine damno de tota stipite detracto
XXII
Einleitung.
et renascente. 3. Index historiae suae insectorum. 4. De eruca canali-
cola et de papilione, qui ex ea fit. 5. Observationes, quae ad pleniorem
descriptionera insecti pertinent, quod foliorum pedicnlos, gallice pucerons
vocant. 6. Observationes, qnae descriptioni Ipsidae sive Halcyonis in
diversorum autoram libris addi possunt. 7. De taeniis in anserum intestinis.
8. De taeniis in piscibus. 9. Vesügia generationis taeniaram sive verminm
latorum in piscibus et avibus. 9. De lumbricis et taeniis in superficie
hepatis piscium et muriam. 10. Observationes ad anatomiam lumbri-
corum in visceribus pertinentes ad confirmandam hypothesin, lnmbricos
in visceribus esse larvas seu, ut vocant, nymphas taeniarum. 11. Expli-
catio tituli Hormesta, qui Orosii libro inscriptus invenitur.
Auch der vierte Band, welcher 1734 herausgegeben wurde, ver-
dankt einen grossen Teil seines Inhalts dem Eifer Frisch's. Er lieferte
für den vierten Band folgende Aufsätze : 1. Iris circa solem observata.
2. De origine characterum obscuriorum , quibus in calendariis Signa
Zodiaci indicantur. 3. De origine characterum, qui apud astronomos
Planetas significant. 4. Descripfio ulterior, quam primum specimen
atlantis Germaniae sacrae evangelicae requirit. 5. Cur mensis Februarius
appellatus sit Hornung. 6. Historia militum ante aliquot secula post
exauctoritatem oberrantium et mendicantium, et unde dicti sint gardende
Knechte. 7. De vocibus Teutonicis Elo et Schelo. 8. Explicatio ori-
ginis vocis Trese-Kammer. 9. Vocum pietanz, piment et picteren ety-
mologia et significatio. 10. Explicatio vocum Cavilla et Creopensorium.
11. Derivatio vocis obscurioris Smurdus, quae in jure veterum occurrit.
12. Explicatio verborum obscuriorum et mutilatorum Geographi veteris,
Ravennatis, et confirmatio coniecturae, quod vox Bisigibilias Sclavonica
sit et Albim superiorem significet. 13. Etymologia clamoris publici
Jodute. 14. De mustelae fluviatilis rapacitate et de taeniis ir stomacho
huius piscis. 16. De lumbricis in locustis. 16. De taeniis in pisciculo aculeato,
qui in Marchia Brandenburgica vocatur Stecherling. Der fünfte Band,
welcher 1737 veröffentlicht wurde, enthält folgende Arbeiten Frisch's : 1. De
bombyce e folliculi sui textura prorepente. 2. Specimen supplementorum et
observationum ad Joh. Schilteri glossarium Teutonicum. 3. Observationes
et notae ad Joh. Schilteri Glossarium Teutonicum. 4. De vero sensu cor-
ruptae vocis Gartzaun. 5. Dequinque nominibus canis sagacis apud venatores
in veteribus Germanorum legibus. 6. Nomen Aegidius varia mutatione
corruptum. 7. De voce Charromannico in Ekkehardo Juniore apud
Goldast. 8. De origine vocum quarundam Gallicarum una cum obser-
vationibus et snpplementis ad Nfenagium. In dem 1740 herausgegebenen
sechsten Band endlich finden sich die nachstehend verzeichneten Auf-
sätze von Frisch's Hand: 1. Observationes ad lampretarum tres species.
2. De taenia capitata. 3. De ossibus dentatis in utraque pinna ventris
carpionis. 4. Gobins capitatus. 5. De phocaena in Pomeraniae lacu
Einleitung. XXIII
qoodam inventa. 6. De mergo quodam in Marchia Brandenburgica
capto Tschinensium mergo piscatori, gall. Coroman dicto, admodum
simili. 7. De ansere Tscbinico inprimis de capite et lingiia ejus. 8. De
taeniis, quae in jecore pisciuin inveniuntur, inprimis vero in lucjo pisce.
9. Index historiae suae insectoruin tomi secundi et tertii sive centuriae
seenndae et tertiae. 11. De voeibus Hallunck et Zohensuhn. 12. Ad
suppleinenta glossarii Scbilteriani. 13. Continuatio originum quarundam
voenm linguae gallicae et observationum ad Dn. Menagii origines lin-
guae Gallicae. Seine eifrigen Bemühungen fanden insofern bei den Mit-
gliedern der Akademie Anerkennung, als er 1731 von der historisch-
philologisch - deutschen Klasse zu ihrem Direktor gewählt wurde.
Unter seiner Leitung scheint in dieser Klasse die Beschäftigung mit der
deutschen Sprache besonders gepflegt zu sein: 1734 erschien, von ihm
veranlasst oder doch wenigstens unter seiner Beteiligung,*) „Der erste
Auszug von einigen die teutsche Sprach betreffenden Stücken, welche
der Königlichen Preussischen Societät der Wissenschaften in der dazu
verordneten Abtheilung nach und nach übergeben worden." Die Schrift
enthält zwölf, zumeist kurze Aufsätze, von denen sich neun mit der Er-
klärung einzelner Wörter beschäftigen, einer in das Gebiet der Ortho-
graphie (Wortabteilung) und einer in das der Grammatik (Gebrauch und
Missbrauch der deutschen Präpositionen) gehört. Der noch übrige end-
lich, der höchstwahrscheinlich von Frisch stammt und überschrieben ist :
„Entwurf eines Registers, das in jedem Lande kann gemacht werden, von
Wörtern, die nur wenige Leute gebrauchen-, schien mir so wichtig, dass
er in der Anmerkung 110 zu den in Brief 17 aufgeführten, von Frisch
gesammelten „vocabula Marchica" wieder abgedruckt worden ist.
Die eben aufgeführten Titel der von Frisch in den Societätsschriften
veröffentlichten Arbeiten lassen «chon erkennen, auf welche Gebiete der
Wissenschaft seine litterarische Thätigkeit sich erstreckte. Der Theologie,
für die er sich durch das Universitätsstudium vorbereitet hatte, gehört
keine einzige seiner Arbeiten an. Denn die 1707 von ihm verfertigte, aber
erst 1727 veröffentlichte deutsche Übersetzung von „Liber symbolicus
Russorum oder der grössere Katechismus der Hussen" ist nicht hierher,
sondern zu seinen linguistischen Arbeiten zurechnen. Durch seinen
Aufenthalt in fremden Ländern hatte sich Frisch eine genaue Kenntnis
verschiedener neuerer Sprachen, besonders des Französischen und der
damals sehr vernachlässigten sla vischen Sprachen verschafft. Dass ei-
serne Kenntnis des Slavischen wissenschaftlich zu vertiefen und literarisch
zu verwerten trachtete, geht gewiss auf Leibniz' Anregungen zurück, der
ja die Verwirklichung seiner Ideen auch in Russland erhoffte und zu
diesem Zweck auf Peter den Grossen einzuwirken trachtete. Ausser
*) Vgl. den Brief Frisch 's im Neuen HterRr. Anzeiger Bd. 4 S. 120.
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• XXIV
Einleitung.
jenem Liber symbolicus übersetzte er mit Hülfe eines Russen des Co-
menius Vestibulura ins Russische, hat aber diese Arbeit, wie es scheint,
nicht veröffentlicht. (Vgl. unten Brief 40.) Mit der Geschichte des Sla-
vischen beschäftigen sich sechs Programmabhandlungen Frisch's: l.Origo
characteris Glagolitici pluribus sigillatim descriptus tanquam eximia
historiae linguae Sclavonicae pars. 1727. 2. Historiam linguae Sclavo-
nicae continuat quatuor capitibus: I de origine characteris Cyrillici
speciatim, II de cultura linguae Sclavonicae beneficio hujus characteris,
m de tvpis Sclavonico-Moscoviticis, IV de dialecto Russica, tanquam
filia linguae Sclavonicae. Additque in aere sculptum conspectum figu-
rarum characteris Sclavonici novique Russici et propter inscriptionem
Sclavonicam etiam nummum Russicum. 1727. 3. Historiae linguae Scla-
vonicae continuatio secunda continens Historiam dialecti Venedicae
meridionalis sive Vinidorum in provinciis Austriae vicinis nimirum in
Carinthia, Stiria, Carniola, Istria et Marchia Vinidorum. 1729. 4. Historiae
linguae Sclavonicae continuatio tertia de dialectis Venedorum in Lusatia
et in ducatu Luneburgico. 1730. 5. Historiae linguae Sclavonicae con-
tinuatio quarta sive caput quintum : De dialeoto Bohemina. 1734. 6. His-
toriam linguae Sclavonicae continuatione quinta sive capite sexto de
lingua Polonica finit 1736.
Von der Herausgabe französischer Schulbücher durch Frisch ist
schon oben die Rede gewesen. Er begnügte sich aber nicht damit,
diese Sprache mündlich und schriftlich zu beherrschen und in ihrem
Gebrauch seine Schüler zu unterweisen, sondern er wandte sich auch
der historischen Betrachtung und Erforschung des Französischen zu.
Die beiden oben erwähnten Aufsätze in den Miscellanea, welche Beob-
achtungen zu Menage, Origines sur la langue francaise bieten, geben
davon Zeugnis, wie auch die Äusserung Frisch's an Leibniz unter dem
12. September 1708, dass er nach Vollendung seines Wörterbuches sagen
könne, was von altdeutscher Sprache noch in dem Französischen seiner
Zeit übrig sei. Dies Wörterbuch, welches 1712 in Leipzig unter dem
Titel „Nouveau dictionnaire des passagers francais-allemand et allemand
francais" erschien und wiederholt aufgelegt wurde, war nicht bloss durch
seine etymologischen Angaben wertvoll, sondern bedeutete auch insofern
einen Fortschritt, als das „deutsche Register" die hochdeutsche Sprache
aufweist, während die früher erschienenen Wörterbücher „nach einer
sonderlichen und meistens schweizerischen Mundart eingerichtet" waren.
Auf dem Gebiete der klassischen Sprachen ist Frisch nur auf
äussere Anregung und in Erfüllung eines praktischen Bedürfnisses durch
Mitarbeit an der Herausgabe der märkischen Schulbücher, besonders der
griechischen Grammatik thätig gewesen. Die letztere war schon in der
ursprünglichen Fassung wesentlich seine Arbeit und wurde 17:17 in
zweiter Auflage selbständig von ihm herausgegeben.
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Einleitung.
XXV
Hervorragende Verdienste um die Erforschung der deutschen
Sprache hat sich Frisch durch sein deutsch-lateinisches Wörterbuch er-
worben. Wie sehr ihn zu dieser Arbeit, die über viele Jahre sich erstreckte,
seine Neigung und ein hervorgetretenes Bedürfnis, wie sehr ihn Leibniz'
Anregungen getrieben haben, lässt sich nicht feststellen ; es genügt hervor-
zuheben, dass Leibniz, noch ehe er mit Frisch in Verbindung trat, die
Notwendigkeit derartiger Studien betont hatte, und dass Frisch sie den
Forderungen Leibniz' entsprechend betrieb. In demselben Jahre 1()97,
in welchem Leibniz mit Erfolg nähere Beziehungen zum Berliner Hofe
sachte, verfasste er „ünvorgreifliche Gedanken betreffend die Ausübung
und Verbesserung der deutschen Sprache"*). Zunächst hatte er das Buch
nur handschriftlich unter seinen Bekannten verbreitet und übersandte
es 1700 mit der ersten Denkschrift über die Gründung der Societät der
Wissenschaften zu Berlin an den Hofprediger Jablonski**). Erst nach
Leibniz' Tode wurde es mit anderen etymologischen Schriften von Eckart
herausgegeben. In dieser Schrift***) nun führt Leibniz Folgendes aus: „Der
Grund und Boden einer Sprache, so zu reden, sind die Worte, darauf
die Redensarten gleichsam herfür wachsen. Woher denn folget, dass
eine der Haupt- Arbeiten, deren die Tentsche Haupt-Sprache bedarf, seyn
würde eine Musterung und Untersuchung aller Teutschen Worte, welche,
dafern sie vollkommen, nicht nur auf diejenige gehen soll, so jedermann
brauchet, sondern auch auf die, so gewissen Lebens-Arten und Künsten
eigen; und nicht nur auf die, so man Hochteutsch nennet, und die im
Schreiben anitzo allein herrschen, sondern auch auf Platt -Teutsch,
Märkisch, Ober-Sächsisch, Fränkisch, Bäyrisch, Oesterreichisch, Schwä-
bisch oder was sonst hin und wieder bey dem Landmann mehr als in
den Städten bräuchlich; auch nicht nur, was in Teutschland in Uebnng,
sondern auch was von Teutscher Herkunft in Holl- und Engelländischen :
wozu auch fürnehmlich die Worte der Nord -Teutschen, das ist, der
Dänen, Norwegen, Schweden und Isländer (bey welchen letztern sonder-
lich viel von unser uralten Sprach gebheben) zu ziehen: und letzlichen
nicht nur auf das, so noch in der Welt geredet wird, sondern auch was
verlegen und abgangen, nehmlichen das Alt-Gothische, Alt -Sächsische
and Alt -Fränkische, wie sichs in uralten Schriften und Reimen findet,
davon der treffliche Opitz selbst zu arbeiten gut gefunden Nun
wäre zwar freylich hierunter ein grosser Unterschied zu machen, mit-
*) Ueber die Abhängigkeit L.' in dieser 8cbrift von J. G. Schottelius vgl
A. Scbmarsow, Leibniz n. Schottelias. Strasburg 1877 (Quellen u. Forschungen XXIII).
**) Es ist wenigstens höchst wahrscheinlich, dass die in dem Briefe an Jablonski
unter dem 31. März 1700 erwähnte zweite Beilage, dio Leibniz am 30. August 1700
sich zurückerbittet mit dem Hinweise, dass er sie wolle drucken lassen, diese Schrift
gewesen ist. Vgl oben S. VIII u. Guhrauer, L's deutsche Schriften II, 171.
***) Guhrauer a. a. O. I, 460ff.
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XXVI Einleitung.
hin was durchgehends in Schriften und Reden wackerer Leute üblich,
von den Kunst- und Land -Worten, auch fremden nnd veralteten, zu
unterscheiden. Ander Manchfaltigkeiten des Gebräuchlichen selbst an-
jetzo zu geschweige!!, wären derowegen besondere Werke nöthig, nehra-
lich ein eigen Buch vor durchgehende Worte, ein anderes vor Kunst-
Worte, und letzlich eines vor alte und Land -Worte und solche Dinge,
so zu Untersuchung des Ursprungs und Grundes dienen, deren erstes
man Sprachbrauch, auf Lateinisch Lexicon, das andere Sprachschatz
oder cornu copiae; das dritte Glossarium oder Spracbquell nennen
möchte." In der Folge betont er, „dass die Franzosen hierin glücklich,
indem sie mit allen drey oberwähnten Werken, so ziemlich in ihrer
Sprache nunmehr versehen" und lobt „das herrliche Werk des hoch-
gelehrten Menage, welcher den Ursprung der Worte untersucht, und also
auch das Veraltete, auch zu Zeiten das Bäurische, herbey gezogen."
In den von Leibniz hervorgehobenen drei Richtungen war nun
Frisch forschend und sammelnd thätig. Zahlreiche seiner oben auf-
gezählten Akademieanfsätze beschäftigen sich mit der Deutung einzelner
ihrem Sinne nach dunkler deutscher Wörter. Die im „Ersten Auszug
von einigen die teutsche Sprache betreffenden Stücken" enthaltenen ety-
mologischen Artikel haben wahrscheinlich ebenfalls Frisch zum Ver-
fasser. Seiner ebendort mitgeteilten vortrefflichen Anleitung zur An-»
legung eines Glossariums oder Idiotikons ist schon gedacht, und dass
er selbst an einem solchen Glossarium für den märkischen Dialekt
sammelte, wissen wir aus seinen unter dem 9. November 1709 und 30. Januar
1710 an Leibniz gerichteten Briefen. Auch unter seinen in der pädagogischen
Zeitschrift „Zufällige Anmerkungen von allerhand zum Schul- Wesen und
Grundlegung der Gelahrtheit gehörigen Sachen" (Berlin 1716 — 1718)
veröffentlichten Aufsätzen beschäftigt sich einer (Stück 4 No. 5) mit der
Etymologie einiger deutscher aus dem Slavischen stammenden Eigen-
namen. Direkte Vorarbeiten für sein Wörterbuch waren: „Specimen
lexici Germanici" (1723), „Specimen lexici Germanici secundum Oder
das andere Exempel, wie er sein teutsches Wörterbuch einrichtet" (1727)
und die Programm -Abhandlung ans dem Jahre 1739: De primis in
Germania typis editis Lexicis Gerraanicis. Zwei Jahre später endlich
wurde das Wörterbuch selbst unter folgendem Titel veröffentlicht:
„Johann Leonhard Frisch Teutsch -Lateinisches Wörter- Buch, Darinnen
Nicht nur die ursprünglichen, nebst denen davon hergeleiteten und zu-
sammengesetzten allgemein gebräuchlichen Wörter; Sondern auch die
bey den meisten Künsten und Handwerken, bey Berg- und Saltzwerken,
Fischereyen, Jagd-, Forst- und Hauss- Wesen u. a. m. gewöhnliche Teutsche
Benennungen befindlich, Vor allen, Was noch in keinem Wörter -Buch
geschehen, Denen Einheimischen und Ausländern, so die in den mittlem
Zeiten geschriebenen Historien, Chroniken, Übersetzungen, Reimen u. d. g.
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Einleitung.
XX VII
mit ihren veralteten Wörtern nnd Ausdrückungen verstehen wollen, mög-
lichst zn dienen, Mit überall beygesetzter nöthigen Anführung der Stellen,
wo dergleichen in den Büchern zu finden, Samt angehängter Theils ver-
sicherten, theils muthmasslichen Etymologie und critischen Anmerkungen;
Mit allem Fleiss viel Jahr über zusammengetragen, Und jetzt den Gelehrten
zur beliebigen Vermehrung und Verbesserung überlassen. Nebst einem
Register der Lateinischen Wörter. Berlin, Verlegts Christoph Gottlieb
Nicolai 1741." Die von Leibniz geforderten verschiedenartigen drei
Wortsaramlungen sind hier vereinigt, und jeder Zweifel, ob Leibniz' An-
regung dem Verfasser bei dieser Arbeit zu teil geworden ist, schwindet
beim Lesen des Vorberichts: „Man hat diese Lexicons- Arbeit etlichemahl
wollen liegen lassen, sonderlich da der Herr von Eccard*) in seiner
Historia studii Etymologici linguae Germanicae von einem Lexico, das
er vorgehabt, viel wichtiges gesprochen, ist der Autor fast abgeschreckt
worden. Der hochgelehrte Herr Baron von Leibnitz (!) aber hat ihn
wieder aufgemuntert und versichert, wenn gleich unser viel über dieser
Arbeit wären, würden wir doch alle genug zu thun finden und das Werk
nicht erschöpfen". In demselben Vorbericht äussert sich Frisch über
das Verhältnis seines Werkes zu Schilter's Glossarium. „Des Herrn
Schilter'8 Glossarium Teutonicum hat ihn (den Verf.) einer grossen
Arbeit überhoben, weil der ganze Schatz von den urältesten Teutschen
Schriften darein gekommen ist Indem es aber nur bis an Zeiten reicht,
die man noch recht dunkel nennen kan, nemlich kurz vor- und kurz
nach der Erfindung des Buchdruckens, darinnen man Historien und
Chroniken findet, wo auf allen Seiten Wörter stehen, die dem Leser am
•Verstand solcher Schriften hinderlich fallen; so ist dadurch Gelegenheit
gegeben worden, in diesem gegenwärtigen Wörter- Buch die Hand an
eine schöne Aerndte zu legen, davon keiner sagen kan, es sey in eine
fremde geschehen." Es will also Frisch's Werk eine Ergänzung zu
Schilter's Glossarinm und ein neuhochdeutsches Wörterbuch sein, Neu-
hochdeutsch im weitesten Sinne gefasst. Das Lateinische hat im Wörter-
buch eine durchaus untergeordnete Stellung. Schon Räumer in seiner
Geschichte der germanischen Philologie (S. 192) hat die Bedeutung des
Frisch'schen Wörterbuches voll gewürdigt und ihm eine der ersten
Stellen in der ganzen deutschen Lexikographie zuerkannt.
Weniger hervorragend sind Frisch's Leistungen auf einem anderen
Gebiete des Deutschen, in der Grammatik. Ausser einer kleinen Schrift
„Untersuchung des Grundes und Ursachen der Buchstab- Veränderungen
etlicher teutschen Wörter", welche 171«) erschien, veröffentlichte er in
der oben genannten pädagogischen Zeitschrift „Zufällige Anmerkungen"
u. s. w. zwei hierher gehörige Aufsätze: „Vom Ursprung des Buchstabs
*) Vgl. unten Anmerkung lfiT.
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xxvni
Einleitung,
y und woher es komme, dass er von einigen in so viel Wörtern ge-
schrieben werde" (S. 391 ff) und „Vom Zahlwort zwei und dessen Dekli-
nation". Ferner aber gab er 1723 eine verbesserte und vermehrte Auf-
lage von Bödiker's deutscher Grammatik heraus, in der er die schiefen
und unrichtigen Erklärungen des Verfassers zu berichten versuchte:
. „Joh. Bödikeri Grundsätze der Teutschen Sprache, meistens mit ganz
anderen Anmerkungen und einem völligen Register der Wörter, die in
der teutschen Uebersetzung der Bibel einige Erläuterung erfordern, auch
zum Anhange mit einem Entwurf und Muster eines teutschen Haupt-
Wörter- Buchs verbessert und vermehrt von J. L. Frisch." Die Frage,
wieweit diese Bearbeitung einen Fortschritt bedeutet und welche Stellung
Frisches Arbeit in der Geschichte der deutschen Grammatiken verdient,
bedarf einer besonderen Untersuchung, für die hier kein Platz ist.
Die übrige wissenschaftliche Thätigkeit Frisch's ist wesentlich durch
die Eindrücke und Erfahrungen seines Wechsel vollen Jugendlebens be-
stimmt. Seine Vorliebe für die Geographie hängt ohne Zweifel mit
seinen zahlreichen Reisen und Wanderungen während seiner Studienzeit
zusammen. Schon oben wurde erwähnt, dass er mit Vorliebe Unter
rioht in der Geographie von Palästina erteilt habe und in einem Briefe*)
vom 1. August 1732 schreibt er, dass er iu der mathematischen Klasse
der Societät „die Teutsche Geographiam specialissimam über sich ge-
nommen habe, nach Vermögen jährlich etwas zu liefern". „Ich habe aber
solche Neider gefunden," fährt er fort, „dass sie mein Beginnen seither
1718 gehindert, nunmehr aber will ich immerzu ein Landchärtlein dem
Publico communiciren und zwar in den Miscellaneen der Societät."
Freilich ist in dieser Zeitschrift (IV, 69—73) nur der eine oben schon
erwähnte Aufsatz veröffentlicht: „Deseriptio ulterior, quam primum
speeimen atlantis Germaniae sacrae evangelicae requirit" mit einer von
P. J. Frisch in Kupfer gestochenen Karte: „Die Superintendur (!) Neu-
statt an der Aisch und zugleich die Brandenburg-Baireutische Haupt-
mannschaft Neustatt an der Aisch und Hohen -Eck in Franken". Die
Absicht ist aber, soweit ich habe sehen können, auch an anderen Stellen
nicht zur Ausführung gebracht, wahrscheinlich weil Frisch durch andere
Arbeiten in Anspruch genommen wurde.
Seine in der Jugend geübte praktische Thätigkeit als Landwirt
hatte die iu ihm ohne Zweifel früh vorhandene Neigung zu natur-
wissenschaftlichen Studien befestigt und weiter entwickelt. Diese
bethätigte er nun in mannigfacher Weise.
Zunächst waren es wohl diese Erfahrungen, welche ihn Leibniz als
den geeignetsten Aufseher und Förderer des Seidenbaus in Berlin zum
*) Neuer allgcm. litter. Anzeiger Bd. 4 S. 118.
•+) Vgl unten Brief 31.
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Einleitung.
XXIX
Nutzen der Societät erscheinen Hessen. Mit welcher Umsicht er sich
diesem Unternehmen gewidmet hat, wie eingehende Versuche und Be-
obachtungen er dabei über die Kultur der Maulbeerbäume und das
lieben der Seidenraupe gemacht hat, davon giebt der nachfolgende Brief-
wechsel ein klares Bild. Seine Erfahrungen im Seidenbau hat er in
zwei kleinen Schriften niedergelegt, die allerdings seinen Namen nicht
fahren, aber ohne Zweifel von ihm verfasst sind. 171:1 veröffentlichte
er: „Der Seidenbau nach seiner Möglichkeit und Nutzbarkeit" und im
darauf folgenden Jahre : „Der Seidenbau in seiner nöthigen Vorbereitung,
gehörigen Bestellung und endlichen Gewinnung". Dagegen scheint die
„Historie der Plantation der Maulbeerbäume in Europa und sonderlich
in Teutschland", deren Abfassung ihm nach einer Äusserung Leibniz
gegenüber (siehe unten Brief 41) vom Könige Friedrich Wilhelm I. nahe
gelegt war, nicht geschrieben oder wenigstens nicht veröffentlicht zu sein.
Die Aufzucht der Seidenraupen führte ihn 1713 zur genaueren Be-
obachtung der Insekten überhaupt, und 1720 begann er heftweise eine „Be-
schreibung von allerley Insekten in Deutschland" herauszugeben. Die
scharfe und liebevolle Beobachtung in diesen Beschreibungen und die
anspruchslose Darstellung des Beobachteten machen sie noch heute zu
einer für den Naturfreund angenehmen Lektüre. In 18 Heften, deren
letztes 1738 erschien, gab er von 300 Insekten eine genaue Beschreibung
zugleich mit bildlichen Darstellungen, die von ihm selbst uach der
Natur gezeichnet und von seinem jungen Sohne Ferdinand Helfreich in
Kupfer gestochen waren. Um den Verfasser wegen dieser Leistungen
zu ehren, gab Linne einen» Käfer aus der Species Melolontha den Namen
Melolontha Frischii.*)
Ein zweites naturwissenschaftliches Kupferwerk begann er mit
seiner „Vorstellung der Vögel Deutschlands und beyläufig auch einiger
fremden; nach ihren Eigenschaften beschrieben." Er hatte, um dieser
Aufgabe gewachsen zu sein, sich viele deutsche Vögel lebend verschafft,
sie in der Gefangenschaft beobachtet und dann ausstopfen lassen. Wieder
lieferte Ferdinand Helfreich die Kupferstiche. Es war ihnen beiden
aber nicht vergönnt, die Arbeit zu vollenden. Erst im Jahre 17(>3
wurde sie durch Frisch's Sohn Jodocus Leopold unter Beihülfe des
Barons von Zorn in Dauzig und des einzigen Sohnes von Ferdinand
Helfreich, der die letzten Kupferstiche lieferte, abgeschlossen; sechszig
Jahre lang war sie die exakteste Darstellung der Vögel Deutschlands.
Zur Anerkennung für dieses Unternehmen wurde Frisch 1725 Mitglied
der Leopoldinischen Akademie naturae euriosorum unter dem Namen
Vegetius.
T> Vgl. Aug. Ferd. Ribbeck, Oratio ad J. L. Friscbii niemoriam secularem cele-
brandam. Programm des Grauen Klosters 1830. S. 17.
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XXX
Einleitung,
Die oben einzeln aufgeführten Aufsätze Frisch's in den Miscellanea
Beroiineusia geben Zeugnis, dass Frisch in seinen Forschungen sich auf
diese beiden Gebiete des Naturreichs nicht beschränkt hat: so hat er u. a.
die Band- und Eingeweidewürmer in verschiedenen Tieren, z. B. im Stich-
ling oder, wie man damals in Berlin sagte, im Stecherling beobachtet
und beschrieben, von den Blattläusen gehandelt, auf das Vorkommen
des Braunfischos (Phocaena commuuis) in einem pommerschen See und
eines Kormorans in der Mark Brandenburg aufmerksam gemacht.
Die zahlreichen Nachrichten, welche Frisch iu dem nachfolgenden
Briefwechsel über seine eigenen und anderer Männer chemische Ver-
suche giebt, lassen erkennen, dass Frisch solchen bei Hoch und Niedrig
damals sehr beliebten Bestrebungen nicht fern stand. Berlin war gegen
Ende des 17. und im Anfang des 18. Jahrhunderts ein günstiger Boden
für allerlei alchemistische Versuche. Wie an des Grossen Kurfürsten
Hofe der Laborant Johann Kunkel lange Jahre im grossen Ansehen
stand und seines Fürsten Vorliebe für die Goldmacherkunst wach zu
halten wusste, so versachte im Jahre 1705 der Adept Don Domenico
Manuel Caetano, Conte de Ruggiero am preussischen Hofe festen Fuss
zu fassen, indem er die Kunst des Goldmachens zu besitzen be-
hauptete und auch wirklich Proben seiner Kunst ablegte; durch ein
mitgebrachtes Pulver verwandelte er Quecksilber in Silber und ein
ander Mal Quecksilber in Gold. Er bildete kurze Zeit in Berlin den
Mittelpunkt des Interesses, und die an Leibniz gerichteten brieflichen Mit-
teilungen Frisch's zeigen, dass auch dieser jenen Vorspiegelungen Glauben
zu schenken geneigt war. Die Enttäuschung folgte freilich bald nach.*)
Neben dem Caetano spielte damals in Berlin ein Laborant, der Stahl-
müller Felmy oder Filmey, eine Rolle, über den sich aber Nachrichten
nicht haben beibringen lassen. Ferner gehörte zu dem Kreis der Ber-
liner Alchemisten Johann Konrad Dippel, der mit J. G. Rosenbach die
Goldmacherei trieb und der Entdecker des tierischen Öls wurde. Er
war es auch, der mit dem Färber Diesbach zusammen das Berliner
Blau erfand, aus dessen wesentlich verbesserter Fabrikation Frisch er-
hebliche Einnahmen erzielte.**)
Obgleich Leibniz nicht an den Stein der Weisen glaubte,***) war
er doch nicht blind gegen die Wichtigkeit solcher Versuche und hat
alle darauf bezüglichen Nachrichten Frisch's sicher mit Interesse ent-
gegengenommen, wie sich aus der häufigen Berührung dieses Themas
in Frisch's Briefen schliessen lässt. Hat er doch auch in dem ersten
*) Vgl. unten Anmerkung 69.
**) Genaueres siehe in der Anmerkung 38.
***) Miacell. Berol. I p. 16 ff. : G. G. L., Oedipue Chymicus aenigmatis -Graeci
et Germanici.
Einleitung.
XXXI
Bande der Miscellanea Berolinensia über die gleichfalls bei alchemisti-
schen Versuchen gewonnene Entdeckung des Phosphors einen ausführ-
lichen und den Erfinder Brand ehrenden Bericht gebracht.
Die Bedeutung der von Frisch unternommenen chemischen Ver-
suche, wie sie im nachfolgenden Briefwechsel sich darstellen, zu wür-
digen, muss ich einer sachverständigeren Feder überlassen.
Zehn Jahre etwa haben die Beziehungen Frisch's zu Leibniz ge-
dauert, für sein ganzes Leben aber ist seine Geistesrichtung und seine
wissenschaftliche Thätigkeit durch diesen Verkelir bestimmt. Und wie
auf diesen einzelnen Gelehrten, so hat Leibniz auf das gesamte wissen-
schaftliche Leben Berlins einen nachhaltigen Einfluss ausgeübt und hat
ihm einen neuen Schwung und einen gewissen encyclopädischen Cha-
rakter verliehen.
• - *
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Joh. Leonh. Frisch's Briefwechsel mit G. W.Leibniz.
!•■)
Frisch an Leibniz.
Hochgeehrter Herr Geheimer Rath. Dass Ew. Excellenz nicht
Selbsten aufwarte, hab ich keine andere Entschuldigung anzuführen, als
die tödliche Schwachheit des Herrn D. Lichtscheides,-) bey welchem
ich fast Tag und Nacht bin, und aus Lieb zu ihm fast alles vergesse.
Ich habe ihn gestern Nacht in desperatem Zustand verlassen und gehe
jetzt wider zu ihm mit grosser Ungewissheit , ob ich ihn noch lebend
antreffen werde. Ich habe aber indessen nicht unterlassen wegen des
Maulbeer-Saamens bedacht zu seyn und den Raschmacher s) zu dem
Gärtner Burckhaff geschickt, welcher mir auch versprochen, hin zu
gehen, aber noch keine Antwort wider gesagt. Morgen will ich selbst
zu besagtem Gärtner gehen; unterdessen wird der Feldprediger nicht
feyren, desswegen Nachfrage zu halten.
Beykommende editionen von der Bibel, sonderlich Novi Testamenti,
habe ich unter meinen Büchern gefunden, von welchen ich glaube, dass
sie noch nicht allzu bekannt seyen. Die Böhmische Bibel, so ich habe,
hat kein Titulblatt, wesswegen ich sie nicht beyfügen können. Bitte
gehorsamst, sie halten mir meine Eilfertigkeit zu gute und versichern
sich, dass die Begierde, bey Herrn Doctor Lichtscheid zu seyn, mir
wohl etwas von gegenwärtigen Zeiten, aber niemahl, so wenig als was
anders, von dem respect abkürzen können, womit ich lebenslang ver-
bleibe Joh. Leonh. Frisch.
2.
Frisch an Leibniz.
Hoch Edler, Hochgeehrter Herr geheimer Rath und Praesident,
Hochwerther Patron!4) Dass Ew. Exc. glücklich zu Hannover ange-
langt,') habe mit freuden aus dero Hochwerthen vom 28. Junij") er-
Job. Leonb. FriBch'B Briefwechsel mit G. W. Leibniz.
1
fahren. Hätte auch gleich darauf gebührende Nachricht von allem, was
verlangt worden, abgestattet, wann nicht noch das Seidenabspinnen ab-
zuwarten gewesen. Wir haben, aus Mangel des Wurmsaamens , die
Bäume zu Potstam7) und Spandau diss Jahr müssen ungenuzet stehen
lassen. Zu Cöpenik aber haben wir bey 5 Pfund guter Seiden bekommen,
das übrige, was das schönste von den Cocons wäre, haben wir aus-
kriechen lassen, so dass ich wohl zu 100 Pfund Seiden, und drüber,
Wurmsaamen gesamlet. Es waren die Cöpenikschen Cocons von solcher
grosse und härte, dass die Italiener und Franzosen dabey schlechten
Unterschied von den besten in ihren Landen finden können. Um Italie-
nischen Saamen hab ich auch längsten wieder geschrieben, weil er wohl-
feiler zu haben um die Zeit, wann sie die Würmer auskriechen lassen,
indem sonst ein jeder nur so viel unabgesponnen liegen lässt, als er zu
seinen Bäumen vermeinet genug zu haben.
Den Baumsaamen erwarte ich auch nächstens. Damit wir aber
versicherter seyn mögen als bissher, hab ich viel Pfund zu Potstam und
Cöpenick samlen lassen. Den Garten zu Cupenik hab ich einem Mann
verdinget, der ihn halb diesen Herbst umpflügen und düngen soll, da-
mit gleichwohl ein jeder bauin etwas mist bekomme, dann der planteur
hat «lein Meister Otto ') zum Possen den ersten Mist gleich an eine
geringe Zahl Bäume verscharret, dass er dieses Jahr nichts auf dem
Plaz bauen können, wie ihm erlaubt gewesen. Er will dahero künft'tig
noch etwas darauf pflanzen. Sonst ist im Garten nicht ein grünes
Grässlein; wo es aber ein wenig feuchtigkeit haben kan, siehet man
wohl, was der grund thun kan. Desswegen hab ich alle gelegenheit
abgesehen, ob etwau mit einer Wässerung zu helften wäre. Auch den
Herrn adjunctum Hoffmann ') mit seinem Bruder desswegen mit hinaus
genommen, die Situation ein wenig mit der Wasserwag zu messen. Da
wir dann gefunden, dass, weil die Spree nicht allein zu schwach ist,
ein Schöpfrad zu treiben, sondern auch etwas zu unbe«piem entfernet,
und der garten gleichwohl eine höhe hat, welche in einer schuurgleiehen
pente, 5 biss 0 Schuh biss an den untersten Theil austrägt, dass man
mit einer geraumigen Pumpe, weil das Grundwasser nicht tief zu hohlen,
vermittelst einer kleinen Windmühl mit geringen Kosten den garten
immer befeuchten könnte. Sie halten mir desswegen auch schon einen
abriss von der Maschine gemacht, welchen ich hieinit übersende, mit
bitte, weil wir keine copie davon behalten, denselben bey gelegenheit
wider zu überschicken. Manu braucht des Wassers nicht viel, weil es
theils die Bäume nicht leiden, theils das Wetter nicht erfordert, und
also die Pumpe immer wider Zeit hat, sich anzufüllen, geschweige, dass
die meatus, wegen des stetigen auspumpen*, sich immer in der Erde
erweitern. Wann man endlich mehr Wasser haben wollte, weil man
dessen Nuzen spührte, könnte man in die Spree einige rinnen unter die
8
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2 Joh. Leonh. Frischs Briefwechsel mit G. W. Leibniz.
Erde legen, damit man steten Zufluss hätte. Es sind schon zwey solche
Pompen-Brunnen im garten, aber an unbequemen Orten, nur zum
begiessen angelegt; weil sie aber doch mit feldsteinen ausgefüttert,
auch die Eisen noch da sind, können sie bey einer grössern die Unkosten
vermindern. Der Raum des Gartens verspricht leiclitlich so viel grass,
dass man 6 Kuh davon überwintern kau, wovon künftig der Mist in dem
garten, und die Leuthe, so sie halten, zur gewissen und wohlfeilem
arbeit des Blätterrupfens können gebraucht werden. Die wenige Zahl
der Bäume, so Mist genossen, oder etwas tiefer und der Nässe näher
stehen, haben genugsam gezeigt, was sie thun können, indem sie viel
Schüsse getrieben, so anderhalb Ehlen lang sind. So dass eine kleine
Zahl dei Bäume die Unkosten einer solchen machine bald wider erstehen
sollten.
Wie nun in diesem allen Ew. Excfcllenz] zu disponiren haben, als werden
Sie absonderlich wegen herannahenden Herbstes zu befehlen belieben,
wie man es mit anlegung der Baumschulen an unterschiedlichen Orten
der Königlichen] Provinzen anzustellen habe. Dann die Erde muss vorhero
recht desswegen zugerichtet und gedünget werden. Meister Otto hat
den Oöpenickisehen Baumsaaraen einestheils zu Potstam in den Garten
gesäet, der nicht recht zugerichtet gewesen, dalicro ihm auch nicht ein
Körnlein aufgegangen. Hingegen hat der erste Planteur der hiesigen
Maulbeerbäume von eben diesem Saamen zu Borna ,ü) ausgesäet, von
welchem fast kein Körnlein ausgeblieben, so dass er uns in einigen
Jahren mit einer schönen anzahl Bäume versehen kan, wie ich ihm
dann zu einem recompens wegen der Societät hoftnung gemacht, wann
er seinen Fleiss ferner würde sehen lassen. Sonst hat Meister Otto es
an seinen Fleiss nicht ermangeln lassen, sonderlich hat er zu Briezen u)
an der Oder erfahren, dass einige Leuthe daselbst viel fuder Mist wegen
der entlegenen felder oder wegen Mangel derselben in die Oder werffen
müssen. Wann nun daselbst ein Garten angelegt würde, könnte man
eine stetswärende wohlfeile Baumschule haben und daraus die meisten
Stättlein in der Mittel- und Neiunark versehen, deren etliche doppelte
Wälle haben. Zu Prenzlow wäre der andere Ort, die Ukermarck zu
besezen, zu Magdeburg der dritte, und allliier der vierdte. Man kan
den nächsten Frühling einige hundert Bäume aus der Cöpenickischen
Schule nehmen und auf hiesigen Wall'-') sezen, all wo schon einige zimlich
erwachsene stehen, von welchen ich diss Jahr aucl» possessio!! genommen,
und um mehr Erfahrung zu haben, einige Würmer selbst gefüttert und
spinnen lassen: alsdann will ich die Cöpenicksche längs dem garten
unten an dem besten ort anlegen und durch die herrschaftliche frohn-
dienste zurichten lassen. Was zu Potstam abgeht, kan von Borna
ersezt und die Nachbarschafft nötliig daraus besezt werden. Aus diesen
fünff pläzen kan man zum anfang hernach das beste herausnehmen.
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Joh. Leonh. Frisch'8 Briefwechsel mit G. W. Leibniz.
3
Zu Wriezen an der Oder wäre Herr Bodecker,13) welcher inspection
halten könnte, wie anch einige andere meiner guten Freunde, und so
auch zu Preuzlow, allwo einige meiner gewesenen discipel in Diensten
sind; wann man ihnen nur zu einer Erkäntlichkeit auf Seiten der
Societät hoffnung machen und etwas wogen der Döthigen Unkosten über-
schicken kan. Zu Cöpenik ist der garten ehmals aus unterschiedlichen
zusamgekauftten Stücken felds und gärten angelegt worden, weil man
aber dem garten so viel möglich eine viereckigte Figur mit dem Zaun
geben wollen, sind einige Winckel dadurch ausgeschlossen worden. Es
getraute sich lange Zeit niemand, sich deren anzumassen, dieses Jahr
aber hat ein Schweizer angefangen, dieser Winckel einige, so die grösten
sind, auszuroden uud umznhacken. Als ich es erfahren, hab ich mit
tlemselbigen geredet, aus was Macht er das thue? und es dahin gebracht,
dass er es vor eine dependenz vom Maulbecrgarten erkennen und sich
erklären müssen, entweder Zinse davon zu geben oder nach proportion
des Nuzens davon einige tag im garteu zu arbeiten. Uberdas ist vor
dem vordersten gartenthor noch Plaz, einige hüttlein zur baurenwohnung
und Kuhstallen zu bauen, welche, wann das Wässern angehen sollte,
in Osten errichtet werden. Wie es ins künfftige wegen Nuzung der Maul-
beerbäume zu halten, erwarte ich nähern befehl.
Ich habe von allen diesem auch mit H[errn] Cuno14) geredet, welcher
zu aller beförderung geneigt. Wollte wünschen, dass H[err] Secretarius
Jablonski15) auch begreiffen könnte, was man damit suchte, so würde
er minder kaltsinnig dazu seyn. Ich hab ihm das Original des privilegii1')
wider zugestellt, nachdem ich fidimirte copiain davon behalten. Wegen
der Seide, so wir zu Cöpenik gesponnen, hab ich mich erkundigt, ob
vielleicht Herr Koppisch,17) der die manufactur und' fabrique bissher
dazu gehabt, dieselbe annehmen wolle; allein weil er andere Verrich-
tungen am Hof bekommeu, liegt diss Werck jetzund darnieder. Von
andern Kaufleuthen hab ich noch nichts gewisses, es machen mir einige
Hofnung zu 5 thl. vor das Pfd., welches theur genug wäre, dann in
Österreich gibt man nur 5 fl. vor dergleichen einheimische Seide.
Ich befehle mich indessen noch ferner dero gewogenheit und
verbleibe
Ew. Excfellenz]
hochverbundenstor
Berl[in] den 4. Aug[ust] 1707. Diener
Joh. Leonh. Frisch.
Leibniz an Frisch.
[Ohne Datum]
(Tit.) Insonders hochgeehrter] H[err]. Es ist mir lieb, dass die Seiden
Cultur zimlich von statten gehet und einen guthen Nuzen vors künfftige ver-
3*
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4
Job. Leonh. Frisch*« Briefwechsel mit G. W. Leihniz.
spricht. H|err] Hofrath jCuiiü hat in seinem Schreiben an mich von m[ eines]
H[eri*n] Sorgfalt in dieser sache rülunlich gedacht. Eine kleine Windtinühle,
den garten zu Koppenich zu wässern, würde gutt seyn, wenn man nur weiss,
dass gnugsam wasser im Brunnen, und da er ausgeschöpfet, nicht alzu
langsam wider anlaufft. Es wird auch zuforderst ein Überschlag der
Kosten nöthig und das beste seyn, den ganzen bau an jemand zu ver-
dingen. Der abriss komt wider zurück. In Holland haben sie an den
kleinen Windtmühleu, so das wasser aus den feldern pompen, scarze
oder schwänze, also dass sie sich selbst nach dem Winde drehen, und
kosten solche Windtmühlen gar wenig, sind aber auch nicht hoch und
haben wenig krafl't, so wir auch eben nicht vonnothen haben. Bitte ohnbe-
schwehrt mir von dem Überschlag der Kosten part zu geben. Die winckel
mainteniret man billig bey dem garten zu Koppenich und kan mit dem
Schweizer ad tempus eontrahiren.
Wenn thunlich einige Bäume von Coppenich an die Charlotten-
burger farth''') zu sezen, wenigstens am nächsten bey Cbarlottenburg,
da sie in äugen, würde es vielleicht dem König gefallen, mehr als
aufm Wall.
An Briezen an der Oder und ßrenzlau zu gedenckeu wird freylich
guth seyn; solte man die Wälle selbst zu Baumschuhlen brauchen können,
so wäre es das beste, denn eigene pläze zu kauften noch zur Zeit vor
uns zu schwehr. Ocularis inspectio köudte einsmals von M[eisterJ Otten
genommen werden. An erkentligkeit würde man es gegen die, so uns
in der Sach nüzlich an Hand giengen, nicht fehlen lassen. Was auch
für Unkosten nothig, daran wird es bey der Societät auch nicht ermangeln,
noch H[err] 'jSecretarius Jablonski aus banden gehen und wird m[ein]
H[err] bey zeyten wegen der nothdurfl't diessfals zu erinnern belieben.
4.
Frisch an Leibniz.
HochEdler pp. Weilen von Ew. Excellenz auf mein voriges vom
4. Augusti keine Antwort und weitern befehl bekommen, habe ich mir
eingebildet, sie Seyen verreisset Hätte sonsten längstens gebührende
Nachricht von allem gegeben. Wäre mir auch leid, wann unterdessen
einige Zeilen an mich ergangen wären, darinnen einige Verordnung, wie
es weiter anzufangen, enthalten gewesen; dann ich habe nichts erhalten.
Der Abriss zur Pompe kan vielleicht künfftig eiumahl gebraucht werden;
ich werde ihn abzeichnen und Herrn Hofmau10) das original zustellen.
Es sind einige Landleuthe, welche lust haben, dergleichen machine anzu-
legen. Der halbe Garten zu Cöpeuik ist umgepflügt uud mit etlich
hundert fuder Mist gedüngt, wovon wir bald guten eftect hoffen. Der
Plauteur zu Cöpeuik hat eine supplic wider der Societät verfahren
eingegeben, dass man andere Leuthe iu den garten führe und denselben
Joh. Leonh. Frisch » Briefwechsel mit G. W. Leibniz.
5
pflügen lasse. Bitte derhalben um dimission von der Wartung des
Gartens, aber doch um fernem genuss der Besoldung. Welche supplic
dem Herrn Hofrath Cun<> zugeschickt werden, welcher sie mir cominu-
nicirt, und weil ich um den Handel am besten wisse, informati<m begehrt,
also dass dieser faule l'lanteur sich künfftig wird besser angreiffen
müssen. Tch hab eine feine quantität Baumsaamen aus Italien bekommen,
Wurmsaamen erwarte ich auch. Wegen anlegung der Baumschulen bin
ich in ein und ander Ort gereisst, aber überall solche Weitläufftigkeit
und Schwierigkeit gefunden, dass ich endlieh mich hier um gelegeuheit
dazu umsehen müssen. Da ich dann keinen bequemem ort linden können,
als den bedeckten Weg-'1) um unsere Stadt Berlin , allwo die jungen
Pflanzen nicht nur am sichersten, sondern auch wegen des immer gleich
hohen Wassers im Graben am bequemsten zur Wurzelfeuchtigkeit und
zum begiessen stehen. Habe dahero dem Herrn Feldmarschall Grafen
von Wartensleben -"') aufgewartet, und die Versicherung bekommen,
man wolle mir einen Plaz dazu anweissen lassen. Wesswegen ich, so-
bald man wird mit solcher Gartenarbeit umgehen können, ferner ein-
kommen werde. Mit denen Würmern habe ich die curiosität gehabt, sie
noch einmahl auskriechen zu lassen, und habe aus der geringen quantitat,
mit welcher ich es probiert, gesehen, dass es möglich. Sie siud eben so
<chön worden, als das erste mahl, haben gesponnen und Saamen hinter-
lassen. Welche Prob mir um desswillen desto lieber, weil ich einige
auskriechen lassen, welche ein loch in den Cocons vorhcrgelassen, womit
sie dann auch zum andernmahl fortgefahren, also dass mir der hiesige
Wurmsaamen nichts nuzet, ob mich gleich die Franzosen versichert, sie
thätcn es das andere Jahr nicht. Daher muss ich lauter frischen Saamen
haben. Weil aber die 50 thl., so ich empfangen, zu ende, und ich die
Seide, so ich machen lassen, noch nicht mit Vortheil verkauifen können,
werde ich wohl wider etwas geld haben müssen, wozu Ew. Exc[ellenz]
werden gelieben ordre zu ertheilen. Dann es wird viel Düngung zu denen
Baumschulen erfordert werden, auch weiss ich noch nicht, wie viel und
wie grossen Plaz man mir anweissen wird, ob ich nicht noch andere
Pliizo dazu bestehen muss, dann ich wollte den vielen Saamen, so ich
angeschafft, nicht gern veralten und verderben lassen, absonderlich da
ich ihn so gut befunden, dass, da ich, sobald ich ihn bekommen, einige
Körner gesäet, sie doch alle, auch schon zur spaten Jahrszeit, aufge-
gangen. Wann sonsten etwas zu befehlen, worinnen ich nach meiner
Wenigkeit dienen kan, werde ich allzeit meine Schuldigkeit in acht
nehmen, dann ich verbleibe Ew. Excellenz gehorsamst ergebenster Diener
Joh. Leonh. Frisch.-')
Berlin den letzten December 1707.
6
Joh. Leonh. Friach'S Briefwechsel mit G. W. Leibniz.
5.
Frisch an Leibniz.
HochEdler pp. Unter andern Dingen, so wegen des Seiden- Wesen
E[w]. Exc[eilenz] berichten, ist absonderlich dieses, dass einige Persohnen
mich angesprochen, ihnen wegen pflanzung der Maulbeerbäume au die Hand
zu gehen, weil sie auf ihren Gütern einige grosse Pläze damit anlegen
wollten. t Weilen ich aber aus unserm Privilegioai) gezeigt, dass es der
Societät so weit verliehen wäre, dass niemand ohne ihren consens der-
gleichen grosse gärten anlegen dörffte, als werden E[w]. Exc[ellenz] so gütig
seyn und wegen eines aufsazes von dergleichen consens etwan an Herrn
Secretariura") ordre ertheilen. Die Leuthe pressiren mich, weil die Zeit
zum säen nicht weit mehr entfernt. Sie sind erbötig, der Societät einige
Erkäntlichkeit dafür zu thun. Herr Secretarius Jablonski hat mir die
50 thlr. wegen fernerer fortsezung dieses wercks wohl ausgezahlt, es
scheint, er begreiffe es jezo etwas mehr als vorher, doch dünckt mich,
dass es noch nicht so ist, wie bey Herrn Cuno. Meister Otto hat sich
in einigen orten etwas zu herrisch aufgeführt und mir die Leuthe un-
willig gemacht, welches im anfang eines solchen Werks viel hinternüsse
geben kan; auch hat er mir einige Thaler« so ich ihm gegeben, nicht
gleich so angewendet, wie ich vermeinet, dahero ich ihn nicht mehr ßo
oflft als vorhero brauchen können, welches er wohl mag gemerckt haben.
Sonsten werde ich nicht unterlassen, in ansehen seiner Dienstwilligkeit
und wircklich gehabter Mühe ihme widerum einigen genuss in Verar-
beitung der Seide, wo es mit Vortheil der Societät geschehen kau, zuzu-
wenden. Dieses vergangene Jahr hat es wegen weniger Seide nicht seyn
können ; künftigen Sommer aber hoffe ich um ein ansehnliches mehr zu
erlangen. Die, so sich unser Land so kalt eingebildet, dass die Seiden-
würmer schwer darinnen zu halten, haben dabey des vortheils unserer
Öfen und gemacher vergessen, dadurch man die Kalt massigen kan, und
sind erstaunt, da ich ihnen die Würmer im September gezeigt, dass sie
zum andern mahl gesponnen haben. Ich werde es künti'tig mit einer
grössern quantität versuchen, weil ich dieses erste mahl gar wenig
gehabt und nur die Möglichkeit zeigen wollen. Die Gärtner wollen mir
Schwierigkeit wegen der Bäume machen, aber sie können mir weder
mit natürlichen Ursachen, noch mit der Erfahrung darthun, dass es
schade, wann man dem bäum behutsam die blätter nimt, die er in einigen
wochen hernach selber abwirfFt,
Ich werde wegen des Zauns am Cöpenikischen Garten ein meraorial an
Ihro Königliche] M[a]j[estä]t aufsezen müssen, dass sie dem bausclireiber da-
selbst befehlen lassen, den Zaun noch ferner wie zuvor im bau zu erhalten,
angesehen die Societät noch keinen genuss vom garten, sondern vielmehr
zur Besserung desselben etwas anwenden müssen. Es will der Zaun au
einigen orten noth leiden. Sobald das wetter etwas besser wird, will
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Joh. Lt'onh. Frißch's Briefwechsel mit G. W. Leibniz.
7
ich ihn besichtigen. Einige Unzen Wurmsaamen hab ich schon und
erwarte noch mehr ans Italien. Wegen des Baumsäens werde ich wohl
den Königl. Gärtner zu Borna zusprechen müssen, damit ich gewiss
darinnen gehe, weil derselbe bissher alle Bäume, so Ihro M[a]j[estä]t der
Societät verliehen, gepflanzt.
M[onsieu]r la Croze*6) hat mich ersuchet, beyliegende Zeilen an Ew.
Exc[ellenz] einzuschliessen. Herr Stark* 7) kommt wider in unsere Nachbar-
schafft und wird director der Kitterschule zu Brandenburg; der muss mir
behülflich seyn, dass ich zu Brandenburg mit den Maulbeerbäumen an-
kommen kau, wie ich auch nicht zweiffle, er werde mir beystehen, der
Societät interesse hierinnen zu befördern. Ich verbleibe indessen Ew.
Excellenz gehorsamster und ergebenster Diener
Joh. Leonh. Frisch.
Berlin den 21. Febrfnar] 1708.
6.
Frisch an Leibniz.
HochEdler pp. Es zeigen sich in dem Seidenwerk, wovon E[w]. Ex-
c{ellenz]fernereNachricht verlangen, unterschiedliche Hinderungen und hin-
gegen auch einige Hofnungen zu weiterer Aufnahm. Die Haupthinderung
ist der Planteur zu Köpenik, welcher nicht einmahl die Schlüssel hergeben
will, wann Meister Otto kommt, und ich kan nicht allzeit Selbsten da-
seyn. Ich wollte diesen Frühling die andere Helfft des Gartens umpflügen
lassen, aber er hindert und will die besten Pläze, die wir zur Baum-
schule wollen, behalten. Waun ich nur mit dem H[errn] Grafen von Warten-
berg58) Selbsten einmahl sprechen könnte, bey welchem er mich so
schwarz gemacht, dass auch die Laqueyen davon wissen. Er wird vom
Oberamtmann unterstützt. Ich habe dahero, den Oberkammer Herrn zu
überzeugen, dass wir des Königs Lust und Interesse suchen, einen Vor-
schlag durch den Bauschreiber Hehse2-4) thuu lassen, weil ich eine grosse
Partie saamen [habe], wolte ich einen lebendigen Zaun um des Königs Wein-
berge3«1) anlegen, wodurch dem König mit der Zeit jährlich bey 600 thlr.,
so dieser Pfahlzaun jezt kostet zu erhalten, ersparet, und das ansehen
des gartens vermehret werden würde. Da über das innerhalb des Pfahl-
zauns genügsamer und mehr als Ruthen-breiter Plaz dazu, auch der
Zaun auf der einen Seiten unten am Berg, wohin alle fettigkeit vom
Weinberg fliessot, da die Bäume wohl anschlagen würden, als welche
schon an der Höhe dieses Weinberges in schönem Wachsthum stehen:
von welchen, ob ihrer gleich kaum 40, ich doch das vorige Jahr noch nichts
gewust, dieses Monath Mart. aber erst possessiou davon genommen, da
sie eben daran waren, dieselben umzuhauen. Ein solcher Heckenzauu,
wann er dürft'te gleich anfangs längs dem garten auf der untern Seite
angelegt werden, würde uns grossen vortheil bringen, weil die bäume
I
3 Job. Leonb. Frincb » Bricfwecbsel mit G. W. Leibnix.
daselbst können so hoch wachsen als sie wollen, indem sie die Sonne
nicht abhalten. Der Bauschreiber TTehse will dieses Jahr nur ein Stück
davon also anlegen lassen, welches überdas die Societät soll graben und
bedüngen lassen; so aber unserm Werck wenig helffen wird und keines
Probierens braucht an einem solchen ort, wo dergleichen bäume schon
so wohl bekommen. Er verspricht zwar gar um ein geringes beides zu
verschaffen, dass wo es sonst 5 groschen koste, er es um 2 bekommen
wolle, allein ich glaube, es sollte bey dem König gar leichtlich etwas
mehrers zu erhalten seyn. Ich wollte dieses Jahr zu Köpenick auch
dergleichen Zaun anfangen anzulegen, aber es wird mir ausser dem
Planteur auch von dem bauschreiber 1 ») daselbst Verhinderung gemacht,
welcher nichts mehr an dem Planken-Zaun will bessern lassen, haben
ihn diesen vergangenen Herbst so eingehen lassen, dass Vieh und Wild
hinein kunte und einige Bäume benagt, hernachmahls die Schuld auf
den Mann geschoben, welcher den garten zwischen den Bäumen umge-
ackert. Wann dieses wegen des Planteurs und Bauschreibers, auch wegen
der lebendigen Zäune anjezo dem König in einem memorial vorgestellet
würde, als welcher ohndem jezo unserm Pflanzen so geneigt seyn soll,
dass er dem Planteur zu Glinikc:ta) befehlen lassen, alle jungen Maul-
beerbäume zusain zu suchen und sie auf die Wälle zu pflanzen, wodurch
der Societät wideruin ein zimliches erspart würde, und wozu auch die
etlich 100 so wir zu Köpenick haben auch können angewandt worden.
So würden wir vielleicht auf einmahl viel Schwierigkeiten aus dem Weg
räumen können, welche mir allein zu heben unmöglich. Wegen des
Zauns zu KÖpenik würde nur so lang um erhaltung gebetten, biss der
lebendige emporkommen; auch wäre in des Königs übrigen Gärten ein
solcher generalvorschlag zu thun, wodurch wir unsern Saameu unter-
brächten und die Gärtner mit graben und beschneiden uns nichts kosten
würden. Der H[er]r Feldmarschall53) hat mir nach vielem lauffen durch
den Wallmeister einen kleinen gelingen place d'armes in dem bedeckten
Wegrl) anweisen lassen, welchen ich, weil ich ihn werde müssen ein-
zäunen, graben und düngen lassen und dabey doch in furchten stehe,
dass bey ausführung des grabens an dem nahgelegenen Ravelin3*) man
wider alles verderbe, kaum annehmen können. Der Vorschlag, eine
allee zwischen Charlottenburg und Berlin anzulegen,''') wäre meines
wenigen erachtens wohl zu practiciren, wann so viel erwachsene Bäume
da wären, welche doch von denen Dammhirschen trefflich würden benagt
werden. Hecken anzulegen würde noch mehr kosten, weil sie auf beyden
Seiten einen Zaun wegen des Wilds müsten haben. Vier Partheyen
haben mich mit dem Wurmsaamen stecken lassen und immer biss auf
einige Wochen her vertröstet, ist doch noch nichts erfolgt: ob es ex
composito geschehen, weiss ich nicht. Das aber weiss ich, dass sich
diejenigen, an welche ich mich hierinnen addressiren müssen, weil sie
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Job. T.eonh. Frigch"« Briefwechsel mit G. W. Leibniz.
9
die größte Correspondenz dahin haben, sich über mich moquirt und
gesagt: was ich mit Würmern zu thnn hätte? Welche moquerie auch
einigen von denen membris Societatis gemein, die doch das Werck am
meisten befördern sollten. Zu vier Unzen macht mir eine Parthev noch
gewisse Hofmung. Bekomme ich sie aber auch nicht, so muss unser alter
Saarae, von welchem ich mehr als ein XU Pfd. [habe], das beste thun. Es wird
ihvs erste Jahr ohne dem die Sache noch nicht so können genuzt werden,
als an einem ort, wo alle Lenthe damit umzugehen wissen. Wenn ich
zu Potstam und Spandau jemand dazu abrichte, muss ich doch bofürchten,
dass er etwas versäume oder versehe, mag dahero lieber am alten
Saamen geschehen, der uns nichts gekostet. Einige Unzen habe ich aus
dem Mayländischen bekommen, von welchem ich aber weniger Hoffnung
habe, als zu dem hiesigen. Die Erfahrung wird geben, was davon aus-
körnt: er siehet selzam aus. Es ist ein laqney hier, welcher ehmals
dem König einige Pfund Seiden gemacht, der unterlasset nicht, heimlich
zu hindern und alles vor uutüchtiges beginnen auszurnffen. Eine einige Vor-
stellung, die Ihro Majestät geschehe, welches E[w]. Excellfenz] am besten
thun kan, wird alles vernichten. Die Zeit zum säen ist nahe: wann der
einige Vorschlag mit denen Gartenzäunen angieng, wäre diss Jahr genug
erhalten; dann dieses kostet dem König nichts, da hilfft die Jägerey
selbst dazu, dan es wird dadurch das holz und absonderlich die Eichen
geschont, welche der einige Weinberg, der in 6000 Schritt im Umkreiss
und alle 10 fnss 60 Eichene Plancken oder hohe Zaunsticke 1 erfordert,
ungemein dünne macht. Wo hier das geringste sollte dazu gegeben
werden, würde es nicht fortgehen, aber wo ohndem schon Leuthe sind
als Gärtner und frondienste, kan man eher hoffnung haben. Ich erwarte von
E[w]. Exc[ellenz] desswegen ordre. Wegen desStahlmüllers Felmy:,;) process
ist hier alles beschäftigt und laboriren vielerley Partheyen furios. Einer
meiner Freunde hat ihn mit mir probiert und von vier loth Gold in
14 tagen 1 Ducaten und 9 grau Gold gefunden: jetzt ist er wider darüber
und probiert ihn mit 2 Pfd. Gold: was da heraus kommt, werde mit
nächsten berichten. Es ist eine probable augmentation, ich habe das
Pulver aus curiositüt machen lernen. Wann es angeht, stehet es der
Societät zu Diensten. Meine Farbe3*) hat mir bissher nicht nur meine
daran gewandte Unkosten, sondern auch einigen Überschuss allbereit
abgeworffen. Ich habe nebst der blauen jetzt auch einen dunkelrothen
Lack, der nicht nur den Citronensafft zur gewöhnlichen Mahler-Prob
aushält, sondern auch, wie meine blaue, das Aqua fort™). Obiger Process
wird unter andern bey H[errn] Doct[or] Spenern10) ausgearbeitet, welcher
wegen vieler davon genommenen Proben ein grosses Zeugnüs gibt; ich
glaube es aber doch noch nicht, biss ich weitere praxin sehe oder selbst
davon habe. Ich verharre mit allem schuldigen respect Ew. Excel lenz
gehorsamst ergebener
Berl[inl den 31. Mart[ii] 1708. Joh. Leonh. Frisch.
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10
Joh. Leonb. Frischs Briefwechsel mit G. W. Leibniz.
7.
Leibn iz an den Grafen von Wartenberg.41)
ä M. le Comte de Wartenberg premier ministre du Roy de Prusse.
Monseigneur.
C'est a regret que j'interromps les importantes affaires de V[otre]
Efxeellence] pour la supplier de faire jouir ä la Societc des sciences de
l'effect des resolütions de Sa M[ajes]te, particuliereinent a l'egard du jardin
de Köppenich et de favoriser le dessein de nos plantatious, puisque nous
ne demandons point de nouvelles depenses : mais seuleineut la grace d'une
assistanee efficace tonte accordee. Le Sieur Frisch, que la Societe a
ehargö du soin de eette affaire des plantations, esperant l'honneur d'estre
ecoute de V[otre] Efxeellence], je la supplie de luv faire cette grace et
de luy accorder des deinandes raisonnables. .le suis avec respect etc.
Wolfenbutel 24. April 1708.
8.
Leibniz an Frisch.42)
[24. April 1708.]
Ich schreibe beykommendes an des Hferrn] Grafen von Wartenberg
Excellenz, welches etwa dienen möchte, m[einem] Hferrn] bey ihm entrcc
zu machen, lasse es sub sigillo volante. M[ein] H[err] köndte ein memorial
an den H[errn] Ober Cammerherrn von wegen der Societät förderlichst ab-
fassen und mit Hferrn] Iloffrath Cuneau concertiren und dann überreichen,
darinn mit wenigen die anstatt, so man zu Cöpenick verlaugt, mit grund
gesuchet werde. Es würde etwa bestehen in nachdrücklichen ordres an
den Oberamtmau, den planteur bey straft" der abschaffung dahin zu
halten, dass er in allen hiezu gehörigen nach der Societät anstalt sich
richte, item an den bausehreiber43), dass der Zaun gebührend in dem
stand gehalten und sonst der garten wie bisher gefuget werde. Ich
weiss nicht anders als dass es in der Königlichen] concession44) enthalten;
weil nun mfein] Hferr] solche hat, wird er verba concernentia im memorial
anführen können: solte sich aber über verhoffen solches nicht finden, so ist
anzuführen, dass ja Königlicher] M[ajestä]t intention der societät' hierin pro
bono publico und dero eigen dienst, in allein, so ohnschädlich und unbedenck-
lich ist, erspriesslich zu seyn, sich gnädigst ercläret. Was sonst die
Zaune und dergleichen betrifft, köndte absonderlieh erst mundtlich bey
Sr. Excellenz vorgetragen, dann bey verspürender einiger inclination
schrifftlich gesuchet werden. Es wird sich aber verhoffentlich wohl
erhalten lassen, dass der König die sacli, wenn sie guth befunden, ohne
unser entgelt veranstalten lassen. Es passirt sonst für ein Sprichwort
unter den plantations- Verstendigen, dass, wo Wein wachset, auch Maul-
beerbäume wohl anschlagen. Findets mfein] Hferr] rathsain, so will auch
an FIferrnJ General Feldnmrsehail1 ) schreiben, umb selbigem alda bessere
kundschafft zu inachen.
Joh. Leonh. Frische Briefwechsel mit G. W. Leibnix.
11
P. S. Es hat mir H[err] Filmey seyn palver zu probiren geben, ich
habe aber nicht zeit dazu gehabt und noch allezeit am success gezweifelt.
M[ein] H[err] gedenckt nichts von H[errn] Cammerath Müller'"); in Sachsen
wollen sie auch an die Feuercasse47).
9.
Frisch an Leibniz.
Hoch Edler pp. Aus Ew. Exc[ellenz] letztem hochwerthen Schreiben
habe ich kaum spühren können, dass sie mein voriges empfangen. Doch hab
ich unterdessen alles nach möglichkeit bestellt. Der Planteur zu Köpenik
hat mir den besten plaz, so ich zur Baumschul anlegen wollen und
welchen ich ihm verbotten hatte, doch wider zu seinem nuzen besäet;
der Zaun des Gartens hält kein Jahr mehr, er ist an vielen orten schon
gestüzt, und wird der Societät mehr kosten, als sie in vielen Jahren
nicht Einkommen davon haben kan, wo nicht die Erhaltung desselben
von Ihro Königlichen] M[a]j[estä]t erhalten wird. Der Amtman hat aus
eigener Autorität die Taglöhner für sich behalten und gibt sie nicht mehr
zum garten her; dahero bin ich sehr gehindert worden. Die Mutter der
Frau des Planteurs, so bissher die Würme halten müssen, hat mir den
Wurrasaamen geschickt und dabey berichtet, dass sie von lhro Königlichen J
Maj[estä]t dieser Arbeit überhoben worden und die pension doch behalte,
wir möchten sehen, durch wem wir die fütterung der Würme bestelten.
Zu Potsdam hat der Heydereuter, so bissher den garten genossen, ohn-
angesehen dass er gewust, wie nöthig wir den Plaz zur Baumschule
brauchen, doch denselben für sich besäet, wodurch ich um zwey der
besten und der Societät eingeräumten Pläze gekommen, so dass ich mich
um andere noth wendig umthun müssen, weil mich nicht allein die Zeit
daurte, dass wider ein Jahr sollte vergeblich hingeben, sondern auch
der viele schöne Saarn en, den ich gesamlet. Herr Langel; im* zu Borna
hat wider eine Quantität auf inständiges anhalten angenommen. Der
Planteur zu Glienecke, welchem ich die Potsdamische Saat übergeben
hatte, hat mir einen andern Plaz indessen eingeräumt, welcher aber
wegen des rigolens und dazu gehörigen Mistes geld erfordert. Der König-
liche] Hofgärtner hat auch eine zimliche Menge auszusäen versprochen,
und noch zwey andere Planteurs, denen ich aber wohl zinsse vor die
Pläze werde geben müssen. Dass also gleichwohl viel tausend künfftig
zu hoffen und von allem Saamen sehr wenig übergeblieben. Aus Italien
habe ich eben, da ich dieses schreibe, eine schöne Parthey Wurmsaamen
bekommen, welchen ich an die drey orte, welche wir zu bestellen, eiu-
theilen will, als Köpenik, Potsdam und Spandau; wohin ich überall
Leuth e ums Geld dingen inuss, damit sie künfftig abgerichtet werden,
biss sie oder andere es pachten können. Zu Köpenik habe ich doch
noch einen fruchtbaren Winckel des gartens von einem andern Mann
zurichten und besäen lassen, biss künfftigen Herbst die jezige Baum-
12
Joh. Leonh. Frisch'* Briefwechsel mit G. W. Leibniz.
schule geleeret und auf die hiesigen Wälle versezt wird, welches ich gehofft
diesen Frühling schon zu sehen, allein der Königliche] befehl erstreckt
sich nur auf das Plaz machen vor die Maulbeerbaum durch ausnehmung
der Linden und nicht auf das Pflanzen derselben auf den Wällen um
Berlin. Der Herr General-Feldmai-schall,s) hat mir lezlich anstatt eines
kleinen Pläzleins, so er mir gegeben hatte, ein ganz ravelin einräumen
lassen, aber es war nicht zu nuzen, weil der grund lauter Stein war.
M[onsieu]r la Croze hat einen grossen Schimpf von H[errn] ölven' ')
erlitten, der ihn in einer Schl ifft, so die dritte von seinen monathlichen prae-
senten,hässlich angegriffen, so dass es auf Klage des beleidigten Theils schon
l>ey dem Fiscal anhängig. Es ist dieses tüchtige membrum der Societät
so canailleux tractirt worden mit „Kaldaunen-Schlucker« und andern
scurrilischen expressionen, dass es jedermau verdriest, der M[onsieu]r la
Croze kennet. Die Hauptursach dazu ist, dass er scapham scapham ge-
nennet und gesagt: des II[errn] ölvens vorgegebene Prophezey sey nur
ein anagramraa.
Die Feuer-Cassa soll doch noch vor sich gehen; H[err] Rath Müller
hat 1000 thlr. besoldnng empfangen. Des Stahlmüllers") process geht
einem an dem andern nicht. Wir sind hier unglücklich, dass wir kein
recht aqua fort1) bekommen können. Ich bin dabey gewesen, dass der
unreine Salpeter, so dazu genommen worden, das aqua fort zum halben
aqua regis'-) gemacht und Gold zugleich aufgelöst. Eine Prob hat wirk-
liche Vermehrung gegeben, die andere aber nichts, sondern noch Verlust
an Gold dazu. Ob die andern Partheyen Vortheil von diesem process
gehabt oder nicht, kan ich nicht erfahren. Ich halte auf die blaue
Färb mehr als auf dergleichen processe; ich hab sie jezt zu grösserer
Höhe getrieben als der Inventor sie jemahls gemacht. Sie hält nun die
Scheid wasser-Prob aus und wird schöner davon; man kan sie auch schon
um das dritte Theil wohlfeiler machen. Meister Otto hat den Garten
zu Köpenick mit Winter- und Sommerfrucht besäet, weil er ohndem um-
geackert und gedünget worden. Er hat mir gute Dienste in diesem
Wcrcke gethan und wohl eine Ergözlichkeit dafür verdienet. Ich bitte
mir diese Weitläufftigkeit zu gut zu halten und nur noch meine gewöhn-
liche, doch gehorsamste Versicherung zum Beschluss anzunehmen, dass
ich unverändert verharre Ew. Excellfenz] getreu ergebenster Diener
Joh. Leonh. Frisch.
Berlin den 28. April 1708.
10.
Frisch an Leibniz.
HochEdler pp. Sowohl das vorige aus Wolfenbüttel vom 24. April,
als das leztere aus Hannover vom 30. May, welches Ew. Exc[ellenz] an
mich abzulassen beliebet, hab ich wohl erhalten. Habe aber bey dem Herrn
Joh. Leonh. Frisch's Briefwechsel mit G. W. Leibniz.
13
Grafen von Warteuberg den brief ' ) nicht überreichen können, weil ich
keine Hoffnung sähe, zugleich vor ihn kommen zu können. Sogar, da
ich ihm uacli Köpenik nachgereisset, wurde, da die schleunige Unpäss-
lichkeit des Prinzen von Oranien angekündet, und ich also durch die
darauff erfolgte Traur und Reise ins Carls bad ') immer verhindert. Es
war die Hauptursache, warum ich ihm aufwarten wollte, dass ich meinen
Maulbeer-Saamen gerne unterbracht hätte durch einen Vorschlag mit
den Zäunen und Gehägen, so man mit diesen Bäumen dem König zu
Lust und Nuzen machen könnte. Nun ich aber denselben gleichwohl
untergebracht, kan ich wohl warten, biss er aus dem Bad mit dem Könip
widerkomint. Die Bäume gehen in unzählbarer Menge auf, also dass
ich viel Millionen zu ge warten. Die Italiäner haben mich mit gutem
Saamen verseheu, denen ich etwas mehr geld gegeben, aber auf Yer-
bürgung, dass er gut seye. Der Wurmsaamen ist ingleichen wohl aus-
gekommen biss auf eine Unze, womit mich ein Kaufman aus Moyland
betrogen. Meister Otto hat zu Potstam austallt gemacht, die Bäume zu
geniessen, und ich habe jemand auf Cöpeuik geschickt mit Italienischen
Wurmsaamen. Es ist dem Planteur auf seine supplic geantwortet worden,
dass er zwar die pension feruer geniessen solle, er müste 'aber ein
Zeugnüs von der Societüt bringen, dass er ihr gebührlich an die Hand
gegangen und gedienet. Daher M|onsieu]r Yignoles'') sehr bey mir ange-
halten, ihm dergleichen Zeugnüs zu ertheilen ; weil ich es aber nicht für mich
allein thun wollen, sondern mit Herrn Cuno desswegeu conferirt, auch
wegen fortwärender Widerwärtigkeit und Trozes dieses Mannes nicht
thun könneu, ist es unterblieben. Ich hab ein ander Hauss zu den
Würmern mieten müssen, und geniesse dieses Planteurs nicht weiter, als
dass er einige Wochen blätter gepflückt, und dieses mit vieler Be-
sch weerung. In den Contrascarpen ") etwas zu geniessen hab ich die
Hoffnung fahren lassen, dann es gehen immer änderuugen und besserungen
daran vor, welche allen besiz ungewiss machen, und das ravelin, das
mir der Herr Gen[eral-]Feldmarschall auweisen lassen, würde mehr kosten
zuzurichten, als zwey oder drey andere orte, die mau dazu mietete.
Nun ist meine gröste Sorge, auf Baumschulen bedacht zu seyn, die
gesäeten Bäume darein in Ordnung zu sezen. Wann ich dieses Jahr
etwas Seiden bekomme, werde ich, was ich daraus lösen kan, dazu
anwenden; dann weil die Societät zu dem Hausskauff etlich hundert
thaler vorgeschossen, wird nichts dazu da seyn. Wann ich so viel zusammen
bringen kan, werde ich indessen Vorschuss thun oder Ew. Excellfenz]
darum ansprechen. Die Bäume in gebührender Menge zu haben ist das
Hauptwerck. Plaz ist zum verpflanzen genug im Privilegio verwilligt.
Würmer haben wir jezund auch, dass es in einigen Jahren nicht mehr
an Saamen fehlen soll; aber die Pläze zu den Baumschulen, welche ich
iu dem Potstammischen und üöpenikischen galten will zurichten lassen
14 Job. Leonb. Frisch 8 Briefwechsel mit G. W. Leibnix.
und welchen fast die Gärten zu enge werden, die werden noch manchen
Thaler kosten wegen des rigolens und Düngers. Was ich nicht in die
gärten bringen kan, will ich zu Hecken und Zäunen pflanzen lassen, vor
allen ein Gehäg um unsere Gärten damit anlegen lassen.
Die Feuer- Cassa ist hier in völligem Fortgang und soviel als
wircklich im Stand, wozu die lezte Brunst in der Statt Crossen r,;) viel
geholffeil. Herr Ölven soll doch noch auf viel Jahr Freyheit bekommen
haben, seine praesenten drucken zu lassen. Solche Leuthe bringen die
Societät in nicht geringe Verachtung, und zu solcher Unzeit, da die
wenigsten Glieder einige belohnung gemessen können. Herr Marperger5")
ist mein Landsmann und mir also von langer Zeit her bekannt; ich halte
ihn, wann ich unpartheyisch und nach meinem begriff urtheilen soll, für
des Herrn Ölven guten Freund , der da fähig ist, noch wohl mehr als
jener zu thun, sonderlich in dergleichen Monath-praesenten. Sein Calamus
ist bissher mercenarius gewesen. In den Commerden-Wesen ist er ein
guter Theorcticus. Zu Lübeck hat ihn die Armuth viel gelehret. Er
war der ganzen Statt Verssmacher und hat, da er hier nichts damit
erstümpern können, ein und andere bittere Zeilen in faveur des H[eim] Ölven
gemacht. Ich kan leicht errathen, wer ihn recommendirt; aber der-
gleichen Leuthe sind ulcera und keine Zierden einer Societät. Herr
Stark wird bezeugen können, dass er sich zu üblen Streichen gegen ihm
von denen Buchführern gebrauchen lassen. Ew. Excfollenz] verzeihen mir
mein allzu freyes Urtheil , das ich hier beygefügt, und seyen versichert, dass
ich viel Zeugen darinnen bekommen kan. Die Begierde, die Societät in
renommee zu sehen, ist bey mir grösser, als alle Landsmannschafft, und
weiss ich gewiss, dass, wann dergleichen membra sollten anwachsen, wie
Herr Ölven ist, einige andere, die lobwürdigero Absichten bissher gehabt,
wünschen werden, dass sie nicht möchten in solcher Zahl seyn, oder
wohl gar mit zurückschicknng des diplomatis sich vor solche Ehre
bedancken.
Wegen der Chymie ist es jezt etwas still, dann des Filmey Pulver
hat, wie Ew. Exc[ellenz] schreiben, das Silber und Gold wild gemacht;
die Ursach ist der viele Schwefel und das antimonium darunter; das anti-
monium oder der regulus desselben hat die Teste59) durchgefressen, dass
man das Silber aus der asche wider zusammen klauben müssen, und
der Schwefel hat verhindert, dass es im Scheiden vom aqua fort nicht
recht können angegriffen werden; wodurch viele betrogen worden und
meinten, es wäre zum wenigsten Luna fixa40), weil es das Scheidwasser
nicht angriffe: die nochmahlige quart*1) hat es aber bald anders gezeigt.
Ich habe von diesem Pulver die helffte solcher materien befunden, die
das Silber und Gold also wild machen. Dann wann man es im spiritu
nitri62) auflöst, wird man den abgesonderten Schwefel anzünden können,
welcher doch gleichwohl vorher so mit denen andern materien vereinigt
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Joh. Leonh. Frische Briefwechsel mit G. W. Leibniss. 15
gewesen, dass er wohl dreymahl, allemahl 6 stunden mit im Feuer
geflossen. Ich glaub, dass einige tinctur in diesem Pulver ist; die Haupt-
ingredientien sind antimon[ium] cf65) und q64), die werden mit verpufften
tartaro") und Salpeter, endlich mit Schwefel verfulminirt8*) und dann
mit einander geschmolzen jedesinahl 5 biss 6 stund. Das kan ich vor
gewiss sagen, dass ich eine weise gefunden, dasselbe zu reinigen und
nur in Silber allein zutragen , wodurch ich allzeit etwas Gold im Silber
finde, weil ich aber der Quantität noch nicht gewiss, kan ich noch keinen
richtigen Überschlag machen, biss ich Zeit hab, es öffter zu versuchen.
Es hat mir nun zum dritten mahl auf diese Weise einige grau Gold in
ein loth Silber gebracht. So dass es wirklich Unkosten und arbeit be-
zahlt, kan ich es noch auf einige grän bringen; wie es bissher immer
mehr gran gegeben, so halt ich es vor ein particular, das einem seine
Arbeit, welche gar schlecht dabey, wohl belohnt. Ich halte, dass die
Venetianer dergleichen Art haben, das Gold aus dem Ungarischen Kupfer
zu bringen, weil hier die Venus am meisten thut, und werde ich nicht
wenig in dieser Meinung gestärkt werden, wann das Ungarische Kupfer,
welches ich künft'tig suche mit zur Probe zu nehmen, die Zahl der all-
bereit gefundenen gräne vermehren wird. Wann ich Gold dazu nehme,
wird die Zahl der gräne weniger, hingegen das Gold schöner. Woraus
man leicht siebet, dass das Gold die tinctur annimmt, weil es derselben
noch nicht genug gehabt, und dieselbe dadurch dem Silber nicht kan
mitgetheilt werden.
Ich habe mit meiner Antwort bissher wegen überhäuffter Arbeit
verziehen müssen, meistens auch, weil ich in ein und anderer chymischer
Arbeit gedachte etwas gewisses berichten zu können, so dass ich sehr
erschrocken, wie ich Kw. Exc[elleuz] dritten brief bekam. Es hat mir auch
bissher grosse Hinderung gemacht, dass unser liector im Berlinischen]
Gyinnasio gestorben, wodurch icli zum ConRectorat' ') gezogen worden,
und bissher wegen der Wittbe Nachsiz doppelte Arbeit verrichten müssen.
Meister Otto kan von seiner Arbeit nicht so lang abkommen; er
hat immer auf Märckte zu ziehen und das Potstainmische Wurm-Wesen
mit unter den Händen. Wenn das Spinnen der Würmer vorbey, will
er sehen, ob er eine Zeitlang abkommen kan und seine Sachen hier
darnach einrichten. Ich hab dieses Jahr solche Schwierigkeit wegen
des Besizes einiger Bäume auf dem Walle und in denen Königlichen]
Weinbergen bekommen, dass ich Ober- und Unter-offizieren, welche allerley
Leuthen die Bäume zu gebrauchen erlaubten, mit dem letzten Punct
des Privilegii drohen müssen, dass die helffte der Straff dem Königlichen]
fisco gehöre; worauf ich es soweit gebracht, dass sie alle in arrest
nehmen, welche nichts an denen Bäumen zu praetendiren. Wann ich
meine Sachen in besserer Ordnung gebracht, werde ich meine Pflicht
fleissiger im Antwortschreiben in acht nehmen, bitte, es mir dieses mahl
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16
Joh. Leunh. Frisch e Briefwechsel mit G. W. Leibniz.
zu vergeben und sich zu versichern, dass ich mit allem gehörigen respect
lebenslang verbleibe Ew. Exc[ellenz] gehorsamst ergebener Diener
Joh. Leonh. Frisch.
Berlin den 18. Jun[ii] 1708.
11.
Frisch an Leibniz.
Hoch Edler pp. Dieweil Ew. Excell[enz] iu dero letzten an mich vom
12. Julii geschrieben, sie wollten diesen Sommer hieher kommen'0), habe
ich meine Antwort mündlich zu thun gehofft, weil es sich aber bissher
verzogen, hab ich mich nicht unterstanden, es länger aufzuschieben. Ich
habe mich wegen der Zäune und Gehäge in denen Königlichen] Gärten
wohl erkundigt, ehe ich soviel Saamen oder junge Bäume denen Gärtnern
dahingehe, was der Societät wohl am zuträglichsten seyn mögte und
hab befunden, dass es noch einige Zeit verbleiben kan, biss wir sonst
nicht wissen wohin mit denen Bäumen und Saamen. Die Gärtner wollen
vom abpflücken der Blätter nichts hören, sonderlich auf derjenigen Seite,
die in den Garten geht, und auf der andern sind die Blätter nicht so
gut für die Würmer, weil sie nicht so viel Sonne hat. In denen Wein-
bergen können mir die Weinmeister wegen des Wildes keine Versicherung
geben, weil dasselbe an vielen orten hinein kan; wodurch lauter Hin-
derung im Wachsthum und genuss der Blätter entstehen würde. Der
Königl[icheJ Hofgärtuer hat eine allee davon angesäet, aus welchem elenden
specünine ich wohl sehe, wie es die andern machen würden. Dabei-
bin ich bey unserm Planteur zu Borna geblieben und bei denen andern
und will den Garten zu Copenik und Potsstam zur Baumschule anlegen
lassen, biss sie so gross, dass wir sie auf die Walle können sezen
lassen. Zu Potsstam ist doch das Privilegium jezt auch in praxi. Ihre
Maj[estät] der König war da in der W iderkehr aus dem Carlsbald, dn
alles eng war, und doch hat man uns eine Stube im Amthauss ausser
noch einer andern Stube eingeräumt.
Der so genannte Cajetano "'•') hat solche specimina gethan, dass mich
Leuthe, die es gesehen, überrreden wollen, es sey kein Betrug, sonderlich
was fixationem Mercurii in Silber0) anlangt. Man hat noch immer
hoffnnng, etwas von ihm zu bekommen. Es geht mit ihm wie denen
Bergwerckeu, da theils gewercke immer aufs ungewisse auch mit zubusse
fortbanen. Dieses Jahr habe ich mich völlig in allem unterrichtet, was
zu diesem Werck gehöret und was dabey zu thun; wollte wünschen,
dass ich ehistens wider etwas Geld bekommen könnte, iu dem guten
Anfange fortzufahren.
Mein französisch Dictionnaire71) ist biss auf den letzten Buchstaben
fertig. Nun kan ich sagen, was von altteutscher Sprach noch im
heutigen Französich übrig; und weil ich es in diesem Werck nicht hab
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Job. Leonh. Krisch'« Briefwechsel iirit G. W. Uibnir.. 17
■
aasführen können, warum ich dieses oder jenes Wort zu einem andern
Ursprung als die andern geführt, werde ich es in einem absonderlichen
scripto mit der Zeit thun. Zu meiner Teutschen Etymologie-Arbeit71) hab
ich eine neue auflag des Somneri Vocabul[arium] anglo-Sax[onicum] be-
kommen in 4°, durch Thom[as] Benson sehr vermehrt73). Der Herr Rath
Müller hat die Feuer-Casse doch noch zum Bestand poussirt. Crossen
bekommt 70000 thlr., vom Brandschaden sich wider zu erhohlen, es
schliesst sich nun niemand mehr aus. Ich verbleibe etc.
Joh. Leonh. Frisch.
Berlin den 12. Septemb. 1708.
12.
Frisch an Leibniz.
Hoch Edler pp. Weillen Ew. Excell[enz] immer einige Nachricht von
hieraus verlangt, auch in dero geehrtesten an mich dero glückliche An-
kunfft in Hannover74) berichtet, habe ich hiemit meine Schuldigkeit in
acht nehmen wollen. Der Herr Hofrath Hofman") ist sehr schwer zu
sprechen, weil er den ganzen tag auf dem Schloss und überdas sehr in
Kranckheiten gebraucht wird. Ich hab ihm Ew.Exc[ellenz] brieff überreicht,
aber noch nicht so mit ihm reden können, wie ich gewollt. Ich bin
recht froh, dass er jezo hier, da wegen unsers Seidenwercks ich keinen
finde, der es eher zu begreiffen und es zu befördern geneigt scheint.
Es ist diesen Frühling ein Neapolitaner Tfi) vom Herrn von Kraut77) zu
mir gewiesen worden, welcher ein wohlerfahrner Planteur der Maulbeer-
bäume, von welchem ich viele Vortheil wider gelernet, weil er überall
nebst der experienz auch die rationes physicas zu geben weiss. Zu
Cöpenik habe ich alle fruchtbare Bäume erfrohren7*) gefunden, aber die
Maulbeerbäume ohnbeschädigt Der Planteur zu Glienike, der sieh
bissher des Potstamischen Gartes mit angenommen, ist bey mir gewesen
und Vermeldet, dass er die Bäume, so daselbst in der Baumschule ge-
standen, etlich hundert an der Zahl, diesen Frühling an statt der aus-
gegangenen und an die noch leeren Pläze versezen lassen; wozu ich ihm
auch die benöthigte Unkosten für Arbeiterlohn gegeben. Die Bäume zu
Spandau habe ich einem Franzosen verpachtet und ihm den benöthigten
Wurmsaamen gegeben, dass er die 200 Bäume, so daselbst auf dem Wall
stehen, nuzen dörffe. Auf den Wällen habe ich wieder einige 100 Löcher
machen lassen, weil ich vermeinte von Bornim junge Bäume zu bekommen;
weil aber der Frost die zarten Spitzen etwas beschädigt, habe ich den
Planteur gebetten, sie noch biss auf den Herbst stehen zu lassen.
Ich verbleibe etc.
J. L. Frisch.
Berlin den 20. April 1709.
4
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18
Job. Leonh. Frisch » Briefwechsel mit G. W. Leibniz.
13.
Frisch an Leibniz.
HocbEdler pp. Die Hof- und Amts Kammer hat mit dem Genueser
zu genau gedinget, dass er mir von Wien aus schreibet, er könne das
Pfund unmöglich für 4 thlr. lieffern, dann es wären die Bäume an vielen
orten in Italien so zugerichtet von der Kälte, dass sie froh gewesen, nur
Blätter zu sehen, die Früchte habe fast niemand gesamlet. Er hat mir
zur Prob 2 Pfd. geschickt, aber nicht anders als für 6 thlr. das Pfd.
Wann es Ew. Exc[ellenz] nicht zu theuer, will ich ein Pfd. überschicken.
Es ist einer von den Amts Kammer Rathen, Hr. Treumann an mich
gewiesen worden wegen aussaat der Maulbeerbäume ihm nebst dem
Italiener, wovon ich voriges mahl geschrieben, mit Rath an die Hand
zu gehen. Es wird doch nichts daraus und wird die Societät endlich
alle diese Bäume bekommen, daher ich desto >ieber mich gebrauchen
lasse. Oder es kan alsdann, wann ja diese künftige erwachsene Bäume
unter die Landleuthe vertheilt werden, die Societät einige puncten ihres
Privilegii in den gang bringen. Die Bäume zu Spandau hab ich einem
Franzosen überlassen, welcher der Societät ein Stramlein Seide Zinse
gegeben, weil ich ihn das erste mahl nicht übernehmen wollen. Nun wird
es erst bekannt, wo Maulbeerbäume stehen und wem sie zugehören.
Meister Otto hat dieses Jahr wider einige Erndt im Cöpenikischen Maul-
beer-Baumgarten gehabt, aber der Planteur spielt Meister, will ihn nicht
mehr hineinlassen, wie dann auch nicht wohl zu rathen, dass künfftig
etwas hinein gesäet werde. Es wird denen ohudem magern Bäumen
alle krafft entzogen, sonderlich da schlecht oder gar nicht gedünget wird.
Die neugesezten Bäume auf dem Wall haben doch so viel Noth gelitten
vom Winter, dass sie jezt erst meistens vertrockenen. In den Baum-
schulen aber stehen die jungen Bäume sehr schön. Weder Potsdam noch
Cöpenick hat einigen Saamen getragen, dann die blätter haben kaum
kommen können. Dahero muss ich fremden Saamen haben. Ich habe
dieses Jahr einen Kessel machen lassen, der unten flach auf Italienische
Art, zum Seidenspinnen, welcher künfitig immer nebst den naspel kan
gebraucht werden, wie dann die Französin von Spandau ihre Cocons
damit abgesponnen. Die Anwesenheit der beiden Könige90) hat die
solennität mit der Inaugurirung des Observatoriisl) verhindert. Wegen
der Hecken bin ich schon lang bemüht gewesen, aber es will mir niemand
von Hof an die Hand gehen, dass ich Arbeit und Düngung umsonst
bekäme. Sonst ist es der Societät nicht zu rathen, dass sie ihre Bäume,
welche sie an andere ort in die weite verpflanzen kan, noch mit ihren
Unkosten in die Hecken verstecken soll, da sie nicht den zehenden Theil
genuss davon haben kan. Herr Hehse'2) hat das seine redlich gethan,
aber wir finden kein gehör. Nun da die Amts Kammer die Weinberge
zur aussaat nimmt, werde ich mich bemühen, dass mir die Weinberge
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Joh. Leonh. Frisch 4 Briefw'erhBi'I mit G. W. Lcilrfiic 19
zur Verpflanzung einiger tausend jungen Bäume gelassen werden. Auf
den Wällen, sonderlich hier, finde ich viel difficultäten wegen des ver-
pflanzens: bald macht mir dieser, bald jener Hinderung; bald werden
die Wälle da erhöht, dort geändert, und muss man immer mit denen
Bäumen Schaden leiden. Auf dem lande würde es ebenso gehen. Doch
hone ich durchzudringen, wann mir mit benöthigten Unkosten an die
Hand gegangen wird. Ich kan ganze Parjuet von memorialen und brieffe
weisen, biss ich es nur dahin gebracht, wo es jezt ist; aber Geld kan
ich nicht vorschiessen. Ich hab die 150 thlr. so angewandt, dass ich
den Grund zu einem grossen Werck gelegt. Künfftigen Herbst muss
ich wider auf den Wällen Löcher machen lassen, einige 1000 Bäume
dahin zu sezen, welches täglich Geld erfordert. Wann mir die Societät
einen Mann hielte um einen jährlichen Lohn und etwas zur Kost ver-
machte, würde es am besten seyn, sonst kostet es gar zu viel.
Ew. Exc[ellenz] seyen so gütig und muntern mich durch dergleichen
assistenz ferner auf, sonst muss ich mit Spott davon ablassen, da ich
mich am Hoff und in der Statt, ja im ganzen Land dess wegen schon so
weit eingelassen, dass ich weiss nicht was für Beynahmen davon
bekommen. Ich verbleibe indess mit allem gebührenden respect Ew.
Exc[ellenz] gehorsamst ergebener Diener
Joh. Leonh. Frisch.
Berlin den lezten Julii 1709.
14.
Frisch an Leibniz.
HochEdler pp. Weilen nicht allein im Privilegio schon der Hecken ge-
dacht wird, sondern auch Ew. Excellenz immer darauf ein Absehen gehabt,
als hab ich schon vergangenes Jahr allhier im Königlichen] Hofgarten s3)
und anderswo die Maulbeerbäume so säen lassen, dass gleich ein dick
gehäge daraus werden kan, ohne weiteres verpflanzen damit vorzunehmen.
Wie dann diese Hecke im Hofgarten als jezo erst im andern Jahr und
an einem unbequemen ort, nemlich an der Mitternachtseite angelegt,
doch fein zu steigen beginnt und fast halb Manns hoch über die ganze
Breite des Hofgartens steht. Wodurch auch die AratsKammer und der
Herr Graf von Wittgenstein **) sehr überzeugt worden, dass es mit diesen
Bäumen auf allerley Weise angehe; daher sie dem in meinem vorigen
gemeldetem Italiäner auf mein anhalten eine feine pension gemacht, nemlich
wöchentlich zwey thaler, und bey Ihro Königlichen] Majestät Küchen-
garten zu Ruhleben zwischen Charlottenburg und Spandau hab ich ihm
wöchentlich einen Thaler verschafft, biss er Proben seiner Kunst abgelegt.
Auf den Wällen will ich an einigen Orten die Bäume als dünne
Hecken anlegen lassen, wo sie nicht wie Zäune dörffen beschnitten
werden, auch nicht dreyfach hinter einander stehen, sondern nur einzeln
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20 Joh. Leonh. Princhs Briefw«ch«el mit (3. W. Leibni«.
•
neben einander; solche Hecken glaube ich dass sie nüzlich seyn and
schön stehen werden, so viel mist nicht brauchen und freye rafft haben,
auch den Würmern wohl anstehen, als worauf am meisten zn sehen.
Wann mir mit einem solchen Handlanger an die Hand gegangen wird,
so soll man künftig Jahr den Wall fein besezt sehen. Es ist ein Franzoss
hier, starckund arbeitsam, ein guter gärtner and Baum verständiger, welcher
mir um 20 biss 30 thaler das Jahr über, wann man mit dergleichen
arbeit umgehen kan, an die Hand gehen, Gruben und Graben machen,
Bäume buzen, dieselben, sobald sie nur etwas tragen, pachten und von
seinem lohn abgehen lassen, endlich noch zulegen will oder mehr Persohnen
stellen, das Werck besser zu treiben. Der Italiener hat mir gezeigt, wie
man die jungen Bäume mit Vortheil versezen, wann und wie offt man
es thun könne. Es ist zu Göpenik ein Schweizer, welcher sich erbietet,
den Garten mit schar zer Erde ein Stück nach dem andern zu beführen,
man soll ihm aber den genuss davon auf gewisse Zeit lassen; welches
dem Garten grossen Vortheil schaffen sollte. Der Mann würde auch
verbunden seyn, den Zauu, obgleich nicht so kastbar wie jezund, doch
so im Stand zu erhalten, dass die Baume keinen Abbruch leiden. Zo
Potstam werde ich auch suchen einen solchen Mann zu bekommen, der
um des Gartens willen bey der plantation die Unkosten erspart; erwarte
hierinn E[w]. Exc[ellenzj ordre.
Es kommt hiemit das Pfd. Maulbeerbaum-Saame, von welchem nicht
leichtlich ein einig Körnlein ausbleiben wird, weil ich Körner davon
abgezählt und vor einigen Wochen gesäet, so alle aufgegangen. Sie müssen
nur vorher zum wenigsten 24 stund inFlusswasser eingeweicht und in frisch-
gegrabene Erde gestreut werden, im Frühling nicht zu frühzeitig gesäet
und, wann sie heisse Tage gehabt, anfanglich, biss sie bekleibt, mit
gebrochenen Wasser oder Flusswasser des Abends begossen werden.
Weil die blaue Farbe zimlich bekannt wird, als finden sich einige,
welche meinen, es seye nur gebesserter Indig, stümpeln dahero auch
dergleichen Färb zusammen, welche die Mahler betrügt, weil sie die
Prob nicht hält und doch für Preussisch blau, wie unseres allhier aus-
gegeben wird, als bin ich von vielen Mahlern ersucht worden, ein gewisses
Zeichen auf unsere hiesige zu machen und die approbation der Societät
der Wissenschafften wegen der Invention, der acadamie aber der Künste
ihre wegen der tüchtigkeit und güte dieser färbe dazu zu sezen. Wann sich
dieses wegen der Societät thun liesse, mögte ich von Ew. Excjellenz]
wohl vernehmen, wie es geschehen könnte. Ich wollte nur sezen lassen: mit
Approbation der Societjät] der Wissenschafften und Academie der Künste
Sr. Königlichen] Majfestät] in Preussen, und den Preussischen Adler mit der
blauen Färb dazu gedruckt, welches keine andere Farbe von blauer Mahler-
farb ausser Ultramarin thut. An meiner chymischen Düngung hab ich
fast gezweifelt gehabt, aber nun treibt sie mir einige Pflanzen
Job. Leonh. Friechs Briefwechsel mit G. W. Leibn«.
21
6 mahl so starck, als sie vorher gewachsen, welches mir wider Hoff-
nung macht
Die Feuer-Caasa ist in völligem Gang und H[er]r Müller hat seine
ordentliche Besoldung alle quartal zu heben. Dem Cajetano hat man
vom Galgen vorgeschwazt; er sucht kahle ausfluchte, unter andern: er
habe es verschworn in Cüstrin etwas zu tingiren, man soll ihn an einen
andern Ort thun; welches man erklärt, dass er besser daselbst durch-
gehen könne. Filmey soll einen Füllten von Lichtenstein um eine summa
Geldes erwischt haben, darff sich daher nicht viel sehen lassen. Herr
Günther") macht eine bequeme art grosser Feuersprizen, die ungemein
starck Wasser sprizen und leicht zu tractiren sind. Ich verbleibe mit
allem schuldigen respect und offerirung meiner wenigen Dienste Ew.
Excellenz gehorsamst ergebener
Joh. Leonh. Frisch.
Berlin den 25. Aug. 1709.
15.
Frisch an Leibniz.
HocbEdler pp. Die AmtsCammer hat bissher einen trefflcheu
Plaz auf Angeben des Italianischen Gärtners tief rigolen und wohl be-
dungen lassen; 7 PerBohnen haben schon 6 Wochen daran gearbeitet.
Der Italiener hat auf meinen Antrieb diesen Plaz in denen Königlichen]
Weinbergen desswegen erwehlt, damit die Societät dereinst desto eher
wegen ihres Privilegii um den genuss anhalten darff. Ich habe bey der
Societät die continuation der Maulbeerbäum-Plantation getrieben und
vermög eines extracts aus dem Protocoll erhalten, dass ich einen Planteur
annehmen darff, welcher anfänglich mit etwa dreyssig thalern will jähr-
lieh verlieb nehmen und diesen Herbst noch anfangen, Gräben auf den
Wällen zu machen, um künfftigen Frühling die bäume en haye darein
zu versezen. Ich bin nun auch hinter den Vortheil gekommen, die Seide
weiss zu machen, und zwar so, dass, wo mir die Franzosen 8 loth ab-
gang rechnen, ich nur fünfte habe, welches dereinsten im grossen viel
austragen wird. Es hat unsere Seide, wann sie vom Gummi befreyt,
ein solch lnstre, dass ich keinen Unterschied unter der besten Seide sehe,
die man hier zu kauff hat Ich habe einige Strenlein geschwefelt, wo-
durch die Seide noch weisser wird, aber hernach keine Färb mehr an-
nimmt und im Pfd. einige loth Zusaz bekommt Unsere blaue Färb
hat H[er]r Qverfurt,"i) zu Wolffenbüttel sehr gut befunden und einige
Quantität für sich und andere kommen lassen. Auf anhalten einiger Mahler
tiatt H[er]r Diessbach unterdessen beyliegenden Zettel drucken lassen,
damit sie doch einige Information davon bekommen. Ich habe mit einigen
membris der Societät wegen der approbation geredet: Herrn Hofruth
Hofmann87) ist sie von einigen Monathen her bekannt; H[er]r Werner**)
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22
Joh. Leonh. Frisch 8 Briefwechsel mit G. W. Leibnix.
welcher sich von einem desperaten lager wider erhohlt, hat sie schon
lang gebraucht nnd in quantität verschickt. Und weil sie dieser nebst
andern Künstlern so gut befindet, wird man das votum der Mahler oder
virtuosen minorum gentium nicht verlangen.
Die Herren alchy misten sind durch des Cajetani elendes Ende doch
nicht abgeschröckt, sondern halten ihn noch vor einen adeptum, weil er
biss an sein End beständig bejaht, dass er die tinctur gehabt habe und
noch machen könne. Ich habe mit des Dieszbachs menstruc^^) die tincr
turam Martis") so blutroth ausgezogen,, dass H[er]r Kath Hofmann ein
ganzes Register geben will, vor was alles sie in der medicin gut seye.
Die tincturam Yeneris: I) habe ich so grün davon, dass es ein Lu6t anzu-
sehen. Und wann ich die tincturam Martis in Wasser giesse, so tingiren
wenige tropffen eine grosse quantität des Wassers. Die tinctura Veneria
aber mit spiritu salis Amoniaci gemenget gibt eine solche blaue Färb,
dass dergleichen nie gesehen habe, und tingirt auch hernach das Wasser,
so dass ich zur erquickung der Augen immer einige Glässer vor mir
stehen habe. Aber zu keinem corpus kau man diese Bläue bringen.
Wann wir sie von aller corrosivität reinigen könnten '^O, wollten wir mit
diesen tincturen solchen Wein und geträncke färben, dass man mehr von
diesen Schaugeträncken, als von allen Schau-Essen halten sollte.
Ew. Exc[ellenz] sagten vor einiger Zeit, dass des Francisci Junii Glos-
saria'-*4) in Engelland sollten gedruckt werden ; bissher hab ich nichts davon
erforschen könner. Ich kan von dieses Mannes Etymologischen Schrillten,
wie sie Hikesius,,a) erzehlt, nichts zu sehen bekommen. Wann etwas
sollte publicirt seyn, bitte ich gehorsamst, mir den ort kund zu thun.
Des Bensons vermehrtes Engelsächsisches Vocabularium des Somneri hab
ich bekommen; aber des Skinneri Englisches Etymologicum kan ich
nicht erfragen. Ich hab den Agapetum1'7) für hiesige Schulen auflegen
lassen und dazu über 12 editionen conferirt. Ich verbleibe etc.
Joh. Leonh. Frisch.
Berlin den 28. Sept. 1709.
16.
Frisch an Leibniz.
Berlin den 9. Nov. 1709.
HochEdler pp. Der HofCammer befehl, die Bäume in den pro-
vinzien zu pflanzen, hat nichts können ausrichten, weil kein Amtman
gewust, wo er Maulbeerbäume hernehmen solle. Der Planteur, der von
der Societät angenommen worden, bekommt 30 tlilr. des Jahrs, biss man
sieht, was er vor Dienste thun kan. Ich hab dem General Major einen
Zettel fürgeschrieben, wie ich gern und wo ich auf- und an den Wällen
wollte passiren und ungehindert vor denen Wachten bleiben, welchen er
auch, wiewohl mit lachen unterschrieben, dass ich ihm ein solch modell
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Job. Leonb. FriBcb's Briefwechsel mit G. W. Leibni*.
fürgeschrieben. Ich hab darauf in der Fausse brave9*) wollen anfangen
lassen zn graben, allein weil ich die Bäume nothwendig rauss begiessen
lassen und mit demselben begiessen viel UngelegeDheiten haben würde,
als hab ich in dem bedeckten Weg angefangen, da ich das Wasser gleich
ans dem Graben hohlen kan. Der Graben, worein die Bäumlein kommen
sollen, liegt diesen Winter also offen und im Frühling will ich einige
tausend hinein sezen lassen. Den Garten zu Cöpenik will ein Franzoss
in den Stand bringen, so dass er alle Bäume will beschneiden und säubern
lassen, zu allen Mist führen und sie der Societät alle brauchbar lieffern
wofür und wozu er aber, weil es geld und zeit erfordert, den Garten
auf 5 Jahre haben will. Weil ich nun bissher geseheD, dass der Garten,
wann ihn nicht jemand als sein eigenes wartet, alle Jahr unbrauchbarer
wird, als hab ich dieses erbieten des Franzosen der Societät vorgetragen,
welche auch biss auf Ew. Exc[ellenz] consens bewilligt. Wegen auskochung
der Seide hat es diese beschaffenheit, dass, wo der Gummi nicht völlig
herab kommt durch das Kochen, die Seide nimmermehr den behörigen
Glanz und gelinde weiche Art bekommen kau. Die Flonnacher, welche
etwas starrendes verarbeiten können, sind die einigen, welche die rohe
Seide kauffen, die andern müssen sie alle kochen, wie ich bey diesen
Tieathen täglich sehe, und bieten sie ein grosses recompens, wann man
sie ein ander Mittel lehrte, damit nicht so viel abgienge. Es verliert
die Seide wohl etwas von der gelbe, aber es bleibt auch die weisse Seide
doch rohe Seide. Ich hab sie gar in die Sonne gehängt, ausgespannt
und gebleicht, aber doch nichts ausrichten können, weil der Gummi so
häuffig daran, dass ich mich verwundert, da ich ihn eindistillirt.
Hiemit kommet eine lateinische relation von der blauen Färb"),
welche anfängt sehr bekannt zu werden. Herr Qverfnrt zu Wolffenbüttel
und andere im Braunschweigischen lassen sie in Quantität hohlen. Wer
sie einmahl gebraucht, kommt ordinair wider und höhlt mehr. Wegen
des Titels kan leicht eine änderung geschehen und kan das Berlinisch
Blau genannt werden. Das Kupffer, so in dem nienstruo des H[er]r[n] Diess-
bachs sich so grassgrün aufgelöst, färbt das Papier durch und durch
grün. Es ist H[er]r Diessbach bemüht, eine leichtere und wohlfeile art
zu finden, das Papier durchaus lieblich grün zu färben, dass man schwarz
darauff drucken könne.
Die lateinische Grammatik unter denen neuen Schulbüchern10") wird
ehistens fertig seyn; mit der griechischen bin ich auch über die Helffte
fertig. Herr Lange'01) ist zwar nach Halle gekommen, aber er meinet
doch, er wolle das, was er von dieser Schularbeit übernommen, daselbst
verfertigen. Den codicem des Ulphila hab ich, sowohl des Junii edition
als des Stiernhilms'01). Aber vom Willeram des Junii ;ftS) hab ich noch
nichts gesehen, hab auch bissher nichts von seinen andern Schrifften,
die er doch so offt citirt, zu sehen bekommen können. Hikesius sezt sie
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24 Job. Leouli. Frisch a Briefwechsel mit G. W. Leibnu.
unter die MSS. Die Russische, sowohl vulgare als gelehrte oder scla-
vonische Sprach gibt mir in der. teutschen etymologie ein grosses Licht
und hab ich einige 100 Wort schon aufgezeichnet, welche wir mit ihnen
gemein haben. Mein Glossarium Marchicum1") vermehrt sich auch immerzu,
da dann freylich viel vom platteutschen überhaupt mit einläufst, aber
auch einige Wörter bleiben, die sonst kein Niederteutscher verstehet.
Es ist ein gewisser Kauffmann aus Sachsen hier gewesen, welcher
bey dem König um ein Privilegium angebalten, die 8eide im land zu
erzielen. Da ich dann von einigen ministris befragt worden, ob die
Societät es verhindern wolle, da ihr doch kein Eintrag dadurch geschehe.
Allein es scheint, der Mann hat sich wider verlohren. Ich hab geant-
wortet, dass ich befehi hätte, mich stricte an das Privilegium zu halten.
Ich verbleibe etc.
J. L. Frisch.
17.
Frisch an Leibniz.
Berlin den 30. Jan[uarii] 1710.
UochEdler pp. Der Herr Hofrath Cuno hat die von Ew. Exc[elleuz]
zurückgeschickte notitiam caerulei Berolinensis10*) zu denen noch übrigen
Stücken gelegt, welche in die Miscellanea kommen sollen. Der Buch-
drucker Wessel ist der ungeschickteste, den wir hier haben, sobald etwas
ausser seinem Schlendrian zu thun ist; daher ich ihm auch nur den Titel
blau zu drucken nicht vertrauen dörffen. Wann ich künfftig gelegenheit
sehe, will ich blau und grün drucken lassen. Unterdessen kommt die
blaue Färb immer in grössere bekanntschafft So lang es diesen Winter
offen gewesen, hat der hiesige Planteur der Societät in dem bedeckten
Weg an dem Graben gearbeitet, worein wir diesen nächsten Frühling
die jungen Bäume sezen wollen. Die zu Spandau sind auch um das
vierdte Pfd. Seiden verpachtet und zu Potsdam verhoffe ich auch Lenthe
zu bekommen.
Des Francisci Junü Evarigel[ia] Gothica hab ich, auch des Stiernhielm
edition dieses Codicis des Ulphilae, aber vom Willerain hab ich noch
nichts gesehen. Es kan mir niemand recht sagen, ob das diejenige
Bibliothec zu Oxfort gewesen, welche neulich verbrannt, worein des
Junii MSS. vermacht worden"*). Es wäre ein unwiderbringlicher Ver-
lust wegen dieser und anderen raren Schrifften. M[onsieu]r la Croze"") hat
sein Lexicon Sclavonicum absolvirt, woriunen er einen grossen vorrath
von radicibns und andern vocabulis hat; welcher desswegen bessere
nachricht als ich geben kan, ohngeachtet ich ihm die erste manuduction
Kegeben. Herr D. Mencken108) von Leibzig hat mir schöne Moscowitische
Scripta geschickt, welche ich ihm extrahire, damit er sie in den Actis
recensiren könne. Sie sind dialecto nissica gesell rieben, welches vor
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Job. Leonh. Frisch 8 Briefwechsel mit G. W. Leibniz.
25
diesem nie gesehen; sie sind charactere tachygraphiae Rassicae1w>) ge-
druckt, dergleichen nie gesehen worden; und ist das eine die übersezung
des Sturms von der Fortification, das andere die Übersezung der Erz-
herzoglichen Handgriffe, das dritte: von den Signalen, die auf der
czarischen Flotte gegeben werden, das vierdte: Formulare der brieffe,
so teutsche Potentaten an einander schreiben, das fünffte: von Ver-
schanzung eines Lagers und andere Fortifications-Lehren109). Der Kauff-
raann aus Sachsen hat sich nicht weiter gemeldet, seinen Nahmen hab
ich nicht erfahren.
Unter den vocabulis marchicis110), die andere nicht leicht verstehen,
sind e. g. diese: piras: lumbricos. kilitte: papilio. Kuhsche, ein ge-
feuchtet Brod im Bier. Eum: ein Trog; Stampkum: Stopftrog, myran:
formicae. Dez: caput (testa Ital.). Dernze: Stube. Duhs: das feinste
Mehl. Kiez: eine Fischerhütte. Dülte: eine gepichte hölzerne Kanne.
Koboldschiessen: culbute Gall. Keck: der Halss oder das Dicke unter
dem Kien. Kolter: das Plugeissen, so über der Schaar ist (culter) etc.
Bei dem Wort Keck erinnere ich mich eines discurses, den Churfurst
Fri6dr[ich] Wilhelm mit einigen Poinmern gehalten: da er unter andern
zu ihnen sagte, er könnte den dialectum der Pommern wohl verstehen,
brachte ihm einer von den Rathen diese Wort zur Probe für: „Si, wu
de Gäre111) sitt, un besabbelt den Keck mit de Bullegraven112)", welches
der Churfurst nicht verstund; sie heissen so viel: „Siehe, wie das kleine
Mägdlein sizet und begeiffert den Bart oder das Unter-Kien mit Heydel-
beeren." Es lanffen freylich einige Wörter mit in das Niedersächsische,
einige ins Pommerische, haben aber alle, soviel ich gesamlet, etwas be-
sonders wegen der Etymologie oder anderer Umstände.
Die Feuer-Cassa ist in völligem Gang. H[er]r Müller bekommt zwar
nicht alles, was er sagt, dass ihm versprochen worden, doch aber das, was
ihm nach abzog geblieben, bekommt er richtig. Von M[onsieu]r la Ramee' n)
and dem mechanico mit dem neuen Brennglass hab ich nichts gesehen noch
gehört. H[er]r Stark lebt jezt hier, hat etwas weniges von der Königlichen]
Bibliothek und arbeitet an Übersezung eines Rabbinischen Buches.
Befehle mich schliesslich nebst an w unschön g eines glücklichen fortgangs
des Neuen Jahrs in ferner geneigtes angedenken und verharre etc.
«loh. Leonh. Frisch.
18114).
Frisch an Leibniz.
HochEdler pp. Weil Euer Excellenz in den meisten Briefen, wo-
mit sie mich beehrt, auch von unserer chymischen Arbeit allhier Nach-
richt begehrt, hoffe ich, sie werden sich Einschluss nicht missfallen
lassen. Es ist ein Pulver von H[er]r[n] Diessbach, welches mir bissher
grössern effect gethan, als alle dergleichen, die ich jemahls probirt. Des
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26
Job. Leonb. Friscb'8 Briefwechsel mit G. W. Leibniz.
Meders11') seines (welcher nunmehr gestorben) und des Felmi Sudeley
haben mir nichts anders gezeigt, als bey bösen Gemüthern eine gelegen-
heit zu filoutiren. Dieses aber hat etwas solidere. Ich mercke, dass
das Werck aus dem Kupfer geht und H[err] Diessbach versichert mich,
er habe das Pfd, 2n ) bissher über 3 thlr. nach abzug aller Unkosten
genossen. Man rühmt von den Yenetianern, dass sie dieses secret haben,
das Ou:) aus dem Ungarischen Kupfer zu scheiden, und sollen ihre
zechini daraus gemünzt werden. In Ungarn hab ich solche Umstand
davon gehört und gesehen, dass ich es selbst vor sehr wahrscheinlich
angesehen, weil sie das Ungarische Kupfer alles zusamkauffen und theurer
bezahlen, als andere können. Es wäre zu den Kupferbergwercken auf
dem Harz kein geringer beytrag.
Wegen der Verpflanzung der Bäume bin ich jezo beschäftigt, ich
lasse in die tieften Gräben, die ich in der Contrescarpe machen lassen,
anstatt des ausgeworfenen unfruchtbaren Sandes bey jezigem Tau- Wetter
den Gossenkoth führen und oben darauf noch Mist und gute Erde, dass
ich holte, die bäumlein sollen in kurzein recht wohl bekommen. Auf
dem Wall will ich auch fortfahren lassen. Die Societät hat mir ver-
sprochen, 20 biss 30 thaler zu diesem betraf auszahlen zu lassen.
Herr Günther lässt sich gehorsamst empfehlen: er mechanisirt
artige Dinge, und da ich ihm sagte, ob er nicht auch Canonen machen
könnte, die als Wind-Büchsen wären, bezeugte er mir, dass er schon eine
also zugerichtet, die eine Kugel von 10 Pfd. schiesset. Bekommt er
das perpetuum mobile nicht, wie es bissher noch keiner bekommen, so
wird er doch etwas solches zuwege bringen, das von so leichter
mobilität seye, als vielleicht noch keine machine gewesen. Wann dieses
Mannes gutem naturel die Kunst zu hülff käme, er würde, wie Diess-
bach, extraordinair schöne Dinge hervorbringen. Ich verbleibe etc.
J. L. Frisch.
§
19.
Frisch an Leibnix.
HochEdler pp. Diesen Frühling haben wir die erste Verpflanzung
gethan und auf den Wall vom Königsthor an biss über das Spandauische
hinaus an die Spree, theils fast ruthen weit von einander, theils en haye
bey 700 dreyjährige und zweyjährige Bäumlein, in der Contrescarpe aber
vom Neustätter thore,,s) an rechter und linker Hand gegen das Leip-
ziger thorny) über 3000 gcsezt. Ich hab zwar gemeint, die Societät
werde mir etwas dazu geben, wie mir dann Herr Hofrath Cuno zu
30 thalern Hofnung gemacht, ich habe aber hernach gemerckt, dass sie
die 30 thlr. meinen, so dem Planteur jährlich verwilligt worden. Ich
hab indessen den Vorschuss gethan und muss sehen, ob ich aus dem
Werck selbst mich nach und nach bezahlt machen kau; werde auch bey
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Joh. Leonh. Friscb s Briefwechsel mit G. W. Leibniz.
27
gelegenheit die Rechnung überlieffern, welche nicht eininahl auf 30 thlr.
steigt. Zu Cöpenik hat ein Frauzoss einige großse Stühle oder Säulen,
welche zu ausbesserung des Zaunes da lagen, weggeführt; ich bin endlich
dahinter kommen, und weil 3 Ruten vom Zaun eben an selbigem Ort
eingefallen, hab ich bey dem H[errn] Oberkammerhern angehalten, dem
Oberamtman zu Cöpenik anzubefehlen, dass er den Franzosen, welchen
ich überzeugt habe, anhalte, die Säulen in eben der qualität und quan-
tität an den Ort hinzulieffern, wo er sie weggeraubt, oder ich müste
zum Schimpf des Gartens das loch am Weg offen stehen lassen; worauf
gleich ordre ergangen. In der Contrescarpe sind auf einmahl über
200 Bäumlein gestohlen worden ; der Planteur ist auf die Spur kommen
und ich habe eine Stund hernach mit Soldaten hausssuchung thun lassen
und sie alle wider bekommen bey einigen Franzosen, deren Kinder sie
ausgezogen hatten. Ich hoffe, sie sollen alle wider bekleibeu. Der
•Soldat, so nicht weit davon Wache gestanden, sollte durch die Spiss-
mthen lauffen, aber er kam noch mit gelinderer Straff davon.
Herr Günther ist endlich überzeugt, dass das perpetuum mobile
nicht angehe, aber er wül ein facillime mobile machen, wozu noch mehr
apparenz ist, als zu jenem. Sonderlich könnte er nuzen schaffen, wann
er eine Wässerungsmachine hier einführen könnte, dass wir aus der
Spree die daran liegenden Felder und Wiesen bewässern könnten, welches
mit den sonst gewöhnlichen Rädern wegen des stillfliessenden Wassers
nicht angehet. Ich verbleibe etc.
J. L. Frisch.
Berlfin] den 3. Maji 1710.
20.
Frisch an Leibniz.
HochEdlerr pp. Ew. Excell[enz] anschlag mit einer Wässerungs-
niachine auf art der Windmühlflügel hat mich bewogen, die proportion
des Triebs unserer Spree zu nehmen und es im kleinen zu probiren, da
ich ihm die force zu verdoppeln also zu hülff gekommen : ich hab zwey
solche räder von Windmühlflügeln an den Wellbaum in nöthiger distantz
gefügt und zwischen diesen beyden Flügel-Rädern ein Schuzbret biss
auf den boden oder soweit und tieff als die Flügel ins Wasser gehen,
abgesenkt, wodurch das Wasser, so auf das Schuzbret stösst, neben
demselben hinaus mnss und dadurch die Flügel merklich stärker treibt.
Wann man eine solche Wässerung in unserer Mark könnte anstellen:
es wäre ein Werk, der Societät eine grosse revenue zu machen. Ich
* getraue mir, in drey Jahren vermittelst der Spree- Wässerung viel schöne
Stücke unsers Sandlandes zu Wiesen zu machen, und das, was wir vom
König umsonst haben können, um eine feine Summe zu verkauffen oder
zu verpachten. Wann die Soiietät zu einerprobe etwas anwenden will,
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28
Joh. Leonh. Frisch h Briefwechsel mit ö. W. Leibni«.
so habe ich hier tüchtige mechanicos und handwerksleuthe an der Hand,
mit denen ich es getraue zu Stand zu bringen. Die jungen Maulbeer-
bäume stehen ganz wohl, sonderlich die auf dem Wall, also dass ich bey
denen Herren Generalspersohnen desswegen in gutem credit stelle, weil
sie sehen, dass es angehet. Es sind von 700 auf dem Wall sehr wenig
ausgeblieben. Mit dem Cöpeniker Garten steht es fast desperat; ein neu-
licher Sturmwind hat die eine Seite vom Zaun ganz umgeworffen, dass
also eine Öffnung von 600 Schritt da; Vieh und Wild kan hinein und
werden die Bäume viel gefahr auszustehen haben. Wann die Societät
nichts daran wenden will, so offerire ich hiemit, mein möglichstes sowohl
an Unkosten als Sorge anzuwenden, ihn in bessern Stand zu sezen, auch
ein kleines Hüttchen darein zu bauen und einen Mann zu halten, der
seiner immer pflegt, wann ich Versicherung haben kan, dass man mir
dereinst die nöthigst daran gewandte Unkosten restituiren oder denselben
für einen gewissen Pacht vor andern lassen will. Ew. Excfellenz] seyen
so gütig und befördern. dieses, damit auf eine oder andere Weiss dieser
Plaz genuzet werde.
- Herr Günther hat ein schön modell von Feuersprizen fertig, dadurch
nach proportion, so oflft das Rad an dem grossen Werk, so er macheu
will, umgeht, drey Eimer Wasser ungemein hoch heran sgesprizt werden.
Ich verbleibe etc.
J. L. Frisch.
Berlin d. 7. Julfiij 1710.
21.
Frisch an Leibniz.
HochEdler pp. Es hat sich H[err] Hofrath (Juno und H[err]
Secretfarius] Jablonski die Mühe genommen und sind mit mir auf Copenik
gefahren, da sie dann den schönen grossen Plaz gelbsten besehen, wie
er von dem Planteur ruinirt worden, auch für gut befunden, das Werk
inskünfltig recht auzugreiffon. Der hier angenommene Planteur will den
Cöpenikischen zugleich versehen, daselbst wohnen, und der alte Planteur
soll für seine pension, wann er sie behalten sollte, wöchentlich einige
Tage in dem Garten arbeiten. Es haben einige Leute, welche die Span-
dauischen und andere Bäume gepachtet, am Hofe viel wesens mit der
Societät-Seide gemacht, sonderlich hat ein Atlass-Weber 7 Stück Atlass
von allerley färb dem König gezeigt, welcher von mir ein attestat be-
gehrte, su ich ihm aber nicht gegeben, biss er mir gezeigt, dass er unsere
Seide auf den Stuhl gebracht, die von mir gezeichnet gewesen. Sie hat
«in schön lustre und kan viel thaler am cento wohlfeiler gegeben werden
als die fremde. Die Bäumlein auf dem Wall haben über Ellen hoch
getrieben. Wann die Societät in den Stand kommt, wie mir boffhung
Job. Leonh. Frisch'« Briefwechsel mit f+. W. Leibtm.
29
gemacht wird, werde ich einmahl bitten, meine Rechnung anzuhören, wie
ond wozu ich das mir anvertraute geld angewandt.
Herr Starkens Bächer sind verauctionirt worden, wovon ich ein«
sinnliche Partie gekaufft, absonderlich des Eustbatii Homerum in fol., die
Römische edition'*); item ein Manuscriptfum] diehistoriam Manichaeorum
Serapionis1' ) griechisch, welche bissher nur lateinisch im Druck gesehen
worden. In der griechischen Grammatik'2*) bin ich im Syntax. Ich hab
zwey capita von der Derivation und Compositum bey den Griechen
gemacht, welche die wenigsten Gramatici berührt. Es wird die griechische
in möglichster Symphonie, sonderlich der capitum und andere Stücke
mit der lateinischen Grammatik gemacht. Es wird nächstens ein Auszug aus
den Epist[olis] Cic[eronis] ad fam[üiares] und ad Attic[nm]? auch aus andern
autoren, als dem Plinio etc., nach den profectibus der discentium in gewisse
classen getheilt, zum gebrauch der Märkischen Schulen gedruckt werden.
Weil ich gesehen, dass die Logic einem Manne sollte auszuarbeiten gegeben
werden, der dazu gar nicht aufgelegt, hab ich es dahin vermitteln helffen,
dass sie einem andern zugekommen, der wohl in Jahr und tag noch
nicht gedencken wird, wie er anfangen müsse, da dann die Societät, wann
sie einen tüchtigem Vorschlag wüste, unterdessen eine herausgeben und
wegen einfuhrung besorgt seyn könnte. In unserer Schul sollte es zuerst
geschehen.
Der Cronprinz richtet zu Magdeburg im Citadell eine kleine Aca-
demie für cadetten an; das Werck dirigirt ein gewesener Hauptmann
Nahmens Bosse'"), mit welchem ich hier bekannt worden: ein guter
mathematicus und in allerley Wissenschafften wohl versirter Mann. Es
sollen die jungen Edelleuthe absonderlich zu mathematischen Wissen-
schaften gezogen werden, auch zu Historie und Sprachen etc. Ich ver-
bleibe etc.
.1. L. Frisch.
Berlin den 7. Novfembris] 1710.
22.
Frisch an Leibniz.
Hoch Edler pp. Wegen H[errn] Kemmerichs'24) wird Ew. Exc[ellenz]
schon Nachricht von M[onsieu]r Ancillonias) oder H[errn] Kemmerich selbst
empfangen haben. Ich kenne ihn nicht. Meine gute Freunde bezeugen
mir, dass seine condnite mit seiner gelahrtheit übereinkomme. Die Hecken
von Maulbeerbäumen sind, wie Ew. Exc[ellenz] schreiben, sehr practi-
cable und können gleich im andern Jahr genuzt werden; bey uns zu
Berlin sind sie um so viel besser zu nuzen, weil man ihre zarten blätter
denen Würmern fast biss auf die lezte Woche geben kan: hernach mit
denen grossen bäumen das lezte Füttern absolviren. In zweierley fällen
aber, wann einer lauter Hecken und keine grosse bäume hätte und doch
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30
Joli. Leoni». Friscli's Briefwechsel mit <*. \V. I.eibniz.
viel Würmer, oder wann einer die gärten von seiner Würmer-Kammer
etwas weit entfernt hätte und in der fütterungszeit regenwetter einfiele,
so würde es solche difficultäteu sezen, in welche sich tumme anfanger
nicht leicht würden schicken können. Dann um solche Zeit moss man
zum wenigsten auf 2 tag allzeit blätter im vorrath haben. Die Hecken-
blätter aber dauern kaum einige stunden, sind bald so welck, dass sie
der Wurm nicht mehr anrührt. Im anfang aber, ehe man so grosse
Quantitäten Würmer hält, sind sie ganz gut und bekommem in einigen
Jahren bald so starcke blätter, die länger und mehr stunden können auf-
bewahret werden. Ein artig experiment hab ich vergangenen frühling
gehabt, woraus ich gesehen, wo der Durchlauf der Würmer und das
daraus folgende löcherichte Spinnen der Cocons herkommt. Ich habe
Würmer in ein egal warmes Zimmer gethan also dass ich die Grad der
Wärme mit dem Wetterglass gemessen : da hab ich kaum einige löcherichte
Cocons bekommen, welche vielleicht von solchen löchericht spinnenden
Würmern hergekommen; worinnen ich gleichfalls die versicherte Prob
habe, dass ein solcher Wurm, so von krancken alten herkommen nimmer
wider zurecht zu bringen, sondern die Kranckheit der alten auch bei-
der besten Warte bekommt und untüchtige Eyer spinnt. Hingegen hab
ich von andern Würmern in einein andern, nur etwas kältlichen, sonst
aber wohl verwahrten gemach viel solche Würmer bekommen, die alle
löchericht gesponnen, dann die reinlichkeit dieser Creatoren lässt nach
Proportion der grosse ihrer Kranckheit entweder ein oder zwey löcber,
damit sie in der Arbeit nicht etwan mit ihrem fluxu ventris ihre Arbeit
innen besudeln. Ich hab hierinnen die Grad so observirt, dass ich sie
wegen dieser Kranckheit dahin gebracht, dass sie das seltsamste gespinst
gemacht, sogar dass einige nur den Kopff als in eine Kugel eingesponnen
und den Leib ganz heraus geblieben. Ich hab daraus so viel schon
gelernet, dass was die andern in ihren Schrifften den blättern schuld
gegeben, die durch gewisse Meelthau sollen verderbet worden seyn, viel-
mehr vom Wetter und übler Verwahrung der Zimmer hergekommen.
Weil ich denen Würmern solche blätter vorgelegt, und niemahl gesehen,
dass sie dieselben auch bey grossem hunger gefressen, sondern sind
darüber hingekrochen; weil dieser Wurm seine meiste Sinnlichkeit im
geruch und fühlen an den tag gibt; welcher geruch so delicat, dass er
unter vielen blättern das gute heraus sucht, und so starck, dass er ein
blat 1V2 ruten weit riechen kan, so ich mit den frisch auskriechenden
Würmlein zum öfftern probirt. Ich hoffe durch dergleichen Observationen,
die ich alle Jahr zu befestigen suche, die Seidenzucht in grössere bestän-
digkeit zu bringen, als sie jemahls gewesen. Ew. Excell[enz] verzeihen
mir meine Weitläufftigkeit hirvon.
In dem garten zu Cöpenick will ich lauter Heckengänge anlegen
und dieses Jahr zum wenigsten ein viertheil daran also zurichten lassen.
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Job. Leoni». Friucha Briefwechsel mit G. W. Lehnte. 31
•
Ich habe die Leute, so von unsern bäumen Seide gemacht um gewissen
Pacht, dahin gebracht, dass sie die Seide in meiner gegen wart auf den
Stuhl tbun und alle umstände verrichten müssen, dass ich gesehen, dass
keine fremde dazu kommt, wie dann unsere Seide um des egalen ge-
spinstes willen von allen andern distinguirt ist. Von dieser Arbeit sind
dem König 5 Stück des schönsten Atlasses überreicht worden. Tch hab
von meiner haussarbeit wohl dreyerley Stück feinen Zeuges wircken lassen,
da ich zu 40 Ehlen nicht gar Pfd. gute Seide vonnöthen gehabt. Also
dass ich durch Zeigen und überlieffern so vielerley gewirckes den Hoff
ganz voll gemacht, dass die Societät halb und halb gezwungen wird,
ein mehrers als bissher zu thun.
Es sind nunmehr drey jähr, dass ich hierinnen nach möglichkeit
gedient, hoffe, man wird desswegen inskünfftig solche reflexion auf mich
machen, dass, wie mir Ew. Exc[ellenzJ hoffnung macht, mir eine billige
Ergözlichkeit dafür gemacht werde, sonderlich da in heranwachsen des
Wercks die versäumung meiner andern Verrichtungen gemehret wird.
Wegen der Logik wäre es eine arbeit, die unsterblichen Danck
verdienete, wann unter Ew. Exc[elleuz] direction sich jemand fände, solche
auszuarbeiten. Es haben die Schulrectores dieselbe einem Mann gegeben,
der wohl so laug er lebt wegen Kranckheit und Verdriesslichkeit kein
caput absolviren wird; ob er es sonst kan, weiss ich nicht. Die Societät
inu88 hier das Werck wegen Scientien angreiften und nebst der Ehre
auch den profit ziehen.
Es ist hier ein gewisser feiner mathematicus , H[errJ Moilwiz'-,:),
welcher mein Tischgenoss und mir in der mathesi einige anweisung gibt,
welcher das vorhabende Wässerungs-Werck zu befördern als ein guter
mechanicus sehr geschickt ist. Er findet die Wiudmühl-Flügel sehr
practicabel und weil hier der Wind nicht recht gebraucht w ird ausser
von einigen Windmühlen, er aber die Horizontal- Windmühlen absonderlich
versteht, so dass er alle Unkosten restituiren will, wann sie nicht an-
gehen, als meinet er, dass man an einigen Orten die tiefte des Wassers
und seinen wenigen Trieb mit solchen langen Flügeln im Wasser ge-
brauchen, an andern orten einige solche Horizontal-Flügel aufrichten
könnte, die da immer pumpten und die Pläze wässerten. Wollte die
Societät hierinnen einigen geringen Vorschuss thun, solche machinen zu
machen, so wollte ich gern hierinn dienen, sonst werde ich und Herr
Mollwiz eine Compagnie mit einigen bemittelten Persohnen machen, vom
König genügsame unfruchtbare Pläze dazu ausbitten oder kauften und
Vorgänger werden, dem terrain unsers Lands auf diese Art zu hülff zu
kommen.
Mein Lexicon12 ) ist zu Leipzig unter der Presse. Es hat mir Herr
Gleditsch13*) schon einige Bogen davon geschickt. Ich verbleibe etc.
Berlin den 20. Nov[embris] 1710. Job. Leonh. Frisch.
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32
Joh. Lconh. Frisch'» Briefwechsel mit CS. W. Loibnir.
23.
Frisch an Leipzig.
HochEdler pp. Dass Ew. Excell[enz] mich bey dem H[errn] von
Prinzen l2y) recommendiren und mich zu denen Qualitäten, die sie mir in
der recommendation bey legen, geneigt aufmuntern wollen, erkenne ich
mit allem gehörigen respect und versichere, dass ich eifferigst bemühet
seyn werde, mich solcher affection, durch welche ich auch bey einem
solchen grossen Königlichen] minister bekannt werde, nicht unwürdig zu
machen. Ich werde ein Stündlein ablauern, demselben meine Aufwartung
abzustatten. Den 4. December war die Societät auf dem observatorio
beysammen. Es wurde die neue Verordnung130) ausgetheilt und ein jedes
departement wehlte einen directorem. Es wurde vorher eine Eintheilung
herum geschickt, da sich ein jedes membrum unterschreiben musste, in
welchem departement es mitzuarbeiten beliebte. Herr Krug13') war nicht
dabey, ist aber doch in der classe medica und physica zum director
gewehlt worden. Es kamen auch zwey neue membra mit, als H[err]
Hofprediger Achenbach1") und H[err] Dr. Volkmann113), Rector im Jochim-
thal[schen] Gymnasio. Die Franzosen fielen im 3. departement, nemlich
in der Cultur der teutschen Sprach und teutschen Historie auf den Hjerrn]
Rath Schott114) und überstimmten die andern mit ihren votis, weil er
ihnen wegen der französischen Sprach besser an die Hand gehen könne.
In summa: weil die Societät noch in infantia ist oder dieselbe kaum
verlassen, so passirten auch bey einigen Umständen solche Dinge, die
dieses Alter zu haben pflegt. Die Herrn Directores wehlten hernachmahls
den H[errn] Hoffprediger Jablonski185) zum ersten vicepraesidenten in
einer sonderbahren Zusammenkunft*. In diesem Neuen Jahr, zu dessen
glücklichen anfang Ew. Exc.fellenz] hiemit gebührend gratulire und alle
fernere Prosperität an wünsche, ist die Societät wider beysammen gewesen,
da ihr dann das inaugurations reglement vorgelesen wurde, welche den
tag1'6) nach dem Crönungs-Gedächtnüs geschehen soll, Es wurde auch
resolvirt, [an] welchem tag wöchentlich die Conferenzen künfftig sollen
angestellet werden und wurde der Donnerstag beliebt. Der H[err] Hof-
pred[iger] Jablonski unterliess nicht, Ew. Exc[ellenz] honorificentissime zu
gedencken und dero gegenwart zu wünschen, worinnen ihm alle beyzu-
fallen ursach hatten. Es erwehnte H[err] Jablonski, dass der Cronprinz
ehmals versprochen, seine mathematische instrumenta, deren er einen
ganzen Kasten voll hatte, der Societät zu geben, wann er würde sehen,
dass etwas darinnen gethan würde. Allein ich hab diesen Kasten schon
bey dem H[errn] Hauptmann Bossen gesehen, welchem der Cronprinz
denselben zur neuen Cadettenacaderaie zu Magdeburg verehrt; ist also
dieses schöne praesent versäumt worden.
Es ist nicht allein der H[err] Obermarschall137), sondern auch der
H[err] Oberkammerherr1:'s) von hiesigen Hoff weg, doch nicht auf einerley
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Job T.eouli. Kiiscli'.s ftiiifwerliscl mit (i. W. I.dlmiz. 33
Weist*. Ich bedaure sie gleichfalls wegen der gnade, die sie mir bevin
Seidenwerck, auch sonsten, bezeugt. Dass aber der faule Planteur zu
Copenik eine stüze seiner bissherigen conduite verlohren, freuet mich
nicht wenig und hoffe ich aus selbigem Garten noch was schönes und
nüzliches zu machen. Ich will ein quartier als einen Irrgarten anlegen,
dem noch mancher Berliner zu gefallen reisen und dem Planteur einige
groschen accidens eintragen soll. Ich habe wider etwas frischen Wiirm-
saamen ans Italien erhalten, aber allbereit unter den hiesigen zur
erfrischung gemenget.
Zwey von denen ehmahlen eingenommenen drey membris haben
wenig reputation hier behalten, nemlich II[err] Ölven und H[err] v.
Meisebug13*): der dritte manutenirt sich kümmerlich, nemlich H[err]
Marperger; er hat ein Lexicon unter bänden auf art des französischen
Academique, was die termiuos teehnieos im teutschen und andern Dingen
anlangt, allein es wird sehr zerstümmelt sein, weil er allein thun will,
was dorten ihrer so viel in so langer Zeit kaum gethan. Von meinem
französisch teutschen Lexieo ist ein aiphabet fertig. Gleditsch schickt
mir alle Bogen, damit ich das teutsch französische auch verfertigen
könne, wozu mir ein paar verstandige Franzosen vielen Beytrag thun.
Ich will es dem H[errn] v. Prinzen dediciren, um ihm dadurch sowohl
als Cousistorial- als Sociotäts-Praeses rechenschaft von meinen Neben-
stnnden zu geben und mich zum gemeinen besten ferner zu insinuiren.
Die drey von denen Herrn directoren sind von der Baum- und Seiden-
zucht zimlich informirt und nicht wenig überzeugt, dass es practicabel,
den vierdten, nemlich Hferrn] v. Krug hoffe ich zu gewinnen, also dass
mir das concilium hernach desto mehr wird unter die arme greiften.
Ich verbleibe etc.
.1. L. Frisch.
Berlin den 12 Jau[narii] 1711.
24.
Frisch an Leibniz.
HochEdler pp. Weil E[w.] Exc[ellenz] in M[onsieu]r la Croze briefen
einem mich erinnern lassen, zu schreiben, hab ich daraus geschlossen,
dass sie mir es werden zu gut halten, wann ich hieinit beschwerlich
bin. Ich wollte nicht ehe schreiben, biss ich etwas in die Miseellanean;')
übersehieken könnte. Allein ich bin durch andere Dinge so distrahirt
worden, dass ich dissmahl noch nichts beyfügen können, hoffe aber
nächstens mit der origine Sclavonica einiger Nanicu der Länder, Stätte
und Ürter, so aus der Geographie sonderlich Teutschlandes bekannt
sind, fertig zu werden und es Ew. Exe[ellenz| zu überschicken, ob sie
es tauglich finden, in die Miscellanea zu sezeu'"}. Ich habe auch an-
gefangen Observationes über des Du Fresue Glossarium Lat[iiiuniJ "•) zu
6
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34
.Mi. Lt;onli. Frisch * r.rict'wi iliscl mit (i. \V. Li'ilmi*.
machen und habe literam A fertig: ingleichen über des Menagii Urigines
( "lallicas' 1 ) , wovon ich auch literam \ fertig ha Im*. Wann es Ew.
Kxc[ellenz| gefällig, will ich es mit ühersehieken. Wegen unsers Seiden-
werks habe ich einen Streich gemacht, der mir so glücklich angegangen,
dass es jezt mit vollem Trabe anfangt zu gehen. Man will einen garten
kauften, da man biss 30000 Käumlein in die Schule sezen kau, ein haus*
dazu bauen und viel andere vorher nie angehörte Dinge thun. Wie
lang diesser Kiffer währen wird, weiss ich nicht; doch ist es leicht,
nachdem das schwerste überwunden und das Kiss gebrochen ist, anjezo
fortzufahren. Jch werde nicht unterlassen, mit aller Dienstfertigkeit
mich der Sache nach meinem wenigen vermögen ferner anzunehmen.
Wir haben eine autliam'") pneumatieam bekommen und dieselbige
einige mahl mit den gemeinesten Experimenten versucht: IlferrJ Rath
llofmann hat sie auch sehr gut befunden; aber dieser Herr wird uns
leider entrissen" ) und gebt wider nach Halle. Herr Mollwiz hat ein
model von einer llorizontal-W iudmühl machen lassen, weil sich U[err]
v. Kraut eine solche Mühl zu einem Springbrunnen will in seinen garten
sezeu lassen.
Die blaue Färb fangt immer stärcker an zu gehen und tluit den
Mahlern gute Dienste. Zur chymiseltcii Arbeit hab ich es zwar bey der
Societät dahin gebracht, dass man einige instrumenta angeschafft, aber
weiter kommt es nicht. Ks muss einmahl ein Keil kommen wie bey
dem Seideuwerk. Hoffe, Ew. Exc[ellenz] werden Ihre ehmahlige gewo-
genheit gegen mich ferner eontinuiren, verbleibe etc.
Job. Leonh. Frisch.
Berlin den 1 Martii 1712. ' t
25.
Frisch an Leibniz.
HochEdler pp. W ann ll[err] D. (Johl1") aus dein freyenwaldisehen
Brunneu nach vertliessung der Sommerzeit wider kommen wird, als
wobev er ordentlicher Medicus ist, wollen wir unsere observationes
chvinicas wider anfangen. Anstatt der Kitter-Acadcmie1'7), so einge-
gangen, nimt jezt die kleine Academie vor allerhandt Standspersohncn ,
so M[onsieu|r Briand") angerichtet, fein zu. Die Anstalten sind besser und
versprechen mehr Dauerhaftigkeit. Es wurde anfänglich nur für so
junge Herrn angerichtet, welche der grossen Academie noch zu klein
waren, damit dieser kein Abbruch geschehen möge: nun aber dörffen
wohl Anstalten auch zu einer grossen gemacht werden. Ich habe bissher
noch immer darinnen informirt, und sind bischer bald auf einander
Ü" Moscowitisdie Prinzen oder Knaescn zu uns gekommen, nemlicb
3 Ifepnin und 3 Dolgoruki, deren jene Brüder, diese von verschiedenen
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Jon. Leonli. Krisch s Bricfwi-i bsi'l mit <i. W. Leihniz.
Yättern; du mir dann mein weniges von der Kussischen Sprach wohl zu
statten kommt.
Wegen unsere Seidenwercks stellt es noch in den alten schläfferigen
anstalten. Der albere Italiäner1'') hat einen Haspel machen lassen, der
von solcher grosse, dass wir ihn bey dem gröstcn flor solches Wcrcks
kaum brauchen sollten, nimmermehr aber brauchen werden. Es sind
dergleichen Sudel-maehinen in Italien an vielen Orten vcrbotten. Es ist eine
Königliche] Comtnissiou wegen des Seidenwerks gehalten worden, wovon
H[err] Secretarius Jablonski wohl Nachricht wird gegeben haben. Ich
werde in keinem Stück mehr, wie ich es um die Soeietät vermeine ver-
dient zu haben, in 5 und mehr Jahren, da ich dieses Werk zu treiben
gesucht, considerirt, und unterlasse doch nicht, so viel dabey zu thun,
als ich kan. Man heisset uns bey Hoff des grands faiseurs de rien.
Ich habe von der Commission nicht das geringste gewust oder erfahren,
da ich doch denen Herren Commissariis hätte die beste Nachricht geben
können. Meine administration hat der Soeietät nichts gekostet, und
wünsche, dass die neue nicht mehr kosten möge. Ich habe aber von
Ew. Exc[ellenz] nicht wenig Grossmnth gelernet, wie man durch die
Hinderung des eigenen corporis Societatis müsse suchen durchzudringen,
nachdem ich durch die raillerien des Hofs und der Bedienten desselben
an vielerley Orten durchgedrungen. Gott erhalte Ew. Excfellenz] noch
lange Jahre, dann wann noch etwas geschieht, so thut man es aus ge-
bührender Reflexion auf Sie, sonst wäre unser Werck ein Gespenst und
Schatten, über den man sich ungemein moquiren würde. Der Mann zu
Spandau hat 20 Pfd. gemacht, nicht 50, wie Ew. Exc[ellenz] berichtet
worden; zu Köpenik ist gar nichts gemacht worden, und zu Potstam
auch nicht. Man sagt von grossen und feinen anstalten aufs künfftige
Ja.hr in diesem Stück, aber ich kan es nicht glauben, biss ich es sehe.
Zum wenigsten ist der Herbst schon da und noch nicht ein mahl ein
Plaz gekaufft, da ich doch unterschiedliche angewiesen und in meinem
garten durch deu Augenschein an etlich 1000 Bäumlein gezeigt, wie
practicable es seye, in dem unfruchtbarsten Sand solche gärten anzu-
richten. Künfftige Michaelis soll Herrn Bernoulli1 u) zu Leipzig ein' ■„. Pfd.
von dem Berlin[er] Blau bey HferrnJ J. Fr. Gleditsch zu Dienste!! stehen,
dafür 15 thaler ordentlich bezahlt wird. Ich verharre etc.
J. Ii. Frisch.
Berlfin] den 2 Sept[embris] 1712.
26.
Frisch an Leibniz.
HochEdler pp. Das gebäude, wo rinnen ich wohne, ist unverlezt
in dem grossen Brand' ') stehen blieben, da doch auf der einen Seite
die Kirche, auf der anderen das magazin und hinten die daran stossende
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36"
.loh. I.i'<>nh. Krisch'8 Briefwechsel mit G. W. Leihnir..
Schul abgebrannt. Uberdas war wenig Wasser zu bekommen und
wurden alle Leute vom löschen weggenommen samt deuen Sprüzen, die
auch schon glimmende Acadeinie zu retten, also dass ich aus vielen
glimmenden alten Balcken das Feuer mit Stücken von Tachziegelu aus-
gekrazt. Bey dieser gelegenheit hab ich gesehen, was für elende Sprizen
allhier sind. Herr Günther hat ein feines model gemacht von einer
Sprize, mit einem Strahl, ohne Windkasten, wofür er 200 thlr. recompens
bekommen, und sind 12 grössere Stücke bey ihm bestellt. Unser Seiden-
werk hat noch ein schlechtes ansehen. Ks ist noch kein Plaz gekaufft
zur Verpflanzung der vielen Bäumlein. Man communicirt mir fast gar
nichts mehr und will mit gewalt mit Schaden klug und müde werden.
Zu Cöpenik wird die Societat eine Persohn auf ihre Unkosten halten;
welches ich ehmals auf meine Unkosten gethan und Schaden dabey
gehabt. Der unnüze Italiäner' -j ist abgeschafft. Herr Molwiz hat das
monopolium von Blevwalzen erhalten; er schafft (bis hiev so dünn, als
man niemahls gehabt, und woldfeiler, als man es bissher ins land geführt.
Herr Gleditseh hat mir noch nicht geschrieben, ob ein Basler wegen
Herrn Bernoulli bey ihm gewesen: ich kau so viel Farbe nicht machen,
als zum voraus bestellt. Es haben mir einige Italiener viel Geld für
das Secret gebotten, aber vergeblich, dann ich geniesse dasselbe schon
bey dem geringen debit, als interesse von 12000 thlr. capital, und dahin
erstreckt sich ihr gebottenes geld nicht.
Als Jhro Maj[estät] der ("zar1 *) hier war, Hess er meine 6 junge
Knesen, die ich in der information habe, alsbald hohlen und fragte nach
ihren studien. Es sind 3 Dolgoruki von zweyerley Fürsten dieses
Namens, und 3 Repnin gebrüder. Ich habe die Ehre gehabt, den hiesigen
Herrn envoyc, (trafen von Golowkin1 l), auch 2 .fahr zu infonniren, als
er vor 7 Jahren hier war. Wann man doch bey ilujo] Czarischen
Maj[estät] könnte einen befchl auswirken, dass Sie ein rechtes Lexicon
machen Hessen. Das l'olycarpi1 ' ) seines ist nicht zulänglich, dann da
ist kein Unterschied unter dem Selavonisehen und Russischen bemerkt,
auch das griechische und andere dazu gesezte Sprachen nicht wohl
getroffen. Es würde denen unter uns sich aufhaltenden Moscowiteru gute
Dienste thun und viele von uns geschickter machen, ihnen zu dienen.
Ich verbleibe etc.
.1. L. Frisch.
Berlin den 29 OctobjnsJ 1712.
27.
Frisch an Eeibniz.
Monsieur1 '). Wegen des Seideuwerks bey der Societat ist bissher,
nachdem man mich der Ehre eines mandatarii hierinnen, weiss nicht
aus was für Absichten, überheben wollen, viel confusion vorgegangen.
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Job. Leonh. Frisch » Briclwcehsel mit G. W. Leibniz.
37
Da das concüium beschlossen, es soll mir alles communicirt werden, ist
es in bagatuellen etwan geschehen, in andern puneteu, wo ich schon mit
Schaden klug worden, und zwar mit meinem Schaden, hat man es auf
der Societät Schaden wider versucht. Es hat mich vor einigen Monaten
das i'oncilium ersucht, des HferrnJ Seeretarii1 ) Rechnungen durchzu-
gehen, und habe ich gesellen, was für ein [ literschied unter meiner
Aufsicht dieses Werks und unter des Suecessoris: wo ich 6 gr. Zehrungs-
kosten augesezt, sind da 6 thlr. etc. Aus was Frsachen, und ob H[errJ
Gundelsheim 1;,>) der Sache übel gewogen gewesen, weiss ich nicht. Da
der Herr Feldmarschall1 ") hörte, dass ich nichts mehr bey dem Werc.k
zu thun, liess er alle Schlächter und Viehhändler auch seine eigene Kühe
auf die Contrescarpe treiben und unsere Pflanzen daselbst elend zurichten.
Ich hab es endlich völlig stehen und gehen lassen und für mich etwas
angefangen. Weil meine Färb zugleich in grossen debit kam, also dass
verflossenes Jahr allein auf l'aris 100 Pfd. gelieflert worden, davon
wir, das Pfd. für 30 thlr., bey 3000 thlr. gezogen, habe ich vor hiesigem
Spandaiiisehen Tohr1 ") 10 Pläze an einander zusammen gekauft't, jeder
40 ruthen ius gevierdt, und darinnen allerley. experimenta, sonderlich
aber mit Pflanzung der Maulbeerbäume und Hecken gemacht; auch dieses
.lahr mit einigen Pfunden Seiden den anfang zum genuss dieser Pflanzen
gemacht
Das aufgerichtete Theatrum anatoinicuin1,:i) wird wohl bleiben; aber
vor den schönen angelegten hortum botanicum ist es schad, dan es kan
niemand mehr so viel daran wenden als H|err] Gundelsheim aus eigenen
Mitteln getahn. Bey der Societät wird es fast täglich seblätteriger in
allen departementen. Neulich ist die vicepraesidentenstelle wider an
H[errn] Hott'prediger Jablonski gekommen, da unter andern H[err]
Achenbach proponirte, ob nirht die sämtlichen membra ött'ter als jährlich
nur einmahl könnten zusammen kommen, und man allda von der Notturfl't
der Societät deliherirte, dass es nicht alles auf die wenigen directores
imConcilio ankäme, man auch sich unter einander besser kennen lernte,
wann es wenigstens alle viertel Jahr geschehe; welchem alle bey fall
gaben. Ich behalte indessen bey aller Schläfrigkeit derauderneine ungemeine
last, sonderlich in physicis etwas zu thun. Es sind nun zwey Jahr, dass
ich die insecta und ihre Natur untersuche um zu sehen, ob Schwammer-
daml,:), Kedi"'), Johnston1 7, (ioedart1 ") und andere in ihren obser-
vationibus nicht biss weilen betrogen worden, vieles übersehen, vieles gar
nicht gesehen.
Herr Eckart1 ) hat mich mit seinem etymologischen teutscheu
Lexicon fast erschreckt, aber ich habe mich doch wider erhohlt und
fahre fort, in dieser Materie meine gedancken aufzuzeichnen: es wird
doch immer einer etwas haben, das der andere nicht hat. Ich möchte
gern die eorrespondenz dieses hieriuuen so erfahrenen Mannes haben.
38
Joh. Leonh. Frisch s Briefwechsel mit G. \V. Leibniz.
Ich hab gehört, er sey auf Hannover gekommen, weiss aber keine addresse
an ihn. Herr Spener1 •>) hat der Herrn von Putlitz Historie und Chrouik
verfertigt, weil es aber zu weitläufftig, auch nöthig hat, noch einmahl
durchgegangen zu werden, ist es bissher liegen blieben ; ich hab aus mehr
als 200 diplomatibus eine Landcarte des Bistum Havelbergs1 dazu
gemacht, welche ich gern wider haben möchte als ein Stück der
Geographie mittler Zeiten, davon man noch so gar wenig hat. Ich verbleibe
Joh. Leonh. Frisch.
Berlin den 26 Julii 1715.
28.
Frisch an Leibniz.
Wegen dor hiesigen Academie berichte, dass auch diejenige, so
M[onsieu]r Briand angefangen und in zimlichem Flor war, so dass etlich
20 Fürsten und Grafen und andere Standspersohnen darinnen waren,
auch schon zergangen. Ich hab einige .Jahr darinnen informirt, und der
director, den ich gesucht, so lang es möglich war, mich meiuem genügen
vermögen, theils durch informiren, theils durch geld vorstrecken zu fristen,
hat endlich schimpflich durchgehen müssen und mich unbezahlt gelassen.
M[onsien|r Colas, u) ist bedauernswert und ist ohne Zweiffei in seinem ge-
wissen Beginnen aus Neid gestört worden. Seine curiosität übertrifft aller
anderer ihre, die hier dergleichen von sich ausgeben und mir bekannt
sind. Wer Hferrn] Gundelsheim als Leibmediens succedirt, weiss ich
nicht gewiss: wir bekommen nicht viel gewisse Nachricht aus dem
Lager.
Bey der leztenSonnenfinsternüs war auf dem Königlichen] observatorio
eine grosse frequenz von allerley feinen leuten. Einer von den fremden
fragte ein membrum der Societät, ob nicht die Societät antienge, eine
Fabel zu werden, wann man nicht besser continuirte ? Da zeigte ihm dieser
das Observatorium und sagte: Tantum tarnen nobis profnit haec tabula.
Herr SeeretjariusJ Jablonski hat etwas wegen der teutschen Orthographie
trucken lassen, welches den auslandischen membris nur zur Prüfung soll
geschickt werden, wird aber im Buchladen nicht verkaufft. Ich bin etc.
Joh. Leonh. Frisch.
Berlin den 30 Augfnsti] 1715.
29.
Frisch an Leibniz.
Monsieur. Nach Ew. Excellenz verlangen berichte, dass H[err]
Raht Schutt bissher so übel auf gewesen, dass er kaum das leben hat;
der König hat ihm noch etwas pension gelassen; M[onsieu]r la Croze171)
aber hatte sie biss auf 100 thlr. verringert, bekommen : weil er aber doch
zufrieden gewesen, ist ihm eine Zulage von 100 thalcrn geschehen. Auch
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Job. Leonh. Frisch* Briefwechsel mit G. W. Leibni«. 39
hat er das Glück gehabt, ans einer holländischen Lotterie 2000 thaler
zu gewinnen, welches mich so sehr und mehr gefreuet, als wann es mir
selbst geschehen. Herr «lablonski hat seine tentsche Orthographie mit
in die conferenz gebracht, ancli den meinbris nach hauss gegeben, da
dann unterschiedliche mahl darüber conferirt worden, und hat vielen
vieles nicht augestanden , ist daher viel dabev erinnert und geändert
worden. H[err] Müller17-') zu Wien hat Ew. Exe[ellenz] Kaht gefolgt
und wird wirklich in Bergsachen gebraucht. Sein Schwiegersohn, ll[err]
Dieszbach, ist hier und steht mit mir wegen der blauen Färb in societät:
hat sein reichliches auskommen, so dass er seinem Schwiegervatter schon
einige mahl succurrirt. Herr Müller ist wohl capable, sich selbst etwas
zuzuschreiben, davon er nichts weiss. Beati possidentes. Ich lasse gern
allen den Ruhm der Erfindung, aber es hat sie sonst keiner als ich.
ll[err] Diessbach hat die Arbeit davon, welche mir zu viel Zeit von
meiuen studiis wegnehmen würde. Er war neulich todkranck, da wir
danu beide eine solche disposition gemacht, dass das secretum keiner
v«u uns beiden verlieren kau. In Handgriffen ist er in der Chvmie
vortrefflich, aber er hat kein fundament der Wissenschaft und der Natur.
Ich habe ihn wegen seiner treue und Willigkeit über H Jahr den meisten
Unterhalt gegeben. *
Es siml ein paar Cartätsehen,; ) aus (ienev unterwegs und schon
zu Leipzig, ein paar hab ich dem H[errn] v. Arnim171) verkauft*, welcher
als Landvogt in der ganzen Lkermark und Königlicher) Geheimer Hallt,
in seiner Herrschaft, die biss 20 Dorfer begreift*, die Seidenzucht glücklich
auf mein angeben angefangen, so dass mir H[err] v. Gambke17 ) als
praesident über die AmtsKaimner neulich auch einen boten geschickt und
will es auf seinen Gütern auch anfangen: wodurch nach und nach ein
Weg wird gebahnt werden, dass der König durch solche Herrn wird
bewegt werden, die Sache und die Societät gnädiger anzusehen. Ich
verbleibe etc.
.J. Ii. Frisch.
Berlin den 14 Sept[embris] 171">.
30.
Frisch an Leibniz.
Monsieur. Wenn die Herren Oameralisten zu Hannover einen
Bericht abstatten, der das Seidenwerck Sr. Britannischen] Majestät beliebt
machen hiltVt, werden sie sich das ganze Land nebst der allergnädigsten
Herrschaft* verbunden machen. Ich werde alle Jahr mehr überzeugt,
wie vortheilhatt'tig dieses Wen k sey und wie leicht es in den stand zu
bringen, wo man ein wenig au die Hand gehen will. Aber die Jtaliäncr
inuss man davon weglassen, sie seyen wer sie wollen: sind sie hohen
Standes, so haben sie diss Werck in seinen geringen Umständen nicht
40 Job. Leonli. Frisch "s Briefwechsel mit G. W. LeibniK.
practicirt, sondern nur mit Würmern gespielt; sind sie geringen
Standes, so wollen sie gleich directum und grosse pensionen haben,
wissen auch 1000 difficultäten zu machen, wodurch das Werck ins stecken
kommt. Ich habe es nun so weit vom anfang biss zum Webstuhl, dass
es einem Landmann, sonderlich in kleinen Stätten nicht einen Pfennig
kostet, wann er selber mit den seinen Hand anlegen kan und will.
Herr von Kamke, als Praesident in der Amtskammer allhier, hat eine
quantität Bäume von mir hohlen lassen und in Pommern anf seine Gütter
geschickt; der H[err] geheime Raht von Arnim hat auf seiner Herrschafft
Bötzenburg in der Ukermark dieses Jahr einige Pfd. Seide bekommen,
welche quantität sich jährlich mit der grosse der Bäume mehren wird.
Ich habe diesen Sommer für mich experimenta gemacht mit den
Insectis und es so weit gebracht, dass ich überzeugt bin, die Insecta
bleiben auf keinem Baum, der recht gesund ist, und je mehr darauf
sind, je elender steht es um den bäum. Ich habe auch im Weinbau einen
Versuch getahn und dieses Jahr von einer kleinen quantität Weinstöcken
3 Tonnen Wein bekommen. Wegen fortpflanzung der Maulbeerbäume
ohne Saamen habe ich eine bequemere und nüzlichere art als die Gärtner
mit ihrem einlegen bissher, getahn, welche ich künfftig commnniciren
kan, wann ich zuvor einige hundert "^ur Probe dastehend habe. Ich
habe hier auch angefangen, Süssholz17') einzulegen, wie ich es im Bistum
Bamberg gesehen, und sind mir die Pflanzen wohl beklebet, dann unser
sandiges terrein ist bequem dazu. Ich verbleibe etc.
Jon. Leonh. Frisch.
Berlin den 16 Nov[embris] 1715.
31.
Frisch an Leibniz.
Monsieur. Meister Otto ist etliche mahl bey mir gewesen und
lässt sich gehorsamst empfehlen; er meint, man habe seiner zu Hannover
vergessen; er ist dörft'tig. Hierboy kommt ein exemplar von H[errn]
Jablonski Orthographie: es sind nur einige exemplare gedruckt worden,
den merabris zu eommuuieireu, ihr gutdüncken einzuhohlen und ist keines
in die Buchläden gekommen. Es rnoquiren sich viel darüber und sagen,
man spüre den Pollaken gleich im ersten periodo. Es ist darüber conferirt,
aber nur das corrigirt worden, was dem eoneipienten beliebig gewesen.
Ich bin froh, dass aus der edirung des Taciti de mor[ibus] Germ[anorum]
nichts wird'- ), als wobey viel zu erinnern übrig geblieben. Ich habe
im studio geographiae schon viel Jahr gesucht etwas zu ediren, und
vermeinet, einige membra der Societät zu gehilfien zu bekommen; nachdem
ich aber sehe, dass man mich allein lasset, so fange ich auch allein an
und will nach und nach von Brandenhurg[ischen] .Landen specialissimos
herausgeben, in dein formal als die ('hiirteheu sind, st» an dem geo-
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Joh. Leonh. Frisch'» Briefwechsel mit G. \V. Leibnir. 41
graphischen Calender17*) allhier sind. Der anfang geschieht von einem
theil des Fürstenthums Bayreut, welches das fünifte theil desselben ist,
und weil es von den andern vieren abgesondert liegt, ist es noch mehr
als die andern von allen Geographis negligirt worden. Es ist die Haupt-
mannschafft Neustatt an der Aisch, 5 ineil von Nürnberg17'). Ich hab
mich einige Jahr daselbst in oeconomischer bedienung aufgehalten und
bey vielen hiu - und herreissen alles, sogar alle Mühlen aufgezeichnet,
das meiste nach der Geometrie und Trigonometrie. Die Statt Neustatt
hab ich selbst in Holz geschnitten, so dass nicht ein geringes gebäude
ausgeblieben. Hoflfe, es solle dergleichen arbeit dem publico angenehm
seyn. Befehle mich etc.
Joh. Leonh. Frisch.
Berlin den 29 Nov[embrisl 1715.
32'*").
Leihniz an Frisch.
[Aus meiner antwort.] Freylich ist etwas gleich in des Hferrn]
Jablonski andern Zeile zu erinnern : er sagt, die „Ausübung einer Sprache",
ich hätte gesagt „einer Sprache"; pag. 9: „gelehrte gesellschanV, ich
hätte lieber gesagt „zu beforderung der gelehrsamkeit gerichtete gesell-,
schafft", damit man nicht spotte, wir nennen uns selber gelehrt. Die
consonantes wollte ich lieber „mitlautend" als „stumm" nennen, dann
die lateiner distinguiren die consonantes wohl in mutas et semivoeales.
Man muste eine definition des lautes geben, den die vocales haben, und
die semivoeales nicht; ob man sie sehohn ohne die vocales bohren kan.
Ich finde, dass der Laut, den die vocales geben, der organomm anrührung
nicht bedarf, sondern aus freyem munde gehet. Die Kegeln sind nicht
übel, aber bey allem andern finde ich viel zu erinnern. Don Tacitum
de moribus Germanorum habe ich in meiner jugend auch ins teutsehe
übersezet"1), will's einmahls gegen des llferrn] Jablonski übersezung
halten, wenn ich sie zu sehen bekomme.
88.
Frisch an Leibniz.
Monsieur. Weil E[w]. Excellenz zwey briefe bald auf einander
geschickt, werden sie mir erlauben, auf dieselben hiemit zugleich zu
antworten und dabey meine freyheit, ein und andere Umstände wegen
der Societät zu berichten, nicht übel deuten.
Als die Übersezung des Taciti in den Vorschlag kam, und zwar
von denen, die sie allbereit fertig hatten, so wir aber nicht wüsten,
erbot sich ein jeder, da.s seinige zu c.ontribuiren, und II[err] Neukirch1*2),
welcher hierzu am besten taugte wollte sie über sich nehmen, allein es
behielt der nachmahlige autor den Vorzug mit deutlichein Unwillen einiger
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42
.loh. Leonh. Frbch h Briefwechsel mit G. W. Leibniz.
von diesem departcment, welche hernach unter sich wehnten, es geschehe
aus einer Absicht, von dem verstorbenen König damahls ein gutes geschenck
zu ziehen. Nach einigen conferenzen sah man wohl, was dabey zu thun,
und wurden offt wenig so genannte Spruch-Reden ohne scharfe censur
passirt, so dass es sich verzog bis der König starb. H[err] Raht
Schott wurde auch immer krauek, und es verzeihet sich der auctor
gar klar die llofnung, die er sich mit dieser Übersezung gemacht. Nach
der gemeinen censur entdeckte ich ihm erst in seinem Haus meine noch
übrigen scrupel, welche man sich scheute publice zu urgiren, und macht«'
von einigen Capiteln eine Ühersezuug nach meiner Art, welche dem
ll[errn] Directori Schott besser anstünde, als die vorige: wodurch diss
Werck völlig liegen blieben. Ich hab mir gedachte Übersezung abschreiben
lassen und linde so grobe Fehler wider den genium unserer und der
lateinischen Sprach darinnen, dass es eine Schande wäre, wann sie unter
der Soeietät nanien publicirt würde. Nachdem nunmehr Tl[errj llofraht
< 'unow völlig durch einen Schlagfluss untüchtig gemacht, der H[enJ
Kaht Schott auch wegen Schwachheit des leibes selten etwas thun kau,
der II[err] von Krug selten kommt oder, wann er kommt, uiemand von
den membris antrifft, so liegen drey departements völlig darnieder: das
. vierte wird dem JlferrnJ Directori desselben zu gefallen noch gestützet,
wird aber niemahl etwas darinnen ausgebrütet weiden, dann es sind
lauter Dinge, die sich in inhnituin traiuiren werden' ). Die Diplomata
sind jezund so wolilfeil, dass mau nur reeommendiren darf, ohne weitere
Untersuchung, und dörflte wohl die Genever Reise' eine grosse Zahl
rler Mitglieder bringen.
Das Seidenwerk ist durch abschatfüng des l'lanteurs, den ich dazu
gebraucht, nun völlig zu gründe. Vor zwey Jahren hat dieser Manu
über 30000 Pflanzen geschallt, die werden jezt alle verwarloset, verkauft
und sonst verderbt. Und weil ich die Ehre gehabt, im Namen der
Soeietät die Rechnungen, gleichwie überhaupt, also sonderlich wegen des
Seidenwerks durchzusehen, hab ich den Unterschied wohl gesehen, was
bey meiner administration um so weniges geld geschehen, und hernach
bey so vielen Unkosten.
Als E[w]. Exc[ellenz] zu Wien war, winde hier, auch von denen,
die ich für so alber nie angesehen, geglaubt, Sie hatten die Religion
changirt,s ja ich bin von einem vertrauten Freund versichert worden,
dass man die l'racsidenten-Resoldung schon eingethcilt unter die Directores
und wer etwan bev dem sogenannten Uoncilio zugegen, wie viel jeder
bey diesem fall davoti bekommen soll, welches ich für die gröste
hassesse in der Welt hielte, so von denen, so den Namen der Gelehrten
haben wollen, kan begangen werden. I Iferr] .lablonski samlet jezt, was
zu den Miscellancis kommen soll, und beklagte sich publice, dass man
von E[w ]. E\e[ellenz| das, was sie hätten, nicht bekommen könnte. Ich
Joh. T,eonh. Frisch's Briefwechsel mit (i. W. Leibnix.
43
hab einige Bogen von allerhand Observationen, wann wider etwas heraus
kommen soll, will ich es nochinahls durchsehen und communieircn.
M[onsieu]r La Crosse""') wird Selbsten geschrieben haben, wie viel er
von der eoinmunicirten Jnseription entdecket. Verbleibe etc.
Joh. Leonh. Frisch.
Berlin den 28. Dec[embris] 1715.
■
84»*)-
Frisch an Leibniz.
Monsieur. E[w|. Excellenz drey auszüge aus dem Mayerisehen'^)
Catalogo habe ich wohl empfangen, werde suchen so viel als möglich ist,
um billigen Preiss zu bekommen. Vergangenen 13. Januar ist die auetion
angegangen. Es sind eommissionen hier aus ganz Teutschland und rasen
die Leute recht um diese Bücher: zum exempel p. 3 die aufgezeich-
nete Schwedische Bibel ist für 4 thlr. weggegangen: das griech[ische]
Testfament] p. 4, no 29 für 5 thlr: welches mir zu theuer vorgekommen.
Ich meine, wann die gröste Hitze der Herren Theologorum vorbey,
es soll der Wert wohl leidlicher werden, wiewohl einige von den Herrn
Politicis, als Il[err] v. Ploto,s), H[err] v. Schlippenbach""), H[errJ
Plarr1*1) und andere, Leute hineinschicken, die absolut vollmacht haben,
alle zu überbieten. Sobald ich künfftig etwas werde bekommen haben,
will ich es berichten. Verbleibe etc. , r . .
.). L. Frisch.
35.
Frisch an Leibniz.
Monsieur. Durch E[w]. Exe[cllenz] leztere ordre bin ich etwas
beherzter worden, auf der auetion mit zu bieten, doch so, dass ich
hoffentlich werde damit bestehen können. Nachdem H[err] Cimow
gestorben, wird wohl Hferr] Hofprediger Jablouski nachricht gegeben
haben, was vorgegangen. Herr von Prinz hat. der Societät Concilio
E[w]. Exc[elleuz] Schreiben """) an ihn cominunieirt, worüber es auch zu-
sammen berufen worden. Bey lezter ZusammenkuniVt aller departements,
welche zimlich dünne werden, ist auch dem mathematischen departement
vorgeschlagen worden, einen neuen directorem zu Wehlen. Es hat sich
auch H[err] Jäkwitz1"-) (welcher, weil ich die Ehre habe, ein membrum
zu seyn, nie zu uns gekommen) dabey eingefunden, nicht ohne bew underung
einiger membrorum, die ihn nicht kannten und ihn beschuldigten hernach-
mahls, es geschehe, weil er vermeinte, director zu werden. Allein es
passirten einige öffentliche discurse, die zwar nicht mögen auf ihn
gezielt haben, aber doch mercklich auf ihn applicirt worden sind.
Verbleibe et«1.
.1. L. Frisch
Berlin den 11. Febrjuarii] 1716.
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Juli. Luonh. Krisch h Briefwechsel mit G. W. Leibni«.
36.
Frisch an Leibniz.
Monsieur. Wegen des M. S. de iinpostoribus1"') berichtet micli
M[onsieu]r d'Alencon 1 dass er unterdessen schon alle Nachricht an
den ll[errn] General Bonneval1') gegeben, auch sclion 3 biss 4 mahl
desswegen geschrieben und antwort bekommen. Mfonsieujr La Croze
urtheilt schlecht davon.
Der Servetus'' ) ist die holländische Edition oder nachdruck, mögte
wohl für einige thaler zu bekommen seyn. Tch hab aber noch nichts
davon können zu sehen bekommen.
Die Grotesijuen Sehrifften sind nur Stücke von den rechten Oberilms
gewesen; ich hab sie daher fahren lassen, weil sie fast so theuer weg-
gangen, als ich sie sonsten im ganzen opere schaffen will. Die Rosen-
creuzersche Collcctioii ist noch die beste darunter gewesen.
p. 3(>1. weil einige quartbände sehr dick gewesen, als p. 354 sq.
hab ich etwas mehr geboten, «loch so, dass ich sie Selbsten dafür behalten
will, wann sie nicht anständig sind. p. 3(59 sollte im Catal[ogo] oben
n. 3 stellen, so aber ausgelassen; das Buch aber hab ich bekommen.
Weil i<-h für mich eine zimliche quantität erkaufte, hab ich allzeit
Selbsten auf die Bücher geboten, die mir Ew. Exc|ellenz] in Commission
übergeschickt, und thue es auch allzeit bey den künfttigen.
H[err] .lekwitz ist director worden vom mathematischen
departement.
Zwischen dem 13 und 14 Januar ist hier rlie Kälte so gross als
1709 gewesen: meine abricosen sind alle hin, auch alle Augen am Wein-
stock, die nicht gedeckt gewesen.
Es ist hier zwischen einem advoeaten und einem theologo eine
Schritftweehselung wegen astrologischer händel entstanden, welche mir das
AbdiaeTreu Nueleum astro|[ogiae], ,;) so hoch getrieben. Ich verbleibe etc.
Job. Eeonh. Frisch.
Berlin d. 22. Eehr[narii J 1716.
37.
Krise Ii an Loibniz.
•
Monsieur. Die MSS. k'unmen heute in der Auction zu Ende: so
viel hat können erstanden werden, werde mit nächster Post schicken.
Der Doctor Mayer, so seines Vatters Bücher hier verauetionirt, hat mir
Nachricht gegeben, dass ihm jemand auf die gedruckten libros p. 718 f.
habe 80 thlr. jjebotten, ob ich mehr bieten wolle. . . .
Herr Müller zu Wien schreibt an seinen Schwiegersohn H(errn]
Die>shach, dass ihn der Kayser zum Bergrath macheu wolle, und hoffe
mit nächstem völligen Sehluss nebst einer feinen Besoldung.
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.loh. Loonh. Frisch s Uii<-J'\veHiHd mit G. \V. Lcibni/..
45
Die Frau Marggrälin uls Wittwe Marggraf Philipps'1 ) trägt ei»
Kleid von der Seide, die sie selbst gewonnen, und hat Hferrn] Jahlonski1"')
versprochen, sie wolle nächstens zum König damit gehen und ihm davon
sagen. Verblei he etc.
J. Ii. Frisch.
Berlin d. 28. Martii 1716.
38.
Frisch an Eeibniz.
Monsieur. Hey hiesiger Societät scient[iarum] wird es alle tag
schlechter, weil keine aufmunterung da. Herr Wagner'-" "), so bisher auf dem
Grosseckisehen Observatorio gewesen, welches auch die hinterlassenen
H[errnJ Söhne noch unterhalten werden, hat die ( 'a lender Arbeit nebst
noch einem über sich genommen um ein reeompens: hat aber sonst so
viel Gewicht in dieser Arbeit als H[err] Hofmann gehabt hat. Er hat
ein und anders zu den Miscellaneis eommunicirt, und scheint, als retlectire
man auf ihn und den jungen Kirch- M zugleich, welcher die Ephemerides
schon verfertigt hat aufs künft'tige. l ud dieses wäre meinem geringen
begrilV nach nicht undienlich, weil erstlie.h die besoldung der 50U thlr.
wohl kau getheilt werden, und die ( 'alenderarbeit nicht von dem ob-
serviren so abhalten kan: welche observatioues bissher so gar sparsam
unter der Entschuldigung der ('alenderarbeit gewesen. Die Societät will
auch des I). Speners auf dem Observatorio stehendes l 'abinet nach und
nach bezahlen. Des Astronomi Wohnung wird nöthig ausgebessert. Mit
dem Kath Pfeiflern -'-) wird wohl wegen des ( openiekisehen Garten ein
Contract getroffen seyn, dass er jährlich, 25 .fahr über, zehn Thaler
davon gebe. Es stehen diss Jahr die Würmer hir so wohl als noch
niemahl; es gibt eine Unze graine mehr als sonsten vier.
Ich continuire meine Observationen de Insectis. Die Kanne, so ich
für die grösste achte, weil sie 1 , Ellen lang wird, hab ich diss Jahr
4 mahl: ist auch schon ein papilio ausgekrochen, und wegen des Cocons
und der Grösse, die er hat, recht selzam. Weil er auch von den nocturnis
mit hangenden tlügeln, und niemahl mehr als zwey auf einem bäum,
weil sie sonst in einer Stund einen bäum abfressen könnten, wenn ihrer
so viel als der andern Kaupen würden, ist er sowohl als Kaupe als auch
wie ein papilio selten zu sehen. Ich hab auch unterschiedliche obser-
vationes de insectis insectorum, welches ausser Jonston noch keiner
observirt und dieser nur muthmasslich, ich aber habe von allen die
insecta selbst und ihre Verwandlung angesehen. Mein Kunststück wegen
der Kaupen auf den Bäumen ist mir dieses Jahr wohl angegangen: ich
hab sie alle gerettet und oft't 5 äpfel aus einem aug noch hangend; bin
also confirmirt, dass keine Kaupe auf einem bäum jung werde, der gesund
ist, und wo sie sind, der bäum ganz oder theils kranck seye. Weil hier
46
.Toh. Lt ouli. Frisch s l'.riffw -1 mit «i. W. Lfilmiz.
kein Mensch, mit dem ich communieireii kan, was ich linde, sollte einer,
der nicht andern Antrieb hat, leicht stumpf werden. E[\vj. Excfelleuz]
verzeihen mir diese Weitläufftigkeit und continuiren Dero gewogenheit
mich ferner zu versichern, der ich mit allem ersüiulicli gebührendein
respect verbleihe etc.
.1. L. Frisch.
Berlin d. 21. Julii 1716.
39.
Frisch an Leibniz.
Monsieur. Auf Ew. Exeelljenz] letzteres habe ich alsobald dem
I). Mayer den Catalogum der verlangten Rücher geschickt. Für die
hölzern Kästen zu den Büchern habe ich nebst Nägeln und Zuschlagen
und anders 4 thaler gegeben, und dem Fuhrmann 1 thlr. und 8 gr. Hand-
geld. H[err] D. Wagner hat mir Zumbachs Jovilabium-' ) zugeschickt,
welches ich nächstens der Societät einhändigen will. Aus Petersburg
hat mir einer einiger Bücher Titel übergeschickt, welche daselbst gedruckt
worden, mit dem neuen Sehreib-charactere- ') mit welchem alle politica
jezt gedruckt werden. Der H[err] von (lolofkin, Moscowitischer envoye,
hat mir ein solches Buch geschenkt. Herr Lehmann- ') von Leipzig ist
hier gewesen; seine Winterblumen sind begreiflicher, als des H[errn]
Agricolac-") Wurzel-machen. Ich verbleibe etc.
.1. L. Frisch.
Berlin den 12. Aug[usti] 1716.
40.
Frisch au Leibniz.
Monsieur. Von H[errn] Mayern kan ich Ew. Excellenz noch
keinen mehrern Detail überschicken, weil ich noch keinen von ihm
bekommen. Wegen H[erru] Liebknechts-"7) werde alles verlangter inassen
bey nächster Versammlung des Physicalischen Departements bestellen.
Herr Zumbach hat mir sein Jovilabium zugeschickt, welches er der
Societät dedicirt.
In Sachsen ist ein Königlicher (Jeographus namens Zurner0*),
welcher bisher einige Chartas specialissimas in Holland stechen lassen,
welche einen grossen Vorzug vor den bisherigen haben. Er ist ein
Pfarrer in Sachsen und verlanget ein membrum von der Societät zu seyn.
Ich hab die Charten aus Holland von Peter Schenk-0*) bekommen, als:
das Amt Dresden, die Dioeces Grossenhain, den Creiss, worinnen das
Carlsbad, das Territorium um das Teplizer Bad. Er hat zugleich eine
Abschritft von den Privilegiis des Königs Augusti und anderer benachbarten
Fürsten überschickt, die ihm gegeben worden.
Juli. Leoni». Frisch'« lh ie! wech.stl mit <t. \V. Leibniz. 47
Des Czaren Schwester'-'") ist hier ans dem (iesundbronnen wider-
kuinmen und geht auf Riga, mit der Prinzessin Circasski, welche auf
Petersburg geht. Meine blaue Färb ist in Petersburg bekannt, und hoffe
icli, durch diese Gelegenheit eiue Quantität dahin zu bringen. Es schreibt
mir ein Armenier, dass er sich wundere, dass wir die Färb, so sie
Lasehwad nennen, so das bekannte Lasur ist, jezt in Teutschland so
fein hätten, und bittet um eine Nachricht, wie es mit den Minen, daraus
mau sie gräbt, beschaffen. Welches mich sehr conlirmirt, dass das
inventum gut, weil es diese Leute, welche solche gute Krkäntnüs von
dergleichen Farbe haben, Selbsten gut linden.
Tch habe das Vestibulum Comenii mit hülffe eines Küssen in das
Russische übersezt"1). Wir sind jezt in der Revision begriffen, und
weil es mit lateinischen charaeteren geschrieben, wird es desto eher
können in Teutschland gedruckt werden, weil die genera und andere
nöthige graminattiealisehe Dinge dazu gesezt, wird allen denen, die Teutsch,
Kussisch und Latein können, gute Dienste zum anfang thun. Ich
verbleibe etc.
.loh. Leonh. Frisch.
Berlin den G. Septfcinbris ] 1 T 1 * ».
41.
Frisch an Leibniz.
Mmisieur. Weil Herr D. Maier hier wegziehen will, hab ich ihn
getrieben wegen der MSS. und bei liegendes erhalten. M[onsieu]r La (Yozc
ist der Brief gleich überschickt worden.
Der Lapis Lazuli macht nicht sowohl wegen seiner unzulänglichen
Menge, als wegen der mühsamen Arbeit das Lazur oder Ultramarin so
theuer. Man hat mich in Livorno versichert, dass viel Persohnen nicht
1 Loth in einer Woche von dem besten herausbrächten In Paris sind
2 fabri(|uen, wo man dieses Outremer gemacht, abgegangen; wozu mein
Blau soll geholfen haben, weil auf einniahl 100 Pfd. dabin geschickt
worden.
Das Vestibulum Comenii, woran ich mit einigen Küssen arbeite,
haben wir bisher mit lateinischen Buchstaben geschrieben und wollen
es auch also trucken lassen, nebst einem kleinen Unterricht, wie man
etwan einige Buchstaben aussprechen soll, welche die Kussische Sprache
eigen hat.
Ihre Maj[estät] der König allhier haben nicht undeutlich zu ver-
stehen gegeben, dass sie eine kurtze Historie der Plautation der Maul-
beerbäume in Europa und sonderlich in Teutschland-1-) verlangten.
Weil nun Efw]. Excellenz hiezu mit gutem Kath und communication
am meisten helffen können, als bitte ich gehorsamst, weil mir diese
Arbeit aufgetragen worden, um etwas Nachricht, wegen des (Jhurfürsteu
48
Joli. Ta'oiiIi. Frist-Ii'* l'.rii'fwecliscl mit (i W. Lcilmix.
.loh[aun] Philipp von Mainz welcher diese Plantation angefangen, wann
und wie es geschehen, und sonderlich durch was es gehindert worden.
Vielleicht fällt E[w]. Exeell[enz] auch etwas bey, wo von des Herzogs
von Wirtemberg"*) angefangenen Plantation etwas zu finden: welcher
('hurfürst von der Pfalz*"") es angefangen, als woselbst ich die ab- und
aus^ebauenen Maulbeerbäume noch gesehen; und wer etwan von der
Österreichischen Societät etwas geschrieben, welche die Holländer wegen
der Seidenzucht unterhalten. Es rührt sich dieses Werk allhier mehr
als jeinahls und beginnen einigen die Augen wegen des Vortheils
aufzugehen.
Ihm GrossCzarische Majestät Prinzessin Schwester und Prinzessin
Tschirkaski ist hier gewesen in der rückreise und haben ihren Leute
befohlen, meine Sachen nach Petersburg möglichst befördern zu helffen;
wodurch ich eine quantität von meinem Blau nebst andern Dingen
dahin befördert. Ich bin auch mit einem schönen Stück von dem soge-
nannten Human von ihnen beschenkt worden, da ich durch den ToU-
metscher darnach fragte, welches eine Art von Schminkläpplein, als ein
Teller gross und von tartarischer Wolle ungespounen zusammen gemacht,
als meine seidene Schlafhauben, und mit Saflft von Sandelholz reichlich
tiugirt, welche ich ein wenig untersucht und das secret zimlich gefunden.
Sie sagten, es komme aus Kitiii, welches der Tollmetscher China nannte.
Ich verbleibe etc.
Job. Leonh. Frisch.
Berlin den 19. Septjembns] 1710.
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Anmerkungen.
Ann). 1. Der nicht datierte Brief steht in der Sammlung zu Hannover an
drittletzter Stelle unter den Schreiben ohne Datumangabe. Er ist wahr-
scheinlich in das Ende des Jahres 1706 zu setzen: der in dem Briefe
erwähnte Lichtscheid starb am 23. Februar 1707, und Leibniz war zu
der im Dezember 1706 stattfindenden Hochzeitsfeier des preussischen
Kronprinzen Friedrich Wilhelm mit der hannoverschen Prinzessin Sophie
Dorothea nach Berlin gekommen, wo er bis Mai 1707 verblieb. Die noch
im Jahre 1706 erfolgte Aufnahme Frischs in die Societät hatte aber bei
Abfassung des Briefes wohl noch nicht stattgefunden. (Vgl. die Anrede
im folgenden Brief.)
Anm. 2. Ferdinand Helffreich Lichtscheid, geb. 1661 in der Nähe von
Wien, Mathematiker, Musiker und Theologe, 1703 Probst und Pastor
der Petrikirchc zu Cölln a. d. Spree und 1705 nach Speners Tode Kgl.
preussischcr und kurbrandenburgischer Konsistorialrat ; Mitglied der
Societät der Wissenschaften, f am 23. Februar 1707 zu Berlin. Vgl.
Jöcher, Gelehrten-Lexikon II, 2422 f.
Anm. 3. Der im nächsten Briefe erwähnte Meister Otto. Nach Frisch im
deutsch-lateinischen Wörterbuch ist Arrasch eine Art wollenes Gewirk
oder Zeug, das aus Arras in Frankreich stammt; daher der Name
Raschmacher.
Anm. 4. Gleiche Anrede in den folgenden Briefen Frischs.
Anm. 5. Leibniz kehrte im Mai 1707 nach Hannover zurück.
Anm. 6. Die hier und in den folgenden Briefen erwähnten Schreiben Leibniz'
sind als verloren zu erachten, soweit sie nicht in dieser Sammlung mit-
geteilt werden.
Anm. 7. In der von Leibniz dem König Friedrich eingereichten Denkschrift
aus dem Jahre 1703, in welcher um ein perpetuum Privilegium zur
Ausübung des Seidenbaus für die Societät nachgesucht wird (Vgl.
Einleitung S. XV), bittet Leibniz „dass Königl. Majestät zu dieser vor-
habenden Verfassung hergeben die vorhandene Maulbeergärten zu
Keppenich, Postdam, Glüneke. Borne und wo sie sonst seyn mögen."
Vgl. Kopps Ausgabe der Werke Leibniz' I Bd. 10 S. 377.
Anm. H. Über Joh. Heinrich Otto, der seitens der Akademie bei dem Seiden-
bau beschäftigt wurde, schreibt Leibniz unter dem 17. Juni 1705 an
Fräulein von Pöllnitz, preiniere dame d honneur bei der verstorbenen
Königin Sophie Charlotte: „Oserois je vous supplier, Mademoiselle, de
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50
Anmerkungen.
faire venir chez vous le raanufacturier dontjc vous ay parl6? Ils'appelle
Meister Otto, es ist ein Kapsmacher (sie !). Lc libraire de la Societe des
sciences qui s'nppclle Pape et demeure au Mokenmarkt (sie!) pourra
indiquer oü demeure ce Meister Otto ou plutost il le cherchera, si vous
le luy faites ordonner et luy dire quand il vous doit aller trouver.«
(Leibniz' Werke herausg. v. Onno Klopp I Bd. 10 S. 286.) Vgl. Bode-
mann a. a. O. No. 702 und unten Brief 3, 5, 6, 9, 10, 31.
Anm. 9. Wohl Jon. Hcinr. Hoffmann, Astronom und Observator bei der Kgl.
Societät zu Berlin. Vgl. Jöeher a. a. O. II, 1659, Bodemann, Leibniz' Brief-
wechsel i. d. Bibliothek zu Hannover No. 41"» und unten Brief 4 und 38.
Anm. 10. Jezt Bomiin, Dorf nordwestlich von Potsdam. Vgl. oben Anm. 7
und Brief 5, 9, 11 und 12.
Anm. 11. Wriezcn.
Anm. 12. Der grosse Kurfürst hatte Berlin zu einer Festung nach altnieder-
lHndischem System umgestalten lassen. Der Wall sowie andere Teile
dieser Befestigung werden in den folgenden Briefen mehrfach erwähnt.
Vgl. F. Holtze, Geschichte der Befestigung von Berlin. (Schritten des
Vereins f. d. Geschichte Berlins. Heft 10) S. 41 ff.
Anm. 13. Edzard Bödiker, Archidiakonus zu Wriezcn a. O., Sohn des Sprach-
forschers und Rektors am Cöllnischen Gymnasium zu Berlin Joseph
Bödiker (1641 — 1695). S. Jördens, Lexikon deutscher Dichter und Prosa-
isten. Leipzig 1811. Bd. 6.
Anm. 14. Cuneau, „Secretair d'Estat de S. A. E. de Brandenbourg, Conseiller
de In Cour." Bodemann a. a. O. No. 185. Vgl. die Einleitung und
Brief 3, 4, 5, 8, 10, 17, 19, 21, 33, 35.
Anm. 15. Joh. Theodor Jablonski, Sekretair der Berliner SocietUt der Wissen-
schaften. S. Allg. D. B. XIII, 525 f. Bodemann a. a. O. No. 440 und
Brief 3, 5, 21, 25, 28, 31, 32, 33, 37.
Anm. 16. Das auch noch in den Briefen 5, 8, 10, 13 und 11 erwähnte Privilegium
wurde der Socictät unter dem 28. Mllrz 1707 erteilt; dasselbe wird in Ab-
schrift auf dem hiesigen Königlichen Geh. Staatsarchiv (Acta geueralia
betr. die Pflanzung der Maulbeer-Baume No. 55.) aufbewahrt und enthalt
unter Weglassung der einleitenden Bemerkungen, folgende Bestimmungen :
„Wir Friedrich von Gottes Gnaden König in Preussen .... haben in
Gnaden resolvirt, . . . Unser Soeietat der Wissenschaften ein Privilegium
privativum generale perpetuum darüber (d. i. über den Seidenbau) zu
ertheilen .... Thun demnach dasselbe als der König und Landesherr
Privilegiren undt Begnadigen aus Königl. souverainer Macht, Hoheit
und Gewalt Vohrerwehnte Unsere Soeietat der Wissensehaften in hiesigen
Residentz-Stüdten, hiermit undt in Knifft dieses Unseres offenen Briefes
dergestalt und also:
1) Dass Erstlieh Xicmandt als dieselbe so wol in unserm König-
reich Preussen als übrigen in undt ausserhalb dem Römischen Reiche
belegenen Provincien undt Landen Macht haben solle, solche Weisse
undt dergleichen Maul beer BHume oder Büsche, Hecken undt Heüne
davon auffzuzichen undt von den Blattern dieser sowohl alss anderer
BHume undt Gewachsse die Seyde zu erzielen.
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Anmerkungen.
51
2) Vorss andere soll der Societät freystehen, solch Ihr Privilegium
undt Recht vor sich oder durch andere zu exerciren, solches auch
gantz oder zum Thcil, beständig oder auch eine Zeit lang an andere
nach Gutbefinden zu überlassen, oder sonst auffs Beste zu ihren (!)
Nutzen anzuwenden, und sollen die so etwa von der Societät consum
haben möchten, dieses Privilegii ebenmässig nach allen seinen Clausein
sich zu erfreuen haben.
3) Eis soll auch drittens der Societät frey stehen, wan undt wo
sie es guth findet, andern (!) zuzulassen, dass sie in ihrem fundo der-
gleichen Bäume undt Gewächsso aufziehen mögen, doch unter solchen
Bedingungen undt solcher Recognition, darüber sie sich mit der Societät
vergleichen werden, undt ohne dass es von andern in Conseqventz
gezogen werden könne, Undt dafern einige einheimische Seyde mit
Bewilligung der Societät von andern gezielet würde, soll selbige an
Niemand alss an die Societät oder die Ihrigen, um den Verglichenen
Preis« überlassen werden, es sey den, dass auch diessfalss ein anders
von der Societät vergönnet worden.
4) In Unsern undt allen Herrschafftlichen Gärten undt andern
Locis publicis aber soll viertens der Societät oder denen die causam
von Ihr haben, der Gebrauch crwehnter Bäume Gewächs undt Blätter
allein verstattet werden, Wie Wir den Insonderheit die bey Köpenick,
Potsstam, Glünicke, oder anderswo sich ietzo undt künfftig befindende
Bäume undt darzu gehörige Plätze der Societät zu diesem Gebrauch
ohne Entgeldt in Gnaden vergönnen. Undt weiln zum Spinnen der
Seyden Würme bequeme Stellen undt Zimmer eine kurtze Zeit des
Jahres über erfordert werden, undt solche sich etwa an einigen Uns
oder dem Publico zustehenden Orten finden möchten, da sie hierzu ohne
einige Ungelegenheit, Hindern üss undt Abgang ander Nutzen undt
Geschaffte zu gebrauchen, soll es auch ohne Entgeldt verstattet werden.
5) Undt Weiln solche Bäume zugleich zur Zierde gereichen, und
eben sowohl als Linden auffwaohssen und Schatten geben: So soll
fünfftens die Societät macht haben, an bequemen orten an undt auff
Wällen undt Wercken, an Strassen, Dämmen oder wo es sonst anständig
dergleichen Bäume und Büsche auch gantze Gänge und Alleen zu
pflantzen und hernach zu nutzen. Undt sollen nicht allein bey Wällen
undt Wercken die Commendanten Unserer Vestungen solches vergönnen
undt Handhaben, sondern auch unsere Gärtner, Planteurs undt andere
zum Forst-Garten undt Pflantz-Werck gehörige Bedienten hiermit den
Zweck der Societät alss darbey das Publicum interessiret, nicht weniger
alss bey denen bloss zur Zierde gepflantzten Bäumen zu statten kommen,
auch wass zur Düngung dienet, so sonst nicht besser gebraucht wirdt,
Hierzu abgefolget, undt so viel sonst ohne Unser undt ander Nachtheil
undt Abgang geschehen kan, ihr gefüget werden.
ü) Da auch Sechstens zu Baum Schulen oder Sonst einige bequeme
Plätze verlanget werden sollten, deren anderwärts wohl zu entbehren,
wollen Wir solche Plätze gegen einen gewissen Erb-Zinss nach deren
bissherigen Ertrag der Societät anweisen lassen.
6*
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52
Anmerkungen.
7) Weil auch Siebentes von den gemeinen oder sehwartzen Maul-
beer Baumen auch einige Seyde zu haben, soll solches entweder wegen
gewisser Uhrsaehen, ausser bey der Soeietät gar unterbleiben, oder
doch nicht anders alss mit Einwilligung der SoeietHt und auff die mit
ihr verglichene Conditiones geschehen auff arth undt Weise, wie von
den Weissen Maulbeer Bäumen erwehnet worden.
8) Damit auch zum achten die Soeitaet ihr Privilegium desto besser
nutzen könne und in dessen Gebrauch desto weniger gehindert werde,
so Verordnen und Verwilligen Wir in Gnaden, dass nicht allein die
Erzielung sondern auch die Verarbeitung undt der Vertrieb der ein-
heimischen Seyde ihr allein zukommen undt in diesem von Uns dero-
selben verliehenen Privilegio begriffen, mithin ihr allein oder deu Ihrigen
zustehen Soll, allerhaudt Stoffen (!) undt ändert? Arbeith, wie Sie Nahmen
haben mag, auch mit Beyfligung frembder Seyde undt anderer Materien,
nachdeui es dienlieh, aus solcher einheimischen Seyde verfertigen
zu lassen.
9) Weiln auch Neuntens dieses Werck zum gemeinen Nutzen undt
unserm Dienst ohne alle Besehwerde abzielet, Undt also von Unss als
favorable angesehen wirdt: So wollen Wir dass Unsere Societät der
Wissenschafften bestens beschützet , undt da ja wogen des Verstandes
dieser Unser Concession ein Zweiffei fürfallen solte, solcher zur ent-
scheidung an Uns gebracht undt inzwischen nichts dargegen verhänget,
im übrigen auch der Societät zu ihrem Recht ohne Weitläuffigkeit ver-
holffen werde.
Wir undt unsere Nachkommen Könige in Preussen Marg- *
graffen undt Churfürsten zu Brandenburg wollen auch mehrgedachte
Unsere Societät der Wissenschaflten bey dem Inhalt dieses Unseres
Privilegii allergnädigst schützen, handhaben und erhalten; Gestalt
Wir den • auch allen und jeden Unseren Collegiis undt Regierungen,
Gouverneurs, Befehlichshabern, Drosten, Haupt- undt Ambtieuten, auch
Commendanten undt officierern; Insonderheit aber allen Vorgesetzten
Personen, Beamten undt Bedienten bey Unsern Domainen Forsten
Häusern undt Gärten nicht weniger auch allen Magistraten undt Policey
Meistern, Planteurs und allen Unsern anderen Hohen undt Niedrigen
Bedienten, wie die Nahmen haben mögen, so woll, als allen unsern
Unterthanen, wes Standes die seyn, in Unserm Königreich Provincien
undt Landen, hiermit allergnädigst undt zugleich ernstlich anbefehlen
solches an Unserer statt gleichfalls zu thun, undt Unsere Societät der
Wissenschafften oder die Ihrigen in dem Exercitio dieses Unsere Privi-
legii nicht zu turbiren, vielmehr dabey respeetive zu handhaben, zu
dessen effect nach der Sachen Beschaffenheit und eines jeden Ambt
behülfflich zu seyn, die Intractiones so viel an ihnen zu verhindern undt
nichts dargegen zu verstatten, weniger selbst zu thun, bey Vermeidung
Unsern schweren Ungnade undt unausbleiblicher Straffe des Verbrechens,
wovon die Geldstraffen halb unsern (!) flsco und halb der Societät
zufallen sollen. Wir reserviren Unss aber Hierbey ausdrücklich dieses
Privilegium allemahl nach Erforderung undt Beschaffenheit der Sachen
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Anmerkungen.
undt Zeiten und zu besserer Erreichung Unsers Zwecks zu fassen undt
einzurichten, auch wollen Wir Was den Neunten Punct anlanget in
zweifFelhafften Dingen Selbsten der Ausleger dieses Privilegii seyn, undt
die Imposten an Zoll, Accise undt dergleichen nach Unsern Gefallen,
doch Wie es der favor einer einheimischen Waare erfordert undt Unser
Interesse leiden oder Verstatten mag, reguliren; Getreulich ohne Gefährde.
Jedoch Uns an Unsern, auch sonst jedermänniglichen an seinen Rechten
ohne Schaden. Uhrkundlich Unter Unser eigenbändigen Unterschrifft
undt anhangenden Lehn Siegel. Gegeben zu Cölln an der Spree den
Acht und zwantzigsten Martii nach Christi Unsers lieben Herren und
Seeligmachers Geburth. Im Eintausendt Siebenhundert und Siebenden
Jahre.
Friedrich."
Anm. 17. Koppisch und Müller, Seidenhändler in Berlin. Vgl. Acta Borussica.
Seidenbau I 6, 9.
Anm. 18. Von Leibniz auf die leere Rückseite des vorhergehenden Briefes
2 geschrieben.
Anm. 19. Die heutige Berlin-Charlottenburger Chaussee. Schon in der Denk-
schrift vom Jahre 1703 (Leibniz ed. Kopp I 10 S. 377) hatte Leibniz
vorgeschlagen, von Berlin nach Schönhausen, Friedrichsfeldc und
„anderen königlichen nahegelegenen Häusern" Maulbeerbaumalleen
anzulegen.
Anm. 20. Vgl. oben Anm. 9.
Anm. 21. Der gedeckte Weg ist bei gemauerten Befestigungen ein vor der
Kontereskarpe (äusseren Graben böschung) befindlicher und vor unmittel-
barem feindlichen Feuer geschützter Raum, der dadurch gebildet ist,
dass die Anschüttung des Glacis sich nicht unmittelbar an die Konteres-
karpe anschliesst, sondern in ihrer ganzen Länge 5 — 10 ra von der
letzteren entfernt bleibt. Siehe auch Holtze, Geschichte der Befestigung
von Berlin S. 67 und unten Brief 6, 16 und 17.
Anm. 22. Alexander Hermann Reichsgraf von Wartensleben, Feldmarsehall
und Wirklicher Geheimer Kriegsrat, Gouverneur der königlichen
Residenzien in Berlin. Mehrfach unten erwähnt: Brief 6, 8, 9, 10 und 27.
Anm. 23. Unter diesen Brief ist von Leibniz Hand geschrieben: „habe be-
gehret nachricht wegen Mr. Ottcn, und sonst nachzustreben wegen des
gangs nach Charlottenburg umb Bäume hinzusezen."
Anm. 24. Vgl. oben Anm. 16.
Anm. 25. Joh. Theodor Jablonski. S. oben Anm. 15.
Anm. 26. Maturin Veyssierc La Croze, Kgl. Bibliothekar in Berlin, bekannter
Orientalist. Vgl. Jöeher I 2218, Bodemann a. a. O. No. 517 und besonders
Formey, Eloges des Academieiens de Berlin. (Berlin 1757) II, 63—7').
wo auch die gedruekten und ungedruckten Werke dieses Mannes auf-
gezählt werden. Siehe auch unten Brief 9. 17, 21, 29, 33, 36, 41.
Anm. 27. Sebastian Gottfried Starke, 1698 Konrektor am Berl. Gymnasium
zum grauen Kloster, 1705 Professor der orientalischen Sprachen zu
Greifswald, musste von der ihm 1708 übertragenen Leitung der Ritter-
akademie zu Brandenburg wegen Krankheit zurücktreten und starb 1710
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54
Anmerkungen.
zu Berlin. Vgl. Dietrich, Berlinische Kloster- und Schul -Historie (Berlin
1732) S. 293 und Brief 10, 17 und 21.
Anm. 28. Jon. Casimir Kolb Graf von Wartenberg, seit 1688 in kurbranden-
burgischen Diensten, 1699 vom Kaiser zum Grafen ernannt, erster
Minister, Oberkämmerer u. s. w., fiel 1711 in Ungnade, starb 1712.
Vgl. Bodemann a. a. O. No. 978 und Brief 7 und 10.
Anm. 29. Auch unten Brief 13 erwähnt.
Anm. 30. Kurfürst Joachim I. hatte den westlichen Theil der Terapelhofer
Berge, — vom heutigen Dreifaltigkeitskirchhof ab — zu Weinbergen um-
gestalten lassen, und er sowohl wie sein Nachfolger liessen hier durch
eigene Weinmeister den Weinbau pflegen. Im dreissigjährigen Kriege
wurden die Weinberge vernichtet, und wenn sie auch der grosse Kurfürst
wieder zu kultivieren versuchte, so wurde ihnen unter Friedrich I nur
wenig Aufmerksamkeit geschenkt, so das« Friedrich Wilhelm I unter
dem 22. Januar 1718 den Befehl erteilte, sie zu verkaufen. Vgl. E. Brecht,
Die Tempelhofer Berge bei Berlin. Der Bür I, 50 und 54. Siehe auch
Brief 6, 10, 11, 13 und 15.
Anm. 31. Wird auch in Brief 8 (Anm. 43) erwähnt.
Anm. 32. Nordöstlich von Potsdam an der Berliner Chaussee gelegen. Da-
selbst stehen noch jetzt viele Maulbeerbäume, die aber wohl aus der
Zeit des Pädagogen von Türk stammen.
Anm. 33. Graf von Wartensleben. Siehe Anm. 22.
Anm. 34. Vgl. Anm. 21.
Anm. 35. Aussenwerk einer Festung, vor der Courtine zwischen 2 Bastionen
liegend. Vgl. oben Anm. 12.
Anm. 36. Vgl. oben Anm. 19.
Anm. 37. Über die Persönlichkeit dieses Alchymisten hat sich nicht* ermitteln
lassen; auch verzeichnen ihn die Berliner Adressbücher jener Zeit nicht.
Seiner wird noch in Brief 8, 9, 10, 14 und 18 Erwähnung gethan.
Anm. 38. Das s. g. Berliner Blau. Nach G. E. Stahl (Experimenta, Obser-
vationen animadversiones CCC numero chymicae et physicae. Berolini
1731. 8° S. 280 ft'j hat der Alchymist, Arzt und Theologe Johann Konrad
Dippel (1672—1734), der Entdecker des ätherischen Tieröls, zufällig
das Berliner Blau erfunden. Der Färber Dicsbach bereitete Florentiner
Lack durch Niederschlug eines Absuds von Cochenille mit Alaun und
etwas Eisenvitriol durch fixes Alkali. Er bat nun einmal Dippel, ihm
von dem Kali etwas zu Uberlassen, über welches jener das tierische
Öl destillirt hatte. Dies geschah; statt des erwarteten roten erhielt
Diesbach aber ein tiefblaues Pulver. Dippel, dem hiervon Mitteilung
gemacht wurde, erkannte, dass die blaue Farbe durch die Einwirkung
des gebrauchten Alkalis auf den Eisenvitriol entstanden sei. Die
Äusserung Frischs in Brief 29: „Ich lasse gern allen den Ruhm der
Erfindung, aber es hat sie sonst keiner als ich" scheint gegen diese
Überlieferung zu sprechen, in Brief 9 aber nimmt er die Urheberschaft
nicht in Anspruch, wenn er sagt: „Ich habe sie (die blaue Farbe) jetzt
zu grösserer Höhe getrieben, als der lnventor sie jemahls gemacht."
Vermutlich fällt Dippels Erfindung kurz vor seine Flucht aus Berlin
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55
im Jahre 1707 (vgl. Allg. D. B. V 219), so dass er die Entdeckung nicht
ausnützen und an seine Stelle Frisch treten konnte. Nachrichten über
das Berliner Blau Hnden sich noch Brief 14, 15, 16, 17, 24, 25, 26, 27,
29, 40 und 41. Über Piesbach vgl. Brief 15, 16, 18, 29 und 37.
An in. 39. Scheidewasser.
An in. 40. Christian Max Spener, Sohn des berühmten Pietisten, Professor
für Heraldik, Genealogie und Physik an der von König Friedrich I.
errichteten Ritterakademie, Ober-Herolds-Rath und Hofmcdicus in Berlin.
Vgl. Bodemann u. a. O. No. 880, Jöchcr IV 722 f, Ledebur, Friedrich I
S. 86 und 373 und Brief 27 und 38.
Anni. 41. Autographon Leibniz', veranlasst durch die im vorhergehenden
Brief gegebene Anregung.
An m. 42. Ohne Adresse und Datum von Leibniz' Hand auf demselben Blatt
mit dem vorhergehenden Brief.
An in. 43. Vgl. oben Ann». 31.
Anm. 44. Vgl. oben Anra. 16.
Anm. 45. Generalfeldmarschall Graf von Wartensleben. Vgl. Anm. 22.
Anm. 46. ? Jon. Urb. Müller, 1707 Kämmerer in Wolfenbüttel. Vgl. Bode-
maun a. a. O. No. 668 und Brief 9, 11, 14 und 17.
Anm. 47. Über Leibniz' Bemühungen um die Errichtung , einer guten Anstalt
gegen Feuerschäden" vgl. die Einleitung S. LX und XII. Am 15. Oktober
1705 wurde — besonders auf Betreiben des Grafen von Wittgenstein — ein
Generalfenerkasbenreglement erlassen, nach welchem jeder Hausbesitzer
genötigt war, sein Hau« zu einer bestimmten Summe bei dem General-
Land- und Stadtfeuerkassen-Collegio in Berlin anzugeben. Vgl. Stcnzel,
Geschichte des preussisehen Staates III 190, Mylius, Corpus const. March.
V. 1. Cap. 2 No. 9 Sp. 173 f. Durch Rescript vom 17. Januar 1711
wurden die obligatorischen Feuerkassen wieder aufgehoben. Mylius 1. c.
No. 25 Sp. 237.
Anm. 48. General-Feldmarsehall Graf von Wartensleben. Vgl. oben Anm. 22.
Anm. 49. Christoph Heinrich Ölven, Rittmeister in preussischen Diensten,
musste wegen Lähmung der Beine den Abschied nehmen, war in Berlin
literarisch thätig und gab die erste Berliner populäre Zeitschritt in
deutscher Sprache unter dem Titel heraus : Monatliche curieuse Natur-,
Kunst-, Staats- und Sitten-Praesenten. Zum Nutzen und Ergötzen.
Berlin gedruckt und zu (Inden bey Joh. Lorentz in der Nagelgasse.
1708 und 1709. Von dem zweiten Jahrgang (1709) erschienen nur
6 Stücke. Sein literarischer Zwist mit La Crozc war in dem prinzipiellen
Gegensatz der Denkweise beider Miinner begründet, hatte aber folgende
Veranlassung. Am 23. November 1707 war dem kronprinzlichen Paare
ein Sohn geboren, der den Namen Friedrich Ludwig und den Titel
eines Prinzen von Oranien erhielt, jedoch am 13. Mai 1708 schon wieder
starb. Ölven hatte aus den Worten Fridericus Ludovicus Princeps
Arausionensis das „Anagramma purum fatidicum et metricum" gebildet:
Fili, Caesar eris Dux purpureusque Sionis Vincendo, das aber von La
Crozc „nur als ein Anagramm " bezeichnet war. Darauf erfolgte der
von Frisch erwähnte Angriff Ölvens auf La Crozc in dem Märzheft der
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Anmerkungen.
PrJisenten. Ölvens litterarische und wissenschaftliche Bedeutung war
nicht so hervorragend, dass seine frühe Vergessenheit ungerechtfertigt
wäre. Kulturhistorisch ist aber die Persönlichkeit so interessant, dass
ich mir vorbehalte, an anderer Stelle unter Benutzung bisher nicht ver-
öffentlichten Materials auf dieselbe näher einzugehen und hier nur noch
die ziemlich versteckte Litteratur über ihn verzeichne: Oelrichs, Beiträge
zur Brandenburgischen Geschichte. Berlin 1761 S. 289 ff. W. Giesebrecht,
Die Weissagung von Lehnin und Christoph Heinrich Oelven. Allgem.
Zeitschrift für Geschichte herausgeg. von W. Adolf Schmidt VI, 448 ff.
G. Hiltl, Ein Berliner Literat aus dein 17. und 18. Jahrhundert. Der
Bär II, 185 ff. Vgl. auch Brief 10 und 23.
Anm. 50. Felmy. Vgl. Anm. 37.
Anm. 51. Scheidewasser. Über diese chemischen Dinge hat mir freundlichst
Herr Dr. Stavenhagen, Privatdozent an der Kgl. technischen Hochschule
in Charlottenburg, Auskunft erteilt.
Anm. 52. Königswasser.
Anm. 53. Gemeint ist Brief 7.
Anm. 54. Der in Anm. 49 erwähnte Sohn des Kronprinzen Friedrich Ludwig.
Friedrich I begab sich bald nach dem im Mai erfolgten Tode seines
Enkels zur Herstellung seiner angegriffenen Gesundheit auf Anraten
der Ärzte nach Karlsbad. Vgl. König, Versuch einer histor. Schilderung
Berlins III, 192.
Anm. 55. Alphonsc de Vignolcs, französischer Emigrant, wurde 1689 Prediger
zu Brandenburg, 1701 Mitglied der Berliner Akademie, zog 1703 nach
Berlin, f 1741. Vgl. Bodemann a. a. O. No. 956, Jöcher IV, 1602 ff.
Anm. 56. Äussere Grabenböschung einer Befestigung. S. auch Brief 18
und 19.
Anm. 57. Vgl. Stenzel, Geschichte des preussischen Staates III, 191 und
Brief 11 am Ende.
Anm. 58. Frischs Urteil über Paul Jaköb Marperger, geb. 1656, wird von
der Geschichte nicht bestätigt; Marperger gilt vielmehr als „einer der
ersten deutschen Schriftsteller, welche der Wissenschaft der politischen
Ökonomie den Weg gebahnt haben." Er starb 1730 zu Dresden als
polnischer und kursächsischer Kommerzienrat. Siehe Allg. D. B. XX,
105 und Geiger, Berlin 1688—1840. I, 131 ff, wo eine kurze Inhalts-
angabe von Marpergers 171<> zu Berlin veröffentlichten „geographischen,
historischen und mercatorischen Beschreibung aller derjenigen Länder,
welche dem k. preussischen und chur-brandenburgischen Scepter in
Deutschland unterworffen- mitgeteilt wird Von Interesse ist auch seine
auf der Königl. Bibliothek zu Berlin aufbewahrte: „Anleitung zum
rechten Verstand und nutzbarer Lesung ordentlicher und ausserordent-
licher Zeitungen oder Avisen wie auch der sogenannten Journale." Vgl.
auch Brief 23.
Anm. 59. Tiegel.
Anm. 60. Silber.
Anm. 61. Behandlung mit Salpetersäure.
Anm. 62. Salpetersäure.
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Anmerkungen.
57
Anm 63. Mars = Eisen.
Anm. 64. Venus = Kupfer.
Anm. 65. Kohlensaures Kalium.
Anm. 66. Aufgeschlossen.
Anm. 67. Frisch wurde 1708 Konrektor, nachdem der bisherige Konrektor
Christoph Friedrich Bodenburg an Stelle des verstorbenen Rodigast zum
Rektor ernannt worden war.
Anm. 68. Wahrscheinlich auf der Reise von Hannover nach Karlsbad.
An in. 69. Ein Abenteurer, der sich Dominico Caetano de Ruggiero nannte
und im Besitze der Kunst des Goldmachens zu sein vorgab, wurde von
König Friedrich I zuerst mit hohen Ehren bedacht, dann aber, als sich
sein Vorgeben als betrügerisch erwies, auf" des Königs Befehl zu Kttstrin
gehenkt. Vgl. König, Versuch einer historischen Schilderung der Resi-
denzstadt Berlin III, 162—166 und [König], Historische Nachricht von
dem betrügerischen Ende des angeblichen Grafen Don Dominiko Emanuel
Caetano Conte de Ruggiero, eines falschen Goldmachers, welcher den
29. August 1709 zu Cüstrin gehilnget worden. Aus den peinlichen
Untersuchungsakten gezogen. Berlin und Frankfurt a. d. Oder bei
Johann Andreas Kunze. 1790. (Königl. Bibliothek zu Berlin. S. 10958.8°).
Siehe auch Brief 14 und 15.
Anm. 70. Verwandlung des Quecksilbers in Silber.
Anm. 71. Siehe Einleitung S. XXIV.
Anm. 72. Gemeint ist das Deutsch -lateinische Wörterbuch, welches 1711
erschien. Vgl. Einleitung S. XXV. *
Anm 73. Thomas Benson, Vocabularium Auglo-Saxonicum , Lexico GuiL
Somneri longe auetius. Oxonii 1701. Der Titel von Somners Werk
lautet: Dictionarium Saxonico-Lat.-Auglicuin voces phrasesque praeeipuas
Anglo-Saxonicas complcctens. Oxonii 1659.
Anm. 74. Ende Februar 1709 war Leibniz, nachdem er sich zu Anfang des-
selben Jahres auf der Rückreise von Wien einige Wochen in Berlin
aufgehalten hatte, in Hannover wieder angekommen.
Anm. 75. Friedrich Hoffmann, (1660 -1742), 1693 Professor der Medizin in
Halle, 1709 Leibarzt des Königs von Preussen in Berlin, kehrt 1712 in
Folge von Hofintriguen nach Halle zurück. Vgl. Allg. D. B. XII, 584 ff,
Bodemann a. a. O. No. 413 und Brief 15 und 24.
Anm. 76. Wahrscheinlich Vincenzo Anania. Vgl. Schindler und Hintze, Die
preussische Seidenindustrie im 18. Jahrhundert. Bd. 1 No. 14.
Anm. 77. Geheimer Kammerrat und Kriegsrat Christian Friedrich von Kraut
Vgl. König, Berlin III, 19, 141 u. ö.; auch Brief 24.
Anm. 78. Der Winter von 1708 auf 1709 war ausserordentlich hart. König,
Berlin III S. 201.
Anm. 79. Sonst nicht weiter bekannt.
Anm 80. Friedrich IV von Dänemark und August II von Sachsen kamen
1709 nach Berlin, um den König von Preussen für ein Bündniss gegen
Karl XII zu gewinnen. Vgl. Ledebur, Friedrich I S. 435. Stenzel,
Geschichte des preussischen Staates S Hin. König, Berlin HI, S. 202 f.
Anm. 81. Vgl. Einleitung S. VU und Brief 23 und 28.
58 Anmerkungen.
An in. 82. Bauschreiber Hehse. Vgl. oben Brief 6.
Anm. 83. Der Lustgarten, welcher damals die ganze Museumsinsel bedeckte
und von Friedrich Wilhelm I aufgelöst und in einen Exerzierplatz um-
gewandelt wurde. Vgl. P. Seidel, Der Lustgarten am Schlosse in Berlin
bis zu seiner Auflösung im Jahre 1715. Forschungen zur brandenb -
preussischen Geschichte III, «9 — 121.
Anm. 84. Oberhofmarschall Reichsgraf August von Sayn und Wittgenstein,
Generaldirektor der Domänen, Direktor des Salz- und Münzwesens, Ober-
berghauptmann ete. Siehe auch Brief 23.
Anm. 85. Über die Lebensumstände dieses Mannes hat sich nichts ermitteln
lassen; er wird noch mehrfach erwähnt: Brief 14, 18, 19, 20 und 26.
Anm. 86. Sonst nicht bekannt, wird noch Brief 16 erwähnt.
Anm. 87. Vgl. oben Anm. 75.
Anm 88. Erster Direktor und Dekan der Akademie der Künste. Vgl. Ledebur,
Friedrich I von Preussen S. 10».
Anm. 89. In der Sprache der Alchymisten die Flüssigkeit, in der das wunder-
kräftige Pulver gelöst ist.
Anm. 90. Eisenchloridlösung.
Anm. 91. Kupferchloridlösung.
Anm. 92. Spiritus salis Amoniaci = Ammoniak.
Anm. 93. D. h. alle überschüssigen Säuren entfernen könnte.
Anm. 94. Das Glossarium gothieum des Junius war damals bereits gedruckt,
allerdings nicht in England; vgl. unten Anm. 102. Sein Glossarium V
linguanrm septentrionalium hatte Junius als Manuskript der Oxforder
Bibliothek vermacht; der Bischoff Fell Hess eine Abschrift davon nehmen,
die auf Kosten der Oxforder Universität gedruckt werden sollte. Vgl.
Francisci Junii F. F. De Pietura veterum libri III (Kotterdami 1694.
fol.) Bogen ff 3. Macray, Annais of the Bodleian library. (Oxford 1890)
p. 154. Aus welchen Gründen der Druck unterblieb, ist mir unbekannt.
Coxe verzeichnet in seinem Cntalogus eodieum MSS., qui in collegiis
annalibusque Oxoniensibus hodie asservantur (Oxford 1852) das Manuskript
nicht mehr
Anm. 95. Antiquae literattirao septentrionalis libri duo, quorum primus
Georg. Hickesii linguarum veterum septentrionalium thesaurum et
A. Fountaini numismata Saxoniea. alter Humphredi Wanleii librorum,
qui in Angliae bibliothecis extant, catalogum eontinet Oxonii 1705.
fol. tom. 1 & 2. (Kgl. Bibliothek zu Berlin Z 7778 fol.)
Anm. 96. Stephani Skinneri Etymologieon lingnae anglicanae ex Unguis
XXII .... online alphabetieo digestum. London 1671. fol. ÜberBenson
s o. Anm. 73.
Anm 97. Vgl. Anm. loO und Brief 16. Ich vermute, dass folgende auf der
Königl. Bibliothek zu Berlin aufbewahrte (B I) 21 83. 8n) und nach An-
gabe des Katalogs um diese Zeit erschienene Ausgabe von Frisch
Stammt: 'A'/xtitcv j«Z &ixx.e'n:> s-£iJ> &x?i>.ixr, Ktf>x>.xi*t T«(«iurM«> ti(\
t«v **$iixa*T0i r»u K«A«t/ «^trrot *(ec. rtt x-jtcx^ ai «gjt lov<rTtnxier. AgapCtl
Scheda Regia de ofticis boni Principis ad Iniperatorem Iustianianum
Coloniae Braudenburgicae. s. a. 8*.
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Anmerkungen.
59
Anra. 98. Technischer Ausdruck der Befestigungskunst: kleiner niedriger
Vorwall.
Anm. 99. Vgl. Brief 17 Anm. 105.
Anm. 100. Es ist nicht anwahrscheinlich, dass Leibniz' Vorschlag über das
Bücher-Kommissariat zu Gunsten der Societüt (vgl. Einleitung S. XI tt.)
in König Friedrich I den Gedanken an die Einführung übereinstimmender
Lehrbücher in die Gymnasien der Mark geweckt hat Auf seine An-
ordnung nHmlich wurden von den Rektoren und Konrektoren des
Berlinischen, Joachimsthalsehcn, Köllnischen und Friedrich Werderschen
Gymnasiums für die märkischen Gymnasien Lehrbücher und Autoren-
ausgaben bearbeitet. Unter hauptsächlichster Beteiligung von Joh.
Friedr. Bodenburg, Frisch und Dieterich vom grauen Kloster, dem Kon-
rektor Dornmeier vom Friedrich - Werdersehen Gymnasium und dem
Konrektor Kubin vom Köllnischen Gymnasien erschienen innerhalb
mehrerer Jahre die m.'irkisehen Grammatiken der griechischen, lateinischen
und hebriiisehen Sprache nebst kurz gefassten Kompendien, die märkische
Rhetorik, eine Auswahl der Briefe des Cicero und des Plinius und die
Ausgaben des Agapct, Theophrast und Päanius. Diese Bücher wurden
in alle Berliner Gymnasien eingefühlt und blieben bis in die letzte
Hälfte des 18. Jahrhunderts im Gebrauch. Trotzdem sind sie selten
geworden und ich verzeichne ihre Titel, soweit ich sie habe ennitteln
können: Vollständige Griechische Grammatik nach der Lehrordnung
der Lateinischen Märkischen Grammatik eingerichtet. Berlin 1730.
(Kgl. Bibl. zu Berlin Vc 1000. 8°). Vollständige Lateinische Grammatica
Marchica. Berlin 1718. (Kgl. Bibl. W 1728. 8°) Compendium gram-
maticae Latinae oder kurzer Auszug aus der grösseren lateinischen
Grammatica Marchica. Berlin 171« (Kgl Bibl W 17l>-1. *°). Fundamente
Linguae Hebraeae. Regio Jussu In Usum luventutis praesertim
Marchicae, Coninncto nonnullorum studio adornata. Cum Privilegio.
Berolini, Apud Christoph Gottlieb Nicolai. Anno 1722. (Kgl Bibl. zu
Berlin!. Rhetorica Latina Praeceptis exemplist|ue suflicientibus clo-
quentiam non adfectatam docens. Regio Jussu In vsum itiuentutis
praesertim Marchicae, Coniuneto nonnullorum studio adornata. Cum
Privilegio. Berolini, In Oflieiua Joh. Christoph. Papenii. Reg. & Soeiet.
Scientiar. Bibliopolae 1714. (Kgl. Bibl. zu Berlin.) - M. Tullii Ciceronis
Epistolarum In Usum Ineipicntis et Prolicientis luventutis Marchicae
Seleetaruni Lil)ri Duo, Cmibus Similis Plinianarum Selectus Subiunctus
Est. Cum Privilegio. Berolini, In Ofticina Joh. Christoph. Papenii,
Regii et Socictatis Scientiarum Bibliopolae, 1711. Die Auswahl der Briefe
des Plinius, welche angebunden und besonders paginiert ist, hat einen
besonderen Titel: C. Plinii Caecilii Sccundi Epistolarum In Usum Inei-
pientis Et Prolicientis luventutis Marchicae Seleetaruni Libri Duo. Cum
Privilegio. Berolini. In Ofncina Joh. Christophori Papen, Regii et Socie-
tatis Scientiarum Bibliopolae. 1711. (Kgl. Bibliothek zu Berlin.) Die
Ausgabe des Agapet ist in Anm. 7!» genannt, die Ausgabe von des
Paianios griechieher Übersetzung der Historia Roinana des Eutropius
habe ich nicht ermitteln können. Der Titel der Theophrast-Ausgabe
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Anmerkungen.
lautet: eio<pc«Vr«t/ <*.9-<*^ x«(««r*(f< Scu Thcophrasti Notationes Morum.
Berolini, Officina Joh. Christoph. Papenii, Regii & Societ. Scientiar.
Bibliopolae. 1712. 8°. (Kgl. Bibliothek zu Berlin BD 21S3.) Vgl. auch
Diterieh, Berlinische Kloster- und Schulhistorie S. 240 f und Heidemann
Geschichte des Berlinischen Gymnasiums zum grauen Kloster S. 193.
Siehe auch Brief 21 und 22.
Anm. 101. Joachim Lange, Schüler A. H Frankes, 1698— 1709 Direktor des
Friedrich. Werderschen Gymnasiums, geht 1709 als ordentlicher Professor
der Theologie nach Halle, wo er 1744 stirbt Vgl. Müller, Geschichte
des Friedrich -Werderschen Gymnasiums (Berlin 1881) S. 18 f.
Anm. 102. Quatuor D. N. Jesu Christi Evangeliorum Versiones perantiquae
duae, Gothica scilicet et Anglo Saxonica : Quarum illam ex celeberrimo
Codice Argenteo nunc primura depromsit Fr Junius. Hanc autem ex
Codicibus Mss. collatis* emendatius rccudi curavit Th. Mareschallus.
Accessit et Glossarium Gothicum opera cjusdem Fr. Junii. Dordrechti
typis et 8umtibus Junianis 1655. 4. — D. N. Jesu Christi SS. Evangelia
ab Ulfila ex Graeco Gothice translata, nunc cum parallelis versionibus
Sveo-Gothica, Xorraena seu Islandica ot vulgata Latina edita (per Ge.
Stiernhielni) Stoekhohniae 1671 (2. Tie.) Glossarium Ulphila-Gothicum,
Unguis aliquot affinibus per Fr. Junium, nunc etiam Sveo-Gothica etc.
locupletatum et illustratum per G. Stiernhielm. Holmiae 1671. 4.
Anm. 103. Francisci Junii Observationes in Willerami paraphrasin cantici
canticorunu Amstelod. 1655. 12.
Anm. 104. Frisch hat sein Glossarium Marchicum als besonderes Werk nicht
veröffentlicht, seine Sammlung aber für sein Deutsch-Lateinisches Wörter-
buch verwendet. Vgl. Einleitung S. XXVII und unten Anm. 110.
Anm 105. Abgedruckt in den Miscellanea Berolinensia ex scriptis socictat.
regiae exhibitis edita. Berolini 1710 Tom. I 377 ff.; es enthält eine
AufzHhlung der Vorzüge des Berliner Blau.
Anm. 106 Macray, Annais of the Bodleian library (Oxford 1890) erwähnt
ein solches Ereignis, welches die Bibliothcca Bodleiana in dieser Zeit
betroffen hätte, nicht.
Anm. 107. Xach Formey, Eloges des Academiciens de Berlin II, 63 ff. ist
das Werk nicht gedruckt.
Anm. 108. Otto Menckc, Lic. theol., Professor der Moral zu Leipzig, erster
Redakteur der Acta eruditorum. Vgl. Allg. D. B. XXI, 312 f. Bodemann
a. a. O. No. 636.
Anm. 108a. Vgl. unten Anm. 199.
Anm. 109. In den Jahrgängen 1710 -1720 der Acta eruditorum sind die
hier verzeichneten Bücher nicht besprochen. Nur von der neuen, 1719
erschienenen Auflage des Sturmschen Werkes: „Gründliche Anleitung
zu der Kriegs-Bau-Kunst etc i. e. Architectura Militaris Hypothetico-
Eclectica" enthält der Jahrgang 1720 S. 138—140 eine Anzeige.
An in. 110. Um die Sammlung specitisch märkischer Worte und Ausdrücke
hat sich Frisch jahrelang gemüht. Nachdem er 1731 zum Direktor
der historisch-philologischen- deutschen Klasse der Soeietät der Wissen-
schaften gewählt war, erschien 1734, ohne Zweifel auf seine Veranlassung,
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Anm orIcun|j£On.
61
der schon in der Einleitung S. XXVI erwähnte „Erste Auszug von einigen
die tcutschc Sprach betreffenden Stücken". In der Widmung an den
Minister Adam Otto von Viereck wird hervorgehoben, dass die „zu
solcher Sprach und Historie verordnete Abtheilung die Anmerkungen,
welche in ihren ordentlichen Zusammenkünften ihr Ubergeben worden,
nach und nach gesammelt und von dem, was dazu dienlich befunden
worden, einen Auszug in den Druck zu geben angefangen" habe Wenn
es auch an sich wahrscheinlich ist, dass die meisten dieser Artikel von
Frisch stammen, so lässt sich dies doeh nur von dem zweiten Aufsatz
mit einiger Sicherheit behaupten, weil zwei der in demselben aufge-
führten Beispiele sich unter den vocabula Marchica dieses Briefes finden.
Da die in diesem Aufsatz gegebene Anleitung zur Anlegung eines
Glossars an sich und wegen der als Beispiel aufgeführten märkischen
Idiotismen von Bedeutung, die Schrift aber selten ist, so wird der
Wiederabdruck des Aufsatzes an dieser Stelle nicht ungerechtfertigt
erscheinen.
„Entwurf was für Wörter in jeder Provintz und Gegend von
Teutschland, sonderlieh in der Mark Brandenburg zusammen sind. Zur
Beförderung des so nöthigen Allgemeinen Teutschen Wörter-Buchs,
sonderlich was die Wörter sind, die nur von einigen und nicht von
allen, an allen Örtern gebraucht werden. Die Eigenschafften solcher
Wörter sind 1) dass sie nicht in allgemeinem Gebrauch bey allen
Teutschen, sondern nur in Einem Land oder in Einer Gegend desselben
allein gebrauchlich sind, bey den Nachbarn aber wenig oder gar nicht
gehört werden. 2) Dass solche Wörter, ob sie gleich bey andern ge-
bräuchlich sind, doch bey den sammelnden solcher Lands- Wörter einen
andern Verstand haben. Als Gründling heisst in Berlin und an vielen
Orten der Fisch, den andere Teutsche L.'lnder Kress oder Kressling
nennen, hingegen heissen bey andern Grundein, was anderswo
Schmerlen sind
In beiden Fällen muss man hinzusetzen
1) Was solcher Wörter eigentliche Bedeutung sey.
2) Wo, wann oder von wem und wie sie gebraucht werden, das ist
mit allen nöthigen Umständen und gebräuchlichen Kedensarten.
3) Sollten sie aber gedruckt zu finden seyn, muss man dazusetzen, wo
es geschehen, als: Siehe Brandenburgische Schäfer-Ordnung oder
Fischer-Ordnung von Anno cap. §. — und dergleichen.
4) Wann sie aber in alten oder neuen Briefscbafften oder Schrifften,
sonderlich in Amts-Protocollen, Inventarien, Contracten oder Bestel-
lungen etc. gefunden werden, könte nur das Jahr dazugesetzt werden
und der Ort.
Es kommen solche Wörter vor
In politischen Sachen.
1) In Gerichts-Händeln, Lands-Gewohnheiten, Verordnungen etc
2) In Ilerrschafftlichen Dingen und Pflichten der Unterthanen; in allerley
Einkünfften. Als im Braunschweigischen geben einige Landleute dem
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62
Anmerkungen.
Pfarrherrn einen Brandhahn In «1er Mark sind zum Exempel die
Schattenhuben.
3) In Obern und in Niedern Bedienungen, als ein Landvogt in der Ucker-
mark. Ein Ausreiter u. d. g.
In Kirchen- und Schul-Sachen. Als
Die Sacristcy heisst bei andern Tresskammer.
Ein Diaconus zu Strassburg ein Helfer.
Was hier ein Küster heisst, ist bey andern Oppermann, Messuer.
Im Hauswesen, allerley Namen des Hausraths, der Kleider, der Speisen
u. d. g., so nicht allgemein 6ind
Im Landleben, beym Acker, als eine Hake, ein Kolter; beyra Fuhrwerk
eine Benne, Brückholtz am Wagen, Achtcrholtz, Grickscheide.
Bey den Hirten.
Im Flachsarbeiten.
In Säen und Binden.
In Flur- und Oräntz-Sachcn.
Bey dem Federvieh etc.
Bey den Gebäuden. Als eine Absyte, Därntze, Kafen etc.
In Holtz- und Wald-Sachen als Heidereiter, Heideläuffer, Carinbolen etc.
Werffi, Rüster etc
In Fischerey-Sachcn. Als in Churfürstl. Brandenb. erneuerten Fisch-
Ordnung von Ann. 1690 cap. ult. werden verbotten:
Die Zähren und Strohgarn.
Die Kaulbarsch- enge Pflöcke.
Die Messlings- und Gründlings-Pflocke.
Die Caminen.
Die Greywohden.
Das Dörgen.
Sollen keine Acken oder Stinte-Pflöcken an die Maderitzen gehangen
werden.
Setzhamen oder Maresen oder Klebnctze.
Qucste oder Puppen an die Wehre stecken etc.
Und so weiter in allen Professionen und Vorfallen."
Neun der aufgeführten märkischen Ausdrücke hat Frisch in seinem
Deutsch-Lateinischen Wörterbuch erläutert.
„Pir-Aas, ein Regenwurm, vom Holländischen Pir oder Pier,
heisst lumbricus und Aas esea wegen des Angels, woran er zum Fisch-
fängen gesteckt wird." Genauere Nachweise s. bei Weigand, Deutsches
Wörterbuch.
,Kuiu, Kumpf hat den rechten Verstand noch im Holländischen
da heisst Korn eine tiefe Schüssel eatinus, Kommeken vasculum, alveolus,
catillus." Mittellat cirabus, griech. xv^ßc, sanskr. kumha. Vgl. Weigand,
D. Wörterbucli.
„Mieren heissen in der Mark Brandenburg wie im Holländischen
formicae s. Ameisen p»^,^" Der sehr alte dunkle Name erscheint auch
im Keltischen und Slavischen und reicht bis tief in Asien hinein. Vgl.
Jak. Grimm, Deutsches Wörterbuch I, 277.
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Anmerkungen.
63
„Das Wort tete Kopf ist auch in anderen Fällen unter das
Teutsche gekommen. Die Holländer nennen einen Nagel mit einem
runden Kopf taetse Hoffd-Nagel. In Nieder-Sachsen nennt man spott-
weise den Kopf Teetz«
sDernze b. Dörnze." „Dörntze für Stube. Im Braunsehweigischen
Sta<Jt-Recht wird es sogar von der Rath-Stube gesagt. Tora III Script.
Brunsu. p. 430. Sonst ist es in geringer Bedeutung nur von Bauren-
Stuben an den meisten Orten in und am Nieder-Sächsischen gewöhnlich.
Es kommt von dörren, weil die Land- Leute ihre Schieissen oder Brenn-
Späne und andere Dinge darinnen trockenen und dörren."
„Kiez, m. im Niedersächsichen ein Ort, wo die Fischer beysammen
wohnen als in der Mark Brandenburg, zu Köpenik, zu Königsberg i. d.
Neumark, da der Auetor der Königsberger Chron. Kehrberg schreibt,
es kommen von Keiza oder Kcische, eine Hütte oder Haus, wo die
Fischer wohnen, habitacula piscatorura."
„Cobold schiessen ist an einigen Orten in der Mark Branden-
burg ein Spiel der Knaben, da sie den Kopf auf die Erde setzen, den
Hintern in die höhe stellen und sodann überschlagen; heisst in Franken
Sturtzbaum so bey den Holländern hillebillen heisset von Hille
Gall. culbut, von welchem letztern das Kobolt in diesem Verstand
scheint herzukommen." Vgl. Danneil, Wörterbuch der altmärkisch-platt-
deutschen Mundart.
„Keek 8. Kader und Geck pars faciei sub inento usque ad Collum.
Den Keok (oder wo das G etwas stärker ausgesprochen wird, Geek)
besabbern Niederteutsch, wie die Kinder den Speichel Uber das Kinn
am Hals herablauffen lassen.* Vgl. Schiller und Lübben, Mittelnieder-
deutsches Wörterbuch. Bremen 1877.
„Kolter in der Mark Brandenburg und benachbarten Pommern
die Pflug Säge, aratri dens, vom Lat. culter, so aueh eine Pflug-Säge
heisst. Gall. coutro, Holl, kouter." Vgl. Danneil, Wörterbuch der alt-
märkisch-plattdeutschen Mundart.
Nicht verzeichnet im Frischschen Lexikon sind Kilitte, Duhs, Dülte
Kuhsche. Von ihnen ist das erste in der Form Ka litte noch heute im
Gebrauch, von Schmidt von Werneuchen sogar in die Schriftsprache
einzuführen versucht: Almanach 1802 S. 18 „Hasch uns, lieber Vater,
doch Kalkten." Kalitte bedeutet aber auch noch Beutel, Korb, Tasche
(von der Ähnlichkeit einer Tasche mit einem die Flügel halb ausein-
ander faltenden sitzenden Schmetterling?) und stammt aus dem
Russischen. Vgl. Schiller und Lübben, Mittelniederdeutsches Wörterbuch.
Auch Kuhsche ist nach einer Mitteilung des Herrn Geh. Re-
gierungsrates Fricdcl noch jetzt in Gebrauch. Irgend welche Belege
vermag ich nicht anzuführen.
Zu Duhs lässt sich das von Schiller und Lübben a. a. O. ver-
zeichnete dust = Spreu, Hülse, Kleie, Staub heranziehen, dem engl, dust,
hollünd. duist entspricht. Vgl. auch Georg Schanibach, Wörterbuch der
niederdeutschen Mundarten der Fürstenthümer Göttingen und Gruben-
hagen.
t>4
Anmerkungen.
Dom Worte Dülte endlich entspricht das von Schiller und Lübbcn
a. a. O. aufgeführte dult = irdenes Gefliss, Krug.
Leider fehlt noch immer trotz der mehrfach unternommenen
Versuche (vgl. Märkische Forschungen 1841) ein märkisches Idiotikon.
Je weiter die Lösung dieser Aufgabe hinausgeschoben wird, um so
schwieriger wird sie sich gestalten, um so weniger vollständig ausfallen.
Möchten doch die gelehrten Gesellschaften, welche sich mit der Heimats-
kunde und Geschieht«« Berlins und der Mark Brandenburg beschäftigen,
so viel sie vermögen, dahin wirken, dass diese Arbeit ausgeführt wird!
Anm. 111. Frisch, Deutsch-Lateinisches Wörterbuch: „Gera oder Gere wird
an vielen Orten im gemeinen Reden für den Wcjhcr-Namen Gertrud
gebraucht. Im Niedersächsischen wird es verächtlich von einem geringen
und jungen Weibsbild gesagt und scheint eben diesen Ursprung zu
haben von den Namen die mit Ger anfangen." „Ger diese Sylbe ist
vom alten gehren oder geren für begehren.* Dass diese Etymologie
nicht das Richtige trifft, ist bekannt. Vgl. Schambach, Wörterbuch der
niederdeutschen Mundart. Hannover 1858.
Anm. 112. Frisch, Deutsch-Latein. Wörterbuch : „Bull-Oraven, Heidel-Beer.
Chytraeus Nomencl. Sax. col 974 Myrtilla Von Bulle, wie Lat. vaccinia
von vacca. s. Bulle, taurus so hier der Bulle, der Hirsch-Kuhe. Graven
ist das Angel -Sachs, cropp, uvae. Davon Gall. grappe de raisin Übrig
ist, heort-crop vaccinia (Hirsch-Reer) Anglo S.a
Anm. 113. Über diese Persönlichkeit hat sich nichts ermitteln lassen.
Anm. 114. Diesem Brief fehlt das Datum; er steht deshalb in der Sammlung
zu Hannover an vorletzter Stelle; seinein Inhalt nach ist er vermutlich
im Frühling des Jahres 1710 geschrieben.
Anm. 115. Unbekannte Persönlichkeit.
Anm. 116. Venus = Kupfer.
Anm. 117. 8ol = Gold.
Anm. 118. Das Neustädtische Thor führte aus dem Friedrichswerder nach
der Dorotheen- oder Neustadt über die Neustädter-, auch Neue Thor-
und Opernbrücke, welche den Festungsgraben überbrückte, lag also
zwischen Universität und Zeughaus. Vgl. Gädicke, Lexikon von Berlin.
(1806) S. 422.
Anm. 119. An der alten Leipzigerstrasse in der Gegend der Niederwall-
strasse.
Anm. 120. n«ci»/8«A«) tU Romae 1542. 2 tom. fol.
Anm. 121. Nicht eine Geschichte der Manichäer, sondern eine Schrift gegen
die Manichaer hat der um 358 gestorbene Bischof von Thmuis Serapion
in griechischer Sprache verfasst. Die erste Übersetzung in lateinischer
Sprache veröffentlichte Henricus Canisius in den Antiquae lectiones
Tom. V p. 1 sqq. (Ingolstadt 1601 — 1604). Griechisch erschien die
Schrift zuerst in der von Basnage (Antwerpen 17^5) besorgten ver-
mehrten Ausgabe der Antiquae lectiones des Canisius und zwar im
1. Bande S. 35—55: Bcati Serapionis episcopi Thmueos adversus
Manichaeos über, graece primum in luceni editus. Cum interpretatione
Francisci Turriani. Die Ausgabe erfolgte nach einer Handschrift der
Anmerkungen. 65
Johanneischen Bibliothek zu Hamburg. Vgl. Migne, Patrologiae cursus
completus. Tom. 40, 899—925.
Anm. 122. Vgl. oben Anm. 100. '
Anm. 123. Dass diese Unterrichtsanstalt tür Kadetten wirklich errichtet
worden \dst, ergeben die auf dem Königl. Geh. Staats-Archiv zu Berlin
aufbewahrten Kabinetspapiere Friedrich Wilhelms I. (Rep. 96. 519 A.)
Im Jahre 1717 waren nach dem Etat 110 Kadetten, im nächsten Jahre
131 Kadetten vorhanden. Bosse starb als Oberstlieutenant am 9. De-
zember 1718. Mit der Nachricht von seinem Tode schliessen die Akten
des Königl. Geh. Staatsarchivs über diese Kadetten-Akademie. Siehe
auch Brief 23.
Anm. 124. Dietrich Hermann Kemmerich, Licentiat der Rechte in Berlin,
wurde 1719 Professor in Wittenberg, 1736 in Jena, f 1715 ebendort.
Vgl. Bodemann a. a. O. No. 463, Allg. D. B. XV, 599.
Anm. 125. Karl Ancillon, geb. 28. Juli 1659 in Metz, gest. 5. Juli 1715 in
Berlin; juristischer, politischer und historischer Schriftsteller. Allg. D.
B. I, 424, Bodemann a. a. O. No. 12.
Anm. 126. Eine sonst nicht bekannte Persönlichkeit, von der sich nach
Bodemanns Angaben (a. a. 0. S. 64) ein an Frisch gerichteter Brief
über Vertikal- und Horizontal-Windmühlen in der Sammlung des Leib-
nizschen Briefwechsels findet. Er ist wahrscheinlich identisch mit dem
Verfasser der Schrift: Nicolaus Molwitz, Bedenken über eine lange
gesuchte vermittelst zwo Maschinen nach Wunsch zu realisirende Longi-
metriam. 1724 (Kgl. Bibliothek zu Berlin). Vgl. auch Brief 24 und 26.
Anm. 127. Nouveaudictionnaire des passagers franeais-allemand et allemand-
francais erschien in Leipzig 1712. Vgl. Einleitung, S. XXIV.
Anm. 128. Joh. Friedr. Gleditseh, Buchhändler in Leipzig. Vgl. Bodemann
a. a. O. No. 315.
Anm. 129. Ludwig von Printzen, Staatsminister, Ober-Hofmarschall, Pro-
tektor der Societat der Wissenschaften. Vgl. Allg. D. B. XXVI, 596 ff'.
Bodemann a. a. O. No. 742, den Schluss dieses Brieles und Brief 35.
S. auch Einleitung S. XVII.
Anm. 130. Siehe Einleitung S. XVII.
Anm. 131. Theodor Christoph Krug von Nidda, Leibmedikus und Dekan
des Obercollegii medici. Vgl. v. Ledebur, Friedrich I. S. 373. Siehe
Brief 33.
Anm. 132. Karl Konrad Achenbach, geb. 1656 zu Kreuznach, 1700 Hof- und
Domprediger und Konsistorialrat zu Halle, 1702 Hof- und Domprediger
zu Berlin, f 1720. Vgl. Jöchers Gelehrten-Lexicon fortges. von Adelung I,
151. Siehe auch Brief 27.
Anm. 133. Paul Volckmann, Theologe, seit 1707 Rektor des Joachims-
thalschen Gymnasiums und Professor der Theologie, f 1722. Vgl. Jöcher
IV, 1703.
Anm. 134. Joh. Karl Schott, Kgl. preussischcr Rat und Bibliothekar in Berlin,
beschäftigte sich besonders mit Numismatik. Vgl. Jöcher IV, 341 f. und
Bodemann a. a. O. No. 825. Siehe auch Brief 29 und 33.
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Anmerkungen.
Anm. 135. Dan. Ernst JaWonski, preussischer Rat und erster Hofprediger
in Berlin. Vgl. Allg. D. B. VIII, 523 ff. Bodemann a. a. O. No. 439
und Brief 27 und 35. Siehe auch die Einleitung S. V ff.
Anm. 136. Am 19. Januar.
Anm. 137. Oberhoftnarsehall Graf von Wittgenstein. •
Anm. 138. Graf von Wartenberg. Vgl. König, Berlin m, 218.
Anm. 139. Unter den Mitgliedern der Societät der Wissensehaften zählt der
Berliner Adresskalender vom Jahre 1709 auch den Hofrat Karl Wilhelm
von Meisebug auf und verzeichnet seine Wohnung auf der neuen Stech-
bahn. In den folgenden Jahrgängen ist er nicht mehr genannt.
Genaueres hat sich über ihn nicht ermitteln lassen. Vielleicht ist er
identisch mit dem hessischen Edelmann, welcher zur Taufe der Prinzessin
Friederike Sophie Wilhelmine, der Tochter des preussischen Kronprinzen,
ein Gedicht verfasste, das wegen seiner Geschmacklosigkeit Aufsehen
erregte. Bei der Taufe dieser Prinzessin waren die Könige von Däne-
mark, Polen und Preussen als Gevatter zugegen. Vgl. oben Anm. 80.
Meisebug verglich nun in seinem Gedichte die neugeborene Prinzessin
mit dem Jesuskinde und die drei Herrscher mit den heiligen drei
Königen und erhielt dafür ein Geschenk von 1000 Dukaten. Vgl.
Poellnitz, Memoires pour servir ä l'histoire des quatre derniers souverains
de Brandebourg. (Berlin 1791.) Tom 1, 330.
Anm. 140. Miscellanea Berolinensia ex scriptis societati fiegiae exhibitis
erschienen, da es besonders im Anfang an Beiträgen fehlte, ziemlich
spärlich: 1. Band 1710, 2. Bd. 1723, 3. Bd. 1727, 4. Bd. 1734, 5. Bd.
1737, 6. Bd. 1741, 7. Bd. 1743.
Anm. 141. Ein solcher Aufsatz Frischs ist aufgenommen in die Miscellanea
Berol. Bd. 4 S. 191 ff.
Anm. 142. Du Fresne, Glossarium ad scriptores mediae et inflmae Latinitatis.
Paris 1678. 3 vol. fol. Von Frischs Arbeit ist meines Wissens nichts
veröffentlicht.
Anm. 143. Aegidius Menagius, Les origines sur la langue francaise. 2 Tom.
Paris 1675. Frischs Arbeit steht in den Miscellanea Berol. Bd. 5 S. 217
und Bd. 6 S. 195.
Anm. 144. Luitpumpe.
Anm. 145. Vgl. oben Anm. 75. Die Hofintriguen, welche ihn bewogen nach
Halle zurückzukehren, sollen besonders von Seiten seines Collegen
Gundelsheim angezettelt sein.
Anm. 146. Joh. Dan. Göhl geb. 1675 in Berlin, wirkte ebenda als praktischer
Arzt, wurde 1711 Badearzt in Freienwalde, 1721 Kreisphysikus in
Wriezen, wo er 1731 starb. Allg. D. B. IX, 327.
Anm. 147. König Friedrich I. hatte 1705 in Berlin eine Fürsten- und Ritter-
akademie zum Besten der fürstlichen und adligen Jugend gestiftet. Vgl.
König, Berlin III, 159 und 230. Mylius, Corp. const. March. I 155.
Acta Borussica, Behördenorganisation I, 472 u. 415. Toland, Relation von
den Königlichen Preussischen und Chur-Hannoverischen Höfen (Frank-
furt 1706) giebt Schulordnung und Privilegien.
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Anmerkungen. 67
Anm. 118. Isaak Briand, 1699—1701 Professor linguae Gallicae in Königs-
berg i. Pr. Die Akademie lag vor dem Frankfurter Thor. Vgl. K. A.
Schmid, Encyklopädie des ges. Erzichungs- und Unterrichtswesens VII,
231. S. auch Brief 28.
Anm. 149. Vgl Anm. 76.
Anm. 150. Berühmter Mathematiker. Vgl. Bodemann a. a. O. No. 56— 5S
Anm. 151. Am 8. September 1712 entstand während der Nacht in der
Klosterstrassc eine grosso Feuersbrunst, die 8 Tage lang währte und
besonders in dem Berlinischen Gymnasium entsetzlich wütete Vgl.
König, Berlin III, 242.
Anm. 152. Vgl. oben Anm. 76.
Anm 153. Peter der Grosse war am 30. September (11. Oktober) fast uner-
wartet in Berlin angekommen. Vgl. B. v. Köhne, Berlin, Moskau,
St. Petersburg. (Schriften des Vereins f. d. Geschichte Berlins. XX)
S. 36.
Anm. 154. Über ihn vgl B. v. Köhne a. a. O. S. 80 ff'.
Anm. 155. Herr Dr. Fritz Jonas macht mich darauf aufmerksam, dass Frisch
in seinem Programm „Historia linguae Sclavonicao" (Berlin 1727) Bogen
B 2 den Titel dieses Wörterbuches mitteilt: „Theodoras Polycarpof
ediderat primum Lexicon Sclavonicum, cuius titulus est: Dictionarium
trilingue, hoc est dictionum Sclavonicarum, Graecarum et Latinarum the-
saurus ex variis antiquis et recentioribus übris collectus et juxta Scla-
vonicum Alphabetum in ordinem dispositus. 4°. Anno 1704." Diese
Angabe Frischs ist übrigens insofern nicht richtig, als bereits 1627 zu
Kiew ein Lexicon sclaveno-russieum von Berynda erschien.
Anm. 156. So die Überschrift bei diesem und den folgenden Briefen.
Anm. 157. Joh. Theod. Jablonski.
Anm. 158. Andreas Gundelsheim, Doktor der Medizin, 17U3 preussischer
Hof- und Leibmedicus und als solcher in den Adelsstand erhoben. Um
medizinische Kräuter in genügender Menge zu bekommen, machte er
den Vorschlag, den vor dem Potsdamer Thor belegenen Hopfen- und
Küchengarten zu einem botanischen Garten umzugestalten und sorgte
dafür, dass die ausländischen Pflanzen aus den königlichen Gärten
dorthin gebracht wurden. Der botanische Garten wurde seiner Aufsicht
unterstellt. Er starb 1715 am 17. Juni zu Stettin während des pom-
merseben B'eldzuges, auf dem er den König begleitet hatte. Allg. D.
B. X, 125 Geiger, Berlin 1788—1840. I, 243.
Anm. 159. von Wartensleben.
Anm. 160. Das Spandauer Thor stand zwischen den Häusern No. 1 und 81
der Spandauer Strasse und wurde 1718 bei fortschreitender Bebauung
der Neuen Friedrichstrasse beseitigt. Vgl. Vogt, Die Strassennamen
Berlins (Schriften des Vereins f. d. Geschichte Berlins. XXU) S. 34.
Anm. 161. Vgl. Einleitung S. XIX und Stenzel, Geschichte des preussischeu
Staates III 220.
Anm. 162. Vgl. Einleitung S. XXIX.
Anm. 163, „Johann Swanimerdam, celebre anatomiste Hollandaig, ne a Amster-
dam en 1637, mort dans la meme ville en 1630, s'est particulierement
7*
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68
Anmerkungen.
livre ä l'anatomio des insects.h A. Percheron, Bibliographie entomologique
(Paris 1837) p. 87.
Anm. 164. Francesco Redi, Dr. med. et phil., Leibarzt der Grossherzögc
von Toscana Ferdinand II. und Cosmos III., 1626—1697. Er schrieb:
Experiraenta circa res diversas naturales, quae ex Indiis afferuntur.
S. Poggendorff, Biographisch-litterar. Handwörterbuch. II, 584.
Anm. 165. Johann Jonston, geb. 1603, Arzt, der lange Zeit in Deutschland,
Holland, England und Frankreich herumreiste und sich endlich in
Zielendorf bei Liegnitz niederliess, wo er 1675 starb. Er schrieb: Tbau-
matographia naturalis. Amstelod. 1632. De insectis libri III. Amstelod.
• 1657. Vgl. Poggendorff, Biogr.-litterarisches Handwörterbuch I, 1202.
Engelmann, Bibliotheca historico-naturalis. Leipzig 1846.
Anm. 166. Johann Goedart, „peintre naturaliste Hollandais, ne en 1620,
mort en 1668." Erverfasste: Metamorphosis naturalis insectorum. Medio-
burgi. 3 vol. Vgl. Perscheron, Bibliographie entomologique 8. 41.
Anm. 167. Joh. Georg Eckhart (Eccard), geb. 7. September 1664, Leibniz"
Gehilfe bei dessen historischen Arbeiten, 1706 Professor der Geschichte,
zu Helmstedt, 1717 Leibniz' Nachfolger als Bibliothekar, f 9. Februar
1730 als Geh. Hofrat und Universitätsbibliothekar zu Würzburg.
1711 veröffentlichte er: Historia studii etymologici linguae Germanicae
hactenus impensi. Das von Frisch erwähnte Lexikon ist meines
Wissens nicht erschienen. Vgl. Bodemann a. a. O. No. 220. Allg. D.
B. V, 627, und meine Ausgabe von Frischs Schulspiel S. XIX.
Anm. 168. Vgl. oben Anm. 40. Jöcher, Gelehrten - Lexikon IV, 723:
„Er schrieb eine genealogische Historie des in der Mark florirenden
vornehmen Geschlechts derer von Putlitz, welche der Herr Bodenburg
herausgeben wollen."
Anm. 169. Ist meines Wissens nicht veröffentlicht.
Anm. 170. Die Beziehungen habe ich nicht aufdecken können. Bodemano
a. a. O. No. 168 bemerkt über diese Persönlichkeit nur „de Collas, Phil,
med. & I. U. D sie ist also wohl nicht identisch mit dem Ober-
ingenieur, Oberlandmesser und 1712 zum preussischen Kammerrat
ernannten Johann von Collas. Vgl. Acta Borussica, Behördenorgani-
sation I, 705.
Anm. 171. Vgl. König, Berlin IV, 1 S. 41.
Anm. 172 Wohl Joh. Chr. Müller, Ingenieur und Geograph. S. Bodemann
a. a. O. No. 667 und Brief 37.
Anm. 173. Wohl Bürsten für die Scidengewinnung.
Anm. 174. Georg Dietlof! von Arnim, geb. ly. September 1679, 1706 Land-
vogt der Uckermark und Ober-Heroldsrat, 1738 Wirklicher Geh. R**
und preussischer Staats- und Kriegsminister, f 20. November 1753.
Warmer Verehrer der Wissenschaften. Vgl. Formey, Eloges des Aca
demiciens (Berlin 1757) I, 119 ff. Allg. D. B. I, 567 ff. Kirchner, Das
Schloss Boytzenburg und seine Besitzer. Berlin 1860.
Anm. 175. Ernst Bogislav von Kamecke, Geh. Etatsrat und Präsident der
Hofkammer. Vgl. Ledebur, König Friedrich I. 8. 466. Bodemann a. a. 0.
No. 460. Acta Borussica, Bohördenorganisation I, 134.
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Anmerkungen.
Anm. 176. Glycyrrhiza glabra, an vielen Orten im mittleren und südlichen
Europa angebaut.
Anm. 177. Joh. Theod. Jablonski hatte Tacitus Germania übersetzt, Jöcher
n, 1801.
Anm. 178. „ Historisch - geographischer Kalender nach dem verbesserten
Stylo," eine Art der Kalender, welche auf Leibniz' Veranlassung von
der Societät herausgegeben wurden und deren Vertrieb eine wesent-
liche Einnahmequelle für dieselbe bildete. Vgl Einleitung S. XI. Dieser
und andere Kalender sind genau beschrieben bei Geiger, Berlin 1688—1840.
I, 114 ff.
Anm. 179. In den Miscellanea Berolinensia IV, 69—73 veröffentlicht.
Anm. 180. Das schwer zu entziffernde Concept ist von Leibniz auf den Rand
des vorstehenden (31.) Briefes geschrieben.
Anm. 181. Soweit ich habe ermitteln können, weder durch den Druck ver-
öffentlicht, noch überhaupt erhalten.
Anm. 182. Der Dichter Benjamin Neukirch, seit 1696 in Berlin, 1703 Pro-
fessor an der von Friedrich I. gegründeten und nach dem Tode dieses
Herrschers wieder aufgehobenen Ritterakademie, wurde 1718 als Er-
zieher des Erbprinzen und als markgrHflicher Hofrat nach Ansbach
berufen, wo er 1729 starb.
Anm. 183. Über den Verfall der Societitt nach dein Tode Friedrichs I. vgl.
Stenzel, Geschichte des preussischen Staates III, 494 und König, Berlin
IV, 2 8. 113.
Anm. 184 Joh. Theod. Jablonski war von der verwittweten Markgräfin
Joh. Charlotte von Schwedt zum Erzieher ihres Sohnes berufen und
machte mit seinem fürstliehen Zögling in den Jahren 1715—1717 eine
Reise nach Italien. Vielleicht ist diese Reise gemeint.
Anm. 185. Schon 1693 hatte Leibniz der Zumutung, zur katholischen Kirche
überzutreten, entschiedenst seine Zugehörigkeit zur Augsburgischen
Konfession entgegengesetzt. Vgl. Lettres de M. Leibniz et de M. Pelisson
de la toleranee et des differents de la religion. 1693. Der bei Bodemann
a. a. 0. No. 8, No 598 und No. 603 verzeichnete Briefwechsel giebt
weitere interessante Aufschlüsse über diese Bemühungen. Vgl. auclu
Fr. Kirchner, Leibniz' Stellung zur katholisehen Kirehe. Berlin 1874.
Anm. 186. Aus der Übersicht bei Bodemann u a. O. No 517 lässt sich
nicht erkennen, ob dieser Briet in der Sammlung zu Hannover
erhalten ist.
Anm. 187. Der Brief steht ohne Datum an letzter Stelle der Sammlung;
er ist zwischen dem 14. Januar und 11. Februar 1716 geschrieben.
Anm. 188. Johann Friedrich Mayer, geb. 1650 zu Leipzig, lutherischer
Theologe und beliebter Prediger, f 30. Mürz 1712 als Generalsuper-
intendent über Pommern und Rügen, Präsident des Konsistoriums,
Theologus prinmrius und Procancellarius der Universität Greifswald.
Verfasser zahlreicher, besonders theologischer Schriften; stand auch mit
Leibniz in Briet Wechsel. Vgl. J. H. Balthasar, Vermischte Sammlung
von allerhand gelehrten und nützlichen Sachen. (Greifswald 1744)
S. 55 ff. und S. 130 ff. Jöcher III, 321. Bodemann a. a. O. No. 621.
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Anmerkungen.
Über die Schicksale seiner Bibliothek sind wir durch einige Briefe in
der Leibnizschcn Sammlung zu Hannover unterrichtet. Am 8. April
1712 meldet Johann Abraham Mayer an Lcibniz den Tod seine« Vaters
und wünscht, dass der Kurfürst von Hannover die Bibliothek desselben
kaufe. Nachdem ihm von Leibniz Hoffnung gemacht war, schreibt er
unter dem 6. Mai 1712, dass ein Kaufpretium von 24 000 Thalern nicht
zu hoch sein werde, und meldet endlich unter dem Ii). Juli 1712, dass
seine in Leipzig lebende Mutter die Bibliothek ohne sein Wissen dem
Könige von Polen angeboten habe, ja dass dieselbe in seiner Abwesen-
heit bereits verschickt sei. In einem Brief an Frisch vom 2. März 1713
endlich schreibt dieser Dr. Mayer, dass die Bibliothek den Sachsen
von den Russen fortgenommen und in Landsberg deponiert sei.
Anm. 189. Ludwig Otto Edler von Plotho, geb. 1663, studierte die Rechts-
wissenschaft, 1698 Regierungsrat zu Magdeburg, 1711 Geheimer Rat zu
Berlin, 1714 Wirklicher geheimer Etats - Minister und Präsident des
geheimen Justizkollegiums und Ober- Appellationsgerichts, f 18. Augrat
1731. Eifriger Büchersaramler und im Besitze einer kostbaren Bibliothek.
Jöcher III, 1634 f.
Anm. 190. Gemeint ist wohl Karl Friedrieh Graf von Sehlippenbach,
preussischer General der Kavallerie und vielfach in den Verwickelungen
mit Schweden Gesandter und Unterhändler des preussischen Hofes,
f 9. Januar 1723 als Gouverneur von Colbcrg. Vgl. Allg. D. K.
XXXI, 521.
Anm. 191. Ernst Martin Plarre, geb. 1684 zu Berlin, Rechtsgelehrter, mehr
fach vom preussischen Hof zu diplomatischen Sendungen verwandt,
1712 Hof- und Kammer-Gerichtsrat und Kriegsrat bei dem General-
Kriegs-Kommissariat, 1715 Geheimer Kriegsrat, f 1717. „Er hatte die
meisten und besten Bücher, welche zur churmärkisehen Historie gehören,
gesammelt.« Jöcher III, 1619 f.
Anm. 191a. Vergl. Einleitung S. XIX.
Anm. 192. Friedrich Jägwitz, Dr. med., Mitglied und Direktor der mathe
matisch-physikalischen Klasse der Akademie, f 27. September 1727.
Siehe auch den nächsten Brief. Über seine chemischen und alchy-
mistischen Bemühungen und die von ihm hergestellten BrennglHser vgl.
Kapp, Leibniz' und D. E. Jablonskis Briefwechsel (Leipzig 1745) S. 25 >f
258, 262, 312.
Anm. 193. Zu dieser Stelle schreibt mir Herr Oberbibliothekar Dr. Bodemann:
„Zur Handschrift ,De imposturis religionnnv bemerke ich, dass dieselbe
sich hier unter unsem Handschriften befindet. (Vgl Bodemann, Die Hand
Schriften d. Kgl. Bibl. zu Hannover, Hann. 1867, S. 8, No. 42). Auf einem
vorgehenden Blatte findet sich folgende Notiz von der Hand des Biblio-
thekars Gruber: „„Du Catiana P. II, p. 288 in Addit. ad Menagiana p.309.
Le livre, qu'on peut placer en l'annee 1 538 et qui n'a jaiuais ete impnmc, a
pour titre: ,De imposturis religionum', ouvrage execrable, compo^'
comme on voit en latin, et cela vers Tan 1538, puis qu'il y est fait inention
d'lgnace de Loyola, fondateur des Jesuites. Ce livre est plein de Oallicis-
mes, raais il y en a quelquesuns si grossiers, qu'il n'cst pas saus app»-
rence, que l'autcur, <jui d'ailleurs n'.'erivait pas mal en latin, les ait affecU»
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pour le mieux cacher. Ce livrc etait dans la belle etnombreuse
Bibliotheque du Dr. Mayer, vivant ministre ä Hambourg, qui tut
vendue par auction ä Berlin an cojnmencement de 1716. — On dit, que
le MS. en question, dont celui-ci par alt etre une copie, ait ete
achcte alors par Monsgr. le Prince Eugene de Savoye 80 ducats en or"'\
Diese Hdschr. ward für unsere Kgl. Bibliothek 1738 aus der Bi-
bliothek des Superintendenten Elers zu Ratzeburg für 18 Thaler
angekauft/
Anm. 194. „D'Alencon, litterateur et huissieur au parlement de Paris, ne
vers le fin du 17. siecle, mort en 1717." Nouvelle Biographie uni-
verselle I, 788.
Anm. 195. Graf Bonneval, berühmter Abenteurer, erst in französischen
Diensten, dann kaiserlicher General zu Wien, später berüchtigt als
Achmed Pascha, f 1747. Vgl. Brockhaus, Conversations-Lexikon 13. Aufl.
III, 320. Guhrauer, Leibniz II, S. 278 ff'. 354 f. Bodemann, Leibniz
Briefwechsel No. 89.
Anm. 196. Michael Servetus, Van de Dolinghen in de Drievaldingheid. Ouers.
uyt het latin. O. O. 1620. 4*.
Anm. 197. Zu diesem Streit vergleiche: Johannis Lysii Theologischer Discurs
oder kurzer Berieht von der Wahrsagerkunst und insonderheit vom
Nativitatstcllen. Bey Gelegenheit einer durch das ihr gestellte Pro-
gnosticon betrübeten und einige Zeit nachhero im Wasser todtgefundenen
Person. Nebst einer über diesen jämmerlichen Todes-Fall gehaltenen
Leich- und Busspredigt. Berlin (1711). 4'. Ferner: Johannis Lysii Ver-
nünftiges und in der H. Schrift gegründetes Urtheil von der Wahrsager-
Kunst und insonderheit vom Nativitüt-Stellen wider den ungegrtindeten
Astrologischen Discours eines hiesigen Advocati nochmals behauptet.
(Kgl. Bibliothek zu Berlin Ok 3790. 4*).
Abdias Trew, „bey der Universität A Udortf' Math, vnd Phys. Pro-
fessor", schrieb: Nucleus Astrologiac correctae, Das ist, Kurtzer Bericht
vom NatuitJitsstellen, Wie dannit umbzugehen vnd was es nutze.
Nürnberg 1Ü51. 4*. (Kgl. Bibliothek zu Berlin Ok 2633).
Anm. 198. Philipp Wilhelm, Markgraf von Schwedt, jüngerer Bruder
Friedrichs I. f r,ll.
Anm. 199. Job. Thcod, Jablonski. Vgl. Anm. 178.
Anm 200. Joh. Wilh. Wagner, Mathematiker und Astronom, wurde 1706
durch den Baron Krosick zum Zwecke astronomischer Beobachtungen
nach Berlin berufen, 1711 Professor der Mathematik an der Briandschen
Akademie, 1716 Mitglied der Berliner Societüt der Wissenschaften
und mit der Herausgabe der Kalender betraut. 1740 nach Kirchs Tode
Astronom der Akademie, f 1745. Von ihm viele astronomische Beobach-
tungen in den Miscellanea Berol. Vgl. Fortney, Eloges des Academiciens
de Berlin. I, 32. Bodemann a. a. O. No. 973. Siehe auch den fol-
genden Brief.
Anm. 201. Christfried Kirch (1694—1740), Sohn Gottfried Kirchs, des ersten
Astronomen der Berliner SocieUlt, rückte 1717 in die Stelle seines
Vaters ein. Seine astronomischen Beobachtungen wie die seines Vaters
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72
Anmerkungen.
u. a. in den Misccllanea Boro). Die Ephemeridcn hatte Gottfried Kirch
von 1681—1702 herausgegeben. Vgl. Allg. D. B. XV, 787 f.
Anm. 202. Königlicher Rat und Domänenfiscal , der sich in den Jahren
1716 und 1717 um die Einführung des Seidenbaus in die Kurmark, in
Magdeburg und Halberstadt bemühte. Vgl. Acta Borussica, Seiden-
bau I, 20.
Anm. 203. Lothar zum Bach von Koesfeld, geb. 1666 zu Trier, Mathematiker
Musiker und Dr. med., f 1727 zu Kassel als Professor der Mathematik
und Inspektor der fürstlichen Kunstkammer daselbst. Vgl. Jöcher IV,
2238 und Bodemann a. a. O. No. 1027. S. auch Brief 39 und 40. Der
Titel des erwähnten Buches lautet: Jovilabium id est Instrumentum
astronomicum, quo in systemate Joviali positiones Jovis et Satellitum
eius inter sese ut et eclipses oorom atque oceultationes mutuae ad quodvis
tempus sine aut coneurrente calculo facile, exaete ac prompte exhibentur
et praedicantur. Opera ac studio Lotharii Zumbaeh de Koesfeld.
Amstelodami 1716. 4*.
Anm. 204. Peter der Grosse entwarf um 1704 die Grundzüge der gegen-
wärtigen russischen Druckschrift, indem er den schwerfälligen cyrillischen
Buchstaben mehr Rundung gab
Anm. 205. Joh. Chr. Lehmann, 1675 in Bautzen geboren, 1707 Professor der
Medizin, 1710 Professor Phys. zu Leipzig, Mitglied der Berliner Societät,
beschäftigte sich auch mit Blumenzucht. Vgl. Allg. D. B. XVIII, 139.
Bodemann, a. a. O. No. f>42.
Anm. 206. Georg Andreas Agricola, 1672 — 1738, Dr. med. und Arzt in
Regensburg, behauptete, eine vegetabilische Mumie und darin ein Mittel
gefunden zu haben, in kürzester Zeit Bäume wachsen zu lassen. Allg- '
D. B. I, 145.
Anm. 207. Joh. Georg Liebknecht, 1707 Professor der Mathematik zu Giessen,
1716 Mitglied der Berliner Societät, später Professor der Theologie,
1729 Marburger Superintendent und Beisitzer im Konsistorium zu Giessen.
Vgl. Jöcher II, 2427 f. Bodemann a. a. O. No. 561. Vielleicht bezieht
sich die Briefstelle auf den Wunsch Liebknechts, den er in einem
Schreiben an Leibniz zum Ausdruck bringt, eine von ihm verfasste
astronomische Abhandlung in die Miscellanca Berol. aufgenommen zo
sehen.
Anm. 208. Adam Friedrich Zurner, geb. um 1680 im Vogtland, gab 1711
sein Predigtamt auf und trat als Kartograph in die Dienste Augusts II.
von Polen. Verfasser des Atlas Augusteus Saxonicus. f 1742. Vgl.
Biographie universelle XLV, 642.
Anm. 209. Peter Schenck, Kupfersteeher und Kunst Verleger, geb. 1645 zu
Elberfeld, Hess sich in Amsterdam nieder, wo er 1715 starb. Vgl. Allg-
D. B. XXXI, 56.
Anm. 210. Natalja Alexejewna. Vgl. Brückner, Peter der Grosse (Berlin 1879)
S. 319. Siehe auch den folgenden Brief.
Anm. 211. Vgl. auch den folgenden Brief. Meines Wissens ist das
Werk
nicht gedruckt.
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73
Anm. 212. Die Schrift scheint nicht verfasst oder doch nicht gedruckt zu
sein. Einige Nachrichten über die Geschichte des Seidenbaus hatte
Frisch bereits 1714 in der anonym erschienenen Schrift „Der Seidenbau
in seiner nöhtigen Vorbereitung, gehörigen Bestellung und endlichen
Gewinnung" S. 5 f. gegeben. Vgl. Einleitung S. XXIX.
Anm. 213. Vgl. Acta Borussica, Seidenindustrie III, 28.
Anm. 214. Nach Frischs Anm. 207 genannter Schrift Herzog Friedrich zu
Würtemberg-Neustadt.
Anm. 215. Karl Ludwig. Vgl. Acta Borussica, Seidenindustrie III, 28.
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74
Bericht igtmpen.
Berichtigungen.
S. XVIII. Die Bezeichnung Akademie der Wissenschaften erhielt die Societat erst
bei ihrer Reform durch Friedrich den Grossen.
S. 3, Z. 20 von unten lies: statt »»;.
S. 4, Z. Iß von oben lies: Charlottenburg.
S. 21, beim letzten Worte lies: s") statt "").
S. 24, Z. 4 von oben lies: ,M) statt '").
S. 26, Z. 10 von unten ist zu Königsthor hinzuzufügen: '»7») und zu Spandauische:
Anm. i»7 b).
S. 60, Anm. 108a lies: 2U4 statt Anm. 199.
S. 64. Als Anm. 117a ist einzuschalten: Der Name des Oderberger- oder Georgentboree
wurde wie die ebenso benannte Strasse nach dem Einzug König Friedrichs L
(1701) unter Bezugnahme auf dieses Ereignis umgeändert: das Königsthor bildet«
in der Gegend der heutigen Neuen Friedrichstrasse den Abschluss der König-
strasse. Als Anm. 117b ist einzuschalten: Vgl. Anm. 160.
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Namen- und Sachregister.
75
Namen- und Sachregister.
A.
Absyte 62.
Achenbach, Karl Konrad 32, 37, 65.
Achterholz 62.
Acken 62.
Acta eruditoram 24, 60.
Acta medicorum XIV.
Agapet 22, 68, 59.
Agricola, Georg Andr. 46, 72.
Agstein 8. Bernstein.
Academia Caesarea Leopoldina naturae
curiosorum VI, XXIX.
Akademieen IV, XXIX, 29 , 32 , 34 , 38,
65, 66, 67.
Alaun 54.
Aichemistische Bemühungen in Berlin XXX,
9, 12, 14, 15, 22, 25, 26, 34.
d'AJencon 44, 71.
Alkali, fixes 54.
Altorf II
Amsterdam III.
Anania, Vincenzo, ein neapolitanischer
Gärtner 17, 18, 19, 20, 21, 85, 36, 57.
Ancillon, Karl VII, 29, 65.
Antimon 14, 15.
Antlia pneumatica 34, 66.
Aqua fort = Scheidewasser 9, 12, 14.
Aqua regia = Königswasser 12. 56.
von Arnim, Georg Dietloff 39, 40, 68.
Arrasch 49.
Astmann, Paul IIL
August II von Sachsen 18, 57, 60.
Ausreiter 62.
B.
Zum Bach, Lothar 4ö, 72.
Bai reo t 41.
Benne 62.
Benson, Thoma« 17, 22, 57.
Berlin:
Societät der Wissenschaften I, VII,
XIH. Reform derselben 32, 65. Ver-
fall 42, 69.
Kgl. Observatorium V, VI, VII, 18,
32 , 38 , 45. Grosseck isches Observa-
torium 46.
C o 1 1 e g i u m m e d i c u m i Coll.sanitatis)VI.
Medicinisch - chirurgisches Collegium
XIX. Theatrum anatomicum XIX, 37.
Botanischer Garten XIX, 37, 07.
Hofgarten 10, 58. Hopfen- und Küchen-
garten 67.
Erziehungs- n. Bildungsanstalten:
College royal francaisXX. Dorotheen-
stadtische höhere Schule XX. Friedrich-
Werdersches Gymnasium XX,59. Gym-
nasium zum grauen KJoster XX, XXI,
35, 59. Joachiinsthalsches Gymnasium
XX, 59. Köllnisches Gymnasium 59.
Kflrsten- und Ritterakademie 34, 66.
Akademie für Standespersonen von
Briand :U. 38, 67.
Hof- und Amtskammer 18, 21, 22.
Befestigung: Wall 2, 17, 18, 19, 20,
21, 22, 28, 50. Bedeckter Weg 5, 8,
23, 24, 53. Contrascarpe 13, 26, 27,
37, 56. Fausse braye 23, 59. Ravelin S.
Thore: Königsthor 26,74. Leipziger Thor
2(5, 64. Neust iidtisehes Thor 26, 64.
Spandauer Thor 26, 37, 67, 74.
Weg nach Charlottenburg 4, 8, 53.
Kgl. Weinberge 7, 15, 16, 18. 21, 54.
Feuersbrunstl712 im September 35,67.
Berliner Blau XXX, 9, 12, 20, 21, 23, 24,
.54, 35, 37, 39, 47, 4*, 54.
Bernoulli 35, 36, 67.
Bernstein X.
Berynda 67.
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76
Namen- und Sachregister.
Bewässerungsanlagen 1, 4, 27.
Bibliotheca Bodleiana zu Oxford 60.
Blankenburg a. H. II, III.
Bleiwalzen, Monopol für dasselbe 36.
Bodonburg, Christ. Friedr. XX, XXI, 15, 57.
Rodenhausen, Baron von II.
Bödiker, Joseph XXVIII, 5a
Bödiker, Edzard 3, 50.
Boitzenburg 40.
ßonneval, Graf 44, 71.
Borna = Bornim 2, 7, 11, 16, 17, 40.
Bosse, Hauptmann 29, 32, 66.
Brand, Entdecker des Phosphors XXXI.
Brandenburg:
Ritterschule 7.
Brandhahn 62.
Branntweinsteuer XVIII.
Breithorn, Pastor II.
Briand, Isaak 34, 38, 67.
Briefe deutscher Potentaten Ib.
Brückholtz 62.
Bücherkominissarial XI, XIII, XIV.
Bullegraven = Heidelbeeren 25. 64.
Burckhaff, Gärtner XXXII.
C.
CaetAno Manuel, AlchemistXXX, 16, 21,57.
lammen 62.
Carinbolen 62.
Carlabad 13, 16, 46.
Cartatschen 39, 68.
Charlottenburg 4, 8, 19, 5:}.
China VHT, X, XIV, 48.
Ciceronis epistolae 29, 59.
Circasski, Prinzessin 47, 48.
Cochenille 54.
Comenius1 Vestibulum XXIV, 47, 72.
Crossen 14, 17, 56.
La Croze, Maturin Veyssierc 7, 11, 24 33,
38, 43, 44, 47, 53.
Cuneau III, IV, V, VII, 3, I. 5, 6, 10, 1:1,
24, 26, 28, 42, 13.
D.
Dankehnann HI, V. VI
Darnmann, Sophie Elisabeth III.
Dictionarium srlavonicum XIV.
Dernze iDörnze) = Stube 25, 63.
Dez = caput 25, 63.
Diesbaeh, Farber XXI, 21, 22, 23, 2.-, 26,
•*9, 44, 54.
Dippel, Job. Konrad XXX, 54.
Diterich, Martin 69.
Dolgoruki 34, 36.
Dörgen 62.
Dornmeier, Konrektor 59.
Dresden 46.
Duhs = feinstes Mehl 25, 63.
Dülte = gepichte, hölzerne Kanne 25, 64.
Düngung, chemische 20.
E.
Eisenvitriol 54.
Eckhart, Joh. Georg XXV, XXVII, 37, 68.
Engelbrüder in.
Ephemerides 45, 72.
Erbach, Graf George Albrecht von HI.
Ernst August, Kurfürst von Haimover IV.
Eusthatius 29, 64.
F.
Fecher, Sabina II.
Fechner s. Fecher.
Fell, Bischof 58.
Felmy XXX, 9, 11, 14, 21, 26, 54.
Feuerkasse IX, XII, XV, 11, 14, 17, 21.
26, 55.
Feuerspritzen XI, XII, 21, 28, 36.
Fihney s. Felmy.
Florenz VIII.
Franecker HI.
Franke, A. H. II, XX.
Frankfurt a. M. XI.
Frankfurt a <). :
Friedrichsschule XX
Freienwalder Brunnen 34.
Du Fresne 33, 66.
Friederike Sophie Wilhehnine, Tochter
Friedrich Wilhelms I. 66.
Friedrich, Kurprinz von Brandenburg III.
Friedrich III., Kurfürst VH.
Friedrich I , König XVHI, 18, 42, 50.
Friedrich Ludwig, Prinz von Oranien 13,
55, 56.
Friedrich Wilhelm, der grosse Kurfürst
IV, XX, 2, 25, 50.
Friedrich Wilhelm I. als Kronprinz XVII,
29, 32, 49.
Friedrich Wilhelm I., XVIII, XXIX, 16.
Friedrich IV. von Dänemark 18, 67, 66.
Friedrich, Herzog zu Württemberg-Neustadt
48, 73.
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Namen- und Sachregister.
77
Frisch, Ferdinand Helfreich XXIX.
— Jodocus Leopold XXIX.
Fürsten- und Ritterakademieen IV, 34,
38, 6«, 67.
C.
Gäre (Gere) 25, 64.
Geck s. Keck.
Gelehrtenakademieen IV.
Genf 39, 42.
Geographische Studien XXVIII, 40.
Gichtel HI.
Glasarbeiten X. •
Gleditsch, Joh. Friedr. 31, 33, 35, 36, 66.
Glienike 8, 11, 17, 49, 54.
Glossarium Marchicura 24, 60.
Glycyrrhiza glabra 40, 69.
Goedart, Joh. 37, 68.
Göhl. Joh. Dan. 34, 66.
von Golowkin 36, 46, 67.
Gregorianischer Kalender VI.
Greywahden 62
Grickscheide 62.
Qröningen III.
Grosseck 45.
Grossenhain 46.
Grflnberg, Baumeister VII.
Grundein 6l.
Gründling 61.
Gründlingspflöcke 62.
Gundelsheim, Andr. XIX, 37, 38.
Günther 21, 26, 27, 28, 36, 58.
H.
Halle 23.
Hamburg IIL
Handschrift de imposturis religionum 44, 70.
Hannover IH, IV, XVni, 17, 38.
von Hartefels H.
Haspel zum Seidenspinnen 18.
Havelberg 38.
Hehse, Bauschreiber 7, 8, 18, 54.
Heideläufer 62.
Heidereiter 62.
Helfer = Diaconus 62.
Hessen -Kassel, Erbprinz von XI.
Hickesius, Georg 22, 23, 58.
Hoff mann, Friedr., Leibarzt 17, 21,22,34,57.
Hoffmann, Joh. Heinr. 1, 4, 45, 50.
Hoheneck XXVIII.
Homer 29, 64.
J.
: Jablonski, D. E., Hofprediger V, XXV,
32, 37, 43.
Jablonski, J. Th , Secretär der Societät VII,
XI, XVIH, 3, 4, 6, 28, 35, 37, 38, 39,
40, 41, 42, 45, 60.
Jägwitz, Friedr. 43. 44, 70.
Idiotikon, Anlage desselben XXIII, XXVI,
(50 ff.
Jena II.
Indien VIII.
Indigo 20.
Insekten, Beobachtung derselben 40, 45.
Johann Philipp von Mainz 48, 73
Jonston, Joh. 37, 46, 68.
Irrgarten 33.
Isodynamen XTV.
Junius, Franciscus 22, 23, 24, 58.
K.
Kader 63.
Kadettenakademie in Magdeburg 29, 32, 65.
Kafen 62.
Kalender, historisch-geographischer 41, 69.
Kalender, Gregorianischer VI.
Kalenderprivilegium XI, XV.
Kali, kohlensaures 15, 37.
Kalitte s. Kilitto.
von Kamecke, Ernst Bogislav 39, 40, 68.
) Karl XII. von Schweden 67.
j Karl Ludwig, Kurfürst von der Pfalz 48, 73.
Katechismus der Russen XXIH.
j Kaulbarsch-Pflöcke 62.
Keck = Hals 25, 63
| Kemmerich, Dietr. Herrn. 29, 65.
Kiez 25, 63.
Kilitte = papilio 25, 62.
Kirch, Gottfried 71.
Kirch, Christfried 45, 71
Kitai = China 48.
Klebnetze 62.
Koboldschiessen 25, 63.
Kohlenbrüche X
Kolter = Pflugschar 26, 63.
Röppisch, 8eidenbändler 3, 50.
Köln 1H.
Kormoran XXIII.
von Kraut, Christ. Friedr. 17, 34, 57.
Kress (Kressling) 61.
Küchengarten, Königl., zu Ruhleben 19.
Kuhlmann, Quirin HL
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78
Namen- und Sachregister.
Künsche 25. 03
Kum 26, 62.
Kunkel, Joh. XXX
Kupfer, ungarisches 16, 2ü.
Kupferbergwerke i. Harz 20.
Küstrin 21.
Krug von Nidda, Theod. Christ. 32, 33,
42, 65.
L.
Landvogt 62.
Lange, Joachim XX. 2:1, 60.
Langelaar 11.
Lapis Lazuli 47.
Laschwad 47.
Lasur 47.
Lehmann, Joh. Chr. 46, 72
Leibniz angebl. Religionswechsel 42, 60.
Leipzig 24.
Leopoldinische Akademie naturae curio
sorum VI, XX IX
Lexicon s. Wörterbuch
Lichtenstein, Fürst von 21.
Lichtscheid, Ferd. Helfreich XXXII. 40.
Liebknecht, Joh. Georg 46, 72
Livorno 47.
London VIII.
Lotterie XI, XII.
Lübeck 14.
Luftpumpe 34, 66.
Luise Dorothee Sophie, Prinzessin von
Preussen XI.
Luna fixa = Silber 14, 56.
Lysins, Joh. 71.
M.
Maass und Gewicht, Einheitlichkeit des-
selben i d. Mark Brandenburg XV.
Maderitzen 62.
Magdeburg 2. 20, 32, 66-
Mainz III.
Mandschutartarische Sprache XIV.
Manichäer 29, 64.
Marchica vocabula 26, 60 ff.
Marcbicum glossarium s. Glossarium.
Maresen 62.
Märkische Schulbücher s. Schulbucher.
Marperger, Paul Jakob 14, 33, 56.
Mars = Eisen 15, 57.
Mayer, Joh. Friedr. 43, 69.
Mayer, Joh. Abraham 44, 46. 47, 70.
Mayersche Bibliothek 43. 46, 70, 71.
Medicinalische Observationen XIV, XVIII.
von Meisebug, Karl, Wilh. 33, 66.
Melolontha Frischii XXI XL.
Menagius, Aegidius XXIII, XXIV, XXVI,
34, 66.
Mencke, Otto 24, 60.
Mercurius = Quecksilber 16, 67.
Messlings-Pflrtcke 62.
Miscellanea Berolinensia ex scriptis So-
cietati Kegiae exlübiüs XV, XVII, XXI,
XXX, XXXI, 24. 33, 42, 45.
Missionsseminar XIV.
Missionsthätigkeit der Berliner Societat
X, XIII, XIV.
Molwitz. Nlcol. 31, 34, 36, 65.
Moscau VIII. XIV.
Müller, Joh Urban, Kämmerer 11, 12, 17,
21, 25, 55.
Müller, Joh. Christ., Ingenieur 39, 44, OK
Myran = Ameisen 26, 62.
N.
Natalja Alexejewna, Schwester Peters d.
Gr. 47, 48, 72
! Neukirch, Benj. 41, 69.
Xeusol in Ungarn II.
Neustadt a. d. Aisch XXVIII, 41.
Nürnberg II, 41.
O.
Oberdachsbach II.
Oelven, Christoph, Heinr. 12, 14, 33, 55.
| Oppermann = Küster 62.
Oranienburg VII.
Otto, Meister, Raschmacher 1, 2, 4, 6, 7,
12, 13, 15, IS, 40, 49, 60.
Oxford 24, 68, 60.
P.
Paianios 50
Pape, Buchhändler 50.
Paris VIII.
Pasigraphie IV.
Perpetuum mobile 26, 27.
Persien VI IL
Peter d. Gr. X, XIV, XXIII, 36, 47, 4*,
67, 72.
Petersburg 48.
Pfeiffer, Domänenfiscal 45, 72.
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Namen- und Sachregister.
79
Philipp, Wilb,, Markgraf v. Schwedt 46, 71.
Phosphor XXXI.
Piras = Regenwurm 25, 62.
Plarre, Ernst Martin 43, 70.
Plinii Caecüii Secundi epistolae 59.
von Plotho, Ludw., Otto 43, 70.
von Pöllnitz, Fräulein 49.
• Potsdam 1, 2, 9, 11, 13, 15, 16, 17, 18,
20, 24, 49.
Polycarpof, Theod. 36, 67.
Praesenten, monatliche (Zeitschrift) 13,
14, 55.
Prenzlau 2, 3, 4
von Printien, Ludwig XVII, XVI II, 32,
33, 43, 65.
Privatunterricht XVI.
Privilegium impressorium generale XVI.
Pofendorf III.
Puppen 62.
von Putlitz, Geschichte derer 38, 68.
Q-
Quäker III
Quecksilber, Verwandlung desselben in
Silber 16, 57.
Querfurt 21, 23, 58.
Queste 62.
R.
La Ramee 25, 64.
Raschmacher XXXII, 49.
Receptnrbüchlein XV.
Rechtspflege XHI.
Redi, Francesco 37, 68.
Regensburg VI.
Reichstag zu Regensburg VI.
Reisesteuer XI, XII.
Repnin 34, 36.
Riga 47.
Ritterakademieen IV, 34, 38, 66, 67.
Rodigast, Sam. XX f.
Rubin, Konrektor 59r
Ruhleben 19.
Rum an 48.
Russische Druckschrift 25, 46, 72.
S.
Salpeter 12, 15.
Salpetersäure 14, 56.
Salpetersiedereien X.
Salzsiedereien X.
Sandelholz 48.
von Sayn u. Wittgenstein, Aug. 19, ;!2,
58, 66. i
Schattenhuben 62.
8chenck, Peter 46, 72.
Schilters Glossarium XXVII.
Scldesische Dichterschule, zweite XIX,
von Schlippenbach, Karl, Friedr. 4:5, 70.
Schmerlen 61.
Schott, Job. Karl 32, 38, 42 65.
Schottel XXV.
Schulbücher, märkische XVI, XXIV, 23,
29, 31, 59.
Schulbücherprivilegium XVI, XVIII.
Schwefel 14, 15.
Schwefeln der Seide 21.
Seide, Abspinnen derselben 1, 18.
— Auskochen derselben 23.
— 8chwefeln derselben 21.
— XV, XVII, XX, XXVIII, XXIX, 1, 2,
3, 4. 5. 6, 7 u. öfter.
Seidenbau, Geschichte desselben 47, 73.
— -Privilegium XVII, 3, 6, 10, 15, 18, 19,
21, .24, 49, 50.
Seidenraupen 5, 6, 30.
Serapion 29. 64.
Servetus, Mich. 44, 71.
Setzhamen 62.
Siguale der czarischen Flotte 25, 60.
Skinner, Stephan 22. 58.
Slavische Sprache XXIII, XXIV. XXVI,
24, 33.
Slavisches Wörterbuch 24. ÜO.
Societät der Wissenschaften s. Akademieen
und Berlin
Sol = Gold 26, 64.
Sommer. Guilel. 16, 22, 67.
Sophie, Kurfürstin v. Hannover III.
Sophie Charlotte, Prinzessin v. Hannover
IH; Kurfürstin von Brandenburg IV,
V, VII, Königin in Preussen XIII, XV,
XVII.
Sophie Dorothee, Prinzessin von Hannover
XVII, 49; Kronprinzessin von Preussen
XVII, Königin XVI1L
Spandau 1, 9, 11, 17, 18, 19, 24, 28, 35.
Spener, Christian, Max 9, 38, 45, 55, 68.
Spiritus salis Amoniaci 22, 58.
Spiritus nitri (Salpetersäure) 14, 5(5.
Stampkum 25, 62.
Starke. Sebastian, Gottfr. 7, 14, 25, 29 53.
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80
Namen- und Sachregister.
Stecherling XXII, XXX.
Steinbrüche X.
Btichling XXII, XXX.
Stiemhielm, Georg 23, 24, 60.
Stinte-Pflöcke 62.
Stipendienaufsicht der Societ&t XVIII.
Stiftungen, milde XIII.
Strasburg II.
Strohgarn 62.
Sturms Kriegsbaukunst 25, 60.
Sulzbach II.
Sflssbolz 40, 69.
Swammerdam, Joh. 37, 67.
T.
Tacitus de moribus Germ. 40, 41, 69.
Tartarei VIII, X.
Töplitz 46.
Teste 14, 66.
Theophrast 60.
Tieröl, ätherisches 54.
Tinctura Martis 22, 58.
— Veneris 22, 58.
Tresekammer (Tresskammer) XXn, 62.
Treu. Abdias 44, 71.
Treumunn, Amtskammerrat 18, 68.
U.
Uckermark 39.
Ulphilas 23, 24.
Ultramarin 47.
Unionsbestrebungen IV.
V.
Vegetationsbeobachtungen XIV.
Vegetius XXIX.
Venetianer 26.
• Venus = Kupfer 15. 16, 26, 67, 64.
Verfulminieren 16, 57.
Viehseuchen XIV.
Vignoles, Alphonse de 13, 66.
Vocabula marchica 26, 60 ff
Volckmann, Paul XX. 32, 66.
Wagner, Joh. Wilh. 46, 46, 71.
von Wartenberg. Joh. Casimir Kolb, Graf
I, 7, 10. 18, 32, 64, 66.
von Wartenaleben, Alexander, Hermann
5, 8, 10, 11, 13, 37, 68.
Wässerungsmaschine 27, 31.
von Wedel, Maltre des requets VII, XI.
Weinbau 40.
Werner, Direktor der Akademie der
Künste 21.
Wessel, Buchdrucker 24.
Wetterbeobachtungen XIV, XVIII.
Wien XVII, XVin, 42.
Wüleram 23, 24, 60.
Windbüchsen 26.
Wippel III, XXI.
von Wittgenstein s. von Sayn.
Wohlenbüttel 21, 23.
Wörterbuch, deutsch - lateinisches von
Frisch XXV, XXVI, 17, 72.
— französisch-deutsches von Frisch XXIV.
16, 31, 33, 57.
— russisches 36, 67.
— slavisches 24, 60.
Wriezen 2, 3, 4. 50.
Z.
Zähren 62.
Zumbach 46, 72.
, Zumer, Adam, Friedr. 46, 72.
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ARCHIV
DER
„BRANDENBUR6IA"
GESELLSCHAFT FÜR HEIMATKUNDE
DER
PROVINZ BRANDENBURG
ZU
BERLIN.
Unter Mitwirkung des Märkischen Prorinzial-Museums
herausgegeben
vum
Gesellschafts -Vorstände.
3. Band.
Berlin 1897.
Druck und Verlag von P. Stankiewicz' Bucbdruckerei,
Bernburgerstra8se 14.
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Inhalt.
Seit«
1. Rudolf Buch holz: Chronik der Berliner Schützengilde 1
2. Erich Schild: Bilder aus dem Leben der preussischcnl Armee juii v<.>ri£(.:ii
Jahrhundert 77
3. Otto Pniower: Die Bevölkerung Brandenburgs vor der slavischen Zeit ... 94
4. Ludwig Krug: Haus Jessen, Kreis Sorau 117
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Chronik der Berliner Schützengilde.
Mit einer Einleitung (Iber:
Entstehung und Entwickelung dos Schützengilde- Wesens
im allgemeinen
von
Rudolph Buchholz
Kustos des Märkischen Provinzial-Muueuum.
Mit 15 Abbildungen.
A. Entstehung und Entwickelung des Schützengildewesens
im allgemeinen.
Über die Veranstaltung friedlicher Wettstreite in der Schiesskunst
haben wir schon aus der ersten Zeit des klassischen Altertums Kunde.
Wir ersehen aus dem 23. Gesänge der Ilias, wie Achilles zur Verherr-
lichung des gefallenen Patroklos neben anderen Wettkämpfer) ein Bogeu-
schiessen nach einer mit Schnur an einen Mastbaum gebundenen Taube
veranstaltet, und aus dem 21. Gesang der Odyssee, wie Penelope, in
Ungewissheit über die Rückkehr ihres geliebten Odysseus, sich dem-
jenigen der sie bedrängenden Freier zu eigen geben will, welcher, wie
einst der Gatte, mit dessen Bogen den Pfeil durch die Löcher von 12
hintereinander aufgestellten Beilen zu senden vermag. Die Zahl solcher
Beispiele Hesse sich aus anderen Werken des klassischen Altertums ver-
vielfachen.
So oft aber auch von Wettechiessen im Altertum berichtet wird,
immer handelt es sich dabei um mehr zufällige oder nebenhergehende
Veranstaltungen, niemals um eine geschlossene dauernde Ver-
einigung zu Schiessübungen und jährlichen Wett- oder
Königsschiessen nach festen Satzungen, wie sie das Wesen der
dem Mittelalter entstammenden Schützengilden ausmachen.
Genaue Nachrichten über Zeit und Ort der Entstehung der Schützen-
gilden, nicht minder über die Person des Begründers und die Art der
ersten Satzungen, sind nicht vorhanden. Doch fehlt es nicht an
gelegentlichen Erwähnungen in mittelalterlichen Schriftstücken, welche
in ihrer Gesamtheit Material zur annähernden Bestimmung einzelner
1
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2
Rudolph Burhholi:
dieser Fragen bieten. „Fraternitates sagittariorum" (Pfeilbrüderschaften)
ist die Bezeichnung, unter welcher Schützenvereinigungen in jenen Schrift-
stücken uns zuerst entgegentreten. Es wird derselben gedacht in Be-
ziehung auf ihr Verhältnis zur Kirche: Sie stiften einen Altar, verpflichten
sich zu Beiträgen, erhalten einen Schutzheiligen u. dgl.; andererseits
werden ihnen gewisse kirchliche Vorrechte zugesichert.
Diese enge Anlehnuug der Schützen brüderschafteu an die Kirche,
sowie der Umstand, dass Geistliche als Mitglieder, oft in führender
Rolle, genannt werden, haben der Annahme Halt gegeben, dass in der-
selben Zeit, in welcher die Gründung einer ganzen Reihe von frommen
Brüderschafteu zur Stärkung der politischen und materiellen Macht der
Kirche planmässig vor sich ging, nämlich gegen Ende des 11. Jahr-
hunderts, auch die ersten Schützenbrüderschaften durch Organe der
Kirche errichtet worden seien. Die Kirche hätte dabei die Sicherung
des Kirchspiels und des darin befindlichen, nicht selten wertvollen
Kirchenguts gegen kriegerische oder räuberische Angriffe zunächst im
Auge gehabt, dann aber auch ein Gegengewicht gegen feindliche
Strömungen, wie solche namentlich innerhalb des Rittertums ihr öfter
gegenübertrateu , gesucht, vielleicht auch eine Abschwächuug roher
Fehdegewohnheiten zu Gunsten eines friedlichen und geordneten Waffen-
spiels beabsichtigt.
Die erste Errichtung von Schützenbrüderschaften fällt aller Wahr-
scheinlichkeit nach in die zweite Hälfte des 11. Jahrhunderts. Es wider-
spricht dieser Zeitannahme nicht, dass über bestehende Schützenver-
einigungen die ersten Aufzeichnungen erst aus dem Ende des 12. Jahr-
hunderts datieren; denn lange zuvor, ehe der Anlass zu den Auf-
zeichnungen sich darbot, können und werden die ersten Keime der
Vereinigungen hervorgetreten sein. Als Thatsache wird angeführt, dass
die wohl weniger den Wettstreiten der Heroen des Altertums, als dem
Wettschiessen der frühmittelalterlichen Schützen - Vereinigungen ent-
nommenen Redensart: „Er hat den Vogel abgeschossen" schon im
12. Jahrhundert in ihrer heutigen gemeinverständlichen Bedeutung
vorkam. —
Der Umstand, dass die ersten Erwähnungen bestehender Schützen-
vereinigungen sich auf Genf und Chamber} beziehen, weist auf die
südlich vom Genfer See belegene Landschaft als den Boden der ersten
Entstehung hin. Insofern in dieser, damals zum Burgundisch - Are-
latischen Königreich gehörigen Landschaft im 11. Jahrhundert zuerst,
auf Betreiben der Geistlichkeit, der Gottesfriede (Treuga dei), in Kraft
gesetzt wurde, ergiebt sich eine Bestätigung der obigen Zeitbegrenzung,
da der Gottesfriede deu Aulass, die Abschwächung roher Fehdegewohn-
heiten zu erstreben, in vorzüglicher Weise dargeboten haben wird.
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Chronik der Berliner Schützengilde.
Auf die Erwähnungen von Schützenbrüderschaften in Genf und
Cbamböry folgen als zeitlich nächste, dem Anfang des 13. Jahrhunderts
entstammend, verschiedene in Städten des südöstlichen Frankreich und
der südwestlichen Schweiz. Aus der Mitte des 13. Jahrhunderts finden
sich Nachrichten über Schützenbrüderschaften in fast allen bedeutenderen
Städten des östlichen Frankreich und der Rheingegend, sowie der Nieder-
lande. Wien, Breslau, Magdeburg haben Schützengilden gegen Ende des
13. Jahrhunderts. Im 14. Jahrhundert entstehen sie in den Städten längs
der Nord- und Ostsee-Küste, in Ostpreussen zufolge besonderer Förderung
durch die Ordenshochmeister. Unsere Mark Brandenburg gehört, —
was die besonderen, der frühzeitigen Entwickelung eines kräftigen
Städtewesens wenig günstig gewesenen Verhältnisse erklärlich erscheinen
lassen, — zu denjenigen Landschaften, in welchen die Einbürgerung der
Schützengilden verhältnismässig spät, nämlich Ausgangs des 14. und
Anfangs des 15. Jahrhunderts stattfand. Nur Zielenzig, wo im 13. Jahr-
hundert der Johanniter-Orden eine Schützengilde errrichtete, macht eine
Ausnahme. Nachrichten über das Bestehen der Schützengilde in Pritz-
walk und Lübbeu liegen aus dem 14. Jahrhundert, derjenigen in Frank-
furt a. 0., Müncheberg, Beeskow, Treuenbrietzen, Luckau u. a. aus dem
Anfang des 15. Jahrhunderts vor. Merkwürdigerweise ist von einer
Berliner Schützengilde in schriftlichen Überlieferungen nicht früher
als im Jahre 1504 die Rede, während mit Fug anzunehmen sein wird,
dass die Errichtung mindestens zu gleicher Zeit, wie in anderen
Märkischen Städten, also fast 100 Jahre früher, erfolgt sei.
Die überraschend schnelle Ausbreitung des Schützenbrüderschafts-
wesens über fast alle Städte des zivilisierten Europas ist aus den be-
sonderen Zeitverhältuissen und örtlichen Zuständen zu erklären, unter
denen die Einrichtung als nützlich und wichtig sich geltend machen und
bewähren konnte.
Der Niedergang des hohenstaufischen Kaisertums, die kaiserlose
Zeit während des sogenannten Interregnums, die traurige Regierung
darauf folgender Kaiser, insbesondere Wenzels (1378 — 1400) leisteten in
den deutschen Landen der höchsten Unordnung und Unsicherheit Vor-
schub. Jeder Stand, vom Fürsten herab bis zum Ritter und selbst zum
Stadtbürger, trachtete nach Unabhängigkeit und suchte sich auf Kosten
des andern zu erheben und zu bereichern. Die Übel des Faustrechts
nahmen schrecklich überhand und ein Teil der Ritterschaft erniedrigte
sich sogar zum Raubleben und störte den Handel und Verkehr der be-
triebsamen Einwohner der Städte, die bald nach der Zeit der Kreuzzüge
zu grossem Wohlstand gediehen waren, auf das empörendste.
In solcher Zeit mussten die Städte ein dringendes Interesse daran
haben, sich möglichst verteidigungsfähig einzurichten. Wenn zur Ver-
teidigung der Stadt im Ernstfalle auch jeder wehrfähige Bürger ver-
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4
Rudolph Bachholi :
pflichtet war, so bot doch die dauernde Vereinigung eines thatkräftigen
Teils der Bürgerschaft zu wiederkehrenden Waffenübungen ein vor-
zügliches Mittel dar, die Verteidigungsfähigkeit zu erhöhen. Der
günstige Boden für die Ausbreitung des Schützenwesens war damit ge-
geben. Der leicht zu ausschliesslich dem Erwerb nachgehende Bürger
lud sich in der, mancherlei Anreiz bietenden Vereinigung den Zwang
zur öfteren Waffenübung gern und willig auf. Das Ansehen der Ver-
einigung stieg durch den Eintritt der vornehmen Stadtgeschlechter, in
Folge dessen sich der Name „Gilde" für „Brüderschaft" einbürgerte.
Dass die Schützengilden als geschlossene Korper gegen den Feind
aufgetreten sind, ist nicht bekannt geworden. Alle Anzeichen sprechen
dafür, dass ihre Mitglieder im Ernstfall sich unter die einzelnen ge-
werblichen Gilden — Zünfte — verteilt haben, zu welchen sie ihrem
Beruf nach gehörten und welchen meistens Teile der Stadtmauer zur
Verteidigung zugewiesen waren. Sicherlich aber bildeten innerhalb
der Zünfte die Mitglieder der .Schützengilde den schiessge wandten
Kern, welcher an den Mühen und den Erfolgen des Kampfes den
Hauptanteil hatte, wie er auch durch seine Vertrauen erweckende
Fertigkeit im Schiessen ermutigend auf die anderen einwirkte.
Die in den Schützengilden gehaltene männliche Zucht und der von
ihnen gepflegte echte deutsche Bürgersinn haben sich indes nicht uur
in den Verteidigungskämpfeu erwiesen, sondern auch in den Werken
des Friedens. Mit Recht lässt sich sagen, dass mit dem erstarkeuden
Stadtbürgertum das Schützengildewesen untrennbar verbunden ist.
Unter der durch die Schützengilden gewährleisteten grösseren
Sicherheit konnte die Erwerbsthätigkeit jeder Art sich reger entfalten,
konnte der Wohlstand wachsen, Kunst und Bildung gedeihen und fort-
schreiten.
Wie aber innerhalb der eigenen Stadt die Schützengilden unmittel-
bar und mittelbar einen vorteilhaften Einfluss ausübten, so ist auch die
Annäherung der Städte untereinander, welche in den grossen
Städtebünden des 18. und 14. Jahrhunderts hervortritt, sicherlich zum
guten Teil auf die Wirksamkeit der Schützengilden zurückzuführen.
Die letzteren veranstalteten nämlich frühzeitig in grösseren Städtever-
bänden gemeinsame Wettschiessen, in Verfolg deren Verbindungen zur
Geltendmachung gemeinschaftlicher Interessen angeknüpft wurden. Zu
allgemeinen Volksfesten gestalteten sich solche Wettschiessen, und
sie hatten den Gang der Geschichte beeinflussende Volks- und Städte-
Verbrüderungen zur Folge.
Bewehrt und bewaffnet, haben die Schützengilden niemals in
frivoler und ungerechter Weise von ihren Waffen Gebrauch gemacht.
Damit steht auch die Eiugangsscene zu Goethes Egmont, die ein Arm-
brustschiessen darstellt, im Einklang, worin der Bürger Soest auf die
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Chronik der Berliner 8chütiengilde.
5
Klagen über die Not der Zeit sagt: „Drum muss auch ein Bürger immer
in Waffen geübt sein", und welche ausklingt in die echte Schüteen-
Ideale bezeichnenden Worte: „Sicherheit und Ruhe, Ordnung und
Freiheit."
Es konnte nicht fehlen, dass mit dem Aufkommen eines starken
Landesfürsteutums , welches als seine vornehmste Aufgabe den Schutz
nach innen und nach aussen erachtete, die Stellung und die Aufgabe
der Schützengilden in etwas verändert wurde. Aber die Volkstüm-
lichkeit, welche die Gilden in früherer Zeit sich erworben
hatten, ist ihnen, wie das namentlich bei den Schützenfesten
in kleineren Städten ersichtlich ist, geblieben. Sie haben sich
solcher Volkstümlichkeit auch wert gehalten, indem sie, als würdige
Körperschaften der von jeher die festesten Stützen der Reichs-
gewalt bildenden Städte niemals aufgehört haben, den deutschen
Einheitsgedanken zn pflegen, selbst dann nicht, als schwere Zeiten über
das gemeinsame Vaterland hereinbrachen.
Und wenn wir uns jetzt der endlichen Verwirklichung dieses Ein-
heitsgedankens freuen können, so ist das zwar unmittelbar dem ge-
waltigen Aufgebot der militärischen Schützen, den grossen Führern
derselben und den Leitern der Politik zu danken, aber den Kriegs-
Erfolgen war wirksam vorgearbeitet durch die lange vorher betriebene
und wachgehaltene Verbrüderung der deutschen Volksstämme,
die jedesmal zum Ausdruck kam, wenn Schützen -Gesaug- oder Turn-
vereine der'deutsehen Gaue sich zu friedlichem Wettstreit versammelten.
Insbesondere aber erhielt das Verlangen des deutseben Volkes
nach politischer Einigung durch die vor 30 Jahren zuerst veranstalteten
und dann fortgesetzten deutschen Bu ndesschiessen neuen Impuls
und so haben auch die Schützengilden ihren Anteil an dem ruhmreichen
Verlauf der jüngsten Geschichte Deutschlands.
Die innere Einrichtung der Schützengilden ist in der langen Zeit
ihres Bestehens naturgeinäss manchen Wandlungen unterworfen gewesen.
Ihre Waffen, ihre Gepflogenheiten, namentlich bezüglich des Königs-
schiesseus, sind unter dem Einfluss jeweiliger Anschauungen bezw.
neuer Erfindungen mehrfach verändert worden.
Die älteste Watte der Schützenbrüderschaften war der Handbogen,
schlechtweg Bogen genannt, welcher schon von den Kulturvölkern des
Altertums als Fernwafte gebraucht worden war, wie bildliche Dar-
stellungen aus den Pyramiden Ägyptens, wie zahlreiche Funde von
steinernen und bronzenen Pfeilspitzen, mitunter auch von Bogenresten
z. B. in den Pfahlbauten der Schweiz, beweisen.
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Richard Buchhol*:
Die Bogen wurden aus astfreien Baumzweigen in Mannslänge,
1,60 — 1,80 m, geschnitten, in Form der nachfolgenden Zeichnung eines
im Märkischen Provinzial-Museum befindlichen Exemplars.
Das beste und gebräuchlichste Holzmaterial dazu lieferte der
Eibeubaum (Taxus baceata), dessen Anbau deshalb besonders gepflegt
wurde. Die grosse Elastizität des Holzes machte die schlanken Zweige,
an denen nicht viel geschnitzelt zu werden brauchte, zur Herstellung
des Bogens besonders geeignet. Im Garten des Herrenhauses zu Berlin
steht noch ein schöner Repräsentant dieser Baumart, dessen Alter auf
600—800 Jahre geschätzt wird, und kürzlich ist auch noch Kunde ge-
kommen von viel grösseren und stärkeren Eiben, die im Dorfe Eichholz
bei Finsterwalde in der Niederlausitz stehen.
Der geschattete Bogen, die Armbrust, scheint in derselben
Zeit erfunden zu sein, in der sich die Pfeilbrüderschaften gebildet hatten;
ja es lässt sich annehmen, dass die Pfeil brüderschaften selbst die Er-
finder der Annbrust sind, die den vorzugsweise auf Verteidigung der
Wohnplätze gerichteten Zwecken besser, als der blosse Bogen entspricht.
Denn das Zielen durch Auflegen war ein sichereres, mechanische Vor-
richtungen gestatteten ein stärkeres Spannen der Sehne, so dass der
Pfeil weiter flog und die Pfeile selbst konnten kürzer und doch
schwerer gehalten werden, so dass sie auch auf weite Entfernungen
noch wirksam waren.
Die Schäftung gestattete zugleich eine allmähliche Verkleinerung
des Bogons, der dafür um so stärker gemacht werden konnte, ebenso
wurde die Sehne stärker und kürzer.
Von der byzantinischen Kaisertoehter Anna Komnena und vom
Erzbischof Wilhelm von Tyrus haben wir den frühesten Bericht über
den Gebranch der Armbrüste; sie seien im Kreuzzuge zu Ende des
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Chronik der Berliner Schfltzengilde.
7
11. Jahrhunderts verwendet worden. Im 12. Jahrhundert worden bereits
in Frankreich ganze Truppenkörper mit Armbrüsten bewaffnet, doch
verdankt England die Siege von Cräcy 1346 und Poitiers 1356 seinen
Bogenschützen, da die Bogen während des Regens weniger litten als die
Armbrüste der Franzosen.
Die unter „Alte Schusswaffen", Fig. 2, abgebildete Armbrust ist
eine der im Märkischen Museum befindlichen, aus dem Rathause zu
Prenzlau herrührenden und macht die im 15. Jahrhundert gebräuchliche
Form anschaulich. Der Bogen ist aus Hornlagen zusammengesetzt, die
mit Leder oder Schlangenhaut überzogen sind. Zum Aufziehen der
Sehne wurde eine Hebel Vorrichtung oder eine Winde benutzt.
Es sei hier eingeschaltet, dass die Zeit der Armbrust als die
Blütezeit der Schützengilden bezeichnet werden darf. Den damaligen
Angriffs- und Schutzwaffen der Ritter gegenüber war die Armbrust,
wenigstens in der Verteidigungsstellung hinter den Stadtmauern, eine
furchtbare Waffe. Der scharfe und schwere, kraftvoll abgeschossene
eiserne Bolzen durchdrang den damals noch schwächeren Schuppen-
oder Maschenpanzer der angreifenden Ritter und diese mussten sich
ausser Schuss weite halten, oder, was bald darauf geschah, stärkere, aber
auch schwerfälligere Rüstung anlegen. Auch die weltlichen oder geist-
lichen Landesfürsten jener Zeit mussten zu ihrem Schaden in ihren
Streitigkeiten mit den Städten die Wirkung gut gezielter Armbrustbolzen
erkennen, was ihnen Anlass gab, Kaiser und Papst zum Verbot
der nnchristlichen Armbrust anzurufen. Auf den ökumenischen
Konzilen in den Jahren 1139 und 1215 wurde denn auch deren Gebrauch,
insoweit 'er gegen Christen und nicht gegen Ungläubige gerichtet war,
verflucht und Zuwiderhandlungen wurden mit dem Bann bedroht. Wir
ersehen indes nicht, dass dieses Vorgehen bei den Schützengilden einen
Erfolg gehabt hätte.
Die Armbrust blieb auch nach Einführung der Feuerwaffen neben
den letzteren in Gebrauch und zwar war in der Kegel ein Teil der-
selben Schützengilde auf die Armbrust, der andere auf die Büchse an-
gewiesen, oder es wurde für alle Mitglieder ein Annbrustschiessen nach
dem Vogel und ein Büchsenschiessen nach der Scheibe veranstaltet. Im
17. Jahrhundert begann endlich der Gebrauch der Armbrust allmählich
nachzulassen und namentlich in Berlin wurde seit U>51 nur noch mit
der Büchse geschossen.
Nach Erfindung des Schiesspulvers kamen im 14. Jahrhundert die
ersten tragbaren Feuerwaffen, Feuerrohre, auf, welche damals von den
Schützengilden noch wenig in Gebrauch genommen wurden. Ihre Ein-
führung bei den Gilden fand vielmehr erst im Laufe des 15. Jahrhunderts
statt, nachdem eine mechanische Vorrichtung zum Zünden der Ladung
in Gestalt eines Hahnes uud ein geeigneter Kolben zum Anlegen dem
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Rudolph Buchholl!:
einfachen Rohr angesetzt war. Jener Hahn fasste die brennende Lunte
und schlug genau nach dem Federdruck des Schätzen auf die Pfanne,
während bei den ersten Feuerrohren der Augenblick nicht beherrscht
werden konnte, in welchem das Pulver von der Lunte erfasst wurde.
Ein solches Luntenschiossgewehr zeigt Fig. 8 der Zeichnung, nach
einem im Märkischen Provinzial- Museum befindlichen Original aus der
zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts.
Das Luntenschiossgewehr hatte indes einen erheblichen Mangel,
insofern die Lunte brennend erhalten, oder vor dem Sehuss besonders
angezündet werden musste. Sein Gebrauch verlor sich deshalb allmählich,
nachdem, zu Anfang des 16. Jahrhunderts, das Steinschloss erfunden
war, welches die Funken im Moment des Gebrauchs selbst hervorrief
und gleich auf die Pfanne warf. Die Feuererzeugung geschah dabei
durch Reibung von Feuerstein oder Schwefelkies auf Stahl und die
mechanische Vorrichtung dazu bestand aus einem Stahlrad, auf welches
der Feuerstein mittels eines kräftigen Hahns aufgedrückt wurde. Das
bewegliche Rad wurde mittels eines, in der Regel in der Zündkraut-
büclise angebrachten Sclilüssels aufgezogen und schnellte nach einem
Federdruck sehr kräftig zurück, wodurch die fuukengebende Reibung
mit dem Feuerstein erzielt wurde. Diese Radschlossgewehre, von
denen ein Exemplar aus dem Märkischen Provinzial -Museum hier ab-
gebildet wird, (Fig. 4), wurden, dem gehobenen Kunstgeschraack der
Renaissance entsprechend, ausgestattet und verziert, sie zeugen zugleich
von der Trefflichkeit der Büchsenmacher- Arbeit jener Zeit. Das Rad-
BChloss machte allerdings das Gewehr relativ schwer und der unmittelbar
am Rade sich absetzende Pulverschleim störte nach einigen Schüssen
die erforderliche Schnelligkeit der Drehung.
'äHfc 35#Au ^v ^an ^am <h'shalb im 17. Jahrhundert darauf.
Form des Schlosses erfuhr, aber im wesentlichen bis in die erste Hälfte
solchen FeucrschlossUüchse, welche 17Ö8 vom Grafen von Haacke der
des Hl. Jahrhunderts beibehalten wurde. Ein schönes Exemplar einer
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Chronik der Berliner Schatzengilde.
Berliner Schützengilde verehrt wurde und sich noch jetzt im Besitz
der Gilde befindet, igt hier mit einer Vergrösserung des am Kolben be-
findlichen Gräflich Haacke'schen Wappens abgebildet.
Als Schi essziel war, wie schon berichtet, von Alters her ein
Vogel üblich, meistens eine auf eine Stange gebundene Taube oder ein
Hahn. Die ersten Schützenbrflderschaften milderten solchen rohen Ge-
brauch etwas, indem sie z. B. eine Gans in ein pfeilsicheres Fass
setzten, so dass nur der Kopf herausstand, dessen Verletzung durch den
Pfeil den schnellen Tod des Tieres zur Folge hatte; man blieb aber in
der Abmilderung hierbei nicht stehen, beseitigte vielmehr schon im
12. Jahrhundert jene grausame Gewohnheit und wählte einen aus Holz
geschnitzten Vogel, der auf eine Stange, den Baum, gesetzt wurde.
Man dachte sich unter diesem Holzvogel meistens einen Adler,
bei einigen Schützengilden eine Taube und, namentlich in den Städten
der Niederlande und hin und wieder des norddeutschen Tieflandes, einen
Papagei.
Wer den Vogel so traf, dass er herunterfiel, wurde König und
erhielt den Haupt preis und verschiedene Ehren -Gaben. Für das Ab-
schiessen blosser Extremitäten, des Kopfes, der Flügel etc. gab es
Nebenpreise. War nur noch der Rumpf auf der Stange, so galt das
Fallen desselben als das des ganzen Vogels.
Das Schiessen nach Scheiben scheint erst gegen Ende des 14. Jahr-
hunderts aufgekommen zu sein; neben jenem hat dann das Vogel-
schiessen noch hunderte von Jahren bis in die neueste Zeit weiter
bestanden.
Wer den besten Sehuss gethau hatte, wurde zum König ausgerufen,
bekränzt und im Triumph in die Stadt geleitet. An diese frühesten und
einfachsten Ehrenbezeugungen, welche unter Mitwirkung der weltlichen
und geistlichen Obrigkeit erwiesen wurden, knüpfte sich beim zunehmenden
Wohlstand der Städte alsbald ein allgemeines Festmahl, dessen Kosten
aus festen Bezügen bestritten wurden, ferner materielle Vorteile ver-
schiedener Art, namentlich auch Befreiung von Steuern, und die Aus-
schmückung mit der Königskette, an welcher das silberne oder goldene
Kleinod in Gestalt eines Vogels (Taube, Adler, Papagei), mitunter auch
des bezüglichen Schutzheiligen, hing. Die Gewohnheit, der Kette all-
jährlich ein vom jeweiligen Könige zu stiftendes Ringleiu zuzufügen,
ritt erst zu Ende des Mittelalters auf. Bei den Schützenfesten zu Magde-
burg in den Jahren 1281 und 1387 soll sogar eine Jungfrau als Haupt-
preis geboten worden sein.
Gegen Ende des 13. Jahrhunderts beginnen die Schützeugilden
mehrerer Städte gemeinsame, in den Städten jährlich wechselnde
Wettschiessen zu veranstalten. Das Interesse an diesen oft grossartigen
Festlichheiten war immer ein allgemeines und die als Sieger aus dem
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10
Rudolph Buchhok:
Wertkampf hervorgehende Gilde, bezw. Stadt, «ah sich hochgeehrt. Ihr
fiel nicht allein der Preis zu, sondern auch das Siegeskränzlein,
mit dessen Übernahme auch die Verpflichtung zur Veranstaltung des
nächsten allgemeinen Wettschiessens verbunden war. Die heutige Be-
zeichnung „Kränzchen" für gewisse wechselnde Gesellschaftsfeste ist von
jenem Gebrauch hergeleitet.
Wie nach den Begriffen der mittelalterlichen Kirche alle Gesell-
schaften, womöglich auch Familien, eines Fürsprechers und Vermittlers
beim lieben Herrgott, eines Schutzheiligen oder Patrons bedurften,
so hatten ihn auch die Schützeubrüderschaften. Doch war es nicht für
alle Brüderschaften derselbe. Die meisten stellten sich unter den Schutz
des heil. Sebastian, jenes Märtyrers, der, obgleich von zahlreichen
Pfeilen durchbohrt, durch einen Engel wunderbar gerettet sein soll.
Nach diesem Patron wurden die Schützen auch oft „Sebastiano" oder
„Bastiano"-Brüder genannt. Einzelne andere Gilden wählten St. Georg,
die heil. Jungfrau u. a. als Schutzheilige.
B. Materialien zur Geschichte der Berliner Schützengilde.
Wie schon erwähnt, datiert die älteste Aufzeichnung, aus der auf
die Existenz einer Berliner Schütze ngilde geschlossen werden kann,
aus dem Jahre 1504.
Ein im Archiv der Stadt aufbewahrtes Wochenbuch des Rats von
Berlin aus dem Jahre 1504 enthält nach einem vor 28 Jahren unter
des damaligen Stadtarchivars Fidicin Beihülfe gemachten Auszuge,
einen Ausgabeposten: 1 Schock und 22 Groschen für Wein zur Be-
wirtung des Kurfürsten und des Hofgesindes „bey dem Schützen Borne
(Baum), do mau nach dem Vogel hat geschossen". Dies ist die früheste
Urkunde über die Berliner Schützengildc*): sie lässt das Vorhandensein
von Schützenbrüdern, die das „Vogelschiessen" veranstaltet hatten, als
sicher voraussetzen. Der Umstand, dass der Hat von Berlin dabei
gewisse Repräsentationskosten übernahm, kann nach den damaligen
Verhältnissen kein Argument gegen das Bestehen der Schützengilde
sein, denn gleiche städtische Ausgaben kommen auch bei viel späteren
Gildefesten, lange nach Erteilung der förmlichen Gilde-Privilegien, vor.
Auch der Mangel jeder urkundlichen Erwähnung der Gilde aus der
Zeit vor 1504 kann die Annahme ihres früheren Bestehens nicht aus-
schliessen, da aus jener Zeit überhaupt nur sehr wenige Berliner Schrift-
*) Die betreffende Notiz ist leider heute nicht mehr lesbar und hat deshalb
hier nicht dem Original-Schriftstück, sondern der Fidicin'schen Wiedergabe entnommen
werden können.
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Chronik der Berliner Schatzengilde.
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stücke erhalten sind. Wohl aber kann angenommen werden, dass das
durch die ersten Hohenzoller'schen Kurfürsten zur Hauptstadt ausersehene
Berlin- Cölln in Bezug auf die Bildung einer Schützengilde hinter den
anderen, meist viel weniger bedeutenden märkischen Städten nicht zurück-
geblieben sein wird. Man dürfte deshalb mit der Annahme der Ent-
stehung unter der Regierung des Kurfürsten Friedrich I., also in der
Zeit von 1417 — 1440, nicht fehlgehen. Der etwaige Einwand, dass dann
die Berliner Schützengilde in der Hussitenzeit oder in den Zeiten der
Streitigkeiten zwischen Berlin -Cölln und Kurfürst Friedrich TT. eine
wichtige Rolle hätte spielen müssen, ist gegenüber den obigen Aus-
führungen hinfällig, nach denen die Gilden als geschlossene Körper-
schaften niemals gekämpft haben. Dagegen liegt ein wichtiger Halt für
die Annahme in der Motivierung Joachims II. bei Erteilung des Schützen-
gilde-Privilegiums: Dass „unsere Vorfahren allezeit was auf die
Schützengilde gehalten und sie mit allen Gnaden gefördert haben".
Auch kommt darin der Ausdruck „altes Herkommen" wiederholt vor.
Endlich aber muss jeder Zweifel über die Frage der Existenz der
Gilde während des 15. Jahrhunderts fallen angesichts der Thatsache,
dass das in alten Konsistorial- Akten aufgefundene Visitatious-Protokoll
der Petrikirche vom Jahre 1540 (bei Umwandlung in den reformierten
Kirchendienst) eine Notiz enthält, nach welcher die Schützengilde
Kapitalien ausstehen hatte, aus deren Zinsen die Priester für den Dienst
am Schützen - Altar Besoldung erhalten. Dieser Zustand hatte, wie
konstatiert wurde, schon lange Zeit bestanden und eine weitere lange
Zeit des Bestehens der Gilde ist zur Ansammlung solcher Kapitalien
vorauszusetzen. Der bez. Auszug aus dem Visitationsprotokoll lautet
wörtlich :
„Dem Altar der Schützen in der Petrikirche zu Cöln. Colla-
„tores sind der Rath und die Schützengilde daselbst, und hat
„die Gilde einige Hauptsuinnieu ausstehen, von deren Zinsen sie
„hie bevor den Priestern, welche die Messen am Altar gehalten,
„ihre jährliche Besoldung gegeben haben.
„Es haben die Schützenbrüder ausserdem alljährlich zur Be-
soldung Priestern, Schulmeistern, Küstern und Pulsanten eine
„Summe Geldes, und in die Kirche etliche Pfund Wachs gegeben".
Nach dem weiteren Inhalt des Protokolls war 1540 die Priester-
steile unbesetzt; die Visitatoren verordneten, dass die Schützengilde für
die Zukunft jährlich 9 Schock Groschen an die Petrikirche zur Besoldung
der Kirchenbeamten zahlen und von den Zinsen der ausstehenden Kapi-
talien nach wie vor gewisse Spenden jährlich ausrichten sollte, nämlich:
3 Schock Groschen an Schüler und Arme, Unterhaltung von Kelch und
Patene, Ornat für den Priester.
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Rudolph Buchholt:
Folgen wir nun den einzelnen aufgefundenen Notizen, die die
Srhützengilde berühren, in chronologischer Reihe:
Im Archiv der Stadt Brandenburg befindet sich ein Einladungs-
schreiben des Rats von Berlin zu einem Ochsen schiessen, vom
fi. Juli 1521 :
„Unsern freund willigen Dienst zuvor. Ehrbare, Ehrsame und
weise, besonders liebe und gute Freunde, nachdem wir auf Sonn-
tag nach Jacobi durch nachgeben und Zulassung unsers gnädigen
Herrn ein gemeines Schiesscti um einen Ochsen und andere
Kleinodia, wie angelegte Copei erweiset, aufgerichtet, ist der-
halben unsere freundwillige Bitte, wollet solche Copei bei Euren
Ehrbaren Weisheiten anschlugen lassen, damit sie öffentlich ge-
lesen, ob jemand von den Euren mit zu schiessen geneigt sich
darnach wisse zu richten".
Leider ist von der das ausführliche Programm enthaltenden „Copei*
nichts mehr vorhanden.
Die Nachrichten beginnen von dieser Zeit an sich zu mehren.
1524 erklärt der Rat von Berlin, dass zur Beförderung des Schützen-
wesens und des fleissigen Übens jährlich 16 Hosentücher, oder statt
derselben für jedes 32 Groschen, ausserdem zu den Kosten des Vogel-
schiessens 10 Gulden aus der Kämmereikasse gegeben werden sollen.
Aus dem Jahre 1527, wird berichtet, dass sich 30 Schützen am
Vogelschiessen beteiligten.
Stärker war die Beteiligung im Jahre 1530. Die Zahl der Schützen
wird auf 132 angegeben, darunter die vornehmsten Geschlechter; auch
2 Bürgermeister, Joachim Reiche und Fröbich, werden als Mitglieder
der Gilde genannt.
An dem Vogelschiessen von 1532 beteiligen sich die 4 Bürger-
meister und 44 andere Schützen; auch der Kurfürst Joachim I. mit
seinen beiden Söhnen Joachim und Hans beehrt das Schützenfest.
So setzen sich die Nachrichten über die Vogelschiessen dann fast
alljährlich fort, ohne neue Einzelheiten zu bieten.
Uber die früheren inneren und äusseren Verhältnisse der hiesigen
Schützengilde giebt zuerst die Ordnung der Gilde zu Kölln a. Spree
vom Jahre 1543 ausführliche und zugleich für die Beurteilung der da-
maligen Kulturverhältnisse interessante Auskunft, weshalb ihre voll-
ständige Wiedergabe nach einer alten in den Städtischen Akten befindlichen
Abschrift hier am Platze erscheint:
Älteste bekannte Satzungen der Köllnischen Schützengilde
mit Bestätigung des Rats von 1543.
„1. Nachdem die Schützen Gülde in allewege auch bei andern Vor
die Voruehmbsten und des Raths Gülde geacht und herbracht,
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Chronik der Berliner Schütiengilde.
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wollen wir dass es noch die Vornehmste und des Raths Gülden
bleiben, darumb auch alle Raths Persohnen die seynd im Regi-
ment oder nicht, zu iederzeit in dieser Guide soyn und bleiben
sollen, da aber einer oder mehr des Raths die nicht mithalten
wolt, dieselben sollen Jährlich so offt die Gülde gehalten ein
jeder ein Gulden in die Brüderschaft Lade zur Straffe geben.
2. Ein ieder der zu Cölln ein Bürger, Bürgers Sohn, und Unsers
gnädigsten IIErrn geschworn Hoffgesinde sey, soll nach Ent-
richtung des Einkauffgeldes neinlich Sechs Groschen zween Pfen-
ning mächtig seyn, Bruder zu werden, doch dass ein ieder zu
erst angelobe und zusage sich bruderlich und gleich andern
dieser unser Ordnung zu unterwerffeil, und gemäss zu halten,
in allewegs der Brüderschafft Nutz, und Bestes zu wissen,
Schaden und Nachtheil zu Verhüten. Es mögen auch die Ber-
linischen Bürger oder ihre Söhne diese unsere Brüderschafft
gewinnen, sofern Sie sich dieser Unser Ordnung und Statut zu-
geloben unterwerffen wollen.
3. Soll auch ein Jeder der Bruder wird in und ausser der Gülden
eines zimlichen ehrlichen Christlichen und züchtigen Wandels
und Lebens seyn, sich auch in allewege gegen seinen Mitbrüdern,
aufrichtig, getreulich ohne falsch und Betrug Verhalten, auch der
Gotteslästerung, tluchens, haderns, leichtfertiger unzüchtiger
Wort, undt aller andern Unthaten, müssig gehen und enthalten,
oder da einer oder mehr freventlich hierwieder handelten und
Brechen sollen, nach erkändtnüss des Königs, älter Leut und der
Brüderschafft ältesten gestrafft werden, Es möchte auch sich
einer oder mehr so muthwilliglich oder eines solchen Beginnens
unterstehen, dass wir, der Rath uns die Straff gegen ihm Vor-
behalten, da es aber Vom Iloffgesind geschehe, wird sich Unser
gnädigster Herr gegen denselben nach der Gebühr zu Verhalten
wissen.
4. Ob einer oder mein- Brüder oder Schwester in die Gülde Kommen
würden Von denen man hernachmals öffentliche unchrist-
liche Laster erführe die auff genugsahme Warnung nicht abstehen
und sich bessern, sondern in ihren allten unchristlichen oder
unehrlichen Wandel Verharren wollen, der oder dieselben sollen
ohne alle Gnade aus der Brüderschafft verworffen werden.
5. Haben wir und die Brüder vor gut und gelegen angesehen dass
hinfürter unser Gülde in den heiligen Pfingst Feyertagen gehalten
und in allewege am Pfingst Sonntage gegen Abend nach der
Mittags Predigt angefangen und folgende Tage hindurch Vollen-
bracht werden solle, so ferne es der Herrschafft auff dieselbe
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Rudolph Buchholi:
dieselbe Zeit gelegen oder sonsten nach der Zeitgelegenheit nicht
Verändert, was aber dazu gehörig gebräuchlich und nothdürfftig,
das soll durch Zween Guide Meister so dazu gekohren wie Vor
Alters allenthalben bestelt und ausgerichtet werden.
6. Sollen auch dieselben Guide Meister durch das gantze Jahr darin Sie
geweidet alle der Brüderschaft Nothdurften, als ihre Einnahmen
und Ausgaben Begräbnüssen Zubehörungen zum Schützen Baum,
und andern, die Laden, Brieff Register, Geld und was sonst
mehr den Brüdern zuständig, getreulich und mit Fleiss bestellen,
ausrichten und Verwahren und nach Ausgang ihres Jahres be-
ständiglich berechnen und Verantworten.
7. Sollen dieselben nach Ausgaug ihres Jahres, wann die Gülde
uberiiiahl gehallten, wiederum andere Zwei an ihre Stat nach
alten Gebrauch zu Wehlen haben, welche auch Von ihnen ge-
wehlet, sollen solch Ambt ohne alle wiederrede annehmen, doch
soll es mit dieser Wahl allso zugehen, dass allewege einer ein
Brauer, Erbe oder sonsten nach Vermögen Gelegenheit hatt, zu
einem Budemann, und einer der nicht Gelegenheit hatt, gekohren
und Verordnet werden soll, damit bey einem die Gülde gehalten,
und durch den andern andere Nothdurften bestellt werden
mögen.
8. Ob sichs zutrüge dass zu einem oder mehrmahlen im Schiessen
oder sonsten was Vorfiele, das der Brüderschaft Nutz, Frommen
oder Nothdurfft wäre, und solches alles anderer Geschäft halben
den Gülden Meistern zu Viel, oder Zubestellen ohnmüglich, darum
dann einer oder mehr Brüder Vom König oder Gülden Meistern,
so dazu dienstlich um Hülffe angesprochen würden, der oder
dieselben sollen sich des nicht weigern, bey der Busse so oft
es geschehe, einen Groschen in die Lade, oder da der Uugehor-
sahm so gross, dass ein Groschen zu wenig, soll er oder die
nach Erkändtnüss der Schützen Brüder bestraft werden, wie
dann auch sonst alle Brüder dem König und aelter Leuten zim-
lichen Gehorsahm zu leisten schuldig seyn sollen bey Vermeydung
der Straffe.
9. Soll Jährlich im Ausgang der Gülden, wann der Vogel abge-
schossen, ein Brüderliche Verhör dazu all und jede der Brüder
Mängel und Irrung Vor dem König Gülde Meister und Aeltesten
Vortragen, gebüst und beygeleget, ordentlich gehallten werden,
damit die Friedliebenden und Gehorsahmen gehandhabet, und
die Uugehorsalnneu und wiederspenstigen nach derselben Er-
kendtniss Vermöge der Brüderschaft Wilkühr gestraft und im
Zwang gehalten. Was auch sonst mehr der Brüder Nothdurften
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Chronik der Berliner Schützengilde.
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Vorfallen möchten, alss Rechnungen und anders, soll allwege
auff dieselbe Zeit geschehen, und Von ieden, was er alsdann
schuldig, ohne Verzug bezahlt werden.
10. So offt dem Könige oder Gülde Meistern was nötiges, darum
die Brüder zu Entbieten wären, Vorfiele, soll nach Gelegenheit
solch Verbot oder Zusainmenforderung durch die Brüderschafft-
diener bestellet werden, da alsdann ein jeder Bruder bey Ver-
meydung der Buss Vier Pfennige in die Laden auff die Zeit und
malstadt, die man anzeigen lässt, erscheinen soll, wo aber die
Sache so hefftig oder nötig dass das Verbott bey der hohen
Boss geschehe, soll der Ungehorsahme zu iedem mald zween
Groschen Verfallen und zu geben schuldig seyn.
11. So einem Bruder sein Weib oder Kind nach den Willen Gottes
mit Tode abgehet, sollen die andern alle als des Verstorbenen
Freunde zum Begräbnüss Verbott werden, bey der Buss Vier
Pfenninge, Alsdann ein jeder Bruder und Schwester und zum
wenigsten Von jeden paar Ehevolks eins erscheinen und mit zu
Grabe gehen soll es hätten dann bey de Theile beweissliche
ehrhaffte entschuldigung, sonst mögen Sie der Straffe nicht ent-
gehen, welche Straff von die Gülde Meistern allemahl in den
Gottes Kasten soll geleget werden.
12. Da auch ein Bruder sein Weib oder Kind verstürbe, und durch
die Ihren die Leichenträger nicht bestellt werden könnten, sollen
die zieler Leut darzu gedüngt und aus der gemeinen Laden Ver-
lohnet werden.
13. Haben die Brüder gewilliget und beschlossen so offt die Gülde
gehalten würde, ihren Seelsorger und Prediger mit sambt den
andern Kirchen Dienern zu speisen und zu tränken ohne alle
Vergeltung.
14. Es sollen und wollen auch Jälirlich am heylichen Pfingsttage
alle Brüder und Schwestern nach der Predigt unter der Messen
in Sanct Peters Kirchen zum Gottes Kasten gehen, dem König
und aelter Leuten nachzufolgen, nicht üm eines Verdienste
willen, sondern aus christlicher Liebe, um des Löblichen Ge-
brauchs und Gehorsahmbs willen den Armen damit nach eines
ieden Vermögen zu helffen bey der Busse eines Groschens, welch
Straffgeld das also gefället, bald hernach unter den Armen soll
Vertheilet werden, zu dem haben auch die Brüder einträchtiglieh
ge williget, Jährlich wann die Gülde gehalten Vor ein Orth
Brodt's und eine Tonne Biers in unser Hospital zu Sanct Ger-
trauten Vor die Armen zu geben.
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Rudolph Bachholz:
I"). Es sollen auch sonst alle Bussen, Straffen und andere Ein-
kommen der Laden fleissig Verwahret und Berechnet werden,
und alle Jahr wann die Zech in der Gülden abgenommen, ein
ieder Bruder Ein Groschen einlegen, damit wieder ein Vorrath
in die Laden kommen möchte, Von dem den armen Brüdern,
welche bei uns Verarmten, Vom Schiesszeug Schaden empfingen,
Alters oder andere Gebrechlichen halber nicht mehr erwerben
oder sich ferner ernehren Könnte, damit zu helffen, wie wir
dann auch ohne das unsere arme Brüder und Schwester die
niclrt muth williglich Verarmt seynd, nothdürfftiglich zu unter-
halten schuldig seyn wollen und sollen.
16. Es soll auch allemahl wann die Gülde gehalten wird, die nicht
uum Essens oder Trinkens willen, sondern auch ümb der nötigen
Übung des Schiessens hergebracht, und angericht, aus dem Arm-
brost ein gewöhnlich Schiessen zum Vogel gehalten werden,
dazu ein ieder Bruder mit seinem Schiesszeuge also gerüst seyn
solle, ohn alle Gefährlichkeit und Vorsichtiglich mit zuschiessen.
Doch sollen, ausgenommen unser Herrschafft und derselben
Räthe, die Brüder so nicht Bürger oder Bürgers Söhne zu Cölln
und in unser Ringmauer gesessen, sich aus bedenklichen Uhr-
sachen, des Schiessens zum König Vogel wie Vor Alters ge-
schehen enthalten, dann Keiner sonst Zugelassen würde, es ge-
lobeten dann die Brüder, so dazu Lust hätten an, dass Sie
dasselbige Jahr ihr Bürger Recht gewinnen und Sich bey uns
setzen wollen.
17. Haben auch die Brüder Vor gut angesehen und gewilliget dass
hinfürter nicht Vergeblich zum Kopff, Schwante und Flügeln
geschossen, sondern so offt man zum Königs Vogel zu schiessen
willens, soll ein ieder Schütz zu demselben Vier Groschen einlegen.
18. Ess soll auch hinfürter kein Schütz Vom Königs Vogel zwey
Gewinne mit einem Schosse gewinnen mögen, ob er die wohl
zugleich in einem Schosse abschösse, sondern eins, welches ihm
gefällig, soll er gewunuen haben, das andere den Schützen bleiben,
es schösse dann einer zwo oder mehr Gewinne mit sambt
dem Rumpff ab, doch so einer den gantzen Vogel abschösse, und
noch alle Kleinod dabey wären, soll der alleine das beste ge-
wonnen haben und König seyn, die andern Kleinoter aber den
Brüdern bleiben, Auch soll hinfürter aus bedenklichen Uhrsachen
und um mehrer Kurtzweil willen, der das grösste Stück Von
den Seiten Kleinotern abscheusst, und nicht der erste, das
Kleinod gewonnen haben, doch mögen zwey drey und mehr
Stücken, so in einem Schoss Vom gemeinen Kleinod abgeschossen,
Vor ein Stück gerechnet werden.
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Chronik der Berliner Schützengilde.
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19. So wollen wir, der Rath, zu Erhaltung des Ritter Spiels Jähr-
lich dem, so König wird, ein gülden Riuglein Vom Gold Gülden
Rheinisch imd zwey Schock an Gelde zuvor geben, damit er den
Unkosten so aufl' in gelegt, desto leidlicher tragen, und üm des
willen Keiner das Schiessen zu meyden Uhrsach haben möge,
Desgleichen haben wir auch den Brüdern Jährlich einen Winspel
Rogken Vom Rathhause Verordnet, dem Wirthe, dabey die Guide
gehalten, zu geben, davor er die Officianten, alss der Brüderschaft
gemeinen Diener item Pfeifler und Trommel Schläger, des Raths
Diener so aufwarten, auch Trinkgeschirr, Licht, der Köchin Lohn
und dergleichen aus der Brüderschaft Rechnung zulassen schuldig
seyn solle, da aber ein oder mehr Jahre die Gülde nicht gehalten,
soll derselbe Rogken und die zwey Schock so offt es geschieht
den Brüdern in ihre Lade gefallen, und gegeben werden, den
Verarmten Brüdern zu Gute.
20. Soll ein ieder der König wird nach dem abschiessen des Vogels
über die neehste Mahlzeit den Brüdern und Schwestern auff
jeden Tisch, so Viel der seyn werden, ein halb Stübichen Wein
seines Gefallens zugeben schuldig seyn, darnach nach Gelegen-
heit die Brüder und Schwester, wie Vor Alters in die Milch und
zu bade führen, da mans ihm nicht erlassen will.
21. Es soll auch der so König wird, in allewege ehe man Von dem
Schützen Baum herein gehet, den silbern Vogel wie gewöhnlich
Verbürgen, denselben fleissig zu Vorwahren, damit er nicht Ver-
geringert, oder Von abhanden bracht, bei einer ansehnlichen
Summa Geldes, die man Ihme Nahmkündig machen soll.
22. So soll der König denselben Silberneu Vogel nicht allein aufl'
allen ehrlichen Schiessen zu Cölln und Berlin den Brüdern zu
Ehren unter die Vogel Stangen, sondern so offt er in die Gülden
gehet, auch auff die drey Feste Weyhnachten, Ostern, und Pfingsten,
am Halss tragen, also dass er auff berührte Feste unter der
Predigt oder dem Amte in St. Peters Kirche gesehen werde, bey
der unnachlässigen Strafte Vier Groschen so offt es übertraten.
23. Weil sich des Königs Gewinn gebessert, so bessert sich der
silbern Vogel auch nicht unbillig, darum soll ein ieder der
König wird, so offt es geschieht, dem mit einem halben Loth
Silbers zu verbessern schuldig seyn, davor soll Ihme, wann man
wiederum zum König Vogel zu schiessen anfahren will, zum ersten
ein freyer Schoss gegont und zugelassen werden.
24. Ob sichs zutrüge dass ein Bruder den Königs Vogel, drey Königs-
schiessen nacheinander abschösse, der soll den silbern Vogel
Voreigen gewonnen haben, neben den andern Gewinnen, doch
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Rudolph Buchholz :
sollen die Brüder Macht haben, dem von Eime wiederum zu
lösen mit einer halben Mark Silbers oder mit Sechs Gulden
an Münte.
2ö. Wann und so offt auch hinfürter zu Cölln zum Vogel ge-
schossen wirdt, soll niemands ohne der Brüderschaft^ Erlaub-
nüss und Willen einig Spiel oder andere Kurtzweil üms Geld
anzurichten Macht haben, ausser was gemeine Brüderschafft
Verordnet und schaffet, wie dann auch die Kannen Giesser und
andere Krahmer ihres feilhabens ohne der Brüderschaftt willen,
sonderlich ohne Erlegung ihres gebührlichen Stette Geldts, darum
sie sich zu ieden mahl mit ihnen Vergleichen, enthalten sollen,
mit nichten zu thun haben sollen.
20. So offt man auch auff der Gülden zum Schiessen oder davon
wiederum her eingehet, soll ein ieder der Bruder ist, dem König
in der Ordnung nachfolgen, bey der Busse eines Groschen.
27. Es soll auch ein jeder Schütz im hinaus-, auch wiederum im
hereingehen sein Schiesszeug als Armbrost, Boitzen und anders
nicht Vorweg schickeu, sondern auff der Gülden bis unter die
Stangen und von dar wiederum hinein Vor die Gülden, so offt
man aus und eingehet, in der Ordnung Vor den Brüdern nach
der Trommel und Fähnlein hertragen lassen bey der Buss Ein
Groschen so offt solches nicht gehalten.
28. Und wann die Guide gehalten wird, soll der Guide Meister, so
dasselbe Jahr darzu Verordnet, die Brüder die Zeit über um
ihr Geld speisen, dagegen Er sich gefast machen, ihnen zimliche
Ausrichtung Zuthun, und soll von ieder Persohn nicht mehr alss
zwölf Pfennige zu nehmen schuldig seyn, welche ein ieder bald
nach geschehener Mahlzeit Vor sich, auch die Eheleute Vor
ihren Ilauss Frauen, es sey theuer oder wollfeil, erlegen und
bezahlen sollen, doch soll es einem ieden freystehen, ob er in
der Gülden essen wolle oder nicht, welche aber zur Stätte essen
wollen, sollen sich allewege Von einer Mahlzeit zur andern an-
sagen, darnach sich der Wirth zurichten, es sollen auch die-
jenigen so nicht in der Gülden essen wollen, zu ieder Mahlzeit
aus dem gemeinen Bier ein Halb Stübicheu Biers in ihr Hauss
holen zulassen mächtig seyn, auff Ansuchen bei den Schützen
Meistern.
29. Da auch einer oder mehr insonderheit einen Gast in die Gülden
laden würde, soll ihnen frey seyn, doch dass der Bitter die
Mahlzeit und den Wein ob der getrunken würde Vor ihre Gäste
bezahlen, aber das Bier bleibt zur gemeinen Bezahlung, würden
aber die Brüder, wie eine Löbliche Gewohuheit ist, ihre Nacht-
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Chronik «1er Berliner Schützengikle.
1<)
bahren, die Berlinische Schützen oder sonst andere Gäste inge-
mein Laden, soll auch die Bezahlung mit alle über die Brüder
ingemein gehen.
30. So sollen sich alle Brüder, weil das Gilde-Bier getrunken wird,
vor allen Dingen im Zechen massig Christlich und ehrlich Ver-
halten, die Uebermaasse des Zutriukens und der Trunkenheit
Vermeiden, Vielweniger iemand zum trinken zwingen, wie dann
Keiner Bescheid zuthun gezwungen werden solle und alle Abend
zu rechter zeit mit Friede abscheiden, dann allemahl zu Neun
Uhr zu Abendt der Keller geschlossen und kein Bier daraus
Vorreicht werden soll.
31. Ob einer oder mehr Gilden Brüder Uhrsachen Vorfielen, dass
Sie in das Guide Bier zu gehen Verhindert und kein Bier in
ihre Häuser holen Hessen und darnach iu der Brüderschaft
bleiben wollen, die sollen, so manches Jahr es geschieht, drey
Groschen in die Laden legen, welche aber muthwilliglich und
uuheweisliche Uhrsachen zu llauss bleiben, sollen die halbe Zech
erlegen.
32. Und ob es sich zutrage dass einer oder mehr Brüder Alters
halber oder sonst nach Schickung des Allmächtigen so Unver-
mögens würden, dass der oder die die Gülden mitzuhalten nicht
Vermöchten, und dennoch gerne bis an ihr Ende darum Ver-
harren wollten, die soll man uicht allein mit allem Willen alss
Brüder und Schwestern behalten, sondern järlichs, so offt und
lange man das Gülden Bier trinkt, soll einem ieden auf sein
Ansucheu ohne alle Bezahlung ein halb Stübbicheu Biers in ihr
gewahrsam geschickt werden, wie dann die Verarmten oder Un-
vermögen Brüder und Schwestern über das auch Vor allen
andern in unser Hospital genommen, Versorget, bis an ihr
ende Vollends erhalten und ernähret werden sollen, da aber
jemandts Unvermögenheit oder sonsten ansehnlicher und bestän-
diger Uhrsach halber nicht länger in der Brüderschaft* Verharren
wollte, der mag wohl mit Ehren abdanken, welcher aber der
Uhrsach keiue hätten und allein aus Uebermuth oder Wieder-
willen abdanken wollten, und hätten noch kein Jahr das Gülden
Meister Ambt verwaltet, denen soll kein abdanken zugelassen
werden, Sie werden dann ein Jahr Gülde Meister gewest oder
erlegen zu Vorn drey Gulden zum Auskauf in der Laden.
3b\ Es will auch um dieser löblichen Brüderschafft willen Ein Ehr-
bahr Rath alle diejenigen von ihren Einwohnern, so sich in
dieser Brüderschaft* begeben, vor allen andern ihren Bürgern
in allen billigen und ehrlichen Sachen und Händeln, fordern,
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20
Rudolph Buchhol«:
Vorziehen, schützen und handhaben, wie Sie dann auch billig
nach alter Gewohnheit in allewege den Vorgang haben und be-
halten sollen.
34. Sollen die Güldo Meister mit allen Fleiss, solche dieser Ordnung
Uebertreter bei vorgeschriebener Pein straffen, der aber darvon
unterlässt, sollen Sie, die Gülden Meister, die Pein selber ent-
richten, do aber einer oder mehr sich verwirckter Straffe weigern
und dawieder setzen würde, dass die Gülde Meister solches in
der Güthe von Ihn nicht bringen oder erlangen könnte, sollen
dieselben von wegen ihres inuth willigen Ungehorsahms von uns,
der Brüderschafft, gestrafft werden.
35. Und zum letzten soll alle Jahr, wan man die Gülde zu halten
anfahrt, den Brüdern diese unser wilkührliche Bewilligung und
Ordnung Vorgelessen und publiciret werden, dann sich niemand
mit des Innhalts Unwissenheit zu entschuldigen oder zu behelfen.
Darüber behalten uns wir, Bürger Meister Rath Manne und gantze
Brüderschafft für, ob uns was nötigs das Christlich gut, und der Gülden
löblich wäre Vorfiele, solches in allewege anzunehmen, zu halten, und
diese unser Brüderschafft zu bessern. Darnach sich ein ieder wisse zu
achten. Geschehen zu Cölln au der Spree am Tage Bartholome! nach Christi
uusers Heylandes Geburth Fünfzehn Hundert Viertzigk und drey Jahr.tt
Diese vom Rat zu Cölln 1643 gegebene Ordnung erhielt die
kurfürstliche Bestätigung am Pfingstabend 1551,
„wann wir dann gut wissen tragen, dass diese Gülde bei Unsern
Vorfahren, auch sonsten den Alten und Uns in allewege in
Hoher Acht, vordienstlich Nutz und vorträglieh gehalten, darum
wir auch dieselbe wiederum aufzurichten gnädigst befördert,
Als haben wir p. p. bestätigt und wollen, dass hinfort dieselbe
Guide nicht allein in aller Ehrbarkeit als die Vornehmste, sonder
diese ihre Ordnung auch in allen Artikeln, Clausein und
Statuten p. p. gehalten werde."
Ein ferneres besonderes Privilegium erteilt der Kurfürst im
Jahre 1658 derselben Gilde in folgender Form:
„Wir Joachim (von Gottes Gnaden des Nahmens der ander
Marggraff zu Brandenburgk des Heyligen Römischen Reichs Ertz
Cämmerer und Chur Fürst zu Stettin, Pommern, der Cassuben,
Wenden und in Schlesien, zu Crossen Hertzog, Burggraff zu Nürn-
bergk und Fürst zu Rügen p. p.) Bekennen und thun Kundt öffentlich
für Uns alle unsere Erben, nachkommende Marggraffen zu Branden-
burgk und sonsten gegen iedermänniglichen, Nachdem das Schiessen
zum Vogel, ein alt Herkommen löbliche Gewohnheit und ehrliche
Rittermässige Uebung ist, welche nicht allein Von den fürnehmbsten
Ehrbarn Geschlechtern und Mitbürgern in Städten, in Teutschen
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Chronik der Berliner Schützengiide.
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Landen iedes Orts rühmlich gezieret, gefordert und gebräuchlich
gehalten wirdt. Desgleichen auch Von Unsern Vorfahren Hoch-
löblicher Gedächtnüss, nicht minder dann Von Uns in allwege mit
gnaden gefördert und erhalten. Demnach wir aus sondern gnädigen
Bedencken auch die Schützen Guide unserer Stadt an der Spree:
daselbst unsere Eltern und wir allewege Unsere Residentz und ge-
wöhnliche Hofflager gehalten und noch haben, in weiter Aufnehmen
Gedey und Wollfahrt zu bringen und mit sondern Gnaden zu be-
denken und zu befördern. Und weil dann Von dem Rath unserer
Stadt Cölln, auch den geordneten Gülde Meistern, den Guide
Brüdern daselbst Von Alters und bis dahero allewege fürgestanden,
und willige Forderung gethan, dass die Schützen Gülde alle Jahr
auff eine benandte Zeit ihnen gelegen, doch fürnemlich in Pfingst
Feyertagen gehalten werden, so soll es noch hinführo gehalten
werden, dieselbe Gülde auf eine bequeme Zeit zu halten, und in
Keinen Abfall kommen zu lassen, es fallen dann desselben Jahres
gefährliche sterbliche Zeit und Krieg Geschaffte ein, alssdann soll
die Gülde desselben Jahrs, doch mit Unsern Vorwissen aufgeschoben,
und biss zur andern bequemen Zeit angestellet werden. Und damit die
Guide Brüder zu der obgemeldten Löblichen Schützen Gülde desto
mehr Lust gewinnen, des folgenden Vortheils halben welchen wir Ihnen
aus sondern Gnaden hiemit beständiglich und ewiglich ordnen und Ver-
eignen, Jährlich den Königs Vogel zu richten und zuschiessen, Con-
firmiren und bestätigen Wir demnach ihnen Vor Uns, Unser Erben und
Nachkommen hiemit Kräfftiglich : Welchem Gülde Bruder Gott der
Allmächtige das Glück Vorleihet dass er unter der Gesellschaft
den Vogel abschösse und König wird, derselbe soll damit bekommen
und gewinnen alle alte Gerechtigkeit die hievor zum Vogel ab-
schiessen in den Articuln im Schützen Buch ausdrücklich benandt
seyn, und dazu ietzt anffs neue in dem Jahre weil er König bleibt,
aller und ieder Steuern, Schösse und Unpflichte umbeschwert bleiben,
auch der alten unser, des Raths und sonst der neuen Bierziese so
weit gefreyet seyn, alss er zu seiner eigen Hausshaltung Vor
sich, sein Weib, Kinder und Gesinde Vertreiben und bedürften wird,
wie unser Schreiben an die Räthe beyder Städte Cölln und Berlin
davon auch meidung thut. Doch wo ein Schütz Bruder, der keine
Braustätte hätte, den König Vogel abschösse derselbe soll die Bier-
ziese auff Fünff brauen Bier, inmaassen der Berlinische Konig
privilegiert ist, damit hierinne gleichheit gehalten, gefreyet seyn,
auch die Befreyung der Schösse und anders wie Vorgemeld ge-
messen. Und zu diesem Königs Vogel zuschiessen, solle hinführo
niemand mehr zugelassen werden dann alleine die eingesessenen
Bürger und unser geschworen Hoffgesinde, welche das Bürger
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Rudolph Buchholz:
Rocht gewonnen und eigen Haasshaitang za Cölln haben, würden
aber auch derselben unverehelichte Söhne mitzusehiessen zugelassen
werden und einer schösse den König Vogel ab, derselbe soll Keine
Befreyung haben, sondern wo er sich verbürgen und zusagen würde,
in dem Höchsten Monath das Bürger Recht zu gewinnen, so sollen
ihm die Guide Meister den silbernen Vogel an den llalss hencken
und dann mit deine was Voralters zum Vogel abschiessen Verordnet
ist, begnügig seyn; wolte sich aber der junge König zeitlich im
selben .Jahr weil er König bleibt Verehelichen und seine eigene
Haussnahrung anschlagen, dadurch kan er sich den andern Guide
Brüdern mit aller Herrligkeit und Befreyung gleich machen, der-
selben aller er auch billig gemessen und haben solle. Mit diesem
wie obstchet und allen andern Clausulen, Puncten und Articuln so
die Löbliche Schütze Guide unser Stadt Cölln in ehrlich gebrauch
gehabt und noch haben, Privilegiren, befreyen und begnaden wir
Sie hiemit gantz Kräft'tiglieh Vor Uns unsere Erben und Nach-
kommen, alles in Kraft't und Macht dieses unsers Brieft'es. Und
wollen dass es hinführo und zu ewigen Zeiten in der Schützen
Gülde unser Stadt Cölln an der Spree für und für ohne unser,
unser Erben und männigliches Verhinderung, stets fest unverbrüch-
lich allso wie vorstehet gehalten werden solle. Und wo die Gülde
Meister und gemeine Brüder gedachter Schützen Gülde mit Vor-
wissen des Raths allliier zu Cölln was an Statuten oder sonst, so
zu Aufnahmen oder Beförderung der Schützen Gülde, und guter
Vernünfftiger Ehrbahrer Sitten dienstlich war«', Verordnen und an-
richten würden, dieselben alle wollen wir ihnen hiemit auch
gnädigst confirmiret und bestätiget haben, auch Sie ioderzeit neben
unsern Erben und Nachkommen bey der Befreyung der Steuern,
Schössen Unpflichten und Ziesen, wie die Nahmen haben mögen,
auch allen andern ihren guten Gewohnheiten und Gebräuchen aus
Fürstlicher Obrigkeit schützen und handthr.hcu und mit nichts da-
wieder beschweren, noch diesem unserm Privilegio und Confirma-
tion in Keinerley Weis«? wie es inner oder ausser Rechte geschehen
konnte oder möchte, zu entgegen handeln oder was fürnelunen
lassen. Wie wir dann alle und iede arge List hiemit gänt/.licli
thun ausscheiden. Alles getreulich sonder Gefährde. Ulukündlicli
mit unserm hierunten anhangenden Seerot besiegelt und gegeben
zu Cölln an der Spree, Montags im lleyligen Pfingst Feyeitnge
nach Christi unsers lieben Herrn und Seeligmachers Geburih
Tausendt Fünft' Hundert im Acht und Füntftzigsten Jahr.
Joachim Chur Fürst.
1572 bestätigt Kurfürst Johann Georg die Satzungen der Cöllner
Gilde von 1543, in welche die Bestimmung von I5Ö8 als besonderer
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Chronik der Berliner Schützengilde.
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Paragraph zwischen 20 und 21 eingeschaltet wird, auch sonst verschiedene
Änderungen, namentlich Erhöhung der Strafgelder und bei § 20 ein Zu-
satz bezuglich des Bades und Abendbrots, gemacht sind: Statt der
Führung zu Milch und zum Bade sind lV'a Thaler in die Lade zu legen,
auch „hernach zur Abend Collation zu bitten und auf jeden Tisch ein
Essen Eier, Gebratenes nach Vermögen und ein Essen Milch, sofern
man es ihm nicht erlassen will, zu geben pflichtig sein; doch soll ihm
(dem König) aus der Gülden V* Bier darzu gegeben werden."
In dieser Forin werden später die Satzungen auch von Kurfürst
Johann Sigismund 1614 und von Georg Wilhelm 1620 bestätigt.
Was die Alt Berliner Gilde anlangt, so befindet sich in den
Akten der Schützengilde ein Pergament-Deckel mit der Aufschrift:
Ordnung und Artickel der Schützengilde
der Churfürstlichen Stadt Berlin
vorneuert
Anno
1548.
Der Inhalt des Deckels, also die Original-Urkunde selbst, ist leider
schon seit Jahrhunderten verschwunden und der Verlust ist auch im
Jahre 1837 besonders vermerkt.
Es hat nach der Legende dieses Deckels also nicht nur eine Ber-
liner Gilde-Ordnung vom Jahre 1548 gegeben, sondern es muss schon
viel früher eine solche Ordnung bestanden haben, denn die von 1548
wird auf dem Deckel ausdrücklich als eine erneuerte bezeichnet.
Vorhanden ist dagegen im Original das Kurfürstliche Gilde-Privi-
legium von 1568 und die auf Grund desselben vom Rat zu Berlin auf-
gestellten Satzungen von 1570, die nicht sehr erheblich von den alten
Cöllner Satzungen abweichen:
Die ältesten bekannten Satzungen der Alt -Berliner Schützengilde
' von 1570.
Wir Burgermeistere und Rathmanne der Stadt Berlin Bekennen und
thun kundt hiermit, vor uns unsere Nachkommen und sonsten kegenn
Jedermänniglichen, Dieweill der Durchleuchtigste Hochgeborene Fürst
und Herr, Herr Joachim Marggraf zu Braudenburgk, des Heiligen
Römischen Reichs Erzkämmerer und ('hurfürst unser gnädigster
Herr, die Ehrbaren Hoch- und Wohlgelahrte und weisen Gülde-
meister und gemeine Brüder der Schützengilde allhier privilegirt
und begnadet, dass derjenige so den Vogel abschiesst, das .lahr
über Schoss und aller Unpflichten frei sein und dazu acht Brauen
Bier frei haben solle, auch daneben ihre Ordnung die sie mit
unserem vorwissen ausrichten würden, gnädigst confirmirt und
bestätigt.
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Rudolph Buchhola:
Dass wir Ihnen demnach auf ihr fleissiges Suelien, sonderlich
aber, weil die Schützengilde nicht allein von den alten löblichen
Vorfahren, sondern auch von weiland. Chur- und Fürsten des
Hauses Brandenburg in Würden und Ehren mitgehalten worden,
Ihnen die folgende Ordnung, damit solche alte hergebrachte ehrliche
Brüderschaft uud Ritterspiel hinfüro ehrbar, richtig und christlich
gehalten und zunehmen möge, confirrairt und bestätigt, wie die-
selbe von Wort zu Wort hernach folget.
1. Haben die Brüder für gelegen, und gut angesehen, auch ein-
trächtiglich beschlossen, dass solche Gilde hinfürder alle Jahr
auf dem Sonntag Nach Mariae' Magdalenas soll gehalten werden.
2. Sollen die Güldenieister nach der Ordnung und nicht aus Neid,
Hass oder andern Atfeeten erwählet werden und die Ausrichtungen
von Ihnen auf ihrer beider Unkosten hinfüro geschehen, damit also
gleichviel gehalten und keiner vor den andern beschwert werden,
auch desshalb sich der Gilde zu aeussern nicht Ursache haben
mögen, zu solchem Behuf sollen sie drei Brauen frei haben,
zwei Schock vom Ehrbaren Käthe, einen Gulden von den Brüdern
für die Abendmahlzeit, wenn man das Bier kostet, einen halben
Gulden für den Hausmann zu speisen, einen Gulden für Lichte,
so sollen auch die Gildemeister der Zeche frei seien, darüber
soll den Gildemeistern nichts mehr gegeben werden.
3. Sollen die Gildemeister so dazu erkoren, dasselbe ganze Jahr
alle der Brüderschaft Nothdurften als ihre Einnahmen und Aus-
gaben, die Laden und was sonsten mehr, den Brüdern zuständig,
bestellen und verwahren, auch nach Ausgangs Ihres Jahres be-
ständig Rechnung thun.
4. Soll den Gildemeistern jährlich einer nach der Ordnung, aus
den Brüdern zugeordnet werden, der soll die Aufrichtung der
Stangen, und Bestellung der Gewinne, auch Einforderung der
Strafen neben den Güldemeistern Inhalts dieser Ordnung warten,
und solches alles getreulich befördern helfen, und den Gilde-
meistern zustellen, dem soll die ganze Zeche dafür frei sein.
5. Soll ein jeder Bürger oder Bürgers Sohn zu Berlin auch unseres
gnädigsten Herrn geschworen Hofgesinde, so Lust und Liebe zu
solcher Brüderschaft haben, nach Entrichtung des Einkaufgeldes,
nämlich eines Thalers, zu einem Bruder in diese Gülde aufge-
nommen werden, doch sollen sich die anrüchtigen und tadel-
haftigen Personen der Gilde enthalten und äussern.
6. Soll ein jeder Bruder dieser Gilde, der Gottes Namen mit Fluchen,
Schwören oder andern lästerlich führen würde, allewege zwei
Silbergn »seilen zur Strafe verfallen sein.
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Chronik der Berliner Schfltzengilde.
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7. Wann die Brüder von den Gildemeistern erfordert werden und
einer oder mehr ohne ehafte Verhinderung der Herrschaft
hendel oder ausserhalb Leibs-Schwaehheit darüber aussen bleiben
würde, so oflft ers übertritt, soll derselbe allewege zur Pein zwei
SUbergrr »sehen geben.
8. Wann die Gilde gehalten wird, soll ein jeder Bruder, sanimt
seiner Hausfrauen in des Gildeineisters Haus, da sie die Zeit
gehalten wird, essen, daselbst für sich und seine Hausfrau nach
jeder geschehenen Mahlzeit zwei Silbergroschen für Essen geben,
so aber er und seine Hausfrau ohne genugsam Ehafte aussen
bliebe, soll jedes Aussenbleibendes das Kostgeld, nämlich ein
Silbergroschen geben. Dagegen aber soll man einem Jeden, ein halb
Stübichen Bier auf ihr Ansuchen zu Haus schicken, und sollen
die volle Zeche geben. Würde er aber durch Ehafte als Leibs-
schwachheit und Trauern oder aus Ilerrendienst verhindert, und
die ganze Gilde über nicht kommen können, soll der nicht mehr
denn ein Erz Thaler in die Laden zu geben schuldig sein, würde
er aber in solchen Trauren mit zum Vogelschiessen, soll er das
Kostgeld und ganze Zeche gleichwohl erlegen.
9. So auch ein Bruder in währender Gilde würde krank werden,
oder verreisen müssen, und solches dem Gildemeister sich dar-
nach zu richten, anzeigen, soll er mit dem Kostgelde verschonet
werden und gleichwohl die volle Zeche geben, dagegen soll Ihm
frei sein das Bier wie obsteht holen zu lassen.
10. So einer oder mehr einen ehrlichen Gast laden wollte, soll Ihm
frei sein, doch dass er die Mahlzeit und Wein (so die Zeit ge-
trunken) für ihn bezahle, riessgleichen zwei Silbergroschen in
die Lade erlegen, in Ansehung, dass den Brüdern hieraus grosse
Unordnung mit Fressen und Saufen erfolget.
11. Soll ein Bruder und seine Hausfrau um zehn Uhr auf den Mittag
und auf den Abend um sechs schlags in des Gildemeisters Haus
zur Mahlzeit sein, darum auch die Schützen durch den Gilde-
Knecht um fünf Schlags wann sie schiessen hereingefordert
werden und sie alsbald darauf herein kommen sollen, würden
sie aber aussen bleiben, sollen die Güldemeister gleichwohl nicht
verziehen, sondern denen, so da sein, anzurichten schuldig sein.
12. Wann man zum Königs Vogel schiessen will, soll ein jeder Gilde-
Bruder seinen Bogen vor die Gülde haben, und nach der Trommel
vor die Brüder hinaustragen lassen. So soll auch ein jeder
Bruder, so mitschiesst, den König bis unter die Stangen be-
gleiten, bei der Busse zwei Silbergroschen, er hätte dann ge-
nugsam Ehaften.
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2i)
Rudolph Buchholz:
13. Ist fiu- gut ungesehen und beschlossen dass kein Gilde- Bruder
zum Königs Vogel zu schiessen soll zugelassen werden, der ohne
erhebliche und genügsame Ursachen nicht mit zur Gilde gehet
und die mithält, er erlege dann das volle Kostgeld und die
ganze Zeche.
14. Weil auch vor Alters der König, welcher den Königs Vogel ab-
geschossen, mit seinem Antheil des Biergeldes freigehalten worden,
soll es nochmals also gehalten werden. Dazu soll er auch In-
halts unseres gnädigsten Herrn des Churfürsteu zu Brandenburg
Privilegii fünf Brauen Ziese frei gemessen, auch der Schosse
und Unpflichten frei sein, dagegen aber soll der König den
Brüdern und ihren Hausfrauen des folgenden Tags auf den Abend
zu geben schuldig sein fünfzehn Hühner, auf jedem Tische ein
Scheffen Milch, ein halb Stübichen Rheinischen Wein und ein
paar Gerichte Fische, oder Fleisch, auch Brod und Semmel, so-
viel dazu von nöthen, oder soll sich mit dem Gildemeister
darum vertragen.
15. So sichs zutrüge dass ein Bruder den Königs Vogel drei Jahre
nach einander abschösse, der soll auch den Vogel vor eigen ge-
wonnen haben, doch soll den Brüdern offen stehen, denselben
wiederum mit einer halben Mark fein Silber zu lösen und wieder
an sich zu bringen.
1(3. Nachdem sich auch des Königs Gewinn gebessert, so bessert sich
der Vogel auch nicht unbillig; darum soll ein Jeder der König
wird, denselben mit zwei Goldgulden, davon ein Glied wie zur
Kette gemacht und gleichwohl seinen Namen und Wappen darauf
gestochen werden, zu verbessern verpflichtet sein. Dafür soll
ihm wann man wiederum schiessen will, zum allerersten ein
freier Schuss vergönnt werden.
17. Soll auch der neue König denselben Vogel in allewege, ehe man
von der Stange gehet, wiegen lassen, denselben verbürgen und
wohl verwahren, dass er nicht vergeringert oder abhändig
gemacht.
18. Soll derselbe König den gedachten Vogel nicht allein auf allen
ehrlichen Schiesse u den Brüdern zu Ehren, sondern so oft er in
die Gilde gehet, auch auf die drei Feste als Weihnachten, Ostern
und Pfingsten, am Halse tragen. So oft solches übertreten soll
er allewege ein Erz Thaler der Gilde in die Lade entrichten.
19. Soll man alle Brüder nach Ausgang der Gilde zur Rechenschaft
die anzuhören fordern, und nach gehaltener Rechenschaft soll
ein Jeder sein Antheil (.leides alsbald geben. So aber einer oder
mehr solches nicht thun würden, soll jeder Uebertreter vier Silber-
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Chronik der Berliner Schfltjsengilde.
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groschen in die Lade verfallen sein, auch der Pfändung von des
Ehrbaren Rathsdienern gewärtigen.
20. Ob sichs zutrüge dass einer oder mehr unter den Brüdern zu
Uneinigkeit kämen, dadurch sie etwa an ihren Ehren oder Glimpf
mit Worten angegriffen oder verletzt würden, das sollen die
Brüder, oder wen sie dazu unter ihnen verordnen werden, neben
den Güldemeistern verhören, beilegen und ohne Ansehen zu
strafen haben. So sich aber einer oder mehr thätlicher Gewalt
vergreiften würde, soll solches seiner gebührlichen Obrigkeit zu
strafen vorbehalten sein.
21. So ein Bruder oder seine Hausfrau mit Tode nach dem Willen
Gottes abginge, sollen die andern alle durch den gemeinen Diener
der Gilde zu «lern Begräbniss gefordert werden. Da dann jeder
Bruder und seine Hausfrau, oder zum Wenigsten Eins von ihnen
erscheinen und mit zu Grabe gehen soll (bei Pein zwei Silber-
groschen) er hätte dann eine gewisse und ehafte Entschuldi-
gung. Zu dem sollen auch denjenigen Brüdern, so die Leichen-
träger nicht bestellen konnten, durch den gemeinen Diener der
Gilde, Leute dazu bestellt werden, dieselbe Leiche zu tragen,
denen sollen die Güldemeister aus der Lade lohnen.
22. Weil auch die Lade bishero ganz gelediget worden, haben die
Brüder beschlossen, dass hinfürder ein jeder Bruder jährlich
nach Ausgang der Gilden zwei Silbergrosclien geben soll, damit
die Lade mit der Zeit wieder zunehme und alle Nothdurft so
man aus der Lade versoldet desto besser bestellen möchte.
23. So sichs zutrüge dass einer oder mehr Gülden-Brüdcr Alters halber
oder sonsten unvermögend würde, dass der oder dieselben in
die Gilde nicht kommen können und dennoch gerne bis an ihr
Ende in der Brüderschaft verharren wollten, dem oder denselben
soll jeglieh, so lange die Gilde währet oder gehalten wird, ein
halb Stübichen Bier in ihre Behausung ohne Bezahlung auf ihr
Ansuchen verreichet und geschickt werden.
24. So Jemand unter den Gilde-Brüdern der noch nicht Gildemeister
gewesen, abdanken würde, derselbe soll eher davon nicht ent-
ledigt werden, er habe dann der Gilde zuvor vier Thaler erlegt.
25. Sollen die Gildemeister neben obengemelten, ihren Zugeordneten
mit allem Fleiss dieser Ordnung Übertreter bei vorgeschriebener
Pein strafen; So aber das von ihnen verlässt, solleu sie die Pein
selber geben und entrichten. So aber einer oder mehr sich ver-
wirkter Strafe weigern und dawidersetzen würde, dass die Gilde-
meister und Verordneten solches in der Güte von ihnen nicht
bringen noch erlangen könnten, sollen solche von wegen ihres muth-
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28 Rudolph Buchhol*:
willigen Ungehorsams der Gilde sieh gar entschlagen und auch
nicht mehr dazu gelassen nach Verbot und gleichwohl die Strafe,
sammt den vier Thalern, so er die Gilde noch nicht gehabt, zu
erlegen, durch den Kath gefordert werden.
26. Nachdem sie auch mit dem lange Sitzen viele Unruhe den Gilde-
meistern machen und den Brüdern auch am Bier Schaden ge-
schieht, so soll forthin allewege um zehn Uhr auf den Abend
von dem Gildemeister der Keller geschlossen und keinem kein
Bier herausgegeben, auch kein Spiel nach der Zeit gestattet
werden, wer aber solches übertritt, der soll den Brüdern eine
Tonne Bemauisch Bier verfallen sein.
27. Nachdem das Zu- und Yoll-Trinken eine grosse Sünde, und von
Gott verboten, auch die Gilde nicht zum Sauleben, sondern zur
Ehrbarkeit angefangen ist, soll niemand gezwungen werden oder
verpflichtet sein, ohne seinen guten Willen Bescheid zu thun,
und so jemand den andern dazu zu zwingen sich unterstehen
würde, soll derselbe jedesmal ein Erz Thaler in die Lade ver-
fallen sein.
28. So auch die Gilde-Brüder jährlich einen Glückstopf oder andere
Kurzweil, so der Gilde zuträglich und nützlich sein könnte, an-
richten würden, dass soll ihnen frei und offen stehen und für
andern gestattet werden.
Weil wir dann solche ihre Bitte für billig und ziemlich ange-
sehen, haben wir zu sonderlicher Aufnehmung derselben Gilde
und christlichen Brüderschaftlhnen Boichs keineswegs abzuschlagen
oder zu weigern gewusst und die vorgesagte Ordnung in allen
Punkten, Clauseln und Artikeln confirmiret und bestätigt; Con-
firmiren und bestätigen dieselben hiermit in Kraft dieses unseres
Briefes, Setzen Gebieten und wollen auch, dass es in der Gilde laut
denselben Ordnung, ohne männigliche Einrede und ungehindert
solle gehalten und unverbrüchlich nachgelebet werden, Alles
getreulich und ungefährlich.
Des zu Urkund haben wir unser Stadt -Insiegel, an diesem
unsern Briefe wissentlich hängen lassen, der Gegeben ist zu Berlin,
Montags nach Margarethe, Christi unser» lieben Herrn und einigen
Erlösers und Seligmachers Geburt Tausend fünfhundert und im
70sten Jahr.
Diese vorstehenden Satzungen, welche iu gleichzeitiger Abschrift
auf Pergament sich im Besitz der Schützengilde befinden, haben keine
kurfürstliche Bestätigung, dagegen liegt eine solche von 1568, also
2 Jahre früher, vor. Sie ist in dem erneuerten Privilegium von 1651,
mit wiedergegeben und lautet:
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Chronik der Berliner Schützengilde.
29
„Wir Joachim dieses Namens der aiidere von Gottes Gnaden
Marggraff zu Brandenburg p. p. Bekennen und thun kund öffentlich,
vor uns, unsere Erben und Nachkommen; Nachdem das Schiessen
zum Vogel ein alt Herkommen, löbliche Gewohnheit und ehrliche
rittermässige Uebuug ist, welche nicht allein von ehrlichen vor-
nehmen Geschlechtern und Burgern in Städten, sondern auch von hohen
Ständen in deutschen Landen jederzeit rühmlich unde gebräuchlich her-
gebracht, desgleichen von unseren Vorfahren hochlöblichen Gedächt-
nissnichts weniger denn von uns je und allewege darobgehalten undmit
allen Gnaden befördert worden und denn solcher löblicher Gebrauch
und alt Herkommen bei unserer Stadt Berlin bishero geblieben und
mit sondern Fleiss getrieben worden. Dass wir demnach auf der
Güldemeister und gemeinen Brüder der Schützeugilde beinelter unserer
Stadt Berlin unterthänigstes fleissigstes Suchen Ihnen nicht allein
die durch den Rath daselbsten versiegelte Ordnung in allen Puncten
und Artikeln confirmiret und bestätiget, sondern sie noch darüber
aus besondern Gnaden, damit wir ihnen gewogen, folgender Gestalt
privilegiret, befreiet und begnadet haben: Nämlich welcher ihres
Mittels unter den Gildebrüdern den Königsvogel abschiesst, dass
derjenige in demselben Jahre 8 Brauen Bier ohne einige Erlegung
der alten und neuen Bierziese zu brauen und zu gebrauchen oder
andern zu vergeben Macht haben, auch dazu aller und jeder
Steuern, Schösse und anderer Unpflichte, wie die Namen haben
mögen, desselbigen Jahres ganz frei sein und damit nicht be-
schweret werden. Und sollen die Schützen alle Jahr zum Königs-
vogelschiesseu und solch Ritterspiel in aller Ehrbarkeit üben,
denn so die dasselbe unterlassen würden, soll ihnen dies unser
Privilegium nicht fürtraglichen und dadurch aufgehoben sein, es
geschehe denn in sterblichen Zeiten oder Kriegesläuften. Und wir,
der Landesfürst, confirmiren und bestätigen gedachten Schützen
ihre Gilde und Ordnung, begnaden, privilegiren und befreien sie
auch obangezeigter Massen allenthalben hiermit in diesem Briefe
ganz kräftiglich und wollen, dass es hinfüro zu ewigen Zeiten
also, ohne männigliehe Verhinderung stete, feste und unverbrüch-
lich gehalten werden soll. Und was die Gildeine ister und
gemeinen Brüder gedachter Schützengilde, mit Vorwissen
des Raths was an Statuten oder sonst, so zur Auf nehmung
und Förderung der Schützeugilde und guter vernünftiger,
ehrbarer Sitten dienstlich wäre, verordnen würden, das
wollen wir ihnen hiermit auch gnädigst bestätiget und
confirmiret haben, auch sie neben unseren Erben und Nach-
kommen bei oberneuerter Befreiung der Ziese, Schösse und Un-
pflichte aus churfürstlicher Obrigkeit schützen und handhaben, und
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3n
Rudolph Bncbholz:
mit nichten darwider beschweren, noch diesem unserem Privilegio
in keinerlei Weise, wie es inner- oder ausserhalb recht geschehen
könnte, oder möchte zu entgegen handeln oder was fürnehmen
lassen, alles getreulich und sonder Gefehrde.
Urkundlich mit Unserin anhangenden Insiegel besiegelt und
gegeben Cölln a. d. Spree, Donnerstags nach Maria Magdalena,
Christi unseres Herrn und Seligmachers Geburt Eintausend fünf-
hundert und im achtundscchszigsten Jahre."
Der gesperrt wiedergegebene Satz giebt dem Rat ausdrücklieh
das Recht zur Genehmigung veränderter Satzungen mit derselben
Wirkung, als hätte der Kurfürst selbst die Veränderung bestätigt und
daraus geht auch hervor, dass die Satzungen von 1570 frühere Satzungen
in veränderter Form, dass es also nicht die ältesten sind.
Kurfürst Johann Geoig hat die Privilegien der Alt Berliner
Gilde im Jahre 1579 bestätigt, wie aus dem Privilegium vou 1051 her-
vorgeht; Bestätigungen von Joachim Friedrich, Johann Sigismund und
Georg Wilhelm sind zwar erwähnt, ohne jedoch wörtlich wiedergegeben
zu sein.
Das Privilegium der Cöllnischeu Gilde von 1558 spricht nur von
der Freiheit für 5 Brauen Bier, bezieht sich auch darauf, dass das beiden
Gilden gleich gewährt ist. Das jüngere Privilegium der Berliner Gilde
von 1568 gewährt aber von dieser Zeit an 8 Brauen, während ein
Schriftstück über die gleiche Vergünstigung an die Colinische Gilde
nicht vorliegt.
Die Cöllnische Kämmerei -Rechnung von 1558 enthält einen Ausgabe-
Posten: „12 Schock 15 gr. für einen neuen Schützenbaum, den
Vogel zu tragen* und ferner: „1 Schock 3 gr. für einen goldenen
Ring zur Schützenkette. u Zu 30 Lundischen Hosentüchern für den
Cöllnischen Schützenkönig werden 6 Schock 53 gr. vom Rath zu
Colin und 15 Schock 19 gr. vom Rath zu Berlin bezahlt.
1569 erhielten die Cöllnischen Schützen von der Kämmerei einen Ochsen
und 24 Hoseutücher.
1571 gab Berlin 10 Thaler und Cölln 5 Thaler zu Hosentuch für die
Cöllnischen Schützen aus und Berlin zahlte 10 Gulden für 2 Ochsen
zu dem Berlinischen Freischiessen.
1576 ist der vor 18 Jahren aufgestellte Schützenbaum morsch geworden,
es muss ein neuer beschafft werden, der 2 Thaler 15 gr. kostet.
Der Schützenkönig erhält 1 Schock Groschen und einen goldenen
Ring zur Kette. Die Schützengilden beider Städte erhalten von
beiden Räthen zusammen 16 Hoseutücher auf 2 Jahre, jeder König
erhält also nur 4.
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Chronik der Berliner SchMzengilde.
31
Der „Schiessgraben u der Berliner Gilde inusste durch ein
Thor abgeschlossen werden für dessen Schlüssel 3 gr. veraasgabt sind.
Diese Bezeichnung „Schiessgrabenu deutet darauf hin, dass
man einen Teil des Wallgrabens, welcher damals noch die mittel-
alterliche Stadtmauer umgab, als Schützenplatz benutzte, wie das
auch von vielen anderen Städten bekannt ist.
1579 erhält das Thor zum Schiessgraben vor Berlin, wie auch die
„Scheuer" beim Schiessgraben ein neues Schloss.
1584 wird über ein grosses Schützenfest im Schiessgraben am Pfingst-
dienstag berichtet. Der mit Gefolge erschienene Kurfürst Johann
Georg schoss mit nach der „Wand" (Scheibe). Der Rat von Berlin
hatte zu diesem Fest einen silbernen Becher für 9 Schock 221/2 gr.
als Hauptpreis hergegeben, auch 1 Schock 15 gr. für Zerbster Bier
zum Tractieren des Kurfürstlichen Gefolges bezahlt.
1588 hat der Rat von Berlin 2 Schock 15 gr. zu einem Hauptgewinn
für die Schützengilde verausgabt.
1593 hatten beide Schützengilden Prinzen zu Ehrengildemeistern ernannt
und zwar die zu Cölln den Markgraf Christian und die zu Berlin den
Markgraf Joachim Ernst, beides noch Knaben. Auf kurfürstlichen
Befehl wurde darauf beiden Gilden je ein Festessen gegeben, über
deren Kosten die Rechnungen erhalten sind:
I.
„Auf churfürstlichen Befehl so im Pfingsten anno 1593 für
die Schützen zu Cölln a. d. Spree ausgegeben verspeiset worden,
als Markgraf Christian Oberster Gildemeister gewesen.
5 Th. 9 gr. 4 Pf. für 194 Pfund Rindfleisch, 1 Th. 16 gr. für
4 Ochsenzungen und Kaidaunen, 3 Th. für ein Schwein, 10 Th.
20 gr.für 12\a Kälber, ö Th. 18 gr. für 15 Lämmer, 7 Th. 1(5 gr.
für 41 Gänse, 4 Th. 12 gr. für 04 Hühner, 3 Th. 12 gr. für
10 Schock 15 Eier, 1 Th. für IV-, Scheffel Salz, 1 Th. 12 gr.
für Kohlen, 16 Th. 1' a gr. für Fische, 4 Th. 22 gr. für 59 Schock
Krebse, 3 Th. 18 gr. für 30 Pfund Speck, 3 Th. für Sauerkraut,
4 Th. 14 gr. für 1 Fässlein 15 Pfund Butter, 1 Th. 1 gr. für
10 Pf. geschmelzte Butter, 1 Th. 2 gr. für holländischen Käse,
1 Th. 21 gr. für trocknen Lachs, 12 Th. 17 gr. für allerlei Ge-
würz, 8 gr. für rothen Zucker, 3 Th, 18 gr. für Confect, 12 gr.
für 12 Pfefferküehlein, 8 gr. für Essig, 1 Th. 7Va gr. für Töpfe,
Zwiebeln, Milch, Merrettig die ganzen 8 Tage und für Bindfaden,
17 Th. 4 gr. für Rheinischen Wein von Hans Mertens Haus-
keller, 1 Th. 8V3 gr. für Koch wein, 12 Th. 71 ... gr. für Brod und
Semmel, 1 Th. 18 gr. für Talglichte, 4 Th. 11 gr. dem Richter
eine weiss und schwarz karirte Fahne zu machen, 5 Th. 12 gr.
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32
Rudolph Buchhok:
Mathes dem Koch mit seinen Knechten und Jungen, 1 Th. 12 gr.
dem Hausmann und Trommelschläger, 1 Th. 12 gr. dem Stadt-
pfeifer, 1 Th. dreien Tagelöhnern die aufgewartet die Woche
über, 21 gr. der Schüsselwäscherin, 21 gr. dem Schenk Michael
Halt, Zins 15 Thaler 17 gr., Summa 146 Th. 2 gr. 5 Pf."
Diese interessante Rechnung ist bescheinigt:
„Christian Markgraf zu Brandenburg."
„Meine Hand."
Balzer Grün
Hans Wermiether."
II.
„Verzeichniss was auf churfürstlich Gnaden zu Brandenburg p. p.
gnädigsten Befehl auf Jacobi anno 151)8 für die Schützen zu Berlin
angekauft und verspeiset worden, als Markgraf Joachim Ernst
oberster Gildemeister gewesen.
6 Th. 2 gr. für Rindfleisch, 6 Th. für 2 Schweine, 8 Th. 12 gr.
für 8V* Kälber, 10 Th. 9 gr. für 03 Gänse, 7 Th. 1 gr. für
84 nühner, 2 Th. 16 gr. für 6 Schock 15 Eier, 1 Th. 15 gr. für
4 Fuder Holz, 1 Th. 6 gr. für 2 Scheffel Salz, 2 Th. 10 gr. für
17 Schffl. Kohlen, 7 Th. 11 gr. für Fische und Aal, 4 Th. 15 gr.
für 46 Pfund Speck, 9 Th. 8 gr. für 71/, Hammel, 2 Th. für
Hering, 8 Th. 15 gr. für Butter, 2 Th. 221 3 gr. für Obst, 1 Th.
12 gr. für 3 holländische Käse, 6 gr. für 1 3 Pfund rothen Zucker,
32 Th. 21 gr. für allerlei Gewürz, 10 gr. für irden Töpfe, 15 gr.
für Milch, 2 Th. 10 gr. für Zwiebeln Kohl Salvei und Gurken,
40 Th. 4 gr. für Rheinischen Wein, 4 Th. 16 gr. für Land wein,
1 Th. 1 gr. für Essig, 19 Th. für Brod und Semmel, 2 Th. 18 gr.
für 30 Pfund Lichte, 5 Th. 7 gr. der Köchin Lohn, 16 gr. 2 Auf-
wärtern, 81 j gi*. dem Trommelsclüäger, 2 Th. den Spielleuten,
17 gr. den Thürhütern, 1 Th. dem Schenken, Summa 200 Th.
19\2 gr-
„Joachim Ernst Markgraf zu Brandenbrug."
„Meine Hand."
1597 schreibt der 25jährige Prinz Sigismund, nachmaliger Kurfürst,
aus Schloss Grimnitz, an seinen Vater den Kurfürsten Joachim
Friedrich in Schloss Cölln a. Spree:
.... „Hiernebeu mag E F. G. ich söhnlich nicht vorenthalten,
das mich der Rath zu Cölln gegen schirsten heiligen Pfingsten
zu ihrem habenden Vogelschiessen unterthäniglich eingeladen
und gebeten, dahin sich dann meine freundliche liebe älteste
Vettern auch zu verfügen entschlossen.
Wann ich aber zu solchem Vogelschiessen mit keinem guten
Vogelbogen versehen un ich mich erinnert, dass in E. G. Rüst-
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Chronik der Berliner Schfltzenffilde.
83
kammer zu Ilalla ein solcher grosser Bogeu vorhanden, der mir
zu diesen Sachen jetzt wol genöthig und gut wäre, als gelanget
an E. G. mein, söhnliches bitten, £. G. wollen mir zu diesem
mal mit demselben grossen Bogen väterlich willfahren und Ver-
ordnung thun, damit mir derselbe, neben etlichen guten Bolzen
und aller anderen Zubehör, gegen schirste Pfingsten gewisslich
nach Berlin gebracht werden möge."
1597 sendet die Colinische Gilde 5 Schützen zum Freischiessen in Cott-
bus, jeder erhielt dazu 1 Thaler.
1599 ist Peter Werner König bei der Cöllnischen Gilde geworden und
erhält als Prämie 4 Tu. 1 gr.
Die persönliche Beteiligung der Kurfürsten an den Schützen-
festen geht ferner aus folgenden Ausgabeposten in [den kurfürstlichen
Haus-Rechnungen hervor:
1604. Kurfürst Joachim Friedrich giebt auf Bitten seines Sohnes Johann
Sigismund dem Schützengüdemeister zu Berlin 35 Thaler zu dessen
Ausrichtung.
1606 wird berichtet, dass die beiden Markgrafen Johann Georg, Ad-
ministrator des Bistums Strassburg, und Ernst das Schützenfest
besuchten. Sie haben „bei der Vogelstange im Glückstopf gespielt"
und sind vom Rat empfangen und bewirtet worden, wobei Bürger-
meister Purcelius eine Ansprache hielt. Sie gewannen 4 Dutzend
grosse zinnerne Teller.
1608 wurde auf dem Schützenfest in Berlin statt nach dem Vogel nach
einem Türken geschossen.
Damals war der Hass gegen die Türken wegen ihrer Grausam-
keiten besonders gross.
1610. 28. Juni. 68 Thaler 8 gr. Seiner Kurf. Gnaden zum Vogelschiessen.
29. Juni. 6 Thaler, so Kurf. Gnaden dem Prinzen Georg Wilhelm
zum Spiel beim Vogelschiessen bewilligt.
12. Aug. 6 Thaler Georg Wilhelm beim Königschiessen in Berlin
n „ 3 Thl. 12 gr. für Fürst August von Anhalt zum Vogel-
schiessen.
1613. 116 Thaler 16 gr. haben Kurf. Gnaden mit zum Vogelschiessen
genommen.
31. Mai. 11 Thaler 16 gr. zum Scheibenschiessen.
25. Juni. 68 Thl. 4 gr. 9 pf. so vor 2 Pokale gezahlt die Kurf.
Gnaden und dero Gemahlin bei gehaltenem Scheiben-
schiessen vor St. Jürgenthor aufgesetzt.
Aug. 30 Thal. 12 gr. für Zinnzeug so Kurf. Gnaden bei ge-
haltenem Scheibenschiessen zu Berlin verspielt, noch
3 Thaler daselbst
ö
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34 Rudolph Buchholi :
1614. Juni. 2 Till. 6 gr. den dreien abgebrannten Leuthen welche Kuif.
Gnaden bei der Vogelstange angefallen.
26. Jnni. 6 Tbl. beim Vogelschiessen.
5 Tbl. au 2 Tonnen Bernauisch Bier für die Cöllnischen
Schützen.
10. Juli. 116 Thl. 16 gr. Kurf. Gnaden zur Berlinisoben Yogelstange
mitgenommen.
10. Juli. 14 Tb. 16 gr. vor einen Becher so Kurf. Gnaden zur Ber-
linischen Vogelstange verbraucht.
12. Juli. 110 Thl. 16 gr. desgl. als daselbst um einen Ochsen nach
der Scheibe geschossen.
12. Juli. 31 Thl. 13 gr. noch vor 2 Becher.
1614. Kurfürst Johann Sigismund schenkt der Berliner Schützengilde
„den Platz vor dem Georgenthor, hinter der kurfürstlichen Meierei,
zwischen dem Bernau'schen Weg und ihrem Schiesshause."
Dieser Platz, der an der alten Schützenstrasse begann und sich
längs der Bernauer (jetzigen Neuen König-Strasse) hinzog, ist bis
zum Jahre 1707 als Berlinischer Schätzenplatz benutzt worden,
dann wurde er wegen der Ausdehnung der Vorstadt weiter hinaus,
hinter die jetzige Linienstrasse verlegt.
1616. 10. Mai. 100 Thaler von Kurf. Gnaden zu Erbauung eines neuen
Schützenplatzes bewilligt.
21. Mai. 18 Thl. von Kurf. Gnaden zum Vogelschiessen eingelegt.
21. Mai. 40 Thl. der Gn.Kurfürstin u.den 3 Fräulein zum Spiel daselbst.
„ 44 Thl. haben Kurf. Gn. daselbst an Zinn verspielt.
9. Juni. 62 Th. 12 gr. als Kurf. Gn. mit Prinz Georg Wilhelm zur
Berlinischen Vogelstange gefahren.
1617. d. d. Königsberg i. Pr., 1. Juli. Der Kurfürst gestattet der Schützen-
gilde zu Berlin, eine Schiessmauer und Vogelstange da zu errichten,
wo es ihr bequem sei und befiehlt dem Rat, dawider nichts zu
unternehmen. Zu dem Bau eines neuen Schiesshauses hatte der
Kurfürst 100 Thaler beigetragen.
1619. 25. Juli. „30 Thaler, so Seine Kurfürstliche Gnaden mit zur
Vogelstange genommen.
1620 beklagt sich die Schützengilde zu Berlin beim Kurfürsten, dass
der Rat zu Berlin, entgegen den Privilegien, bezüglich der Be-
freiung des Schützenkönigs von Steuern p. p., die Befreiung auf die
Steuern beschränken will, welche bei Erteilung des Privilegiums
im Jahre 1568 bestanden, die inzwischen neu aufgelegten Steuern
dagegen nicht will frei passiren lassen. „Denn in Betrachtung der
jetzigen grossen Unkosten, welche in vorigen Jahren bei der König-
lichen Mahlzeit, wie man es so nennt, mit geringem bestalt und
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Chronik der Berliner Schützengilde.
35
verrichtet werde, kann der, wem Gott das Glück Riebt, dass er
König wird, sich dessen hei Ertragung der neuen Steuern wenig
erfreuen. So ist es auch vor langen .lahren her zur Observanz
gediehen, dass die Könige, so den Vogel abgeschossen, ohne einige
Hinderung, aller Steuern, sie haben Namen gehabt wie sie gewollt,
befreiet gewesen, nur dass man anjetzo das Werk in Streit ziehen
und gleichsam kurfürstliche Privilegia disputirlich machen will."
Der Kurfürst entscheidet im Sinne der Gilde d. d. Preutschmark
d. 4. Jan. 1621.
1623 ist der Kurfürst persönlich beim Schiessen nach dem Vogel.
Nach der Kämmerei-Rechnung von Berlin sind bei der Gelegenheit
73 Thaler verausgabt. Es wurden 21 „Tuffen" aufgetragen, mit
Hühnern, Schoten, Ochsenzungen, Sallat, Johannisbeeren, Wildpret,
Kirschen, Besingen, Erdbeeren, holländischem Käse, Gänsen, Confect,
spanischen Prätzeln, Tamasehen Brod, Französisch Brod, Macaroni,
Fischen, Baumkuchen, Spritzkuchen, Schinken, Wurst, Krebsen, Pökel-
lachs. Frau Bürgermeister Strassburg hatte den Kuchen zu backen
übernommen.
1624 beklagt sich wiederum die Berliner Schützengilde beim Kurfürsten,
dass die Landschaft die Gildemeister nicht von der Bierziese p. p.
befreien wolle und dass auch der Rat von Berlin seinen Gewinn
daran einziehe: „Als denn beide Exercitia, des Bogen- und Büchsen-
Schiessens in Vornehmen Reichs- wie auch Kur- und Fürstliche
Städten jederzeit rühmlich gehalten worden, Ew. Kurf. D. Vorfahren,
ja Ew. Kurf. d. Selbsten, nebst Gräflichen wie auch Herren und
Adels Staudespersonen und vornehme Offiziere denen exercitiis bei-
gewohnet und sich damit öfters recreirct p. p."
Kurfürst schreibt die Sache dem Kanzler zum Bericht zu, welcher
sicli auf einen Auszug aus dem Landtags-Recess v. 9. Juni 1624 beruft:
„stehet ausdrücklich, dass keinem Bogen oder Büchsenschützen
einige freie Brauen weiters erlaubet werden, sondern sie alle
schuldig sein sollen, das volle alte und neue Biergeld und die
vorige accise, wann sie brauen wollen, zu erlegen."
1627. Kurfürst schreibt am 1. Juli aus Königsberg an den Rat zu Berlin:
Die Bogen und Büchsen Schützen zu Berlin haben kurfürst-
lichem Befehl zufolg«; ein Schiesshaus erbaut, jedoch aus Mangel
an Mitteln die Vogelstange und die Schiessmauer nicht ausführen
können. Da es nun bei den Städten nicht ungebräuchlich sei,
dass der gesammten Bürgerschaft zum Besten dergleichen von
den Rathhäusern gebaut werde, so verordne der Kurfürst, dass
der Rath solches thue, damit er bei seiner Heimkehr aus Preussen
alles parat finde.
3»
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36
Rudolph Buchhol«:
Die Schiessfeste haben dann bis 1632 in Berlin fortgedauert,
während die in Cölln schon in den 20 er Jahren aufgehört hatten.
Von 16*25 ab hatten die Räte weder die üblichen Hosentücher bezw.
das Geld dafür, noch die 10 Gulden zur Beschaffung eines Ochsen
hergegeben, trotz wiederholter Mahnungen der Gilden. Auch für
die Folge fiel diese Bonifikation weg.
Der Rat zu Cölln hatte sogar die Königskette an sich genommen
und zum Nutzen der Stadt verkauft.
1682 am 31 . Aug. nimmt Bürgermeister Reichert von Berlin dem Schützen-
könig Adam Krause die goldene Kette mit dem silbernen Vogel
und den daran hängenden 15 kurfürstlichen Kleinodien im Gewicht
vou 128 Kronen ab und lässt sie durch den Goldschmied Ewald
Naupe einschmelzen, angeblich um eine andere Kette daraus zu
machen.
Die Gilde verlangt nach dem 30 jährigen Kriege, 1050, wiederholt,
aber vergeblich ihr Eigentum und die ihr sonst seit 1624 entzogenen
Kompetenzen. Ihre Nachfordungen betragen; 184 Thaler für den 26
Jahre lang vom Magistrat nicht gelieferten Vogel, für nichtgelieferte
Hosentücher, jedes Jahr 16 Stück, auf 26 Jahre 554 Thaler, für die
goldene Kette, über deren Verbleib niemand mehr Auskunft geben
konnte, 176 Thaler und 262 Thaler Zinsen.
Als während des 30jährigen Krieges, im Jahre 1637, die Städte
Berlin und Cölln vom Feinde bedroht sind, fordert der Kurtürst
die Räte zum Aufruf der waffenfähigen Bürgerschaft und zur
Stellung derselben unter das Kommando des Oberst von Rochow
auf. Von der Schützengilde ist in der betr. Ordre keine Rede,
weil sie in Cölln schon seit 1(525, vermutlich wegen der Entziehung
der Steuerfreiheiten, in Berlin seit 1632 gar nicht mehr besteht.
Das Schiesshaus zu Berlin wurde 1637 und 1638 zum Lazaret
eingerichtet und verfiel dann, so dass es anfangs der 50er Jahre
fast ganz neu wiederhergestellt werden musste.
Nach dem 30 jährigen Kriege werden in den Jahren 1651 — 53 beide
Schützengilden mit neuen Satzungen wieder aufgerichtet Das wich-
tigste in den neuen Satzungen ist die Aufhebung des Schiessens
nach dem Vogel, „weil solches keinen Nutzen hat; es soll künftig
mit der Büchse oder dem Feuerrohr nach der Scheibe ge-
schossen werden.
Die Berlinische Gilde bezog wiederum ihren alten Schützenplatz,
der Cölluischeu wurde vom Rat eine Stelle hinter dem Holzmarkt
angewiesen. Der Holzmarkt lag zwischen der Spree und der jetzigen
Cöpenicker Strasse und nahm eine Länge ein, welche jetzt durch
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Chronik der Berliner Schütxengilde.
37
die Häuser 48 — 79 bezeichnet wird. Hinter dem Grundstück Cöpe-
nicker Strasse 48 begann also der damalige Cöllnische Schützenplatz.
Als der Kurfürst 1651 behufs Wiedererrichtung der Gilde den
Ausschank von Berlinischem und Bernauischem Bier im Schützen-
hause steuerfrei zugestand, protestierten die Magistrate beider Städte
dagegen beim Geh. Kurf. Rath mit der Begründung: „da die Räthe
beider Städte im Jahre 1645 in Betrachtung ihrer treuen Dienste,
auch zu Abtragung ihrer Schulden, Konservation der Stadtgebäude
und Unterhaltung der Kirchen und Schulen, ein Privilegium er-
halten hatten, allerhand inländische und fremde Biere einzulegen p.p."
Der Geheime Rat windet sich aus der Verlegenheit durch die
Erklärung : „es müsse zwar bei der Kurfürstlichen Concession bleiben,
doch solle der Rath darauf sehen, dass der Ausschank von Bieren
nur zum Nutzen der Schützengilde und nicht darüber hinaus geschehe."
1653 erfolgt durch eine Kundgebung des Rats zu Cölln die Wieder-
aufrichtung der Schützengilde, weil sie „fast an ftO Jahre kein
Schiessen gehalten, sondern vielmehr gar erloschen gewesen," „jetzt
aber, da der liebe Gott den lieben Frieden im Lande bescheeret,
etzliche unsererBürger öffter bei uns Ansuchung gethan, wir möchten
wiederum nach dem Exempel unserer Vorfahren solche Schützen-
gilde, welche allezeit des Raths Gilde gewesen, anrichten und ge-
wisse Innungs- Artikel aufsetzen und zur Bestätigung Sr. Kurf.Durchl.
übergeben, so haben wir auch endlich gedachten Bürgern hierin
billig gefüget, die alten Statuta mit ihnen verlesen, dasjenige, was
practica bei gewesen, daraus genommen, was sich aber nicht thun
lassen, noch beliebig gewesen, übergangen, insonderheit aber, weil
die alten Artikel auf ein Schiessen in die Höhe nach dem
Vogel eingerichtet gewesen, solches aber wenigen Nutzen hat,
selbige auf ein Scheibensehiessen gerichtet p.p. Nachdem auch
hiebevorder silberne Schützenvogel oder Schützenkette ver-
kauft und in des Raths Nutzen angewendet worden, wir aber be-
funden, dass die jetzo aufs Neue eingerichtete Schützengilde wohl
nothwendig werde auf dem, hinter dem Holzmarkt angewiesenen
Platze ein Schützenhäuselein bauen müssen, so wollen wir auch zur
Erbauung solchen Häuseleins so viel, als vor solchen Schützen-
vogel und Schützenkette gehoben worden, an Materialien her-
geben und also solches vor obgedachter Kette gehobene Geld der
Gilde zu Nutze kommen lassen."
Folgen die neuen Satzungen in 28 Paragraphen.
Die Bestätigung seitens des Kurfürsten erfolgt am 6. Februar 1654.
Von allen Gegenständen, welche die Berliner und Cöllnische
Schützengilde bis zu dieser Zeit besessen, ist nur noch eine Er-
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38
Rudolph Rudi hol
innerung in Form der Abdrücke ihrer Siegelstempel übrig
geblieben. Wir geben hierbei eine ^njv^
Abbildung mit dem Bemerken, dass
der Berlinische mit der Jahreszahl
seiner Anfertigung, 1654, versehen ist,
der Cöllnische aber nach seiner Form
wohl 50 Jahre älter zu sein scheint.
Beide Siegel sind auch deshalb interessant, weil sie eine Vor-
stellung der Schützentracht der betreffenden Zeit bieten.
lb'55 hat General-Feldzeugmeister O. Chr. von Sparr den Kurfürsten beim
Scheibenschiessen der Cöllner Gilde vertreten und den Preis im
Stechen gewonnen. Der Kurfürst bewilligt ihm deshalb alle dem
Schützenkönig zustehenden Freiheiten auf das Jahr, insbesondere
Befreiung von Sehoss und Contribution und 8 freie Brauen.
1055. Die Klage des Kate zu Berlin gegen die Schützengilde wegen
des Bierschanks wird entschieden.
1057 stellt der Kurfürstliche Rat dem Kurfürsten vor, dass er wegen
Vertretung Sr. Kurf. Gnaden beim Scheibenschiessen der Cöllnischen
Schützengilde durch Oberförster v. Brandt und „dass die Schützen
zween Schüsse aus Köhren und soviel aus Mousqueten thuen" dem
Befehl Sr. Kurf. Gn. nachkommen werde, „erinnere aber unter-
thäuigst, dass die hiesige Bürgerschaft mit den Mousqueten zu
schiessen, möchte geübet werden, die Schützengilde aber in gar
wenig Personen bestehet, dass E. Kurf. Gn. solche ihre intention
schwerlich erreichen möchten; also hielten wir unvorgreiflich dafür,
dass alle Wochen oder Monat allemal etwa ein halb Viertel der
Bürgerschaft mit Mousqueten exerciret und ihnen aus der Contri-
bution einige geringe Geschenke, denjenigen, so sich am besten
hielten, zu verreichen, möchten aufgesetzct werden p. p.u
1057 befiehlt der Kurfürst aus Königsberg her dem Geheimen Rat, die
klagende Schützengilde in Berlin wegen der ihr zustehenden
8 Freibrauen, die man ihr kürzen will, in ihren Privilegien zu
schützen.
1059. Feldlager bei Insel Famo gegen Fünen, 19. Juni. Bei dem am
27. Juni anzustellenden Scheibenschiessen will der Kurfürst durch
Geh. Rat von der Gröben vertreten sein; für die beiden Prinzen
soll Oberförster Braudt schiessen.
Feldlager bei Middelfahrt, 19. Juli. Statthalter Graf Dohna soll
den Kurfürsten bei dem am 1. Aug. stattfindenden Königschiessen
vertreten, auch die Prinzen cominittiren.
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oogle 1
Chronik der Berliner Schötzengilde.
39
lttol). Die Schützen zu Cölln bitten um Ertheilung eines Schutzbriefes
für ihren neu erworbenen Schützengarten am Tempelhofer Wege
(Lindenstrasse), welchen sie von Nicolaus Idler gekauft haben.
Der alte Garten war nicht gut gelegen, deun „was im Sommer
mit. vieler Mühe und Unkosten erbaut ward, ist immer im Winter
gestohlen worden. Der jetzige Garten ist mit vielen und schönen
Obstbäumen bestanden, unter deren Schatten im Sommer ehrliche
Leute sitzen können, allein inuthwillige Gäste und junge Hand-
werksbursche brechen Aeste von den Bäumen p. p. und wollen
Kurfürstliche Gnadeu im Schutzbrief eine gebührende Strafe an-
setzen."
Ordre des Kurfürsten aus Viborg, 30. März: da die Schützen
zu Cölln gebeten haben, dass ihnen ein Schiessstand gebaut werde,
so wird der Ingenieur Memhardt beauftragt, einen Riss dazu ein-
zusenden.
Die Cöllnischen Schützenbrüder beschweren sich beim Kurfürsten,
dass von ihrem Schützenplatz Contribution gefordert wird und
Gildemeister, auch Schützenkrüger deshalb schon ausgepfändet sind.
Die Berliner Schützen geben aber von ihrem Schützenplatz nichts.
Der Kurfürst behehlt darauf, dass die Schützen in Cölln gleich
denen zu Berlin wegen ihres Schützenplatzes privilegirt werden
sollen.
Die Cöllnische Schützengilde erbittet vom Kurfürsten die Be-
stätigung der alten Privilegien von Kurf. Joachim II, 1558, welche
sich jetzt wieder gefunden hätten. Die Berlinische Schützengilde
hätte nach den alten Privilegien mehr Steuerfreiheiten für ihren
König und sie möchten doch jenen gleichgestellt sein.
Der Kurfürst befiehlt, d. d. Feldlager bei Friedrichsort, d. 27. Mai
ir>5(.l, dem Geheimen Rat, dass der Cöllnischen Schützengilde ein
neues Privilegium in derselben Form, wie das der berlinischen Gilde,
ausgefertigt werde, auch soll dabei das Schiessen nach dem
Vogel mit der Armbrust gänzlich aufgehoben sein, weil
solches von vielen Jahren her nicht den geringsten Nutzen, sondern
nur unnötige Spesen und Kosten den Gildebrüdern verursacht hat;
dagegen sollen sie auf gewöhnliche Zeit mit Büchsen und Feuer-
röhren nach der Scheibe schiessen. Dann soll der, welcher ge-
winnt und ihrer Gewohnheit nach König genannt wird, das .lahr
über 8 Brauen Bier frei von alter und neuer Bierziese brauen
können, auch frei von allen Steuern, Schüssen und anderen Un-
pflichten sein; der Ausschank von einheimischein und Bernauischem
Bier im Schützenhause ausserhalb der Stadt soll ungehindert und
Ziese frei vor sich gehen und endlich soll das jährliche Schiessen
bei Strafe der Entziehung dieser Freiheiten nicht unterlassen werden.
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40
Rudolph Buchholz:
Das hiernach aasgefertigte Privilegium vollzog der Kurfürst
d. d. Cölln d. 6. Juni 1660.
1661 bestimmt Kurfürst aus Cleve, 13. Sept., dass den Schätzenkönigen
„für alle erlangten Freiheiten 200 Thaler aus der Con-
tribution, zur Abstattung der Collation so der König geben muss»
gereichet werden sollen." Die Geheim -Räte sind zweifelhaft, ob
die 200 Thaler alle anderen Einolmnente des Schützenkönigs aus-
seid iessen und die Räte von Berlin und Cölln bringen deshalb die
200 Thaler an jeden der beiden Könige nicht zur Zahlung. Der Kur-
fürst entscheidet zwar unterm 4. Dezbr., dass neben den 200 Thalern
auch noch die anderen, jedoch nicht veräusserlichen , Freiheiten
gewährt werden sollen, der Geheime Rat macht indes dagegen
erhebliche Bedenken geltend und am 27. Sept. 1662 verfügt der
Kurfürst aus Colberg, dass nur die 200 Thaler zu zahlen sind,
alle anderen Emolumente fortfallen sollen.
1 60«t entscheidet der Geheime Rat, dass die Schützenkönige, entsprechend
den Privilegien, zwar die Freiheit von Schoss, Einquartierung, Zoll,
Licent und Brauen, sowie von der Contribution, für ihre Person
haben sollen, dass sie aber die letztere Freiheit nicht cediren dürfen,
wohl aber dafür aas der Contributionskasse 200 Thaler zu erhalten
befugt sein sollen.
1664. Magistrat und Vertreter der Schützengilde beider Städte werden
wegen der von den Magistraten seit 2 Jahren immer noch nicht
zur Auszahlung gebrachten 200 Thaler zum Verhör in der Geheim
Rats Stube am 27. Octbr. um 2 Uhr bestellt.
Die Magistate weigern sich zu zahlen, weil solche hauptsächlich
von der Armut aufgebrachte Gelder nicht zu solchen Zwecken
verschleudert werden können und beantragen, die Sache dem
Kammergericht zu übergebeu.
Der Kurfürst ernennt am 15. Febr. 1664 den Geh. Rat v. Hover-
beck und v. Jena zu Commissarien in diesem Streit.
Im Märkischen Provinzial- Museum befindet sich ein grosser,
:160 Gramm schwerer silberner Becher, in dessen Boden die In-
schrift eingraviert ist: „Sambtliche Schützen in Berlin 1664."
Dieser Becher wurde im Jahre 1895 beim Bau des National-
Denkmals für Kaiser Wilhelm I im Spreegrunde hinter der abge-
brochenen Schlossfreiheit gefunden. Er muss wohl 1664 den
Schützen geschenkt, später aber veruntreut oder beseitigt worden
sein. In irgend einem Inventarien- Verzeichnis der Gilde kommt
ein solcher Becher nicht vor.
1666 berichten die Räte beider Städte an den Kurfürsten:
„Schon wieder sind die Schützenbrüder mit Forderungen auf-
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Chronik der Berliner Schützengilde.
41
getreten, die man ihnen nicht gewähren kann nnd will. Nicht
allein, dass denselben die im Privilegium genannten Freiheiten
gelassen sind, wollen sie aus den Contributionsgeldern noch
200 Thaler haben. Das wage man zu fordern , es sei gegen Recht
und Gottes Gebot, dies Geld, was durch die armen Bürger auf-
gebracht wurde, hierzu hinzugeben, noch dazu, dass ein jetziger
Schützenkönig nicht mehr Auslagen habe, als die früheren. Aber
es seien mehrere Personen, die ihr Gewerbe vernachlässigen und
sich nur im Schiessen üben, um von den ßeneficien, die sie durch
ihre Fertigkeit unausbleiblich erlangen müssten, zu leben."
Der Kurfürst ist mit dem Bericht der Räte einverstanden, da
die prämiirten Schützen schon für ihre Person contributions- und
schossfrei sind.
1666 hat Oberstlieutenant von Sclilaberndorff den Kurfürsten beim Cöllni-
schen Königschiessen vertreten und den besten Schuss gethan. Der
nächstbeste war auch kein Schützenbruder, Artillerie -Corporal
Grossmann. Die Gilde zeigt dem Kurfürsten an, dass sie „Ew.
Kurf. Gn. die Königswürde von Rechts wegen zuerkannt und den
von Schlaberndorff, als Ew. Kurf. Hohe Person repräsentirende, in der
weiland Herzogin von Schöningen Behausung begleitet und mit einem
Trunk bewirthet habe". Die Gilde bittet, das Königs Prämium dem
Grossmann zuwenden zu wollen, der „Ew. Kurf. Durchl. viel Jahre
Dienste geleistet, auch vor dem über 1000 Thaler contribuiret hat."
Der p. „v. Schlaberndorff rühmet die unterthänigste affection und
desfalls verspürte Freude der Sch. G. sehr hoch, nicht zweifelnde,
Ew. Kurf. Durchlaucht dieses ihr zerrüttetes Schützenwesen mit
dero Autorität wieder aufrichten, sie bei ihrem Privilegio und so
nützlichem Exercitio dem gemeinen Wesen zum Besten gnädigst
schützen, auch sie mit einem Schildlein, der Gewohnheit nach, an
der güldenen Schützenkette begnaden werden p. p." Der Kurfürst
bewilligt alles d. d. Cleve, 3. Juli 1666.
1667. 20. Mai. Die Cöllner Schützengilde ladet den Kurfürsten auf den
28. Mai mittags 2 Uhr zum Königschiessen ein, zeigt auch an, dass
der Schützenkönig, Oberst Lieutenant von Sclilaberndorff jetzt ver-
reiset sei, bei dem bevorstehenden Schiessen demnach die Schützen-
kette keinen Träger haben wird und bittet um Ernennung eines
Vertreters und um Bewilligung eines Freischiessens mit Andenken
für die Königskette.
1667. Juli. Die Gilde kommt beim Kurfürsten ein, ihrem gewordenen
Schützenkönig Hans Grosse das Recht zur steuerfreien Einlage und
Ausschank von Bier und Wein zu gewähren. Dekret: „Dem Schützen-
könig stehet frei, Wein und Bier einzulegen und auszuschenken, jedoch
gegen Erlegung der gewöhnlichen Onera, davon niemaudt befreiet ist."
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42 Rudolph Buchhoh:
1667. 12. Juli. Sämtliche Gildemeister und Brüder der Residenz und
Veste Berlin laden den gesamten Kurfürstlichen Geheimen Rat
zum Königschiessen am 12. Aug. Mittags 12 Uhr in das Schützen-
haus ein.
1068. 28. April. Kurfürst bestimmt, dass von jetzt ab jedem der Schützen-
könige von Berlin und Cölln, wie dies auch in vielon anderen
Städten eingeführt sei, 50 Thaler aus der Accise-Kasse gereicht
werden sollen.
1668. Iß. Juli. Kurfürst befiehlt, dass an Stelle des Kurprinzen, für
welchen in Berlin der beste Schuss gethan wurde, die Kaufleute
Westorff und Brüning die Rechte des Schützenkönigs erhalten sollen,
weil sie die nächstbesten Treffer beim Stechschiessen gehabt haben.
Jeder soll aus der Aceisekasse die Hälfte, also 25 Thaler erhalten.
1669. 11. Juni. Schützengilde von Berlin ladet den Kurfürsten, Prinz
Phil. Wilhelm, Prinz Friedrich und Prinz Carl Emil auf den 28. Juni
zum ersten Haupt- oder sogenannten Ochseusehiessen ein und bittet,
event. Stellvertreter zu ernennen.
1669. 23. Juni. Zu Stellvertretern weiden ernannt:
1. Oberstlieutenant von der Guarde zu Fuss von Schlabemdorf.
2. Oberförster von Brandt.
3. Jagdjunker von Zetwitz.
1669. 6. Aug. Gleiche Einladung derselben Gilde zu ihrem Königschiessen
am 24. August.
1669. 7. Mai. Gilde zu Cölln ladet den Kurfürsten und die Prinzen zum
Königschiessen am 3. Plingstfeiertag ein.
1669. 13. Mai. d d. Königsberg Preussen. Her Statthalter hat Ob.-Lieut.
v. Schlabivndorf, Oberf. v. Brandt und Jagdjunker v. Zetwitz mit
der Vertretung beim Königschiessen in (.'öl In zu beauftragen.
1671. Potsdam, 23. Mai. Auf Einladung der Schützengilde zu Cölln zum
Königschiessen soll „ein Minister, der solches verrichten kann"
den Kurfürsten vertreten.
Die Einladungeu seitens beider Gilden wiederholen sich fast jähr-
lich und werden daher hier nicht mehr aufgeführt.
1672. Kurf. Decret auf ein Gesuch der Berliner Schützengilde: „wenn
es sieh gebetener Massen verhält, soll die Amtskammer die ge-
wöhnlichen 20 Thaler au die Gilde bezahlen.
1675. Kurfürst gestattet die Abhaltung des Königschiessens beider Gilden
und wird für Seine Vertretung dabei sorgen.
1677. Oberst von Versen wird mit der Vertretung des Kurfürsten und
seiner Gemahlin beim Königschiessen in Berlin beauftragt.
1677. 10. Juli. Die Schützengilden in Berlin und Cölln an den Kurfürsten:
„Ew. Kurf. Durchl. können wir, nebst Wünschung Glückes und
Sieges wider dero Feinde und erlangenden edlen Frieden hiermit
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Chronik der Berliner SchAtzengilde. 43
•
in tiefster Unterthänigkeit nicht verhalten, welchergestalt das Exer-
citium armorum bei diesen beiden Residentz und Vesten dergestalt
zu Grunde gehet, dass sehr wenig sein, die in solchem löblichen
Exercitio sich üben und also sehr unerfahren und die meisten
Bürger sein, die kein Gewehr im Schiessen zu gebrauchen wissen,
welches leider bei jüngster Invasion der Schweden, da man sich
wider sie hier in Positur setzen wollen, der Augenschein genugsam
bewiesen.
Nun rühret solche Unlust bei der Bürgerschaft daher, dass sie
sehen, wie schlecht und geringe das Schützenwesen geachtet wird,
indem weder fast mehr ein Schiessen, noch der Gilde Gerechtigkeit
erhalten werden kann ; denn ehemals der, so das Königsrecht er-
halten, dasselbe wegen der Contributionsfreiheit und anderen Zu-
lagen gar wohl genossen, dagegen jetzo weder der König noch die
Gilden fast nichts gemessen, denn neben des Königs Freiheiten von
Contribution hat er die freie Ziese bei der Landschaft, freie Zölle
und dergl. genossen, jetzo dagegen geneusst der König nicht mehr,
denn das Schoss, die Einquartierung und etwas vom Quartal-Geld,
und ob zwar, nachdem Ew. Kurf. Dorchl. gnädigst die accise all-
hier introduciren lassen, davon niemand befreiet sein soll, Ew.
Kurf. Dorchl. gnädigst verordnet, dass dem Könige aus der Con-
tribution (jetzt accise Cassa) jährlich 200 Thaler gereichet werden
sollen, weshalb unterschiedliche und zum Theil scharfe Verordnungen,
als am 22. Juni 1658, 14. Dezbr. 1661, 25. Febr. 1662, 18. März 1662
und 14. April 1662, erfolget, so widersetzet sich doch die übrige
Bürgerschaft und haben unsere Magistrate uns darin niemals die
Hand geboten, also dass nun in vielen Jahren keiner, dem das
Königsrecht zugefallen, was genossen, die sämmtliche Gildebrüder
auch zu Erhaltung der Werke die übrige Freibrauziesen nicht er-
langen, sondern noch der Landschaft das Einlegegeld, und der
Accise Cassa, obgleich ihre Krüge vor der Stadt liegen, ebenso als
die Schenken in der Stadt, die accise baar erlegen müssen. Wenn
nun gleichwohl im ganzen Römischen Reich viel auf dieses exer-
citium gehalten und spendiret wird, unsere eigene Nachbarn in
Cüstrin, Frankfurt, auch geringen Städten, Ihr gewisses und rich-
tiges Einkommen haben, wir auch insonderheit von Ew. Kurf.
Durchl. Hochlöbl. H. H. Vorfahren sowohl als von Ew. Kurf. Durchl.
Selbst sehr gnädigst und wohl privilegiret sein, daher auch solche
Gnade beizubehalten uns angelegen sein lassen müssen, so gelanget
an Ew. Kurf. Durchl. unser unterthänigstes Bitten, Sie wollen gnädigst
geruhen, uns in dero gnädigsten Schutz zu nehmen und eine solche
Verordnung zu machen, dass entweder der König jährlich der accise
von allem seinem Thun befreiet sein solle, oder dass ihm nebst
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44 Rudolph Buchholx:
dem Schoss, Einquartierung u. dg], die verordnete 20Ö Thaler als
ein gewisses Einkommen gereichet, auch aus der Landschaft die
Freibrauziesen gegeben werden sollen, womit denn der vornehme
als arme Bürger, wen es betrifft, zu vergnügen.
Was sonsten wegen Exercirung der jungen Bürgerschaft aus
allen Gewerken wohl nöthig wäre, stellen wir Ew. Kurf. Durchl.
zur gnädigsten Verordnung."
Die Geh. Räte überreichen dieses Gesuch unterm 17. Juli be-
fürwortend dem Kurfürsten, am 3. August erinnern sie an dessen
Resolution, „damit man den unaufhörlich ansuchenden Schützen-
gilden die Antwort ertheilen könne", und am 10. August schreibt
der Kurfürst aus dem Feldlager vor Stettin, man soll die Sache
bis zu seiner baldigen Rückkehr beruhen lassen, „da wir dann
desfalls eine beständige Verordnung machen wollen. u
1(578 richten die Gildemeister und Schützeubrüder beider Städte eine
Klage au den Kurfürsten gegen die Räte von Berlin und Cölln:
„ob wohl Ew. Kurf. Durchl. H>(>2, auch sonsten mehrmals, aller-
gnädigst verordnet, dass dem Schützenkönig 200 Thaler jährlich
gegeben werden sollen, so ist doch bis dato nicht das ge-
ringste erfolget und hat die löbl. Landschaft auch viel Jahr
her die gewöhnliche Freybrau-Ziesen nicht gereichet, vorgebend,
Ew. Kurf. Gnaden hätten alle Freybrau Ziesen abgethan p. p.
Und ist uns vom Rath in Berlin lange Zeit her weder die jähr-
liche 10 Gulden zum Ochsenschiesen, noch die Hosentücher ge-
geben worden, obgleich wir Cöllnische solche empfangen p. p.
Das Schützenwesen in diesen Residenten liegt so gar darnieder,
dass wenig Bürger sein, die solches noch beibehalten, weil alle
beneficia uns entzogen sein und wir nicht mehr unsere Schützen-
häuser und Plätze erhalten können, sondern solche bereits ver-
schulden müssen. Diese und andere Mängel haben dieses löb-
liche Exercitium bei so vornehmen Residenten gar dahin gebracht,
dass sie von dem geringsten Städtchen im Römischen Reich be-
schämet sein. Ew. Kurf. Durchlaucht wollen allergnädigst ge-
ruhen, nunmehr solche Verordnung zu machen, dass dem Schützen-
könig jährlich ein Gewisses zur Ergötzlichkeit gegeben und der
Gülde, jechlicher, die 8 Freibrauziesen, nebst der freien Einlage
des wenigen Bierschanks, wovon die Häuser erhalten werdeu
sollen, gereichet auch von E. K. Raht conteniret und unfehlbar
alles gelassen werden möge."
Der Kurfürst gab die Sache den beiden Räten mit dem Befehl:
„weilen der gantzen Stadt und deren Einwohnern daran gelegen,
„dass das Exercitium des Schiessens beibehalten werde, zu
»überlegen, wie dem Schützenkönig eine Ergötzlieh keit deshalb
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Chronik der Berliner Schützengilde.
45
„wiederfauren möge, weil aus der Kriegskasse wegen überhäuftet'
„Ausgaben nichts gegeben werden kann."
1079. 6. Juli. Potsdam. Befehl: Die Geheimen Käthe sollen bestimmen,
wer zum 7. Juli die Stelle des Kurfürsten beim Schiessen in Berlin
vertreten soll, um deshalb vom Schloss nach dem Schützenplatz
abgeholt zu werden. Der Kurfürst war nämlich 1678 durch den
besten Schuss seines Vertreters Schützenkönig in Berlin geworden.
1681 bitten die Gilden von Berlin und Cölln um Confinnation der neu-
aufgesetzten Privilegien und namentlich um Vermehrung der Ein-
künfte des Schützenkönigs.
Der Bescheid lautet ablehnend.
Aus dieser Zeit datieren 2 noch heute im Besitz der Gilde be-
findliche kleine Bronce-Kanonen mit Räderlafette, auf welchen sich
ein Wappen (3 Hüft- •
hörner) befindet.
Es ist nicht zu
ermitteln, aufweiche
Weise sie in den Besitz der Gilde gelangt sind. Eine dritte, eben-
falls noch vorhandene Kanone, ist jenen beiden nachgegossen.
Diese 3 Kanonen waren am Nachmittag des 18. März 1848 auf
unaufgeklärte Weise nach der auf dein Alexanderplatz errichteten
Barrikade geschafft worden, wo sie mit solcher Wirkung verwendet
wurdeu, dass diese Barrikade bis zum nächsten Tage, also am
längsten von allen auderen, gehalten werden konnte.
1682 denuncirte die Berliner Schützengilde ihr Mitglied, den Job. Moenigke
beim Rat wegen störenden Betragens. Er habe „sich gegen die
Einführung des Kurfürstlicheu Büchsen Wärter Job. Schultze unge-
bührlich aufgelehnt und als es gegen seine Opposition dennoch
geschah, habe er geschimpft, das wären Schelme, Diebe, Fress-
und Sauf-Schützen; er würde ein Gericht Krebse und Wurst zum
Besten geben, wenn wir mit ihm gingen. Darauf ist er zu die
Kunstpfeifer gelaufen, er hielte sie vor Schelme, Hunde u. dgl.
Dieses und viel mehr Tobens so man nicht alles verzehlen kann,
welches uns Bedenken machte, dass Mord und Todschlag daraus
entstehen kann, veranlasste uns, in der Stille auseinander und nach
Hause zu gehen und E. Edlen Rath zu bitten, solchen, von Joh.
Moenigke uns in nnserm Schützenhause zugefügten grossen Schimpf
und Unfug zu ahnden und dermassen abzustrafen, dass hinfüro
andere sich scheuen, wider Kurf. Abscheid, Privilegium und Frei-
heit des Schützenhauses sich zu setzen."
1683 wird Oberst Wrangel zur Vertretung des Kurfürsten beim Cöllner
Königschiessen am 30. Mai und beim Berliner am 30. Juli befohlen.
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46 Rudolph Buchhol«:
1683. Potsdam, 12. Juli. Der Schützengilde wird trotz der eingefallenen
Trauer gestattet, auf bevorstehenden Jacobi das gewöhnliche König-
schiessen abzuhalten, aber auch dahin zu sehen, dass alles in Ehr-
barkeit zugehe.
1684 entsteht ein Streit wegen zu geringer Pacht des Schützenkrügers,
der vor den Kurfürsten zur Entscheidung gebracht wird.
1684. Dem Kammergerichtsrat von Berchem wird trotz des Protestes der
Berliner Schützengilde vom Kurfürsten gestattet, die ihm gegebene
Stelle am Schützenplatz zu bebauen.
Auf eine erneuerte Vorstellung entscheidet der Kurfürst, die
Gilde soll sich an den Magistrat wenden und wenn sie beweisen
kann, dass der Platz ilir Eigentum ist, soll ihr nach Kecht und
Billigkeit Schadenersatz geleistet werden.
1687 bestimmt der grosse Kurfürst, „dass die Hofbedienten, wenn sie
den besten Schuss haben, zum Königsrecht admittiret werden, gleich
anderen eingekauften Schützenbrüdern. "
1688. Der Kurfürstliche Lelms Canzlist Kaisen hatte beim Königschiessen
in Berlin durch einen Vertreter den besten Schuss. Die Gilde und
auch Magistrat wollten ihm als Nichtin itglied die Königsprämie
nicht zukommen lassen, sondern dem nächstbesten Schützenbruder.
Der Kurfürst entschied, dass jeder die Hälfte der 200 Thaler haben
solle, veränderte jedoch 1689 diese Entscheidung auf Vorstellen des
Magistrats dahin, dass Katsch nichts erhalten solle, weil er nicht
selbst geschossen habe und das Recht der Vertretung sich nur auf
fürstliche Personen und ganze Ooilegia beziehe. Auf nochmalige
Vorstellung des Katsch werden demselben jedoch 100 Thaler be-
willigt, weil die Gilde mit dessen Vertretung durch einen Schützen
einverstanden gewesen war.
1688. Ein Gesuch der Berliner Schützengilde um Bewilligung zur Ab-
haltung eines zweiten Königschiessens im Oktober wird abgeschlagen.
1688. Kurfürstlicher Befehl, dass die Schützengilde vorgeschlagener
Massen eine hohe Mauer auf dem Schiessplatz ziehen lasse, um
den Neuanbauenden Sicherheit zu verschaffen.
1689. Kurfürst befiehlt dem Geheimen Rat, dass jedem Schützenkönige
zu Berlin und Cölln jedesmal 200 Thaler aus der Accise Kasse
eines for alles gezahlt und damit jährlich continuiret werde.
1690 beschwert sich die Gilde beim Kurfürsten: „Ew. Kurf. Durchlaucht
müssen wir p. p. gehorsamst vortragen, wasgestalt dero durch-
lauchtigste Hohe Vorfahren der hiesigen Bürgerschaft gnädigst
coueediret, sich im Schiessen zu exerciren, damit sie, wenn etwa
diese kurf. Residenz feindlich augegriffen werden sollte, dieselbe
desto besser defendiren zu helfen kapabel sein möchte, zu welchem
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Chronik der Berliner Schütxengüde.
47
Eude die Schützengilde aufgerichtet, wozu ihnen vor dem St. Georgen
Thor ein ziemlicher Platz eingerichtet worden, welchen erwähnte
Schützengilde von undenklichen Jahren her in geruhiger Posses.sion
gehabt. Und ist dieser Platz der ganzen Stadt sehr zuträglich,
massen darauf nicht allein Ew. Kurf. Durchl. Soldatesquc von dero
Guarde zu Ross und zu Fuss dann und wann exercireu, sondern
auch in den Jahrmärkten das Vieh zu Verhütnng aller Jncommo-
dität und Unfläterei in der Stadt dahin getrieben wird. Es wollen
sich aber einige unterstehen, diesen der Stadt höchst nützlichen
Platz, dergleichen vor Berlin keiner mehr zu linden, zu bebauen
und einzuschränken, u. a. ein Schulmeister Namens Wentera, der in
dieser Gegend einen Raum von Herrn Aratsrath Weise gekaufet,
unternehmen will, die Mauer, so von Menschengedenken her daselbst
zur Aufhaltung der Kugeln gebaut, zu seinem dort angefangenen
Gebäude zu gebrauchen."
Der Kurfürst entscheidet zu Gunsten der Gilde.
WM) hatte beim Königschiessen in Berlin der Oberstlieutenant v. Haacke»
für die Prinzessin Tochter des Kurfürsten den besten und das Gilde-
mitglied, Sdineidermstr. Melchior Wedekindt den zweitbesten Schuss
gethan. Beim Eintreten in den Schiessstand hatte der Bürgermeister
Schmidt als Gildemeister an den v. llaacke die bei Gästen übliche
Frage gestellt, ob er im Falle des besten Schusses das ganze
Königsrecht, also das Tragen der Königskette und die Dotation
von 2U0 Thalern in Anspruch nehmen würde. Bisher hatten sich
die Gäste in solchem Fall mit der Ehre begnügt. Herr von Haacke
hatte aber die Frage bejaht und war dann in Folge eines beson-
deren Votums der Gildemeister gleichwohl zum Schuss gelassen
worden. Er wurde zum König ausgerufen, richtete das übliche
Freischiessen mit Festmahl an, und erhielt die Königskette auf ein
Jahr ausgehändigt. Wedekindt begann aber eine Agitation dagegen
und verlangte das Königsrecht oder doch wenigstens die 2U0 Thaler,
weil der Kurfürst im Jahre 1077 dieselbe ausdrücklich für die
Bürgerschützen bestimmt habe, die Accise Kasse ihre Gelder auch
nur von den Bürgern nehme und dieSoldatesqiie nichts dazu beitrage.
Die Gilde richtete dann auch an den v. Haacke ein Gesuch, sein
Königsrecht aufzugeben, worauf derselbe aber nicht einging. In
der Aufregung darüber hatte Wedekindt u. a. öffentlich gesagt, er
halte diejenigen für Schelme, welche den Obcrstlieutenaut als König
anerkennen wollten, v. Haacke ersuchte darauf den Magistrat, den
„groben Kerl abzustrafen,44 damit er nicht genötigt sei, ihm „sein
grobes Maul selbst zu stopfen," will auch, „falls man es ihm höf-
lich sage, mit andern seiner Condition sich des Schiessens in
Compagnie mit den Schützen für die Zukunft entschlageu und
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48
Rudolph Buchhol»:
schliesst, dass „dem Wedekindt für seine Beschwerde eher die
spanische Kappe als das Königsrecht gebühre". Magistrat kam zu
keinem Entschluss und die Sache gelangte vor den Kurfürsten,
welcher durch eine besondere Kommission entscheiden Hess, dass
der Oberstlientenant sich, da er selbst gesagt, es sei ihm nicht um
den Gewinn zu thun, mit der Ehre begnügen solle, das Prämium
aber dem Wedekindt als nächstbestem Schützen aus der Gilde zu-
fallen solle, wovon er indess die 50 Thaler für die Mahlzeit an den
Oberstlieutenant erstatten muss. So sollte es auch künftig gehalten
werden.
1691 kam indess wieder ein Streitfall vor. General-Major v. Wangenheim
hatte für die Prinzessin von Eisenach den besten Schuss, erhielt
auch die Ehrenkette und trat die Prämie von 200 Tbalera an
den nächstbesten Schützen, Bürger und Sporermeister Frey ab.
Frey vergass aber, die üblichen 50 Thaler für die Mahlzeit davon
zu verwenden und auf Mahnung berief er sich darauf, dass die
* Prinzessin aus Dankbarkeit für die gehabte Ehre ihm auf Befür-
worten des v. Wangenheim die Ergötzlichkeit von 50 Thalern auch
wohl noch angedeihen lassen würde; der General sei aber von
Berlin fern und deshalb schwebe die Sache noch, solle aber er-
erledigt werden, sobald er das Geld erhalte. Als auch weitere
ernste Mahnungen fruchtlos blieben und das nächstjährige Schiessen
herankam, beschloss die Gilde, ihn von allen Schiessen und Mahl-
zeiten auszuschliessen, bis er seine Pflicht erfüllt. Auf die durch
den Magistrat ihm übermittelte bezügliche Zustellung schreibt
Frey: . . . „ich würde auch mich vorlängst hierzu (zur Mahlzeit)
angeschickt haben, wofern ich von dem Hrn. Gen. v. Wangenheim
nicht gewisse Versicherung bekommen, dass die Prinzessin v. Eisenach
sich so gnädigst erkläret, diese Mahlzeit auf ihre eigene Kosten
ausrichten zu lassen, welches ich billig abwarten muss, dahero zu
meiner höchsten Beschimpfung geschiehet, dass man mich von der
Gilde und jetzo vorseienden Königsmahlzeit excludiren will . . . ich
ersuche, die Schützengilde dahin anzuweisen, dass sie bei dieser
meiner Erklärung so lange aquiesciren soll, bis der Herr Gen. v.
Wangenheim wieder hier zugezogen ist, wonach ich ihre hungrige
Magen nicht länger aufhalten will.*4
Die Gilde richtet darauf sofort an den Magistrat eine Beschwerde-
Schrift unterm 8. November 1692, worin sie sich'über die Grobheit
und Anzüglichkeit beklagt. Sie hätten keine hungrige Magen,
wollten gar keine Mahlzeit von diesem Sporer haben und verlangen
die Einziehung der 50 Thaler durch Exekution. Die Sache wird
endlich durch Beitreibung der 50 Thaler 1693 erledigt.
1692 befiehlt der Kurfürstliche Rat dem Rat zu Colin» den
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Chronik der Berliner ScbQtzengilde.
49
Cöllnischen Schützenplatz zu schliessen, weil sich die Gefährlichkeit
des Schiessens wegen der angrenzenden Häuser herausgestellt hat.
die Schützenbrüder sollen einen andern Ort wählen, wo niemandem
einige Gefahr und Unglück zustossen könne.
Der Magistrat von Friedrichs werder, unter dessen Jurisdiction
die Häuser am Schützenplatz standen, hatte sich nämlich über
die Gefährlichkeit des letzteren beschwert und vergebens hatte der
Rat von Cölln dagegen eingewendet, am Schiessplatz sei ein so
hoher und guter Kugelfang, dass noch niemals Unglück passiert sei.
Die Schützengilde kaufte darauf noch in demselben Jahre 1692
den weiterhin am Tempelhofer Wege (jetzt einige Häuser vor dem
Kainmergerieht an der Lindenstrasse) gelegenen Platz auf der
Meckliugs Wiese für 400 Thaler und erhielt auch die Erlaubnis,
sich dort einzurichten, namentlich auch, auf Gutachten des Bau-
meisters Nehriug, das benötigte Haus aus Holz zu bauen.
Der alte Schützenplatz, auf welchem die Gilde noch JJöO Thaler
Schulden hatte, wurde auf 1201) Thaler Wert geschätzt, eine Tax«'
von 1694 ergab aber 16(0 Thaler und es bedurfte eines Gesuches
beim Kurfürsten, damit die Gilde das Kanfgeld für sich nehmen und
zum neuen Platz verwenden konnte.
In den damals angelegten Bebauungsplan der Friedrichstadt
wurde der alte Platz, welcher im Winkel zwischen der heutigen
Schützen- und Lindenstrasse lag, einbezogen; mitten durch seine
Längsaxe wurde das östliche Ende der Zimmerstrasse gelegt.
1693 bittet die Gilde den Kurfürsten um Schutz gegeu die Verkleinerung
des Schützenplatzes durch die, welche sich am Bernau'scheti Weg«»
(der heutigen Neuen Königstrasse) und auf der anderen .Seite, sowie
auch dahinter, anbauen wollen. Auf dem Platze würde nach
4 Scheiben geschossen, es würden bei zunehmender Bürgerschaft
noch mehr Scheiben aufgestellt werden müssen, er würde ja auch
zum Exercieren der Soldaten und zum Viehniarkt benutzt und
dürfte deshalb nicht verkleinert werden. Wenn aber doch einige
Baustellen davon abverkauft werden sollten, so beanspruche sie als
Besitzerin des Platzes das Kaufgeld.
1693 ermässigt der Kurfürst die aus der Steuerkasse an jede der beiden
Sehützengildeu, Cölln und Berlin, zu zahlende Kölligsdotation von
200 Thaler auf 100 Thaler, weil beim Köuigschiessen sich nur sehr
wenige — 7 bis 8 Personen — einfinden. Die andern je 100 Thaler
sollen an die Stadthauptleute zur Veranstaltung von allgemeinen
Freischiessen gegeben werden.
Der Magistrat von Berliu hatte nämlich allgemeine Schiessübungen
der ganzen Bürgerschaft vorgeschlagen um die letztere, in Com-
paguien geteilt, mehr auf einen militärischen Fuss zu bringen. Dem
3
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50
Rudolph Buchholx:
Kurfürsten gefiel der Vorschlag und zur Förderung der Sache nahm
er den beiden Gilden die Hälfte ihrer Dotationen ab.
1f>94. 26. Mai. Kurfürst befiehlt, dass die Bürger vor den Thoren hei
der Schützengilde event. das Königsrecht mitgeniessou sollen.
1095. Kurf. Befehl, dass alle Kurfürstlichen und Collegien-Bedieuten
heim Schiessen der Schützengilde gleich den eingekauften Schützen-
brüdern zu achten und wenn sie den besten Schuss thun, die
Königswürde und Prämien erhalten .sollen. Der Geh. Kanzlei-
Verwandte Braunsberg hatte sich nämlich beschwert, dass die Gilde
zu Berlin beim letzten Schiessen, ehe er zum Steehschuss gekommen,
die Reihe geändert und dann einen König ausgerufen habe, wodurch
er aus seinem Recht gesetzt sei.
1696. Immediatgesuch der „sämtlichen in dem Privilegio der hiesigen
Schützengilden zum Königsschiessen fundierten Hof bedienten!
„Als nun die Bürger etliche Jahre aus Eigennutz den Hof bedienten
diese kurfürstl. Gnade zu missgönnen angefangen und bei allen
Königschiessen ihnen grossen Verdruss gemachet, worüber Ew.
Kurf. Durchl. öfter behelliget werden müssen, so ist bereits 1687
\ orgeweseu, dass die Hof bedienten mit sich ein Collegiuin formireu
sollten, gestalt dieses der selige Obermarschall v. Grombkow vor gut
angesehen und es dahin gebracht, dass über vorige 200 Thaler noch
200 Thaler von Ew. Kurf. D. gewilliget worden, es ist aber die Ein-
richtung wegeu vorzeitigen Absterben des Obermarschall unter-
blieben. Inzwischen und weil man verhoffet, es würden die Bürger
sich hinkünftig besser eomportiren, haben die Hof bedienten es ge-
schehen lassen, dass die vornehmlich en regard ihrer aufs neue
gewiiligte ^200 Tlialer den Bürgern zugleich zu gute gekommen,
allein es haben nach der Zeit die Bürger diese Gnade so gar ge-
missbrauchet und sich bei allen Schiessen, sowohl in Berlin als in
Cölln, dergestalt impertinent erwiesen, dass sie dahin getrachtet,
dies reichliche Präiuium der 400 Thaler vor sich allein zu behalten,
daher, wenn ein Hoffbedienter den besten Schuss gethan, ärgerlicher
Streit "entstanden, zu geschweigen der vielen intriguen und bösen
practiquen, welche dabei vorgegangen, so dass künftig jeder Hof-
bedienter lieber der Bürger Schiessen quitiren wird als solches
Ungemach weiter erwarten und der Bürger unendlichen Chicauen
vor beisitzendem Magistrat exponiret zu sein und würden auf diese
Art sehr wenig und in allem über 10 gute Schützen nicht sein, die
dieses ansehnliche Präinium der 400 Thaler unter sich zu theileu
und zu gemessen haben. Hingegen sind unter den Hofbedienten
weit mehr, welche in diesem exercitio bereits ziemlich avaueiret pp.u
Ms folgt die Bitte, „zu gestatten, dass wir unter uns eine absonder-
liche Compaguie der Hüchscnschützeii formireu und die Hälfte der
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Chronik der Berliner Schützengildc.
öl
beiden Städten gewilligten Prämie von 40 ) Thalern, also 200 Thaler,
dazu erhalten".
Hierzu ist erläuternd zu bemerken, dass die Zulassung der Beamten zum
Königschiessen zwar vom Kurfürsten anbefohlen war, dass aber die
Schützensatzungen ausdrücklich die Königs-Rechte nur Mitgliedern
der Gilde vorbehielten und dass deshalb ein rechtlicher Anspruch
auf die Prämien den Beamten, welche nicht zugleich Gildobrüder
waren, nicht zustand.
Gleichwohl entschied der Kurfürst im Sinuc der Antragsteller.
10(J7 bildet sich die Seh ützeugi lde der Eximirtcn, d. h. der Kurfürst-
lichen Hof- und Collegien-Bedienteu, mit dem Hecht der Benutzung
der beiden Schützenplätze und der Hälfte der früher jeder Schützen-
gilde gezahlten Königsprämie. Diese laden natürlich auch jedesmal
den Kurfürsten zu ihrem Königschiessen ein.
Damit ist der Wiederkehr van vielen Streitigkeiten zwischen den
beiden Gilden einerseits und den Hof- und Staats -Beamten und
Militairs andrerseits bezüglich des Mitbewerbs J>eim Königsschiessen
und bezüglich der Königspräinie zwar ein Ende gemacht, doch geht
schon aus den im Folgenden berührten Verhältnissen desselben Jahres
hervor, wie wenig freundschaftlich beide Parteien zu einander standen.
1097. Unterm 25. Juni beschweren sich die Kurfürstlichen Hof bedienten,
dass die Berlinische Schützengilde, welche nach den Statuten ihr
jährliches Königsschiessen am 20. Juli abhalten muss, jetzt dieses
Schiessen auf den 28. Juni verlegt hat, lediglich um die Vorberei-
tungen zmn ersten Königschiessen der Hofbedienten (auf demselben
Schützeupiatz), welches für den 1. Juli, als den Geburtstag des
Kurfürsten, geplant war, zu stören.
Der Geheime Rat giebt dem Magistrat von Berlin auf, die Schützen-
gilde anzuweisen, dass sie an dem herkömmlichen Tag, 20. Juli,
ihr Königschiessen abhält und den Supplikanten in keiner Weise
hinderlich ist.
Auf erneuerte Vorstellung ist der Kurfürst unterm 28. Juni zwar
damit einverstanden, dass die Berliner Bürgerschützengilde heute
ihr Königschiessen anfangen möge, „sie müssen aber damit auf den
3i). Juni fertig und der eximirten Schützengilde, so den 1 Juli ihr
Königschiessen zu halten willens ist, nicht hinderlich sein und
weilen im Uebrigen der Ort des Schützenplatzes Sr. Kurf. Dnrchl.
zuständig ist, so werden die Supplikanten demselben weder Ziel
noch Maass setzen, wer daselbst schiesseu solle".
Die Schützengilde der Eximirten bestand indes nur 1 Jahr,
denn im Jahre 10(J8 erging unterm 23. Novbr. das Kurf. Decret,
welches die Verhältnisse zu den Bürgergilden dahin regelte, dass
die Beamten bei der Gilde ihres Wohnorts eintreten sollten.
3*
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52 Rudolph Buchhok:
1698. 15. Oktober. Kurfürst bewilligt der Berlinischen Schützeogilde
140 Thaler zur Ersetzung des Schadens und zur „Erstattung der
Unkosten, so dieselbe bei Veränderung der Strassen und
Häuser vor dem St. Jürgen Thor bei der neuen Fortifi-
kation gehabt und noch ferner thun inuss, zu ihrer gänzlichen
Befriedigung. u
1702 u. 3. Trotz des Kurf. Befehls von 1094 müssen sich doch noch
einzelne Bewohner der Königsvorstadt beschwerend an den Landes-
herr! i wenden, weil die Schützengilde ihre Aufnahme verweigert.
1702.25. Jan. Die Schützengilde in Cöllu hat einen Bau vor. Der
König weist auf Ansuchen der Gilde das Kammergericht an, die
Entscheidung in einer Prozess-Sache zu beschleunigen, damit der
Bau durch diese nicht aufgehalten werde.
1703. Dekret. Die Lehnskanzlei hat das Privilegium der Schützengilde
zu Berlin zur Confirmation vorzubereiten und in dasselbe aufzu-
nehmen, dass der Schützenplatz in dem Stande, wie er jetzo ist,
verbleiben solle. Die Einwohner der Königsvorstadt sollen zwar
zur Theilnahme fähig sein, jedoch kein Recht an der ersten oder
Königsprämie erlangen, nur an den anderen partieipiren.
1707 wird vom König bestimmt, dass der Berlinische Schützenplatz „an
die Weinbergstücken " verlegt und der alte Platz zum Gottesacker
verwendet werde. Nur der alte Schützeukrug soll weiter bestehen
und das neue Schiesshaus ausschliesslich mit Bier einlagefrei ver-
sorgen. Der neue Platz war 45 Ruthen breit und 67 Ruthen lang
und wurde der Gilde zu immerwährender Disposition überlassen.
Es ist derselbe, welcher bis zur Uebersiedelung der Gilde nach
Schönholz im Jahre 1884 benutzt wurde.
1709 erfolgt die Vereinigung der beiden alten Städte, Berlin und Cölln,
wie der inzwischen neu entstandenen: Friedrichswerder, Dorotlieen-
stadt und Friedrichstadt sowie der Vorstädte zu einer Stadt,
Berlin, unter einem Magistrat. Diese Vereinigung wird sogleich
auf die Zünfte der verschiedenen Städte ausgedehnt und tritt auch
an die Schützengilden heran, deren zu dieser Zeit 4 bestanden:
die Berlinische, Cöllnische, Friedrichswerder Friedrichs- und Doro-
theenstädtische und die französische Schützengilde, letztere aus den
inzwischen eingewanderten französischen Refugiö's gebildet. Die
Vereinigungs versuche führten aber, wie die Akten ausführlich er-
weisen, wegen der verschiedenen Sonderinteressen zu keinem Re-
sultat. Den Friedrichswerderschen pp. wurde gegen 20 Thaler
Pacht das Schiessen auf dem Cöllnischen Schützenplatz gestattet;
wo die französische Gilde geschossen hat, ist aktenmässig nicht zu
ermitteln.
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Chronik der Berliner Schütiengilde.
53
1709. 3mal hintereinander Schützenkönig!
„Martin Zimmermann, etliche 60 Jahre alter armer Bürger und
Schuster vor dem Cöpnickschen Thor und 3 mal nacheinander gewesener
Colinischer Schützenkönig" wendet sich an den König um das volle
Prämium, das ihm die Gilde vorenthalte, zu erlangen. Dekret:
Magistrat zum Bericht.
Magistrat d. 24. Febr. 1710: „Als die Schützengüde in Cölln ihren
alten Schützenplatz und Haus wegen angelegter Fridriehstadt ver-
, lassen und der Platz gutes Theils zu den Gassen und Häusern ge-
zogen wurde, kaufte die Gilde einen anderen Platz, bauete darauf
mit grossen Kosten ein Haus, wodurch ziemliche Schulden ent-
standen. Um nun diese zu tilgen, vereinigte sich die Gilde 1701,
dass von den aus der Accise Kasse jährlich gezahlten 200 Thaler
140 Thaler in die Schützenkasse flössen, während 50 Thaler dem
König als Freigeld und 10 Thaler zum Köiygsfreischiessen ver-
wendet wurden. Die Gilde übernahm dagegen die übliche Tracta-
tion der Schützengesellsehaft. Der Schützenkönig erhielt ausserdem
noch eine Obligation über 50 Thaler, die dem Alter nach, wenn die
fremden Schulden getilgt, eingelöst werden sollten. Zimmermann
hat dieses Uebereinkommeu selbst mitunterschrieben und auch 1707
sich darnach gerichtet; 1708 hat er aber die 200 Thaler behalten
und ist dadurch der Gilde 126 Thaler schuldig geworden, welche
durch Execution nicht einzutreiben gewesen , weshalb sein in
der Cöllnischen Vorstadt belegenes Haus subhastirt und 405 Thaler
dafür gegeben wurden. Jetzt hat ihn das Glück zum 3ten Mal zum
Schützenkönig gemacht, und da dies noch niemals erlebt worden",
stellt Magistrat die Entscheidung dem Könige anheim.
Der König verfügt, „da Zimmermann den Vertrag selbst unter-
schrieben, auch die Subhastation hat rechtskräftig werden lassen,
so soll es beim richterlichen Entscheid bleiben".
1709 wird ein neues Reglement für Scbeibensc Messen in 22 Para-
graphen gegeben:
„Articul
Wornach so wohl die sämtlichen Schützen-
Innungs Verwandten bey der Schützen-Gülde allhier in Berlin, als
auch andere, so denen Scheiben Schiessen bey wohnen, sich achten
sollen.
1, Ein Jeder Schütze sol Gott von gantzen Hertzen fürchten,
lieben und ehren, wer im Schiess-Haus, Stand oder Platz be-
troffen wird, dass er flucht, schwoert, oder sonst lästerlicher
Reden sich gebrauchet, soll 8 Gr. Straffe, ja auch ein mehres
erlegen.
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54
Richard Buchholz:
?, Wer belieben hat, das gewöhnliche Freyschiessen mit beyzu-
wolinen, und mitschiessen wil, der sol sich zu rechter be-
stirnter Zeit darzu einfinden; Würde aber einer oder der
andere zu spät kommen, so dass die 3 Schuss in der grossen
Seheibe von Jeden Schützen alle herum gethan, und die Steeh-
scheibe aufgehangen werden solte, sol niemand mehr zuge-
lassen werden in die grosse Scheibe zu schiessen, und mit zu
stechen, und die andern dadurch aufzuhalten, sondern abge-
wiesen werden.
3, Sol ein Jeder, so mit schiesset, auch die Jenigen die nicht
mitschiessen, Keinen, welcher in den Schiessstand getreten
und schiessen wil, irren, mit einreden oder andern Überreden,
viel weniger in den Schiess Stand treten, oder sich nieder-
setzen bey Straffe 4 Gr. die Schützengülde Meister, jeder wann
was erhebliches vorfiele, dessen ausgenommen.
4, Der Jenige, so sein Freyschiessen giebet, ist nicht gehalten,
das gewöhnliche Einlage Geld zu erlegen, und wird ihm den-
noch nach den Rang seines Steehsehuss der Gewinn dar-
gereichet.
r>. Wer seine Büchse eher spannet, ehe er in den ordentlichen
Schiess Stand körnt, sol in 4 Gr. Straffe verfallen seyn. Ausser-
halb der Stände aber sol niemand seine Büchse abfeuern bei
Straffe.
6, Wer seine Büchse geladen, Pulver ohne Kugel, und Kugel
ohne Pulver, ist der Schuss verlohren, und sol nicht vergönnet
seyn den Schuss im Schiessstand herauszu ziehen, dadurch
der Schuss ergäntzet werde.
7, Wenn Jemanden die Büchse im Schiessstand unversehens loss-
ginge, oder so Jemand die Büchse dreymal versaget, das
Pulver brennet von der Pfanne, der Schütze habe die Büchse
am Boden oder nicht, oder so Jemand hat die Büchse an den
Backen geleget zum Schiessen, und setzet dreymal ab, ist der
Schuss verlohren.
8, Sol niemand erlaubet seyn aus eines andern Büchse beim
Königschiessen zu schiessen, bei Verlust des Einlage Geldes,
es were dann, dass er einen beweisslichen Schaden an seiner
Büchse hätte, und dieselbe nicht sobald gebrauchen könte, so
doch von den Güldenmeistern besichtiget werden sol, solchen
Falls kan er sich einer andern Büchse bedienen.
9, Sol niemand bey dem König oder Freyschiessen wechselweise
aus zween Büchsen schiessen, auch mit keiuem ungezogenen
Gewehr schiessen, wer darwider handelt hat den Schuss
verlohren.
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Chronik der Berliner Schützengüde.
55
10, Sol ein Jeder bey Verlust des Schusses sich mitten im Stand
postiren, aus freyer Hand, schwebenden Arm, ohne Ansetzung
des Fusses oder Knies seine 12 Schuss beym Königs, als auch
3 Schuss beym Frey schiessen in die grosse Scheibe untadel-
haft bringen, dergestalt dass die Kugel gantz in der Scheibe
sei, im Fall er nun hiervon einen fehlet, kann er nicht zum
Stechen kommen, bei dem Freyschiessen aber sich wieder ein-
kauften mit dem gewöhnlichen Einlage Gelde: Welche ihre
3 Schuss in die grosse Scheibe gebracht und hernachst in die
kleine Stech-Scheibe gestochen, dann werden nach den nechsten
Schüssen die Gewinne eingetheilet, die Jenigen aber so unter
den 3 ersten Schüssen einen gefehlet, können nicht zum ersten
oder andern Gewinn mitstechen, sondern müssen sich an den
Ritter, welcher der dritte Gewinn ist, erholen, wofern sie sich
nicht wieder eingekauft.
11, Wann um den Ritter gestochen, und die Schützen alle drey-
mal gefehlet, so stehet den sämtlichen Schützen frey auf der
kleinen Scheibe nochmahle zu stechen, und wer den besten
Schuss alsdann hat, traget den Ritter davon.
12, Dessen Kugel die Scheibe nicht ganz durchbohret, sondern in
die Scheibe stechen bleibt, ist allerdings verwerfflich, wie gut
auch der Schuss angebracht war.
13, Dessen Schuss, so am Rande in der ordinairen oder Stech-
scheibe ist, wann er nicht den Meiser oder volle Kugel hält,
ist gantz verwerfflich, daferne auch ein Schuss disputirlich
gemacht würde, sol selbiger von dem Schützen-König und
Gülde Meistern besichtiget, und niemand nach äffecten ge-
urthclt werden.
14, Wann ein Fremder, der kein Gülde Verwandter ist, bey dem
Freyschiessen mitschiessen wil, der sol angesehen wann man
nicht versichert ist, ob er ein Freyschiessen geben wil, noch
einmal so viel, als ein Gülde verwandter einlegen, und ihm
nach den Rang er seine Schüsse gethan, sein Gewinn gereichet
werden, in Fall er ein Frey schiessen gibt, sol ihm das übrige
Einlage Geld restituiret werden.
15, Wann eiu Gülde Verwandter dem Freyschiessen nicht bey-
wohnen kann, und doch seine Büchse, und benöthigte Kugeln
und Pulver, und das gewöhnliche Einlage Geld schicket, so
sollen die sämtl. vorhandene Gülde- Verwandten schuldig seyn,
darüm zu losen, wer vor ihm schiessen sol, welchem es nun
trifft, muss solches willig über sich nehmen, bey Vermeidung
4 Gr. Straffe, auch so gut als vor sich Selbsten schiessen, es
muss aber solches Jährlich nicht über 4mahl geschehen.
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56
Kudolph Buchholz:
16. Sol ein Jeder Schütze, er sey eiu Gülde Verwandter oder nicht,
seine Büchse aufrichtig und mit einer runden Kugel laden,
sonder einiger leichtfertigen Stück oder Künste, oder sonst
unzulässigen Dingen, bey Vermeidung 1 Thlr. Straffe: auch
des Magistrats Befinden nach gar auszusch Ii essen.
17. Sol ein .leder der mitschiesset beym Haupt oder Freyschiessen
(ausgenommen die Hohe Landes Herrschafft und hiesiger
Magistrat) niemand die Büchse an der ordentlichen Richel
einen andern vorhangen auch vor den Schiessstand nicht un-
ordentlich vortreten, bey 2 Gr. Straffe.
18. Sol niemand den andern an seinem Schiesszeuge einigen Schaden
zufügen, oder ohne des Eigenthnms Herrn Erlaubniss dem-
selben sein Pulver oder Bley, oder sonst etwas entfernen, bey
4 Gr. Straffe.
[\), Sol ein Jeder sowohl bey dem Schiessen, als andern öffent-
lichen Zusammenkünften sich alles Zanckens und Streitens
enthalten, oder gewärtig sein, dass der Anfänger Jedesmahl
mit 8. 12. 16 Gr. und mehr Straffe beleget werden soll.
20, Der Jenige, so mitgeschossen, und weggehet ohne in die
Armen Büchse zulegen, sol jedesmahl mit 1 Gr. bestrafft und
dann noch in die Armen Büchse zu geben schuldig und ge-
halten sein.
21, Ein Jeder, der das Freyscbiessen giebet, ist verpflichtet, eine
Citrone oder Krantz mitzubringen, und den Anfang mit Schiessen
zu machen, und welcher nach Ihm schiesset, die Citrone oder
Krantz zu präsentiren bey Vermeidung 2 Gr. Straffe.
22, Alles Geld, welches bey allen Schiessen in die Armen Büchse
gesammlet wird, sol Jedesmahl bey Abnahme der Gülden
Rechnung unter denen Hospital, und andern nothdürftigen
Armen ausgetheilet werden.
17(M. Die vereinigtenFriedrichswerderschen, Friedrich städtischen
und Dorotheenstädtischen Schützen zeigen dem Magistrat
an, dass sie auf Grund einer im vorigen Jahr ertheilten Königl.
Erlaubniss des Bäcker Lehmann's Acker gekauft; sie bitten um
Zustimmung und um Anweisung, „welchergestalt wegen einer
Fahne ein Dessin gemacht werden soll."
Die Französische Grenadi er - Bürger- Kompagnie hat
Freiheit von Einlagegeld nachgesucht. Der König befiehlt darauf
dein Magistrat, „es dahin zu richten, dass die deutsche und die
französiche Schützen-Kompagnie vereinigt wird."
Magistrat stellt darauf vor, dass ausser der Französischen
auch die Friedrichswerder'sche, Friedrichstädtische und Dorotheen-
städtische Gilde mit der Köllnischen zu vereinigen wäre, wodurch
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Chronik der Berliner ßchütxengilde.
57
die Kosten eines neuen Schützenplatzes, welche die betreffenden
Gilden ohnehin nicht aufzubringen vermögen, gespart werden; sie
könnten alle zusammen auf dem Köllnischen Schützenplatz um
das Prämium schiessen.
Der König stimmt zu.
Magistrat registriert: „die Fr. Werd. Gilde will 20 Thaler
Pacht geben; der Schützenkrüger soll sie aber für die gewöhnliche
Gebühr aufwarten und nicht übersetzen; wegen der Einlage von
fremdem Bier wird es ja keine Schwierigkeiten geben; auch hoffe
die Gilde, dass Magistrat sie bei dem Königl. Beneficio der
200 Thaler schützen werde, weil sie dieses auf einem fremden
Schützenplatz zu verlieren fürchteten."
1710. Schreiben der Berliner Schützengilde d. d. 6. 6. 1710:
Die Gilde fürchtet die Vereinigung sämmtlicher hiesiger
Gilden und bezieht sich darauf, dass ihr „der Kurfürst anno 1614
den alten Platz geschenket, sie jederzeit in Possession gewesen,
auch noch 1707, als auf Königl. Befehl der Schiessplatz verändert
und an die Berlinische Weinbergstücke verleget; habe an Bau-
kosten mehr als 200 Thaler aufwenden müssen; der Platz bietet
nun aber auch die grösste Sicherheit; jährlich werden von der
Königsprämie 50 Thaler zu Baukosten genommen; haben bisher in
Harmonie vergnüglich gelebet, was nach der (befürchteten) Combi-
nierung wegen der Grösse der Gilde nicht geschehen möchte.
Magistrat wolle es beim Alten lassen und wenn dennoch Königl.
Majestät auf Vereinigung besteht, dass dann die andere zu uns
auf unsern Platz kommen sollen."
Im Laufe der letzten 30 Jahre waren fortdauernde Streitigkeiten
zwischen den Magistraten und den Schützengilden wegen der Bezüge der
Schützenkönige entstanden. Die Schützen beriefen sich auf die alten
Privilegien und verlangten Freiheit auch von neuen Steuern, namentlich
von der Kontribution und der städtischen Bierziese; die Magistrate ver-
weigerten die letzteren Freiheiten, und wollten die alten Privilegien nicht
gelten lassen, da der Bestand der Gilden während des Krieges unter-
brochen war und neue Steuerprivilegien erteilt seien; es entwickelt sich
daraus ein langwieriger Prozess, in welchem seitens der Schützengilden
zuletzt einige Tausend Thaler Entschädigung für vorbehaltene Kompe-
tenzen ihrer Könige, wie für die im Nutzen der Stadt eigenmächtig ver-
wendeten Königsketten etc. gefordert werden. Zunächst, am 21.7.1710,
wendet sich die Gilde an den Landesherrn mit der Beschwerde, Magistrat
habe Platzbeschränkungen vorgenommen und „seit vielen Jahren Ring-
lein, Roggen und Hosentücher nicht prästieret." Der König ernennt
darauf eine besondere Gerichts-Kommission zur Entscheidung der Sache.
Die sehr weit ausholenden und immer viele Bogen umfassenden
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58
Rudolph Buchholl:
einzelnen Schriftstücke dieses Prozesses, Klage, Replik, Duplik u. s. w.,
in welchen mancherlei anderweitig nicht mehr erhaltenes ortsgeschicht-
liches Material vorkommt, sind zum Teil als Quelle älterer Notizen
benutzt.
Die Duplik des Magistrats auf die Ansprüche der Kölln. Schützen-
gildc wegen der vorenthaltenen Schützenkönigs-Koinpeteuzen enthält unter
anderen die folgenden Ausführungen:
„denn aus den Worten des Articulbriefs de anno loc3
lässt sich nicht mehr erzwingen, als dass man ihnen einen Platz hinter
dem Holzmarkt angewiesen, darauf zu schiessen und auch ein Schützen-
häuslein riarauf zu setzen-
„und dann gestehen sie (die Schützenbrüder) zu, dass
S. Kurf. Durchlaucht den Platz nicht länger an dem Orte leiden wollen
und eine Ziegelscheune darauf gebauet, also dass sie dominium gar nicht
erweisen und überdem bekennen, nicht Magistrat, sondern S. K. G. hätte
der Gilde den usum dieses Platzes abgenommen und ad aliuin usuin,
nämlich zu Erbauung einer Ziegelscheune verwendet, so dass S. K. G.
sogar auch dein Magistrat den Nutzen und das Eigenthum des Platzes
abgenommen und also Magistrat dabei mehr verloren als die Schützen-
gilde selbst. Hat aber die Schützengilde ein Eigentum daran gehabt,
warum hat sie den Platz nicht mainteniret, warum hat sie eher den
Platz geräumt, ehe sie von Sr. Kurf. G., welche niemand sein Eigentum
mit Gewalt genommen, satisfaction bekommen? und weil die Kläger
sagen, S. K. G. hätten den Platz nicht ganz, sondern nur ein Teil davon,
zur Ziegelscheune gebraucht, warum haben sie den überbliebenen Teil
verlassen und nicht in ihrem Besitz behalten? Ja hätten Kläger vor
Jahren venneint, dass der Platz ihnen eigentümlich gehöre, warum haben
sie denn den Platz so willig abgetreten? Aber diejenigen, so damals
lebten, sahen wohl, dass Magistratus ihnen in den Articulis nicht mehr
versprochen, als einen Platz zum Schiessen anzuweisen"
Wegen des vielseitigen Interesses, das Form und Inhalt bieten,
wählen wir zum Abdruck den vollständigen Text der Triplik, welche
vom Rechtsvertreter der Schützengilde auf jene Duplik der Gericht«-
Kommission überreicht wurde:
Königliche Preussische
Hoch Verordnete HErren Geheimbde und Hoff Räthe
Auch zu dieser Sache
Hochbestallte HErren Commissarij
Hochwürdiger Hochwollgebohrner, HochEdelgebohrner HochEdle Veste
und Hochgelahrte, HochgeEhrteste Hochgeneigte HErren,
Obgleich der Klagenden Schützen Guide Verwandten in Cölln
Replic dem beklagten Magistrat in Berlin schon den 21. Octobr. 1710
insinniret worden, und derselbe darauff binnen denen gesetzten
k
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C hronik der Berliner SchQtzengilde.
50
8 Tagen peremptorischer Frist Dupliciren sollen, so hat er doch
uuter «lern Prätext nicht communicirter disseitiger Documentorimi
die Duplic allererst d. Kten December: d. :i. ad Acta gebracht, da
doch laut des Syndiei Herrn Gänsen Schein die Documenta schon
d. 28. Xovembr: ej. a. dem Magistrat abschriftlich communiciret
worden. Er hat aber auch denen Klagenden Schützen Gülde Ver-
wandten solche Duplic copeylich nicht zufertigen lassen biss Sie
Ihnen auft' ihr überreichtes Memorial Vom 9 Januarij 1711 eodcin
die ausgeantwortet worden, da indes durch solchen unverantwort-
lichen und Vorsetzlichen Aufenthalt der beklagte Magistrat die
Klagende Schützen Gülde immer mehr und mehr um ihre privi-
legirte Freyheiten zubringen intendiret, wie er dann noch jüngst
Von dem Schützen Krüger abennahls das Einlage Geld für etliche
Tonnen Bernauer Bier staute Commissione erpressen lassen, und
allso auch contra inhibitionem Regiae Majestatis et Rescriptum Vom
1. Angl. 1710 die Klägerin in ihrer Freyheit tnrbiret und spolijiet,
welches billig Zubeahnten, indem ein Bürger, wann er des Magi-
strates Befehl nicht parircn wollte, bald in den Neumeister würde
Kriechen müssen, so unterstehet sich aber Magistrates die Ileylige
Praecepta Regia Majestatis zu übertreten. Demnechst aulf die gegen-
seitige Duplic zu antworten, so ist gewiss dass der Gülde wegen
der alten Schützen Kette keine Völlige Satisfaction Von dem Ma-
gistrat geschehen, gestalt derselben auch die Zinnsen von denen
dafür schuldig gewordenen 4(.) Tbl. 12 Gr. gereichet werden sollen,
so lange das Capital noch nicht gäntzlich abgeführet worden, und
ist Magistrates allerdings schuldig darauff zu antworten, indem es
tunc temporis nicht in desselben Gefallen gestanden, der Schützen
Gülde quid pro quo zu geben, gestalt er Kein besser Recht alss
sonst ein Debitor hatte, «ler auch die Zinnsen abführen inuste, und
folget nicht: Dass, weil die Schützen Gülde dahmals die partieu-
larem Solutionen« angenommen, «Hesel bige dem Rath die Zinnsen
remittiret, gestalt Sie solches in praejudicium Successornm nicht
thun können, und allso dürften ietzige Klägerr deshalb nicht
schweigen, sondern Sie haben das Recht ex Privilegio Reali die
Reste an Capital und Zinnsen a quovis debitore beyzutreiben gleich
wie «'S jetzigen combinirten Magistrat alss einem Corporirten Collegio
freystehet die Schulden einzufordern, welche ante conibinatiouem
active contrahiret worden, es hat auch dahmals in des Magistrats
Belieben alleine nicht gestanden die Gülde wieder aufzulichten
sondern in des Snmini Principis gnadigen gefallen, welchem auch
die projectirtc Articul zur Confinnatioii überreichet worden, und
erzehlet beklagter Magistratus Von einer conditione sine qua non
etwas Vergeblich, wie er dann auch nicht setzet worin dieselbe be-
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Rudolph Bucbhols:
standen, und deshalb Keinen Beweiss beybringet, und ist mehr
dann Zugewiss dass Beklagter denen Klägern in Vielen Stucken
Eintrag gethan, welches Ihnen ihr Gewissen sagen wird, indem
Klägerr nur den eintzigen Punct wegen des Einlage Geldes, anderer
für ietzt zugesehweigen, anführen wollen, weshalb Sie und ihre
Vorfahren sich ie und allewege Von undenklichen Jahren her in
possessione libertatis befunden, wie aus denen in Replica allegirten
Privileges erhellet, da aber Magistratus bloss aus einer revange
weil Klägerr ihm nicht den 13 Schuss in die Scheibe accordiren
wollen, das Einlage Geld wieder der Klägerr Privilegia des Magi-
stratus selbst eigene Facta und abgestattete Relationes wegen Frey-
heit derer Schützen Gülden in Berlin und Cölln Von dem Einlage
Gelde, dasselbe von Jhnen oder ihrem Krüger via facti und durch
die Execution erpresset, ist es allso eine vana gloria des Magi-
stratus, sambt Sie denen Klägern mehr Freyheit nachgesehen, und
ist nicht genug zu schreiben und zu sagen: Dass die Klägerr öffiters
ia tagtäglich contra Articulos et Privilegia gehandelt, und sich
solcher Dinge angemasset, die Ihnen nicht zugekommen, und directo
contra Privilegium gelauffen, sondern es muss erwiesen werden: es
veneriren aber die Klägerr den Magistrat in billigen und gerechten
Dingen und Verachten ihn gar nicht, Vielmehr haben Sie so viel
Hespert für Ihm gehabt: Dass Sie Ihm den 13 Schuss in die Scheibe
aber sub certis conditionibus einräumen, welche gratification aber
der Magistrat nicht annehmen wollen, woraus der animus propensus
der Kläger gegen den Magistrat genugsahm erhellet, dass sich aber
derselbe in propria causa einer Jurisdiction über die Klägerr an-
maassen wollen dazu haben diese ohmnüglich stille schweigen
können, sonst aber lassen die Klagen* gerne geschehen dass
Magistratus sich bey seinem Rechte, wo er eines hat, mainteniret,
aber wieder der Kläger gerechte praetensiones kan er sich mit
Fug keines Rechtes rühmen, und thut der Niemanden injuriam qui
suo jure nititur und allso fügen auch die Klägerr dem Magistrat
keine injurie zu wann Sie ihr Recht wieder denselben suchen, Und
kan der Magistrat hiernechst sich wegen des der Gülde Vormahls
zum Schiessen und ein Schützen Hauss zu bauen eingeräumeten
Platzes mit der gemachten limitation nicht liberiren. Dann wie
solcher Platz einmahl ad certos usus et exercitia publica des
Schiessens destiniret gewesen und der Schützen Gülde eingethan
worden, auch die Schützen Gülde ein Hauss darauf!' gebauet, also
folget woll nothwendig dass auch dass Dominium des Platzes auf
die Schützen Gülde mit transferiret seyn müsse, wie dann der
Magistrat solchen Platz der Gülde ohne eintziger reservation einer
recognition seu Juris Dominij directi et inde solvendi canonis ein-
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Chronik der Berliner Schützengilde.
61
gethan hat, es hat auch die Schützen Guide solelien Platz viel*'
Jahre pro suo besessen, und ein Schützen Hauss darauf)' gehauet,
wer pfleget aber wo II zu leiden: dass ich auff seinen Platz wovon
er das Dominium hat ein Hauss haue, und wer wird doch mit dem
Seinigen so wunderlich hausshalten und es Selbst bezahlen: Magi-
strats gestehet ja Selbsten zu: dass er damahls wegen des abge-
nommenen Platzes der Schützen Gülde 150 Thlr. bezahlet, wiewoll
solches secundum Deducta in Replica im Grunde irrig und nichtig
ist, hätte nun Magistratus das Domiuium des Platzes und die
Schützen Gülde nur den usum, was hätte er nötig gehabt denselben
der Schützen Gülde da er ihr abgenommen worden, zu bezahlen,
gewiss hiedurch gestehet Magistratus selbst deutlich zu, dass der
Schützen Platy, der Gülde eigenthümlich gehöret, und er ad evietionem
Verbunden gewesen, wiewoll die Zahlung dafür durchaus nicht er-
folget ist, sondern die erwehnte 150 Tbl seyen Gehler gewesen,
welche der dahmalige Raths Cäminerer Herr Meinhardt Neuhauss
der Schützen Gülde \ orgestrceket , welches die Klagen* in Replica.
worauf)' man sich Kürtze halber beziehet, dargethan, Und da nun
solcher gestalt ex Deductis zu hellem Tage lieget: Dass der Platz
der Schützen Gülde eigenthümlich zugehöret, solches auch aus der-
selben Privilegio alss worin Kr absq. ulla restrictione et reser-
vatione alss der Schützen Gülde eigen inseriret, Klabr zu ersehen,
so können sich die Beklagteu oder ihre Vorfahren keine Concedeutes
nennen, Vielweniger alliier appliciren, dass der usus einer Sache
contraria voluntate concedentis aufhöre, und ist ex Privilegio das
Dominium allerdings zn ersehen, dann Vermöge dessen ist der
Schützen Gülde der Platz um darauf)' sich in armis zu exerciren
und ein Hauss darauff zu bauen hingegeben und angewiesen, er ist
dem Privilegio der Schützen Gülde mit einverleibet, und da der-
gleichen Privilegia die KratTt eines Gesetzes haben, so stehet auch
daraus denen Klägern ohnstreitig das Jus Domiuij zu , und hat
man schon oben und in Replica erwehnet: D;iss Magistratus die
Schuldigkeit der Schützen Gülde einen Platz zu halten dadurch
schon erkandt: dass er Venneint er habe dahmals derselben
wegen des abgenommenen Platzes 150 Tbl. bezahlet, quod vero
falsissimum, es quadriren auch die geführte Exempel von denen
Bau- und Marckt Plätzen hieher im geringsten nicht, dann die
Zimmerleute und Crähmer haben dergleichen Privilegia nicht worin
solche Plätze alss ihr Eigenthum mit inseriret seyn, wie die Klägerr
haben, alss welche auff den Laut Privilegij angewiesenen Platz nicht
allein nach der Scheibe geschossen sondern ut in proprio Fundo
ein Hauss gebauet, nec obstat die Klägerr hätten zugestanden:
Dass Seine Chur Fflrstl. Durchl. den Schützen Platz daselbst nicht
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Rudolph Buchholz:
länger leiden wollen und eine Ziegel Scheune darauff bauen lassen,
gestalt daraus nicht zu concludiren: Dass deshalb der Schützen
Guide das Dominium nicht zugestunden, dann ein grosser Herr
tliut bisweilen etwas ex plenitudine potestatis und hat Magistratus
so Viel dabey Verlohren: Dass er anstatt des abgenommenen Platzes
der Schützen Guide einen andern geben und ihr die eviction leisten
sollen, wozu sich auch ietziger Magistrat Verbuuden zu seyn ge-
achtet, indem er Vorgegeben dass tunc temporis der Rath der
Schützen Guide 150 Tbl. für solchen Platz gegeben, welches er aber
durch die producirte Rechnung nicht erwiesen, und ist dieses eint-
zige und die propria confessio des Magistratus süffisante darzuthun:
Dass der Platz der Schützen Guide eigen gewesen, auch thut nichts
zur Sache, dass die Kläger gesetzet. Se. (.'hur Fürstl. Durchl. hätten
nur einen Theil des TMatzes zur Ziegel Scheune genommen, gestalt
der grosseste Theil dazu abgerissen worden, so dass die Schützen
Guide keinen Kaum mehr darauff zu schiessen gehabt, wannenhero
dann auch der Magistrat den Rest des Platzes dahmals wieder zu
sich genommen, und der Schützen Gülde für dem gantzen Platze
Satisfaction zu geben Versprochen, welches Versprechen dann dar-
aus erhellet: Dass die Beklagte Vermeinen, es sey der Schützen
Gülde wiireklich Satisfaction mit 150 Till geschehen, welche aber
nicht erfolget seyn, und allso hat es dahmals keiner litis deuun-
ciatton bedurfft, weil der Rath ohne lite sich seiner Schuldigkeit
erinnert den überbliebenen Rest des Platzes wieder zu sich genommen
und der Schützen Gülde ratione totius Satisfaction, wozu er ohne dem
verbunden gewesen, zu geben Versprochen hat, und deshalb hat
sich eben die Schützen Gülde den überbliebenen Theil an den Magistrat
wieder abzutreten nicht geweigert, weil Sie wegen des gantzen
Vergnügung haben sollen, und also brauchet es ratione Dominij
solches Platzes keiner ferneren Ausführung, es hat sich auch
dahmals die Schützen Gülde dadurch ihres Juris gar nicht be-
geben, dass sie einen andern Platz gekauft't, sondern Magistratus
blieb dann ohngeachtet nach wie Vor ratione Satisfactionis in
nexu und ist hier nicht nötig zu erörtern, wie lange die Kläger
den jetzigen Platz halten werden, denn wer ihn haben will muss
Geld dafür oder einen andern commoden Platz geben, wozu
Magistratus aus aftection gegen die Kläger schon behültlich seyn
wird, und ist irrig: dass die alten Schützen Brüder den Platz für
ihr Eigenthum nicht gehalten, welche negativam der beklagte
Magistrat, weil er sich darin fundiret, au ff bedürffendeu Fall er-
weisen muss. und ist schon oben geantwortet, dass es dieserhalb
keines Klageus bedurft', indem dahmaliger Magistrat von Selbsten
sich zur Satisfaction verstanden, wäre aber auch dieses nicht ge-
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Chronik der Berliner ScbOtzengilde. (>3
scheheu, so wäre dennoch die action dadurch auch nicht ver-
schlossen noch ietziger Magistrates proseiiptione tutns dann in
dergleichen Fällen findet keine Proscription statt.
Quia Privilegio corporibus competentia seu ordiui vel eollegio
realia sunt, perpetua et immortalia
Mev.: P. 2. Dec. 1713 N. 1 et ±
welchem nach alles was von solchen Privileges dependiret keiue
proscription leidet, und gesetzt den ungestandenen Fall dass eine
Proseriptio statt habe, wie würde den Magistrat und seinen
Antecessoren nicht alleniahl ein mala fides begleiten : Da Sie
wissen und überführet sevn: Dass denen Klägern ex Privileges
ein Platz von den Magistrat zustehet, und der Vorige Ihnen abge-
nommen worden und daher wollen die Kläger bey diesem punet
sich länger nicht aufhalten, sondern Sie wiederholen ihr Voriges
Suchen, wegen derer Bau Materialien wie auch Extradition derer
Documenten hätte es keiner aeeeptation bedurfft, weil deshalb
nichts in lite ist, allein es ist Vielmehr Vom Gegenteil wunderlich
argumentiret alss diesseits wunderlich limitiret, dass, weil Magi-
strates der Schützen Guide die Documenta, daher auch derselben
alle das Ihrige extradiret habe. Denn einer quietantia ist strictissiini
.Juris die über das, wovon Sie erwehnet, nicht extendiret werden
kan, nun redet ia die von dem Magistrat allegirte Quitung nur
von blosser extradition derer Documenten. nicht aber dass Magi-
strates der Schützen Gülde wegen des Platzes, des Ringes, der
Hosentücher, des Winspel Rogkens & etc. Vergnügung gethan,
und allso kan ja auch die Quitung auft" alle diese Stücke nicht
extendiret werden, sondern der Magistrat inuss deshalb die Kläger
entweder befriedigen oder erweisen, dass es bereits geschehen, wie
denn des Magistrates selbsteigenen Hekändnüss nach die Quitung
nur von Documenten der Schützen Laden und Fahnen wie auch
der Schützenkette redet, und allso ist das noch der Kläger, so sie
nicht empfangen weshalb die Quitung nicht disponiret und die
ietzige lites seyn, und lauffen die intendirte actiones garnicht
contra Jura sondern es ist vielmehr einer commiseration würdig,
wann man eine Quitung ultra memorata seu cogitato extendiren,
und eine Schuld, welche die Schützen Gülde bei Meinhard Neu-
hausen gemacht, für einer solchen Post ausgeben will, womit die
Schützen Gülde wegen des Platzes wäre bezahlet worden, welcher
Inventionen sich ein Privates billig schämet, und haben die Kläger
nicht nötig zu erweisen, dass die 150 Tbl. ein mutuum gewesen
so der Schützen Gilde dahmals von Meinhard Neuhausen ex
proprijs vorgeschossen worden, wiewoll solches aus des beklagten
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Rudolph Ruchhole:
Magistrate selbst producirten Rechnungen alss auch der disseitigen
Berlage Lit: A. bey der Keplic erhellet, sondern Magistratus
inuss vielmehr erweisen dass er der Schützen Gilde die 150 Till,
wegeu des abgenommenen Platzes zahlen lassen, welches aber
keinesweges mit der über denen Documenten ausgestellten Quitung
thut, und wird die Meinhard Neuhausen ausgestellte Obligation
über solche 150 Thl. wie auch das ad Acta liegende Memorial
pro Moratorio weisen dass solches Debitum anno M>69 eontrahiret
worden.
Betrettend das Riuglein und die zwei Schock an Gelde, so ist
deshalb die Sache aus den 17. Articul der Klügerer Privilegij so
klahr dass sie nicht Klährer seyn kan, und dieses des Raths
Praemium mit dem so Seiner Chur Fürstl. Durchl. gegeben gautz
indifferent, aller massen es deshalb keines ferneren disputirens
bedarff, weil solcher Streit ex Articulis und Privilegijs der Klügere
sehr leicht zu decidiren, und sind die weitläuffige Dicenten von
dem Praemio item dass dem König vor diesen frey gestanden sein
Recht einen andern zu cediren, alle von dem Praemio zu ver-
stehen welches Seine Chur Fürstl. Durchl. wegen Befreytmg von
den Steuern und Schössen, item von den acht Brauen Bier gnädigst
gesetzet zu verstehen, an welcher Stelle auch des Magistrats
eigenen Geständnüss nach nachher aus der Coutributions Cassa
200 Thl. und zwar nicht anno etliche 70 sondern nach der dis-
seitigen Beilage Lit. B. bey der Replic anno 1681 determinirt
worden, so dass des Raths Praemium alss der Ring und die zwei
Schock an Gelde mit dem von Seiner Chur Fürstl. Durchl. Ver-
willigten nicht die 'allergeringste Verwandschafft hat, nec obstat
dass von 1680 und 1081 da die Aecise iutroduciret worden, der
Ring und die zwei Schock an Gelde nicht gezahlet worden, ge-
stalt Sie desshalb dein Magistrat nicht geschencket seyn, die For-
derung auch nicht proscribiret ist noch proscribiret werden kann,
es lässt sich auch von dem Aufhören der Frey brauen so zur Zeit
des gesetzten praemij die 20i) Thl. cessiret und an deren Stelle
solche 200 Thl surrogiret worden, auft' das Prämium so der Rath
ihm müsseu, nicht schliessen, dann wie offte erwehnet, so muss
Magistratus das Versprochene Prämium dem Schützen Könige a
parte reichen, und ist freylich wahr dass nach dem die 200 Tbl
von Se. Chur Fürstl. Durchl. alss ein Königs Praemium gewilliget
worden, die Freybraueu und die Befreiung von der Ziese respectu
Sr. Chur. Fürstl. Durchl. und des von derselben gnädigst gereichten
Praemij aufgehört, nicht aber das l'raemium so der Magistrat Ver-
möge der Privilegien a parte und en particulier geben sollen da-
durch absorbiret worden, und weil es von dem Magistrat einige
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Chronik der Berliner Schüteengilde.
65
Jahre her nicht gegeben worden, so fordern es eben die Klägere
ietzo. Dass auch in dergleichen Fällen keine Proscriptio stattfinde,
ist oben erwebuet, und bedarff keiner recapitnlation zuraahl auch
der Magistrat aus denen selbst entworffenen Articulis zu Reichnng
eines solchen Praemij verbunden gewesen, und ihm also allemahl
mala fides entgegen gestanden, und ob woll der Beklagte Magistrat
vermeinet dass dem gantzen corpori wegen solches Ringes und
Geldes kein Jus agendi sondern nur dem Schützen Könige und
seinen Erben zustehe, so wisse er doch dagegen dass die ange-
stellete action eine actio popularis sey welche einem ieden Membro
der Schützen Guide offenstehet, wie auch dem toti Collegio, zumahl
desselben Jura durch die nicht Empfahung solches Praemij ge-
kränket werden.
Den dritten Punct wegen des Winspel Rogkens betreffend so ist
schon in Replica geantwortet dass die Klägere weder die Obligation
Chur Fürst Joachimi noch die Cession deshalb unter ihren Brieff-
schafften mehr finden, und kan es seyn dass wie Magistrates Vor-
malils mit dem Mühlen Ambt wegen solches Winspel Rogkens
Process führen und die Schützen Gülde Vertreten müssen, solche
Documenta dem Magistrat pro Fundanda intentione und zu Führung
des Processus wieder ausgeantwortet worden, wir dann, die Klägere,
deshalb hiemit den Beklagten Magistrat darüber das Juramentum
Judiciale deferiren dass dem Rath tempore des Processus mit dem
Mühlen Ambt die Obligation Chur Fürst Joachimi de dato Montags
nach visitationis Mariae 1546 über solchen Winspel Rogken nebst
der Cession nicht ausgeantwortet worden, selbige sich auch unter
des Raths Documenten und Brieffschaften nicht finde, noch der
Rath wisse wo Sie geblieben wie dann auch Magistratus sich wegen
solches Winspel Rogkens ad evictionem schon Verstanden, da er
coram Commissione bekennet dass er deshalb mit dem Mühlen
Ambt ^einen weitläuffigen Process geführet, und kan ja Magistratus
contra Acta nicht leugnen dass er auch nicht dieses quaestionirteu
Winspels, sondern nur desjenigen so ihm zugleich mit abgenommen
worden und die Schützen Gülde allein wegen des Winspels litigiret,
gestalt Sie ia auch solches coram Commissione deutlich zugestanden,
die Acta es auch geben werden, dass der Rath zugleich wegen des
ietzt quaestionirten Winspels litigiret, so dass die gegenseitige
Cavillationes nichts helffen, sondern es bleibet der Magistrat auch
deshalb ad evictionem Verbunden, uud hat das Vermeinte gratuitum
schon in Replica seine Abfertigung bekommen, gestalt ob bene
uierita kein gratuitum statt hat auch wird sich ex Actis weisen,
dass Magistratui wegen solches Winspels dahmals die Schützen
Gülde litem denunciret, wie ihn das Mühlen Ambt in Anspruch
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Rudolph Buchhol*:
genommen, ia es ist auch deshalb Magistratus wfirklich den Streit
mit impliciret gewesen, ist aber dahmals denen Klägern der Winspel
Rogken aberkand worden, so ist Magistratus um so "Viel mehr
ad evictionem Verbunden, und findet auch hierbey ex supra ad-
ducto Fundamento keine Praescription statt wie dann auch der
Beklagte Magistrat um so Viel weniger Von einer Proscription etwas
erwehnen kan, da Er wegen solches Winspels selbst Process mitge-
führet, und eo ipso confitiret, dass solcher Winspel Rogken der
Schützen Guide zustehe. Es lasset sich hier auch Von einer
Simpeln donation zu der Praestation des Magistrats nicht argu-
mentiren, dann dass der Winspel Rogken in remunerationem und
die Schützen Brüder in armis zu encuragiren gegeben worden, ist
aus dem Privilegio Klahr, fallen allso die weitlänffigen recocta
Von einer sirapeln Donation oder gratuito übern Hauffen, und
finden in praesenti casu keinen application, und bestehen die
Praestationes dagegen Von Seiten der Klägere darin: Dass Sie
sich dem Publico zum Besten in armis exerciren und im Fall der
Noth dem Feinde resistiren helflen müssen, welches warlich eine
grössere remuneration dann einen Winspel Rogken Verdienet und
demnach bleibt es eine Schuldigkeit und Magistratus ad evictionem
Verbunden, aber wie elend erinnert sich doch das Gleichnüss
von einem Vornehmen Mann welcher von einem gewissen
Capital der Schützen Gülde die Zinnsen schenckete und bey dem
Verlust des Capitals ad evictionem nicht gehalten sey, hier,
und möchte man gerne das Jertium Comparationis wissen;
dass übrigens die Hosen Tücher mit unter denen 200 Thaler
stecken welche Seine Churfürstliche Durchlaucht alss ein
Praemium gewilliget ist eben so irrig alss das Vorbringen des
Raths wegen des Ringes und der zwei Schock Geldes und kau
hier bey denen Beklagten eben die Antwort so oben wegen des
Ringes und Geldes geschehen, dienen, nemlich dass >.die Hosen
Tücher mit dem von Sr. Chur. Fürstl. Durchl. gesetztem Praemio
nichts zuthun haben, sondern gleichfalss Von dem Magistrat a
parte nach Inhalt des Articuli 17. der Klägere Privilegij gereichet
werden müssen, dass aber die Hosen Tücher und zwar nur 2 Thl.
IG Gr., nur demjenigen der den besten Schuss in die Scheibe ge-
habt, gegeben worden, ist irrig, sondern dass es Acht Stücke
Jährlich oder 10 Thl. gewesen, welche denen ersten nähesten
in die Scheibe gereichet, aus des Beklagten Magistrats selbst
eigenem Producto Vom 23. Febr. 1682. Klährlich zu sehen auch
muss ia der Rath Selbsten zugestehen dass solche Hosen Tücher
nicht nur zu Bezeigung seiner des Raths affection, sondern auch
damit die Bürger desto mehr Lust Sich im Schiessen zu exerciren
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Chronik der Berliner Schützengilde.
67
bekommen möchten, gegeben worden, wie dann auch der Klägere
Privilegium Artieulo 17 in Fine davon mit mehreren disponiret.
Wegen des dritten und letztern Puncts das praetendirte Ein-
lage Geld betreffend so ist das freylicli und hauptsächlich nach
des Magistrats selbst eigenem Praesupposito die Braut, warum
man tantzet, mit welcher die Klägere alss der Bräutigam schon
den Vorrey gehabt (i. e. possessionem libertatis) Sie wollen auch
diese Braut behalten und soll der Magistrat damit nicht buhlen,
und kan der Magistrat salva conscientia solche Possessionen
libertatis nicht leugnen, dann Klägere befinden sich darin, haben
auch dieselbe in Replica genugsahm coloriret, die Vorgewandte
restrictio aber, dass Sie nur von Einlagen frey gewesen wann das
Schiessen zum Könige gewesen gehöret ad Petitorium und ist im
Grunde irrig dass die Klägere die Einlage Gelder bezahlen müssen,
und dass solches die Extracte aus denen Cämmerey Rechnungen
besagen, wiewoll auch diese ad probandnin nicht gültig seyn, ia
es befinden sich die Klägere nicht nur ratione der Biere sondern
auch wegen der Weine in possessione libertatis alss wovon Sie
gleichfalss nie einen Heller Einlage Geld gegeben, und allso
können der Beklagten Cämmerey Rechnungen der Klägere
possessionem libertatis nicht übern Hauffen werffen, allermassen
schon in Replica gedacht ist dass die dahmalige Schützen Krüger
nicht ut Schützen Krüger, sondern die Vor sich alss Privati in
ihren Häusern Bier geschencket, das Einlage Geld gegeben, und
demnach ist im Grimde irrig, dass Magistratus sich ratione der
Klägere in possessione percipieudi der Einlage befinde, die Klägere
lassen sich auch mit dem gegenseitig Vorgegebenen Jure exemptionis
nicht ad Petitorium Verweisen, denn dieser des Magistrats Kunst-
griff soll die Klägere nach der Pfeiffe des Raths zu tantzen lehren
und zwar damit er ihm um desto grössere authorität mache und
der dreizehnde Schuss in die Scheibe nicht disputiret werde, aber
die Klägere tantzen nicht darnach, sondern Sie bleiben bey ihrer
possessioni libertatis welche Sie nicht nur Von Natur haben, son-
dern die ihnen auch Vermöge derer Privilegien welche in Replica
in grosser Menge angeführet worden, bestätiget ist, und wenn man
allererst in Petitorio mit dem Beklagten Magistrat versiren und
derselbe dahin Verwiesen sein wird, soll ihm auff den allegirten
Abschied vom 2ü. Febr. 1063 geantwortet werden, dass dieses nur
allein den Schützen König betreffe welcher dahmals ohne dem
Praemio auch für sich in seinem Hause die Frcyheit von der
Einlage praetendiret, so dass die Sache das gantze Corpus der
Schützen Gülde nicht angehet, wie dann auch Magistratus weder
die Sententz vom 20. Febr. 1663 produciren, noch sonst auff
6*
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Rudolph Bucbholjt.
einigerley Art nnd Weise der Klagen» possessionem libertatis
entkräfften, gestalt die Privilegiii eintzig und allein genug seyn
solche possession zu behaupten, und berichtet man nur dieses
noch pro nuda infonnatione nicht aber sich ad Petitorium ein-
zulassen dass man mit dem gegenseitigen Einwurff alss ob der
Klägere Privilegia salvo Jure tertij zu verstehen wären, mitleiden
haben müsse da Magistratus die Articul und darin mentionirte
Freiheiten selbst entworffen und ad eonärmandum befordert, so
dass hier Keines Processus zwischen den Magistrat und der
Schützen Guide wegen des Einlage Geldes zu gedencken ist son-
dern das alles kan Magistratus in Petitorio ausführen, wie er
dann solches ohne dem den Klägern daselbst zu oppöniren sich
in der Duplic anheischig gemachet, indess hat es mit dem Extract
aus der Lehns Cantzelley pro colorandA possessione libertatis der
Klägere wie auch mit des Raths Relation seine Richtigkeit, und
kann der Beklagte Magistrat sich mit der gemachten restriction
nur in Petitorio melden, woselbst sich weisen wird dass die
klagende Schützen Guide in Cölln so fromm und Viel frömmer
alss die Berlinische sey, die Klägere aber haben sich ietzo für der be-
liebigen Concession des Magistrats wegen des Einlage Geldes nicht
zu bedanken, da sie deshalb schon in possessione libertatis seyn,
wann ihnen aber sonst Magistratus noch was zuwenden kan und
wird, wollen Sie solches wann es würcklich ins Werk wird ge-
richtet seyn, nicht aber das blosse Versprechen mit gehorsahmen
Dank erkennen, wie dann Magistratus schliesslich denen Klägern
grossen Tort thut, wann er sie trotzig, wiederspenstig und unge-
horsahm nennet, da vielmehr Magistratus sich seiner Schuldigkeit
in dem Stare promissis erinnern und bedencken sollten dass eine
Obrigkeit denen fürgesetzten Unterthanen mit guten Exempelu
vorgehen und denen Legibus nachleben müsse, damit die Unter-
thanen derselben desto eher imitiren und contrarium agendo der
Obrigkeit nicht folgen möge auff dass es nicht heisst:
Non potest mihi quidquam talis prodesse Praeceptor (piain
gubernator in tempestate non se vagabundus.
Endlich haben die Klägere das Juramentum Calumnia nicht
calumniose sondern de Jure gefordert wozu Sie üm so vielmehr
berechtiget seyn da Magistratus contra propria facta und seiner
Relationes die Einlage von denen Klägern fordern will, aus blosser
revange, weil Sie ihm den dreyzchenden Schuss in die Scheibe nicht
accordiren wollen und wie in hoc passu der Magistrat der Klägere
Obrigkeit nicht, sondern privata persona und Reus welcher Judi-
cium mit constituiren hilfl't, ist, allso kan Magistratus solch Jura-
luentuin calumnio abzulegen sich nicht einbrechen, die Klägere
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Chronik der Berliner Schützengildu.
seyn auch wegen der Delation solches Juramenti nicht zu bestraffen
sondern vielmehr die calumnia des beklagten Magistrats womit die
Kläger nisi quid novi submittiren und überall ihr Voriges Suchen
wiederholen.
Unterm 28. 11. 1711 ergeht das Erkenntnis:
Die Schützenkönige sollen frei sein von Schoss, Zöllen, Licenzen
und Contribution oder es müssen ihnen 200 Thaler gereicht
werden.
Ob sie ihr Recht cediren können, soll in jedem Fall besonders
entschieden werden.
Die Cöllnische Schützengilde wird mit ihren Ansprüchen
an den Platz hinter dem Holzmarkt, sowie an einen Wispel
Roggen aus der Vordermühle abgewiesen.
Magistrat behält die Controlle der Gilde, soll auch den drei-
zehntenSchuss frei haben. Dem Schützenkönig muss er das goldene
Ringle in alljährlich reichen, „nicht aus Schuldigkeit, sondern
zur Beibehaltung guter Harmonie; er gestattet auch der Köll-
nischen Gilde die „freie Einlage der fremden Biere, wie sie die
Berlinische hat."
Die Schützengilde hat sich inzwischen an die juristische
Fakultät in Leipzig um ein Gutachten gewendet, das sie nach
vorstehendem Erkenntniss dem Könige überreicht. Sie erhält
darauf unterm 20. 2. 1712 eine sehr scharfe Abweisung:
„Wie nun Seiner Majestät zum besonderen Missfallen
gereichet, dass die Gilde sich nicht entblödet, dero Allerhöchsten
gerechtesten Decision einem auswärtigen und fremden
ludici zur Examinirung zu untergeben" „enorm
Frevel"
1711. 16. Mai. Schützengilde zu Cölln bittet um Erlaubnis, bei dein
am 27. Mai beginnenden Königschiessen trotz der Landestrauer
um den Tod des Kaisers sich der Tambours und Hautboisten be-
dienen zu dürfen.
Wird genehmigt.
1713 lässt der König die Zahlung der 200 Thaler an die Schützenkönige
von Berlin und Cölln, also im Ganzen 400 Thaler, einstellen. Auf
Vorstellung der Gilden und Bericht des General-Direktoriums ver-
fügt der König: 200 Thaler vor beide will ich passiren lassen aber
nichts mehr.
Da die Streitigkeiten unter den Gilden selbst, wie auch zwischen
Gilden und Magistrat, nicht ruhten, so gedieh das Schützenwesen in
den ferneren Jahren wenig, das Schützenfest mit allen seinen Trink-
und Spiel-Gelegenheiten entwickelte sich aber um so mehr, bis Friedrich
Wilhelm I. daran Anstoss nahm und den Übungen und Festen der
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Rudolph Buchholz:
Gilden ein Ende machte. Der König gab unterm 18. Mai 1727 fol-
gende Ordre:
„Es ist zwar jetzo die Zeit, dass die Schützen platze sollen
gehalten werden; wir wollen aber und befehlen hiermit aufs
allerschürfste und nachdrücklichste, dass vor dieses Jahr aus
erheblichen Ursachen in allen Schützenplätzen uicht solle ge-
schossen, nicht gespielt, nicht getanzet, auch gar keine Spiel-
leute sollen geduldet werden. Wir befehlen demnach dem
Magistrat ernstlich, darüber mit allem Nachdruck zu halten
und dahin zu sehen, dass dieser Ordre stricte nachgelebet
werde, allermassen Wir alles liederliche und üppige Wesen
gänzlich abgestellt wissen wollen, widrigenfalls der Magistrat
davor responsable sein soll.44
Als dann Magistrat und Generaldirektorium die Vorstellung
wagen, dass sich viele Gewerbtreibende auf das Schützenfest vorbereitet
hätten und nun mangels Absatzes ihrer Waaren in Schulden geraten
würden, der König möge darum wenigstens noch dieses Jahr das
Schützenfest dulden, schrieb derselbe eigenhändig unterm 9. Juni 1727:
„ besser dass ich 2<MM» Thaler (nämlich an Steuern) verlier als
dass ich durch die permis zum Deuffel fahre; ich werde mein
Page es nicht mehr zugeben. Fr. Wilhelm.*
Auch ein Immediatgesuch der beteiligten Gewerbetreibenden
vom 30. 5. 1727:
„Allerdurchlauchtigster p. p. König und Herr!
Es ist uns gestern eine an den Magistrat hierselbst ergangene
Höchste ordre publiciret worden, Kraft welcher Ew. Königl.
Majest. auf das schärfteste und nachdrücklichste anbefehlen, dass
dieses Jahr aus erheblichen Ursachen in allen Schützen Plätzen
nicht solle geschossen, nicht gespielet, nicht getantzet, auch gar
keine Spiel-Leuthe geduldet werden.
Ob wir nun gleich Ewr. Königl. Majest. hierunter hegende glor-
würdigste Intention, die zu solcher Zeit sonst vorgefallenen Üppig-
keiten abzuschatten, mit der allertiefsten Devotion erkennen, und
als getreue Unterthanen gebührendt jederzeit bereit sind, unsers
allergnädigsten Beherrschers Höchsten Befehl mit dem aller-
tiefsten Gehorsam nachzuleben: So befinden Wir Uns dennoch
durch die Noth, so Uns drücket, gezwungen, hierdurch eine aller-
uuterthänigste Wehmütigste Vorstellung zu thun, und Leben an-
bey des allertiefsten Vertrauens, Ew. Königl. Majest. werden
diess unser mit der allerersinulichsten Submission verknüpftes
Unterfangen allergriädigst aufnehmen. Es bestehet aber Unser
aller De- uud wehmütigstes Anliegen , welches Ew. Königl.
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Chronik der Berliner SchnfaengUde.
71
Majest. zu eröffnen, wir Uns erkühnen, darinnen, dass wir
sämbtliche Ziungiesser, Porcellainbrenner und Pfefferküchler Uns
zu dem bisshero gewöhnlichen Scheiben -Schiessen in denen
Schützen-Plätzen angeschicket und desswegen eine Zeitlang be-
sondere Gesellen gehalten, auch nicht nur alles das uusrige in
die schon verfertigte Waaren gestecket, sondern auch der gröste
Theil von uns sich deshalb in tiefe Schulden gesetzet. Wan wir
nun die Waaren bey dieser Gelegenheit nicht wieder loss werden
selten, so würden wir dadurch in den eusersten ruin gerathen;
indem sonderlich uns Pfefferküchlern dieselben verderben, allen
aber insgesambt die Creditores auf den Halss fallen und ihre
vorgeschossene Gelder wieder fodern würde; woraus dann gantze
Concoursprocesse und viele Verwirrung erwachsen möchten.
Gleichwie aber Allergnädigster König und Herr, Ew. Königl.
Majest. Landesväterliche Hulde nicht zugeben wird, dass dero
allergetreuesten Unterthanen, ohne ihr Verschulden, und bloss
aus Hoffnung etwas zu erwerben, womit sie sich retten und ihre
bürgerliche Pflichten übertragen könnten, solcher gestalt auf ein-
mahl über einen Hauifen geworffen werden; das Tantzen und
andere Üppigkeiten, wodurch Ew. Königl. Majest. zu höchst ge-
dachter Verordnung bewogen sein mögen, auch wohl bey dem
Scheiben-Sclüessen unterbleiben kan, überdiess Ew. Königl. Majest.
so viel wir aus dero Höchsten Ordre abnehmen, nicht gewillet
seyn, das Scheiben-Schiessen beständig abzuschaffen und daran
nicht gelegen ist, ob es 8 oder 14 Tage später geschehe: also
erkühnen wir uns Ew. Königl. Majestät hierdurch allerunter-
thänigst anzutreten und fussfälligst, wehmüthigst zu bitten, Sie
wollen in Höchster königl. Gnaden geruhen, vorangebrachte
Unsere Umstände, und dass uns Dero höchste Ordre so späte
publiciret worden, nachdem wir uns bereits völlig zu dem bevor-
gestandeneu Scheiben-Schiessen angeschicket gehabt, in höchst
erleuchtete Consideration zu ziehen, und dahero die ergangene
Höchste Ordre dahin zu ändern, dass das Scheiben-Schiessen auf
denen Schützen- Plätzeu, nur noch einige Zeit, weiche Ew. Königl.
Majestät allergnädigst determiniren werden, ausgesetzet bleiben
solle. Die wir in Tiefster Hoffnung einer allergnädigsten Er-
hörung dieses unsers bloss aus Besorgniss äussersten ruins her-
rührenden wehmüthigsten Suchens mit der allerersinnlichsten
Devotion ersterben
Allerdurchlauchtigster p. p.
Sämbtliche Zinngiesser Porcellain Brenner und Pfefferküchler
hierselbst"
wurde vom Könige abschläglich beschieden.
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72
Rudolph Buchholi :
1727. 19. Juni. Reskript an den Magistrat: „Das Scheibenschiessen mit
den dabei vorkommenden Üppigkeiten soll vollständig abge-
stellt sein."
Gleichzeitig erhält die Kunnärk. Kammer Kenntnis, damit sie
keinerlei Zahlungen leistet.
1727. lf>. Juli. Generaldirektorium fragt an, wie die hiesigen Büchsen-
macher und Schlosser beschieden werden sollen, welche darum
bitten, ihre angefertigten Büchsen, Flinten und Pistolen auf den
hiesigen, jetzt geschlossenen Bürgerschützenständen eiuschiessen
zu dürfen.
Eine Entscheidung fehlt in den Akten.
Das General-Direktorium fragt an der Hand der nachfolgenden,
von der Gilde unterm 4. 3. 1728 nochmals gewagten Vorstellung heim
Könige an, ob die Gilde bei der Anwesenheit des Königs von Polen
nach der Pfingstwoche ein Festschiessen abhalten dürfe:
.... „Es werden beim Schiessen auf unserem Schützcnplatz
keine Ueppigkeiten getrieben, sondern selbiges wird mit aller
Ehrbarkeit verrichtet nach Vorschrift der Gilde Artikel. Dass
aber auf dem Platze, worauf die Zinngiesser, Porcellainbrenner,
Bürstenbinder, Kuchenbäcker p. p. ihre Waaren nach alter Ge-
wohnheit verkaufen und verspielen, wegen Zulauf der grossen
Menge Leute ein Lärmen ist, solches gehet dem Schiess Wesen
ganz und gar nichts an, sondern es wird solcher Lärm wegen
vorgedachter Professionen Nahrung und den kleinen Profit, so
sie davon haben und sich und die ihrigen dadurch erhalten
müssen, verursachet. Dahingegen das Tanzen in dem Schützen-
hause während dem Hauptschiessen gänzlicli eingestellet und
keine Spielleute geduldet werden sollen; wie denn auch sonsten
zu Verhütung aller Unordnung und Ueppigkeit eine Wache in
dem Schützenhause und auf dem Platz gehalten wird und wenn
noch dazu den Einwohnern in der Lindenstrasse nachdrücklich
anbefohlen würde, bei dem Hauptschiessen gleichfalls keine
Spielleute und Tanzen in ihren Häusern zu gestatten, so würden
auf ein mal alle Insolentien verhütet und dadurch Ew. Königl.
Maj. heilsame Intention erfüllet, das Schiessen aber in aller
Stille können verrichtet und dadurch zugleich die Bürger in
ihrer Nahrung unterhalten werden. Wir wollen nicht anführen,
dass auch der Accise wegen der Consumtion ein ziemliches zu-
wäehset, wenn aber das Scheibenschiessen eingestellet bleiben
sollte, würde nicht allein die Accise, sondern auch viele von der
Bürgerschaft dabei ihre Nahrung, ja auch die Creditores, welche
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Chronik der Berliner Schützengilde.
73
uns zum Anbau noseres Hauses Gelder geliehen, das Ihrige ver-
lieren und dann würde auch der Schiessplatz gar eingehen . . . .
bitten wir za bestimmen, wann wir das Haupt- oder König-
schiessen halten sollen und da unser Schützenhaus zur Zierde
der Strasse einer Reparatur bedarf, wir aber dazu keine Mittel
haben, indem wir schon auf 1400 Thaler in Schulden stecken,
so bitten wir, uns das Prämium der 60 Thaler, so wir im
vorigen Jahr nicht bekommen haben, zu solcher Reparatur zu
schenken" p. p
Darauf Randbemerkung des Königs:
»Plat abschlagen dieses kan ich nit dulden.
Fr. Wilhelm. u
1734. 11. Novbr. Chr. Ernst Lehr, Büchsenmacher beim Corps der
Husaren, erbietet sich, am Eude der Koehstrasse, so von dem
Rondel nach dem Thiergarten gehet (also an der jetzigen König'
grätzer Str.. damals stand das Albrecht-Palais noch nicht und die
Kochstrasse ging bis zur Mauer) ein Schützenhaus für die Friedrich-
stadt von 24 Ruthen Front und 28 Ruthen Tiefe anzulegen, wenn
ihm vom Könige der erforderliche Platz und Baumaterialien ge-
schenkt, auch ein Schützen-Privilegium ertheilt wird.
Der König schlägt das Gesuch ab.
Die ersten Jahre der Regierung Friedrichs des Grossen nahmen
den König nach aussen hin zu sehr in Ansprnch, als dass die wenigen
von der einstigen Gilde noch übrigen Bürger es wagen konnten, ihm
die Wiedererrichtung nahe zu legen.
Im Jahre 1746 aber begann dafür eine Agitation und als sieh dann
auch der Magistrat und Königliche Behörden der Sache annahmen und
sie vor den König brachten, erging unterm 8. 6. 1746 folgende Ordre:
„Da die Uebung mit den Gewehren zu einer etwaigen Defension
der Stadt nützlich sein sollte, so wäre es auch gut, wenn sämmt-
liche Schützengilden in den hiesigen Residenzien zu einer einzigen
Gilde vereinigt würden und das Schiessen vor dem Königsthor
stattfände, anerwogen die vielfältigen Schützenhäuser und Gesell-
schaften allzuviel Gelegenheit an die Hand geben, dass die
Bürger, so zum Müssiggang und Trinkgesellschaften incliniren,
ihre Nahrung und Wirthschaft negligiren, öfters Frau und Kinder
hungern lassen und dem Scheibenschiessen und Trinken nach-
gehen. Die Theilnehmer sollen lauter ehrliebende ordentliche
und in guter Nahrung stehende Bürger sein. Das Schiessen ist
nur in 2—3 Sommermonaten zu gestatten und mit dem König-
schiessen zu schliessen p. p.
Friedrich."
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74
Rudolph Buchholz:
Hierauf wurde unter Mitwirkung des Magistrats ein neues Statut
entworfen, welches unterm 20. Juli 1747 die Königliche Bestätigung er-
hielt. Nach diesem Statut war die Schützengilde zwar eine einheitliche,
jedoch in 2 Kompagnien geteilt; die erste Kompagnie umfasste die
Schüteen aus Berlin und Cölln mit ihren Vorstädten, die zweite die
aus den 3 andern Städten.
Genau 20 Jahre nach ihrer Auflösung konstituierte sich nun die
Schützengilde von neuem. Das erste Königschiessen fand noch in dem-
selben Jahr statt und zwar schoss die erste Kompagnie am 19. und die
zweite am 21. September 1747. Die beiden betreffenden Scheiben, welche
wir hier abgebildet wiedergeben, befinden sich noch, ebenso wie die fast
aller folgenden Jahre, als Denkmäler in den Sälen des neuen Berliner
Schiesshauses in Schönholz.
Im Rahmen des neuen Statuts arbeitete die „Vereinigte Haupt-
Schützengilde" mit geringen Unterbrechungen weiter.
Ein besonderer Förderer des Schützengildewesens, der Stadtkom-
mandant von Berlin, General Graf Haacke, schenkte ihr im Jahre 1758
eine noch jetzt vorhandene Prachtbüchse, an welcher sich das Gräflich
Haacke'sehe Wappen befindet, mit der Bestimmung, dass damit immer
nur für Seine Majestät den König geschossen werden darf (Abb. S. 8.)
Es ist dies derselbe Graf Haacke, der bei Niederlegung der Festungs-
werke für (nach damaligen Begriffen) schöne Strassen-Anlagen, nament-
lich in der Gegend vor dem Spandauer Thor, gewirkt hatte, so dass der
in der Mitte dieser Strassen gelegene Marktplatz nach ihm benannt wurde.
Im Jahre 1755 wurde der Gilde auch eine Kesselpauke geschenkt,
die noch vorhanden ist.
Chronik der Berliner Schützengilde.
75
Anf dem neuen Schützenplatz an der Linienstrasse war nur eine
Schiessbude errichtet ; der Schützenkrug war noch der alte, an der alten
Schützenstrasse, geblieben. Im Jahre 1793/5 wurde auch ein neues
grosses Schützenhaus erbaut und 1795 eingeweiht. Wir sind in der
Lage, die damals von Calau gezeichnete und von Haas gestochene Ab-
bildung des eben fertig gewordenen Schützenhauses und eines dabei
abgehaltenen Vogelschiessfestes zu geben.
In der Zeit der französischen Invasion bildete sich aus einem Teil
der Schützengilde ein kleines berittenes Korps und nach Errichtung der
Bürgergarde ein Schützenkorps, welches namentlich 1813 die mili-
tärische Besetzung der Stadt übernahm.
Die Städteordnung vom 19. November 1808 besagt in § 28: »Da
eine Schützengilde in der Bürgerschaft zu den notwendigen Anstalten
bei jeder Stadt gehört, so soll durch ein besonderes Reglement das
Nähere darüber zur Achtung jedes Bürgers bestimmt werden." Die hier
offenbar beabsichtigte Ausdehnung des Schützengildewesens auf alle wehr-
fähigen Bürger ist indess nicht weiter zur Ausführung gekommen, weil
die Militairdienstpflicht verallgemeinert wurde; auch enthält die revidierte
Städteordnung vom 30. Mai 1853 eine solche Bestimmung nicht mehr.
1837 erhielt die Gilde ein neues Statut.
1847 feierte sie ihr lOOjähriges Bestehen nach der Wiederaufrichtung
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76
Rudolph Buchholz:
durch Friedrich den Grossen. Die Feier,
an der sich zahlreiche aus-
wärtige Gilden beteiligten,
gestaltete sich sehr gross-
artig. Der König nahm eine
Parade der Schützen ab und
verteilte eigenhändig die
Haupt- Prämien, wie die
Illustration auf der anliegen-
den Tafel zeigt.
Im Jahre 1884 verlegte
die Gilde ihren Turnier-
Platz. Sie kaufte die seit
fast ICK) Jahren in Privat-
besitz gekommene ehema-
lige Plantage der Königin
Elisabeth Christine, Ge-
mahlin Friedrichs II., Schon-
holz, für 240 000 Mark und
richtete sieh dort nach den
modernen Anforderungen
ein. Die Mittel dazu ge-
wann sie • reichlich durch
Verkauf ihres Grundstücks
an der Linienstrasse, von
dem wir hier eine Ansicht
fies Inneren der Schiess-
halle aus der Zeit von
1847, sowie eine Front-
Ansicht des Schützenhauses
vom Jahre 1885 geben.
Vorstehende Abhandlung enthält eine Zusammenfassung des ganzen
Akten- und Urkunden-Materials, das vom Verfasser zu einem Vortrage
in der zu Schönholz am 4. September 1897 abgehaltenen Sitzung der
„Brandeuburgia" benutzt worden ist.
Von der Aufnahme der jüngeren Chronik konnte abgesehen werden,
weil das betreffende Material ein geringeres historisches Interesse hat,
auch unter verschiedeneu Formen durch den Druck verbreitet ist. Nur
die hauptsächlichsten Vorkommnisse sind kurz berührt.
Der das gegenwärtige Schützenheim Schönholz betreffende Teil des
Vortrags ist als Teil des Sitzungsberichts im Monatsblatt der „Branden-
burgia", Oktober Heft 1897, abgedruckt.
Bilder aus dem Leben der preussischen Armee
im vorigen Jahrhundert.
(Nach alten Militftrkirchenbachern und biographischen Aufzeichnungen
fridericianischer Feldprediger.)
Vom
Superintendent und Oberpfarrer Erich Schild in Bitterfeld.
Die durch ihr Alter ehrwürdigen Kirchenbücher des preussischen
Heeres gewähren uns vielfach ein getreues und naives Spiegelbild des
Lebens der Armee, wie es sich im Auge des Feldpredigers im vorigen
Jahrhundert reflektierte. Heutzutage, in einer schematisierenden und
schabionisierenden Gegenwart, sind die Kirchenbücher neben den staudes-
amtlichen Registern zu statistischen Listen geworden, aus denen von
Zeit zu Zeit trockene Auszüge gegeben und tote Prozentsätze berechnet
werden. Anders zu jener Zeit, die man die „gute, alte" nennt, die in
Wirklichkeit hart, eckig und kantig war, aber doch voll Leben und
Originalität erscheint auch in den alten Militär-Kirchenbüchern. Stereoskop-
bilder zeigen sie uns aus Pfarrstube, Haus, Schule und Kaserne, aus
Kriegs- und Friedenszeiten, Bilder. immer wahrheitsgetreu, weil ohne jede
Effektberechnnng ; Bilder nicht selten mit lyrischen und humoristischen
Arasbesken umzogen, besondere fesselnd, weil sie von einem grossen
epischen Hintergründe sich abheben, der Geschichte der Armee, die ja
zugleich die Geschichte unseres Volkes ist. Und darum hat solch' eine
Betrachtung, besonders weun sie sich zugleich stützt auf die zum Teil
recht wertvollen, von Leopold v. Ranke z. B. wiederholt in seinen
„Neun Büchern preussischer Geschichte" angeführten Tagebücher und
sonstige biographische Aufzeichnungen preussischer Feldprediger jeuer
Tage, nicht bloss, wie ich meine, kulturhistorisches, sondern auch patrio-
tisches und religiös-sittliches Interesse. Denn manch köstlicher Einblick
wird uns da verstattet in einzelne Seeleu, die aus der grossen Masse der
Unbildung und der Rohheit doppelt leuchtend sich herausheben. Wir
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78
Erich Schild in Bitterfeld.
sehen da manches, nns Pastoren der Gegenwart tiefbeschämende, Bei-
spiel pastoraler Treue, die den Einzelnen nicht blos kennt — freilich
hatte damals jedes Regiment seinen eigenen Feldprediger — sondern ihm
auch nachgelit und ihn je nach Bedürfnis „besonders von dem Volke"
nimmt.
Das geschah namentlich vor den häufigen Abendmahlsfeiern, über
die sorgfältige Listen geführt wurden, in denen neben dem Namen fast
jedes Kommunikanten das Urteil des Seelsorgers sich findet. Da werden
dem verschwiegenen Kirch buch tief bewegliche Gebetsseufzer des Pastors
über seine Gemeinde anvertraut; da lesen wir, wie mit grossem Ernst
Unbussfertige oder Unversöhnliche vom heiligen Mahl zurückgewiesen
werden; da finden sich ergreifende Beispiele der Amtserfahrung aufge-
zeichnet. Wir bekommen dadurch ein interessantes und unanfechtbares
Zeugnis über den niedrigen Stand der allgemeinen .Sittlichkeit in der
Armee jener Zeit, über die Rohheit wenigstens der äusseren Gesittung.
Wir finden vollauf bestätigt die Klage eines theologischen Schriftstellers
jeuer Tage, des Professors Chr. Gerber in seiner Schrift „Von dem sehr
verderbten Soldatenstande und dem Zwange zu demselben": „Eine Armee
ist heutzutage leider! fast nicht anders anzusehen, als eine Pfütze, darin
alle Laster zusammenfassen. Da ist Raub, Mord, Unzucht, Meineid,
Fluchen, Gotteslästern, Saufen, Schwelgen, Verachtung des göttlichen
Wortes u. s. w. fast überall anzutreffen. Das kommt denn vornehmlich
daher, weil insgemein nur solche Leute Kriegsdienste annehmen, die
entweder Eltern und Herren ungehorsam sind und nicht folgen wollen;
oder die ein Bubenstück begangen haben und der Strafe der ordentlichen
Obrigkeit entgehen wollen und alsdann in den Krieg als in eine Frei-
statt aller Schande und Laster laufen ; oder die aus Faulheit nichts
gelernt haben, auch nichts lernen noch arbeiten wollen", — eine Klage,
die das Urteil eines neueren Geschichtsschreibers über die preussische
Heeresverfassung jener Zeit als wohlbegründet erweist: „Durch die aus-
drücklichen Massnahmen Friedrich Wilhelms I., besonders durch das
Edikt vom Jahre 1714, schien das preussische Heer in damaliger Zeit
bestimmt, einer Ablagerung sämtlicher Vagabunden des Landes und
einem Gefängnis ähnlicher zu werden, als einer Gesellschaft von Kriegern,
welche jeden Augenblick bereit wäre, Leib und Leben für ideale Güter
daran zu setzen."
So können wir uns freilich nicht wundern, wenn in den militär-
ischen Kommunikantenlisten jener Zeit die pastorale Note „venator,
amator, potator, scortator, lusor" (.lagdmacher, Verliebter, Säufer, Un-
züchtiger, Spieler) neben den Namen sehr häufig wiederkehrt ; dahinter
freilich auch gar oft der Zusatz: „Verspricht aber unter vielen Thräuen,
sich zu bessern"; einmal aber wird einem auch derb und herb im Stil
jener Zeit das Epitaphium im Kirchenbuch gesetzt:
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Bilder aus dem Leben der preusei sehen Armee im vorigen Jahrhundert. 79
„Natus est ut mus,
Vixit ut sus,
Mortuus est ut canis,
Ebrius et mente inanis,"
d. h. etwa im derben Stil des Originals:
Geboren wie 'ne Maus so klein,
Hat er gelebet wie ein Schwein,
Und wie ein Hund fuhr er von hinnen
Als Trunkenbold und ganz von Sinnen.
Den im Vergleich mit der Jetztzeit weit niedrigeren Stand der all-
gemeinen Sittlichkeit veranschaulichen auch die Tauf- und Trauregister
jener Zeit. Es war alter Brauch, dass an die Kindtaufe eine Schmauserei
sich schloss. Das in den Kriegslagern* des 17. Jahrhunderts bei Taufen
von Soldatenkindern üblich gewesene Ceremonial bestimmt bereits:
„Nach der Taufe schenken die Gevattern der Kindbetterin jeder einen
Gold-K ron oder Thaler, sitzen danach, wie es Zeit und Ort in einem
Feldlager leiden mag, zusammen, leben mit dem, was Gott bescheeret,
wohl und thun ein gutes Trünklein". Aber häufig sind die Klagen in
den alten Kirchenbüchern, dass dies Trünklein vielfach gar zu sehr an-
schwoll, dass Taufmahle oft zu „Saufftnahlen" wurden. König Friedrich
Wilhelm I. verordnete deshalb, dass sich ein gemeiner Soldat so viel
Oberoffiziere und andere mit Hänsern und Gütern angesessene Personen
als er immer wollte, zu Paten bei seinen Kindern erbitten durfte, von
seinen Kameraden sollte er jedoch nicht mehr als „einen Kerl und ein
Weiba dabei haben, bei Spiessruteustrafe. Aus dem Zusatz „zur Ver-
hütung aller daraus fliessenden Inconvenientien" erhellt, dass Zweck
dieser Verordnung war, die schon berührten mancherlei Missbräuche —
Vergeudung des zum Lebensunterhalt nötigen Geldes, Trunkenheit,
Zank, Schlägerei — zu vermeiden, die bei Taufschmansereien damals so
leicht vorkamen, wenn sämtliche Paten niederen Standes waren. Die
Anwesenheit von Oberoffizieren und angesehenen, vermögenden Bürgern als
Paten sollte jeder Ausschreitung vorbeugen, während sie andererseits dem
Vater des Täuflings durch das der Mutter dargereichte, dem Stande der Paten
entsprechende Patengeld eine materielle Unterstützung brachte. In diesem
Sinne verlangt auch Hocker in seinem 1710 in Frankfurt a. d. O. er-
schienenen „Pastorale castrense oder nützlich und treuer Unterricht für
neuangehende FeldpredigerM, dass der Feldprediger auf Verhinderung
des Schmausens bei den Taufen Bedacht nehmen solle, damit den Kind-
betterinnen das Patengeld zu ihrer Pflege bleibe.
Die Trauregister zeigen uns, dass im vorigen Jahrhundert von
den gemeinen Soldaten nahezu die Hälfte verheiratet war, während heut-
zutage verheiratete Soldaten im Frieden bei der Fahne nur in ganz
seltenen Fällen einmal zu finden sind, und auch von den Unteroffizieren
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Erich Schild in Bitterfeld.
die früher ziemlich durchweg beweibt waren, heute nur ein geringer
Bruchtheil verheiratet ist. Dass die sittliche Beschaffenheit der Soldaten-
frauen jener Zeit viel zu wünschen übrig liess, erklärt sich zur Genüge
aus der damaligen Zusammensetzung des preussischen stehenden Heeres.
Dasselbe war noch kein nationales, noch kein Volksheer. Nur zu einem
Teil bestand es aus Landeskindern; der Rest, oft bis zur Hälfte, musste
ausser Landes angeworben werden. Schon zwar hat Friedrich Wilhelm I.
jedem Regiment im Lande seinen bestimmten Kanton zur Aushebung
angewiesen; aber noch werden bei der Aushebung die arbeitenden und
steuerzahlenden Kräfte in Stadt und Land geschont, noch darf der Ver-
mögende einen Ersatzmann stellen. So ist das Resultat der einheimischen
Aushebung doch nur, dass die wertlosesten Elemente des Volkes, die
„unsicheren Kantonisten", oder doch die sonst für die Zwecke des
Staates nicht nutzbar zu machenden Elemente, gleichsam die Drohnen
im Bienenstock, zum Dienst gezwungen werden, oder gar eine Geld-
spekulation daraus machen. Es ist noch ein Frohn dienst dressierter
Lohnsoldaten, nicht ein Ehrendienst der Kinder des Vaterlandes;
Soldat zu sein, gilt damals noch im deutschen Volke für eine Schande,
in Preussen, wo bald des grossen Königs Rubm für vieles Harte im
Dienste entschädigte, immer noch den meisten für ein Unglück. Noch
im Jahre 1790 schämte sich ein reicher Bauernbursche in Kursachsen
nahe bei Torgau, der durch des Amtmanns Hass zum Dienst gezwungen
worden war, seiner Uniform und seines Standes so sehr, dass er sich
dnrch eine Magd, so oft er auf Urlaub nach Hause kam, stets Civil- '
kleider vor das Dorf bringen liess und sie dort erst anlegte, ehe er
dasselbe betrat.
Diese Missachtung des Soldatenstandes erklärt sich besonders durch
den zweiten Bestandteil der Armee, die grosse Zahl der freiwillig oder
gewaltsam zu den Landeskindern hinzugeworbeneu Ausländer. Diese
waren entweder die Hefe des Volkes, Abenteuerer aller Art, auch wohl
Verbrecher, die in ihrer Heimat sich nicht mehr sehen lassen durften,
oder es waren bedauernswerte Menschen, die um ihres guten Wuchses
willen dnrch alle nur erdenklichen Mittel der List oder Gewalt betrogen
und zur Fahne eingefaugen wurden. „Wachse nicht, sonst fangen dich
die Werber!" sagten darum die Mütter bekümmert zu ihren hoch auf-
schiessenden Söhnen. Büsching in seinem Beitrag zur Lebensgeschichte
des Probstes zu St. Petri in Berlin Reinbeck berichtet, dass letzterer
seinen zweiten Sohn Johann Gustav, weil ihm wegen seiner grossen
Statur schon bei angehendem Jünglingsalter von den Soldaten sei nach-
gestellt worden, nicht nach Halle, „woselbst von Zeit zu Zeit grosse
Studenten zu Soldaten gemacht wurden," sondern nach Jena auf die
Universität gebracht habe. Der Predigersohn und Kandidat Laurentius
Bollhagen, im Begriff, eine ihm verliehene Pfarrstelle anzutreten, wird
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Bilder aus dem Leben der preussischen Armee im vorigen Jahrhundert. 81
unterwegs von preussischen Werbern, die nach „langen Kerlen- heruin-
spüren, gegriffen, nach Potsdam gebracht und hier sogleich in die Montur
des Leibregimentes gesteckt. Vergebens sind alle seine Klagen und
Proteste; zwei Jahre muss er als gemeiner Gardist dienen, während
welcher Zeit der Hauptmann alle Briefe, die der unglückliche junge
Mann an seine Eltern iu der pommerschen Heimath richtet, abfangt
und unterschlägt, — in der That ein sprechender Beweis dafür, dass
damals der Heeresdienst dem Aufenthalt in einem Gefängnis nicht un-
ähnlich war. Nimmt mau dazu die grausamen Strafen, das Fuchteln
d. h. die unmässigen Stockprügel, mit denen jeder kleine Felder in
Kleidung und Bewegung bestraft wurde, das Spiessrutenlaufen, Ühren-
und Nasenabschneiden, Anschmieden an Arbeitskarren und dergl., womit
grössere militärische Vergehen geahndet wurden, so glaubt man gern,
dass das Loos der „Heben blauen Kinder" des Soldatenkönigs bei aller
Zärtlichkeit und Vorliebe des Vaters für sie doch so wenig beneidens-
wert war, dass die einheimische Bevölkerung den Soldatenstaud mit
Schrecken floh.
Was nun das Heiraten der geworbeneu Ausländer betraf, so sagte
zwar das Reglement: .,Fs soll solch ein ausländischer Kerl nicht so
blind hin heirathen und dessen Braut nicht allzu pauvre sein, zum
wenigsten soll sie durch ihrer Hände Arbeit sich ernähren können."
Indessen wenn ein angeworbener Soldat durchaus nicht von seiner Dirne
lassen wollte, so wurde die Trauung auf Anordnung des militärischen
Befehlshabers sofort vollzogen, wenu auch in den meisten Fällen die so
geschlossene Verbindung ein Hohn auf die Heiligkeit der Ehe und des
Familienlebens war. Bei manchen Truppenteilen sah man aber auch
in solchen Fällen von der Trauung ab und gestattete das Zusammen-
leben ohne Copulation. Beim ersten Bataillon der Regiments Garde z. B.
kommen sogenannte Liebstensehcine vor d. h. die schriftliche Erlaubnis
für den Soldaten, mit einer bestimmten, uamhaft gemachten Person des
anderen Geschlechtes im Konkubinat zu leben. Scheidungen dieser
seltsamen Verbindungen, über deren Anstössigkeit man hinwegsah, ge-
hörten vor den Riclitnstuhl des Kompagniechefs, der im übrigen nur
darauf zu achten hatte, dass die so mit einander Lebenden sich auch
ernähren konnten. In den Garnisonstädteii wohnten die verheirateten
Soldaten in erster Linie in den Kasernen. Jeder hatte Stube und
Kammer, musste aber zwei ledige Soldaten als „Schlafburschen- iu diese
enge Wohnuug mit einnehmen. Man kann sich denken, was für schlimme
Verhältnisse in sittlicher Beziehung oft daraus entstanden sein mögen!
Die materielle Lage der verheirateten Soldaten war bei der geringen
Löhnung von 2 Thalern monatlich überaus kümmerlich. Ihre in den
Kasernen wohnenden Frauen hatten nur Recht auf Obdach und Lager-
statt d. h. Bettstelle; an Holz, Licht und Betten aber durften sie nichts
U
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Hl»
Erich Schild in RitterfelcL
Besonderes für sich fordern. Uni sich Nebenverdienst zu verschaffen,
betrieben sie in den Garnisonen allerlei Gewerbe, besonders Hökerei.
Auf einen weiteren Nebenerwerb deutet ein Schreiben des Königs vom
4. Mai 17li4 an den General Lölhöffel, Kommandeur des Kürassier-
Regimentes No. ö, worin es heisst : ..Soldatenweiber und Soldatenkinder
sollen spinnen, auch die Soldaten, damit sie sich etwas verdienen.41
Wurden in Berlin Soldatenweiber oder Kindel* beim Betteln betroffen,
so steckte man sie kurzer Hand zum Wollespinnen in das Arbeitshaus.
Disciplinarisch konnten die Frauen wegen geringer Diebstähle, Injurien,
Klatschereien und dergl. körperlich durch den Profoss gezüchtigt d. Ii.
mit Hüten gehauen werden, oder sie wurden zum Tragen der Fiddel
verurteilt. Die Fiddel war ein mit Löchern versehenes hölzernes Brett,
durch das Kopf und Arme gesteckt wurden. Die so Bestraften mussten
mit ihrem hölzernen Schmuck mehrere Stunden vor der Hauptwache des
Regimentes spazieren gehen. Wie elend und bedauernswert die soziale
Stellung der Soldatenfrauen damals war, erhellt auch aus der gesetz-
lichen Bestimmung, wonach Soldatenfrauen und Kinder nicht durch
Soldaten zu Grabe getragen werden durften, sondern Bürger diesen
Dienst verrichten mussten. Soldaten durften gar nicht einmal der Leiche
folgen.
Sonderbar mutet es uns heutzutage an, wo ja die Vereidigung der
Rekruten alljährlich mit ganz besonderer kirchlicher und militärischer
Feierlichkeit geschieht, wenn wir in den Aufzeichnungen der alten Feld-
prediger wiederholt lesen, wie diese jüngeren Kollegen und Amtsnach-
folgern den Rat geben, sich zu Eidesvermahnungen an die Rekruten
vor Vereidigung derselben nicht gebrauchen zu lassen. Aber dieser
Rat hatte seinen guten Grund. Denn zahlreich war unter den Ge-
worbenen die Klasse derer vertreten, die schon acht Iiis zehn Boten-
taten den Fahneneid geschworen und ihn ebenso oft gebrocheu
hatten. Auch um der laxen Praxis willen, die der Staat selbst in An-
sehung des Fahneneides durch Einstellung fremder Deserteure in die
eigene Armee übte, konnten gewissenhafte Feldprediger in solcher Ver-
eidigung nichts anderes, als eine Profanation des Eides erblicken.
Man wusste, dass bei der Eidesabiegung allerlei Meutalreservatiouen
gemacht wurden. „So lange wie's dauert*4, oder „von heute bis morgen*1
und dergl. setzten viele leise der Eidesformel hinzu. Nach empfangenem
Handgeld bei der ersten Gelegenheit, die sich bot, zu desertieren, war
das Ziel, dem solche Soldaten uachtrachteten, und das einen unaufhör-
lichen Kampf zwischen Gewalt und List in der Armee unvermeidlich
machte. Um Desertionen zu verhüten, glichen namentlich die au den
Grenzen gelegeneu Städte, wo der Reiz zur Desertion sehr gross war.
belagerten Festungen, so sehr waren sie mit Wachen und Lärmkanonen
umgeben. Trotz aller Wachsamkeit gelang es aber gar manchem, über
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Bilder aus «lern Leben der preußischen Armee im vorigen Jahrhundert. Sil
die nahe Grenz« zu entkommen, um — gegen Empfang neuen Hand-
geldes und Zusicherung der Straflosigkeit von da ans zurückzukehren.
In derartige Traktate Hess man sich also ein. Treubruch beim gemeinen
Mann schändete nicht: wie würde man denn auch sonst in die Reihen
der Armee solche aufgenommen haben, die bereits von mehreren Armeen
desertiert waren! Eine solche Vereidigung durch Gehet und Rede zu
weihen, war ein Amtsgeschäft, dem sich die damaligen Feldprediger
nach Möglichkeit zu entziehen suchten.
Wie auf den niedrigen Stand der allgemeinen Sittlichkeit in der
Armee jener Zeit, so werfen die alten Kirchenbücher und biographischen
Aufzeichnungen der Feldprediger jener Zeit auch manches Schlaglicht
auf den Grad der damals in der Armee vorhandenen allgemeinen
Bildung. Friedrich Wilhelm I. unbestrittenes Verdienst ist es allerdings,
auch hierin seines Volkes Wohlfahrt klüftig gefördert zu haben. Seine
prineipia regulativa oder Gencral-Sclmlplan vom '10. .Juli 17.' »II sind die
ei'Ste (Jrundlage zur allgemeinen Schulbildung in Preussen gewesen.
Darin wird jeder Gemeinde zur Pllicht gemacht, einen Schulmeister zu
halten: aber noch heisst es darin charakteristisch genug: rlst der Schul-
meister ein Handwerker, kann er sich schon ernidnen: ist er keiner,
wird ihm erlaubt, in der Finte sechs Wochen auf Tagelohn zu gehen.44
Wie für die Volksschulen, hielt der König in gleicher Weise — und
dadurch zeichnete sich die preussische Armee vor allen anderen aus —
für die Soldatenkimler eines jeden Regimentes einen Schutmeister oder
Kateclieta, der meistens zugleich Feldküster war. Wir weiden uns aber
nach dem soeben über die Schulineister-Qualilät von damals Bemerkten
nicht wundern, dass das Katechisiuus-Exameu, das mit jedem Soldaten,
der zur Kommunion ging, auch mit deren Frauen, zuvor vom Feld-
prediger abgehalten wurde, nach den darüber in den Militairkirchen-
bücheru vorhandenen Notizen noch recht ungünstige Resultate zeigte.
Der Feldprediger Michaelis heim Regiment von Kalkstein vermerkt im
Jahre 172*.», dass er die grobe Unwissenheit, in der die ihm Anvertrauten
befangen gewesen, als die (Quelle aller ihrer Unordnungen und als
traurige Ursache der Fruchtlosigkeit seines Predigens und seiner übrigen
AmtsverrichtuDgen bei ihnen erkannt habe. Da die meisten Soldaten
nicht lesen konnten, so sei auf sein Betreiben beim Regiment eine be-
sondere Selude errichtet, um denen, die es noch nicht verstanden, das
Lesen und Schreiben beizubringen: wobei sie auch wöchentlich einige
Stuudeu vom Feldprediger im Katechismus unterrichtet waren. Doch
habe die grosse Widersetzlichkeit der Soldaten ihm in seinem Hause
beim Unterricht manche Not und Störung gemacht und sogar bei der
Beichte in der Kirche veranlasst, dass einige dieser Widerspenstigen in
Arrest geführt weiden mussten.
Audi unter den Offizieren bestand damals eine grosse Verschieden-
C*
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Erich Schild in Bitterfeld.
heit wie des moralischen so des intellektuellen Bildungsgrades. Es gab
Offiziere, die einen reichen Schatz von Kenntnissen besassen, selbst über
ihre militairische Sphäre hinaus, und eifrig bemüht waren, sich immer
weiter auszubilden: wir brauchen blos an Hans Karl v. Winterfeld zu
denken, den General und Freund Friedrichs des Grossen, oder an Ewald
von Kleist, den Dichter, der bei Kunersdorf tötlieh verwundet wurde.
Der geistige Bildungsgrad der grossen Mehrzahl aber stand wenig über
Null. Prinz Moritz von Dessau z. B. war General und konute weder
lesen noch schreiben. Absichtlich hatte ihn sein Vater Leopold, der
alte Dessauer, der Exerzieruieister des preussischen Heeres, ohne jeden
Unterricht aufwachsen lassen, um zu sehen, was die Natur ohne mensch-
liches Zuthun aus ihm machen werde. Er selbst, der alte Dessauer, war
von Künsten und Wissenschaften kein Freund; er hasste sie nicht gerade,
er besass sie einfach nicht und begehrte sie nicht. Die Tonkunst allein
machte insofern eine Ausnahme, als er es endlich dahin brachte, die
Melodie des Dessauer Marsches singen zu können, und nach dieser
Melodie sang er nun in der Kirche all' und jede geistlichen Lieder
zum Staunen und Grauen der Anwesenden. Luthers Lied „Ein' feste
Burg ist unser Gott" war ihm besonders wert. Lobend nannte er es
unseres Herrgotts Dragonermarsch. Den Gottesdienst besuchte er häutig
und sprach sich nachher über die gehörten Predigten lobend oder
tadelnd aus. In seiner Loge in der Hofkirche in Dessau hatte er eine
Bassgeige stehen. Bei solchen Stellen der Predigt, denen er besonders
zustimmte, fuhr er mit dem Bogen einmal über die Saiten der Bassgeige
und gab damit dem Prediger gleich während der Predigt eiu hörbares
Zeichen des fürstlichen Wohlgefallens. Auch schickte er ihm für jeden
solcher Basstidelstriche nach dem Gottesdienst als Geschenk eine Flasche
guten Weines. Einst predigte der Geistliche gegen den Luxus, rügte
insonderheit die grosse Kleiderhoflart der Frauen und schloss mit der
Bemerkung: „Zwar werdet Ihr im Stillen denken: unsere gnädigste
Landcsinutter, die Frau Fürstin, macht es ja ebenso; aber der Unter-
schied ist: die hat es dazu, und ihr habt es nicht!*4 Sofort nach diesen
Worten vernahm mau ;ius der lYn>l liehen Loge des Basses Grundgcwalt
in drei urkiäftigen Bogenstrichen, ein Zeichen, da-s dies*' Stelle der
Predigt, wie auch die nachher vom Für-ten !_•■ -]n i deten drei Flaschen
edelsten Weine- darthaten, das ganz besondere Wohlgefallen des alten
Dessaueis erregt hatte.
Bekannt ist sein Gebet vor der Schlacht bei Kesselsdorf. Unter
den Klangen des Dessauer Marsches hatte Fürst Leopold seine Schaareu
ruhig und regelrecht aufmarschieren la^en, obgleich die Feinde ein
heftiges Feuer unterhielten: dann nah in er den kleinen dreieckigen Hut
ab und sprach, andächtig zum Himmel blickend, das merkwürdige Gebet:
„Lieber Hengott, steh" mir heute gnadig bei, oder wenn du mir nicht
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Bilder aus dem Leben der preussischen Armee im vorigen Jahrhundert. 85
beistehen willst, so hilf wenigstens den Hundsföttern, meinen Feinden,
nicht; dann will ich schon allein mit ihnen fertig werden! In Gottes
Namen drauf los!„
Als seine Tochter Luise, Fürstin von Anhalt-Hern bürg, hoffnungslos
daruiederlag, wünschte sie, vor ihrem Ende noch einmal den Vater an
der Spitze seines Regimentes aas den Fenstern ihres Schlosses zu sehen.
Leopold brach also mit seinen Soldaten von Halle nach Bernburg auf;
kaum daselbst eingerückt, warf er sich laut schluchzend zur Erde und
betete voll Inbrunst: „Herr, ich hin kein solcher Lnmp, der dir bei
jeder Hundsfötterei mit Bitten beschwerlich fällt! Ich komme nicht oft,
will auch sobald nicht wiederkommen: so hilf mir denn auch jetzt und
lass meine Tochter gesund werden!" Darauf liess er die Truppen im
Schlosshofe vor den Augen seiner totkranken Tochter ihre Uebungen
machen: dann, während das Regiment gespeist wurde, setzte er sich auf
das Geländer der Saalebrücke und weinte bitterlich. —
Charakteristisch für jene Zeit ist die Art und Weise, wie der alte
Dessauer einst die erledigte Feldpredigerstelle seines Regimentes besetzte,
denn damals hatte der Chef des Regimentes das Recht der Wahl des
Feldpredigers für sein Regiment. Fürst Leopold sass einst in Halle,
dem Garnisonort seines Regimentes, zur Winterszeit in seinem Zimmer
am Ofen, nur mit dem unentbehrlichsten linnenen Gewände bekleidet,
um desto behaglicher die Wärme zu gemessen. In dieser Situation
empling er einen Kandidaten, der sich persönlich bei dem Fürsten um
die Feldpredigerstelle seines Regimentes bewerben wollte. Der alte
Dessauer sagte ihm: „Erst nuiss ich wissen, ob er seine Sache aus dem
Grunde versteht. Denke er sich, ich sei das verstockteste Subjekt im
Regiment und er solle mir das Gewissen rühren. Genir' er sich nicht,
sondern spreche er frei von der Leber weg!u Der Kandidat, der lange
als flotter Bursche in Halle studiert hatte, trat hinter einen Stuhl und
•schleuderte zunächst dem Fürsten als Einleitung eine solche Salve aus-
erlesener Srhimpfwnrte an den Kopf, «lass der alte Murrkater (so nannten
ihn seine Soldaten) dabei sichtlich unruhig wurde. Dann sprach er
weiter über die Verderbenstief«', in die der Sünder geraten, mahnte ein-
dringlich zur Müsse und Umkehr, und schloss mir dem trostlichen Hin-
weise auf die rettende Gnade Rottes, die auch dem verlorensten
Menschen noch in suchender Liebe nachgehe. Hierdurch wurde der
alte Dessauer so gerührt, dass er helle Thrünen vergoss. Durch das
laute Sprechen war aber die Frau des Fürsten, seine Anneliese, im
Nebenzimmer aufmerksam geworden, öffnete die Thür und sah mit
Staunen die seltsame Sceue. Der Fürst, in Verlegenheit gesetzt durch
das [»lötzliche Erscheinen seiner Frau, sprang auf und donnerte dem
Kandidaten zu: „Nun halte er aber sein Maul, sonst glaube ich wahr-
haftig noch selber, das ich solch ein Schuft bin, wie er aus mir gemacht
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Krieh Srhiltl in BitkrfeM.
hat. Im Uebrigen aber hat er seine Sache gut gemacht und soll die
Feldpredigcrstelle haben
Ein Original in kirchlicher Beziehung war auch der Kürassier-
general v. Reppert unter Friedrich dein Groden. Wenn an hohen Fest-
tagen das „Herr Gott, Dich lohen wir" angestimmt .wurde, sang er das-
seihe stehend mit. nahm den Federhut unter den Ann und legte die
Hand au seinen Pallasch. In seiner besonderen Vorliebe aber für die
Kavallerie verwandelte er, um seinen Herrgott ganz besonders zu ehren,
die in diesem Gesäuge vorkommende Stelle: „Die ganze werthe Christen-
heit rühmt dich auf Erden allezeit"1 in die Worte: „Die ganze werthe
Christenheit rühmt dich zu Pferde allezeit', und legte auf die Stelle
„zu Pferde** einen ganz besonderen Nachdruck mit seiner mächtigen
Stimme, die dann die Stimmen der übrigen Kirchcnhesucher übertönte.
Sonderbar sind ferner manche Predigtdispositinen der «guten alten
Zeit*4. So eine über die Stelle Psalm 147, 10 und II: „Per Herr hat
nicht Lust an der Stärke des Kosses, noch Gefallen an Jemandes Beinen:
er hat Gefallen an denen, die ihn fürchten, die auf seine <iüte hoffen.4.
Daraus wird zunächst das Thema abgeleitet: „Des Herrn Missfnllcn
an der Armee*. Theil 1: Sein Missfallen au der Infanterie, denn er
hat nicht Lust an Jemandes Beinen. Theil II: Sein Missfallen an der
Kavallerie, denn er hat nicht Lust an der Stärke des Kosses.
Jene streng etikettös gliedernde Zeit, in welcher das bürgerliche
Leben durch zahllose kleine Regeln eine gewisse, gegen die Ungebunden-
heit der Gegenwart merklich abstehende, unveränderliche Festigkeit ge-
wonnen hatte, wo die Glückwünsche, die Trinkgelder ihre vorgeschriebene
Form und genau bestimmte Grösse hatten, wo es bräuchlich war, in
festen Zwischenräumen seine Besuche zu machen, seine Rechnungen zu
bezahlen, an bestimmten Tagen zu purgiren und zur Ader zu lassen —
jene pedantisch steife Zeit hatte auch für die höflichen Anreden im
persönlichen und brieflichen Verkehr die denkbar schwülstigste Form
zur Pflicht gemacht. So findet sich z. B. ein Brief eines Feldpredigers
mit einer ganz unbedeutenden amtlichen Mitteilung; aber die Anrede
lautet : „Hoch Wohl Er Würdiger Hochgelehrter Amts Bruder, Besonders
llochzuverehrender Herr4*, und der Schluss: „Habe die Ehre mit aller
ersinnlicheu Hochschätzung zu sein Euer Hoch Wohl Ehr Würden
Ergebenst Gehorsamster Diener N. N." Die cei emouielle, streng gliedernde
Etikette setzt sich fort Iiis iu die Kirche und den Empfang der Sakramente.
So ein Offizierhaus von damals, besonders in den vornehmeren „Renther*-
Regimentern, muss ein förmlich kleiner Hofstaat gewesen sein. Zur
Kommunion kommt gewöhnlich das ganze Haus, wird aber in sorg-
fältiger Abstufung in den Kirchenbüchern aufgezählt: Erst des Herrn
Oberstlieutenants oder Rittmeisters von X. N. Gnaden, dann Hoehdero
Frau Gemahlin Gnaden, dann die Bedienung: zuerst die zahlreiche weib-
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Bilder aus dem Leben der preussiscben Armee im vorigen Jahrhundert. 87
liehe: Cammer-Fräulein bei lhro Gnaden, Dienstmägdehen ibidem, selbst
Kinderfrau und Amme werden gewissenhaft aufgezählt; dann die noch
grossere Zahl der mannlichen Dienerschaft: der Koch, der Jäger, der
Kutscher, der Rentknecht, der Yorreuter und ausserdem noch vielfach
drei bis fünf Bediente. Auch für die Frauen besteht eine genaue Ran-
gierung und Titulatur. Die Frauen der Offiziere werden stets „des
Herrn Oberst u. s. w. von N. N. Frau Gemahlin Gnaden" genannt, die
Frauen der Personen des sogenannten Unterstabes stets „dessen Frau
Eheliebste", oder auch nur „Frau Liebste**; beim Regimentspauker und
Stabstrompeter heisst es schon „dessen Frau"; die »Soldatenfrauen
endlich werden summarisch unter einem neuen Strich als „Frauens-
personen** oder „Frauen*4* aufgeführt, und zwar entweder „Hottmännin,
Müllerin" ja sogar „Trompeterin Schulzin", oder „Sehrödersche, Müller-
sche" u. s. f. Streng ist auch im Kirchenbuch und in den Kommuni-
kantenlisten von den Uebrigen abgesondert der Profoss und sein „Weib",
weil er als halb unehrlich galt. — Die strenge Etikette wird selbst auf
die neugeborenen Kinder übertragen. Während die Taufe eines »Soldaten-
kindes kurz und bündig notirt ist, heisst es mit. vielen Umschweifen
z. B.: „Den fünften Maji sind des Herrn von N. N. Frau Gemahlin
Gnaden mit einer Fräulein entbunden, welche den sechsten Maji durch
das Bad der heiligen Taufte Christo zutjeführet worden. Der Name, so
der Fräulein in der Taufe beigeleget worden, ist N. i\V
Kleine Stereoskop-Bilder sind dies alles nur, und doch, verehrte
Anwesende, sie spiegelu getreulich den Charakter der Zeit wieder, jener
„guten, alten Zeitu mit viel naturwüchsigem, originellem Leben, aber
auch mit viel Unnatur, Schnörkelei und Zopf, mit viel Hoheit der Sitte
unter der Tünche der Galanterie. Ich verstehe es nicht, wie man sich
nach dieser guten alten Zeit zurücksehnen kann. Ich glaube: Was wir
zurücksehnen aus der Vergangenheit, das kennen wir nicht genug, und
war wir haben an der Gegenwart, das würdigen wir nicht genug.
Hätte unsere Zeit uns auch nur dies Eine gebracht, die Erfüllung dessen
was einst schon dem Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I. als zu er-
strebendes Ziel vorschwebte, da er sagte: „Kein Franzose soll über uns
Deutsche gebieten und meinen Kindern will ich Degen und Pistolen in
die Wiege geben, dass sie die fremden Natiouen aus Deutschland helfen
abhalten", nur dies Eine, dass wir jetzt durch Gottes Gnade wieder ein
deutsches Reich haben stark und mächtig wie noch nie, „eins nach
aussen, schwertgewaltig, um ein hoch Panier geschaart, innen reich und
vielgestaltig, jeder Stamm nach seiner Art'*, — dass Berlin, die Metro-
pole des evangelischen Deutschlands, die preussische Königsstadt, zu-
gleich unsere glorreiche Kaiserstadt, unsere Keichshauptstarlt ist, die es
predigt mit der ehernen Schrift ihrer Monumente, mit dem kriegerischen
Glänze ihrer alten und neuen Trophäen: „Gott hat Grosses an uns
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88
Erich Schild in Bitterfeld.
gethan, dess sind wir fröhlich!", — ich sage, verehrte Anwesende, wenn
wir nur dies Eine vor jener Generation voraus hätten, so stände da-
durch schon unsere Zeit unendlich hoch über jener guten alten Zeit.
Aber vergessen wollen wir nicht : was wir jetzt als reife, reiche Frucht
gemessen, das ist gewachsen und gereift allmählich, langsam am Baume
des Volkslebens und der nationalen Erziehung durch Jahrzehnte und
Jahrhunderte. Auch die gute, alte Zeit hat ihr gutes altes Verdienst
daran, sie hat die Grundlage zu den grossen nationalen Erfolgen in
harter Arbeit und strenger Erziehung des Individuums wie des Volkes
geschaffen. Ohne den Corpora Istock seines Vaters hätte Friedrich der
Grosse schwerlich unsterbliche Lorbeeren um seinen Feldherrnstab winden
können.
Und so gestatten Sie denn, dass ich Ihnen noch in kurzen Worten
einen Mann aus der fridericianischen Zeit vorführe, aus der Zeit, wo,
was bis dahin äussere Dressur gewesen war in der Erziehung des
Heeres, durch die Macht der Persönlichkeit des grosseu Friedrich an-
fing, sich in inneren Trieb, den Trieb freier Begeisterung umzuwandeln ;
einen Mann, dem in dem Lorbeerkranze unserer Geschichte auch ein
Blättchen gebührt, der auch seinen Nagel hat im Schaft der preussischen
Fahne, der insonderheit vor der „Brandenburgia" genannt zu werden
verdient, insofern er in der Kurmark Brandenburg nach seinem Aus-
scheiden aus dem Heere gewirkt hat und da auf stillem Dorfkirchhof
auch begraben liegt. Sein Tagebuch — nach dem Urteil Leopold von
Ranke's ein wichtiger Beitrag zur Geschichte des ersten schlesischen
Krieges — gewährt uns ein getreues Bild des Campagnelebens eines
fridericianischen Feldpredigers, dem es weder an Interesse für die Er-
eignisse fehlte, unter denen er lebte, noch an scharfer Beobachtungsgabe
und treffender Beurteilung der Leute, mit denen er in Berührung kam.
Wer überdies gern einen Blick thut in ein gesundes Christenthum, fern
von allem Kopfhängerischen, in eine reine Seele, in ein wahrhaft frommes
Gemüt, das nichts ahnte von der Öffentlichkeit, der nach mehr als
hundert Jahren seine Ergiessungen übergeben werden sollten, der lese
das Tagebuch dieses Mannes, des weiland preussischen Feldpredigers
Seegebart, das im Jahre 1849 einer seiner Nachkommen in den Druck
gegeben hat.
In der Schlacht bei Chotusitz am 17. Mai 1742 war das Regiment
des Erbprinzen Leopold von Dessau bei dem Sturm auf Chotusitz be-
sonders hart mitgenommen worden und hatte an Offizieren wie an
Mannschaften überaus starke Verluste erlitten. Vor der Schlacht zählte
das Regiment 1400 Mann, nach derselben 400. Ueber diese Bataille
brachte einige Wochen später die „Hallische Zeitung" Nr. LVII. vom
31. Mai 1742 einen Artikel, in welchem es unter anderem heisst: „In
der Aktion ereignete sich dieses Sonderbare, dass, als Anfangs etliche
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Bilder aus dem Leben der preussischen Armee im vorigen Jahrhundert. $9
unserer Eskadrons auseinander gesprengt wurden, sich ein wohlgebildeter
Mensch, der aber nicht vorn Militairstande war, mit dem Degen in der
Faust einfand, die Offiziere und Gemeinen aufs Beste enkouragirte und
mit solcher Hitze dem Feiud, der uns in den Rücken fallen wollte, ent-
gegenging, dass dieser dreimal repoussiret und dadurch der beste Teil
unserer Bagage, auch vieler hundert Menschen Lehen, gerettet ward.
Man sagt, Ihro Majestät haben dem Unbekannten, weil er keine Kriegs-
bedienung annehmen wollen, ein Kanonikat von 5(K> Reichsthaler jähr-
licher Hebung geschenkt."
Das Volk aber erzählte sich in der Folge, es sei in der Hitze des
Kampfes ein schwarzer Mann im dichtesten Gewühl erschienen, habe in
ausgezeichnet tapferer und besonnener Weise die Zersprengten gesammelt
und wieder ins Gefecht gebracht, und sei nachdem er so durch seine
Geistesgegenwart und Furchtlosigkeit wesentlich zum Gewinn der Schlacht
beigetragen, nach erlangtem Siege ebenso plötzlich wieder unsichtbar
geworden, als er gekommen.
Der unbekannte Held und schwarze Mann gab sich bald in einem
Schreiben an den Professor der Theologie Dr. Michaelis in Halle als der
Feldprediger J. F. Seegebart des Hochfürstlich Erbprinz Leopoldschen
Regiment Infanterie zu erkennen, jenes von mir schon genannten Regi-
mentes Anhalt, das beim Sturm auf Chotusitz so schwere Verluste er-
litten hatte. Leopold v. Ranke in seiner Darstellung der Schlacht bei
Chotusitz erwähnt auch Seegebarts wackeres Benehmen mit den Worten:
„Hier war es, wo jener Feldprediger, dessen wir zuweilen gedachten,
sich unter die Weichenden mischte und mitten in dem Kleingewehrfeuer,
das ihn umsauste „„wie Mückensch wärme" durch die wohlbekannte
vertraute Stimme, welche die Gemüter oft zu guten Entschlüssen an-
geregt hatte, die Rotten zum Stehen brachte."
Der Brief Seegebarts, in welchem er dem ihm befreundeten Prof.
Michaelis in Halle über seinen Anteil an der Schlacht bei Chotusitz
Bericht giebt, befindet sich gegenwärtig abschriftlich in einem „Rare
alte Papiere* betitelten Hefte des Königliehen Kriegsministeriums in
Berlin. Wie Seegebarts von mir schon kurz besprochenes Tagebuch so
zeugt auch dieser Brief von einer edlen anspruchslosen Bescheidenheit und
einem frommen, Gott ergebenen Sinn. Nachdem Seegebart in ihm zueist
von dem Aufmarsch der beiden Heere und der Schlacht im Allgemeinen
gesprochen, fährt er fort:
„Unser Regiment marschirte gegen 1400 Mann stark in die Schlacht
hinein, ist aber jetzo noch nicht 4(X> Mann stark. Die Rekruten vom
hiesigen Lande sind während der Aktion fast alle entlaufen. Der ganze
Verlust an Todten, davon auf dem Platze gegen 7Ö0 gezählt worden,
Blessirten und Verlaufenen erstreckt sich beinahe auf 2(XK) Mann laut
einer Liste, die jetzo gemacht worden, mag aber wohl etwas mehr sein.
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90
Fricb Schild in Bitterfeld.
Der Verlust der Oesterreicher ist stärker, und hat ein feindlicher in
unser Lager geschickter Trompeter ausgesagt, dass sie an 61KM) Mann
verrnissten.
Ks ist ein lamentabler Anblick, die Erschlagenen und Blessirten
auf dem Wahlplatze liegen zu sehen. An manchen Stellen liegen sie so
dick, dass man in einem Kaum, dergleichen Ihr Wohnzimmer ist, wohl
JM Personen findet, die ihr Lehen verloren. Tch bin den Platz (le champ
de bataille) mehr als einmal durchgeritten. Ein blessirter Oesterreicher
bittet nach der Aktion einen unserer Offiziere, er mochte ihm doch das
Leben nehmen (welches einige auch von mir verlangt haben): da dieser
ihm aber sagt, dass dergleichen nicht geschehen dürfte und er in «lieser
Hinsicht noch Gottes Gnade suchen sollte, so entgegnete jener: Wenn
auch bei Gott für alle Menschen Gnade wäre, so wäre doch für ihn
keine, denn er wäre ein gar zu grosser Sünder.
Bei dieser Aktion habe ich mich für meine Person auch etwas
exponiert, wenigstens so viel, als man immer von meinesgleichen er-
fordern kann. Die Sache ist beim König, der Generalität, ja der ganzen
Armee bekannt geworden, und man redete in den ersten Tagen selten
von dem Siege, den uns Gott gegeben, dass man nicht meiner gedachte.
Wenn ich ein Narr wäre, so hätte ich die beste Gelegenheit gehabt,
mich aufzublasen. Der König hat mir durch unseren Prinzen ein sehr
gnädiges Kompliment machen und mich versichern lassen, ich sollte die
beste Pfarrstelle in allen seinen Landen haben, wozu der Prinz hernach
hinzugesetzt: Wenn das nicht geschähe, so wolle er mir die beste in
seinem Fürstentum geben, denn ich hätte in der Bataille nicht nur wie
ein Prediger, sondern auch wie ein braver Manu gethan. Soll ich Ihnen
sagen, worin diese Bravour bestanden, so will ich Ihnen mit folgendem
dienen:
1. Ich Inn in der Aktion und zwar an dem Orte, wo es am
hitzigsten und so hitzig, als es in der Welt nur möglich ist, zuging,
hinter meinem Regiment geblieben, wo die Kanonen und Musketenkugeln
über meinen Kopf gleichsam wegregneten. Ich hatte eine kleine Deckung
vor mir, die durch einen Hohlweg gebildet wurde.
'2. Als unser Regiment retirirte und zum Teil mit feindlicher
Kavallerie und Grenadieren gemischt war, jagte ich spornstreichs hin
und wieder durch dasselbe und redete den Burscheu und Offizieren be-
weglich und notabene recht ernstlich zu, dass sie sich wieder setzen
und lassen sollten. Einige schrien mich gleich an mit einem lauten
.la! und waren bereit und willig, wurden aber von der andringenden
Macht verhindert, kamen aber doch wieder zu stehen, und das ganze
Regiment saute, auch der Prinz selbst in Gegenwart aller Prinzen von
der Armee, als ich ihn den Tag nach der Bataille vor dem Hauptquartier
sprach, mit vieler Grazie: ich hätte vieles dazu beigetragen. Als ich
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Bilder aus dem Leben der preussischen Armee im vorigen Jahrhundert.
Ol
dieses that, flogen mir die Kugeln so dick um den Kopf, als wenn man
in einem Schwann sausender Mücken stehet, doch hat mich, Gott Lob,
keine auch nicht einmal den Rock, verletzt. Ein Barsch hat mein Pferd
in diesem Lärm mit einem Bajonett todtstechen wollen, aber ein anderer
hat es ihm weggeschlagen per providentiam Dei: dorh meine Lebhaftig-
keit trieb mich damals zu noch mehreren! an.
Denn ich sammelte einige Eskadrons Kavallerie, die in Konfusion
waren, vom linken Flügel, brachte sie in Ordnung und sie attaquirten
auch in meiner Gegenwart die feindliche Kavallerie und repoussirten sie.
Ich war so dreist, dass ich mich zu den Generalen und Christen machte,
sie bei der ITaml fasste und im Namen Gottes und des Königs bat, ihre
Leute wieder zu sammeln. Wenn dieses geschehen, so jagte ich hin
und wieder durch und trieb die Leute dahin, wo sie wieder sich zu setzen
antingen. Ich brauchte allerlei Beredsamkeit und man folgte mir in allen
Dingen. Ich wundere mich nur, dass die grossen schweren Pferde meinen
kleinen Fuchs nicht zertreten haben, aber es schien, als wenn alles vor
mir auswiche und mir Platz machte. Ich that und redete als ein Feld-
marschall und bemerkte augenblicklich die Impression von meinem Zu-
reden und meinen Vorstellungen an der Leute Geberden und Gehorsam.
Ecee providentiam! Mein Gemüt war Gott ergeben und in einer guten
Fassung, und ich habe in eigener Erfahrung damals gelernt, dass das
Christentum resolut und mutig macht auch in den verworrensten Be^
gebenheiten.
4. Noch eiumal sammelte ich einen grossen Haufen fliehender
Kavallerie, zum Teil von unserem linken und rechten Flügel, wohl eine
Viertelmeile von champ de bataille, welches mir wohl grosse Mühe
machte, aber endlich doch gelang, und führte sie zurück bis an den ge-
dachten champ, wo sie auch sogleich, weil sich die Bataille indess
geendet, dem Feinde nachging und ihn verfolgte. Die Kavallerie, so ich
gesammelt und die sogleich auf meine Vorstellung wieder zu agiren an-
fing, ist über ^0 Eskadrons stark gewesen. Gott sei gelobt, der mir
Davids Mut und Sinn gegeben! Mir däucht nicht, etwas gethan zu
haben, so meinem Amte unanständig wäre. Wahres Mitleid mit den
Verjagten und Verfolgten und die starke Tinpression von meinem Amte
als Feldprediger hat mich dazu vermocht. Habe ich zu viel gethan, so
habe ich es Gott und dem Könige gethan."
Dass der König unter dem ersten Eindruck, den das heldenmütige
Benehmen des Feldpredigers auf ihn gemacht, diesem eine „Kriegs-
bedienung", nämlich die Stelle eines Hauptmanns und Kompagnie-Chefs
habe anbieten lassen, hat sich bei Seegebarts Nachkommen als Familieu-
erzähluug erhalten, deren Quelle die eigenen durchaus glaubwürdigen
Aeusserungen Seegebarts sind. Diese Quelle ist um so zuverlässiger,
als ausdrücklich bemerkt wird, Seegebart habe nur selten und gezwungen
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Erich Schild in Bitterfeld.
davon gesprochen; teils weil er überhaupt ein ungemein bescheidener
und anspruchsloser Mann war, teils aber auch wohl, weil er später zu
der Ansicht gekommen sein mochte, er habe bei Chotnsirz für einen
Geistlichen „etwas zu viel gethan." Die Angabe der Halleschen Zeitung
vom M. Mai 174:?, dass „der Unbekannte" keine Kriegsbedienung habe
annehmen wollen, iindet sich auch in „Geschichte und Thaten des
Printzen Leopold* auf Seite 143. Dieselbe Angabe soll auch enthalten
sein in einer handschriftlich zu Stendal vorhandenen Geschichte des
1715 errichteten Regiments Prinz Leopold (später von Knobelsdorf),
desselben Regimentes, bei welchem Seegebart Feldprediger war. Endlich
hat sie v. Orlieh, Gesch. der Schles. Kriege 1., 2 )1 Anmerk , aufgenommen,
sodass die Sache hinreichend beglaubigt erscheint.
König Friedrich II. gab Seegebart, der seine Feldpredigerstelle etwa
zwei Jahre verwaltet und sie bald nach der Schlacht bei Chotusitz
niedergelegt hat, als Belohnung die Pfarrstelle zu Etzin in der Kurmark
bei Brandenburg. Der Freundlichkeit des früheren Pastors in Etzin Herrn
E. Duchstein verdanke ich die Mitteilung, dass Seegebart diese Pfarstelle
durch Kabinetsordre vom 7. .Funi 17-^2 bekommen hat und am 2. Sept.
desselben Jahres dortseihst eingeführt ist. Mit Eifer und Liebe hat er
hier unter seinen Pfarrkindern gewirkt. An Wochentagen hielt er im
Pfarrhause Erbauiingsstunden sowohl für Kinder als für Erwachsene.
Die weitläufige Pfarrwirtschaft führte er selbst, verbesserte mancherlei
in derselben und machte sie durch seine Betriebsamkeit, wie die von
ihm geführten Register beweisen, ungleich einträglicher als sie früher
gewesen. Den Pfarrgarten hatte er ganz verwildert überkommen: er
pflanzte die besten Obstsorten an und hatte die Freude, schon im
zweiten Jahre einige Früchte davon zu ernten. So oft er ein so günstiges
Ergebnis seines Fleisses in seinen noch vorhandenen Rechnungen zu
vermerken hatte, versäumte er ni«-ht, in einfachen Worten einen kurzen
Dank an Gott auszusprechen.
Seegebart hat kein hohes Lebensalter erreicht. Er war am
14. April 1714 im Magdeburgischen geboren, hatte seine theologische
Bildung in Halle empfangen und starb bereits am 20. Mai 1752, also
wenig über öS Jahre alt, wie das Etziner Kirchenbuch sagt an einer
auszehrenden Krankheit. Seinem Tagebuche hat er das Motto vorgesetzt:
Quo me ('briste trahas, quo retrahasque, se<pior. Nach seinem Bilde,
das in der Kirche zu Etzin hängt, hatte er freundliche Züge, aber ein
etwas schwindsüchtiges Aussehen. Verheiratet war er (wahrscheinlich
seit Ostern des Jahres 1748, denn seine Frau kommt zuerst am
iiO. April 1743 als Taufzeugin vor) mit einer Tochter des Konsistorial-
rats und ersten Dompredigers in Magdeburg Christoph Sucro. Aus
dieser Ehe wurden vier Kinder geboren, das vierte nach des Vaters
Tode.
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Bilder aus dem Leben tler preussisclien Armee im vorigen Jahrhundert.
Der Leichenstein Seegebarte auf dem Kirchhofe in Etzin zeigt
einen Engelskopf und eine aufgeschlagene Bibel. Die Inschrift des
Steines lautet:
„Mein Leser! Hier ruhen in Hoffnung die dem Tode getrost
anvertrauten Gebeine des weiland Hoehwiirdigen und Hochgelehrten
Herrn Joachim Friedrich Segebartlr — der Name ist. hier unrichtig
geschrieben. — „Das Prinz Leopoldsche Regiment und die Etziifsche
und Knoblauchzehe Gemeinde14 — Knoblauch war Kilial der Etziner
Pfarre — „rühmen noch seine wahre Gottesfurcht und seltne
Redlichkeit. Daher war er freudig vor Gott, liehreich vor Menschen,
sorgfaltig im Amt, demüthig bei seiner Gelehrsamkeit. Von seinein
geistligen Amt zeugen viel lebendige Briefe, von seinem Christen-
tum die durch das Leben bethätigte Lehre, von seiner Menschen-
liebe die vielen Thränen, von seiner vergnügten und gesegneten
Ehe weint seine verwittwete Christiane Elisabeth Sucroin und seine
vier verwaiseten Ehepfänder. Er betrat diesen mühseligen Schau-
platz 1714 den 14. April. Er bezog die stolzen Wohnungen der
Ewigkeit 1752 den 2b. M,ti. Leser! Schaue sein Leben an und
denke an seinen Tod. Betrachte seinen Glauben und ahme ihm
nach. Sein freudiger Hingang mache dir die Ewigkeit süss!* —
Der Text zur Standrede war Daniel 12 Vers o: „Die Lehrer aber
werden leuchten wie des Himmels Glanz und die, so viele zur Gerechtig-
keit weisen, wie Sterne immer und ewiglich."
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Die Bevölkerung Brandenburgs vor der
sjawischen Zeit.*)
i.
Von Otto Pniower.
Ich schicke voraus, dass ich den Begriff Brandenburg nicht im
administrativen Sinne nehinc. sondern im historischen d. h. ich habe
hei meinen Erörterungen nicht bloss die heutige |'ro\ inz Brandenburg
im Siinu», sondern mich das Land, das jetzt zwar zur Provinz Sachsen
gehört, das einst aber hrandenburgiseh war unil sogar als die eigentliche
Wiege des Brandcnburgisch-Preussischen Staates anzusehen ist: ich meine
die alte, Albrecht dem Bären vom Kaisur Lothar verliehene Xordmark,
die heutige Altmark.
Von welchen Menschen diese»' Ländereomple\ von unvordenklichen
Zeiten bis zum Eindringen der Slawen bewohnt war, will ich zu zeigen
versuchen. Dabei wird freilich die älteste Epoche, in die uns lediglich
die erhaltenen Altentümer Einblick gewähren, nicht annähernd in dem-
selben Masse Berücksichtigung linden, wie die späteren Perioden, in die
schon das wenn auch spärliche Licht der Geschichte fällt. Der Grund
davon ist zunächst ein individueller und persönlicher, insofern meine
Studien nach dieser Richtung hin nicht eben weit gediehen sind. Daun
ist man aber auch, soviel ich sehe, entsprechend der Jugend der W issen-
schaft, in der Erforschung der Altertümer noch nicht so weit vor-
gedrungen, dass mau aus der Art und Beschaffenheit der Eundc
zwingende Schlüsse auf den Charakter oder gar die Nationalität der
Bewohner ziehen könnte.
In der Einleitung zu dem Werk „Vorgeschichtliche Alterthümer
aus der Mark Brandenburg" bemerkt Voss (S. 7), dass sich über die
Nationalität der Menschen, die in der sogenannten neolithischen Periode
*) 1). A. in den Nachweisen bedeutet Deutsche Altertumskunde von Karl
Möllenhoff. (Berlin 1870 -W) 1 lide.) Z. f. tl. A. bedeutet Zeitschrift fOr deutsches
Altertum. Zeuss. D Deutschen und die Naehbaratkmme v. Knspar Zeu*<». München 1S:17.
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Die Bevölkerung Brandenburgs vor der slawischen Zeit I.
unsere Mark bewohnten, nichts bestimmtes aussagen lasse. Nur, meint
er, sei vielleicht ein ethnologischer Unterschied bemerkbar zwischen den
den nordwestlichen und westlichen Teil des Landes innehabenden Bewohnern
und denjenigen, die im östlichen und südöstlichen Teile süssen. Jene
zeigen sich in der Höhe ihrer Kultur, in der Fonnengebung ihrer Werk-
zeuge und Geräte, sowie in der Totenbestattung den gleichzeitigen Nachbar-
völkern in Skandinavien und Nordwestdeutschland verwandt, diese
neigen mehr zu den östlichen und südlichen Völkern. Doch reiche /.u
einer wirklichen Entscheidung auch dieser Frage das Material nicht aus.
Mit mehr Sicherheit liisst sich ein Bild der Kultur jeuer ältesten
Bewohner unserer Heimatprovinz geben. Sie waren keineswegs so wild
und barbarisch und tierähnlieli, wie der moderne Kulturmensch in einer
Art Selbstgefälligkeit anzunehmen geneigt ist. Sie besassen nicht nur
die Fertigkeiten Knochen zu bearbeiten und Geräte aus ihnen herzu-
stellen, sowie die Steine zu behauen, zu schleifen, zu polieren und
zu durchbohren, sie waren nicht nur in der Töpferkunst recht vor-
geschritten, sondern sie Messen sich bei ihren Arbeiten auch schon von
aesthetischen Bedürfnissen leiten. Sie kannten nicht bloss das Nützliche,
sondern sie suchten auch das Schöne, und das Streben ihren Geräten
eine zierliche Form zu geben ist unverkennbar. Sie trieben einen durch-
aus nicht allzu primitiven Ackerhau, daneben Viehzucht. Mit ihren
Nacbbareu unterhielten sie Handelsbeziehungen. Ob sie Nomaden oder
sesshaf't waren, steht nicht fest.
Sehr wahrscheinlich sesshaf't dagegen waren die Bewohner unserer
Provinz in dem sogenannten Bronze-Zeitalter. Ihre Kultur entsprach
mindestens der Höhe derjenigen ihrer Vorfahren. Ucbcrlcgcn waren sie
ihnen in der Handhabung der Weberei, in der sie eine grosse Geschicklich-
keit besassen. Darauf lassen die Stoffe schliessen, die man in Gräbern
dieser Zeit zwar nicht in Brandenburg selbst, aber doch in Jütlaud ge-
funden hat, einem Laude, dessen Bewohner denen unserer engeren
Heimat zweifellos stammverwandt waren. Auch in Dänemark und
Mecklenburg fand mau solche auf eine hoch entwickelte Webekunst
deutende Stoffe. Und die Bewohner auch dieser Länder, namentlich
Mecklenburgs, waren offenbar derselben Nationalität wie diejenigen unserer
Provinz. Diesen unseren Vorgängern muss auch bereits die Kunst der
Töne das Leben verschönt haben. Wenigstens gestatten diese Annahme
hörnerartige, zum teil oder ganz aus Bronze verfertigte Trompeten, die
man in Dänemark und Mecklenburg gefunden hat und dieser Zeit zu-
schreiben muss. Sonst liisst sich eine Vorliebe für glänzenden, kunst-
vollen Schmuck, für prunkvolle Waffen nicht verkennen. Freilich werden
nur die durch Macht und Reichtum Ausgezeichneten in der Lage gewesen
sein, derartige Gegenstände zu besitzen.
Aber welcher Nationalität war denn diese Bevölkerung- des Bronze-
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Otto Pniower.
Zeitalters? Auch auf diese Frage kann die Forschung nicht mit der
wünschenswerten Zuversieht antworten. Die physische Anthropologie
kann zur Bestimmung dieses Punktes nicht herangezogen werden, da die
in dieser Zeit in unserem Lande herrschende Sitte des Leichenhrandes
ihr alles Forschungsinaterial entzogen hat und der einzige, aus dieser
Zeit uns aufbewahrte, bei Bredow, unweit Nauen im Torfmoor gefundene
Schädel (a. ;i. O. S. '. ) zu einer derartigen Feststellung natürlich nicht
ausreicht*). Sprachliche Reste liegen gleichfalls nicht vor. Was bleibt
da anders übrig, als zu versuchen durch vorsichtiges Rückschliesseu
aus Momenten der späteren historischen Zeit zu einer gewissen Wahr-
scheinlichkeit der Annahme zu gelangen? Und das scheint auch noch
ganz gut möglich.
Voss setzt den Beginn der Bronzezeit in der Mark ins sechste bis
fünfte Jahrhundert vor Chr. Geburt. Um 40U v. Chr. erreichten aber
die von Osten nach Westen sich ausdehnenden Germauen, die bis zu
dieser Zeit westlich bis zur Weser reichten, den Rhein und veranlassten
durch ihr Vordringen die gewaltige keltische Bewegung, die damals
einen grossen Teil von Europa erschütterte und unter amlerm zu der
Schlacht an der Allia führte, in der die Römer von den Galliern unter
Bremms besiegt wurden. Nun lag der Ausgangspunkt «ler Germanen
in Deutschland, wie wir gleich sehen werden, in dem Lande zwischen
Oder und Elbe uud da wir uns ihr Vorrücken in Verstössen von gewiss
nicht geringen Zwischenräumen vorzustellen haben, so wird die Ver-
mutung, dass zwei Jahrhunderte vor dieser Zeit Teile dieses Volkes im
heutigen Brandenburg, diesem Ursitze der Nation, gesessen haben,
sicherlich nicht gewagt erscheinen. Also Germanen waren höchst
wahrscheinlich die Menschen, die im Beginne des Bronzezeitalters dieses
Land bewohnten.
Wenn ich sagte, dass die Germanen um 400 v. Chr. den Rhein er-
reichten, so hatte ich dabei die grandiose Hypothese Karl Möllenhoffs im
Auge, die er im zweiten Bande seiner Deutscheu Altertumskunde entwickelt
hat. Verwirft man sie, dann wird dadurch unsere Folgerung nicht nur
nicht erschüttert, sondern sie besteht dann nur um so besser. Wenn
die Gennaneu nämlich nicht um 41)0 v. Chr. zum Rhein vordrangen, so
kann es nur in einer früheren Zeit geschehen sein. Je geringer aber
der zeitliche Abstand zwischen diesem Ereignisse und jenem Termin an-
genommen wird, der nach Voss für den Beginn des Bronzezeitalters iu
unserem Lande zu gelten hat, um so höher wird die Wahrscheinlichkeit,
dass in jener Epoche ein vom Rhein so weit abgelegenes Land wie
Brandenburg auch schon von Germanen bewohnt war.
*) Mehrere Schädel sind inzwischen auf einem der jüngeren Bronzezeit an-
gehörigen Urnenfeld bei Havelberg gefunden worden. Doch sind sie noch nicht
untersucht. ZUchr. f. Ethnologie 20, 367 f.
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Die Bevölkerung Brandenburg« vor der slawischen Zeit.
97
Eine andre Frage ist, ob diese Bevölkerung dieselbe ist wie diejenige,
die wir im weiteren Verlauf des Bronzezeitalters, als die Geschichte des
Landes eben aufzudämmern beginnt, hier ansässig finden. Wir kommen
darauf später zurück.
In der Zeit, als die Germanen in die Weltgeschichte eingetreten
waren, als ihre Beziehungen zum Schauplatz der antiken Geschichte, dem
Abendlande, nicht mehr auf den Handelsverkehr beschränkt waren, als
sie vielmehr schon politisch in sein Geschick eingritfen, in dieser Zeit
wohnten sicher in unserem Heimatlande Teile dieses Volkes. Wir
fragen: welche?
Die Germanen, ein Zweig der Indogermanen oder Arier, haben
ihre Urheimat in Deutschland, in den zwischen Oder und Elbe gelegenen
Ländern. (DA. 2,207 — 3r» und «{,168.) Hier bildeten sie sich zu einem
selbständigen Volke aus. Hier, im Kampfe mit einem „traurigen, licht-
und sonnenlosen, von dichten Wäldern starrenden, von ungeheuren
Wassermassen durchzogenen und überfluteten, annseligen Land" schufen
sie ihre Nationalität. Natürlich in Uebereinstimmuug mit der Natur
ihrer Umgebung, die auf Charakter, Sitte, Einrichtung und Anschauungs-
weise des Volkes bestimmend einwirkte. So prägten sie ihre aus der
asiatischen Heimat mitgebrachten religiösen Vorstellungen, deren ursprüng-
liche Beschaffenheit durch die Natur des Landes, in dem sie entstanden
waren, bedingt war, die aber im Laufe der langen Wanderung gewiss
eine beträchtliche Umgestaltung erfuhren, diese Vorstellungen prägten
sie entsprechend dem Charakter der Landschaft um und schufen aus
der arischen die germanische Mythologie. Auch ihre nationale Sprache
entstand erst jetzt und zwar wirkte auf ihre Gestaltung die Art der
Landschaft ebenfalls ein. Ihre Haupteigentümlichkeit, diejenige, durch
die sich das Germanische von den anderen arischen Sprachen unter-
scheidet, die Umgestaltung und Neuordnung des Konsonantismus, die
man mit Jacob Grimm, der ihren gesetzmässigen Verlauf zuerst erkannt
hat, Lautverschiebung nennt, diese Eigentümlichkeit führt Karl Möllen-
hoff in ihrem letzten Grund auf die Schwierigkeiten zurück, die für die
Germanen das Einleben in die Verhältnisse des wilden Landes mit sich
brachte. (DA. 8,197.)
Von diesem zwischen Oder und Elbe gelegenen Gebiete aus breiteten
sich unsere Ahnen gewiss sehr lauge vor der geschichtlichen Zeit nach
Norden aus, indem sie Jütland, die dänischen Inseln und Skandinavien
besiedelten, dann nach Osten, indem sie bis zur Weichsel vorrückten,
endlich nach Westen, indem sie bis zum Rheine vordrangen. In der
ältesten kartographischen Darstellung Gerinaniens, die wir kennen oder
vielmehr aus einer jahrhundertelangen historischen Tradition rück-
schliessend zu reconstruieren vermögen (DA. 8,212 ff.), auf der Welt-
karte des Agrippa, die ungefähr um den Beginn unserer Zeitrechnung
7
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98
Otto Pniower.
entworfen wurde, hat Germanien schon seine sozusagen historischen
Grenzen. Es reicht nördlich bis Skandinavien hinein, sudlich bis zur
Donau, östlich erstreckt es sich im grossen und ganzen bis zur Weichsel,
westlich bis zum Rhein (DA. 2,3 f.). Diese Ausdehnung hatte Germanien
aller Wahrscheinlichkeit nach schon Ü bis 4 Jahrhunderte vorher.
Zu der Zeit, da die Germanen in den Gesichtskreis der alten Welt
traten, was sich nach aussen hin durch den um das Jahr 180 v. Chr.
Geburt unternommenen Einfall der Bastarnen in die politischen Länder
dokumentiert, waren sie kein einheitliches Volk mehr. Sehr wahrscheinlich
waren sie es auch schon lange vorher nicht mehr. In zwei Gruppen
sehen wir sie geschieden: in Ost- und Westgermanen. Jene bewohnen
auf dem Festland die östlich der Oder bis zur Weichsel hin und darüber
hinaus gelegenen Länderstrecken nnd ausserdem Skandinavien. Nach
Westen reichen sie im Gebiete der oberen Oder über den Fluss hinaus
und treffen im Gebirge mit den Westgermanen zusammen, die die übrigen
westlich der Oder gelegene Teile Deutschlands inne hatten.
Wann diese Scheidung vor sich ging, wissen wir nicht. Vermuten
möchte ich, dass sie mit der nördlichen und östlichen Ausdehnung der
ältesten Grenzen bis nach Skandinavien und zur Weichsel hin zusammen-
hängt. Und zwar wird das Ausweiten des alten Gebietes, der Urheimat,
die Spaltung veranlasst haben. Was wir dann in der historischen Zeit
an Merkmalen wahrnehmen, durch die sich die Ost- und Westgerraanen
von einander unterscheiden, ist das Resultat einer jahrhundertelangen
Entwickelung, zu der jener Vorgang den Anstoss gegeben hat.
Welches sind nun die Merkmale, durch die sich die Ostgermanen
von den Westgermanen unterscheiden? Es handelt sich, soviel wir
sehen, um Unterschiede des Charakters, genauer des Temperaments,
der Sprache und der Religion.
Auf den Unterschied des Temperaments weisen schon die Namen
hin, unter denen die beiden Gruppen zuerst in der Geschichte auftreten.
Die Ostgermanen hiessen Vandilier d. h. die „beweglichen" „unter-
nehmungslustigen''. Die Westgermanen müssen einmal — wie sich nach-
weisen lässt — den Gesammtnamen Sueben geführt haben, wenn dieser
Name auch später im verschiedentlichsten Sinne gebraucht wurde, im
ganzen aber mehr und mehr einschwand und zuletzt bei den ältesten
Stamme der Westgermanen haften blieb, demjenigen, der einst in unserem
Lande ansässig, später nach Süddeutschland zog und hier den Namen
Schwaben d. i. nichts anderes als Sueben erhielt. Ähnlich wurde später
der Name der Vandilier auf ein Volk der Ostgermanen, die Vandalen,
eingeschränkt. Uber die Etymologie des Namens „Sueben" sind nun die
verschiedensten Ansichten aufgestellt werden. Die jüngste und wie es
scheint allein haltbare ist die, dass der Name die „schläfrigen", die
„Schlafmützen" bedeutet. (Much, Ztschr. f. dtsch. Altert. 32,407 ff.)
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Die Bevölkerung Brandenburgs vor der slawischen Zeit.
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Diesen Spottnamen zogen sich die Westgermanen augenscheinlich dadurch
zu, dass sie sich an jenem Ereignis, das zur ersten Spaltung der
Germanen führte, an dem Hinausschieben der Grenze über die Oder nach
Osten und Norden nicht beteiligten, sondern dies den östlichen Stämmen,
den unternehmungslustigen Vaudiliem überliessen. Diesen unternehmenden
Sinn bewiesen die Ostgerraanen aber auch weiterhin. Sie sind überhaupt
die begabtesten unter den Germanen und beispielsweise auch die Schöpfer
des epischen Heldensanges. (Kögel, Gesch. d. dtsch. Litteratur 1,51.
121. 134 f. 194.) Jordanes, der um die Mitte des sechsten Jahrhunderts
sein Geschichtswerk de rebus Geticis schrieb, vergleicht sie, indem er
sich dafür auf Dio Chrysostomus beruft, den Griechen. Und wie Teile
von ihnen, die Bastarnen, um 180 v.Chr. den ersten Vorstoss gegen die
alte Welt und zwar nicht ohne Erfolg unternahmen und in ihrem Bereich
sich niederliessen, so wurden die Ostgermanen, Völker wie die Goten,
Vandalen, Burgunden später die eigentlichen Träger der Völkerwanderung,
zugleich freilich ihre tragischen Helden. Sie sind das Opfer ihres
ungestümen, leidenschaftlichen Temperaments geworden. Bis auf die
Bewohner Skandinaviens sind sie als selbständige Völker ausgestorben.
Über den Unterschied der Sprache, der zwischen Ost- und West-
germanen bestand, kann ich mich hier nicht eingehender auslassen (vgl.
darüber Wilhelm Scherer, Zur Geschichte der deutschen Sprache 2 S. 8 f.
Friedrich Kluge in Pauls Grundriss der germ. Philologie I, 362 ff.).
Genug, dass er schon in der vorgeschichtlichen Zeit beträchtlich war
und dass aus dem Ostgermanischen, dem das Gotische angehörte, sich
die nordischen Sprachen, das Dänisch-Norwegische und das Schwedische
entwickelten, aus dem Westgennanischen die heutige deutsche und
holländische Sprache.
Was den Unterschied in der Religion betrifft, der zwischen beiden
Gruppen bestand, so ersehen wir, wenn wir eine von Tacitus im
43. Kapitel der Germania gebrachte Nachricht mit Berichten späterer
Historiker und Erzählungen aus der Heldensage combiniereu, dass die
Ostgennanen einen eigenen Kultus hatten, an dem die Westgerraaneu
nicht teilnahmen. Sie verehrten ein Briiderpaar, die Alci, die Tacitus
mit Castor und Pollux vergleicht. Er ahnte bei dieser Zusammenstellung
nicht, dass jene Gestalten der römischen Mythologie mit diesen germanischen
ihrem Ursprünge nach identisch sind. Es sind die Zwillingssöhne des
Tivas oder Tili gemeint, wie Castor und Pollux Jupiters Söhne sind und
wie die entsprechenden Gestalten der Griechen und Inder, die Dioskuren
und AcA'inau, Söhne des Zeus oder des Djaus sind (vgl. Möllenhoff in
der Ztschr. f. d. A. 12,34(5—54). Es waren also Lichtgötter und die
beiden Alci sind nach der Ansicht von Karl Möllenhoff sozusagen die
kontinentalen Vertreter der nordischen Götter Baldr und Vali. Verehrt
wurden diese göttlichen Zwillinge auch von den Westgermanen. Der
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Otto Pniower
Unterschied zwischen ihnen und den Ostgermanen liegt darin, dass sie
von diesen zu Stammesgöttern erhoben wurden, der Mittelpunkt des
Stammkultus wurden. Vielleicht legte diese religiöse Differenz den ersten
Grund zur Ausweitung des urheimatlichen Gebietes nach Osten und
bildete so den Keim zur ersten grossen Spaltung der Germanen. Den
Anlass gerade diesen Göttern eine erhöhte Verehrung zu widmen er-
hielten die Ostgerraanen möglicher Weise von benachbarten Völkern, etwa
den im Osten hausenden Slawen oder den westlich und südlich benachbarten
Kelten. Wenigstens wissen wir, dass eine spätere grosse Veränderung,
die im Götterglauben der Germanen vor sich ging, die Verdrängung des
alten höchsten Gottes Tivas durch Wödan, vom Westen aus ihren An-
fang nahm und auf Einflüssen des benachbarten Volkes, der Kelten,
beruhte. (Zs. f. d. A. 18,251).
Unser Brandenburg nun war in der altgermanischen Zeit von
Völkern beider Gruppen bewohnt. Sowohl West- wie Ostgermanen
sassen hier. Vier Völkerschaften kennen wir als seine Bewohner. Die
Altmark hatten Langobarden im Besitz, in der Mittelmark und der
Priegnitz sassen Semnonen, vielleicht auch Warnen, die auch einen Teil
der Uckermark gewiss bewohnten, in der Neumark Burgunder. Davon
sind die Burgunden, wie wir schon wissen, Ostgermanen, die Langobarden,
Semnonen und Warnen Westgermanen.
Allein die Westgermanen waren im Anfang der Geschichte Deutsch-
lands keineswegs einheitlich. Sie waren ihrerseits wieder in drei Gruppen
geschieden: die Irminonen, Jngvaeonen und lstvaeonen. Zu den
Irminonen gehören alle Binnenvölker bis etwa zu den westlichen Zu-
flüssen der Weser hin, also Semnonen, Hermunduren, Cherusker, Chatten,
Marcomannen u. a. Zu den Ingvaeonen gehören die Küstenvölker, also
Warnen, Angeln, Sachsen, Chauken, Friesen, aber auch sehr wahr-
scheinlich die Langobarden (Kögel a. a. O. 104 ff); zu den lstvaeonen die
zwischen Ems und Rhein angesessenen Völkerschaften aus denen die
späteren Franken wurden, also Bructerer, Sugambrer, Usipier,Tencterer u.a.
Von jedem der drei Verbände wurde als Stammheros derjenige
Gott verehrt, von dem er den Namen fährte. Die Irminonen verehrten
den Ermnas oder Irmin, die lugvaeonen den Ingvas, die lstvaeonen den
Istvas. Jeder dieser Heroen oder Götter geht seinem Ursprünge nach
auf den alten indogermanischen Gott Tivas zurück, den wir schon als den
Vater der Alci kennen und den wir bei den Indern als Djaus, bei den
Griechen als Zeus, bei den Römern als Jupiter (Djauspitar) wieder
finden. Aus dem alten germanischeu Namen wurde später Tiu, hoch-
deutsch Ziu, während das Wort im Nordischen regelrecht zu Tyr wurde.
Man hat neuerdings (Bremer in den Indogermanischen Forschungen hrsg.
v. Brugmann und Streitberg 3,301 f.) die Entsprechung von Tivas und
Djaus, Zeus u. s. w. bestritten und in Tivas die einfache Bedeutung für
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Die Bevölkerung Brandenburgs vor der slawischen Zeit. 101
Gott = lat divu8 erblicken zu dürfen gemeint, doch wird an der alten
Gleichung festzuhalten sein (Kogel, Gesch. d. dtsch. Litteratur S. 14).
Das Wort bedeutet eigentlich strahlend (Grundriss der germ. Philologie
1,1054) und benennt den Gott nach seiner ursprünglichsten Funktion
als eine glanzende Himmels- und Tagesgottheit.
Die Heroen der drei Verbände, die von den zu ihnen gehörenden
Völkerschaften zugleich als ihre Ahnherren betrachtet wurden, Irmin,
Ingvas und Istvas, sind also weiter nichts als verschiedene Erscheinungs-
formen des altgermanischen Tivas. Ermnas oder Irmin ist nichts anderes
als ein Prädikat des Tivas, ein Epitheton, mit dem der Gott als der
„erhabene", „alles umfassende" bezeichnet wurde. Der Stammesheros
und Stammvater der Ingvaeonen ist diejenige Erscheinungsform des
Tivas, die ihn als den Ankömmling betrachtet, als den, der aus der
Ferne kam, um den seeanwohnenden Völkerschaften Glück und Gedeihen
zu bringen. Der Bezeichnung Istvas, wie der von den Istvaeonen verehrte
Stammesgott hiess, liegt nach der Meinung des einen eine reine Natur-
anschauung zu Grunde, indem das Wort „flammend" bedeutet und Tivas
mit diesem Prädikat wieder nach seiner ursprünglichsten Funktion als
der Spender des sonnigen Lichts benannt wird. (HoflFory, Eddastudien,
Berlin 1889, S. 163 ff.) Ein anderer Forscher (Kögel, Ztschr. f. d. A.,
37 Anz., S. 9) erklärt Istvas als den „wahren", „echten" Gott, was aber
nicht gerade zutreffend erscheint.
Diese Sonderung der Westgermanen hängt gewiss, wie wir das
schon bei der ersten Scheidung der Germanen in die beiden Haupt-
gruppen, die östliche und westliche, beobachtet haben, mit der Ausdehnung
des alten Besitzes — die hier aber nach Westen hin geschah — zusammen.
Daraus ergiebt sich schon die Folgerung, dass wir in denjenigen
Scharen, die wir in der historischen Zeit in dem alten Urgebiet oder
in seiner unmittelbaren Nähe antreffen, die Nachkommen des eigentlichen
Kernes der Westgermanen zu erblicken haben. Da aber in einer älteren
Periode sich von hier aus, wie wir wissen, auch die Ausbreitung der
Germanen nach Osten und Norden hin vollzog, so bildeten die Ahnen
jener Scharen den Kern des ganzen Volkes, das später den Namen
Germauen erhielt. Fassen wir den Begriff des Stamm Verbandes in's
Auge, so waren die Ahnen der Scharen, die diesen Kern bildeten, die
Irmiuonen. Innerhalb dieses Kultverbandes aber muss wieder ein Volk
für das älteste gelten, für dasjenige, das den Kern zur Bildung des
Stammes abgab. Dieses Volk waren die Hauptbewohner unserer Mark
die Semnonen.
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102
Otto Pniowar
I. Die Semnonen.
Dafür, dass die Semnonen als das älteste Volk der Germauen
anzusehen sind, dafür sprechen mehrere Indicien. So bezeugt uns Tacitus
da, wo er in seiner Germania ihrer Erwähnung thut, dass sie selbst
sich für die ältesten und edelsten der Sueben hielten, bei welchem Satz
zu berücksichtigen ist, dass bei Tacitus in einer übrigens ungerecht-
fertigten Auffassung unter Sueben fast alle Germanen zu verstehn sind,
nämlich alle Völkerschaften von der Weser bis zur Weichsel und sogar
die in Skandinavien angesessenen, d. h. also lrminoneu und Ingvaeonen
von den Westgermanen und die Ostgermanen.
Ferner bemerkt Tacitus ausdrücklich , dass der Kultus, desseu
Verwaltung in den Händen der Semnonen lag, der Inhalt iher Gottes-
verehrung das hohe Alter des Volkes bestätige (fides antiquitatis religione
firmatur). Und von dem heiligen Hain, in dem der Gott verehrt wurde,
dessen Statthalter auf Erden gleichsam die Semnonen Jahrhunderte lang
waren, von dem Hain sagt er, dass auf ihn der ganze — wir müssen
im Sinne des Tacitus ergänzen — suebische Glaube zurückblicke, wie
wenn von ihm aus das Volk seinen Ausgang genommen hätte, wie wenn
in ihm die Wiege des Volkes stünde (eoque oinnis superstitio re9picit,
tamquam iude initia gentis). Wir werden später sehen, wie diese Dar-
stellung des Tacitus sowohl unserer heutigen Auffassung des germanischeu
Götterglaubens gemäss ist als auch sonst bestätigt wird.
Jetzt aber müssen wir uns dem ganzen Kapitel der Taciteisehen
Germania zuwenden, aus dem ich eben einige Sätze citiert habe. Es ist
in der gesammten antiken Litteratur die Hauptstelle über die Semnonen.
Zuerst erwähnt sind sie hier allerdings nicht. Schon Strabo, der um
d. J. 20 nach Christi Geburt sein grosses geographisches Werk schrieb,
also fast 80 Jahre früher als Tacitus seine Germania, nennt sie, indem
er p. 290 berichtet, dass Marbod, nachdem er aus einem schlichten
Privatmann ein König geworden war, eine Reihe von Völkerschaften
unterwarf, darunter das „grosse Volk der Sueben, die Semnonen". Und
noch früher werden sie, wenn auch nicht in litterarischer Weise, in
jenem Rechenschaftsbericht über seine Regierungshandlungen erwähnt,
den der Kaiser Augustus kurz vor seinem Tode, i. J. 14 n. Chr., ver-
fasste und der sich uns auf dem Monumentum Ancyranuin erhalten hat.
Hier werden (cap. XXVI) die Semnonen unter denjenigen Völkerschaften
des germanischen Nordens aufgeführt, die durch Gesandte seine und des
römischen Volkes Freundschaft erbaten.
Wir wissen schon, dass Tacitus das Semnonenkapitel mit der
Bemerkung, beginnt, dass sie sich selbst für das älteste und edelste
Volk erklären und dass der von ihnen besorgte Kultus diesen Anspruch
als berechtigt erscheinen lässt. Wir fragen zunächst: warum heissen sie
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Die Bevölkerung Brandenburgs vor der slawischen Zeit.
loa
Semnonen? Sollte der Name eines so ausgezeichneten Volkes nicht
irgendwie der Stellang des Trägers entsprechend gewählt sein? Sollte
sich nicht in ihm die Bedeutung des Volkes aussprechen?
In der That macht sich bei denen, die die Etymologie des Namens
zu bestimmen suchten, das Bestreben geltend, ihn mit der Funktion,
die dem Volk innerhall) der Nation anvertraut war, in Verbindung zu
bringen. So hat Karl Müllenhoff ihn für einen hieratischen erklärt und
in ihm die Wurzel si binden, fesseln zu finden geglaubt, weil, wie wir
gleich sehen werden, den Hain der Semnonen, in dem der Gott verehrt
wurde, niemand un gefesselt betreten durfte. Darnach deutete er den
Namen, früher (Ztschr. f. d. A. 7,383 f.) als die „gefesselten", später
(Ztschr. f. d. A. 10,562) als die „Fesseler". Ein jüngerer Forscher
Rudolf Much (a. a. O. 36,41 ff.) hat dagegen in der Benennung die
Wurzel seb zu finden geglaubt, die dem lat. sap in sapere entspricht,
und die Semnonen darnach für die „verständigen" erklärt. Ein Dritter
(A. Erdmann, Ueber die Heimat und den Namen der Angeln, S. 99 f.)
denkt bei dem Namen wie Müllenhoff an die Wurzel si binden, hält das
Wort aber der Form nach für ein Participium passivi und vindiciert
ihm die übertragene Bedeutung des Bindens, so dass die Semnonen
= den „Verbundenen", „Verbündeten" wären. Ein vierter Forscher
endlich (Bremer, Ztschr. f. d. A. 37,9) erklärt den Namen als „alle zu-
sammen", „alle insgesamt", so dass er etwa dasselbe ausdrücken
würde, wie Alamannen, eine im 3. Jahrhundert nach Christi Geburt
auftauchende Bezeichnung für eine Reihe in der Nähe des Rheins ange-
sessener Völkerschaften. Welche von diesen vier Etymologien, mit
denen übrigens die Zahl der bisher vorgebrachten keineswegs erschöpft
ist, die richtige ist, ist schwer zu sagen und irgend Sicherheit darüber
wird wohl noch lange nicht zu gewinnen sein. Das eine oder andere
lässt sich gegen alle bisher geltend gemachten Deutungen einwenden.
Am wahrscheinlichsten dünkt mich noch die an zweiter Stelle angeführte,
wonach die Semnonen die „verständigen" heissen (vergl. Much, Ztschr.
f. d. A. 39, 46 f.).
Wir fragen weiter nach der genaueren Lage der Semnonen, nach
den genaueren Grenzen des Gebietes, das sie einnahmen. Die Angaben
des Tacitus selbst darüber sind recht unbestimmt, wie es ihm ja in
seiner Schrift weit mehr auf die Schilderung der Sitten, des Charakters
der Germanen ankam, als auf eine geographische Beschreibung ihres
Landes. Aber auch die anderen Notizen, die uns über diesen Punkt zur
Verfügung stehn, ermöglichen es uns nicht, den Wohnsitz der Semnonen
bis ins einzelne mit Sicherheit festzustellen. Meist sind wir auf Ver-
mutungen und Wahrscheinlichkeitsbestimmuugen angewiesen. Nur die
westlichen und östlichen Grenzen sind sicher. Dass sie im Westen bis
zur Elbe reichten, bezeugt uns Vellejus Paterculus, ein römischer Histo-
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104
Otto Pniower.
riker, der unter Tiberius Kriegsdienste that und ihn auch auf seinen
i. J. 4 — 5 nach Christus unternommenen Feldzügen in Germanien beglei-
tete. Im zweiten Buch seines Werkchens, da, wo er über die Thaten
seines Kaisers in Deutschland in überschwenglicher Weise berichtet,
bemerkt er, dass die Elbe am Gebiete der Hermunduren und Semnonen
vorüberfliesse (Üb. II, cap. 10i> ad Humen Albim, qui Semnonum Her-
muudurorumque fines praeterfluit). Dass sie im Osten bis zur Oder
reichten, geht aus Ptolemaeus hervor. Dieser ägyptische Astronom,
dessen Weltsystem vom späten Altertum bis in die Neuzeit herrschte
und erst von Copernicus gestürzt wurde, war auch Geograph. Er gab
die Vuvycafyix^ v^rfyrjffi; heraus, die im Wesentlichen eine Beschreibung
der Ortlichen Lage der der antiken Welt bekannten Länder war. Das
zweite Buch dieses Werkes enthält im 11. Kapitel auch eine Glau; Vtp-
juema;, d. i. eine kartographische Darstellung Deutschlands, die sich
darauf beschränkt, geographisch merkwürdige Details, wie Völkernamen,
Berge, Flüsse, Städte bezw. Ansiedlungen oder befestigte Lager anzu-
geben, die geographisch-astronomisch genau, d. h. in Bezug auf die
Himmelsgegend und nach Graden bestimmt werden. Eine weitere Schil-
derung der Länder bietet es nicht, wie denn Ptolemaeus sein Werk
lediglich als Anweisung zum Entwerfen von Karten hat betrachtet wissen
wollen. Er veröffentlichte es um 180 n. Chr. Was er gab, war im
Wesentlichen das Werk des Mariuus von Tyros, eines griechischen Ge-
lehrten, der es etwa zu derselben Zeit, wie Tacitus seine Germania, schrieb.
Die Darstellung, die Deutschland bei Ptolemaeus erfahren hat, ist überaus
fehlerhaft, voll von Irrtümern und wohl auch willkürlichen Entstellungen
(D. A. 2,7<) ff., 325 ff.). Sie bietet der Kritik die ärgsten Blossen, ist
aber dennoch für die Erforschung des ältesten Germaniens überaus
wichtig. Nicht blos, weil wir an älteren Quellen so arm sind, sondern
weil Ptolemaeus z. Tl. vortreffliche Vorlagen benutzt hat, die zu recon-
struieren Aufgabe einer wissenschaftlichen Kritik ist. Ihn zu kontro-
lieren, zu rectificieren und so zur Wahrheit durchzudringen, dienen die
Angaben der anderen Geographen und Historiker, wie Strabp, Tacitus
u. a., wenn sie aucli leider keineswegs ausreichen.
Ptolemaeus sagt also (lib. 2, 11, 15) dass das Gebiet der Semnonen
sich von der mittleren Elbe östlich bis zur Oder erstrecke (xai ro tw
liovrßwv rtüv Z.efJivövwv, a'rtte; di/j'xovci fitTti. rcv AXjStv azo tov iipr\\iivov fi£pov$
npo<; avaroXa; jue'xpt ~cü Zovtßcv ^rora/ütou), wenn, worüber wohl kein Zweifel
besteht, mit dem Korafio; LoJrjßo; die Oder gemeint ist. In Bezug auf den
Norden wissen wir aus einer Angabe desselben Geographen (2, 11, 17),
wo AvapTot ein Verderbnis für Ovupvot ist (D. A. 2,80), im Verein mit
späteren Nachrichten, dass über den Semnonen die ingvaeischen Warnen
sasseu . Wo aber die Grenze zwischen beiden lief, wissen wir nicht.
Oestlich von den Semnonen sassen, wie wir schon bemerkt haben, die
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Die Bevölkerung Brandenburgs vor der shiwisrhen Zeit.
105
ostgerraanischen Burgunden, südöstlich die ostgermanischen Silingen,
Jene waren, wie wir wissen, von den Semnonen durch die Oder getrennt.
Die Silingen aber reichten westwärts über den Fluss hinaus. Bis wie'
weit und wo genau die Grenze zwischen ihnen und den Semnonen lag,
können wir bis jetzt nicht sagen. Kaspar Zeuss nimmt an, dass die
Semnonen mit den Silingen etwa an der Neisse zusammenstießen. Im
Süden und Südwesten, nach Zeuss etwa in der Gegend der schwarzen
Elster, trafen sie mit den irminonischen Hermunduren zusammen, die
nordwärts die Elbe hinunter, vermutlich bis zur Mündung der Saale
ihre Grenznachbaren blieben. Ihnen folgten weiter nordwärts die Cher-
usker, über denen dann — etwa vom Gebiete der Zuflüsse der Aller
an — als westliche Nachbaren der Semnoneu die Langobarden sassen.
Unser Volk war also, wenn wir vom Westen aus gehn und über
den Norden, Osten, Süden zu ihm zurückkehren, von folgenden Völker-
schaften umgeben: den irminonischen Langobarden, den ingvaeischen
Warnen, den ostgermanischen Burgunden und Silingen, den irminonischen
Hermunduren und Cheruskern.
Nachdem Tacitus von dem Anspruch der Semnonen, das älteste
Volk zu sein und seiner durch die Art ihres Kultus bewährten Berech-
tigung gesprochen hat, fährt er in der Schilderung des Volkes folgen-
dermassen fort: „Zu einer bestimmten Zeit des Jahres kommen alle
Völker desselben Blutes, durch Abgesandte vertreten, in einem Walde
zusammen, der durch den Weihedienst der Vorfahren und durch alt-
hergebrachte Scheu geheiligt ist. Hier begehen sie, indem von Staats-
wegen ein Mensch geopfert wird, einen barbarischen Festkult, der aus
den schaudervollen Urzeiten der Götterverehrung stammen muss. Aber
noch auf eine andere Art wird dem Haine Ehrfurcht erwiesen : nur
gefesselt darf man ihn betreten, damit man sich gleichsam als der
Gottheit untergeordnet bekenne und ihre überlegene Macht äusserlich
bekunde. Fällt einer zufällig zu Boden, dann ist es ihm nicht gestattet
sich zu erheben und aufzurichten, sondern auf der Erde liegend wälzen
sich die Gefallenen hinaus. Diese abgöttische Verehrung aber hat in
dem Glauben ihren Grund, dass in dem Haine gleichsam die Wiege des
Stammes gestanden habe und dass dort der all waltende Gott wohne,
dem alles übrige unterworfen und gehorsam seiw. (Die Uebersetzung
grösstenteils nach der vortrefflichen Verdeutschung bei Kögel, Geschichte
der deutschen Litteratur 1,20.)
Eine ganze Reihe von Fragen knüpfen sich au diese inhaltreichen
Sätze. Zunächst, wo lag dieser geheimnisvolle, Andacht und Scheu
erweckende Hain?
Man hat ihn an den verschiedensten Stellen zu finden geglaubt:
die einen verlegten ihn in den Spreewald und zwar nach Burg, andere
nach Görlitz, wieder andere nach Schlieben. Auch im Blumendal auf
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Inf,
Otto Pniower.
dem hohen Barnim lokalisierte mau ihn, und einige halten die Müggel-
berge für jene heilige Stätte, vergl. Hugo Jentsch, Die praehistorischen
Altertümer aus dem Stadt- und Landkreise Guben, 1885, S. 12. Aber
in Wahrheit wissen wir nicht mehr als was Tacitus sagt: dass er im
Semnonenlande lag. Ob er in der Spree- oder Havel-Gegend oder süd-
licher in der Nieder- oder Oberlausitz zu suchen ist, ist durchaus
ungewiss.
Ptolemaeus nennt — wenn wir eine sicher falsche Angabe von
ihm richtig stellen — ungefähr in der Gegend der Semnonen eine v\rt
Square (2, 11,7). Zweifellos steckt dahinter ein geographisch bemerkens-
werter Begriff. Erwägt man den Anklang des Namens an den der
Semnonen, dann liegt die Versuchung, zwischen beiden eine innere
Beziehung zu vermuten, recht nahe. Wie natürlich erscheint es, den
Hain den semnonischen zu nennen, wenn es dem Volke dieses Namens
oblag, das in ihm beherbergte Heiligtum zu wahren und zu pflegen!
Und doch werden wir gut thun, der Versuchung zu widerstehn. Mit
Ir'/uava ist, wenn man es sprachlich zu Semnones hält, soviel ich sehe,
nichts anzufangen. Es enthält ein langes 6, während der Volksname
durchweg ein kurzes ö zeigt. Also erst, wenn man an der Form ein
Verderbnis voraussetzt, ist eine sprachgeschichtlich berechtigte Gleichung
möglich. Aber es ist auch nicht zu übersehen, dass bei Ptolemaeus
mit v\rh soweit Germanien in Betracht kommt, ein Waldgebirge be-
zeichnet wird. So heisst der Böhmer Wald raßpr^a uXtj, der Mailhart
Aovva vk^. Für die Mährische Höhe dagegen wird, wie ich bei der
Gelegenheit bemerken will, die Bezeichnung dpvpo; gewählt ('Opxvnoq
fipvpos, Ptolem. 2, 11, 7). Und dass mit der linjuava vXr] in der That ein
Gebirge gemeint ist, dafür kann als Beweis der Umstand gelten, dass
sie von Ptolemaeus da genannt wird, wo er die Gebirge Deutschlands
der Reihe nach aufzählt. Das allein würde freilich zunächst nicht aus-
schliesseu, dass der Semnonenhain zu der 'Lr^ava in Beziehung zu
setzen ist. Denn warum sollte der heilige Wald sich nicht in einem
Gebirge befunden haben und dies schliesslich nach ihm benannt worden
sein? Wohl aber müssen wir fragen, wo im Lande der Semnonen findet
sich ein nennenswertes Waldgebirge? Wollen wir bei der Fixierung der
Unnava uX/j dieses Moment berücksichtigen, dann müssen wir mit ihr
schon bis zum sächsischen Erzgebirge hinabgehn. Hier aber wohnten
gewiss Hermunduren.
Also ist das Resultat aller Erwägungen eiu herzhaftes ignoramus.
Weder wissen wir, wo im Lande der Semnonen der Hain lag, noch ist
er mit der Sr'juava vXrj des Ptolemaeus zu identifizieren.
Tacitus sagt aber, dass die Vertreter der einzelnen Staaten sich
zu einer bestimmten Zeit (stato tempore) in dem Semnonen-Hain ver-
sammelt hätten. Wir fragen: zu welcher? Verschiedene Erwägungen
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Die Bevölkerung Brandenburgs vor der slawischen Zeit. K)7
führen zu der Annahme, dass es im Herbst geschah, in der sogenannten
gemeinen Woche, d. h. also in den Tagen Ende Septembers und Anfang
Oktobers. Das Fest, von dem Tacitus spricht, war darnach zugleich
eine Erntefeier. Dass es bei ihr nicht an Liedern gefehlt hat, die zu
Ehren des Gottes gesungen wurden, wird neuerdings mit Recht vermutet.
Denn gerade hier in dieser Schilderung des Tacitus, scheint ein alter
Hymnus durchzuklingen (Kögel, Gesch. d. deutschen Litteratur, S. 20).
Die Völkerschaften „eiusdera sanguinis", die durch Abgesandte ver-
treten, sich in dem Haine versammeln, sind natürlich alle diejenigen,
die zusammen die Amphietyonie der Irminonen bilden.
Wer aber war denn der Gott, der also gepriesen wurde, dem man
so schauervolle Ehren erwies, dessen Heiligtum jener ehrfurchtgebietende
Hain barg? Tacitus verschweigt seinen Namen.
Wenn, wie wir gesehen haben, die Ahnherren der einzelnen Amphic-
tyonien der Irminonen, Ingvaeonen, Ietvaeonen nichts anderes sind als
Vertreter des Himmelsgottes Tivas, die Semnonen aber die Pfleger des-
jenigen Heiligtums sind, das für die Wiege des Begründers nicht bloss des
engeren Verbandes, dem sie angehören, sondern des ganzen Volkes
galt (S. 102), so ergiebt sich schon daraus, dass der von ihnen
verehrte Gott Tivas ist.
Dafür giebt es aber auch noch eine Reihe anderer bestätigender
Momente. Das bezeichnendste ist folgendes. Wir berührten (oben S. 98)
schon die Thatsache, dass die Semnonen später das Land zwischen Oder
und Elbe verliessen und nach Süd-Deutschland zogen. Auch dass sie
in den neuen Sitzen unter dem Namen Schwaben auftauchen und wie
sich diese Benennung erklärt, wurde erwähnt Diese „Schwaben" werden
nun einmal in der christlichen Zeit Ziuwarii genannt (Grimms Mytho-
logie 1,165), d. h. etwa Ziumänner. Aus welchem andern Grunde kann
ihnen dieser Beiname beigelegt seiu, als weil sie im eigentlichsten Sinne
die Ziu-Verehrer waren, die bestellten Hüter des diesem Gotte gewid-
meten Kultus?
Auch die wenigen Worte, die Tacitus über das Wesen und die
Bedeutung des von den Semnonen verehrten Gottes sagt, stimmen trefflich
zu dem, was wir über die einstige Stellung des Tivas im germanischen
Göttersystem wissen, und rechtfertigen so die Identifizierung der beiden.
Nach der heute allgemein verbreiteten Anschauung war der höchste
Gott der Germanen Wodan. Das ist auch richtig und Tacitus sagt im
9. Kapitel seiner Germania, da wo er im allgemeinen von der Religion
unserer Vorfahren spricht, ausdrücklich, dass sie unter den Göttern am
meisten den Merkur, d. i. die interpretatio Romana von Wödan ver-
ehren. Allein das entspricht erst einem späteren Stadium des germa-
nischen Götterglaubens. Den Wödanskultus sehen wir erst in historischer
Zeit allmählich an Bedeutung und zugleich an räumlicher Ausdehnung
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Otto Pniower.
gewinnen. Er verbreitet sicli nicht aus dem Herzen Deutschlands heraas,
von dorther, wo der alte Glaube ausgebildet wurde (S. 97), sondern
beginnt seinen Lauf an der Peripherie, was nebenbei bemerkt ein Zeichen ist,
dass sich der Schwerpunkt Germanieus verschoben hat. Er ist gewisser-
massen importiert. Er verbreitet sich, wie wir schon angedeutet haben,
(oben S. 10U), von Süden und Westen Germaniens ans und ist auf gallisch-
römischen Einfluss zurückzuführen. Um den Beginn unserer Zeitrech-
nung mag etwa die Bedeutung des Wödanskultus anfangen sich geltend
zu machen. Dass dieser Gott allmählich zur höchsten Stelle im
Götterkollegium aufrückt, darin spricht sich die Thatsache aus, dass
die Germanen aus einem Naturvolk zu einem Kulturvolk werden. Indem
sie aber aufhören denjenigen Gott als höchstes Wesen anzuerkennen,
der, wenn ihm auch früher unzweifelhaft geistige Funktionen zuge-
schrieben waren, doch vor allem ein Gott des Krieges war und sich
dem zuwenden, der ein Kulturgott ist, dem Gott der Erfindung und des
Wissens, offenbart sich zum ersten Mal jene intensive Wirkung des
Westens und Südeus von Europa auf das geistige und sittliche Leben
unseres Volkes, die es später so oft erfahren sollte. Dass diese Wand-
lung sich von dieser Seite aus vollzieht, ergiebt sich hinreichend aus
dem Umstand, dass dem nordischen Odinn, d. i. Wodan, die Erfindung
der Runen zugeschrieben wird. Dieses alte germanische Alphabet war
allem Anscheine nach die Erfindung eines einzelnen geistig hochstehenden
und weitblickenden Mannes, eines Mannes von jenem Holze, aus dem die Heroen
eines Volkes geschnitzt werden. In der uns überlieferten Gestalt geht es, wie
jetzt sicher erwiesen ist, auf das römische zurück, wie es um 180 n. Chr.
beschaffen war, und ist zu den Germanen durch die Gallier gelangt.
Einst war freilich Wodan nichts anderes als eine besondere Er-
scheinungsform desjenigen Gottes, den er nun vom Throne stiess, des
Tivas. Wie wir sahen, dass dieser als Ahnherr der drei Verbände bald
als der erhabene, bald als der Ankömmling, bald als der flammende
verehrt wurde (S. 100 f.), so wurde ihm ehemals auch als Wödanas,
d. h. als dem wehenden, dem Sturm- und Windgott, gehuldigt. Später
löste sich das Prädikat von seinem Beziehuugsworte los und ward für
sich gebraucht. Dann vergass man gänzlich, dass es einst einen Haupt-
begriff erläuterte und verband mit ihm eine selbständige Vorstellung.
So wurde aus dem Prädikat eine eigene Gottheit, der zuletzt ein be-
stimmter Kultus gewidmet wurde, und dank dem Eiufluss eines fremden
Volkes gewann sie schliesslich eine so hohe Bedeutung. Wödan ist also
ursprünglich, um mich des dafür üblichen Terminus zu bedienen, weiter
nichts als eine Hypostase des Tivas. Ganz ähnlich haben sich aber der
Golt Thonar nord. Thörr, ebenso der nordische Freyr, dem ein deutscher
Frö oder Frauja entsprach, aus dem Tivas differenziert. Es eröffnet
sich so eine Perspektive in eine um viele Jahrhunderte, vielleicht Jahr-
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Die Bevölkerung Brandenburgs vor der «lawiechen Zeit. 1Q(.)
tausende, zurückliegende Zeit, in der die göttliche Macht in einem'
einzigen Wesen verkörpert gedacht wurde. Der Polytheismus ist erst
die Folge der monotheistischen Weltanschauung. Wenn dann endlich
in der historischen Zeit die Vielzahl der heidnischen Götter dem Glauben
an ein einziges Wesen weichen muss, so macht dieser Vorgang nur
wieder gut, was eine unermesslich lange Entwickelung verschuldet hat,
und die Religion kehrt wie nach einer vieltausendjährigen Verirrung in
einem gewissen Sinne zu ihren Uranfängen zurück.
In der Zeit, da Tacitus schrieb, existierte dieser Monotheismus bei
den Germanen freilich laugst nicht mehr. Wir haben schon erwähnt
(S. 99 f.), wie bei den Ostgermanen ein Kultus bestand, dessen Mittel-
punkt die Alci, das sind die Zwillingssöhne des Tivas, bildeten. Und
unsere Semnonen müssen nach den Worten des Tacitus auch eine
Gemahlin des Tivas in ihrem Göttersystem gehabt haben, wenn sie ihn
zum Ahnherrn ihres Stammes machten. Dass diese Gemahlin Frija
war, die nord. Frigg, d. i. eigentlich die Geliebte skr. priya ist jetzt er-
wiesen (Müllenhoff, Frija und der Halsbandmythus, Ztschr. f. dtsch.
Altert. 30, 217 ff.). Wahrscheinlich brachten die Germanen den Poly-
theismus, mindestens aber die Keime dazu schon aus der asiatischen
Urheimat mit.
Doch war, als Tacitus die Germania schrieb, Tivas bei den Irmi-
nonen, also auch bei unseren Semnonen zweifellos noch der höchste
Gott. Der Wödankultus war auf seinem Wege von Westen nach Osten
und Norden damals nicht über die Weser hinausgedrungen und erst bei
den Istvaeonen eingeführt. Die hohe Machtstellung des Tivas wird uns
denn auch iu der Schilderung des Tacitus ausdrücklich im allgemeinen
bekundet und ist ausserdem noch für's einzelne aus ihr zu erschliessen.
Wenn die Feier nämlich, von der der Römer spricht, wie wir sahen,
im Herbst stattfand, so war Tivas ein ländlicher Gott, derjenige,
von dem Wachsen und Gedeihen der Pflanzen abhing. Und gewiss
wurde in den Liedern, die ihm zu Ehren bei der Feier erklangen, der
Dank für die Güte nicht vergessen, mit der er die Früchte wachsen und
reifen Hess. Wenn dann berichtet wird, dass niemand ungefesselt den
heiligen Hain betreten durfte, so hat man darin wohl ein symbolisches
Anzeichen dafür zu erblicken, dass Tivas der Herr über Leben und Tod
ist, also ein Todesgott (Müllenhoff in Schmidts Allgem. Ztschr. f. Gesch.
8, 255). Ihm ist jeder Sterbliche uuterthan. An den Tod ist jeder
Mensch gefesselt. Auch ein Kriegsgott — und das vor allem — war
Tivas. Dafür giebt es eine ganze Reihe von Beweisen. In der nordischen
Mythologie wurde, als Ödiun -Wodan den alten Himmelsgott Tyr d. i.
die Entsprechung des Tivas (S. 10U) gestürzt hatte, dieser auf die
Funktionen des Kriegsgottes beschränkt. Ferner setzt die interpretatio
Romana für Tivas geradezu Mars und so erhielt auch im deutschen
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Otto Pniower.
Kalender derjenige Tag, der im römischen dies Martis hiess, den Namen
Tivesdag engl. Tuesday, unser Dienstag.
Tivas war aber auch der Hüter des öffentlichen Lebens, der Be-
schützer des Rechts, der Schirmer der Eide, derjenige, dessen Beistand
in allen öffentlichen Dingen, so auch in Volksversammlungen angerufen
wurde. Das wissen wir, seit im Jahre 18811 in dem englischen Städtchen
Housesteads römische Steinaltäre zum Vorschein kamen, auf denen
germanische Soldaten ihrem Gott, dem Mars Thingsus, d. h. dem Tivas,
dem Gott der Versammlung, des Staatslebens, ihre Huldigung dargebracht
hatten (Hoffory a. a. O. S. 148 ff.). Man sieht: Tivas war, wenn wir
nun noch seine ursprüngliche physikalische Funktion als Himmelsgott
und Spender des Lichts hinzunehmen, ein Allherrscher, ein Allgott und
mit vollem Recht sagt Tacitus von ihm: regnator omnium deus, cetera
subjecta atque parentia.
Tacitus sucht noch einen allgemeinen Begriff" von «lern dem Gott
gewidmeten Kultus zu geben, indem er an die schaudervollen Gewohn-
heiten erinnert, die wir bei jedem Volke in den Anfängen der Götter-
verehrung beobachten (caesoque publice nomine celebraut barbari ritus
horreuda primordia). Welche bestimmten Sitten er oder sein Gewährs-
mann dabei im Auge hat, ist nicht ersichtlich. Vielleicht ist der Aus-
druck nur eine rhetorische Floskel für die Thatsache, die er mit erwähnt,
dass bei der Feier ein Mensch geopfert wurde.
Menschenopfer waren bei den Germanen auch zur Zeit des Tacitus
nichts seltenes. Gleich im nächsten Kapitel berichtet er, dass beim
Nerthusdienst der Ingvaeonen die Sklaven, die beim Waschen des Bildes
der Göttin im See behilflich waren, in ihm ertränkt wurden. Und cap. \)
sagt er, dass die Germanen — gemeint sind wohl die Istvaeonen —
dem Gotte Wodan an bestimmten Tagen Menschen opferten (cni [Mer-
curio] eertis diebus humanis quoqtie hostiis litare fas habent). Besonders
wurden Tiu oder Tivas, dem Kriegsgott, Menschenopfer dargebracht.
So kam es im Kriege öfter vor, dass die Kämpfer das feindliche Heer
dem Gotte weihten, d. h. sie versprachen im Falle des Sieges alle Ge-
fangenen zu hängen, die Rosse zu ertränken und die ganze Beute,
Waffen und Kostbarkeiten zu vernichten (DA. 2, 297 f.). Nach dem
Sieg im Teutoburger Walde schlachteten die Germanen als ein solches
Opfer die römischen Tribunen und Centurionen (Tacitus Annal. 1, 01).
Noch in der Zeit des ausgehenden Altertums berichtet Jordanes von den
Goten (Get. c. 5), dass sie dem Kriegsgott Mars d. i. also wieder Tiu
die Feinde opferten und dass sie damit am ehesten den Herrn der
Schlachten zu versöhnen und sich geneigt zu machen glaubten. Ihm,
berichtet er weiter, werden denn auch die ersten Beutestücke darge-
bracht, für ihn werden die eroberten Waffen und Rüstungen an den
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Die Bevölkerung Brandenburgs vor der slawischen Zeit.
11 1
Bäumen aufgehängt (Vgl. über Menschenopfer bei den Germanen Pauls
Grundriss der germ. Philologie I, 1054. 1058. 1124 f.).
Gewiss war aber das Menschenopfer das höchste uud feierlichste
aller Opfer, das im Frieden eben nur an so hohen Festtagen, wie die
bei den Semnonen es waren, wo es sich um eine Gottheit von dem
Range des Tivas handelte, stattfand. Daneben wird es auch bei dieser
Feier nicht an den einfachen üblichen Opfern gefehlt haben. Besonders
werden, da das Fest zugleich eine Erntefeier war, Früchte des Feldes,
Erträge der Wein- und Obsternte, dargebracht worden sein.
Nun aber erkennen wir erst ganz, von welcher Bedeutung das von
den Semnonen verwaltete Heiligtum war und welcher Sinn den Worten
desTacitus: eoque omnis superstitio respicit tamquam inde initia gentis
beizulegen ist (S. 102). Nicht bloss die Sueben veranlasste ihr religiöser
Glaube auf den Hain der Semnonen wie auf ihre heiligste Stätte zurück-
zublicken, nein, einst müssen alle Germanen in ihm ihr Nationalheiligtum
gehabt, von ihm müssen sie angenommen haben, dass er die Wiege
ihres höchsten Gottes und zugleich ihres Volkes berge. Mit vollem Recht
behaupteten daher die Semnonen von sich, dass sie das älteste und
edelste Volk der Sueben seien.
Das wird nun noch von einer anderen Seite her bestätigt. Wir
erwähnten schon, dass die Semnonen in ihren späteren Sitzen in Süd-
deutschlau d einmal Ziuwarii genannt werden. Das ist jedoch nur ein
Beiname. Ihr eigentlicher Name lautete, bevor für sie die Bezeichnung
Suavi-Schwaben aufkam, was erst im fünften Jahrhundert geschah
(Zeuss, S. 365), .Juthungen. Juthungen aber heisst die Sprösslinge.
Natürlich kann eine solche Bezeichnung nur im prägnanten Sinue ver-
standen werden und sie bedeutet die Sprösslinge des Gottes, die eigent-
lichen Gottessöhne (Ztschr. f. d. A. 10,5*12). Dass mit dem Gott Tivas
gemeint ist, ist klar. Heissen die Semnonen aber Söhne, echte Nach-
kommen des Tivas und galt dieser für den höchsten Gott und Stamm-
vater der Irminonen, ja der Germanen überhaupt, so müssen sie not-
wendig für die älteste und edelste Völkerschaft gehalten worden sein.
Zugleich ergiebt sich aber auch hieraus für sie eine sehr lange Anwesen-
heit im Stammlande der Germanen, in dem Lande zwischen Oder und
Elbe und die am Anfaug (S. 97) aufgeworfene Frage, ob in der älteren
Periode des Bronzezeitalters eine andre germanische Bevölkerung in
unserer Heimat sass, als wir später hier finden, zu der Zeit, als der
erste Lichtstrahl der Geschichte auf das Land fällt, diese Frage können
wir nun mit einer gewissen Zuversicht dahin beantworten, dass ein
Wechsel der Bevölkerung nicht stattfand, dass ein und dasselbe Volk
vielmehr von jenen uralten Zeiten an bis zur beginnenden Völker-
wanderung hier sass. Für diese Annahme treten der Mythus des Volkes
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1 12 Otto Pniower
9
und seine angesehene Stellung bei den Verbandsgenossen nnd wohl
sämiutlichen Germanen aufs entschiedenste ein.
Dieser, in die graueste Vergangenheit reichenden Existenz der
Semnonen entspricht es, wenn ihnen eiue gewisse numerische Stärke
nachgerühmt wird. Strabo nennt sie, wie wir schon wissen, ein „grosses
Volk" (S. 102) und Tacitus bemerkt, nachdem er ihre — wir würden
heute sagen — glückliche ökonomische Lage hervorgehoben hat (adicit
auctoritatem fortuna Semnonum), dass sie eine grosse Körperschaft
bilden und schon dadurch' ein gewisses Recht besitzen, sich für das Haupt
der Sueben (d. i. wieder der gesamten Germanen mit Ausnahme der
Tstvaeonen, oben S. 102) zu halten. Wenn eine weitere Angabe von
ihm (centum pagis habitant) richtig ist und mit Beziehung auf Caesar
(Bell. Gall. IV, 1 und I, ;J7) richtig gedeutet wird, dann waren sie im
Stande, 120 000 Mann ins Feld zu stellen. Natürlich soll das bei Tacitus
nur ein ungefährer Anschlag sein.
Mit einem solchen Heer«« waren sie schon in der Lage in die Ge-
schichte achtunggebietend einzugreifen. In welchem Masse das geschehen
ist, bleibt uns leider verborgen. Wir wissen nur von wenigen Fällen,
in denen sie als Teilnehmer an geschichtlichen Vorgängen genannt
werden, von anderen können wir es mir mittelbar durch Kombination
erschliessen.
Das erste Mal, wo ihrer in der Überlieferung gedacht wird, die
Stelle vom Monumentum Ancyranum, ist schon erwähnt (oben S. 1( 2)
Doch müssen wir in eine viel frühere Periode als den Beginn unserer
Zeitrechnung ein anderes sehr bedeutsames geschichtliches Hervortreten
der Semnonen hinaufrücken, falls wir die schon erwähnte Hypothese
Möllenhoffs acceptieren. Darnach sind die Semnonen an der grössten
und folgenreichsten Wendung, die im Leben der Germanen eingetreten
ist, hervorragend beteiligt. Gemeint mit der Wendung ist jener Augen-
blick, wo die Germanen das Gebiet ihrer Urheimat nach Westen hin er-
weitern und damit das Gesicht der Nation, das bis dahin nach dem
Osten und Norden gerichtet war, nach jener Seite kehren. Der undurch-
dringliche llrwaldgürtel, der Altgermanien nach Westen bis zur unteren
Weser hin abschloss, wird von germanischen Scharen, unter denen sich
Semnonen befunden haben müssen, durchbrochen. Diejenigen von ihnen,
die sich aus dem Volke der Semnonen loslösten, lassen sich im Süd-
westen hart am hercyntschen Urwald d. h. der alten Mark nieder und
erhalten so den Namen „Markomannen*. Diejenigen, die sich von den
südlichen Nachbaren der Semnonen, den Hermunduren, loslösten, und
weiter westlich Fuss fassen, werden Chatten genannt. Mit diesem Durch-
bruch der alten westlichen Grenze sind die Germanen erst eigentlich in
den Zusammenhang der Weltgeschichte eingetreten, indem jetzt erst die
politische Berührung mit der antiken Welt hergestellt ist.
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Die Bevölkerung Brandenburgs vor der slawischen Zeit. H3
Die nächste Folge dieses Ereignisses ist der Kimbern- und Teu-
tonenkrieg, an dem nach Müllenhoffs Auffassung Semnonen teilgenommen
haben. Sie zusammen mit den Hermunduren, Cheruskern, Langobarden
bildeten das Heer der Kimbern, wie die Kelten und Römer die Scharen
nannten (DA. 2, 300— 303).
Aber auch dem Heere, mit dem Ariovist in Gallien eindrang und
später (58 v. Chr.) gegen Cäsar kämpfte und das dem Kerne nach aus
Chatten bestand, haben, wenn man einer scharfsinnigen Vermutung
trauen darf, Semnonen angehört. Unter den Völkerschaften, die zu
seiner Armee Kontingente gestellt hatten, werden Sedusü genannt (Caesar
Bell. Gall. I, 51). Dass dieser Name falsch überliefert ist und dafür
Eudusii zu lesen ist, hat schon Kaspar Zeuss bemerkt. Eudusii aber ist
etymologisch dasselbe wie Juthungen und nur mit einem anderen Suffix
gebildet wie dieses Wort. Wie dieses heisst es die Sprösslinge sc. des
Tivas. Da nun die Eudusii von der Mittelelbe herstammen müssen, so
ist die Annahme, dass mit diesem Namen Semnonen bezeichnet sind,
nicht ungerechtfertigt, wenn wir bedenken, dass ihnen in ihrem späteren
Auftreten der Name Juthungen beigelegt wurde (Möllenhoff, Ztschr. f.
d. A. 10, 552, 563 f.).
Darnach hören wir von den Semnonen erst in der Zeit Marbods
17 n. Chr. Zu den zahlreichen Völkern, die er seinem Scepter unter-
warf, gehörten auch sie (Strabo p. 291, oben S. 102). Sehr glücklich
müssen sie sich unter seiner Herrschaft nicht gefühlt haben. Denn als
Marbod mit Armin in Kampf geriet, fielen sie von ihm ab und wandten
sich dem Gegner zu (Tacitus, Annalen 2, 45. 46).
Es vergehen beinahe 70 Jahre, ehe in der Überlieferung Semnonen
wieder genannt werden. Damals, i. J. 84 n. Chr., begab sich einer
ihrer Könige, namens Masyos, nach Rom zu Domitian. Zu welchem
Zweck, erfahren wir nicht. Wir erfahren nur noch, dass er nach Hause
zurückkehrte, nachdem ihm vom Kaiser die üblichen Ehren erwiesen
worden waren (Cassius Dio 67, 5).
Dann vergehen wieder fast 100 Jahre, ehe der Semnonen in der
Überlieferung Erwähnung geschieht. Im markomanni sehen Krieg um das
Jahr 174 beabsichtigen, wie wir erfahren, die in den Krieg verflochtenen
Quaden zu den Semnonen auszuwandern (Cassius Dio 71, 20).
Der markomannische Krieg fällt schon in die Zeit, in der der Osten
Germaniens durch Völkerbewegungen erschüttert wird. Mit mehr Recht
als mit dem Einbruch der Hunnen in Europa im 4. Jahrhundert, muss
man mit diesen Vorgängen die Epoche der Völkerwanderung beginnen.
Schon damals zogen gotische Scharen von der Ostsee an den Pontus.
Auch die Semnonen müssen bereits in dieser Zeit von den Unruhen stark
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Otto Pniower.
in Mitleidenschaft gezogen worden sein, denn nicht lange nachher sah
sich der grösste Teil des Volkes veranlasst, die Heimat zu verlassen.
Er brach nach Süddeutschland auf und liess sich zwischen Lech,
Rhein, Schwarzwald, Bodensee und am Neckar abwärts bis gegen Heil-
bronn nieder.
Gerne möchten wir wissen, wann dieser Abzug stattfand. Doch
ist eine genauere Datierung bis jetzt nicht möglich. Aus der Nachricht,
dass die Quaden, um allen Mühseligkeiten zu entgehen, sich um 180 n. Chr.
entschliessen, zu den Semnonen auszuwandern, darf man wohl entnehmen,
dass diese damals noch in ihren alten gesicherten Gebieten sassen.
Allerdings ist gerade daraus der Schluss gezogen worden, dass sie die
alte Heimat bereits verlassen hatten (Baumann, Forschungen zur deutscheu
Gesch. XVI), doch wird man diese Annahme wohl uicht für gerecht-
fertigt halten dürfen. Nun finden wir die Semnonen in ihren neuen
Sitzen um 270 erwähnt, als der römische Kaiser Aurelian mit ihnen an
der Donau und in Italien kämpft (DA. 3, 217). In der Zeit, die von
diesen beiden Daten begrenzt wird, müssen sie also ihre Heimat ver-
lassen haben.*)
Was sie veranlasste, ein Gebiet aufzugeben, das sie seit Urzeiten
inne hatten, dessen Besitz sie mit dem Nimbus des ehrwürdigen Alters
umgab, wissen wir nicht. Gering kann die Ursache nicht gewesen sein.
Ob sie von den südwärts ziehenden Goten unmittelbar gedrängt wurden
oder ob die von diesen bedrängten Burgunden sie wegtrieben, ist uns
unbekannt. Am wahrscheinlichsten möchte mich diese letztere Annahme
dünken. Wenigstens spricht dafür, dass (wie wir weiterhin sehen
werden) die Burgunden sehr bald den Semnonen folgten und sich gleich-
falls im Südwesten von Deutschland niederliessen. Vermutlich besetzten
sie also zunächst die von ihnen geräumten Gebiete.
So gross die Bewegung aber war, die im 3. Jahrhundert den Osten
Germanieus erschütterte und so sehr die Semnonen von ihr getroffen
wurden, es haben damals doch nicht alle die Heimat verlassen. Nur
das Gros der Bevölkerung kann zu jener Zeit fortgezogen sein. Denn
noch mehr als drei Jahrhunderte später hören wir von „Suabi" im
Lande der Mittelelbe, womit nur die Überbleibsel der Semnones des
Tacitus gemeint sein können. Nach der Sage, die aller Wahrscheinlich-
keit nach auf historischer Grundlage beruht, gab Auduin, der Vater des
*) Unbegründet ist die Annahme, der man begegnet (vgl. Kaufmanns Deutsche
Gesch. 1, 86), dass der torminus ad quem für die Niederlassung der Semnonen in
Sttddeutachland das Jahr 213 sei. Sie beruht auf der Identifizierung der Alemannen
und Juthungen, die Baumann in dem schon angeführten Aufsatz in den Forschungen
z. dtach. Gesch. Bd. X.VI vergeblich zu beweisen sucht.
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Die Bevölkerung Brandenburgs vor der slawischen Zeit. H5
berühmten Langobardenkönigs Alboin, einem Könige dieser Semnonen
seine Tochter zur Gemahlin. Diese „Schwaben* blieben in dem alten
Stammlande der Germanen bis znm Jahre 568/69. Da war eine Zeit
gekommen, in der sich im Elbland Vorgänge von weltgeschichtlicher
Bedeutung abspielten. Drohend waren im Osten des fränkischen Reiches
die Awaren erschienen und ihr Ansturm hatte zuerst jene Semnonen-
reste getroffen. Darauf wandten sie sich gegen Sigibert von Australien,
der sie zurückschlug, bald hernach aber von ihnen besiegt wurde. Schon
schien es, als ob es im Osten Germaniens zu dauernden Kämpfen
mit diesem türkischen Volk kommen sollte, da schlössen die Awaren
kurz nach ihrem Siege einen Vertrag mit Sigibert (a. 566, Menander p.
302 f. = 230, Gregor v. Tours 4, 29), wonach sie von ihm verproviantiert
abzogen, um nach Dacien zu marschieren. Dorthin hatte sie Alboin
gerufen, um mit ihnen gemeinsam den Vernichtungsschlag gegen die
Gepiden zu führen. Als dies gelungen war, hielten die Langobarden
den Augenblick für gekommen, nach dem lang ersehnten Italien aufzu-
brechen. Weit nach Norden hinauf wirkte die Nachricht von diesem
gewaltigen Unternehmen. 20000 Sachsen mit Weib und Kind folgten
Alboin nach Italien und auch bei den Semnonen regte sich die Lust,
ihre freudlose Heimat mit den herrlichen Gefilden des Südens zu ver-
tauschen. Ein Teil von ihnen schloss sich also Alboin an, der andere,
der sich nun nicht mehr im Lande zu halten vermochte, ward von Sigi-
bert von Austrasien über ihre uralte westliche Grenze in die Gegend
zwischen Harz, der unteren Bode und Elbe verpflanzt (DA. 2, 101 ff.
Müllenhoff, Beovulf S. 103).
Damit war das Land, das im Besitze der Germanen seit und mit
ihrer Existenz war, das ihre Urheimat darstellte, einem Volke überlassen,
das von Anfang an ihnen benachbart war, aber einer anderen Nationaliät
angehörte. Ich meine die Slawen. Sie mögen schon früher in das Land
zwischen Oder und Elbe eingedrungen gewesen sein. In zerstreuten
Haufen oder ganz vereinzelt hatten sie sich vielleicht schon seit Jahr-
hunderten in dem verödeten Gebiete niedergelassen, wie es ihrer Art
entsprach, allmählich und in lockeren Scharen vorzudringen. Vielleicht
waren sie seit langem auch schon in der Überzahl im Lande und be-
trachteten sich als seine Herren. Dennoch wurde der uralte Besitz erst
jetzt wirklich von den Germanen aufgegeben. Mindestens fasste das
Volk die Vorgänge so auf. Denn bis dahin galt in der Sage des
6. Jahrhunderts das Land zwischen Elbe und Weichsel für germanisch
und für ein Gebiet, auf das die Germanen ein unverjährtes Anrecht
hatten. Jetzt aber wich aus ihm mit dem Reste der germanischen Be-
völkerung auch der germanische Geist. Das Land fiel an die Slawen.
In gewaltigen Kämpfen der Völkerwanderung hatte Deutschland im
Westen und Süden an Ausdehnung ungeheuer gewonnen. Hier im Osten
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Otto Pniower.
büsste es seine alte historische Grenze ein. Es reichte nur noch bis
zur Oder und sein Staramland schien verloren. Wir wissen, dass es
zurückerobert wurde und wieder deutsch ward, wenn auch Jahrhunderte
lauge Kämpfe dazu erforderlich waren. Welch' wunderbares Walten der
Geschichte aber, dass von demselben ehrwürdigen Gebiete aus, das die
Ursprungsstatte unseres Volkes war, dann für lange Zeit einer fremden
Nation überlassen und in harten Kämpfen wiedergewonnen werden
musste, dass von hier aus sich die Erneuerung unseres Vaterlandes voll-
zog, dass hier, wo vor Jahrtausenden die Wiege des germanischen Volkes
stand, auch das neue deutsche Reich geboren wurde!
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Haus Jessen, Kreis Sorau.
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Haus Jessen, Kreis Sorau.
Ludwig Krug, Rittmeister a. D.
In einer hügeligen, waldreichen Gegend der Nieder -Lausitz, 7 bis
9 Kilometer von den drei Stationen Sommerfeld, Gassen und Liebsgen
der Niederschlesisch-Märkischen Eisenbahn entfernt, liegt in einem Thale
das Rittergut und Dorf Jessen. Beide liegen zusammenhängend, von
den die Gebäude deckenden Gärten umgeben, sodass man von allen
Seiten, von der Höhe kommend, sie nicht eher sieht, als bis man davor
steht. Das Dorf ist ein kleiner, sauberer Ort, dessen sämtliche Ge-
bäude mit Ziegeln gedeckt sind. Das Schloss liegt vor dem Gutshofe,
in einem Parke von 26 Morgen Fläche, welcher mit seinen hohen, alten
Bäumen, grossen Rasenplätzen, Springbrunnen und Teichen dasselbe von
drei Seiten umgiebt. Ein lebendig messender Bach durchströmt ihn.
Die Gegend hat einen guten, oft schweren Thonboden, welcher sehr
quelleureich ist, und dessen fruchtbare Wirkung sich in dem prachtvollen,
üppigen Grün der Rasenplätze und der Bäume des Parkes, sowie in der
das Gut umgebenden Forst geltend macht. Diese zieht sich, wie ein
breiter, fast vollständig geschlossener Gürtel, um die Feldmark des
Gutes, in ihr abwechselnd Hügel und Thal, und bietet in ihren
in dem frischen Waldboden schön wachsenden Beständen, in denen
neben der Kiefer hauptsächlich die Eiche und Birke treiben, manch'
hübsche Partie. In ihr findet sich auch nördlich vom Gutshofe, unter-
halb einer Anhöhe, ein alter heidnischer Opferstein, an dem die zum
Abflugs des Blutes eingehauene Rinne deutlich kenntlich ist. Es ist ein
langer, platter Stein von ungefähr acht Fuss Länge in schräger Lage,
das Kopfende ziemlich drei Fuss, das Fussende zwei ein viertel Fuss
über der Erde, dicht daneben ein jetzt versumpfter Wasserlauf, der
vor Zeiten jedenfalls bedeutender war. Die Forst erstreckt sich bis
dicht an das auf der Höhe gelegene Dorf Jueritz, dessen Gut aus alten
Zeiten bis zur Mitte dieses Jahrhunderts mit Jessen vereint war, und
welches in weiteren Kreisen durch den dort in den siebenziger Jahren
aufgedeckten, alten heidnischen Begräbnisplatz bekannt wurde, dessen
Ausbeute sich jetzt im Besitze des Märkischen Museums der Stadt Berlin
befindet. In der ganzen Gemarkung des Gutes und Dorfes Jessen findet
man häufig Urnenscherben, welche entweder beim Ackern oder bei
Waldkulturen zu Tage gefördert sind. Ich habe auch hin und wieder
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Ludwig Krug.
beim Nachgraben einzelne Urnen gefanden, jedoch kein geschlossenes
Feld, wie das vorerwähnte von Jueritz. —
Jessen mit Jueritz, richtiger Gueritz, gehörten früher nebst einer
grossen Anzahl benachbarter Güter mehrere Jahrhunderte hindurch der
ehemals in der Nieder - Lausitz sehr begüterten Familie von Zeschau.
Für Jessen mit Jueritz lässt sich dieser Besitz bis auf das Jahr 1660 nach-
weisen, während andere Güter der Nachbarschaft schon lange vorher
in ihrem Besitze waren. Die sämtlichen, vordem Zeschauschen Güter
der Umgegend, sind fast immer noch heute durch die um den Gutshof
oder auf ihm stehenden hohen italienischen Pappeln kenntlich, sodass
man beim Anblick dieser Bäume auf einem Gute meistens mit Recht
annehmen kann, es sei Alt - Zeschauscher Besitz. Auch Jessen hat in
seinem Parke viele dieser riesigen Pappeln, von denen allerdings in den
letzten Jahren der Sturm manch' eine niederlegte.
Beide Güter hatten die Freiherrn von Bieberstein zu Lehn, der
Letzte des Geschlechtes Heinrich Wenzel hatte keine männlichen Nach-
kommen. Um nun seinen Schwestern ein Erbe zu stiften, beantragte er
die Umwandlung derselben in ein Allod, weil sie aus Erbmitteln erkauft
seien; diese erfolgte auch mit Churfürstlich Sächsischer Bewilligung
d. d. Schloss Luebben am 30. Juni 1655, jedoch erst nach seinem Tode.
Darnach kaufte sie Albrecht von Ronof, von dem noch ein Urbarium
beider Güter ultimo 1659 existiert. Das Jahr darauf, also 1660, ver-
kaufte er sie an Frau Helene von Dyherrn, Wittwe, geborene von
Zeschau, welche sie in ihrem Testamente ihrem Vetter (Neffen?) Siegis-
mund von Zeschau auf Drehnow damals „Thren" genannt, aus dem
Hause Wüsten Dobritzsch im Saganschen vermachte. Am 21. April 1665.
Von da ab waren Jessen und Jueritz im Besitze der Zeschau bis zum
Jahre 1858. Wüsten Dobritzsch, das Stammhaus dieses Zweiges der
Zeschau, gehörte ihnen bereits 1369. Als Kuriosum sei hier erwähnt,
die Mutter des Siegismund, Elisabeth, geborene von Börnsdorf, hatte
16 Kinder; er selbst hatte mit seiner Ehefrau Margarethe, geborene von
Dyherrn, 14 Kinder. Erstere starb in Jessen, (.I5 Jahre alt.
Jessen hatte schon vor dem 3U jährigen Kriege ein als „schöner
Bau" bezeichnetes Schloss, dies wurde aber während der Wirren des
Krieges von den durchziehenden Truppen arg verwüstet. So erzählt
Schneider in seiner Chronik der Stadt und Herrschaft Forst S. 120, dass
die Schweden während der Belagerung von Guben im Jahre 1642 das
Schlos6 plünderten, und die kupfernen, vergoldeten Dachrinnen mit-
nahmen. Darnach, als Frieden im Lande war, erschien ein Neubau ge-
boten, und es wurde das jetzige Schloss, und zwar ganz nahe der Stelle
des alten Baues, von dem sich noch auf dem Wirtschaftshofe ein hoher,
gewölbter Keller als letzter Überrest befindet, erbaut. Dies geschah
wohl in den Jahren 1681 bis 84, also durch Siegismund von Zeschau,
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Haus Jessen, Kreis Sorau.
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der auch in der Tradition als Erbauer bezeichnet wird. Über diesen
Nenbau existiert die nachstehende Sage: Es sassen drei Vettern von
Zeschau, auf Jessen, Gassen und Niewerte einst in einer der benach-
barten Städte beim Glase zusammen und fassten hierbei, da ihre Häuser
alle mehr oder weniger im langen Kriege verwüstet und zerstört waren,
den Entschluss zum Neubau. Sie kamen überein, sich in gewisser Zeit,
bis dass die Schlösser fertig seien, gegenseitig nicht zu besuchen, aber
nach ihrer Vollendung durch Schiedsmänner feststellen zu lassen, wer
von ihnen den schönsten Bau aufgeführt habe, und sollte dieser als
Prämie dann Zeit seines Leben, wenn er mit ihnen pokulierte, zechefrei
ausgehen. Durch Zufall sind nun die drei Vettern, ohne es zu ahnen,
an einen und denselben Baumeister geraten, und dieser hat sich nach
den gegebenen Mitteln gerichtet. So sind denn die drei Häuser in einem
Baustyle errichtet: Gassen hat 14 Fenster Front, liegt jedoch ohne Sou-
terrains flach auf der Erde auf; Jessen hat nur 13 Fenster Front, jedoch
hohe, gewölbte Souterrains; Niewerte ist bedeutend kleiner und hat, soviel
ich mich erinnere, nur 7 Fenster in der Front. Darnach hat der Besitzer
von Jessen den Preis erhalten und mag sich seiner wohl manches Mal
erfreut haben, denn wenn es der erwähnte Siegismund war, so starb er
erst als ein 8lJjähriger Greis. —
Wie der nachstehende Situationsplan zeigt, liegt das Schloss mit
seiner Vorderfront nach Norden, dem Wirtschaftshofe zugekehrt, mit den
drei anderen Seiten im Park. Es hat ausser den Souterrains, welche
ihm den Preis erworben, zwei Etagen mit einem hohen, gebrochenen
Dache. Der Bau ist durch alle Etagen durch einen von Giebel zu Giebel
führenden breiten Korridor geteilt, welcher in der Mitte in einen grossen,
drei Fenster breiten Vorraum führt, in welchem die Treppe liegt. Von
diesem Baume, sowie vom Korridor aus führen Flügelthüren in die
einzelnen Zimmer, welche wieder unter sich fast immer durch Thüren
verbunden sind. In den Korridor -Wänden befinden sich ausserdem die
durch Thüren verschlossenen Eingänge zu den Heizungen. Diese Wände
sind nach aussen, dem Korridor zu, ganz glatt, nach verschiedenen
Zimmern zu, also in den Zimmern selbst, fällt es jedoch dem, allerdings
sehr aufmerksamen, Beobachter auf, dass in den Wänden zuweilen
grössere Nischen sind, welche durch rechts und links belegene stärkere
Pfeiler gebildet werden. Beim ersten Blick sieht man diese Pfeiler als
Schornsteine an, was sie auch häufig sind. Dann befindet sich in ihnen
der Kamin resp. steht jetzt der Ofen davor. Untersucht man die Sache
näher, so findet man an einigen Stellen, wenn man vom Korridor aus
in die Kamin-Öffnung tritt, einen schmalen Gang, welcher in einen Hohl-
raum der Wand führt. Diese Räume sollen bestimmt gewesen sein, um
in Kriegszeiten zum Versteck sowohl von Personen als Wertgegenständen
zu dienen. Es sind gegenwärtig nur noch drei solche Verstecke vor-
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Ludwig Krag.
h an den, es sollen jedoch früher mehrere gewesen sein, was sich aach
aus der Konstruktion der Wände nachweisen lässt. Sie sind jetzt ab-
gebrochen und dadurch in den Zimmern glatte Wände geschaffen. Diese
Bauart könnte nun wohl für die Behauptung, dass das Schloss nicht
lange nach dem 80jährigen Kriege, wo man die verschiedenen Plünderungen
und Überfälle noch in frischer Erinnerung hatte, erbaut sei, sprechen.
Die Ansicht möchte auch noch durch eine alte eiserne Wetterfahne mit
der Jahreszahl 1681, welche ich unter altem Eisen auf dem Boden fand,
Bestätigung finden, doch wird andererseits auf Grund des Baustyles ein
so hohes Alter bestritten und gesagt, das Schloss sei nicht älter als aus
der Mitte des vorigen Jahrhunderts.*)
Zu der Vorderfront des Hochparterres führt eine steinerne Vortreppe,
welche von zwei Säulen flankiert wird und den darüber liegenden Balkon
*) Und zwar soll es von dem Sächs. Rittmeister Balthasar Gottlob Erdmann
von Zeschau erbaut worden sein, was in seinem Nekrolog im Lausitzer Magazin
Jahrg. 1784, 8. 267-69 erwähnt wird. Bei der Renovierung des Gebäudes, die ich
i. J. 1877 vornehmen Hess, fand ich an der 8teinplatte, die über dem Haupteingang
den Balkon tragt, unter Moos versteckt, die Zahl 1754. Ob diese sich jedoch auf die
Erbauung bezieht oder nur auf eine in diesem Jahre ausgeführte Restaurierung hin-
weist, lasse ich dahingestellt.
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Hau« Jessen, Kreis Sorau.
121 .
trägt. Die beiden Säulen tragen anf ihren Kapitalen das Zeschaasche
Wappen. Von hier tritt man in eine grosse Vorhalle, von welcher aus
man rechts und links in die Zimmer tritt. Diese sind, mit Ausnahme
eines nur zweifenstrigen Zimmers, grosse saalartige Räume. Die dem
Parke zugelegene Hinterfront scheint mehr zu Wohnräumen bestimmt
zu sein, unter ihnen befindet sich ein schön gewölbter Raum mit eiserner
Thür, der die Jahreszahl 1775 aufgenietet ist. Auch Gassen sowie Nie-
werte haben diesen gewölbten Raum im Parterre. In der Beletage ist
die Einrichtung eine ähnliche, vorn die grossen Repräsentations-Räume,
hinten die bequemeren Wohnzimmer. Vorn befindet sich der grosse Saal
mit Balkon, 5 Fenstern in der Front, in der einen Ecke ein grosser
Kamin, in der andern ein alter, sehr schöner Ofen auf hohen Füssen,
wie sie jetzt wieder in Mode kamen. In einem Ecksaale steht ein eben
solcher Ofen. Die Wände des Saales sind noch aus alter Zeit her grün
bemalt mit Landschaften, welche Bilder der Umgegend aus längst ver-
gangener Zeit, unter ihnen angeblich auch ein Bild des alten Schlosses,
darstellen sollen. Über der Thür des Saales im Korridor hängen neben
einander zwei grosse, auf Holz gemalte Wappentafeln, die eine mit der
Umschrift: Siegismund von Tzscheche a. d. 1681; die zweite: Anna
Margarethe Tzschechin, geb. von Dyheru, a. d. 1681. — Dies sind die
Wappen der angeblichen Erbauer des Schlosses. Im Saale selbst hängen
in der breiten Hohlkehle unter der Decke die Wappen der sechszehn
Ahnen des Siegismund und seiner Gemahlin. Neben dem Saale liegt, ein
einfenstriges Zimmer, dessen eine Wand dem Saale zu zur Hälfte her-
ausgenommen und durch einen bemalten Leinwand -Vorhang, welcher
zum Heraufziehen eingerichtet ist, geschlossen wird. Die Wände dieses
Raumes sind wie der Saal bemalt, jedoch nur mit Darstellung musi-
kalischer Instrumente; das jetzt noch sogenannte Musikanten -Zimmer
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122
Lndwig Krng.
hat bei Festlichkeiten zur Aufnahme des Musik -Chores gedient. Auf
der zur Beletage führenden Treppe hängt an der Wand das fast lebens-
gross in Öl gemalte Brustbild einer Dame in der Tracht des vorigen
Jahrhunderts mit hoch frisiertem, weiss gepudertem Haar. Es soll eine
polnische Starostin darstellen, welche in den polnischen Unruhen mit
ihrem Gatten nach Jessen flüchtete und hier bei der befreundeten Familie
des damaligen Besitzers Jahre lang gastliche Aufnahme fand. Das
Porträt des Starosten, welches ebenfalls vorhanden war, ist nicht mehr
zu finden. Das Bild der Dame ist gut gemalt und macht den Eindruck,
als fixire es mit seinen dunklen Augen den die Treppe herauf Steigenden
und folge ihm mit dem Blick. — Wie bekannt, war die Nieder -Lausitz
bis zum Jahre 1815 mit Sachsen vereinigt und fiel erst damals an
Preussen, und da der Herzog von Sachsen gleichzeitig zur Zeit König
von Polen war, fand ein reger Verkehr der Hof leute beider Länder
statt. So soll auch König August der Starke auf seinen Reisen von und
nach Polen häufig Gast in Jessen gewesen sein.
In seiner oberen Etage hat das Gebäude noch die kleinen Fenster-
scheiben des vorigen Jahrhunderts bewahrt. Dass es nach dem Glauben
des Volkes in den langen Korridoren spukt, wird nicht auffallen, aber
dass dies auch am hellen lichten Tage zur Mittagsstunde geschehen soll,
ist doch merkwürdig. Auf dem hohen Boden sollen sich einer Dame
wegen zwei Brüder im Duell erstochen haben. Oft hört man in der
Nacht noch das Geklirr der Degen und darnach einen starken Schlag,
als fiele ein Körper zur Erde. — Die Sache ist leicht erklärlich, denn
wenn in stürmischen Frühjahrs- oder Herbst -Nächten der Wind durch
den Boden und die Korridore heult und sich in den vielfach angebrachten
Ventilations-Schächten fängt, so bringt er, wenn auch nur eine Fenster-
scheibe zerbrochen, eine Thür nicht gehörig geschlossen ist, zuweilen
Töne hervor, die schauerlich klingen und rätselhaft erscheinen. Die in
Blei gefassten rasselnden Fensterscheiben klingen dem Degengeklirr
ähnlich, und auf- und zuschlagende Thüren erwecken den Gedanken, es
ginge Jemand aus und ein. Das Duell der Brüder ist nicht historisch
nachzuweisen, denn noch lebende Mitglieder der Familie von Zeschau
haben mir versichert, dass die Sage ihr Geschlecht nicht beträfe, da, so
lange Jessen im Besitze der Familie gewesen, niemals zwei Brüder im
Schlosse gelebt hätten. Es müsste also in der Zeit vor 1660 geschehen
sein, damals stand jedoch der jetzige Bau noch nicht.
Dicht hinter der Südseite des Schlosses zieht sich ein Teich hin,
in dem es viele Ratten giebt ; sie haben von dort nach der im Souterrain
belegenen Küche ihre unterirdischen Gänge, und wenn sie dann in der
Nacht öfter die Treppen auf- und niedersteigen, hallt es, als huschten
Menschen hin und her. Diese Ratten sind nicht zu vertilgen, da sie
sowohl in den Kaminen und ihren Vorgelegen, als auch unter den
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Haus Jessen, Kreis Borau.
123
Dielen ihre Verstecke haben, in denen ihnen nicht beizukommen ist,
und schliesslich retirieren sie in den Teich. Das Souterrain wurde, als
ich das Gut kaufte, nur allein zum Durchgang für die Dienstboten be-
nutzt, da lediglich Besucher der Herrschaft den Haupt-Eingang benutzten.
Es hätte sich auch niemand darin aufgehalten, denn es sah wirklich
schauerlich aus. Die schönen gewölbten Räume lagen an einigen Stellen
Meter hoch voll Schmutz und Erde, welche letztere besonders durch die
in fast gleicher Höhe mit dem Erdboden liegenden Fenster, die selten
noch eine Scheibe aufwiesen, bei Regengüssen im Laufe der Jahre hin-
eingeschwemmt war. Ein Wirtschafts - Inspektor, den ich gleich nach
dem Kaufe des Gutes installiert hatte, während ich selbst erst drei
Wochen später kommen konnte, sagte mir, als ich mit ihm über die
Düngung der Wiesen sprach: „Hundert Fuhren Dung fahre ich allein
aus dem Schloss!" Als nun die Keller und Gänge gereinigt und vom
Maurer frisch abgeputzt waren, wobei noch ein Brunnen entdeckt wurde,
von dem niemand etwas wusste, wollte doch zuerst kein Mensch länger
darin bleiben, trotzdem alles jetzt sauber und hell war. Die Leute be-
haupteten, es spuke dort am hellen Tage, in der Mittagstunde, zuweilen
öffneten sich sämtliche Thüren auf ein Mal und fielen gleichzeitig mit
Geräusch wieder zu, Töne erschallten, als lache jemand, Tritte würden
gehört, und doch wäre kein Mensch zu sehen. Es dauerte Jahre lang,
ehe sich die erregten Gemüter beruhigen konnten, und ich die Leute
dazu brachte, in einigen dieser hellen, schönen Räume zu schlafen.
Die Starostin ging um und suchte ihren Gatten, dessen Bild, wie schon
erwähnt, verschwunden war. Auch Tiergestalten mussten zum Spuk her-
halten. So sollte öfter eine Gans vom Boden aus die Treppen langsam
heruntersteigen und im Souterrain verschwinden. —
Das jetzige sowie das alte Schloss waren offenbar Sumpfburgen,
welche von drei Seiten vom Wasser umgeben waren, oder doch unter
Wasser gesetzt werden konnten. Der Boden des Parkes, in dem der
jetzige Bau liegt, ist erst in spätere u Zeiten erhöht und meterhoch auf-
gekarrt worden ; der ursprüngliche Wallgraben, von dem noch ein Teich
als Cberbleibsel vorhanden ist, wurde später eingedämmt und zieht sich
jetzt noch hakenförmig um die Mittag- und Abendseite des Schlosses.
Er ist jetzt Karpfenteich. Er wird von einem aus Morgen kommenden
lebhaft fliessenden Bach gespeist, der auch den oberhalb liegenden Gold-
fischteich bildet und bei Regengüssen oft solche Mengen Wasser herbei-
führt, dass die vorhandenen Schleusen schnell geöffnet werden müssen,
weil sonst ein grosser Teil des Parkes unter Wasser gesetzt und die
Dämme der Teiche gebrochen werden würden. Weiter unten treibt der
Bach, noch durch andere Wasserläufe verstärkt, zwei im Walo^e versteckt
liegende Mühlen. Der gut gehaltene Park hat schöne, schattige Gänge,
grosse üppige Rasenflächen und stattliche alte Bäume. Unter diesen sind
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124
Ludwig Krug.
besonders drei Linden merkwürdig, die durch ihre von der sonstigen
Form abweichende Astbildung auffallen. Sie machen den Eindruck in
der .lugend gekröpfter Weiden und sollen der Sage nach verkehrt, mit
den Wurzeln nach oben, den Ästen nach unten eingepflanzt sein. Ur-
sprünglich sollen es vier im Quadrat stehende Bäume gewesen sein, von
denen der eine ausging. Unter ihneu soll früher ein Sommerhaus, oder
nach anderer Lesart, eine Orangerie gestanden haben. Hiervon ist keine
Spur mehr vorhanden.
Das eine halbe Meile von Jessen entfernte Rittergut und Stadt
Gassen gehörte früher ebenfalls den Zeschaus, welche das Patronat
hatten. In der dortigen Kirche liegen in der Erbgruft, welche die viel-
fach vorkommende Eigenschaft haben soll, die darin beigesetzten Leichen
zu mumifizieren, viele «1er alten Zeschaus. Jessen gehört jetzt zur
Kirche nach Dölzig, in deren Gruft die von Zeschau seit fast zweihundert
Jahren ruhen. In der Kirche, in der Wand eingemauert, stehen zwei
Grabsteine, welche bis zu der vor bereits längerer Zeit vorgenommenen
Renovierung der Kirche in ihr über der Gruft vor dem Altar gelegen
haben sollen. Sie stellen in Lebensgrösse einen Ritter und eine Dame
dar, je mit acht Wappen umgeben. Der erste des Ritters trägt die Um-
schrift: „Herr Siegmund Zesche auf Jessen, Thren*) und Guertz ward
geboren A. 1). Ili20 den u, der Rest ist abgetreten und unleser-
lich. Auf dem Stein der Dame steht: „Anna Margarethe Zeschin, ge-
borene von Dvherrn" — nichts weiter. Dies sind also die Bilder der
angenommenen Erbauer des jetzigen Schlosses, deren Wappen über der
Thür des grossen Saales hängen. Der Ritter in der reichen Tracht
seiner Zeit mit grosser Allongen -Perücke hält in der rechten Hand eine
Peitsche, richtiger nur den Stiel einer solchen, denn das übrige ist ab-
gebrochen. Hieran knüpft die Sage an, er sei ein sehr strenger Herr
gewesen und habe die im Frohndienst beim Bau des Schlosses be-
schäftigten Arbeiter oft mit der Peitsche angetrieben.
Wie nun das Schloss von der Sage umwoben ist, so bietet auch
die dazu gehörige Gemarkung zwei des Erwähnens werte Punkte. Bevor
die Nierler-Lausitz mit Preussen vereint wurde, bildete im Norden ein
an der Gutsforst von Jessen von Westen nach Osten führender Weg
die Grenze zwischen Sachsen und Preussen. Am Kreuzungs - Punkte
dieses Weges mit dem von Jessen nach der Stadt Sommerfeld führenden
Wege ist noch heute eine frühere Garten-Anlage durch einige verkrüppelte
alte Obstbäume und Sträucher in der ringsumliegenden Forst deutlich
erkennbar. An dieser Stelle stand einst das Grenz-Zollhaus, und auch
hier spukt es. Ich fuhr eines Tages im Hochsommer im offenen Wagen
*) Thren ist da« jetzt Drehnow genannte, Meile von Jessen entfernte Ritter-
gut, welches bereits vor Jessen im Besitze der von Zeschau war.
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Hau b Jensen, Kreis Sorau.
125
in der Mittagstunde zwischen zwölf und ein Uhr über diese Stelle, als
plötzlich meine beiden Pferde mit einem grossen Satz links sprangen
und dann im rasenden Galopp den Weg geradeaus weiter stürmten. Ich
war erstaunt, denn ich hatte weder rechts noch links in der Kiefern-
Schonung, noch vor mir geradeaus im Wege etwas bemerkt, vor dem
die Pferde hätten scheuen können ; ich fragte daher meinen Kutscher, als
sich die Tiere etwas beruhigt hatten, ob er irgend etwas bemerkt habe,
und erhielt die Antwort, auch er habe nichts gesehen, aber an dem
Kreuzwege spuke es und es sei nicht gut, in der Mittagsstunde oder des
Nachts an der wüsten Hausstelle vorbeizukommen. Es gehe dort ein
Frauenzimmer um in brennenden Kleidern und Haaren. —
Ich erkundigte mich darauf näher nach dieser Geschichte und
brachte in Erfahrung, dass dies Zollhaus die Heimstätte oder doch ein
Schlupfwinkel der Grethe Delitz und ihres Geliebten, des Mordbrenners
Horst, gewesen sein soll, welche anfangs dieses Jahrhunderts das grosse
Dorf Schönerlinde bei Berlin anzündeten und dann beide am *JH. Mai 1813
in Berlin auf dem Neuen Markte auf dem Scheiterhaufen verbrannt
wurden. Dies war die letzte derartige Hinrichtung im Preussischen
Staate. Die Stelle liegt tief und einsam im Walde, dicht an der früheren
Grenze, und mag das dort stehende Haus wohl öfter, zumal in den
langen Französischen Kriegszeiten als Schlupfwinkel für allerhand Ge-
sindel gedient haben. Nicht weit davon liegt in dem Forst ein mit
Schilf und Binsen fast verwachsener See, und was eine Rohrdommel,
die bekanntlich derartige Flecke liebt, mit ihren Tönen vermag, hat
uns Reuter in seinem ^Durchläuchting" geschildert. So mag die Sage
von dem brennenden Weibe, welches oft schreiend im Walde umher
läuft, entstanden sein.
Der zweite Fall, welcher auch an einem Kreuzwege spielt, bezieht
sich auf eine Begebenheit, die sich im Anfange dieses Jahrhunderts auf
Jessener Grund und Boden ereignete. In der Richtung nach Nord-Osten
vom Gutshofe aus zieht sich am Parke entlang der Weg nach Gassen,
zuerst durch die Felder, dann durch die Forst des Gutes, welche hier
an einigen Stellen sumpfige Partien enthält. An einem schwülen Sommer-
abend trat ich, im Park umhergehend, an die Umzäunung, weil ich,
allerdings sehr weit von mir, im Walde ein Licht zu sehen glaubte.
Bald erschien es an dieser, bald an jener Stelle, sodass ich mir uach
längerer Betrachtung der Erscheinung in Hinblick auf das sumpfige
Terrain sagte, es sei ein Irrlicht. Als ich bald darauf hierüber mit
Leuten aus dem Orte sprach, wurde mir gesagt, die Erscheinung sei ein
im Walde vergrabener Schatz, der hin und wieder in der Nacht brenne,
das wisse jeder Mensch im Dorfe. Neugierig gemacht, wandte ich mich
an den alten Gemeinde- Vorsteher, einen 70jährigen Mann, dessen Familie
seit Urzeiten im Dorfe ansässig war, und der, so zu sagen, eine lebende
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12ß
Ludwig Krug.
Chronik der Gegend war. Von diesem hörte ich nun, es sei vor vielen
Jahren, als Jessen noch sächsich war, ein Gutsbesitzer aus Sachsen,
welcher im Preussischen eine Erbschaft von 20 OOO Rtblr. gemacht und
diese erhoben habe, auf seinem Rückwege im Jessener Walde Wege-
lagerern in die Hände gefallen. Der Mann sei mit seinem einspännigen
Wagen, auf dem er das Geld in Säcken zu stehen hatte, in der Nacht
allein von Gassen ausgefahren, und sei am Rande des Waldes, wo der
Gassener Weg sich noch heute mit einem Feldwege kreuzt, unter dort
stehenden, hohen alten Eichen, von zwei Männern überfallen, nieder-
geschlagen und seines Geldes beraubt worden. Pferd und Wagen kamen
später nach Jessen, und als man der Spur des Wagens nachging, fand
man den Eigentümer blutüberströmt, besinnunglos unter den Eichen
liegen. Die seitens der Behörden angestellten Recherchen führten endlich
zur Verhaftung eines Einwohners von Gassen, den der Beraubte auch
rekognoszierte, und welcher nach längerer Zeit den Raub auch ein-
gestand.
Er sagte, das Geld sei im Jessener Walde vergraben, und war
auch bereit die Stelle zu bezeichnen. Der Richter fuhr darnach in Be-
gleitung eines alten Gefangenenwärters und eines Schreibers mit dem
geschlossenen Verbrecher im Wagen von Gassen aus. Nicht weit vom
Kreuzwege im Walde liess er auf Ansuchen des letzteren den Wagen
halten, es stiegen die drei ab, und hoben den Gefesselten herunter.
Jetzt verlangte dieser, man solle ihm erst die Eisen abnehmen, damit
er sich frei bewegen könne, und erklärte schliesslich, als ihm dies vom
Richter verweigert wurde, dann würde er ihm die Stelle nicht zeigen.
Der Richter in der Befürchtung, dass der Räuber, wenn er ihm die
Eisen abnehmen Hesse, sofort im Walde verschwinden würde, und er
mit seinen beiden alten Begleitern nicht imstande sein werde, ihn daran
zu verhindern, blieb bei seiner Weigerung. Ebenso weigerte sich der
Dieb auch nur einen Schritt zu gehen. Schliesslich wurde er wieder
auf den Wagen gesetzt, und in das Gefängnis zurückgebracht — dort
fand man ihn am nächsten Morgen in seiner Zelle erhängt. — Seinen
Mithelfer hatte er nicht genannt, das Gericht hatte zwar auf eine Person
Verdacht gefasst, diese war jedoch nicht aufzufinden und soll, wie man
später erzählte, nach Amerika geflüchtet sein. Ob mit, oder ohne Geld,
ist nicht festgestellt, wohl aber wurde, als die Sache ruchbar gewordeu
war, die Umgebung der Stelle in der Forst, an welcher der Verbrecher
vom Wagen gestiegen war, von unzähligen Schatzgräbern durchwühlt.
Das Factum der Beraubung an dieser Stelle steht fest, der jetzt
verstorbene Herr Landrat von Lessiug in Sorau sagte mir, die Sache
sei wahr, und habe er selbst als Kind den Beraubten, einen Guts-
besitzer Heine aus der Luebbener Gegend gekannt. Was aber aus dem
Gelde geworden ist, weiss niemand, die Sage hat sich der Geschichte
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Haus Jessen, Kreis Sorau.
127
bemächtigt, es soll noch heute im Walde vergraben liegen, und harrt
des glücklichen Finders. In schwülen, trüben Nächten brennt danu,
wie das Volk sagt, der Schatz, aber die Leute sind jetzt schon zu klug
geworden, um sich durch einen Jrrwisch hänseln zu lassen, und betritt
jetzt in der Nacht jemand die Stelle, so sucht er nicht den Schatz,
sondern eine schlanke Kiefer, die er still niederlegt und sich aneignet.
Das ist reeller Gewinn und wenn man dabei ertappt wird, ist es auch
weiter nicht gefährlich, wenigstens nicht wie das Schatzgrabeu, wobei
einem bekanntlich der Teufel holen kann.
Zum besseren Verständnis der Lage, sowie des Baues des Schlosses
lege ich einen Situationsplan der Hof lage Jessen aus dem Jahre 1885,
sowie einen Grundriss und eine Ansicht des Schlosses bei.
Schliesslich erwähne ich noch, dass ich die Angaben in Bezug auf
meine Vorbesitzer, die Familie von Zeschau, der gütigen Mitteilung des
Königlich Sächsischen Majors a. D., Herrn Wilhelm von Zeschau zu
Passau in Bayern verdanke.
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Register.
Seit©
Armbrust 6
Agrippa, Weltkarte 07
Alci oo
Ariovist ll.'i
A waren 115
Barrikade auf d. Alexanderplatz . . 15
Beeskow, Schützengilde :$
Berlin, Schützengilde 3. 10 ff.
Bieberstein, Freiherr v 11*
Bogen 6
Brandenburg, Bronze Periode .... 05
Neolithische Periode . 94
„ l:rkunde 12
Brandt, v., Oberförster 38
Kösching 80
Burgunder KM). 104 f. IM
Chatte» 100. 112 f.
Cherusker 100. 10."»
Chronik der Berl. Sehützengildc 10 ff.
Dehlitz, Grete 125
Dessau, Leopold u. Moritz v. . . . 84 f.
Dohna, Graf v
Seit«
General Srhulplan . . 83
Gerber, Prof 78
Germanen, Urheimat 07
., Ost- u. Westgertuanen . . 0*
Grenz Zollhaus 124
Groben, v. d 38
Grossmanu 41
Haarke, v 47. 74
Hermunduren . . ... 100. 105. IOC
Hinrichtung, Letzte . 125
Hocker, Feldprediger 79
Hosentücher . ......... 12
Hoverbeck. v 40
Jena, v 40
Jessen, Haus ...... .117
Ingvaeonen, Irminonen, Istvaonen 100 f.
•lueritz, Dorf 117
Jut billigen III. 113
Kanonen
Krug, Ludwig
45
117
Eibenbaume
Festessen d. Schützengilde 31
Fiddel, Strafinstrument
Frankfurt a. O., Schützengilde . .
Friedrich Wilhelm I., Schützenfeste .
„ „ Edikt
Krya . . .
38
Langobarden
100. 105. 115
6
.... 3
82
... 3
51
31
Märkisches Museum . .
. . . 117
82
... 112
3
Masyos, Senmonenkönig .
.... 113
Meinhardt
.... 30
70
Michaelis, Professor D.
83. 80
78
100
Mülicheberger Schützengilde
. . . . 3
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Register.
Seit«
Nieder-Lausitz 124
Ochsenschieesen v. 1524 12. 42
Offiziere, Bildung 84
Opferstein, heidnischer 117
Ostpreußen, Schatzengilde ... 8
Petrik irehe, Visitationsprotokoll v. 1 51) i 1 J
Predigtdi8position 86
Preussische Armee 77 f.
„ „ -Bildung . . 83
„ „ -Liebstenschein 81
„ „ -Tauf mahle ... 79
,. Verheiratete Soldaten 81
Pritzwalk, Schützengilde 3
Prozess, SchützengiUle gegen Magistrat 58
Ptoleniaeus, Astronom u. Geograph . 104
Radschlossgewehr 8
Reinbeck, Probst 80
Reppert, v., General . 86
Schatz, vergrabener 125
Schild, Superintendent 78
Schieesgraben d. Schützengilde . . 31
Schiesspreise . . 9
Schlabemdorff, v., Oberstlieutenant . 41
Schönerlinde, Einäscherung ... 126
Sehönholz (s. a. Monatsblatt 1897) . . 76
Sehützengilde, Entstehung 1
„ Patrone 10
„ Privilegium . . 12 u. ö.
Schützenplatze . 34. 37. 39. 46. 49. 52. 75
Schützensiegel von 1654 38
Schwaben DK. 107. 114
Seegebart, Feldprediger 88
Sedusii 113
Sr'uava uXr 106
Seit«
Semnonen 100. 101 f.
Sigismund, Markgraf 1507 32
I Silberbecher v. 1664 40
Sil i ngen 105
Slawen 115
Spaldt 38
Spandauer Thor. Umgegend .... 75
Spuk 122, 124
Steinschlossgewehr 8
Strabo . 102
Sueben 98
8uevus, Fluss 104
Sumpfburg 123
I
i Tacitus, Germania .... .39. 102
1 Tiu oder Tivas 99. 107
Trauregister 79
| Treueubrietzener Schützengilde ... 3
I
l.Tnenscherben 117
Vandilier 9*
Vellejus Pateikulus . 103
Yerkehrtlindcn 124
Versen, v 42
Wangenheini, v 48
Warnen 100. 104
Wedekindt 47
Wodan ICH 107
Wrangel 4.-»
Zeschau, v., Adelsfamilie Iis
Zetwitz, v 42
Zielenzig, SchÜUengilde :t
Zimmermann, dreimal Schützenkönig 53
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ARCHIV
„BRANDENBURGS"
GESELLSCHAFT FÜR HEIMATKUNDE
DER
PROVINZ BRANDENBURG
ZU
Unter Mitwirkung des MKrktschen Proyinzial-Museums
herausgegeben
Gesellachafts - Vorstände.
4. Band.
Berlin 1898.
Druc k und Verlag von P. Stankicwicz' Buchdruckerei
Bernburgerstraase 14.
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Inhalt
Seite
1. Adolf Kec kling: Geschichte der Stadt Driesen 1
2. Karl Altrichter: Die Wandgemälde der Kapelle St. Spiritus zu Wusterhausen
a. Dosse 8/i
3. Robert Mielkc: Die Blockhaukirche in Bursehen 98
J. II. Lange: Flachsbau und Leinwandweberei 105
f>. Kobert Behla: Der Barzlin im Spree wald 100
C. Richter. Die Kirche zu Tammendorf und ihr Erbauer der General Lieutenant
Freiherr von Mikrander 117
7. W. Zincke: Teber die historischen Beziehungen der alten Stadt Jüterbog
zu Berlin 121
S. P. Ciraebner: Ueber die Bildung natürlicher Vegetationsformationen im
Norddeutsehen Flachland 133
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Geschichte der Stadt Driesen.
Von
Adolf Reckling, Bürgermeister.
Die nachstehende Geschichte der Stadt Driesen ist für den Grund-
stein des Kaiser Wilhelm -Denkmals auf dem alten Markt von mir ge-
schrieben und bis zum dreissigjahrigcn Kriege zum grössten Teil aus der
Chronik des Bürgermeisters Treu - Friedeberg und ans angefangenen
Chroniken des Postsekretärs a. D. Henke-Driesen entnommen. Die Ur-
kunden sind aus dem Codex diplom. von Riedel und der im Besitz des
Magistrats befindlichen alten Privilegien abgeschrieben. Vom dreissig-
jährigen Kriege ab sind die Aufzeichnungen teils aus dem Stadtbuch der
Stadt Driesen, teils aus publizierten Schriften und der Chronik des Bei-
geordneten Rentiers Ferdinand Modro-Driesen zusammengestellt
Die in den Grundstein gelegte Abschrift dieser Geschichte der Stadt
Driesen widme ich der Nachwelt als ein Vermächtnis, mit der Bitte, das
Denkmal, welches auf diesem Grundstein von den dankbaren Bürgern
dieser Stadt und Bewohnern der Umgebung errichtet ist, zu schirmen
und zu schützen. Wer, wie ich, die Zerrissenheit des deutschen Vater-
landes gekannt und König Wilhelm von Preussen, dem Gründer der
deutschen Einheit, als Kaiser der Deutschen, mit Driesens Bürgern „Heil
Kaiser Dir" zugerufen und diesen Ruf für den Kaiser Friedrich und
Kaiser Wilhelm II. in Liebe und Treue unentwegt bis zum heutigen Tage
fortgesetzt hat, hat dies mit Driesens Bewohnern einstimmig gethan und aus
innerstem Herzen, aus Dankbarkeit für die Hohenzollernfürsten, welche
Deutschland die ihm gebührende Macht und Stellung angewiesen, die ihm
im Rate der Völker gebührt. Wir Driesener haben dein grossen Kaiser
Welheim I. das Denkmal errichtet, zum Andenken an die Zeit, wo Fürst
und Volk einig und bestrebt waren, des Vaterlandes Grösse als das
heiligste Band fortzupflegen und zu erhalten.
An's Vaterland, an's tlieure schlicss Dich an,
Das halte fest mit Deinem ganzen Herzen;
Hier sind die starken Wurzeln Deiner Kraft!
Gott segne den Kaiser und durch den Kaiser segne Gott stets das
deutsche Vaterland! Gott schütze die Stadt Driesen, damit sie wachse,
blühe und gedeihe!
Adolf Reckling, Bürgermeister.
1
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•2
Adolf RecUinp:
Nach Giesebrecht (Wendische Geschichten II. Seite 162) ist der Name
der Stadt Driesen zum ersten Male im Jahre 10U2 den 5. April, Sonn-
abend vor Palmarum, verzeichnet. Die heidnischen Preusseu im Bunde
mit den Pommern und Kassuben zwangen zu dieser Zeit den König
Wladislaw von Polen, der mit ihnen im Kriege war, dadurch, dass sie
die ganze Gegend um ihn verwüsteten und seiner Armee alle Unter-
haltungsmittel entzogen, zum Rückzüge, und als sein Nachzug bei Driesen
über die Netze setzen wollte, entspann sich hier eine so blutige Schlacht,
dass erst die eintretende Finsternis die Kämpfenden zu trennen ver-
mochte. Die Polen verloren hierbei viele Tote und Verwundete, und
mehr als von ihnen gesund geblieben waren, fielen in- Gefangenschaft.
Der einzige Erfolg dieser Schlacht war der, dass sie Driesen im Besitz
behielten.
In diesem Geschichtswerk steht „Flecken Drczen", und dies ist der
polnische Name Driesens, welcher auf deutsch „Kern", das Innere, das
Herz oder Mark vom Nadelholz, im Gegensatz zum Splind oder Spund,
bedeutet.
Nach anderen Urkunden ist der Name Driesens auch „Dresn",
„Dresno", „Drizen", „Drysdenu, „Dreisen" und „Pass Drisen" ge-
schrieben, soll auch vor dem elften Jahrhundert „Ossnia" und „Ossinia"
geheissen haben. Allo diese Namen deuten einen alten Ursprung an.
Nach der vorangeführten Schlacht wurden die Polen von den
Pommern noch wiederholt angegriffen, aber im Jahre 1100 vom Könige
Boleslaw zurückgeschlagen. Der Pommernherzog Suantipolk I. verlor
hier mit den ihm verbündeten Preusseu im Jahre IIIS und 1118 noch
zwei Schlachten gegen die Polen und wurde in der letztgenannten ge-
fangen genommen und nach Nakel gebracht, wo er 1120 starb. Um die
Mitte des V.\. Jahrhunderts bildet die Burg Driesen nebst Zantoch den
Mittelpunkt des Kampfes zwischen den Polen und Pommern, und als
1250 Premisl von Grosspolen seinen Bruder Boleslaw gefangen ge-
nommen hatte, benutzte Herzog Barnim I. von Stettin diesen Zwist
seiner Feinde, eroberte Zantoch und im nächsten Jahre auch die Burg
Driesen, deren Besatzung er nachts überrumpelte. Doch schon nach
wenigen Wochen gelang es Premisl, Driesen wiederzugewinnen.
Um diese Zeit hatten die brandenburgischen Markgrafen Johann I.
und Otto III. ihre Herrschaft über die Oder hinaus auf verschiedene
Gebiete der jetzigen Neumark ausgedehnt, und einer der Söhne Johanns,
Konrad, welcher sich mit Konstanze, der Tochter des schon erwähnten
Polenherzogs Premisl vermählt hatte, erhielt als Mitgift die Kastellanei
Zantoch. Um diesen Besitz kam es jedoch nach Preraisl's Tode zwischen
Konrad und Boleslaw zu mancherlei Streitigkeiten, die schliesslich 1266
dadurch beigelegt wurden, dass man die Burgen Zantoch und Driesen
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Geschichte der Stadt Priesen.
3
schleifte. Im Jahre 1260 teilten die ältere und jüngere Linie der As-
kanier ihre Besitzungen untereinander und dabei fiel die terra Landsberg
an die jüngere, so dass nun Boleslaw von Polen es nicht mehr mit
Konrad, dem Gemahl seiner Nichte Konstanze, sondern mit Otto ~ dem
Langen zu thun hatte. So brachen die Streitigkeiten von neuem aus.
Otto baute 1270 die Burg Zantoch und Boleslaw Driesen wieder auf;
bald nachher eroberte Otto auch Driesen uud war so im Besitze beider
vielumstrittener Burgen, allein der Besitz war uoch nicht ein dauernder.
Im Jahre 1271 unternahm Boleslaw einen verheerenden Plünderungs-
zug durch die Neumark, und im folgenden Jahre that sein Neffe Premisl II.
dasselbe, wobei er, obgleich erst 10 Jahre alt, seinen Oheim au Grau-
samkeiten noch übertraf. Bei seinem Ilerannahon kapitulierte auch die
Besatzung der Burg Driesen gegen freien Abzug.
Nun blieb Driesen ein polnisches Kastell, bis es 1296 Otto IV. für
kurze Zeit wieder eroberte; allein bereits im Jahre 1309 setzten sich
die Polen wieder in Driesen fest und gaben den Besitz erst im Jahre
1315 wieder auf.
Am Maria Lichtmesstage, den 2. Februar 1317, belehnte Markgraf
Waldemar zu Liebeuwalde die ehrbaren Ritter Heinrich und Burkhard
von der Osten, für 2000 Mark braudenburgischen Silbers, mit Haus und
Stadt Driesen, mit den vorhandenen und noch zu bauenden Mühlen,
mit dem Land- und Wasserzoll, mit der Heide und den Dörfern auf
der polnischen Seite, mit der Heide auf der deutschen Seite, welche die
Berge zu Driesen geheisseu, mit dem obersten und niedersten Gericht,
mit allen Beden, Diensten und Wagendiensten uud mit den Kirehen-
lehnen. Die Grenzen des Schlossgebiets Driesen gingen von Gottschimm
nach Carbe, von da bis zum Fliesse zu der Czuchen — hei Schlanow
und Mehrenthiu — von da die neide hinauf bis zur Drage und von der
Drage abwärts bis an die Netze; von der Netze aber wieder bis zu
Gottsclümm hin. In einem am 31. Juli 1333, am Sonnabend nach Jakobi,
auf 2 Jahre geschlossenen Bündnis verpflichten sich König Kasimir von
Polen die Seinigen während dieser Zeit von Befehdung des inarkgräf-
lichen Gebiets abzuhalten, und diejenigen, welche gleichwohl heimlich
oder offen Schaden verübt hätten oder Streit vorgenommen hätten, zu
nötigen, nach polnischem Recht vor des Markgrafen Vogt in der Burg
zu Driesen über sich entscheiden zu lassen. Die Burg Driesen ver-
walteten zu dieser Zeit die Brüder Betkin und Arnold von der Osten
und ihre Veste war in den Kriegen mit den Polen stets der Markgrafen
bester Halt gewesen, deshalb hatte der Markgraf Ludwig auch schon
durch die Urkunde von Zedenik, dein Tage der heiligen Agnes, den
21. Januar 1330, dein älteren von der Osten, Betkin, und seinem Bruder
und Oheimen zur Verbesserung der Wege und Dämme, die zum Schlosse
Driesen führten, mit 50 Mark brandenburgischem Silber aus der Urbede •
1*
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Adolf Recklinj?:
der Stadt Friedeberg belehnt. Es war dies nur geschehen, damit die
von der Ostens Driesen und seinen Kriegern offen halten sollten, und
um dies zu belohnen, verlieh er 1334 Berthold und Arnold von der Osten
erblieh 40 braudenburgiscbe Pfennige jährliche Hebung aus den Abgaben
von Friedeberg unter der Bedingung, ihm und seinen Nachkommen mit
der Burg-, Schloss- und Stadt Driesen gegen Jedermann und so oft es
nötig, mit allen den Ihrigen gehorsam zu sein.
Für die Dienste, welche Betkin von der Osten dem Markgrafen
Ludwig geleistet, gab ihm dieser und allen Bürgern zu Driesen, welche
daselbst ein eigenes Haus und einen festen Wohnsitz hatten, die Freiheit,
die Netze, Warthe und Oder stromaufwärts und abwärts bis Zantocli,
Landsberg, Cüstrin und Schwedt mit jeglicher Ware, wie Getreide, Mehl,
Malz, Tuch, Heriugen, Asche, Kupfer, Eisen und Salz zu befahren.
Ferner erhielt Betkin von der Osten am 14. Dezember 1351 die Stadt
und Schloss Tankow, welches so lauge Henning von Wenden gehabt,
mit allem Zubehör zum ewigen Besitz. Diese Ewigkeit dauerte aber
kaum ein Vierteljahr, da Schloss und Stadt Tankow bereits am 2. April
1352 wieder an den Frankfurter Bürger Lange Bruno Goldschmidt kam
und Betkin anderweit abgefunden wurde; er erhielt am 22. Juni 1353
für 6(i Pfund leichter Pfennige die Bede von Breitenstein verschrieben,
nachdem er am Tage vorher 12 Stücke Geldhede in Beyersdorf, und
wenn solche hier nicht voll zu erheben, zum übrigen Teil von Lorenz-
dorf verliehen erhalten hatte; dagegen hatte Betkin von der Osten die
Bede von Büssow wieder frei gegeben.
Die von der Ostens, die sonst so treuen Anhänger der bayrischen
Markgrafen, hatten sich nach Betkins Tode vom Markgrafen Otto ab-
gewendet, und Dobrigast und seine Brüder Arnold, Ulrich und Barthold
von der Osten waren am 22. Juli 1305 wegen ihrer Schlösser Driesen
und Zantoch zum Könige Kasimir von Polen in ein Lehnsverhältnis ge-
treten.
Am 2U. August 1372 kam es in Arnswalde zwischen ihnen wieder
zu einem Vergleich, und Markgraf Otto nahm sie unter der Bedingung
wieder in seine Dienste, dass sie ihm ihr Schloss Driesen in allen Nöten
offen zu halten und damit gegen jeden, ausgenommen den König Ludwig
von Polen und Ungarn, zu dienen hätten. Zugleich aber erkannte der
Markgraf an, dass er ihnen Ü00 Mark brandenburgisch Silber schulde
und sich verpflichte, diese ihnen in verschiedeneu Fristen zurückzuzahlen.
Markgrat Sigismund von Brandenburg bestätigte am 31. August 1382
Arend und Ulrich von der Osten, Herren zu Driesen, alle ihre Besitzungen;
der letztere war ein tapferer Ritter, der Proben davon in Polen wieder-
holt gezeigt hatte.
König Sigismund von Ungarn hatte von Pressburg aus am 29. Sep-
• tember 1402 die Neumark rechts der Oder dem deutschen Ritterorden
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Geschichte der Stadt Driesen. 5
überwiesen, aber grosse Sorgen entstanden diesem daraus, vorzugsweise
wegen Driesens, welches ihm überaus verhängnisvoll werden sollte.
König Wladislaw von Polen, welcher dem deutschen Ritterorden schon
von früher feindlich gesinnt war, nahm Driesen, als zu seinem Reich
gehörig, in Anspruch, und dieser Streit entzweite beide immer mehr,
sodass er zuletzt zu dem Vernichtungskampfe des Ordens führte. Ulrich
von der Osten hatte Driesen dem Orden verpfändet und zur Besatzung
eingeräumt. Die Polen verlangten aber den nördlich der Burg Driesen
gelegenen Graben, den sogenannten Berminik, den sie als Netze bezeich-
neten, als Grenze, während der Vogt Balduin von Stahl dem Hochmeister
am 5. Januar 1404 berichtet — „was die Polen Netze nennen, sei nur
ein Graben nördlich von der auf einer Insel gelegenen Veste Driesen,
ein Viertel Weges lang, der auf dieser Seite des Hauses Driesen gegen
die Neumark zuginge; wenn dieser Graben die Netze bilden solle, so
wollen die Polen auch die Stadt und sonach auch das Haus Driesen
haben."
Die Stadt Driesen war aber wegen der Ansprüche der Polen
gleichfalls in Angst, und Richter und Rat wandten sich am 8. März
14U4 an den Hochmeister mit der Bitte, ihnen zur Wiederherstellung eines
Burgfriedens (Plankenzaunes) zu Hülfe zu kommen, da der frühere im
ersten Kriege abgebrannt sei, sie wollten dafür auch zur Sicherung des
Schlosses beitragen. Sie wären zu arm, es selbst zu thun.
Die darüber ausgestellte Urkunde lautet wie folgt:
„Unsern willigen vndertanigen Steden pflegen dinst. Ersamer vnd
grosmechtiger gnediger Herre, wir bitten euwer Ersamen genade geruchen
czu wissen vmme die Schelunge, die polen habin weder vnser n Heren
czu Drysin, die senden wir euwer Ersamen gnade vorschrebin van
artikeln czu stucken In vnserm vorsegelden geslossen bryfe. Alz waz
vns dar an wissenlichin, so daz thun wir euwern Ersamen gnaden offen-
bar, als euwer genade wol voruemen wert. Ouch erwird iger genediger
Herre, So bitte wir euwer genaden vmme hultfe vnde genade, czu bu-
wende eynen bergfrede, die vnser affgebrant wart In dem Irsten krige,
wen wir gerne euwer Schlos vnd Stad besseren wolden; wen wir sint
zo arm, daz wir nicht gethun mögen, sunder euwer hulffe und rad vnd
genode vnd genediger Herre denket vor vns armen lüde. Gegeben vnder
vnser Stad Secret. Im Irsten Sonabende In der fasten.
Richter vnd Rad euwer Stad Drysin.
Dem Erwirdigen vnd grosmechtigen
Herrn Homeister zu Pruczen Dutsches
ordens, erem genedigen Herrn,
mit ganezer Krsamkeit."
(Aus dem Königlichen Geh. Archive in Königsberg i. Pr. ohne Jahreszahl. )
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Adolf Reckling:
Ohne sich jedoch auf die Grenzfrage näher einzulassen, erklärte
darauf der König von Polen Ulrich v. d. Osten für seinen Vasallen, und
wollte ihn vor sein Gerieht ziehen. Als sich nun dem der Hochmeister
widersetzte, kamen der Vogt Balduin Stahl und der Hauptmann von
Grosspolen Thomiko Podczesse in Driesen am 10. September 1404 dahin
überein, dass je vier Räte des Königs und des Hochmeisters am Nicolai-
tage zusammenkommen und nach den beigebrachten Urkunden den
folgenden Beschluss fassen sollten über den Streit wegen Driesen:
„Hier vff sal man sich beroten.
Czum ersten, das man gedenke, wie man beweisse das Herr Ulrich
von der Ost sey gewest eyn rechter erbe und nachkomling der Hern
Heynrichs vnd Burkards von der Oest.
Item das her das Hws Dryszen mit syner czubehorunge Jenehalben
vnd dessehalben der Netze sam eyn rechter erbe noch der egedochten
beider tode dirfolget hat.
Item das her also besessen hat.
Item das der Homeister vnd orden das mit syner czubehorunge
gekouft hat
Item das her is noch dem kouffe besessen hat.
Item das kein mitteler besitczer do czwuschen besessen hat.
Item das man das obengeschreben mit altgloubigen wirdigen ge-
czugen möge beweisen, Ap sy ouch Heru Ulrichs frunde gar nahe seyn.
Item so wolde man den koufbriff abir Drissen nicht czur Stelle
vorbrengen durch Sache, die vorgoben die Sendeboten, die czu Littouwen
woren.
Item das der Procurator desser Sache eyne etliche tage in der
Marke were in einer bequemen Jegend, do desser Sachen geczuge by
dem voithe weren, das mau sie vorhorte vnd anrichte, was nutczlichen
were.u (Riedel, cod. Band 18 S. 31f>.)
Der König schien sich jedoch hieraus keinen günstigen Erfolg zu ver-
sprechen, und unterliess es, seine Räte zu dem Termin zu entsenden,
daher einigten sich Ulrich von der Osten und der Hochmeister dabin,
dass der Orden das Schloss Driesen noch ein Jahr behalten und schützen,
Ulrich dafür Lippehne übernehmen und wegen des Verkaufs von Driesen
in dieser Zeit das weitere verhandelt werden sollte. Die darüber
zu Marienburg am ;J0. September 1405 ausgestellte Urkunde lautet
folgendennassen :
„Ich Virich von Oest, Ritther, Herre czu Drysden, Bekennen in
dessem offenem briefe Allen, die en seilen, hören adir lezeu, das Ich von
gutem willen mit Rathe vnd volbort ineyner freunde dem Erwirdigen
geistlichen Herren, Herrn Conradt von Jungingen, Homeister deutczes
Ordens, vnd seyine ganczen Orden meyn Hues Drysden mit allen nutczen
vnd czugehorungen, als molen, wassern, Fischereyen, Czollen, Heyden,
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Geschichte der Stadt Driosen.
7
Bwthen vnd allen andern genyssen czu getrouwer hant gesatezt vnd
yngegeben habe, dasselbe czu halden vnd czu beschirmen vff eyn gancz
Jar, von der gebunge deses briefes zu rechen, usgenomen alleyne die
czynse ynn der Nuwen Marke die czu Drvsden gehören, die Ich czu
meyner behuff will behalden. Do kegen hat mir der vorgenannte Elerre
Homeister die Stadt Lyppeyn yngegeben mit alle lrem czugehoren, als
her sie hat gehabt, dieselbe czu halden vnd der czu gebruchen eyn
gancz yor von der gebunge deses briefes, vnd bynnen desem yore sullen
czwene Gebittiger des Ordens, die der Homeister doczu schicket, vnd
czwene meiner frunde czu sampne vorsuchen, ap sie vmb Drvsden eyns
mögen werden, das is der Herre Homeister vnd der Orden yn kaufes
weyze czu In nemen vnd mir gnuk dor vorthun. Können sie adir vnd
ireinandir nicht eyns werden, So soll der Herre Homeister uud der
Orden mir adir meynen Erben Drysden wedir entwerten nach dissem
yore, Also doch, das Ich adir meyne Erben dem Orden solche gewishcit
thun sullen czu der czeit, zo vns Drysden geentwert wird, das wir czur
Nuwen Marke halden wellen, und auch gleychewol czu der selben czeit
die Stadt Lyppeyn dem Herren Homeister und syme Orden wedir ant-
worten, das ich glaube czu thun mit desem briefe, ane gefeer vnd argelist
bey guten truwen. Vnd ap dem Herren Homeister vnd den seynen
bynnen desem yore das Hus Drysden mit gewalt abgewonnen adir lichte
mit vorretnisse entfremdet wurde, das got nicht enwelle, So sal der
Herre Homeister vnd seyn Orden von mir vnd meynen Erben keynerley
manunge dorumb lyden, Noch keynen schaden dorvor offriehten, vnd
geloube bey guten truwen vor mich vnd meyne Erben, die Stad Lyppeyn
gleichewol noch desem Jore dem Orden wedir czu antwcrten ane alle
widersprocbe, So verre ap sie mir nicht mit gewalt genommen wirt
adir mit vorretnisse leichte empfrendet, vnd ap das geschege, das Got
nicht engebe, So sal Ich vnd meyne Erben von dem Herrn Homeister
vnd dem Orden ewiclichen ungeraanet dorumb bleiben, Noch keyneu
schaden douor offrichten. Vortmerczo bekenne Ich Ulrich mit desim
briefe, das mir der Erwirdige Herre Homeister obengenannt frundlich
gelegen hat Dreyzenhundert schog groschen Behcmischer Muncze off
meyne guttere vnd czinse, die Ich bynnen der Nuwen Marke habe, die
Ich czu gnuge vnd genczlich von Im empfangen habe off den Hwse
Marieuburg, vnd gelowbe bey guten truwen ane gefeer vnd ane alle
arglist vnd ane eydes stat vor mich vnd meyne Erben, die dreyczen-
hundert schog an gleicher Moncze vnd wirde dem Herren Homeister
und dem Orden wedir czu beczalen ane alle Ilulfterede vnd nuwe vnde
bynnen eylff Joren nechst volgende, Also das wir die erste beczalunge
thun sullen von der gebunge deses briefes obir eyn Jor und sullen
hundert vnd czwenzig schog grosschen geben vnd dornach alle Jor
hundert vnd czwenczig schog grosschen, bys wir die Dreyczenhuudert
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Adolf Recktinj?
schog grosschen gancz vnd gar beczalen. Vnd ap Ich adir meyne Erben
die beczalunge, als vorgesehreben ist, nicht thun worden, So sal sich
der Herre Houieister vnd der Orden Jres geldes dir holen an meynen
guttern vnd czinsen, die Ich in der Newen Marke habe. Geseheges
abir, das des Ordens czwene Gebittiger und czwene meyner frunde vmb
das Hues Drysden eynen kouf machten, als oben berurt ist, So sal man
die dreyczenhundirt schog grosschen abeflan an der summen des selben
koufes. Czu merer Sicherheit vnd geezugnisse defir vorgeschreben dinge
habe Ich Virich vorgenaut meyn Jngesegil von rechten willen an desen
brieff lassen hengen, Der gegeben ist off dem Hwsse Marienburg, an der
liebsten Mittewochen vor Sinte Michaelis tage, Nach Christi geburt vir-
czenhundirt vnd fünft' Jor.
Der Orden hatte sich dadurch Driesen, die bedeutendste Veste zu
jener Zeit, gesichert, doch im Lande der Neumark war man damit nicht
zufrieden. Die Mannen und Städte lehnten sich dagegen auf, und über
die von dem Vogt geforderten Beden und Beiträge zur Versorgung des
Schlosses Driesen kam es zu verschiedenen Erörterungen.
Dies gab dem König von Polen Veranlassung, Driesen durch einen
Handstreich in seine Gewalt zu bekommen, und im März 1406 warf
sich ein von polnischen Edelleuten geführter Heereszug gegen das Schloss.
Die Besatzung schlug jedoch den Augriff ab. Dies heimtückische Be-
nehmen erzürnte die Mannen und die Städte der Neumark, sie wandten
sich infolgedessen am 30. August 1406 an den König Sigismund von
Ungarn und baten ihn, dafür einzutreten, dass Driesen bei der Neumark
verbleibe. Ebenso richtete Ulrich von der Osten von Arnswalde aus
am 8. September 1406 eine gleiche Bitte au den König Sigismund. Die
schlechte Vermögenslage Ulrich von der Ostens brachte ihn dahin, dass
er mit Zustimmung seiner Gemahlin Katharina von Wartenberg, seines
Sohnes Hans und seines Vetters Hans von der Oest, das Haus und Stadt
Driesen, mit den dazu gehörenden Dörfern, Mannen, Lehnen, Mühlen
und anderen Einkünften dem Orden für 7750 Schock böhmische Groschen
verkaufte.
Der König von Polen war aber damit nicht einverstanden und
rüstete heimlich gegen den Orden. Da dieser endlich einsah, dass der
Frieden nicht mehr aufrecht zu erhalten sei, sagte sich der Hochmeister
offen am 6. August 14011 von Polen los und Hess durch den Vogt der
Neumark deren Vasallen zum Schutz- und Trutzbündnis aufbieten mit
der Weisung, am 23. Juli 1409 mit Spiessen, Wagen und Pferden in
Friedeberg sich zu sammeln. Zur stärkeren Besatzung des Schlosses
Driesen wurden Mannschaften aus Woldenberg und Friede-
berg herbeigeholt, zugleich aber von den festen Schlössern zu Wolden-
berg und Landsberg die polnischen Grenzbezirke geplündert und mit
Brandstiftungen heimgesucht. Weder der Orden noch die Polen errangen
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Geschichte der Stadt Priesen.
9
in dem um Driesen begonnenen Kriege besondere Vorteile , deshalb
schlössen sie am 8. Oktober 1409 bereits einen Waffenstillstand, wobei
sie übereinkamen, dass der König Wenzislaus von Böhmen die gegen-
seitigen Beschwerden schlichten sollte. Dieser gab nun hierauf um Mit-
fasten 1410 den Schiedsrichterspruch dahin ab, dass Polen nicht nur
Sameiten, sondern auch das zur Neumark gehörige „Driesen" an den
Orden abzutreten habe.
Dieser Entscheidung fügte man sich aber polnischerseits nicht,
obgleich der König von Böhmen die Erklärung abgegeben, dass er dann
dem Orden thätigen Beistand leisten würde. Jedoch der Krieg begann
von neuem, und in der Schlacht von Tannenberg am 15. Juli 1410
wurde der Orden fast gänzlich vernichtet. Unter den Toten in dieser
Schlacht befand sich auch der tapfere Hochmeister Ulrich von Jungingen.
An seiner Stelle bestieg am 9. November 1410 den Hochmeisterstuhl der
edle Graf von Plauen, welcher noch einige zweifelhafte Treffen lieferte,
bis am 1. Februar 1411 zu Thorn der Frieden definitiv abgeschlossen
wurde.
In den Friedensbedingungen hiess es:
„8. Der Streit wegen Driesen und Zantoch solle durch Schieds-
richter entschieden werden, und wenn sich solche nicht vergleichen
könnten, solle der Papst darüber den Ausspruch thun."
Am 8. Juli 1411 hatte König Sigismund von Ungarn, der unter-
dessen römischer Kaiser geworden, den Burggrafen Friedrich VI. von
Nürnberg zum obersten Hauptmann der Mark Brandenburg berufen, ihm
diese verpfändet und am 30. April 1415 für 400 000 Gulden mit der
Kurfürsten- und Markgrafenwürde verkauft. Als erster Hohenzoller
übernahm er als Friedrich I., Kurfürst von Brandenburg, die Regierung
und mit fester Hand und frommem Sinn brachte er in das ihm anver-
traute Land wieder Frieden und Ordnuug. Nach der Niederlage des
Ordens hatte dieser alle Ursache, den Frieden aufrecht zu erhalten. Die
von ihm dem König von Polen versprochene Summe der Kriegsent-
schädigung sollte zum Teil an den Kaiser Sigismund gezahlt werden,
und hierbei musste noch der Orden versprechen, dass die Nenraark und
Driesen dem Kaiser eingeräumt werden sollte, falls die Gelder zur
rechten Zeit nicht abgeliefert würden. Da hier, wo der Neuinark gedacht
ist, auch noch ganz ausdrücklich „Driesen" erwähnt wird, so hat man
wohl dadurch alle Missdeutungen und Zweifel, wohin Driesen eigentlich
gehören soll, begegnen wollen.
Der Burggraf von Driesen, Andreas Langel, übergab dem neuen
Burggrafen Nikolaus Maxsen die Burg nach dem nachstehend inf Originale
aufgeführten Verzeichnis am 25. März 1414:
„Tn der Jorczal cristi M. C. C. C. C. vnd im Xlin den Jore, am
Sunthage Judica, habe ich Andreas Langel, Burkgraue czu Drisen
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to
Adolf Reckling:
Rechenschaft gethan dem Vogthe der Nuwenraarke vnd dem Nuwen
Burkgrauen czu Drisen, Nicoiao Maxsom, vud habe in dys nochgeschreben
geantwert, Item XXI armbroste, Item XI rucke armbroste, Item II tunnen
vnde I Vas mit ptilen, Item V spangortel, Item VIII kropen, Item XXII
Schilde, Item I grose steinbuchse vnd 11 kleine, Item VII lotbuchsen,
Item V tunnen Pulvers, Item IX schock lode, Item VI Platen, Item III
Isenhute, Item III Panczer, Item II schorcze, Item I Kolner ofme fuller,
Item V Winspel vnde III scheffel rocken, Item VIII tunnen meles, Item
XXIV flicke vleysch, Item XXXI splisse rintfleysch, Item XXX splisse
Swinen wiltbret, Item XXXVIII splisse Hogwildbret, Item II schok kese,
Item I tunne Putter, Item III scheffel erweys, Item I scheffel grutcze,
Item I scheffel Heerse. In der Küche Item I gropen, Item VI Kessele,
Item I brotspis, Item I morser, Item I Kinpfanne, Item II Schaben,
Item I Vleyschbeil, Item I roste, Item III Kesselhokeu. Im Keller Item
II tunne metes, Item II Drillink birs, Item I tunne Honiges, Item II
Stauden Konent, Item II stelene Kannen, Item 1 bruepfanne, Item II
botenen, Item V Stauden Im Vyehoue, Item XV Kue, Item IUI pferde,
Item IUI oxsen, Item I Bullen, Item I schock Swine, Item IUI axsen,
Item I biudaxse, Item I suclaxse, Item II borser, Item II pflüge, Item
II wagene, Item II steinhamer, Item II pussolt, Item IV picken, Item
III vullehamer, Item I Kalkspis, Item I Wendehaken, Item IIII tunnen
salczes, Item LX scheffel Hoppen, Item HI Iserne Stangen, Item I Ornat
czur messe vnde I Kelch, Item XI reegarn, Item I Holczsage, Item
I tunne vnslit. (Aus dem Königlichen Archive in Königsberg i. Pr.)
Unterm 27. Januar 1426 erteilt der Hochmeister dem Vogt der
Neuraark den Befehl, den Burggrafen von Driesen seines Amtes zu ent-
heben, da sich die Polen über ihn beschwert hatten, aber unterm
29. April berichtete der Vogt zurück, dass sich der Burggraf von der
gegen ihn erhobenen Beschuldigung gereinigt und er ihn im Amte be-
lassen habe.
Am Sonntag den 12. Juli 1429 einigte sicli der Orden mit dem
König von Polen über die Grenze der Neumark und namentlich wegen
Drieseus. Die Mitte der Netze sollte die Grenzscheide bilden, von ober-
halb des Hauses Driesen an der polnischen Seite bis niederwärts, wo
das Land des Markgrafen von Brandenburg angeht, wo die Netze bei
Zantoch in die Warthe mündet, und die Polen innerhalb der alten
Grenzen keine Gebäude errichten durften, welche dem Hause Driesen
Schaden bringen könnten. Die Fischerei auf der Netze sollte dem Orden
verbleiben, sowie der Zoll der Brücke, die zum Schlosse von Driesen
gehörte und von diesem zu unterhalten war; auch sollte das Haus und
die Stadt Driesen und deren Einwohner zu ewigen Zeiten die Viehtrift
innerhalb und binnen der gedachten Grenze behalten; ferner freies Holz
zu Bauten, Brunnen und aller Notdurft, wie vorher, und die alte Be-
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Geschichte der Stadt Drieaen.
11
rechtigung, Steine, Kalk, Lehm und was sonst nützliches zu finden, zu
graben und abzufahren. Der König aber sollte zu seinem Reich die
Dörfer auf der polnischen Seite, die Seeen und Wildnisse mit der halben
Netze behalten. (Riedel, Band XVIII S. 335 und Treu S. 113.)
Am 19. Juli 1429 meldet der Vogt dem Hofmeister, dass er das
Schloss Driesen in einen guten wehrhaften Zustand gesetzt, und dürfte
dies die Veranlassung gewesen sein, dass der Frieden einige Jahre er-
halten blieb.
Nach einer Urkunde vom 22. August 1430 ersucht der Komptur
von Schlochau den Hochmeister, dafür zu sorgen, dass die Kompture
von Danzig, Mewe und Tuchel ihre Diener, die sie nach Driesen senden
müssen, zu gehöriger Zeit und mit dem nötigen Oelde dahinsenden.
Unterm 5. August 1444 berichtet der Vogt der Neumark dem Hoch-
meister, dass er den Bau des Hauses Driesen nicht übernehmen könne,
da er noch mit dem Bau des Schlosses Schievelbein zu thun habe, doch
wäre er mit dem gesandten Maurer in Driesen gewesen, der erklärt habe,
dass man das Schloss stützen müsse, da es dann im Winter über noch
stellen würde, aber ein Stück Mauer am Thor müsste sofort gemacht
werden, wozu man ihm ICH) Mark preuss. Silber senden möchte.
Als im Jahre 1444 der Orden die Neumark wegen eines Darlehns
an den Kurfürsten Friedrich II. verpfändet hatte und mit
Polen sich wieder im Kriege befand, so übertrug er die Neu-
mark zuerst dem Schutze des Kurfürsten und verkaufte sie ihm unter
Bodo von Erichshausen für 100 000 Gulden im Jahre 1445. Um aber
alle Irrungen wegen Driesens hierbei vorzubeugen, wurde in den Ver-
briefungen ausdrücklich gesagt: es sei die Neumark samt Schloss und
Stadt Schievelbein und Driesen mit allem Zubehör an den Kurfürsten
Friedrich und seine Nachfolger verkauft. Der neue Herrscher durch-
reiste die ganze Neumark und hinterliess zu Königsberg, Landsberg,
Vietz, Friedeberg, Cüstrin, Lippehne, Dramburg, Schöntliess, Woldeuberg
und anderen Orten Merkmale seiner Gnade, auch können alle Orte Be-
stätigungsbriefe ihrer Gerechtssamen von diesem Kurfürsten aufweisen,
während Driesen nicht erwähnt wird. Es scheint, als ob Driesen noch
einige Jahre weiter in ein Abhängigkeitsverhältnis zu dem Orden ge-
blieben ist, denn der Burggraf daselbst meldet am lo\ Mai 1450, dass
er die nötige Besatzung im Schlosse Driesen nicht mehr halten könne,
da der Vogt der Neumark ihm sein Einkommen aus Arnswaldc ge-
nommen habe. Ferner meldet unterm 13. Juli 1452 der Vogt der Neu-
mark dem Hochmeister, dass er mit dein Maurer Mattis zu Driesen die
Mauern besehen, nach dessen Meinung diese noch in diesem Jahre
brechen würden, zugleich habe er die Befürchtung, dass die Mauern in
den Graben fallen und ihn zudämmen werden. Weiter berichtet der Vogt
den 25. März 1453 dem Hochmeister, dass er die schadhaften Mauern
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Adolf Reckling:
Jim Schlosse zu Driesen an einen Maurer verdinget habe, der diese ab-
zubrechen und wiederaufzubauen hat, sodass sie in 00 Jahren nicht
wieder zu bauen sind, und dass er dafür 80 gute Mark zahlen muss.
Erst am 12. August 1455 verweist die nachstellende Urkunde die in
dem Gebiete des Schlosses Driesen wohnenden Vasallen an den Kur-
fürsten Friedrich :
„Wir Bruder Ludwig von Erichshausen, llomeister Deutsches Ordens,
empitten den Gestrengen vnd Erbarn vnsern lieben Getruwen Rittern,
Knechten vnd gemeiniglich allen Mannen des Gebites vnsers Hwses
Driesen, in der Neüwen Marken gelegen, vnsern Grus vnd alle Gurte,
vnd lassen euch wissen, das wir mit vnsern Gebittigern vnd Brüdern
eintregtiglichen czu Rate sein gewurden, das wir deme hochgebornen
Jrluchten Fürsten vnd Grossmechtigen Horn, Herrn Friderichen, Marg-
grafen czu Brandenborg etz., vnsern gnedigen Herren, das gnante Sloss
Drisen mit aller seiner Zubehorunge wellen inantworten lassen, das in
massen alse andere Sloss der Neuwen marken inne czuhalden. Himmme
verlassen vnd weisen wir euch an den gnanten unsern gnedigen Hern
Marggrafen czu Brandenborgk vnd erfordern vnd befeien euch auch mit
ernster begemnge, das ihr deme beruften vnsern gnedigen Herren Marg-
grafen Holdigung thut etc. — Hergegeben ist uf vnsern Huse Marien-
borg, am Dinstag neest vor Assuraptionis Maria, im viertzenhundertsten
vnd fümf vnd fünfzigsten Jare. (Nach Orig. im Archiv des Staats.)
Von nun an hob sich der Handel und Wohlstand für Driesen und
ebenso in den Nachbarstädten, allein die Sicherheit auf den Landstrassen
liess noch viel zu wünschen übrig, und Raubanfalle kamen gerade bei
Driesen oft vor. Kurfürst Friedrich II. überträgt am 6. September 1460
das Schloss Driesen seinem Rat Heinrich von Bornstedt und macht ihm
hierbei zur Pflicht, es in seinem Namen vom Michaelistage ab sechs
Jahre ordnungsmässig zu verwalten und mit getreuen Wächtern auf
eigene Kosten zu versehen. Zugleich aber behält sich der Kurfürst in
dem Vertrage vor, ihn gegen seehsmonatliehe Kündigung und ohne
Widerrede wieder zu lösen. Die Urkunde ist in Cöln an der Spree aus-
gestellt. Dieser Heinrich von Bornstedt wurde später auch Vogt der
Neumark, jedoch folgte ihm bereits in beiden Ämtern einige Jahre später
die Familie von Sparr, der auch die Einnahmen aus den Beden von
Friedeberg und Woldenberg überwiesen wurden, als Ersatz für die Nach-
jagd der Feinde und Gefängnis.
Hierauf erhielten d;is Schloss Driesen der Ritter von Barfuss und
am 16. März 1485 der Landvogt der Neumark Christoph von Polens
für 800 Rheinische Gulden verpfändet; am 24. September 1487 erklären
sich in einem Schreiben die Ritter Hans, Henning und Cone von Barfus
wegen der Baukosten für befriedigt, welche sie während ihrer Besitzzeit
auf Schloss Driesen verwandt haben. (Riedel, Band XVIII, Seite 349.)
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Geschichte der Stadt Driesen.
13
Christoph von Polenz starb im Jahre 1499, und am 20. September
desselben Jahres vergleichen sich Kurfürst Joachim und Markgraf Al-
brecht mit dessen Wittwe Elisabeth geb. Gräfin von Eberstein wegen
Auslösung von Schievelbeiu uud Driesen; letztere erhielt 100(3 Rheinische
Gulden. Noch in demselben Jahre kam Driesen an Hans von Borke.
Eine Übersicht im Codex Riedel, Band XY1II giebt in der nachstehenden
Urkunde vom Jahre 1503 die Bauten an, welche Christoph von Polencz
in Driesen ausgeführt hat.
„Item ein stuck an der Ringk muren von acht unde vngeferlich
III rude hoch vud IUI stein dick. Item ein Wonhwss von XV gebint,
die eine syte des hwses leyt vff die Riugmure vnd die ander syte jn
holzwerk gemuret. Item im Hwss II stubeti, vber der einen stuben
I capella vnd dry kaminern darneben, I Kuchen, der scharsteiu steit oft'
holtz. Item ein klein backhwss mit einem beclewet scharstein. Item
neben der Kuchen ein tonn gebessert oben mit zweien ge weihen. Item
ein hwss oben dem thor von X gebint, das haben die Barfussen gebawet
vnd stat vft' der alten Muren, das hat der Cristoff in der Iloltzwerk
gemuret und einfeldig gedeckt. Item ein Bora im Sloss von newe vff
geschortzt. Item vir Zogbrucken, einsteils newe gebawt, auch eiusteils
gebessert. Item zwoy verlorne Zewne vmb das Slos von eichen Stachen.
Item dem Graben zu Rewmen vmb das Sloss. Item ein Zaun gemacht
im Slossgraben, auch ein verlorn Zaun. Item im vor Sloss I stall als
spikerwerck gebawt, X gebint mit Zygel vssgefluchten und mit Zygel
gedecket. Item dorneben ein thorhwss von III gebinden. Item umb
den stall und Darhws ein graben gemacht, vngeferlich XX Rüden langk
vnd einweudig kegen dem Sloss mit Boln vssgefuttert. Item ein Tor-
buden t wischen beiden graben vnd in finf gebinden als spikerwerck
gebawet, in holtz gemuret vnd mit Zygel gedeckt. Item im Z wenger
etlich Flickwerck an etlichen ortern Zweier stein dick. Item als die
Ringmure nedergefallen ist, sind etliche stein in den groben gefallen,
sind ausgebracht. Item im Vorwerck ein korn Hwss von VII gebiuden
geklewet vnd mit Splete gedecket. Item ein Zygelschun mit einem
ofen. . Item das Sloss ein wendig gebrucket mit feltstein. Item vff
solichen gebew haben die geschickten, vnser gnedigen vnd gnedigsten
Herrn Rethe, als neinlich der wildig Er Anthonius, abt zu Marienwald,
Jorg »piast, Hwsshalter, Hans Schonenbeek vnd Claus Strutz, von der
herschafft wegen der frawen, den Kindern vnd irn Vormunden, als
Mattis Lubtitz, V°- gülden vor das obgenannte gebawte zugegeben ge-
hotten vnd sehen das dafür an, das ess vor solich gebewte genug sey
mit dem vorrath vnd hulft", so her Cristoff seliger von dem Lande vnd
vnsern gnedigen Herrn gehabt etc. Item vssage meister Vrbans, des
murmeisters, ist doselbs gemuret zu Drisen: Ein stuck mure, Vin rüden
langk, II Rüden hoch, von iglicher rude HI gülden vnd costung dartzu,
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14
Adolf ReckliiiK:
i
I
alle virtzehn tag III tonneu bir. Item doselbs sindt zukomen VII ofeii'
stein mit sampt dem torm, in itzlichen ofeu sind DJ thussen stein ge-
wesen, davon zu brennen gegeben und zu streichen von iglichen ofen
VII gülden etc.
Am 10. Juli 1504 genehmigt Kurfürst Joachim und Markgraf Albrecht,
dass Vifianz von Wedel das Schloss Driesen käuflich erwirbt. Im Jahre
vorher, und in dem Jahre der Übernahme durch von Wedel, waren so
trockene Sommer und zugleich so heisse, dass das Laub an den Bäumen
vertrocknete und die Bäche versiegten. Hierdurch kam eine Hungersnot,
und die Pest wütete in der ganzen Neumark und verschonte auch Driesen
nicht. Das Jahr 1507 lieferte dagegen wieder eine so reiche Ernte, dass
die Bestellung der Äcker teurer zu stehen kam, als die Ernte Ertrag
brachte, denn der Scheffel Roggen wurde mit 21 Pfennigen, der Scheffel
Gerste mit 10 Pfennigen und der Scheffel Hafer mit 11 Pfennigen bezahlt.
Nachdem das Schloss Driesen aus dem Wedeischen Besitz wieder
gelöst war, nimmt nach einer Urkunde, ausgestellt zu Kölln an der
Spree am Abend Katharine virginis, den 24. November 1514, Kurfürst
Joachim Hans Belliug zum Amtshauptmann zu Driesen an. Er sollte
nach dem Lehnsvertrage die dazu gehörenden Unterthanen, Nutzuugen
und Gerechtigkeiten als Hauptmann getreulich verwesen, das Schloss
in gutem Zustande erhalten und zu seinem Stellvertreter einen glaub-
haften und verständigen Edelmann auf seine Kosten annehmen, diesen
auch mit einem Klepper, 10 Gulden an Wert, versehen. Ferner wurde
ihm übertragen, sich zu befleissigen, den Plackereien und Räubereien
auf den Landstrassen Einhalt zu thuu und dafür zu sorgen, dass der
Kurfürst mit seinen Nachbarn, den Polen, in Feindschaft gerate. Im
Falle der Not standen ihm 4 gerüstete Pferde zu Gebote, wofür ihm, im
Falle des Verlustes für sein Leibpferd 50, für das des Knappen 41) und
für je eines Knechtes 35 Gulden vergütigt werden sollten. An barem
Gelde erhielt der Hauptmann 50 Gulden und Hofkleider für die Be-
satzung, sowie* Nägel und Eisen für die gerüsteten Pferde und 5 Wispel
Hafer jährlich für jedes Pferd. An Einnahmen wurden ihm ferner über-
wiesen das Ackerwerk zu Driesen, die Mühlenpächte von den Friede-
berger und Woldenberger Mühlen und alles Getreide, das an das Amt
Driesen entrichtet werden musste, — den Heidehafer ausgenommen.
Ferner hatte er die Fischerei und Jagd und einen baren Zuschuss von
,'JO Gulden, um den Haushalt desto stattlicher auszurüsten und 121 Giddeu
für den Amtsschreiber und Gesindelohn. Dem Amte zu Driesen mussten
auch die Bauern zu Trebitsch, Gottschimm, Beelitz und Kietz bei Driesen
alljährlich zu Martini je eine Mandel Hechte liefern. Diese Abgabe
wandelte Kurfürst Joachim am \). Dezember 1514 in eine Geldabgabe
in nachstehender Urkunde um:
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Geschichte der Stadt Driesen.
15
„Wir Joachim, von gots gnaden Marggrane zu Brandenburg vnd
Churfurst etc. Bekennen etc. Nachdem vnd als zu Jderzeit hievoreu
alle gepawren vnd einwoner der dorffer gotsem, drebitz, der Kitz zw
driesem vnd Belicz alle Jar Jerlich Jn vnser Ampt driesen vnseren
Amptleuteu daselbst, die des bevelh gehabt, Jder ein Mandel Hecht vff
Martini vngeferlich gegeben vnd zugeben verpflichtet gewest; haben wir
vns nue Jnen zu gnaden vffs new mit Jnen vertragen vnd verwilligt, ver-
tragen vus auch mit Jnen vnd Jren Nachkomen vnd verwilligen Jn crafft
vnd macht dits brieves, das sie nu furder mer zu ewigen zeitten alle
vnd Jr yder Jn sunderheit vnd alle Jr erben vnd nachkomen vor solich
mandel hecht alle Jar Jerlich vff martini vnserm Ambtschreiber zu
driessn, der zu einer iglichen zeit alda sein wird, ein halben gülden an
Muncz und Landwerung zu verreichen vnd zu bezahlen verpflichtet sein
sollen, Jnmassen wie sie mit den hechten gethan haben, getrwelich on
Argelist vnd genczlich on geferd etc. Datum etc. am Sunabent nach
Conceptionis Marie, Anno etc. X1III. (Nach dem Churmärkischen Lehns-
copialbuche XXX. 25b\)
Am 25. Januar 1522 verschreibt der Kurfürst Joachim dem Amts-
hauptinaun Hans Belling wegen der ihm im Amt zu Driesen geleisteten
treuen Dienste eine lebenslängliche Rente von 10 Gulden Rheinisch und
zwei Wispel Roggen aus seiner Mühle zu Soldin. Am 3. April 1525
gestattet der Kurfürst Joachim dem Barthold Müller, eine Mühle zu
Driesen zu erbauen durch nachstehende Urkunde:
Wir Joachim etc. Bekennen etc., das wir vnsern lieben getreuen
Bartollt molner eine molle zu Driesen an der Necze aufzurichten vnd
zu pawen vnd die erblichen zu besiezen gnediglich vergont vnd erleubt
haben, vergönnen vnd erleuben .Im, solche Molle zu driesen auf der
Necze zu pawen, aufzurichten vnd erblich zu besiezen, wie obstett, Jn
krafft vnd macht dits briues, doch also, das gedachter Bartollt moller
vnd seine erben oder nachkamen besiezer der mollen zwey winspel
Roggen vnd ein mandel all vn vnser Ampt dryesen zu pacht geben vnd
vorreichen, auch die leut, so dar In malen, wider die billigkeit und ge-
burlicher weiss nicht besweren, vnd sollen das wehre halten, das man
darüber nicht gehen kann zu nachteyll des Slosscs vnd sonst kein
Schade darüber geschieht, vnd auch die Lexe, so sie phaen, zu Slos
vorreichen, dafür Inen souill den Kiczern gegeben werden soll, on geuerd.
Zu urkunt etc. Datum etc. am Montag nach Judica, Anno etc. XXV.
Relator Ohristoff von Maltitz.
(Nach dem Churm. Lehnscopialbuch XXX, 202.)
In demselben Jahre, am 20. September wurde dem kurfürstlichen
Rat George von der Schulenburg das Amt, Schloss und die Stadt Driesen
mit allem Zubehör und den Orbeden von Friedeberg und Woldenberg
auf drei Jahre gegen 4000 Rheinische Gulden als Amtshauptmann über-
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Adolf Recklin^:
tragen, und am 10. November 1529 dem Rat Heine von Döbnitz in
Wiederkaufs und Aratsweise für 1760 Gulden mit allem Zubehör, wie
vor aufgeführt, und den Mühlen- und Honigpächten, den Hirsch-, Schwein-
und Rehjagdeu und mit der Verpflichtung übergeben, einen Büchsen-
macher daselbst in Kost zu halten, der aber von der Herrschaft Lohn-
und Kleidung erhielt, wie auch das Schloss mit notdürftigem Geschütz,
Blei und Pulver zu versehen.
Wegen der Jagd auf Hochwild, welche der Amthauptmann bis zum
Schwalmsberg bei Gurkow ausübte, kam er wiederholt mit Christoph
von Rulicke auf Zantoch in Streit und in einem Verhör, das der kur-
fürstliche Kommissar, Curt von Burgsdorf, Landvogt und der Probst
von Soldin, Bartholemaeus von Kremzow, am Margarethentage, den
12. Juli 1533 in Friedeberg abhielten, fungierte der dortige Bürger-
meister Otto als Zeuge, und es wurde festgestellt, dass im Dezember
1532 der von Rulicke und seine Leute zu Pollychen beim Schwalms-
berge eine Otter erschlagen und 7 Stück Hirsche erlegt und dort über
das Eis geschafft hatten, von denen ihnen aber die Gurkowschen wieder
4 Stück abgenommen.
In einer Urkunde vom Sonntage Judica, den 18. März 1526 hatte
der Kurfürst Joachim I. den Bürgern Driesens freies Bauholz und freie
Weide in der Driesener . Heide, die Fischerei auf den beiden Lobow-
Seeen, dem Grotto-See, dem Bürgersee „Klesna", sowie auf dem Bermenigk,
zwischen den beiden Gräben, die auf beiden Seiten der Stadt liegen,
verliehen und mehrere Rechte der Stadt bestätigt, und durch das Privi-
legium vom Ii). März 1539 verlieh Markgraf Hans den Driesenern, da-
mit sie wieder zu Gedeihen und Nahrung kommen und da sie durch
wiederholte Brände in Verfall geraten, Befreiung von allen landesherr-
lichen Zöllen, die auf Wagen, Pferde und Waren in der Neumark gelegt
waren und verfügte, dass sie der Jagddienste auf der Netze entledigt
bleiben sollten. Dafür aber hatten sie 27 Gulden Rheinländisch bar an
das Amt zu zahlen und mussten ausserdem, wenn der Markgraf selbst
nach Driesen käme, vor seinen Kammerwagen Vorspann leisten und das
Wild von einer Stätte zur andern fahren und bringen.
Im Jahre 1570 hat das Hochwasser bei Driesen die Brücke fort-
gerissen und Kurfürst Johann Georg bestätigte zu Landsberg a. W. nach
dem im Besitze der Stadt Driesen befindlichen Privilegium am Freitag
nach Lätare, den 30. März 1571, dessen Gerechtsame.
Am 1. Juli 1577 wurde vom Amt Driesen im Dorfe Guscht das
Mühlen vor werk augelegt und in Erbpacht ausgegeben.
Vom Jahre 1519 bis 1585, mithin 66 Jahre war Jacob Creuwitz
Pastor an der Stadtkirche in Driesen und zu Martmi 1585 trat als erster
Diaconus Franz Pöllicke hier sein Amt an.
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Geschichte der Stadt Driesen.
17
Am 7. Sonntage nach Trinitatis, den 2. August 1590, verlieh nach
einem Privileg der Kurfürst Johann Georg der Stadt Driesen noch die
Abhaltung eines zweiten Jahr- und Viehmarktes auf Sonntag nach Mar-
tini, während der bereits bestehende auf Maria Himmelfahrt abgehalten
wurde. Am 7. August desselben Jahres wurde der Stadt versuchsweise
ein neuer Zoll von 2 deutschen Pfennigen verliehen mit der Bestimmung,
ihn wieder abzuschalten, wenn die Polen noch eine höhere als die be-
stehende Zolltaxe einführen sollten.
Die Ernten der Jahre 1593 bis 1595 waren recht gesegnete, denn
der Scheffel Roggen kostete 11 Pfennige bis 1 Groschen, die Tonne Bier
4 Schillinge, die Mandel Eier 1 Pfennig, das Pfund Butter 2 Pfennige,
ein Schaf 10 Pfennige, 1 Kuh 3 Schillinge und an Tagelohn wurden incl.
Beköstigung 3 Heller gezahlt. Gleich nach Ostern 1597 entstand aber
durch jüdische Kornaufkäufer eine plötzliche Teuerung, sodass der
Scheffel Koggen in Berlin 5 Ürtsthaler und in anderen Orten bis auf
lJ/3 Thaler stieg.
Um diese Zeit fingen auch in Driesen, wie bereits vorher in Friede-
berg, die Hexenprozesse an. Der Bürgermeister Jahn der letzteren Stadt
und seine Ehefrau waren infolge einer Denunciation des Geistlichen
Lemrich in einen solchen verwickelt, aber die vom Amtshauptmann
Grame in Driesen geführte Untersuchung ergab die Unschuld beider, und
wurde daraufhin der Geistliche Lemrich seines Amtes entsetzt.
Am 8. Januar 1598 starb der Kurfürst Johann Georg und sein
Sohn Joachim Friedrich übernahm die Regierung und führte sogenannte
Musterungen ein, wobei sich die Bürger bei Verlust der Privilegien be-
waffnen mussten. Am 3. April 1599 fand in Driesen eine solche
Musterung statt und ergab, dass von 102 Bürgern 14 mit langen Röhren,
jedenfalls die ersten Schützen und Gründer der Gilde, 40 mit Spiessen
und 48 unvollständig gerüstet waren.
Im Mai desselben Jahres sandte der Kurfürst drei Bergleute nach
Driesen, um in der Umgegend nach Silber zu graben. Zu diesem Zweck
wurden die Berge von Vordamm bis Alt -Garbe mit der Wünschelrute
untersucht, und zeigte dieselbe 248 Gänge Weisssilber und 3 rotgülden
Erz an. Von der Carziger Grenze die Berge über die Springe entlang,
das heutige Goldbruch, bis über den Weg von Friedeberg nach Carbe,
schlug und deutete die Wünschelrute auf 73 starke Silbergänge und
einige Schläge Gold. Im Goldbruch fand man auch Spuren von alten
Bergwerkeinschlägen, und es zeigte hier die Wünschelrute wiederum auf
Gold. Die Berggesellen wurden vom kurfürstlichen Kainmerschreiber
Nicolaus Schubert begleitet; sie hatten jedoch mit zu vielem losem Sand
zu kämpfen, wie der vielen Quellen halber vom Wasser zu leiden, so
dass sie die Arbeiten einstellen mussten, nachdem sie überhaupt weiter
nichts als Eisenstein gefunden hatten. Nachdem man bereits seit dem
2
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18
Adolf Recklinj?:
Hexenprozess in Friedeberg die taube Anua im Schloss Driesen der
Zauberei bezichtigt, wurde dieselbe beim Beginn des siebenzehnten Jahr-
hunderts deswegen inhaftiert und zur Untersuchung gezogen. Die Unter-
suchung ergab ihre Schuld und sie wurde zum Tode durch das Schwert
verurteilt, und auf dem Galgenberge, dem sogenannten Eiskulenberg
zwischen Vordamm und Alt-Beelitz, hingerichtet. Der Thorwärter, welcher
sie zweimal hatte entfliehen lassen und ihr zu Willen gewesen war, wurde
mit Staupenschlag aus dem Amt Driesen gewiesen.
Im Jahre H>01 und 1<>Ü2 wurde die Festung auf der sogenannten
Gruse angelegt. Sie besteht aus 5 Bastionen, die sternartig zusammen-
liefen, in der Mitte Magazine, Verwaltungsgebäude, Kasematten für die
Soldaten als einfache einstöckige Häuser aus Bindwerk, uraschliessende
Wallgräben und zum Schutz nach der polnischen Seite am linken Ufer
der Netze der Brückenkopf. Mit Ausnahme des Zugangs von der Stadt
aus sind die Werke bis jetzt erhalten.
Aus dieser Zeit rührt auch das jetzige Stadtsiegel und Wappen
her: „der brandenburgische rote Adler mit einem goldenen Herz auf
der Brust und einem fünfspitzigen goldenen Stern (in der Form der
Festung) auf dem Schweif. Im Jahre 1004 wurde hier eine Frau von
Adel, die Brandbriefe geschrieben und ihren Ehemann vergiftet hatte,
einen Giftguss gethan und Zauberei und Vergrabung von Töpfen und
Pfählen gethan und getrieben, durch den Schöppenstuhl zu Brandenburg
und auf Grund einer auf Befehl des Kurfürsten abgegebenen Resolution des
Kammergerichts zu Berlin zur ewigen Landesverweisung verurteilt.
Ein auf kurfürstlichen Befehl durch den Landreiter Stephan Puchner
am Ostermontag, den 28. März lb08 erstatteter Bericht giebt über die
Besitzungen des Amtes Driesen folgende Nachricht:
„Zum kurfürstlichen Amt Driesen gehören das Städtlein Driesen,
wenig mehr als 1HJ Feuerstellen, und unter den Mitgliedern seiner Bürger-
schaft und Pfarrgemeinde noch viele — insbesondere die Kietzer —
polnisch redende zählend, da die beiden Geistlichen, der Pfarrer und
der Kaplan, des polnischen mächtig sein sollen, und neben dem deutschen
Küster auch ein polnischer angenommen war; die Festung Driesen und
nachstehend aufgeführte Dörfer: Garbe, Beelitz, dessen Lehnschulzc nach
einem Privileg Joachims I. für jede Traft Holz, welche die Drage bei
ihm vorbei passierte, ein Beinkleid und ein Paar Schuhe einzufordern
berechtigt war; — Friedrichsdorf und Neuendorf (Lebiach) Gottschimm,
Trebitsch, Guscht, Neuteich und Schlanow. Nur in den drei letztge-
nannten gab es besondere Lehnschulzen nicht. Friedrichsdorf, Neueu-
dorf und Neuteich waren seit dem Regierungsantritt des Kurfürsten
Joachim Friedrich aus nach und nach vergrösserten Ansiedelungen ent-
standen, alle übrigen sind alte Slavendörfer.
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Geschichte der Stadt Driesen.
19
Zu dieser Zeit war Max von Petersdorf Amtshauptmann und
Matthias Rahn Amtsschreiber in Driesen. Mit dem Hammergut, einer
kurfürstlichen Anlage wurde 1612 Michail Sehende! belehnt. Ausserdem
war um diese Zeit mit«) Ansiedlern die Kolonie Salzkossäthen gegründet,
so genannt, weil sie statt anderer Leistungen das auf der Netze ange-
kommene Salz in die kurfürstliche Niederlage zu Driesen (die noch heute
vorhandene Bindung, neben welcher der Heideknecht seine Wohnung
hatte) befördern mussten.
Kurfürst Joachim Friedrich hatte im Jahre 1604 in Driesen eine
Boy (See) Salzsiederei auf der neuen Glashütte an der Bindung anlegen
und zu diesem Zweck zunächst 20 Lasten Boysalz von Hamburg kommen
lassen, und wurde dabei besonders auf den Absatz nach Polen gerechnet.
Im Jahre 1606 wurde das Dragebruch mit Ansiedlern aus Elbing
und das eigentliche Netzbruch mit einigen Kolonisten und Holländern
besetzt. Diese Ansiedelungen hatten jedoch keinen rechten Fortgang,
und nach dem Tode des Kurfürsten Joachim Friedrich wurden sie wegen
Verwüstung der Wildbahnen ganz eingestellt, bis Kurfürst Georg Wilhelm
d. Königsberg, 16./26. Januar 1620 die Wiederaufnahme der Kolonisation
„auf holländische Art" anordnete, die jedoch der dreissigjährige Krieg
verhinderte.
Die Bezeichnung Holländer für die Kolonisten der Netz- und
Warthebrücher kam deshalb in den Gebrauch, weil in den älteren
brandenburgischen Provinzen ein Teil der Flussniederungen in der That
mit Ansiedlern aus Holland besetzt und in Kultur gebracht wurde und
weil deren Wirtschaftsart für alle gleiche Ansiedelungen als Muster galt.
Die auf abgetriebenen Forstboden und den dichtbewachseuen Brüehern
im Grossherzogtum Posen werden überall Hauländerien genannt.
Der dreissigjährige Krieg brachte der Stadt Driesen viel Unheil,
und bei einer Musterung am 25. Juni 1623 zeigte es sich, dass von
178 Bürgern nur 27 lange Rohre, 3 Musketen und 107 Federspiesse auf-
gebracht wurden, während 41 Bürger ganz verarmt waren. Ja es kam
so weit, dass im Jahre 1628, den 23. Juli, die Amtskammerräte Gurt
von der Marwitz und Nicolaus Schubert über Driesen an den kurfürst-
lichen Oberst Hildebrand von Kracht zu Cüstrin berichteten, dass
60 Häuser in der Stadt leer und zerfallen und die meisten Bürger nach
Polen ausgewandert seien, keinerlei Einquartierung mehr gehalten werden
könne, und in der Stadt die allerbitterste Armut vorhanden wäre.
Die Festung Driesen war von den kaiserlichen Truppen besetzt,
und beim Anrücken der Schweden unter General-Major von Dromont
Mitte Februar 1637 war diesem der ausdrückliche Befehl erteilt, „das
Nest" um jeden Preis zu nehmen oder auszuhungern.
Dromont musste jedoch unverrichteter Sache wieder abziehen, denn
Driesens starke Mauern und die umliegenden Moräste boten hinreichend
2*
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20
Adolf Reckling:
Schutz. Die offene und ungeschützte Stadt, die Altstadt westlich der
Grusenstrasse, hatten sie zerstört und niedergehrannt, so dass der Rat
1638 dem Kurfürsten klagte, dass kein Bürger mehr auf dem öden und
wüsten Platz, da sonst die Stadt gestanden, zu finden sei und bat, den
Wiederaufbau nicht wie der kurfürstliche Rat Georg Abraham von Grüu-
berg vorgeschlagen, hinterwärts nach dem Werder zu, sondern auf der
alten Stelle zu gestatten.
Am 27. November lb38 verfügte der Kurfürst an den Statthalter,
(trafen Ad. von Schwarzenberg, mit dem Wiederaufbau der Stadt I>riesen
unverzüglich vorzugehen und dabei den armen Bürgern allen Vorschub
angedeiheu zu lassen. Am 27. November 1639 war es den Schweden
gelungen, den Brandenburgern Driesen zu entreissen. Ein Hauptmann
vom Regiment Jung-Kracht, Georg Laurisky, eines Küsters Sohn aus
Messow bei Crossen a. O., der, um eine Kompagnie Reiter zu werben,
nach Driesen kommandiert war, hatte sich mit dem Feinde in Verbindung
gesetzt und diesem mehrere verführte Unteroffiziere und Stückknechte
zulaufen lassen, welche die schwächsten Stellen der Festung verraten
sollten.
Der Kommandant der letzteren, Oberstlieutenant Ernst Ludwig von
der Groeben, hatte, wie ihm zum Vorwurf gemacht war, die äusserst
unzuverlässige Besatzung nicht genügend beaufsichtigt und sich mehr bei
einer in der Stadt wohnenden Wittwe von Brand und deren Töchtern
aufgehalten. So allein soll es möglich geworden sein, dass Laurisky
sein Bubenstück ungehindert vorbereiten konnte. Als am frühen Morgen
des vorbenannten Tages der Oberst Gordon mit 300 bis 400 Schweden,
die Kähne auf Wagen mit sich führten, und denen die entwichenen
brandenburgischen Soldaten und der lange Hans, ein Buschläufer aus
Trebitsch, als Führer dienten, sich ungehindert der polnischen Brücke
und des Thores au dieser Seite bemächtigt und schnell die Festungs-
wälle erstiegen hatten, leistete man ihnen nur geringen Widerstand.
Nur der Kommandant that seine Pflicht, focht wie ein Rasender und
wehrte sich mit noch 20 getreuen Soldaten, bis sie sämtlich von den
Schweden niedergehauen wurden. Die übrige Besatzung, 120 Mann,
1 Major und 1 Lieutenant wurden gefangen genommen. 26 metallene
Stücke, 6 Feuermörser und eine Menge Munition, wie 10000 Thaler
Werbegelder fielen den Schweden zu.
Der flüchtig gewordene Laurisky wurde durch den Spruch des
Kriegsgerichts, welches am 13. April 1640 in Spandau über ihn abge-
halten wurde, „wegen genug begangener Verrätherei verurtheilt, dass
ihm, wenu man seiner habhaft werden könnte, erst die beiden Vorder-
linger, dann die ganze Hand, damit er geschworen, abgehauen, darauf
die Zunge aus dem Halse gerissen, und dann gespiesst werden sollte".
Wäre er jedoch nicht zu erlangen, dann solle er in den vornehmsten
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Geschichte der Stadt Driewn.
21
brandenburgischen Städten durch den Büttel ausgerufen und an die
Galgen der Soldaten geschlagen und für vogelfrei erklärt werden.
Von Driesen und Landsberg schrieben nun die schwedischen Kom-
mandanten ohne Aufhören ihre massloseu Forderungen aus und belastigten
die umliegenden Orte. In Driesen hatte der Oberstlieutenant Kadicke
ein Haupt-Proviantmagazin für das Wrangeische Korps eingerichtet, und
als Königlich schwedischer Amtmann leitete der frühere kurfürstliche
Amtmann das Requisitionswesen, und zu dieser Stellung gezwungen,
nahm er die Städte Friedeberg, Woldenberg und Arnswalde oft in
Anspruch.
Mitten in der Zeit der Verwüstung seines Landes starb Kurfürst
George Wilhelm am 1. Dezember 1640, und sein Sohn, der grosse Kur-
fürst, kam zur Regierung. Driesen blieb aber auch ferner von den
Schweden besetzt und zwar bis zum Herbst 1649, trotzdem der west-
fälische Frieden bereits am 14. Oktober 1648 abgeschlossen war.
Der schwedische Oberst Gordon hatte während seines Hierseins
den Holm roden lassen und dort eine Milchbude und Scheune erballt,
mithin das jetzige Vorwerk Holm angelegt.
Nach dem Abzüge der Schweden begann für Driesen wieder eine
bessere Zeit, und die Gewerke erhielten ihre Privilegien von neuem be-
stätigt; so am 3. April 1650 die Schmiede - Innung, in dem festgesetzt
wurde, dass keiner, sowohl Grob-, Klein-, Gold- oder Kupferschmied
das Meisterrecht erwerben konnte und sein Handwerk betreiben, ehe er
das Bürgerrecht erworben und seine Meisterprüfung gemacht. Es hatte
ferner ein jeder für Verbote 36 Groschen zu zahlen, und andere ihm
auferlegte Pflichten, wie eiue Mahlzeit, 1 Tonne Bier, wozu die Frau
Meisterinnen und deren Kinder mitgeladen wurden. Ferner musste ein
jeder seine eheliche Geburt durch Zeugnisse nachweisen. Ein Lehrling
musste von dem Altmeister angenommen werden und hatte zum Verbot
1 Düttken und 4 Groschen zu Bier zu geben, ausserdem aber zur Lade
für eine Mahlzeit 12 Groschen und 1 Pfund Wachs, ehe er anfangen
durfte, das Handwerk zu lernen. Ein Grobschmied musste 1 Jahr,
1 Kleinschmied 3 Jahre und 1 Goldschmied 4 Jahre lernen.
Die Leinweber erhielten ihr Privileg 1651, die Böttcher am 4. April
1652, die Schuhmacher 1653. Alle sind dem der Schmiede ähnlich.
Nachdem Driesen mit dem Kietz kaum wieder notdürftig aufgebaut
war, brannte es am 11. April 1662 wieder gänzlich nieder und wurden
bei diesem Brande auch die Kirche mit Turm vernichtet. Die Abgebrannten
erhielten am 12. Mai 1662 die Erlaubnis zu einer Landes-Kollekte, und
von den kurfürstlichen Ämtern Driesen, Hinnuelstädt und Marienwalde
sehr erheblich«' Beihülfen an Material. Kommandant von Driesen war
zu dieser Zeit von der Osten und regierende]- Bürgermeister Georg Klettke.
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22
Adolf Reckling:
Der letztere legte ein Stadtbuch an, in welches alle Neuigkeiten
und besondere Vorkommnisse eingetragen werden sollten; jedoch der
Stadtschreiber Andreas Schmidt hat das Buch bis zum Jahre 1679 liegen
lassen, ohne darin etwas zu vermerken. Im Jahre 1664 war die Kirche
in Fachwerk wieder erbaut und im Jahre 1679 der Turm dazu. Die
grosse Glocke darin hatte die Inschrift:
„Anno 1662 den 11. April hat uns das Feuer in Stücken gebracht,
„Der Meister wieder ganz gemacht.
„Zu Gottes £11^ und heiligem Dienst wir erklingen
„Und die Gemeinde in Eil zusammen bringen.
„Herr Joachim von der Marwitz, Kommandant und Hauptmann
.,Driesen; Cuja. M. Andrea Friederico T. T. Ecclesiae Pastoris;
„Paulus Prophalns, electoralis Driesenae Praefectus. Georg
„Kutzer, Johann Beneckendorf, consules. Christoph Starke,
„Georg Herbe, Richter, Johann Dames, Senatoren und Rathsherrn.''
„Christoph Kokeritz goss mich 1662 im November".
Bis zum Jahre 166U wohnte der Scharfrichter vor der polnischen
Brücke, aber die Witwe des Scharfrichters Schulz beschwerte sich zu
dieser Zeit, dass sie unter den gefährlichen Leuten auf der polnischen
Seite nicht mehr länger wohnen könne, daher gab man ihr am Ende
des Kietz, gegen den Einspruch dieser Gemeinde, ein wüstes Kietzergut.
Die Kietzer hatten dem Amte sehr schwere Frohndienste zu leisten,
deshalb beschwerten sie sich im Jahre 1653 beim Kurfürsten und baten
um Erleichterung. Darauf wurde bestimmt, dass sie für künftig wöchent-
lich nur zwei Tage zu dienen hätten, zur Heu- und Erntezeit sollten sie
alles Heu und Getreide auf den zum Bergvorwerk, jetzt Schoeneberg,
gehörenden Wiesen und Acker mähen, bergen und einscheuern; des-
gleichen müssten sie die Wälle und Gräben der Festung durch Räumen
und Abschneiden des Rohres und Grases reinhalten und gäbe es keiu
Gesetz für die Grenze ihrer Dienste, und wenn die Herrschaft sich an
dieser geringen Forderung nicht genügen lasse, so müssten sie auch
mehr dienen.
Im Jahre 1662 erhielt der Apotheker George Klettke das Privileg,
hier eine Apotheke zu errichten und zwar auf dem Grundstück, wo
noch heute die Adlerapotheke ist. In diesem Privileg ist unter anderem
aufgeführt, dass er allein berechtigt sei, gestossene Gewürze in der Stadt
zu verkaufen, wie auch die Barbiere und Wundärzte alle Salben und
Ptlaster in dieser Apotheke kaufen müssten.
Nach einer Polizei-Verordnung aus dieser Zeit war auch bestimmt
worden, dass die Scheunen ausserhalb der Stadt und die Häuser in der
Stadt mit Ziegeldächern zu erbauen sind; ferner war in derselben das
Schelten, Gotteslästern und Fluchen verboten, und wer gegen letzteres
Gebot Verstösse, sollte, ob hohen oder niederen Standes, 4 bis 6 Tage
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Geschichte der Stadt Driesen.
23
und Nichte getanglich eingezogen, bei Wasser und Brot sitzen und täg-
lich um einen Thaler gestraft werden.
Nach dem Stadtbuch der Stadt Driesen erkrankte im Jahre 1087
der jüdische Krämer Abraham Moses und Hess sich auf den Rat einer
Soldatenfrau Liesken aus der Apotheke, der Besitzer hiess Hanisch und
war ein Schwiegersohn des vorangeführten George Klettke, ein Brech-
pulver holen. Nachdem Moses das Pulver genommen, wurde ihm grün
und gelb vor den Augen; es kamen ihm Blasen vor den Mund und das
Mittel wirkte bei ihm so stark, dass er drei Schritt vom Stuhl fortge-
schleudert wurde. Als er aufstand, kam der Krampf wieder und warf
ihn sechs Schritt unter den Tisch fort, worauf Bliiterbrechen eintrat.
Der herbeigerufene Rat nahm den Hergang zu Protokoll. Die Ehefrau
des Moses war inzwischen zum Apotheker Hanisch gelaufen und hatte
diesem den Zustand ihres Mannes geschildert, worauf dieser die Äusserung
gethan, es sei ihrem Manne ganz recht, warum verkaufe er auch Tabak
und Pflaster. Doch ging der Apotheker zum kranken Moses und gab
ihm ein Gegenmittel ein, wonach derselbe wieder ruhiger wurde. Einige
Tage später erschien der Rat wieder am Krankenbett des Moses und
nahm dessen Aussage noch einmal dahin auf, dass Moses und seine
Frau dem Apotheker unrecht gethan, und inussten daraufhin beide dem
Apotheker Abbitte leisten. Abraham Moses starb gleich darauf. Die
wiederholte Beschuldigung von einem gewissen Jacob Caspar aus Ber-
linchen, dass Hanisch den Moses vergiftet, kostete dem Caspar
8 Thaler Strafe.
Die damalige Justiz kennzeichnet sich auch aus dem nachstehenden,
im Stadtbuch verzeichneten Fall: Im Sommer 1688 hatte der Bürger
Knnicke den vorbenannten Moses bei den Ziegelscheunen überfallen und,
da er ihm nicht einen Thaler Biergeld geben wollte, durchgeprügelt.
Itzig Leib kam dazu und zog seinen Geldbeutel aus der Tasche, welchen
ihm der Kunicke mit Inhalt von 1 Thaler S) Groschen entriss, worauf er
ihn gleichfalls prügelte. Die beiden Juden trugen darauf ajn 18. Juni H>SS
dem Rat ihre Klage vor; Kunicke wird geholt und bestreitet alles,
behauptet aber, dass der Abraham Moses ihn einen Schelm genannt.
Der Rat beschliesst hierauf, dass die Prügel, welche Moses erhalten,
durch die Beschimpfung Schelm kompensiert sei. Leibchen niusste
Kunicke öffentlich Abbitte leisten und Kunicke 1 Thaler Strafe zahlen
mit der Weisung, künftig keinen Juden mehr durchzuprügeln: wer es
aber wage, ihm diese Handlung vorzuhalten, der solle dem Rat fünf
Thaler und fünf Thaler dem Amte Strafe zahlen, auch öffentlich Abbitte
thun, wie Itzig Leib.
Die Braugewerbe lagen nach dem dreissigjährigen Kriege
vollständig darnieder, und das kurfürstliche Amt erschwerte nicht
nur den Wiederaufbau alter Häuser mit Braugerechtigkeit, sondern
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Adolf Reckling:
verbot sogar, dieselben auf der alten Stelle zu errichten. Der Preis
eines Brauhauses betrug 40 bis 100 Thaler. Das Bierbrauen ging nach
der Reihe, und erst, wenn die letzte Tonne Bier angezapft war, durfte
der nächstfolgende mit dem Brauen anfangen. Auch von den Bäckern
buk nur die Hälfte die eine Woche, während die andere Hälfte die
nächste Woche backen durfte. In der Woche, wo die Bäcker nicht
buken, kauften sie das Getreide und Hessen es mahlen.
Zur Beurteilung der Mode in damaliger Zeit, möge das aus dein
Stadtbuche entnommene nachstehende Schreiben dienen :
Am 12. Juli 1087 starb der Stadtschreiber Schmieder; er und seine
Ehefrau hatten an Kleidung und Geräte besessen:
„2 goldene Herzchen mit einem zerbrocheneu Ring, 5 goldene
Ringe, 3 Schnüre Perlen, 2 silberne Löffel, 3 silberne Näpfe.
Ein Himmelbett mit grünseidenen Vorhängen, einen Schwein-,
einen Vogel- und einen Kalbsbratenspiess. Ein Polomitonrock
mit Wämmschen. Ein Schnupftuch mit goldenen Spitzen. Ein
Paar Bernsteinarmbänder." Aus der Taxe geht ferner hervor,
dass eine Kuh 4 Thaler, eine Kalbe 2 Thaler, 1 Stein Wolle
2 Thaler 4 Groschen, ein Bett mit Züchen, Unterbett und Kissen
3 Thaler, 1 Scheffel Roggen 7 Groschen 6 Pfennige und 1 Elle
Warx 6 Pfennige kosteten.
Alle gerichtlichen Akten aus damaliger Zeit bekunden grosse Gottes-
furcht, denn Kaufbriefe und Testamente beginnen:
„Im Namen der hochgelobten seligen Dreieinigkeit etc." und
endigen mit „Amen!u
Ein Fischereistreit zwischen den Bürgern zu Driesen und den Be-
wohnern des Kietz wurde nach einer Urkunde durch folgenden Vergleich
am H.Dezember K>88 geschlossen und erledigt:
„Es soll der Bürgerschaft vergönnt sein und zugelassen,
zwischen den beiden Stadtgraben sowohl die grosse als die
kleine Netze ungehindert zu befischen. Die Fischerei um den
Schlossberg bis au die Gasse, so zwischen Zimanki und Klinken
belegen, und haben die Bürger von des K linkes Wehr an, so
beim Schlossberg ist, und da sich die Netze teilet, der Fischerei
in solchen Strömen und der dabei liegenden kleinen Seee sich
gänzlich zu begeben. So stehet auch der Bürgerschaft frei, auf
beiden Seiten des Dammes (Strasse nach Vordamm) einen guten
Steinwurf weit zu fischen; auch ist E. E. Rat befugt, auf der
grossen Netze zwischen dem Stadtgraben ein Aalwehr zu haben etc.
Adt. Driesen, den Dezember 1688. Kurfürstlich Amt.
gez. Hercules Nicolaus von Pestalotzi, kurfürstlicher Hof und
Legat ionsrath, Hauptmann zu Driesen.
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Geschichte der Stadt Driesen.
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Vierzehn Tage vor Michaelis 1695, an einem Sonnabend, brach
beim Apotheker Feuer aus, dessen Magd zuvor mit Licht auf dem Boden
war. Es brannten infolge dessen 43 Häuser ab. Die nach dem Brande
zwei Jahre nachher wieder aufgebaute Apotheke steht noch jetzt am
Alten Markt.
Im Jahre 1700 war General-Major Paul von Brand, Sohn des
damaligen Besitzers von Wutzig und Hermsdorf, Kommandant der Festung
Driesen und dessen Sohn Christian zugleich Amtshauptmann von Driesen.
Nach dem Feuerkataster von 1706 gab es zu dieser Zeit in Driesen
135 Häuser, davon 81 mit Ziegeldächern und 54 mit Strohdächern. Der
Winter 1709 war so kalt und streng, dass fast alle Bäume und der
Wein erfror, insbesondere die Wintersaaten.
Im Winter 1720 erschien eine Kabinetsordre, wonach fahrende
Gauner, Landstreicher und Zigeuner überall festzunehmen und ins Ge-
fängnis zu stecken, und falls dieselben über 18 Jahre alt, dann an den
Galgen zu bringen, die jüngeren aber zur Erziehung in Arbeitshäuser
zu bringen wären. Besonders trieb sich bei Driesen an der polnischen
Grenze viel Gesindel herum, und wurden 1724 sechszehn aufgegriffene
Zigeuner von hier nach Friedeberg gebracht, und da einige davon ge-
stohlen, ward ihnen der Kopf abgeschlagen, die anderen wurden mit
Staupenschlag über die Grenze gebracht.
Im Jahre 1711 wurde in Hammer die Kirche gebaut, der dort be-
findliche Eisenhammer ging 1709 ein.
1723 wurden in den Städten die Magistrate durch ein am 21. Juli
erlassenes Reglement eingerichtet. Die Viertelsmänner, auch Stadt-
verordnete genannt, vertraten die Bürger, und mussten diese zu ihren
Beratungen zuziehen und befragen.
Wie wenig wohlhabende Bürger in dieser Zeit in Driesen waren,
geht aus dem nachstehenden Schulddokument hervor, das wörtlich wie
folgt lautet:
„Wir Bürgermeister und Rath bekennen, dass uns der wohl-
ehrwürdige Vatig, Prediger in Netzbruch, auf unser dienstliches
Ersuchen und Bitten 43 Thaler 12 Groschen zu unserer höchsten
Bedürfnis und wohin es eigentlich verwendet werden müssen in
Gemeinde-Stadtkassenrechnunn zu befinden, gutwillig geliehen.
Wir versprechen auch für uns und Gemeinde statt bei Treu und
Glauben, die 43 Thaler 12 Groschen, sobald es der Stadtkasse
Zustand leidet, abzugeben und jährlich mit 2 Thaler 15 Groschen
4$ Pfennig zu verzinsen, die Zinsen dem Gläubiger sicher in
seiner Behausung einzuliefern, damit er aber wegen des vorge-
streckten Kapitals und Zinsen Sicherheit habe, haben wir ihm
den Stadtsee Nibiling zu Unterpfand gesetzt und verschrieben.
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Adolf Reckling:
Im Fall der Nichtzahlung solchen zu besitzen und zu gebrauchen
und nicht eher abzutreten, bis er seine Forderung erhalten."
Driesen in curia, den 5. August 1736.
Bürgermeister und Rath nebst den 4 Vicrtelsmännern.
gez. Prittwitz, Zimonsky, Chino, Köntzer, Schnell, Bartusch,
Fenske, Eichler.
Am 4. April 1 737 brach im Hause No. 17 der Mittelstrasse Feuer
aus und brannten 50 Häuser und 30 Scheunen ab. In demselben Jahre
trat der berühmte Kanzelredner und Verfasser grösserer geistlicher
Schriften, wie der Synopsis bibliothecae exegeticae in novum testamentum,
der Oberprediger Christoph Starke, hie rsein Amt an. Sein Bild hängt
am Tuchmachergewerkschor zunächst der Kanzel. Zu seinen Einkünften
gehörte damals auch ein Kiehnblock, welchen derselbe aus der König-
lichen Forst für das Ablesen der Holzmärkte von der Kanzel erhielt.
Ebenso erhielt der Diaconus einen Kiehnblock, doch musste er sich
diesen von Alt-Beelitz holen lassen.
Die Desertion der Soldaten aus der Festung, wozu die eine Meile
entfernte polnische Grenze eine sehr günstige Gelegenheit bot, nahm
immer mehr zu, deshalb erliess der Amtmann Liebenow an sämtliche
Schulzen des Amtes Driesen den Befehl am 18. April 1738, dass die
Bewohner ihrer Gemeinden jeden Soldaten, welchen sie sehen, nach dem
Pass fragen sollten und falls er einen solchen nicht vorzeigen könne,
ihn gefangen zu nehmen, da ihnen bei Ablieferung das vom Könige für
jeden Deserteur festgesetzte Geldgeschenk ausgezahlt werden solle. Als
Kennzeichen, dass ein Soldat desertiert sei, würden in der Festung zwei
Kanonenschüsse abgefeuert werden. Wenn aber drei Kanonenschüsse
abgefeuert würden, so bedeute es Feuer, und alle Leute sollten dann
zur Stadt geschickt werden, um retten und löschen zu helfen.
Der Winter 1740 war wieder sehr streng, und sprangen infolge
dessen die beiden Kirchenglocken.
Im Jahre 1744 gab es in Driesen ausser den öffentlichen 138 Bürger-
häusern nur 18 Mietsbürger, und im Jahre 1750 betrug die Einwohner-
zahl: 155 Männer, 151) Frauen, 142 Söhne, 161 Töchter, 21 Gesellen,
12 Knechte, 26 Jungen und KW Mägde, mithin im ganzen 785 Ein-
wohner; dagegen stieg diese Zahl bis 1754 auf 1336.
1750 wurde auf städtischem Grund und Boden neben der wenige
Jahre früher vom Könige angelegten Kolonie Erchbruch die städtische
Kolonie Klein-Erchbruch, wozu die sogeuannte Schornsteinfegerwiese
von 5 Morgen 147 Ruten und die Salzleckerberge genommen wurden,
angelegt und die Wirte Kysow, Böhlke und Fröhlich aus Polen, und
Christian Andreas Stoltz, ein Inländer und Urgrossvater des Kommerzien-
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Geschichte der Stadt Driesen.
27
rats Leopold Stoltz hier, darauf angesiedelt: sie hatten an die Stadtkasse
einen Grundzins zu entrichten.
Für gewerbliche Erzeugnisse, welche vom Ausland bezogen wurden,
ging in dieser Zeit noch viel Geld aus dem Lande, daher begünstigte
der König Friedrich der Grosse solche Gewerbe, die dergleichen Sachen
hier im Lande fabrizierten, und liess hier in Driesen für Rechnung des
Staates in der Netzstrasse das Fabrikenhaus für die Tuchmacher-Innung
erbauen und für 8 Familien einrichten. Am 17. August 1780 schenkte
der König es dieser Innung, um darin eine Spinnschnle zu errichten;
allein nach 7 Jahren fanden sich keine Lehrlinge mehr, daher wurden
die Wohnungen im G«bäude für 5 Thaler vermietet.
Die am 11. April 1662 abgebrannte uud 1664 wieder erbaute
Kirche war so baufällig geworden, dass am 5. April 1752 der Glocken-
turm niedergerissen, und am 10. Sonntag nach Trinitatis in dem alten
Gebäude zum letzten Male gepredigt wurde. Bereits am 26. Oktober
desselben Jahres wurde die neue Kirche gerichtet, am 18. April 17511
auf den neuen Turm die Spitze und am 30. April der Knopf aufgesetzt.
Am 2. Dezember 1753, am 1. Advent, wurde die neue Kirche
durch den Inspektor Frey eingeweiht und hierbei „Allein Gott in der
Höh' sei Ehr,tt gesungen und über den Psalm: „Wie lieblich, o Herr,
sind deine Wohnungen" vom Oberprediger Johann George Starke ge-
predigt. Diakonus war Jacob Philipp Gensichen.
Das Stammholz zur neuen Kirche war vom Staate aus der Ober-
försterei Driesen geliefert, und das Stammgeld hatte der damalige
Oberförster der Kirchengemeinde geschenkt, aber dafür derselben die
Verpflichtung auferlegt, ein Chor für seine Forstbediensteten zu bauen.
Während des Baues der Kirche wurde der Gottesdienst auf dein Boden
des Salzhaus«'S abgehalten. Der Verband des Dachstuhls der neuen
Kirche ist ein seltenes Werk, welches der Zimmermeister Klettuer gebaut
hat und das in heutiger Zeit die Bewunderung aller Techniker hervorruft,
die zum Zweck eines Neubaues der Kirche die alte besichtigt haben.
Das im Jahre 1662 gleichfalls abgebrannte Schulhaus konnte wegen
Armut der Bürgerschaft nicht sofort wieder erbaut werden, daher gab
man dem damaligen Rektor und zugleich alleinigen Lehrer jährlich
5 Thaler zur Miete eines Schulgebäudes, jedoch bereits Ende des sieben-
zehnten Jahrhunderts wurden ihm 2 Thaler zugelegt, da für ersteren
Preis eine Wohnung nicht mehr zu haben war. Im Jahre 11)91 kaufte
dann die Stadt vom Uhrmacher Schmieder dessen Wohnhaus in der
Hinterstrasse, jetzt No. {) und 10, für 90 Thaler 22 Groschen und konnte
darauf HO Thaler anzahlen, während der Rest in 6 Jahren getilgt wurde.
Das Haus hatte eine Schulstube und eine Stube für den Rektor.
Im Jahre 1756 wurde mit dem Zimmermeister Düringen vom Rate
der Stadt ein Baukontrakt zum Bau eines neuen Schulgebäudes von
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Adolf Reckting
2 Etagen, 68 Fuss lang, 36 Fuss tief und 17 Gebinden a Gebinde
3 Thaler und 1 Tonne Richtbier auf der wüsten Kaplanei am Kirchhofe
abgeschlossen. Die Mauersteine hierzu wurden aus Lauchstädt gekauft
und pro Tausend mit 2 Thaler 17 Groschen bezahlt. Die Gesamtbau-
kosten exkl. des freien Bauholzes aus der Königlichen Forst betrugen
488 Thaler; das Holz hatte nach der damaligen Taxe einen Wert von
137 Thaler. Im neuen Schulhause waren 2 Schulklassen und 2 Lehrer-
wohnungen eingerichtet. Seit 1836 dient dieses Haus zu Lehrerwohnungen.
Jedoch zurück zu einer für die Stadt Driesen sehr trüben Zeit, welche
für sie durch den 1756 begonnenen siebenjährigen Krieg eintrat und ihr
viel Unheil brachte. Hussland hatte sich zu unseren Feinden gesellt,
und im Sommer 1758 rückte eine Armee dieses Reiches von Polen her
gegen die Mark Brandenburg. Ein Grauen überkam die Bewohner der
Stadt und deren Umgebung, wie sie es lange nicht gekannt. Von der
Ostsee eilte der preussische General Graf Dohna zum Schutze der Mark
Brandenburg herbei, und als Avantgarde kam das Freiregiment des
Grafen von der Hordt nach der Festung Driesen und schlug hier den
russischen General Demikoff, welcher Driesen durcli einen Handstreich
nehmen wollte, zurück. Da aber Graf Dohna sich zur Oder wenden
musste, um zu verhüten, dass der Feiud in die innere Mark Branden-
burg eindringe, war auch Oberst Hordt genötigt, ihm samt der Besatzung
von Driesen, einer Kompagnie Invaliden und dem Festungskommandanten
Oberstlieutenant von Schwerin, nachdem sie noch bei Annäherung der
Russen hier alles verbrannten, zu folgen.
Am 11. Juni 1758 erschienen die Russen zum ersten Mal in diesem
Kriege vor Driesen und zündeten das Ziemanskysche Vorwerk an. Es
brannten ein mit Ziegeln gedecktes Haus, zwei Scheunen von 90 Fuss
Länge und die Ställe nieder, wobei 3 Kälber, 2 fette und 6 magere
Schweine und das ganze Federvieh umkamen. Das übrige Vieh war
auf die Weide in das Bruch getrieben. Seinen Verlust gab Zieinansky
auf 1603 Thaler an. Er brachte darauf seine Familie, welche nichts
gerettet hatte, nach Stettin und trat dortselbst als Lieutenant in die
Armee ein. Vorher war Ziemansky in Driesen Bürgermeister gewesen.
Am 13. Juli gingen die Russen bei Trebitsch über die Netze und nahmen
dort sämtliches Vieh fort.
Am 14. Juli traf das Hordtsche Freiregiment mit 2 Kompagnien
Landmiliz, sowie der preussischen Besatzung der Festung Driesen, von
den Russen verfolgt, in Friedeberg ein, und dort kam es vor dem
Driesener Thore mit den Russen zum Gefecht, wo die Preussen weichen
mussten. Hordt hatte hierbei einen Verlust von 27 Mann und 3 Kanonen
und zog sich auf Cüstrin zurück. An demselben Tage, den 15. Juli 1758
nachmittag 4 Uhr, rückten die Russen in Driesen ein, und nahm der
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Geschichte der Stadt Driesen.
2<l
russische Oberst Molina die Festung in Besitz. Er Hess sofort die
Werke verstärken, wobei die Bewohner der umliegenden Städte und
Dörfer Schanzarbeiten verrichten mussten. Die Bürger Driesens waren
in die Brücher geflüchtet und hatten dort ihre beste Habe und ihr Gut
vergraben. Mit ihnen waren auch beide Prediger geflohen. Die Bürger
weigerten sich später, sie wieder anzunehmen, da sie die Stadt in der
Zeit der Gefahr verlassen hatten. Der Prediger Abraham kam während
dieser Zeit nach Driesen und hielt den Gottesdienst, und erst durch
dessen Vermittelung nahm die Bürgerschaft die beiden hiesigen Prediger
wieder auf, jedoch mussten sie zuvor öffentlich geloben, in jeder Gefahr
bei ihrer Gemeinde künftig zu bleiben. Nachdem die Russen bei Zorn-
dorf von den Preussen geschlagen waren, zogen sie sich bis Landsberg
zurück; da aber hier wenig Lebensmittel vorhanden, ging die Armee
des Generals Fermor nacli Pommern. Die bei Landsberg zurückge-
lassene Besatzung wurde von preussischen Truppen bei Zantoch in das
polnische Gebiet zurückgedrängt und ein Teil davon machte in und um
Driesen Halt. Auf ihrem Zuge wurde überall geplündert und gebrannt,
die Einwohner gek nutet und ihr Vieh mitgenommen. So waren in
Gurkow allein 48 Gehöfte in Asche gelegt, und in Friedeberg ent-
kleideten sie den Juden Gumpert auf dem Markte und peitschten ihn
fast zu Tode.
Am 14. Oktober 1758 erhielt der Magistrat zu Driesen vom
russischen General Dietz den Auftrag, 2600 Thaler Kontribution, die
erste Hälfte zum 20. Oktober, die zweite zum 1. November von den
Bürgern zu erheben und au seine Armee abzuführen, andernfalls er den
Bürgern alles fortnehmen würde. Dies wurde sofort durch den Rat
und den Gewerksältesten bekannt gemacht. Den nächsten Tag ging der
Rat zu dem russischen Kommandanten Peters und erklärte diesem, dass
die Stadt zu arm wäre, um eine so hohe Summe zu zahlen, worauf der
Kommandant zur Absendung einer Bittschrift an die Kaiserin und an
den russischen Oberbefehlshaber riet, damit der Auftrag von dein
General Dietz zurückgenommen würde. Dies geschah denn auch sofort,
doch wurde die vorläufige Aufbringung des Geldes aufrecht erhalten
und auf die Bürger repartiert. Es kamen aber nur 800 Thaler zusammen.
Am 23. Oktober traf vom General von Dietz auf die Petition die Ant-
wort ein. Die Zahlungstermine waren nur bis zum 1. und 15. November
verlängert mit der Bedinguug, dass dann das Geld in Dramburg abzu-
liefern wäre. Eine Deputation, bestehend aus den beiden Bürgermeistern
Muthmann und Eift'ert, dem Stadtgeschworenen Modrow und dem Ge-
werksältesten Sehneil reiste von hier in Begleitung von 2 Kosaken mit
den eingekommenen 800 Thalern, wozu noch 200 Thaler aus der Feuer-
kasse genommen wurden, nach Dramburg und zahlten an die Kanzlei
des General Dietz diesen Betrag, aber an eine Ermässigung war nicht
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Adolf ReckHng:
zu denken. Den darauf folgenden Tag brach die ganze russische Armee
auf, und die Deputation musste ohne Bedeckung zurückfahren.
In Driesen traf die Nachrieht ein, dass 8000 Preussen in Lands-
berg und Friedeberg dort die Russen vertrieben hätten, worauf die hier
in der Stadt liegenden russischen Soldaten sofort in die Festung sich
zurückzogen und in der Nacht abmarschieren wollten; allein dies unter-
blieb infolge einer zweiten Nachricht, dass die Preussen nach Stargardt
marschiert seien.
Am 8. November 1758 kamen noch 2 Regimenter russischer Truppen
hier an und begannen die Festungswälle abzutragen. Abends wurden
die Pallisadeu und Faschinen um die Festung angezündet und den fol-
genden Tag mit dem Abgraben der Wälle fortgefahren.
Am 22. November 1758 verliessen die Russen die Festung Driesen
und den Friedeberger Kreis, nachdem sie noch vorher grosse Kontri-
butionen erhoben hatten. Für die Festung hier waren von Friedeberg
60 Ochsen, 1500 Scheffel Roggen und 2200 Scheffel Gerste geliefert.
Die Stadt Woldenberg konnte von den geforderten 40 Ochsen nur die
Hälfte liefern, und hatte dazu 1000 Scheffel Roggen, 1000 Scheffel Gerste
und 448 Scheffel Hafer zu geben. Driesen sollte 31 Ochsen, 150 Scheffel
Roggen und 400 Scheffel Gerste aufbringen, war aber hierzu nicht in
der Lage, so dass der der Bürgerschaft wohlwollend gesinnte Oberst
Olitz, der auch sonst stets gute Zucht hier unter den Soldaten gehalten
hatte, der Stadt diese Abgabe erliess.
Da der Rest der vom General Dietz der Stadt auferlegten Kon-
tribution nicht gezahlt werden konnte, rückte im September 1759 wieder
ein russisches Exekutions-Kommando unter Major von den Brinken hier
ein, der unterm 15. September 1759 vom Magistrat Friedeberg 1500 Thaler
Kontributionsgelder verlangte; darauf sandte letzterer eine Deputation
nach hier, welche dem General Dietz 150 Thaler schenkte, worauf dieser
den geforderten Betrag auf 300 Thaler ermässigte, der ihm dann sofort
gezahlt wurde.
Im Jahre 1760 durchzogen die Kosacken von Driesen aus den
ganzen Friedeberger Kreis, verübten häufig Unfug und Diebstähle, so
dass die Städte den Marschall Butterlin in Arnswalde um eine stehende
Schutzwache baten, die ihnen auch gewährt wurde. Bis zum 22. No-
vember 1760 musste für die Kosacken in Driesen Brot und Fourage
geüefert werden.
Im Frühjahr 1761 zog von Polen aus ein russisches Heer unter
Marschall Butterlin nach Schlesien, um sich dort mit den Östreichern
zu vereinigen, und ein zweites Corps unter General Romanzow nach
Pommern. Die Generale von Berg, von Fermar und Butterlin blieben
in Driesen, und die Stadt hatte, wie im Jahre vorher, dem hier liegenden
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Geschichte der Stadt Driesen.
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Fürsten Dolgurucki 8 Fuder Heu zu geben und musste das Fuder kaufen
und mit l Thaler 12 Groschen bezahlen.
Schon in den ersten Tagen des Juni 1761 zeigten sich bei Driesen
wieder Kosacken, und am Dienstag, den 9. Juni 1761, abends Cy Uhr,
sah man eine grosse Truppenmasse vom kurzen Damm her anmarschieren,
welche sich in einer Entfernung von 1UUU Schritt von der Stadt auf
dem Felde ausbreitete und Biwak bezog. Kurze Zeit darauf kamen
einige Kosacken zur demolierten polnischen Brücke und einige zur Netze,
gegenüber dem Salzhause, geritten und verlaugten den Bürgermeister zu
sprechen. Als dieser erschien, forderten sie Brot für 2 Regimenter, das
sofort auf Kähnen herüber geschafft werden sollte. Der Bürgermeister
sagte ihnen, dass Kähne nicht da seien, und sie möchten nur durch die
Netze reiten und sich das Brot selbst holen. Darauf ritten sie wieder
ab, aber nach einer Stunde kam ein Major mit mehreren Kosacken,
ritten durch die Netze und verlangten vom Bürgermeister die Wieder-
herstellung der demolierten Brücke bis zum nächsten Morgen. Auf die
Einwendung, dass dies nicht möglich sei, sagte der Major, wenn er
100 Rubel erhielte, so wolle er den Baumeister selber machen und den
Bau bald vollenden; auch würde er sich mit närrischen Ausreden nicht
abweisen lassen; er wisse wohl, dass die Brücke auf Befehl des Königs
abgebrochen sei, auch würde er wohl Kähne ünden, doch dann solle es
für die Stadt ein Unglück werden. Hierauf erwiderte ihm der Bürger-
meister, dass sämtliche Kähne nach Küstrin seien und sich heute hier
in der Stadt schon preussische Husaren gezeigt, die stündlich zurück
erwartet würden, worauf er sofort zu seiner Truppe wieder zurückritt.
Abends 11 Uhr überbrachten einige Kosacken dem Bürgermeister
den Befehl, er solle den nächsten Tag früh zum Kommandeur hinaus-
kommen, und wenn dies auf zusammengebundenen Trögen geschehen
müsste, sollten die Kosacken bis dahin noch Kähne auffinden, dann
würde man ihn aufhängen.
Den nächsten Morgen erschien denn auch ein Kommando, um den
Bürgermeister zu holen. Er sollte mit durch die Netze reiten, was er
sich zu thun weigerte, worauf sie den Dolmetscher allein mit hinaus
nahmen. Nachdem letzterer mit einem Offizier wieder zurückgekehrt
und diesem eröffnet wurde, die Stadt hätte seit Beginn des Krieges
keine Zufuhr und Ernten gehabt, und der russische General Czernitscheft'
hätte bereits vor 3 Jahren deshalb die Stadt von der Getreidelieferung
befreit, Hess er von seiner Forderung 1300 Pfund Brot fallen, verlangte
jedoch, dass 2000 Pfund geliefert weiden, davon sofort 304 Pfund, und
er würde auch diese nicht fordern, wenn es nicht unbedingt nötig wäre.
Für seinen Tisch solle man ihm morgen besonders einen Hammel und
ein Kalb senden, wobei er dann die Äusserung that: „Bin ich gut
Oberst", was dann der Bürgermeister Muthmann, sich bei ihm
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Adolf Reckling:
bedankend, bejaht«*. Zugleich erhielt der Magistrat den Auftrag, an den
Magistrat Landsberg zu schreiben, damit dieser eine Tonne Häringe,
eine Tonne Salz und 10()() Pfund Brot liefere, wie ebenso nach Friede-
berg und nach Woldenberg behufs Lieferung von je eines Ankers Wein
und Branntwein. Mittags inusste der Magistrat noch einmal an diese
drei Städte schreiben, dass Landsberg am lti. Juni 100 Schafe, 1000 Brote,
o Tonnen Häringe und 5 Tonnen Salz, Friedeberg und Woldenberg je
50 Schafe, den Rest von 400 Broten und weitere 500 Brote, 2 Tonnen
Salz und 2 Tonnen Häriuge nach Driesen zu liefern hätten, und wenn
dies nicht geschehen würde, kämen starke Kommandos, die alles fort-
nehmen würden. Auch Driesen inusste die 1000 Brote geben und auf
Wunsch des Obersten ein Bett hinaussenden.
Am Sonntag, den 14. Juni 1701, lud sich der Oberst beide Bürger-
meister zum Mittagessen ein. Entschuldigungen wurden zurückgewiesen,
auch gefordert, Tischzeug, Zinn und dergleichen mitzubringen. Die
Bürgermeister wurden vom Obersten, der mit 17 Offizieren 'zu Tisch
sass, mitKüssen bewiUkommt und ihnen zu beiden Seiten von ihm die Plätze
angewiesen. Tische und Stühle gab es an der Tafel nicht, sondern mau
sass nach orientalischer Sitte auf der Erde mit kreuzweise übereinander
geschlagenen Beinen, welches der erste Bürgermeister wegen seiner
Korpulenz nicht fertig bekam. Zum Empfange erhielt jeder einen
Humpen Wein, der sofort geleert werden inusste. Das Essen bestand
aus Hühnerfleischsnppe und drei Gerichten Hammelfleisch, davon das
letzte gebraten. Wein wurde aus grossen Gläsern getrunken und der
Oberst hielt darauf, dass jeder stets sein Glas sofort bis auf den Rest
austrank.
Ende Juni 17(>1 zogen diese Truppen, zuletzt waren es 3 Regimenter,
nachdem sie drei Wochen hier im Biwak gelegen, wieder ab.
Im Herbst 17Ü1 marschierte die ganze russische Armee durch
Driesen, im ganzen 14 000 Mann, und nach ihr kamen wieder preussische
Truppen unter General von Platen hier an, der jene verfolgte und später
zwischen Berlinchen und Bernstein ein Gefecht mit ihr hatte. Aus diesem
Gefecht brachte man auf 30 Wagen verwundete Kosacken, auf 4 Wagen
schwerverwundete Preussen, und ausserdem an gefangenen Preusseu
einen Artillerie - Oberst, 14 Husaren, 47 Dragoner vom Regiment
Holstein nach Driesen. Am 30. September 1761 kam das Gros der
russischen Armee unter Marschall Butterlin und General Fermor
wieder zurück, der erstere ging dann am G. Oktober gegen Wolden-
berg, doch blieben noch Infanterie- und Kavallerietruppen hier an der
Netze zurück und namentlich durch letztere hatten die Bruchgegend und
die Dörfer viel zu leiden. Ganze Schaaren von Bruchkolonisten kamen
nackt und bloss nach Driesen geflüchtet, andere versteckten sich in den
Büschen, Brüchern und Forsten. In Driesen wurde den Bürgern vom
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Geschichte der Stadt Driesen.
33
Feinde alles Futter, Brot, Getreide und Lebensmittel genommen, und
man musste das Notwendigste von Arnswalde wieder herbeiholen und
dort für den Scheffel Koggen 3 bis 4 Thaler zahlen. Der russische
Major Völkersam, welcher die Not hier sah, nahm daher den Bedarf für
seine Truppen von anderen Städten; trotzdem hatte die Stadt Driesen
vom 16. September ab 50 Kosacken vom Kolparoffschen Regiment und
andere durchziehende Detachements zu verpflegen.
Zu dieser Zeit gab es in Driesen nur 153 Häuser. Die Bürger
konnten den Truppen nichts mehr geben uud wendeten sich um Befreiung
von der Heulieferung an den General von Berg in Stargardt; sie wurden aber
abgewiesen, doch sollten sie für die russische Armee keine Körner mehr
liefern. Der Kosackenoffizier hierselbst kehrte sich jedoch an diesen
Befehl nicht und liess sich mit seinen Kosacken, wie bisher, weiter ver-
pflegen, sodass die Bürgerschaft ihr letztes Hab und Gut hingeben
musste. Als der Bürgermeister Muthmann durch den Dolmetscher dem
Offizier mitteilen liess, dass die Stadt nun nichts mehr liefern könne,
liess ihm dieser zurücksagen, dass er ihm dann Klötze an die Füsse
legen uud damit fortschleppen lassen würde, auch sollte man dann für
jedes Pferd, welches krepierte, 100 Rubel zahlen; der Bürgermeister
wäre garnichts gegen einen Kosacken und wenn er selbst General in
der preussischen Armee gewesen wäre. Wenn er erst die Antwort von
seinem General aus Posen zurückhabe, würden 20 Kosacken mit Pieken
zum Bürgermeister reiten, ihm die Hände auf den Rücken binden und ihn
in die Wache werfen, dann würde wohl seinen Kosacken Brot geliefert
werden. Ferner würde er den Bürgern aus den Häusern alles fort-
nehmen. Darauf beschwerte sich der Bürgermeister Muthmann beim
Fürsten Wolchonsky in Posen über diese Behandlung und bat ihn, er
möchte sich doch der Stadt Driesen annehmen. Am 16. November 1761
erschien auf der polnischen Seite an der Netze bei Driesen ein Kommando
Kosacken und überbrachte dem Bürgermeister einen schriftlichen Befehl
vom Major Völkersam, die Brücke über die Netze so schnell als möglich
wiederherzustellen. Es wurde darauf die Bürgerglocke geläutet und die
Hälfte der Bürger unter Anleitung eines Zimmermanns zum Brückenbau
beordert, am 17. November wurde damit fortgefahren und diejenigen, welche
zu Hause blieben, von Kosacken herbeigeholt. Ein Offizier ritt mit
einigen Kosacken durch die Netze zum deutschen Thor und liess aus
Furcht vor einem Überfall, einige Bohlen der Brücke aufnehmen, und
das deutsche Thor schliessen.
Das von der zerstörten polnischen Thorbrücke daselbst zusammen-
gesuchte Holz reichte zur Wiederinstandsetzung nicht aus, deshalb liess
der Kommandeur auf dem Holm eine Scheune einreissen und die Netze
herunterflössen. Am Nachmittag wurde der Kommandeur, da es mit
dem Bau zu langsam ging, ungehalten und liess durch beide Bürger-
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34
Adolf Reckling:
meister den Bau beaufsichtigen. Als jodotrh abends die Kosackenwache
am deutschen Thor eingezogen wurde und sicli über die Netze zurückzog,
Hofen auch die Bürger vom Brückenbau fort und nach Hause.
Am 18. November mittags kam der Major Völkersam selbst zur
Brücke geritten und sagte zu den Bürgermeistern: „Ich beklage Euch
Driesener, Ihr kommt mir wie die Herrnstädter vor, mit denen haben
wir uns auch solange gezankt, bis es der Feldmarschall in den Grund
schiessen Hess. Eure Leute demolieren die Brücke, und wir zwingen
Euch, sie wieder zu bauen. Ich habe vom Marschall den Befehl, wenn
es unmöglich wäre, die Brücke zu bauen, so würde die Netze doch
nicht zu breit sein, als dass die Kosacken durchkommen, um die Stadt
in Asche zu legen".
Der Zimmermann versprach darauf dem Major, mit dem Bau bis
zum nächste?i Morgen 9 Uhr fertig zu werden, worauf ihm dieser als
Belohnung einen Rubel zusicherte, andernfalls würde er ihm jedoch
Klötze an die Füsse legen lassen. Darauf ritt er zum deutschen Thor,
Hess dieses wieder schliessen und die Bohlen von dieser Brücke zur
polnischen schatten, welche dann damit bis zum Abend fertig hergestellt
wurde. Die Kosacken gingen darauf zur polnischen Seite zurück, und
die Bürger zogen die polnische Thorbrücke wieder auf.
Den anderen Tag rückte der Major Völkersam mit einem Regiment
Kosacken in die Stadt ein, sodass dessen Soldaten wieder von den
Bürgern verpflegt werden mussten; Netzbruch hattedas nötigeHeu zu liefern.
Ein Kosack, welcher in Trebitsch den Förster Collins beim Gelderpressen
geschlagen hatte, musste diesem auf Anordnung des Majors Völkersam
das Geld zurückgeben und erhielt mit dem Kantschuh Prügel. Am
22. November 1761 erhielt der Major Völkersam vom Fürsten Wol-
chonsky den Bofehl, mit seinem Regiment nach Posen zu marschieren.
Es wurden daher hier in Driesen die Thore geschlossen und es blieb nur
ein Wachtkommando zurück. Dem Magistrat übergab der Major noch
ein Rekommandationsschreiben für seinen Nachfolger, den Obersten Kal-
pankoff, welcher bereits den 2o\ November mit 180 Kosacken eintraf
und in der Richtstrasse Quartier nahm. Den folgenden Tag war er be-
trunken, und Bürger, welche gegen seine Soldaten Klagen bei ihm vor-
brachten, erhielten von ihm Ohrfeigen. Dem Sohn des Juden Jacob,
Namens Leiser, hing er sein Kruzilix um und zwang ihn, es zu küssen;
hierauf Hess er ihn durch einen Kosacken durch die Stadt führen, bis
ihn die Eltern auf vieles Bitten zurückerhielten.
Als gegen Mittag der Rittergutsbesitzer von Brand aus Wutzig zu
ihm kam, welcher um eine Sicherheitswache bat, Hess er auch den
Stiidteforstmeister von KorfV holen und die beiden Bürgermeister zu sich
bitten, um mit ihnen zutrinken. Letztere lehnten jedoch ab und sandten
den Dolmetscher Bürger Weise hin. Der Oberst bewirtete seine Gäste
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Geschichte der Stadt Driesen.
B5
gut, und der Stadtmusikus musste dabei spielen. Nach dem Essen wurde
mit der Gesellschafterin des Obersten getanzt; diese hatte man ihm von
Arnswalde, wo sie gefangen war, wieder zugesandt. Bei froher Wein-
laune forderte der Landforstmeister den Obersten auf, er möchte doch
auch die Bürgermeister und die Viertelsmänner holen lassen, jedoch
lehnten diese die Einladung wieder ab.
Der Bürger Matzke ging zum Obersten und führte gegen einen
Soldaten Klage. Die Gesellschafterin wollte die Sache schlichten, jedoch
der Sotnick, der zugegen war, prügelte sie und nannte sie hierbei des
Obersten Dirne. Der Oberst wollte ihn dafür durch einen andern Sot-
nick prügeln lassen, was dieser jedoch nicht that. Darüber wurde nun
der Oberst so wütend, dass er beide Sotnicks mit der Faust ins Gesicht
schlug und hiernach mit dem Kantschuh. Da man nun befürchtete, der
Oberst würde den Sotnick, der seine Gesellschafterin geschlagen, töten,
legte man ihn auf die Erde, prügelte ihn auf dem blossen Kücken, wobei
der Oberst mitschlug. Kosacken kamen nun zum Bürgermeister Eiffert,
bei dem der Oberst im Quartier lag, und baten um Hülfe. Dieser ging
darauf zum Obersten, entriss ihm den Kantschnh und der Sotnick wurde
losgelassen. Einen anderen Sotnick, welcher vorher für seinen Kameraden
bitten wollte, hatte der Oberst mit dem Säbel über den Kopf gesclüagen.
Der Oberst tanzte darauf und trank mit seinen Gästen weiter, bis er
abends in der Strasse sitzend einschlief und von hier ins Bett getragen
werden musste.
Bei solcher Wirtschaft zitterten alle Bürger in der Stadt, jedoch
kam abends 9 Uhr der Major Völkersam wieder zurück und blieb hier.
Das Betragen des Obersten wurde ihm sofort erzählt; doch am nächsten
Morgen, als der Oberst nüchtern war, ging er zum Bürgermeister und
bat ihn um Verzeihung.
Landsberg hatte nun wieder 800 Scheffel Roggen und 6 Tonnen
Häringe, und Netzbruch und Trebitsch Heu zu liefern. An einen
Kosacken, der sich hier an einem Bürger vergriffen hatte, statuierte der
Major Völkersam folgende Strafe: Er Hess ihn so sehr knuten,
dass die anderen Kosacken mit erhobenen Lanzen auf den Major ein-
ritten, wodurch dieser sich jedoch nicht beeinflussen liess und durch ein
donnerndes „Zurück" sie wieder zur Ruhe brachte.
Am 24. Dezember 1761 ging der Major Völkersam mit seinem
Regiment nach Birnbaum, liess hier eine kleine Besatzung zurück und
prägte dem Führer Iwan Saltuschin ein, die schärfste Manneszucht
während seiner Abwesenheit hier zu halten.
Da die Lieferungen aus Friedeberg und Woldenberg ausblieben,
musste die Stadt Driesen zu Weihnachten 1U0 Zweigroschenbrote der
Besatzung hier und (lottsehiinm der Besatzung in Trebitsch ein
Schwein liefern.
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36
Adolf Reckling:
Nachdem die Kosacken des Major Völkersarnschen Regiments
Driesen verlassen, kam am 18. Januar 1762 eine Eskadron, 94 Mann
stark, vom russischen gelben Husarenregiment mit mehreren Weibern
und Kindern nach Priesen nnd blieben für den Winter hier. Pie Bürger
mussten auch diese verpflegen, und es erhielt jeder Soldat morgens 1 Glas
Branntwein und täglich dreimal zu essen.
Pie Not wurde immer grösser, und ein Bürger nach dem andern
verliess mit seiner Familie die Stadt, sodass der Magistrat befürchtete,
dass die ganze Bürgerschaft auswandern werde. Per Schulze und der
Gerichtsmann zu Kietz wurden fürchterlich geknutet, weil sie nicht sofort
die nötigen Fische liefern konnten, und ebenso wurden die Bürger bei
jeder Kleinigkeit geschlagen und gestossen. Um diese Zeit stellte sich
denn auch hier noch ein hitziges Fieber, jedenfalls Typhus, ein und es
erkrankten daran % Personen. Von 900 Einwohnern starben 96 Per-
sonen, an manchen Tagen 3 bis 4. Pie Ställe waren ohne Dächer
und Fächer, und die Husaren verlangten, dass sie ordnungsmässig
repariert und gebohlt würden. Hierzu wurden die Bretter von Thor-
wegen, Giebeln und Stuben genommen; ja selbst in Hausfluren und
Stuben stellten die Husaren ihre Pferde ein. Vom Boden des Amts-
hauses nahm mau die Bohlen und dielte damit die Ställe auf dem
Rittergute, wobei die Bürger helfen mussten; als sie aber auch die
Fuhren stellen sollten, beriefen sie sich auf ihre Privilegien, wonach sie
hierzu erst verpflichtet seien, wenn kein Pächter, Edelmann, Prediger
oder Bauer ein Pferd mehr im Stalle hätte.
Viele Bürger baten mit weinenden Augen, sie von der Last der
Verpflegung der Truppen zu befreien, da sie sonst mit ihren Familien
verhungern müssten. Daher sandte der Magistrat an den Herzog von
Bevern nach Stettin eine Bittschrift und bat um Befreiung von den
gelben Husaren, an deren Stelle sie zehnmal lieber Kosacken im Quartier
haben möchten.
Am 26. März 1762 verliessen die Husaren Driesen, und die Stadt
hatte eine Forderung von 379 Scheffel Roggen, 95 Scheffel Grütze und
1294 Thaler an Geld, welches der Kommandeur, von Schwartreit, nach
einem Befehl des Geuerals von Berg an die Stadt zahlen sollte. Zu
diesem Zweck traf am 1. Oktober 1762 der Lieutenant von Carpen, ein
Wachtmeister und 2 Husaren hier ein, die den Bürgern mittelst Ver-
gleiches 858 Thaler bezahlten. Dafür mussten letztere dem Lieutenant
30 Thaler als Geschenk und Fuhren zur Rückreise nach Pratzig geben.
Pie Deputierten und Ersatzgeschworenen erhielten von dem gezahlten
Gelde 4 Thaler zu Ergötzlichkeiten; der Magistrat erhielt für seine Be-
mühungen davon 36 Thaler, und der Rest wurde an die Quartierwirte
verteilt.
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Geschichte der Stadt Driesen.
37
Nachdem Peter der Dritte den russischen Tlirou bestiegen, sehloss
er mit Proussen am 5. Mai 17l>'2 zu Petersburg Frieden. Am 1. Plingst-
feiertag wurde in der Driesener Kirche von den hier liegenden Russen
das Friedensfest mitgefeiert, und bald darauf verliessen dieselben die
Stadt und die Festung.
Nachdem am 15. Februar 1763 zu Huberfusburg auch mit Öster-
reich der Frieden geschlossen war, endete der für Driesen so verderblich
gewordene siebenjährige Krieg. Am 13. Mai desselben Jahres fand die
Feier des Friedensfestes statt, und der Oberprediger Kröbel predigte
über Kapitel 33 des Propheten Jeremias. Einen günstigen Einfluss auf
Driesen übte die Ende 17(5:2 beginnende Kolonisation des Netzbruchs
durch den Wirklichen Geheimen Oberfinauz- und Domänenrat Balthasar
Schönberg von Brenkenhotf, der seinen Sitz in Driesen nahm. Ihm war
die Aufgabe zugefallen, die von den Russen verwüstete Neumark wieder
herzustellen und das Netz- uud Warthebruch urbar zu machen, und mit
einer Arbeitskraft uud Arbeitsliebe ohnegleichen hat er das Werk
vollendet. Viele wegen Glaubenshass in andere Länder Vertriebene
fanden hier in und bei Driesen eine neue Heimat. Zu gleicher Zeit
hörte auch Driesen auf, Festung zu sein, die Häuser in derselben
wurden mit Kolonisten besetzt und die Neustadt hierselbst nach einem
Plane Brenkenhoffs neuerbaut. Ebenso wurden auf Driesener Grund die
Kämmerei-Kolonien Neu-Ulm und Militzwinkel angelegt, deren Bewohner
eine jährliche Grundrente von 971) Thalern 1(> Groschen 3 Pfennige an
die Kämmereikasse zu zahlen hatten.
Das Tuchmachergewerbe begann sich nach und nach zu heben
und stand bald in voller Blüte, da Brenkenhoff für Absatzquellen
sorgte; es wurden namentlich viele Tuche nach Russland und der Moldau
verkauft.
Driesen gehörte mit den Städten Memel, Tilsit, Königsberg, Elbing,
Bromberg, Stettin und Breslau zu den begünstigten und privilegierten,
denen allein die Erlaubnis erteilt war, mit Polen auf Grund des Zoll-
tarifs vom 24. Mai 1775 Handel zu treiben und fremde und seidene
Tücher, sowie andere Waren nach Polen einzuführen.
Die vom Kommerzionrat Treppmacher ans Posen hier in Driesen
auf dem Festungsplatz No. 17 mit einem Betriebskapital von 100000 Thalern
errichtete Handlung versandte viele Waren, namentlich Wein nach Polen,
und Ungarwein bis an den Königlichen Hof nach Schweden.
Der Fleischer Modrow betrieb einen regen Handel mit podolischen
und ukrainischen Ochsen nach Berlin.
Da Driesen wenig Acker besass, war es den Bürgern gestattet,
das Getreide aus Polen zum eigenen Gebrauche zollfrei einzuführen;
doch durften sie unverzolltes Getreide durch das deutsche Thor nicht
wieder ausführen.
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Adolf Ruckliug:
Nach einer Viktualientabelle des Magistrats vom 5. März 1707
kostete der Scheffel Weizen 1 Thaler 7,/'J Groschen, 1 Scheffel Roggen
24 Groschen, 1 Scheffel kleine Gerste 171/* Groschen, 1 Scheffel Hafer
II1/* Groschen, die Tonne Bier 2 Thaler, 1 Quart Bier 6 Pfennige.
Eine Semmel für »i Pfeuuige wog Iii Loth 1 Quentchen, 1 Scharren-
brot für 21/» Groschen ß Pfund, ein Hausbackenbrod für 2,/l2 Groschen
(i Pfund 2()lti Loth. Das Pfund Rindfleisch kostete l1/« Groschen, das
Pfund Schweinefleisch ll/3 Groschen, das Pfund Kalbfleisch 1 Groschen.
Da die Sperlinge für schädlich gehalten wurden , erliess die
Regierung eine Verordnung, wonach jeder Hausbesitzer jährlich an den
Magistrat 12 Sperlingsköpfe zu liefern hatte. Auf diese Weise wurden
im Jahre 1707 in Drieseu 2124 Sperlingsköpfe geliefert.
Im Jahre 1772 wurde die grosse Poststrasse von Berlin nach
Königsberg i. Pr. und die von Posen nach Stettin über Driesen gelegt.
Zum Transport der vielen nach Ostpreusseu zu transportierenden
Rekruten stand hier ein Kommando Dragoner. Am Uolmerthor war
nur eine Pforte, und es musste hier ein Thorschreiberhaus und zwischen
der kleinen Netze und dem Festungsgraben Pallisaden errichtet werden,
um das Desertieren der Soldaten zu verhindern. Das Brennholz zu den
Wachen und zum Lazarett musste durch Abgabe je einer Klobe von
den die Thor« passierenden Holzwagen geliefert werden, und nach dem
Accise - Manual passierten jährlich 5500 Fuhren mit Holz die beiden
Stadtthore.
Im Jahre 1775 gab es in Driesen 5 Schutzjuden, welche Häuser
als Eigentum erwerben durften, jedoch mussten sie dafür einen hoheu
Schutzzoll zahlen. Ausser diesen waren hier noch andere jüdische
Familien wohnhaft, im ganzen ilö Köpfe, stark. Den Gottesdienst in
ihren Häusern zu halten, wurde ihnen verboten, und auf Brenkenhoffs
Anordnung mussten sie 1767 eine Synagoge bauen.
Am 7. Februar 1 774 brach bei einem starken Sturm die Kirchturm-
spitze ab und schlug durch das Dach, sodass sie 4 Fuss in dem Schiff
der Kirche steckte.
Am 2. August 1777 schlug der Blitz in den Kirchturm und setzte
diesen in Brand. Infolgedessen musste später die oberste Kapsel abge-
nommen werden.
Das auf dem alten Markt stehende Rathaus war so baufällig, dass
es dem Einsturz drohte, und es wurde 1780 abgebrochen. Die alten
Materialien wurden verkauft und brachten 54 Thaler 21 Groschen. Beim
Sattler Rolüeder, Richtstrasse No. 1 wurde ein passendes Lokal gemietet,
bestehend aus einer Stube zum Sessionszimraer, einer Stube mit Alkoven
zur Registratur, Küche und Kammer zum Holzgelass, ferner im Seiteu-
gebäude eine Stube und Kammer zur Dienstwohnung und ein Stall zur
Unterbringung der Rats wage und Rohrs pritze. Die Miete dafür betrug vom
Guschichte der Stadt Dritten.
39
21. Juli 178«) bis 1. Oktober 17«% jährlich 30 Thaler: du über die Nach-
bargebäude initStroh uudSchindel gedeckt waren, wurde vom 1. Oktober 178(>
eine ähnliche Wohnung in der Holmstrasse 25 gemietet.
Im Jahre 171)2 erhielt der Magistrat vom Ministerium den Befehl,
ein eigenes Rathaus zu bauen, doch unterblieb es, da nicht soviel Geld
dafür vorhanden war, denn die Kommune hatte nur 2t K) Thaler ausge-
liehen, und der Käinmereiüberschuss betrug nur 18 Thaler, die Anschlags-
summe zum neuen Rathaus aber 3500 Thaler. Da aber das Ministerium
bei seiner Anordnuug blieb, kaufte 1798 der Magistrat das Haus des
Schutzjuden Abraham Judas in der Richtstrasse No. 2b (jetzt Amts-
gerichtsgebäude) für 4150 Thaler als Rathaus au und lieh der Ritter-
gutsbesitzer von Waldow-Mehrenthin der Stadt hierauf 301 X) Thaler u 4 n/0
zur ersten Stelle. Beim Ausbau des Gebäudes erhielt der Maurermeister
Herold pro Tag 15 Groschen, für den Gesellen \iln Groschen uud für
den Handlanger 7I'i Groschen.
Durch Anlegung des Bromborger- Kanals war die SchiftTahrt auf
der Netze zu jener Zeit schon sehr bedeutend, denn im Jahre 1785
passierten 2000 Kähne die Netze bei Priesen. Nachdem der Krieg wegen
der zweiten Teilung Polens beendet war und die Regimenter zurückkehrten,
erhielt Priesen als Garnison die 3. Eskadron des von Prittwitzschen
Dragoner-Regiments, die vorher in Bärwalde gestanden hatte. Es kostete
viel Mühe, für 180 Pferde Stallung zu beschaffen, und es erhielten die
Bürger zum Bau der Ställe freies Bauholz aus der Königlichen Forst und
13 arme Bürger ausserdem 10b' Thaler Baugelder geschenkt.
Am 18. November 1793 rückte die Schwadron, von Kaiisch kommend,
hier ein, bestehend aus dem Oberst und Kommandeur Grafen Truchsess
zu Waldburg, 0 Offizieren, 53 verheirateten Unteroffizieren und Dragonern
und 39 unverheirateten Dragonern.
Der Schreiber des Grafen Truchsess hiess Rüther und war zugleich
seiu Diener. Derselbe wurde später Chef der Seehandlung und 1848
Finanzminister. Er verheiratete sich hier mit der Schwester der Ur-
grossmutter des Schuhmachcrmeisters Friedrich Grunow, Mittelstrasse 23,
welche im Hause des Grafen als Jungfer diente.
Als Koscioszki Polen befreien wollte, rückte am 23. März 1794 die
Eskadron wieder aus und kehrte erst im November 1795 zurück; dann
blieb sie bis zum Jahre lSHG hier in Garnison. 1790 erhielt der zum
General - Major ernannte Graf Truchsess das Kürassier - Regiment in
Warschau (jetzt Leib-Kürassier-Regiment Grosser Kurfürst [schlesisches]
No. 1) und an seine Stelle kam der Oberst von der Osten als Chef des
Dragoner-Regiments nach Driesen, welcher vom Oberprediger Starke das
Rittergut hier kaufte und bezog. Im Jahre 1799 wollte das Königliche
Forstamt den Bürgern das ihnen zustehende freie Bauholz nicht mehr
geben, doch strengte dieStadt einen Prozess deshalb au, den sie auch gewann.
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40
Adolf Reckling:
In diesem Jahre kündigte von Waldow - Mührentirin die der Stadt
zum Rathausankauf gegebene Hypothek, und da diese anderweit nicht
zu beschaffen war, wollte der Magistrat üerrn von Waldow statt 4°/0
fortan 5°/« Zinsen zahlen, womit derselbe auch einverstanden war. Der
König genehmigte jedoch diesen höheren Zinssatz nicht und wies den
Magistrat an, das Geld vom Neumärkischeu Kirchenämter -Fonds zu
leihen; das Gesuch wurde aber abgelehnt, da die Stadt Driesen nicht
die nötige Sicherheit bieten konnte. Nachdem dies dem Könige berichtet
war, schrieb er zurück: „Dann solle die Stadt dem Waldow die 5°/0 Zinsen
geben*. Am 1. Januar 1801 wurde überall im Lande und so auch hier
das Säkularjubelfest gefeiert. Der Oberprediger Samuel Friedrich Starke
hielt die Festpredigt, die er später in Jena drucken Hess; er predigte
über Daniel cap. 2, Vers 20 — 21. Die Bürgerschaft hatte sich vor dem
Rathause versammelt und ging von hier in feierlichem Zuge zur Kirche.
Nach beendetem Gottesdienst sang die Gemeinde: „Herr Gott, Dich loben
wir", und die Schützengilde gab zum Sehluss drei Salven.
In diesem Jahre hatte Driesen 4 massive und 130 Häuser vou
Fachwerk mit Ziegeldächern, 57 mit Strohdächern, 41 Scheunen, 2 wüste
Stellen, Kirche, Rat-, Pfarr- und Schulhaus, eine Wasser- und 2 Wind-
mühlen. Die Einwohnerzahl bestand aus 432 Männern, 492 Frauen,
415 Söliuen, 450 Töchtern, S2 Gesellen, 39 Knechten, b"2 Jungen und
180 Mädchen, in Summa 2152 Bewohnern, darunter 270 Personen vom
Soldatenstande und 9 Schutz Juden mit W Seelen. Vou den östlichen
Städten der Neumark hatte Driesen den grössten Verkehr. Es waren
in der Stadt 1 Apotheker, 2 Barbiere, 7 Bäcker, 10 Böttcher, 1 Buch-
binder, 2 Drechsler, 2 Färber, 3 Garnweber, 1 Glaser, 1 Gärtner,
5 Hufschmiede, 3 Hutmacher, 1 Kürschner, 3 Material warenhändler,
2 Maurermeister, 2 Müller, 1 Nadler, 3 Stellmacher, 1 Sattler, 1 Seifen-
sieder, 7 Fleischer, 2 Raschmacher, 1 Strumpfwirker, 2 Schlosser,
15 Schneider, 30 Schuhmacher, 1 Stärkemacher, 7 Tischler, 2 Tabaks-
spinner, 4 Töpfer, 85 Tuchmacher, 1 Tuchscheerer, 1 Weissgerber,
1 Walker, 2 Zimmenncister; überhaupt 304 Meister, 124 Gesellen imd
08 Lehrlinge.
Es waren 28 beständige und 16 zeitweise Braustellen vorhanden,
welche im Jahre 1800 im ganzen 9f> Wispel IG Scheffel Malz verbrauten
und 1(>3 Tonnen Bier an die Schankwirte absetzten; 80 Blasen, die
132 Wispel Schrot verbrannten und davon 4591 Quart Branntwein au
die Schankwirte verkauft hatten. Der Ackerbau war dagegen unbe-
deutend, und es wurden nur einige sogenannte Kainpländer bestellt, da-
gegen auf den Wiesen viel Heu gewonnen.
Der erste Bürgermeister hiess Tannenbring, und der Prokonsnl und
zugleich Richter Braun, an dessen Stelle 1800 Strassburg gewählt war.
Die Senatoren hicsseu Henke und Masch.
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Geschiebte der Stndt Priesen.
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Im Jahre 1804 erwarb der Kanfmann Maassen vom Kaufmann
Christian Jautzen das zum Gasthause erbaute Haus an der polnischen
Brücke, um hier eine Tuchfabrik anzulegen. Zum Ankauf waren ihm
2000 Thaler und zur Einrichtung 3000 Thaler Vorschuss vom Staate
gegeben, welche ihm nach 15 jährigem Betriebe der Fabrik geschenkt
werden sollten. Das Geschäft kam auch zu Stande, jedoch nach einem
Jahre starb Maassen auf einer Geschäftsreise in Frankfurt a. O. und die
Fabrik ging wieder ein.
Im Jahre 1805 wurde für die Kirche eine Orgel beschafft und es lieh
hierzu die Armenkasse der Kirchenkasse 800 Thaler, welche Summe vom
Jahre 1816 ab in jährlichen Katen von 100 Thalern zurückzuzahlen
war. Die Orgel hatte 907 Thaler gekostet und wurde vom Orgelbauer
Grüneberg in Stettin gebaut; ausserdem erhielt er für sich und seine
Gehülfen bei Aufstellung dorselben freies Quartier und Beköstigung.
Im Oktober 1805 rückten die Dragoner von hier nach Franken,
kehrten aber im März 1800 wieder zurück, nachdem der Minister von
Haugwitz im Auftrage seines Fürsten mitNapoleon Frieden geschlossen hatte.
Allein im Mai marschierten sie bereits wieder zur Ostseeküste und sind
hier nie wieder in Garnison gekommen. Mit dem Kriege gegen den
korsischen Eroberer und den für unser teures Königshaus und Vaterland
so schweren Unglückstageu von Jena und Auerstädt begann auch für
unsere Stadt Driesen wieder eine schwere Zeit. Am 25. Oktober 1800
hielt der Sieger von Auerstädt bereits in Berlin seinen Einzug, und der
König Friedrich Wilhelm III. mit der Königin Luise trafen am 27. Oktober
auf ihrer Reise nach Königsberg in Driesen ein und übernachteten im
Modrowschen Gasthause, Neuer Markt und Grusenstrassenecke No. 7,
wo heute von dem Kampfgenossen- und Militär- Verein eine Gedenktafel
angebracht ist, um am folgenden Tage ihre Reise nacli Filehne fort-
zusetzen. Allein jedenfalls hatte der König schlechte Nachrichten er-
halten, denn er kehrte von Neuteich den folgenden Tag wieder zurück,
blieb hier beim Koramerzienrat Dietrich, Festungsplatz No. 17 und fuhr
nach Arnswalde weiter.
Schon am 5. November 1806 kamen die ersten französischen
Truppen, 1 Offizier und 25 Chasseurs, in Driesen au und verlangten
3 gute Pferde, mit welchen sie wieder abzogen. Zwei von diesen Pferden
wurden dem Ober- Amtmann Sydow genommen, welcher dafür von der
Stadt 400 Thaler verlangte und auf seineu Wunsch im Jahre 1816 dafür
den Bleichplatz links der deutschen Thorbrücke als Eigentum von der
Stadt erhielt.
Am 6. November 1806 nachts 1 Uhr kamen wieder ein Offizier und
25 Mann, quartierten sich hier ein und ritten früh 8 Uhr wieder ab,
flankierten den Netzstrom, nahmen 32 Kähne mit Hafer und 4 Kähne
mit Pulver in Beschlag und brachten sie nach Cüstrin.
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42
Adolf Reckling:
Am 7. November kam eine grössere Abteilung Franzosen hier an,
die auch einige Preussen als Gefangene mit sieh führten. Am 9. November
musste die Kirche ausgeräumt und zum Heu- und Strohmagazin
eingerichtet werden. Der Hafer wurde auf den Kirchenboden ge-
schüttet und im Boden ein Loch geschnitten, welches noch heute vor-
handen ist, durch welches der Hafer auf den Fussboden gelassen wurde,
um ihn bequemer hinauszuschaffen. Später musste der Kreis auf dein
Werder hinter der Kirche aus Holzfach werk mit Bretterverschlag ein
Magazin erbauen, wonach die Kirche der Gemeinde zur Abhaltung des
Gottesdienstes wieder zurückgegeben wurde.
In der Nacht vom 9. zum 10. November 1800 traf ein französischer
Kommissar hier ein, welcher ein Lazarett einrichtete, dessen Unter-
haltung die Stadt zu übernehmen hatte. Unter den vielen Requisitionen
musste die Stadt binnen 48 Stunden 50 Backöfen auf dem Festungsplatz
erbauen hissen, um für die anrückenden französischen Truppen das von
Laudsberg nach Driesen verschiffte Mehl zu verbacken. Arbeiter und
Utensilien hierzu, soweit nicht vorhanden, wurden von den benachbarten
Orten geholt. Die grossen Stuben in den Festungshäusern wurden zu
Backstuben eingerichtet und zu Backtrögen nahm man Kietzerkähne.
Die Mauersteine zu den Backöfen wurden durch Kreisfuhren vom Hege-
meister Koch aus Alt- Beelitz angefahren, dem später die Stadt Driesen
die Steine bezahlen musste, obgleich der Landrat 4 Wochen später die
Materialien wieder hatte verkaufen lassen und der Erlös zur Kreiskasse
vereinnahmt war.
Vom November bis Weihnachten 1800 zogen die französischen
Heere auf der grossen Strasse durch Driesen, und fortwährend brachten
Extraposten französische Heerführer hier durch, und die Stadt und die
umliegenden Dörfer mussten hierzu Vorspann geben. Am 11. November
logierte hier im Gasthaus zum Kronprinzen, Neu -Markt No. 7, der
Marschall Lanes, Herzog von Montebello.
Im allgemeinen waren die Franzosen nicht so roh wie die Russen
im siebenjährigen Kriege und stets zufrieden mit dem, was ihnen die
Bürger gaben.
Von der der Neumark auferlegten Kriegskontribution von
2 780 400 Thalern entfielen auf Driesen 27 118 Thaler. Von jedem
grossen Hause sollten 100 Thaler, von einem mittleren 60 und einem
kleinen 30 Thaler, vom Morgen Garten oder Acker 2 Thaler gezahlt
werden. Allein nur ein Viertel der Summe kam auf und deshalb traf
Anfang September 1807 ein Exekutions - Kommando ein. Für jeden
Mann war gute Verpflegung, täglich ein Quart Franzwein und 1 Pfund
Fleisch zu geben; den Offizieren noch besseres und mehr. Da Driesen
noch 7820 Thaler aufzubringen hatte, und die anderen Städte die ge-
forderten Gelder auch nicht herbeischaffen konnten, nahmen sie gemein-
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Geschichte der 8tadt Driesen.
43
schaftluli eine Anleihe auf und bezahlten den Rest der Schuld, worauf
das Exekutions-Kommando hier wieder abzog.
Anfang Januar 1807 waren noch 6 französische Soldaten hier im
Lazarett an der polnischen Brücke; dieselben wurden anderweit unter-
gebracht und das Haus wieder geräumt. Die Rechnung für Medizin
betrug 380 Thaler. Jedoch bereits am 24. März 1807 kam der fran-
zosische Kommissär Douradon nach Driesen und vorlangte, dass das
grosso Haus des Postmeisters von der Groeben an der polnischen
Brücke, jetzt Brückenkopfstrasse No. 1, als Lazarett für 100 bis
120 Lagerstellen eingerichtet werde für diejenigen französischen Soldaten,
welche von Thorn und Bromberg hierher gesandt und später nach
Landsberg und Küstrin übergeführt werden sollten. Die Stadt hatte
wieder hierzu die Medikamente und Verpflegung zu geben, ebenso für
die Lazarettbeamten zu sorgen und die Weiterbeförderung der kranken
Soldaten auf Kähnen bis Landsberg a. W. zu bewirken. An Miete
musste die Stadt für das grosse Haus jährlich 105 Thaler zahlen, und
für gelieferte Medikamente hatten die beiden Apotheker 3392 Thaler
erhalten. Die Gesamtrechnung betrug nach der Aufstellung des Bürger-
meisters Strassbnrg 1 1 t)55 Thaler 5 Groschen 1 Pfennig. Ausserdem
waren noch Kosten entstanden für gelieferte Tuche nach Küstrin
(124 Thaler, für 1 Pferd 153 Thaler und für Kuchen und Pasteten, die
der französische Kommandant vom Konditor Salis entnommen hatte,
21 Thaler 271 2 Groschen. Die französischen Kommandanten Driesens
waren: Tardieu, Favereau, Dieny, Douradon, Liger, Belaire und Clement.
Zu all diesen Leiden für Driesen kam noch die Rinderpest und es
krepierten 415 Stück Vieh, während nur 47 Stück durchkamen und 2
getötet wurden. In der Gegend des Schiessstandes auf dem Sande war
für erkrankte Tiere ein grosser Stall errichtet, der nach dem Aufhören
der Krankheit dort verbrannt wurde.
Im Oktober 1807 begannen die Truppendurchzüge aufs neue. In-
folge der Kontinentalsperre kostete das Pfund Zucker 1 Thaler lf> Groschen
1 Pfund Kochzucker 1 Thaler, 1 Pfund Kaffee 1 Thaler 0 Gr., 1 Quart
Rum 2 Thaler 15 Groschen und 1 Quart Kornbranntweiu IG Groschen
bis 1 Thaler.
Im Mai 1808 wurde im Hause Neuestrasse No. 11 über einen
französischen Soldaten Kriegsgericht abgehalten; er wurde zum Tode ver-
urteilt, da er desertiert war. In der Nen-Anspacherstrasse, wo jetzt die
Häuser No. 10 und 11 stehen, erschoss ihn hiernach eine zu diesem
Zweck nach hier kommandierte Abteilung. In dieser schweren Zeit
kamen die Gesetze über die Selbstverwaltung und die Städte-Ordnung vom
1(J. November 1808. Die bisherigen zweiten Bürgermeister waren Juristen
und übten nach dem Reglement vom 12. Juni 1723 die Polizei und
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Adolf Reckling:
Justiz mit dem als eine Behörde vereinigten Magistrat. Aufsichtsbehörde
war der Land rat.
Am 28. Januar 1809 traf vom Kommissariiis, Herrn von Knobels-
dorf, ein Bote mit dem Befehl ein, sofort die Vorarbeiten zur Einführung
der Städte-Ordnung vorzunehmen, damit die Wahl der Stadtverordneten
im Monat Februar erfolgen könne. Gleichzeitig musste der Justizbürger-
meister Strassburg eine Übersicht der Stadtverfassung, ihrer Gerechtsame
und ein Orts-Statut aufstellen.
Wahlberechtigte Bürger, welche unbescholten waren und ein jähr-
liches Einkommen von wenigstens 150 Thalern hatten, ein bürgerliches
Gewerbe betrieben oder Grundbesitzer waren, gab es damals 241 auf
2448 Einwohner, und diese wählten am 20. Februar 1809 zum ersten
Male nachstehende 24 Stadtverordneten:
I. Im Alten-Markt-Bezirk: I. Kaufmann Grundemann; 2. Tuch-
machermeister Carl Wende; 3. Schneidermeister Haupt; 4. Chirurgus
Selchow; 5. Fleischermeister Lange; (i. Tabaksspinner Gage, und zu
Stellvertretern: den Tischlermeister Quolke und den Tischlermeister
Andreas Schnell.
II. Im Kirchenbezirk: 7. den Fleischermeister Jacob Giesler;
S. Schneidermeister Zech; 9. Schuhmachermeister Starke; 10. Tischler-
meister Ludwig Schnell; 11. Tuchmachermeister Beugsch; 12. Tuch-
machermeister Stellmacher; zu Stellvertretern: Glasermeister Gebhard
und Tuchmachermeister Erlemann.
III. Im Neuen-Markt-Bezirk: 13. Färbermeister nellmoldt: 14. Gast-
wirt Modrow; 15. Nagelschmied Puppe; 16. Mühlenbesitzer Hennicke;
17. Schlossermeister Sellin; 18. Schneidermeister Bornemann. Zu Stell-
vertretern: Apotheker Modrow und den Knopfmacher Ulle.
IV. Im Festungsbezirk: 19. Uhrmacher Bolzmann; 20. Riemer
Bräuning; 21. Tuchmachenneister Wittke; 22. Schuhmachermeister Teske:
23. Tuchmachermeister Benjamin Wende und 24. Ackerbürger Jacob
Büttner. Zu Stellvertretern: Schneidermeister Bombeion und Tuch-
machenneister Carl Friedrich Hähn.
Der pensionierte Kämmerer Henke wurde Vorsteher der Stadtver-
ordneten, und die erste Versammlung derselben trat am 23. April 1809
zusammen, um den Magistrat, bestehend aus einem Bürgermeister, einem
besoldeten Katmann und Kämmerer und 4 unbesoldeten Katmännern, zu
wählen. Diese Wrahl mit Ausnahme des Kämmerers erfolgte darauf am
8. Mai 1809, es wurde der bisherige erste Bürgermeister Tannenbring
wiedergewählt; zu unbesoldeten Ratmäunern der Uhrmacher Bolzmann,
Chirurg Selchow, Kammzieher Dietrich und Apotheker Modrow. Der
bisherige Kämmerer Henke wurde mit 190 Thalern Pension in den
Ruhestand gesetzt und für ihn der Kaufmann Kruse gewählt, der
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Geschichte der Stadt Priesen.
45
1811 starb, an dessen Stelle der Färber Suckow in den Magistrat
eintrat.
Mit der Einführung der Städte-Ordnung wurde zugleich das Gericht
vom Magistrat getrennt und hier ein Königliches Stadtgericht gebildet.
Der bisherige Bürgermeister Strassburg wTurde Stadtrichter und der bis-
herige Senator und Stadtschreiber Mesch als Sekretär bei demselben an-
gestellt. Nach einem Rescript des Oberlandesgerichts zu Frankfurt a. O.
vom 12. März 1811 musste die Stadt an den Stadtrichter Strassburg
jährlich 1 10 Thaler 1(5 Groschen und an den Sekretär Mesch 39 Thaler
Pension zahlen, sie wurde jedoch auf hiergegen erhobenen Protest
später davon wieder befreit.
Das Justizamt im Seitengebäude des Königlichen Amtshauses
mit den Gefängnissen auf dem Schlossberge war mit dem Stadtgericht
ohne Zusammenhang und hatte die Jurisdiction über die Ortschaften,
welche zum Amt Driesen gehörten. Dem Justizamt stand der Justizamt-
mann Hörnigk vor. Am 1. Januar 1823 wurden beide Behörden unter
dem Namen „Land- und Stadtgericht" vereinigt.
Am 21. September 1808 übernachteten der Kaiser von Russland
und sein Bruder, der Grossfürst Constantiu, welche zum Kongrcss mit
dem Kaiser Napoleon nach Erfurt fuhren, hier in Driesen im Hause
Festungsplatz No. 17 beim Kommerzienrat Dietrich.
Zeitweise hatte Driesen in dieser Zeit auch preussische Truppen
als Besatzung, bo am 1. Mai 1809 zwei Kompagnien des leichten
Pommerschen Infanterie - Regiments unter Kommando des Majors von
Syholm und vom Juli bis September 1810 ein Grenzdetachement unter
Major von Arnim.
Durch Kabinots-Ordre vom 28. April 1810 wurden die Strafen auf
Halseisen, Schandpfahl, Block oder Stock, des Rippenhauses, des
spanischen Mantels und der Fiedel abgeschafft und durch Gefängnis
und Geldstrafen ersetzt. Der spanische Mantel wurde am 23. Juli 1810
für 1 Thaler 7^3 Groschen und die beiden Halseisen für 14 Silbergr.
hier meistbietend verkauft.
Der spanische Mantel war ein hölzenies Gefäss in Gestalt einer
Tonne mit einem Boden, in dessen Mitte ein Loch ausgeschnitten war,
durch welches der Kopf eines Menschen bequem durchging. Mit derselben
auf den Schultern mussten die bestraften männlichen Personen in Be-
gleitung eines Polizeidieners unter Jubel und Schimpfen der Schuljugend
durch die Strassen gehen. Weibliche Personen trugen die Fiedel, ein
hölzernes, einer Geige ähnliches Instrument. Der Kriminalrichter durfte
auch nach dieser Zeit noch in gewissen Fällen auf die Strafe des Hals-
eisens und „Stellen an den Pranger" erkennen. Letztere Strafe wurde
in Driesen im Jahre 1839 auf dem Neuen Markt an dem Barbier Bisch-
kopf vollstreckt, der dem Eigentümer Bumke in Eschbruch eine Menge
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Adolf Reckling:
Geld abgeschwindelt hatte, indem er ihm allerlei Üokiis-Pokus vorgemacht
und einen verborgenen Schatz auf dessen Grundstück heben wollte.
Der Zimmermeister Schmidt erbaute im Jahre 1K11 für 850 Thaler
den Turm am Rathause, dem jetzigen Amtsgericht, und da die Kämmerei-
kasse die Mittel hierzu nicht hatte, sammelten die Stadtverordneten Haus
für Haus das Geld für den Turm, Uhr und Glocke. Sie brachten
90 Pfund fi Loth Gloekenmetall und 22<> Thaler 27 Groschen
4 Pfennige zusammen. Der Turinknopf wurde am 1. September 1811
aufgesetzt. Das Umgiessen der Uhrglocke nebst Transportkosten von
Stettin kostete 50 Thaler.
Im Jahre 1811 verkaufte der Staat das Amt Driesen, das Vorwerk
Hohn und Schlauow mit dem Amtsgehöft, der Ziegelei in Mühlendorf
und 19 in der Driesener- und Lubiathfliesser - Forst belegenen Seeen.
Zuerst wurde die Besitzung in Parzellen ausgeboten. Der Apotheker
Modrow bot für den Amtsgarten 200 Thaler, der Tuchmacher Benjamin
Wende für mehrere Parzellen des Holmerfeldes 9000 Thaler, jedoch
erhielt für das ganze Amt der Amtsrat Steinke in Stettin für
53 810 Thaler den Zuschlag, der es 1819 an den Oberamtmann Sydow
für 80 000 Thaler wiederverkaufte.
Nach einem Edikt vom f>. Dezember 1811 musste Driesen zur Ver-
pflegung der französischen Trappen in den Oderfestungen 495 Thaler
4 Groschen zahlen und musste hierzu jeder Geselle oder Knecht
10 Silbergroschen, jede Magd 5 Silbergroschen geben.
Im Jahre 1812 wurde hier ein Gendarmerie-Kommando stationiert,
bestehend aus dem Rittmeister von Kroppe, dem Wachtmeister Rosen-
zweig, dem Feldwebel Wilmer und 2 Gendarmen.
Wegen begangenen Mordes wurde der Landmann Töpper vom
Justizamt zum Tode verurteilt und am 17. Dezember 1812 auf dem Eis-
kulenberge hinter Vordamm hingerichtet. Zuvor hatte man ihn in eine
Kuhhaut gewickelt und auf einem Schlitten in Driesen durch die
Strassen geschleift. Die Bürgergarde und Gendarmerie begleitete den
Zug und bildeten bei grimmiger Kälte Carre auf dem Richtplatz. Ein
Jahr vorher war auf derselben Stelle der Mörder Kehler gerädert worden.
Frankreich hatte Russland den Krieg erklärt, und am 12. März
begann hier in Driesen der Durchzug der grossen Heeresmassen
Napoleons. Soldaten verschiedener Länder und verschiedene Sprachen
sprechend zogen hier durch. Zu ihrer Verpflegung wurden anfangs
Fleisch und Brot in kleinen Portionen, dann Roggen oder Erbsen an die
Quartierwirte verteilt, zuletzt aber die grosse Einquartierungslast auf
diese ganz gelegt, sodass für sie selbst fast nichts mehr übrig blieb.
Als preussischer Kommissar war der Regierungsreferendar von
Hautfleck hier angestellt und hatte sich während seiner Amtirung die
Anerkennung der ganzen Bürgerschaft erworben. Er verliess 1813
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Geschichte der Stadt Drieaen.
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sein Amt und trat als Offizier in das Neumärkische Dragoner-
Regiment ein.
Als Etappen -Kommandant fungierte hier der Major von Sawitzki,
dessen Stellung 1818 gleichfalls aufhörte und von da ab vom Bürger-
meister Tannen bring verwaltet wurde.
Schon unterm 6. Mai 1812 hatte die Neumärkische Regierung auf
Befehl des Königs die Bildung einer Bürgergarde angeordnet und zwar
zuerst zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit. Dieselbe war
hier mit Säbeln ausgerüstet, zwei Kompagnien stark, dazu kam als dritte die
Schützeukompagnie. Sie standen unter dem Befehl des Bürgermeisters Taimen-
bring. Hauptmann der 1 . Kompagnie war Apotheker Modrow und der der 2.
der Färber Hellmoldt, während Färber Suckow die Schützen kommandierte.
Bei der letzten Kompagnie thaten Offizierdienst der Apotheker Radeke,
Tuchmacher Benjamin Wende und Glaser Gebhardt, und bei den beiden
ersteren Bolzmann, Niewerth, Haupt, Beilach, Bombeion und Abraham Lewin,
Als Adjutant fungierte der Chirurgus Bombeion, als Fahnenträger Ludwig
Kuntze, als Feldwebel Ernst Wende, Gottlob Starke und Karow.
Jeder unbescholtene Bürger war zum Eintritt in die Bürgergarde
verpflichtet und die ärmeren, welche die Mittel zur Beschaffung einer
Uniform nicht besassen, bildeten eine vierte Kompagnie, welche der
Rentier Cariton kommandierte. Diese Kompagnie nannte man spott-
weise die Knüttelgarde. Es wurde täglich Wachtdienst geübt und die
Wache am deutschen Thore mit einem Unteroffizier und 3 Gardisten,
die am polnischen Thor mit 3 Gardisten besetzt.
Noch ehe mit der Wehrbarmachung der freiwilligen Jäger begonnen
und der Aufruf des Königs zur Bildung der Landwehr erlassen war,
kehrten die Trümmer der einst so stolzen französischen Armee aus
Russland elend, jammervoll und krank wieder heim ; es waren dies aber
nur wenige, die meisten lagen erfroren und erschlagen in Russlands
Steppen. Die hier Zurückkehrenden waren zusammengewürfelte Reste
verschiedener Truppengattungen, die still und traurig mit verbundenen
Häuptern und mit Lumpen dick umwickelten erfrorenen Gliedern an-
geschlichen kamen und an den Strassenecken warteten, bis ihnen Quartier
gegeben wurde.
Im grossen Hause an der polnischen Brücke wurde wieder ein
Lazarett eingerichtet und es starben viele Franzosen darin, welche auf der
Anhöhe zwischen der Neu - Anspacher- und Wasserstrasse begraben
wurden. Dieser Platz wurde deshalb der Franzoseuberg genannt. Die
zurückkehrenden Franzosen brachten einen bösen Feind mit, den Typhus,
dem auch viele Bürger in Driesen erlagen.
Anfangs Februar 1813 zeigten sich in Driesen die ersten Kosacken
und Baschkiren. Ihnen folgte der General Czernitscheflf, der hier Quartier
nahm. Fast täglich kamen nun russische Truppen hier durch, welche
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Adolf RecklinR:
verpflegt werden mussten und ebenso preussische Regimenter, sowohl
alte wie neuerrichtete. Ein ostpreussisches Landwehr-Bataillon kam mit
Piken an, legte diese hier ah und empfing dafür Gewehre. Die
Piken wurden auf dem Rathausboden aufbewahrt und beim Ausbruch
der polnischen Revolution an die Bürger verteilt und diese damit
bewaffnet.
Am 11. April 1818 sandte der Landrat von Schönebeck aus Friede-
berg folgendes Schreiben:
„Die aus Stettin ausmarschirten Franzosen bezeugen sich
sehr wüthend in den Städten und Dörfern. Schwedt brennt,
und die Brücke bei Güstebiese soll auch brennen. Es ist daher
nothwendig, diesen fürchterlichen Feind so schleunig als möglich
mit voller Kraft entgegen zu eilen, und den Magistrat ersuche
ich recht dringend und inständigst, alle Welirbare, sowohl zu
Fuss als zu Pferde unter Anführung der Offiziere, Gendarmerie
und denen, die auf Wartegelder stehen, sowie die Offiziere der
Bürgergarde ohne Aufenthalt scldeunigst zu sammeln. Ein
Jeder hat sich mit Pistolen, Gewehren, Piken und mit jeder
Waffengattung zu versehen und bin ich von dem Patriotismus
und der Vaterlandsliebe Eines Wohllöblichen Magistrats und
sämmtlicher Einwohner zu sehr überzeugt, als dass ich nicht
die kräftigsten Massregeln zu erwarten berechtigt wäre. Die
versammelten und bewaffneten Mannschaften müssen sich un-
fehlbar morgen Vormittag um 9 Uhr hier einfinden".
Es wurde daher sofort Alarm geschlagen und ein grosser Teil
bewaffneter Bürger rückte nach Friedeberg ab; der Rest sollte unter
Befehl des Bürgermeisters Tannenbring mittags nachfolgen. Auf dem
Wege nach Friedeberg brachte aber der vorausgesandte Kämmerer
Suckow den Befehl, wieder umzukehren, da Franzosen nirgends zu
sehen seien.
Am 12. Juni 1813 wurde der Landsturm vereidet. Er bestand hier
aus einer reitenden, einer Schützen- und drei Lanzen-Kompagnien. In-
folge einer Verordnung vom 17. Juli 1813 wurde der Landsturm in ein«
Stadtwehr umgewandelt. Der Dienst wurde auf wöchentliche Übungen,
Wachen und Patrouillen beschränkt.
Die Bürger und die Kietzer bauten sich 1814 gemeinschaftlich eine
zweite Brücke über die alte Netze, um mit ihrem Heu aus den Wiesen
nicht jedesmal den grossen Umweg über die polnische Brücke nehmen
zu müssen. Die Stadtgemeinde baute */j der Brücke, 40 Fuss lang an
der Stadtblänke, die Kietzergemeinde 2<;* = 80 Fuss lang an den Netzwiesen;
ausserdem trug das Amt Driesen (Rittergut) soviel bei, wie 2 Kietzcr-
wirte. Die Stadt gab den Weg bis zur Brücke au der Blanke unent-
geltlich, die Gemeinde Kietz hingegen kaufte von der rechts der Brücke
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Geschichte der Stadt l)rieaeü.
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gelegenen Netzwiese zwei Morgen zum Wege an, um zu den Kietzerwieseu
zu gelangen. Die Brücke erhielt den Namen „Kietzerbrücke". Am
1. September 1814 rückte hier die 3. Escadron des 1. Landwehr-
Kavallerie - Regiments ein und blieb bis zum 8. April 1815 in
Garnison. Nach ihrem Abmarsch kam die Reserve -Escadron des Ost-
preussischen Kürassier-Regiments No. 3 unter Rittmeister von Gottberg
und als diese am 1. März 1810 nach Ostpreussen ging, kam von dieser
Zeit bis zum 1. Mai die reitende Batterie No. 8 unter Hauptmann von
Bock und zuletzt noch die 4. Escadron des Halberstiidter Kürassier-
Regiments No. 7 unter Rittmeister von Schurff nach Driesen.
Die zurückgekehrten Krieger wurden von allen Bewohnern warm
empfangen und geehrt. Die Gefallenen wurden tief betrauert. Auf einer Tafel
am Orgelchor unserer Kirche stehen die Namen der letzteren verzeichnet,
welche im Freiheitskriege den Tod für König und Vaterland starben.
Am 18. Januar 1817 wurde das Friedensfest gefeiert.
Der Neue Markt wurde 1810 mit Sand erhöht und umgepflastert
und ebenso 1818 der alte Markt. Die Kosten wurden auf die Einwohner
repartiert, sodass die Wohlhabenden 3 Thaler und so abwärts bis
5 Silbergroschen, letzteren Betrag der Arbeiter, zu zahlen hatten.
Die Gehälter der Beamten waren 1816 wie folgt festgesetzt: Der
Bürgermeister erhielt 37(5 Thaler und 150 Thaler Zulage für einen Schreiber.
Der Stadtrichter hatte 120 Thaler 10 Groschen Gehalt und die Sportein;
der Gerichtsschreiber 82 Thaler und die Sportein; der Kämmerer
220 Thaler; der Polizeidiener 06 Thaler; der Feldhüter 42 Thaler und
der Nachtwächter 25 Thaler.
Nach der Konfirmation am 18. Mai 1817, als diese hier zum letzten
Male am Himmelfahrtstage stattfand, gingen nachmittags die Konfirmanden
nach dem Bleichplatz an der polnischen Brücke zum Spiel. Dort fand
in einer hohlen Weide der Sohn des Drechslermeisters Wust Gold-
stücke; andere Kinder fanden später ebenfalls noch einige Stücke, welche
sie später auf dem Polizeibureau abliefern mnssten. Es waren im ganzen
17 Münzen im Werte von 140 '/» Thalern. Wahrscheinlich hatte ein im
Lazaret behandelter und darin später verstorbener Franzose das Geld
dort versteckt. Da sich später der Verlierer nicht gemeldet, erhielten ,
die Kinder die Hälfte des Geldes zurück, und die andere Hälfte behielt
die Stadt als Besitzerin der Weide.
1817 fallierte die seit 1703 hier bestehende Engroshandlung des
Kommerzienrats Treppmacher. Bei seinem 17(J8 erfolgten Tode hinterliess
Treppmacher ausser den grossen Legaten an seine Verwandten der Hand-
lung Aktiva im Werte von einer halben Million Thaler. Da er kinder-
los war, erbte seine Nichte, die den Disponenten der Handlung namens
Dietrich geheiratet hatte, dieses Geschäft. Der Krieg 1800, der Aufstand
iu Polen, die Kontinentalsperre, durch welche die Seeschiffe der Handlung
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Adolf Reckling:
gekapert und als gute Prise genommen waren, die Blokade Stettins, bei
der die Handlung für 70 (XX) Tlialer Holz verlor, verursachten den Kon-
kurs, bei welchem sich 800 000 Thaler Passiva vorfanden. Viele Bewohner
Driesens hatten ihre Ersparnisse hei der Firma stehen und verloren
sie. Das grosse Haus auf dem Festungsplatz No. 17 mit dem Festungs-
gürtel! wurde 1 Hl H subhastiert und der verwittweten Kommerzienrat
Treppmacher für 1:2 800 Thaler zugeschlagen. Diese konnte es aber
nicht halten und es kam abermals zur Subhastation, wobei es der
Apotheker Lasch erstand, der es am 18. Dezember IHM dem Ober-
inspektor Oberfeh.lt verkaufte und von dem es durch Erbvergleich auf
den Oberamtmann Sydow überging.
Der Besitzer der Driesener Wassermühle, ITcnnicke, Hess, um der
Mühle mehr Wasserzufluss zu Schäften, den nach ihm benannten Graben
vom Hammerflosskanal bis zur alten Netze stechen. Diese Anlage
kostete ihn über 1000 Thaler, erfüllte aber den Zweck nicht.
Für den dazu benutzten Grund musste Ilennicke jährlich an die
Kämmereikasse 10 Tlialer zahlen. Als der Graben fertig war, weihte
ihn der Oberprediger Starke ein.
Erst nach Beendigung des Krieges war die Stadt in der Lage, die
grosse Schuldenlast, welche er ihr gebracht hatte, zu übersehen. Nach
einer bei den Akten befindlichen Aufstellung vom Jahre 1810 betrugen
die durch den Krieg gemachten Stadtschulden 88 070 Thaler und an
einjährigen Zinsen zu 5 und 0 Prozent 1 *»<>-"> Thaler.
Hieran partizipierten nachstehende Gläubiger mit den daneben auf-
geführten Summen:
Witwe Zachert 1 0<X) Tlialer
Pächter Matthias 1 (XX)
Müller Troschke 1 000
Witwe Ziniansky 1 000
Treppmachers Erben j 1 8(X) „
desgleichen für Waren | 1 1 700 „
Abraham Jacobs Söhne j 1 150 „
desgleichen für Waren \ 2 4(X) „
Löwenberg bar j 070 „
desgleichen für Waren \ 080 „
Lesser bar f 600 „
desgleichen für Waren \ 250 „
Kudolphi bar ( 200 „
desgleichen für Waren \ 200 „
Meissner bar 120 „
Zachert für Waren 200 „
Gerber Ilellmoldt 875 „
Apotheker Kadcke für Waren 2 050 „
Kochs Erben in Alt-Beelitz für Steine . . 115 „
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Geschichte der Stadt Driesen.
51
Forner noch verschiedene unbezahlte Rechnungen an städtische
Einwohner 4000 Thaler und die zum Rathauskauf beim Rittergutsbesitzer
von Waldow - Mehrenthin aufgenommene Hypothek von «3000 Thalern.
Bei dein daniederliegenden geschäftlichen Verkehr war überall Not,
und oft konnte die Kämmereikasse ihren Verbindlichkeiten nicht nach-
kommen. Die Gläubiger hatten bis zum 1. Oktober 1815 keine Zinsen
erhalten. Nach dem Gesetz sollten zur Abtragung der Kriegsschulden
besonders die Kommunalgrundstucke herangezogen werden. Der Bürger-
meister Tannenbring machte 181 6 den Vorschlag, entlegene Grundstücke
wie die Blanke, Kälberwiese au der alten Netze und vom Holm bis
Liependorf belegene Äcker zu verkaufen. In einem hierzu angesetzten
Termin wurde für ein Stück Land, dem Holm gegenüber, von 7 Morgen
Grösse 1400 Thaler und für sämtliche vorbenannte Grundstücke
17 000 Thaler geboten; jedoch die Stadtverordneten verweigerten den
Zuschlag, weil durch den Verkauf die Weide für das Vieh ge-
schmälert würde.
Der Magistrat musste seinen Vorscldag zum grossen Nachteil der
Gesamtheit aufgeben, und bald darauf sank der Wert der Grundstücke
auf ein Drittel herab. Die Stadtverordneten beschlossen nun die Er-
hebung von Weidegeld, und es sollten für 1 Pferd 1 1 3 Thaler, für 1 Stück
Rindvieh 1 Thaler, für 1 Kalb »;'„ Thaler, für 1 Schaf oder Schwein
0 Groschen und für 1 Gans 3 Groschen erhoben werden. Ein mit
10C) Unterschriften gestellter Antrag, den Gesamtgrundbesitz der Kämmerei
für ICK) 000 Thaler zu verkaufen, ging zum Glück für die jetzige Zeit
nicht durch.
Im Jahre 1818 kam die Kaiserin -Witwe von Russland nach Driesen;
im folgenden Jahr wiederum zusammen mit der regierenden Kaiserin. Sie
logierten im Gasthof zum Hirsch, Breitestrasse No. 11. Der Gasthof war
illuminiert und auf dem Neuen Markt eine Pyramide errichtet uud ebenfalls
erleuchtet. Die Bürgergarde hatte die Thore besetzt, und einige Land-
wehrmänner waren eingekleidet und stellten die Ehrenwache im Gasthause.
Die Vorspaunkosten wurden auf den Kreis übernommen und Driesen hatte
hierzu 34 Thalor (> Groschen 11 Pfennige beizutragen.
Die 1812 errichtete Bürgergarde wurde 1819 aufgelöst, womit die
Bürger dieser Last enthoben wurden.
Die Wache am polnischen Thore ging am 1. Dezember 1820 ein,
jedoch am deutschen Thore mussten täglich noch 3 Bürger auf Wache
ziehen. Später, im Jahre 1822, wurde die Wache im Seitengebäude
des Rathauses eingerichtet, wobei zuerst 2 und einige Zeit später
1 Mann die Gefangenen bewachen mussten. Diese Pflicht der Bürger,
wozu die Hausbesitzer doppelt so oft als die Mietsbürger herangezogen
wurden, dauerte bis zum Jahre 1846 uud hörte auf, als der die Wache
4*
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52 Adolf ReckUng:
habende Tuchmacher Eichler von dem wahnsinnigen Gefangeneu Jachalsky
auf der Wache erschlagen wurde.
Die drei Thorwachthäuser kaufte 1822 die Stadt vom Staat für
415 Thaler, und verkaufte sie am 7. April desselben Jahres meistbietend
einzeln wieder. Das am deutschen Thore, jetzt Richtstrasse No. 34,
erwarb der Ulironhändler Benjamin Bantz für 730 Thaler, das am
polnischen Thor, jetzt Netzstrasse No. 24, der Böttcher Zoen für 40b" Thaler
und das am Holmerthor, jetzt Hohnstrasse No. 10, der Oberamtmann
Sydow für 220 Thaler. Am Sonntag, den 29. August 1819 kam auf
dein Kietz Feuer aus und blieben nur drei Häuser an der Stadt, der
Scharfrichter und Büdner verschont.
1S20 wurde in Driesen die Mahl- und Schlachtsteuer aufgehoben
und dafür die neue Klassensteuer eingeführt.
Infolge testamentarischer Bestimmung erhielt am 4. Juni 1819 die
Armenkasse vom Fleischer Daniel Blüinke dessen am Militzwinkel ge-
legene Wiese von fi Magd. Morgen 8 Quadratruten als Eigentum.
Als die Neue-Brücke beim Salzhause gebaut werden sollte, erhoben
die Bewohner der Neustadt Widerspruch, doch «Iii» Altstadt setzte den
Beschluss durch und begann sofort mit dem Bau. Erstere petitionierten
bei der Regierung zu Frankfurt a. U. und von dieser traf der Bescheid
ein, der Bau solle sofort inhibiert werden. Die Bürger der Altstadt
hatten unter der Hand von dieser Verfügung Kenntnis erhalten und
arbeiteten mit allen Kräften am Bau der Brücke weiter, und diese war
gerade fertig, als das Schreiben an der Brücke den Bürgern vorgelesen
wurde. Darauf fuhr der an der Brücke wohnende Gerber Lesser unter
dem Hurrah der Anwesenden über die fertige Brücke; sie blieb stehen
und musste von der Bürgerschaft fortan unterhalten werden.
In einem Schreiben vom 21. Juni 1821 verlangten die Bürger
Büttner, Lengert, Hennicke und Lange vom Magistrat die Einteilung der
Kommunalgrundstücke und die Stadtverordneten-Versammlung genehmigte
diesen Beschluss. Der Rittmeister von Brehm leitete als Kommissar die
Gemeinheitsteilung und der Geometer Olberg vermass die Feldmark.
Bereits im Jahre 1828 jedoch verlangten die Stadtverordneten die Auf-
hebung des früheren Beschlusses, da sie anderer Ansicht geworden
seien. Es entspann sich hieraus ein Prozess der Mietsbürger gegen die
Hausbesitzer und des Ritterguts wegen Teilnahme der ersteren an der
Hütung. Die Mietsbürger wurden durch Obertribunalsbesclüuss ab-
gewiesen (4. März 1828), dem Rittergut aber zuerkannt, dass es mit-
berechtigt sei. Darauf beantragte unterm 20. April 1831 der Magistrat
die Aufhebung der Separation, da die Kommunalgrundstücke Kämmerei-
vermögen seien, und die bis dahin bereits entstandenen Separationskosteu
von in Summa 4000 Thaler mussten aus der Kommunalkasse gezahlt
werden ; der Anger aber verblieb, nach den darüber geführten Prozessen,
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Geschichte der Stadt Priesen.
53
der Kammern und ist dadurch für die Stadt Driesen ein grosser Nutzen
geworden.
Ein grosser Teil des Angers war mit Laubholz bewachsen, und
die letzteu grossen Buchen auf der Teufelsburg (jetzt Plan 8) sind im
Jahre 1822 abgehauen.
Auf Antrag des Magistrats genehmigte die Königliche Regierung,
dass hier Montags und Donnerstags im Jahre 1823 Wochenmärkte ab-
gehalten werden durften.
Das grosse Haus an der polnischen Brücke brannte am 12. April
desselben Jahres ab und wurde später nur 1 Stock hoch wieder erbaut.
Am 13. Juni 1824 kam der Kronprinz Friedrich Wilhelm von
Samter nach Driesen, blieb im Hause Festungsplatz No. 17 über Nacht
und fuhr den nächsten Tag zur Denkmalseinweihung nach Pyritz. Der
Magistrat und die Stadtverordneten hatten sich zu seiner Begrüssuug auf-
gestellt und überreichten ihm eine Petition, in der sie um Garnison und
eine Beihülfe zu den Kriegsschulden baten.
In demselben Jahre starb der Fleischermeister Giesler an der Toll-
wut; er war von einem tollen Hunde gebissen. Da der Hund auch
die Zuchtstiere auf der Weide gebissen hatte, wurden diese getötet.
Mit der Erbauung der Chaussee von Berlin nach Königsberg hörte
der Postkurs durch Driesen auf und wurde über Woldenberg gelegt.
Nach 44 jähriger Amtirung legte der Bürgermeister Tannenbring 1827
seih Amt nieder und erhielt keine Pension, da ihm diese abgesprochen
war. Später bekam er aus der Armenkasse eine jährliche Unterstützung
von 100 Thalern. Er starb um 3. März 1847. An seine Stelle trat der
Forstkassen-Rendant Menger, welcher am 28. Oktober 1828 zum Bürger-
meister gewählt war. Gross war hier in Driesen wieder die Furcht, als
sich 1830 die Polen gegen Russland erhoben, da man das Übertreten
polnischer Insurgenten befürchtete. Die Landwehr wurde im Dezember
eingezogen und rückte am 2. Januar 1831 von Landsberg a. W. nach
Graudenz. Hier in Driesen verteilte man die auf dem Rathausboden
lagernden Piken an die Bürger; jedoch blieb alles ruhig.
Im Mai 1830 wütete hier, von einem Gewitter begleitet, ein furcht-
barer Orkan, der auch durch den grössten Teil von Deutschland
ging. Die Kähne auf den Flüssen wurden teilweise umgeworfen,
Windmühlen und viele Häuser beschädigt. In der Königlichen Driesener
Forst waren allein über 6000 Bäume entwurzelt.
1831 wütete in Driesen die Cholera sehr stark. Es war infolge-
dessen die Ortssperre eingeführt, und wer zum Thore hinaus wollte,
erhielt vom Ratmann Seile einen auf einen halben Tag gültigen Erlaubnis-
schein, den er beim Passieren der Thore vorzeigen musste. Für Fremde
war auf dem Vorwerk in der Ackerstrasse No. 1 eine Kontumazanstalt
eingerichtet, während von einer Reise heimkehrende hiesige Bürger
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Adolf Rcckling:
gründlich geräuchert wurden. Die Briefe wurden auf der Post mit einer
eisernen Zange in Empfang genommen, mit Nadeln durchstochen und
ebenfalls geräuchert, das Geld in einen Behälter mit Wasser geworfen
und hiernach vom Postbeamten entnommen und gezählt. Zur Verstärkung
des Grenzkordons rückte im Juni 1831 der Major von der Heyden mit
2 Kompagnien vom 14. Infanterie-Regiment hier ein. Ulanen patrouillierten
längs der Netze und Jäger der 2. Abteilung lagen in Schöneberg. Sowohl
Holzfuhrwerke wie Hirten wurden von Soldaten begleitet, damit sie
nicht mit Leuten aus infizierten Orten zusammenkommen sollten. Als
die Cholera immer näher nach Driesen kam, Hess der Major die polnische
Brücke sperren; die Bewohner der Vorstadt, die ihre Bedürfnisse in der
Stadt einkaufen wollten oder darin arbeiteten, wurden zurückgewiesen.
Daher entstand ein Aufstand und man bedrohte die Soldaten. Der
Magistrat bat deshalb den Major, seine unzweckmässige Anordnung
wieder aufzuheben, worauf er dies auch that. Das Militär wurde öfters
gewechselt und als am 23. August 1831 wieder eine andere Kompagnie
vom 14. Regiment hier einrückte, erkrankte in der Nacht in seinem
Quartier, dem heutigen Rathause, Grusenstrasse No. 5, ein Soldat an
der Cholera und starb den folgenden Tag. Auf dem Kirchhofe wollte
man ihn nicht beerdigen, daher fuhr man ihn zum Thore hinaus und
begrub ihn hinter dem jüdischen Kirchhofe. Die Sachen des Verstorbenen
wurden verbrannt.
Da der Kirchhof bei der Kirche voll war, legte man rechts der
Karlstrasse und Alten-Netze einen neuen an, welchen der Superintendent
Starke am 27. August 1831 einweihte. Am 8. September starb darauf
die neunjährige Tochter des Maurers Roller an der Cholera zuerst, und
dies war die erste Leiche, welche auf diesem Kirchhof beerdigt ist.
Auf dem Dregackschen Grundstück, Friedrichstrasse No. 3, wurde eine
Krankenanstalt errichtet, ein einfacher Krankenwagen beschafft und vier
in Wachstuch gekleidete Krankenträger angestellt. Die Cholera trat
aber von jetzt ab sehr heftig auf, daher wurden die Iläuser, in welchen
Kranke lagen, gesperrt und ein Bürger als Wache vorgestellt. Die
Bewohner durften diese Häuser nicht verlassen, und angestellte Boten
mussten die Bedürfnisse einholen. Anfangs November 1831 hörte die
Cholera hier erst auf, nachdem vier Prozent der Bevölkerung daran
gestorben waren.
Am 15. September 1831 brach in den Scheuneu Feuer aus und es
brannten 40 davon nieder. Der Gesamtschaden betrug 40 000 Thaler.
1831 zweigten sich die Gemeinden Vordamm und Mühlendorf vom
hiesigen Schulvorbando ab uud bauten sich ein eigenes Schulhaus. Die
hiesige Schule war aber trotzdem überfüllt, daher wurde der sechste
Lehrer angestellt.
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Geschichte der Stadt Driesen.
55
Im Oktober 1833 hatte Driesen 3090 Einwohner, darunter 240 stimm-
fähige Bürger. In diesem Jahre wurde das Berliner Gesangbuch ein-
geführt, und dazu für arme Einwohner 20 Thaler aus der Stadtkasse
bewilligt. Da der neue Kirchhof umzäunt war, wurde der alte bei der
Kirche geschlossen und als letzte Leiche der Tuchmacher Martin Hähn
darauf beerdigt. Der Superintendent Heinrich Starke starb am
11. August 1834, und er sollte noch auf dem alten Kirchhof beerdigt
werden. Die Gruft war auch unter dem Fenster des Oberpfarrhauses
bereits fertig, jedoch der Bürgermeister Menger verweigerte die Beerdigung
und Hess die Gruft wieder zuschütten.
Das hier einst so blühende Tuchmachergewerbe war vollständig
gesunken, fast sämtliche Tuchmacher waren verarmt, und nur wenige
betrieben noch das Gewerbe; die meisten arbeiteten als Tagelöhner.
Mit Genehmigung der Königlichen Regierung wurden im Jahre 1835
hier zwei neue Viehmärkte, der eine am 28. April, der zweite am
28. Oktober, eingeführt.
Da die Schulzimmer zu klein waren, musste ein neues Schulhaus
bei der Kirche erbaut werden und der Zimmeruieister Schilling erhielt
hierzu 183t> mit 3500 Thalern den Zuschlag; er hat bei dem Bau
1800 Thaler zugesetzt. Da die Gemeinde Kietz zum Bau nichts beitragen
wollte, schloss der Magistrat mit ihr einen Vergleich, zahlte eine ein-
malige Ablindung von 300 Thalern, worauf sich die Kietzer eine eigene
Schule einrichteten.
1837 wurden auf Anordnung des Königlichen Bauinspektors Anders
die Liuden an der Strasse von Driesen nach Vordamm augepflanzt. In
demselben Jahre verkaufte der Oberamtmann Sydow das von den
Driesenern oft besuchte, in Vordamm an der Brücke belegene Tanzlokal
au die Kaufleute Meudheim und Eisnecker, welche auf diesem Grund-
stück die Steingutsfabrik errichteten. Im Jahre vorher hatte der Buch-
drucker Moritz hier die erste Buchdruckerei eingerichtet und gab das
Driesener Wochenblatt heraus.
1837 erbaute der Müller Henuicke hier eine Dampfmahl- und
Schneidemühle mit 7 Pferdekräften. Diese brannte 1845 ab. Die neue
Mühle wurde mit einem Kessel von 20 Pferdekräften versehen.
Wie überall im Vaterlande, so war auch hier tiefe Trauer, als die
Nacluicht vom Ableben König Friedrich Wilhelms III. am 3. Pfingst-
feiertage 1840 eintraf. Sämtliche Festlichkeiten wurden sofort abbestellt
und 14 Tage von 12 bis 1 Uhr mittags die Glocken geläutet.
Am Geburtstag König Friedrich Wilhelms IV. war auch dessen
Huldigungstag, der überall festlich im preussischeu Staate begangen wurde.
In Driesen war zu diesem Zweck die Kirche festlich geschmückt und
abends grosse Illumination. Es war beabsichtigt, an diesem Tage den
Knopf und das Kreuz auf den reparierten Kirchturm zu setzen, jedoch
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Adolf Reckling:
die Arbeiten waren nicht fertig geworden, daher geschah es am
2t>. Oktober, da am 20. Oktober 18Q<> hier in Driesen der König Friedrich
Wilhelm III. mit der Königin Luise im Gasthof zum Kronprinzen
gewohnt hatte.
Der Gelbgiesser Stiller, ein Katholik, schenkte der evangelischen
Kirche einen von ihm selbst gearbeiteten messingnen Kronleuchter, der
jetzt über dem Taufrisch hängt und die Inschrift tragt: „Diesen von mir
selbst gefertigten Kronleuchter widmet der hiesigen Kirche der Gelb-
giessermeister Herr Andreas Stiller und Ehefrau Eva Maria geborene
Schnell. Driesen, den 15. Oktober 1841)«.
Das Pflaster in den Strassen war in sehr schlechtem Zustande,
und eine Umlegung Hess sich nicht mehr hinausschieben. Man
übertrug diese Arbeit dem Steinsetzer Voss in Woldenberg für
22 Va Silbergroscheu pro Quadratrute. 184U wurde zuerst die Richt-
strasse und die in diese mündenden Gassen und 1841 die anliegenden
Strassen und 1842 der letzte Teil für 1179 Thaler umgepflastert. In
letzterem Jahre wurde auch der Bau des Obeq>farrhauses vollendet.
Ferner schenkte in diesem Jahre die Aachen-Münchener Feuerversicherungs-
gesellschaft der Stadt Driesen 200 Thaler zur Anschaffung von Strassen-
laternen, die bis dahin hier noch nicht vorhanden waren. Für diese
Summe wurden drei Laternen beschafft und durch freiwillige Beiträge
unterhalten. Am 1. Februar 1842 brannten die Laternen zum ersten
Mal, wobei sich auf dem alten Markt viele Zuschauer eingefunden hatten.
Nach und nach wurden dann die Laternen vermehrt und deren Unter-
haltung von der Stadtkasse übernommen.
Da das Rathaus durch das in demselben befindliche und sich mehr
und mehr vergrössernde Gericht zu klein wurde, kaufte die Stadt das
jetzige, Grusenstrasse No. 5, vom Schankwirt Karow im Jahre 1844
und überliess das alte dem Justizfiskus für 1500 Thaler mit der darauf
ruhenden Holzgerechtigkeit, die später mit 800 Thalern abgelöst wurde.
Durch die Bemühungen des Oberpfarrers Marquardt gelang es 1844
und 1845 das Hospital, Kirchplatz No. 3, zu erbauen. Die Stadt gab
hierzu 500 Thaler, 500 Thaler der König Friedrich Wilhelm IV., 500 Thaler
der Oberamtmann Sydow, 200 Thaler der Geheimsekretär Beinert,
200 Thaler der Justizrat Sturm, 100 Thaler der Seifensieder Ladisch und
25 Thaler das Fleischergewerk. Vom Konrektor Bolz erhielt das
Hospital nach dessen Tode 000 Thaler, wofür von den Markschen Erben
später die Hospitalwiese angekauft ist.
Am 8. Dezember 1845 entdeckte der hier geborene Postsekretär a. D.
Heiike, ein Sohn des Kämmerers hierselbst, die Astrea, den fünften der
kleineren zwischen Mars und Jupiter kreisenden Planeten und eröffnete
den Reigen der Planetenentdeckungen. Henke wurde infolgedessen Ehren-
doktor und erhielt die grosse goldene preussische Medaille für Kunst und
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Geschichte der Stadt Driesen.
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Wissenschaften und andere Ehrenniedaillen. Ferner war er Mitglied der
englischen Astronomischen Gesellschaft and erhielt den Koten Adler-
Orden III. Klasse. Auf seinem früheren Hause Kietz No. 9 befindet
sich noch heute die kleine Sternwarte, die der Besitzer des Hauses ver-
tragsraässig zu unterhalten hat. Am 1. Juli 1847 entdeckte Henke die
„Hebe«.
Die Ernte 1846 war sehr schlecht, die Lebensmittel stiegen be-
deutend und in vielen Familien herrschte hier grosse Not. Der Scheffel
Roggen kostete 1847 im Mai 4S Thaler und es bildeten sich Wohl-
thätigkeitsvereine, welche reichlich unterstützten; daher kam es hier
nicht zu Unruhen, wie in Berlin und in anderen grossen Städten. Die
Ernte 1847 war wieder gut und da sich genügend Arbeit bot, war die
Not vorüber.
In der Nacht vom 18. zum \\). Mai 1847 brach eine Räuberbande
beim Tuchmacher Bautz in der Nenenstrasse , der für wohlhabend
galt, ein. Die Diebe hatten sich durch den alten Festungsgraben an
das Haus geschlichen, stiegen in den Keller, traukeu dort das
Bier aus und drangen durch eine Kammer zur Stube, wo die
Eheleute schliefen. Die Gesichter geschwärzt, mit einem Licht
in der Hand und mit Knütteln bewaffnet, verlangten sie von
Bautz dessen Geld. Zugleich drückte ihm der eine auch schon
die Gurgel zu, wobei die Bettstell zusammenbrach. Ein zweiter Dieb
versprach auf das Bitten der Ehefrau des Bautz, ihr das Leben zu lassen,
wenn sie das Geld herausgeben würde. Die 43 Jahre alte Tochter des
Bautz schlief in der Ilinterstube und war durch einen Hieb, den sie an
der Stirn erhalten hatte, betäubt und wurde später mit dieser Wunde,
einer Schnittwunde am Ellbogen und auf dem Rücken braun geschlagen,
besinnungslos in ihrem Bett aufgefunden. Nur durch einen Zufall
waren die drei gerettet, da der Töpfer Quolke gegen 1 Uhr
von seiner Braut beim Bautzschen Hause vorbeikam und das Stöhnen
der Bewohner darin hörte. Er hielt die offenstehende Thür zu und
schrie: „Was geht hier vor"! Frau Bautz, als sie dies hörte, sprang
aus dem Bett, schlug die Fensterscheiben entzwei und schrie Feuer.
Hierauf flüchteten einige der Diebe durch den Garten, während ein
anderer durch das Fenster kroch, den Quolke festhielt. Der Dieb schlug
mit dem Knüppel um sich, wurde aber von im Hemd herbeigeeilten
Nachbarn, Barbier Brüning, Schneider Wiesenthal und dem jetzigen
Beigeordneten Modrow umzingelt. Hierauf schlich sich ein zweiter Dieb,
ohne bemerkt zu werden, aus dem Hause und schlug die seinen
Kameraden festhaltenden Personen mit einem Knüppel zu Boden, sodass
Modrow mit 2 Löchern im Kopf besinnungslos nach seiner Erzählung
in den Rinnstein fiel, dem Wiesenthal das Ohr und Brüning die Stirn
blutig geschlagen war. Quolke hatte einen Hieb über den Kopf erhalten,
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Adolf Reckling:
hielt jedoch den Dieb fest, bis er einen starken Hieb über den Ann
erliielt und loslassen mnsste. Beide Diebe entkamen darauf durch
das Holmerthor. Eine auf dein Kampfplatz zurückgelassene Mütze
wurde als dem Töpfergesellen Druck gehörig erkannt, und Quolke wie
der Schornsteinfegenneister Fürsteuberg beeideten später vor Gericht,
dass sie in den entflohenen Dieben den vorgenannten Druck und den
Arbeiter Winkelraann erkannt hätten Diese beiden wurden hierauf zu zehn
Jahren Zuchthaus bestraft. Die anderen Diebe, welche geflohen waren,
hatten im Gärtner Schmidtschen Garten eine geladene Pistole verloren,
welche der Prediger Berthold in Erchbruch als diejenige wiedererkannte,
die eine bei ihm eingebrochene Bande ihm auf die Brust gesetzt. Der
Büchsenmacher Finge gab an, dass er diese Pistole vor kurzem für den
Eigentümer Pähl in Eschbruch repariert habe, doch blieb die weitere
Untersuchung ohne Erfolg.
Im Jahre 1847 bildete sich aus den ehemaligen Kriegern von 1H0G
bis 1814 und 1815 der Kriegerbegräbnisverein, dessen letzte Mitglieder
bis zum Jahre 1885 dem Kampfgenossen-Verein angehört haben und von
diesem bestattet sind.
1847 verkaufte die Stadt den an der Schützenstrasse belegenen
31 a Magd. Morgen grossen Platz an den Zimmermeister Schmidt als
Zimmerplatz und erwarb im Jahre 1848 den Speicher auf dem Festungs-
platz No. 20 für 13l> Thaler.
Grosse Bestürzung trat hier ein, als die Nachricht von den Unruhen
des 18. März 1848 in Berlin ankam, und wie überall im Lande, wurden
auch hier Volksversammlungen abgehalten. Die grosse Masse wusste
eigentlich nicht, was sie wollte, und nach einer am Sonntag nach Ostern
im Schützenhause abgehaltenen Versammlung kam es auch hier zu Auf-
läufen. Ein von einem Tischler geführter Volkshaufen setzte sich von
der Restauration an der polnischen Brücke nach der Stadt zu in Be-
wegung und brachte dem Deposital - Kassen - Rendanten Weitzmann,
welchem man das in einer Rede gebrauchte Wort „Spiessbürger" —
übel geuommeu hatte, eine Katzenmusik, anderen Personen dagegen „Hochs"
und „Hurrahs". Zu weiteren Ausschreitungen kam es jedoch nicht.
Zur ersten preussischen National-Versammluug wählte der Friede-
berger Kreis den Färber und Ratmanu Salis aus Drieseu zum Ab-
geordneten. Zu gleicher Zeit war auch im Grossherzogtum Posen der
Aufstand der Polen ausgebrochen, und Insurgentenbanden griffen viel-
fach das Militär an.
Der Mühlen besitzer Grun in Neuteich hatte nachts einige Gewehr-
schüsse abgefeuert, die Dorfbewohner alarmiert und nach Hammer einen
Boten um Hülfe gesandt. Darauf meldete der Rittmeister von Rochow
in Hammer dem Domänenrat Steinke in Driesen, dass sich polnische
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Geschichte der Stadt Driesen.
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Horden nahten. Infolgedessen wurde hier in den ersten Stunden des
U. Mai 1848 Alarm geschlagen. Die Bürger sammelten sich auf den
Marktplätzen und zogen unter Kommando des Major a. D. Netzer nach
der Posener Vorstadt. Hier wurde der Haufen einigermassen geordnet
und eine Patrouille unter Oberprediger Marquardt (ehemaligem frei-
willigem Jäger) nach Neu - Anspach zur Rekognoszierung ausgesandt,
welche mit der Meldung zurückkam, dass dort alles ruhig sei, worauf
jeder wieder nach Hause ging und sich schlafen legte. Die Nachricht
vom Anrücken der Polen war durch das ganze Bruch, ja sogar bis
Cüstrin gedrungen und hatte fast alle Orte alarmiert. Die Leute aus
Carbe und den Bruchkolonien gingen bei Trebitsch über die Brücke, die
Trebitscher und Neu - Ulmer schlössen sich an und eilten der Stadt
Driesen, wo man die Polen vermutete, zu Hülfe. Die auf dem Driesen er
Felde arbeitenden Menschen, vom Schrecken der Nacht noch aufgeregt,
eilten beim Anblick dieser mit Sensen, die gerade gerichtet, bewaffneten
Schar in die Stadt und schrieen : „Jetzt kommen die Poleu von Neu-Ulm
her"! Es war mittags 1 Uhr. Schnell wurde die Sturmglocke geläutet
und die Bürgerschaft alarmiert. Die Landleute, durch das Läuten der
Glocken stutzig gemacht, hielten vor der Stadt an und sandten eine
Patrouille hinein. Nachdem sich dann der Irrtum aufgeklärt, wurden
die Landleute mit Musik eingeholt, nach dem Festungsplatz geführt, hier
als treue Bundesgenossen bewirtet und abends mit Musik zur Stadt
hinaus begleitet.
Dieser Schrecken hatte zur Folge, dass die Bürgerwehr wieder er-
richtet wurde, um die öffentliche Ordnung aufrecht zu erhalten. Dieselbe
bestand hier aus 5 Kompagnien, den Schützen und 4 mit Lanzen be-
waffneten. 2 Kompagnien erliielteu anstatt der Lanzen vom Staate später
Gewehre. Zum Kommandeur wählte sich die Bürgerwehr den Major a. D.
Netzer und zu dessen Adjutanten den Gerichts-Assessor Sachse. Kompagnie-
führer wurden Rendant Müller, Hauptmann Sasse, Domäuenrat Steinke,
Bauinspektor Berndt und Gerichts-Direktor von Rabenau. Die Begeisterung
für das neue Institut war allgemein, und es wurde tüchtig exerziert.
Die Jungfrauen Driesens vereinigten sich und schenkten der Bürgerwehr
eine Fahne, zu welcher die Stickerei von den Fräuleins von Rabenau,
Gebhard, Kuntzemüller, Sommerfeld, Menger und Marquardtgefertigt wurde.
Diese Fahne wurde am 30. Juli 1848 eingeweiht. Hierzu traten die
Bürgerwehrmänner nachmittags 2 Uhr zusammen, marschierten 561 Mann
stark durch die mit Guirlauden geschmückten Strassen nach dem Neuen
Markt und formierten hier Carre*. Hinter ihnen standen 1900 Mann zu
Fuss aus den umliegenden Ortschaften, die wackeren Bundesbrüder des
11. Mai, denen die Banner von Hammer, Dragebruch, Neu-Dessau und
Liependorf voranwehten. 102 Mann waren beritten und wurden vom
Domänenrat Steinke geführt.
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Adolf R cklin*
Die Hauptleute traten vor die inmitten des Marktplatzes errichtet*»
Rednertribüne, von der herab die beiden Fahnen der Schützen wehten,
wie an jeder Ecke preussisehe Fahnen und über alle in der Mitte das
deutsche Banner. Hierauf zogen, dem voranschreitenden Musikchor
folgend, die royrthenbekränzten 153 Ehrenjungfrauen, zugweise in blauen,
weissen, rosa und schwarzen Kleidern mit der neuen Fahne, welche der
Glaser Gebhardt trug, iu das Carre. Die Fahne hatte im weissen Felde
den schwarzen Adler mit der Inschrift: „Driesens Bürgerwehr 1848".
Von der Spitze derselben wehte ein schwarz - rot - goldenes Band. Das
Musikcorps spielte zuerst den Choral „Lobe den Herrn" und Fräulein
Julie Gebhardt, später verehelichte Klettner in Friedeberg, sprach hierauf
ein zu diesem Zweck vom Hendanten Weitzmann verfasstes Gedicht.
Hierauf übergab der Major Netzer die Fahne dem Brauer Steinke, der
sie künftig tragen sollte, und der Oberprediger Marquardt hielt die Weih-
rede, in welcher er die Thaten der preussischen Waffen im siebenjährigen
und Befreiungskriege hervorhob und daran den Wunsch knüpfte, der
preussische Adler möge fortan den Doppeladler überflügeln, obgleich
man jetzt versuche, dem ersteren die Flügel zu stutzen. Hierauf saug
man zum Sclduss „Nun danket alle Gott" und mit dreimaligem Hurrah
wurde die Fahne begrüsst. In ähnlicher Weise sprach auch der Major
Netzer, der die Fahne für die Wehr übernahm, gedachte hierbei des
Patriotismus der Frauen von 1813/14, der hier in den Töchtern wieder
auflebe und schloss mit einem Hoch auf den König, Geberinnen der
Fahne, Vaterland, Stadt- und Landgemeinden. Ein Parademarsch
beschloss die Feier, die Bataillone marschierten nach dem Anger am
Schiessplatz, setzten hier die Gewehre zusammen und tanzten bis zum
frühen Morgen.
Zweimal musste die Bürgerwehr in dieser Zeit die Ordnung wieder-
herstellen. Die Holzdefraudanten waren hier zum Forstgerichtstag vorge-
laden, und da sie von einer erlassenen Amnestie gehört, wovon das Gericht
noch keine Nachricht hatte, nahmen sie an, dass ihnen die Strafe er-
lassen sei. Sie zerrissen daher in der Gerichtestube ihre Vorladungen,
schimpften auf den Richter und wollten die Förster angreifen, weshalb
sich letztere im Gerichtsziramer einschließen mussten. Die infolgedessen
alarmierte Bürgerwehr verhaftete die Rädelsführer und begleitete den
bedrohten Oberförster Sonnenberg bis zu seiner Wohnung nach der
Oberförsterei Driesen.
Am 22. Januar 1849 fand in der Rittergutsschänke eine grosse
Schlägerei zwischen Leuten vom Sande und den Kietzern statt Nach-
dem die Ruhestörer in der Schankstube alles zerschlagen hatten, zogen
sie jubelnd zum Marktplatz. Die Bewohner schlössen ihre Läden, und
die Bürgerwehr wurde alarmiert. Der Gefährlichste der Rotte war ein
oft bestrafter Dieb, namens Seifert, welchen man später aus seiner
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Geschichte der Stadt t)rie*ert.
61
Wohnung auf dem Sande beim Fuhrmann Druck, jetzt Wilhelms-
strasse No. 20, herausholte und mit einer Lanze erstach. Der Thäter,
der ihm den Stiel» beigebracht, wurde nicht ermittelt. Ausser Seifert
hatte auch der Arbeiter Fischer einen Stich in den Schenkel erhalten.
Seitdem blieb in Driesen Ruhe.
Nach dem Erlöschen des polnischen Anfstandes wurde am 24. Ok-
tober 1849 auch hier in Driesen die Bürgerwehr wieder aufgelöst. Die
Fahne wurde zuerst im Rathause aufbewahrt, später dem Turnverein
und nachdem sie entsprechend geändert, dem sich 1S0() bildenden Kampf-
genossen-Verein im Jahre 1872 von den städtischen Behörden geschenkt,
welcher sie noch heute führt.
Am I.April 1849, bei der Reorganisation des Gerichtswesens, ging
in Driesen das Land- und Stadtgericht ein und blieb nur eine Deputation
von 3 Richtern bestehen, während Friedeberg ein Kreisgericht erhielt.
Die Bürgerschaft hatte den Gerichts-Direktor von Rabenau, den Bürger-
meister Menger und den Ratmann Salis nach Berlin deputiert, um dahin
zu wirken, dass das Kreisgericht nicht von Driesen verlegt werde, und
trotzdem der König und der Justizminister sich dafür erklärten, blieb
das Kreisgericht in Friedeberg.
Bei der Volkszählung am 3. Dezember 1849 hatte Driesen
3900 Einwohner.
Im Jahre 1850 wurden die drei gesprungenen Kirchenglocken vom
Glockengiesser Voss in Stettin umgegossen, und nachdem sie der
Prediger, Diakouus Gensichen, geweiht, im September im Kirchturm
aufgehängt.
Die grosse Glocke hat folgende Inschrift:
„Der erste Guss dieser Glocke ist unbekannt.
„Umgegossen im November 10t>2 durch Lorenz
„Kokeritz. Zum zweiten Mal umgegossen
„in Gemeinschaft mit den andereu zwei Glocken
„zu Stettin 1850 von Carl Voss No. 97 unter der
„glorreichen Regierung des constitutionellen
„Königs Friedrich Wilhelm IV. und Seiner
„Gemahlin, der Königin Elisabeth, geborenen Prinzess von Bayern.
„Nachdem die Form in Stücke war zerbrochen,
„Die uns umgab in finst'rer Grabesnacht,
„Erstauden wir, da es begann zu tagen,
„Wo neugeschaffen durch des Feuers Macht,
„Ein ehernes Geschwister Dreigeläute;
„Wir künden jetzt in schöner Harmonie,
„Dass Alle, die uns hören, einst, wie heute
„Nur holder Fried' und Eintracht stets umzieh' u.
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Adolf Reckling:
Die mittlere Glocke hat folgende Inschrift:
„Tch ruf Euch, wenn der Herr will in den Tempel gehen,
„O, kommt in grosser Zahl, sein theures Wort zu hören,
„Ich lt'hre Euch zugleich auch Eure Sterblichkeit,
„Drum macht, wenn Ihr mich hört, zum Sterben Euch bereit.
„Von Philipp Carl Schwelm am 29. Juli 1797 zu Alt-Stettin um-
gegossen: desgleichen von Carl Voss in Stettin 1850 No. 99*.
Die kleine Glocke hat nachstehende Inschrift:
„Gleich wie der Glockeuton ruft Allen, die es hören,
„So will Gott durch sein Wort, Euch allesamint bekehren,
„Drum lass' Dein Herz und Ohr, o Mensch geöffnet sein,
„So bringet mit dem Schall, zugleich die Kraft hinein".
„Zur Zeit als in Driesen waren:
„Johann Gottlieb Steinke, Königlicher Domainenrath.
„Heinrich Menger, Bürgermeister.
„Johann Born, Kämmerer.
„Carl Ludwig Henke, Friedrich Starke, Ernst Martini
„und Carl Salis, Rathmänner.
„Friedrich Zoch, Stadt verordneten- Vorsteher.
„Eduard Spude, Stellvertreter desselben.
„Ferdinand Klauss, Stadtverordneten-Protokollführer,
„und Eduard Hellmoldt, Stellvertreter desselben.
„In Kirche und Schule:
„Friedrich Rudolph Marquardt, pastor primarius.
„Hennann Franz Alexander Gensichen, Diaconus.
„Friedrich Stosch, Rector. Ferdinand Oswald Bartsch, Kantor
„und Konrector. Johann Friedrich August Hellwig, Organist.
„Die Lehrer: Richter, Quast, Rättig, Herguth, Böttcher.
„Umgegossen von Friedrich Karnier, desgleichen von Carl Voss 1 850" .
Das den Kriegsrat Lehmannsehen Erben gehörige Haus Holm-
strasse No. 19 wurde im Subhastationstermin für 1201 Thaler von der
Stadt gekauft. Nachdem es mit einem Aufwand von 800 Thalern umgebaut
wurde, ward es im Jahre 1853 als Schulhaus für die beiden oberen
Mädchenklassen in Benutzung genommen.
Am 0. Oktober desselben Jahres fand nach der neuen Städte-Ordnung
vom 30. Mai 1853 die Neuwahl der Stadtverordneten-Versammlung nach
demDreiklassenwahlsystemstatt. Die Zahl blieb bei beiden Behörden dieselbe.
1857 übernahm der Prinz von Preusseu unter dem Namen als „Prinz
Regent" an Stelle seines erkrankten Bruders, des Königs Friedrich
Wilhelms IV., die Regierung über Prenssen und führte unser Vaterland
in eine neue Ära ein.
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Geschichte der Stadt Drieseti.
Als im Jahre 1859 Napoleon im Bunde mit Italien Österreich an-
griff, da hatte es den Schein, als ob Pmissen in diesen Krieg; mit
hineingezogen werden würde, doch, nachdem die Mobilmachung der
prenssischen Armee vom Prinz-Regeuten befohlen war, schloss Napoleon III.
sofort mit Österreich Frieden.
Zum Glück für Preussen und später für Deutschland erkannte der
Prinz-Regent, dass unsere Armee nicht mehr zeitgemäss wäre. Sie zu
reorganisieren, ward sein Hauptbestreben, wodurch leider eine politisch
schwere Zeit eintrat, da die liberalen Parteien hiergegen die grösste
Opposition machten. Da starb Friedrich Wilhelm IV. und der Prinz-
Regent bestieg unter dem Namen Wilhelm I. den preussischen Königs-
thron. Mit Hülfe seiner Minister von Bismarck und von Roon führte
er die Militär - Reorganisation zum Segen unseres Vaterlandes durch.
Das preussische Heer hatte am Schlüsse des Jahres 1861 eine Kriegs-
stärke von 700 000 Mann und stand hinsichtlich der Organisation,
Ausrüstung und Einübung den Armeen der anderen Staaten Europas
zum wenigsten gleich, in der Waffe, dem Zündnadelgewehr, war es deu
anderen aber voraus.
Am 7. April 1808 beantragte der seit 85 Jaliren in Driesen im
Amte befindliche Bürgermeister wegen Krankheit seine Pensionierung,
und am 10. Juni IHM wählte die Stadtverordneten -Versammlung den
Polizei-Verwalter des Grafen Brühl aus Pforten, Namens Rhode, zu
seinem Nachfolger.
Da der Kirchhof an der alten Netze voll war, wurde der neue längs
der Karlstrasso angelegt und am 18. Oktober 1808 vom Oberpfarrer
Cattin eingeweiht.
Im September 1808 wurde hier ein Zweigverein vom Landsberger
Kredit- Verein errichtet, um den hiesigen Gewerbetreibenden und Land-
wirten der Umgegend gegen angemessene Sicherheit zu jeder Zeit Geld
zu verschaffen.
Nach einer am 3. Dezember 1804 aufgenommenen Personenstands-
nachweisung hatte Driesen 4424 Einwohner.
Anfang Februar begann der Feldzug gegen Dänemark, zu dem auch
mehrere Driesener eingezogen waren und an dem sie aktiv teilnahmen.
Als die Kunde vom Sturm auf die Düppeler Schanzen hier eintraf, fanden
grosse Kundgebungen statt.
Im Jahre 1805 wurde das Dorf Neuteich vom hiesigen Oberpfarr-
amt abgezweigt und der Neu- Anspacher Pfarrgemeinde zugelegt. Es ver-
blieben hiernach noch bei der Oberpfarre ausser Stadt und Amt Driesen die
Gemeinden Hammer mit eigener Kirche, Vordamm, Mühlendorf, Salz-
kossäthen, Sehlsgrund, Langstheerofen und die Etablissements der Ober-
försterei Driesen. Vom Diakonat wurden Trebitsch, Gottschimm, Nen-
Ulm, Militzwinkel abgetrennt und im ersteren Orte ein neuer Pfarrer für
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Adolf Reckling:
diese Gemeinden eingesetzt. Dem Diakonat Driesen blieben fortan noch
die Gemeinden Kietz, Neu-Dessau, Alt- und Neu Beelitz und Schöneberg.
Der Bürgermeister Rhode war zum Bürgermeister in Könitz gewählt
und gab seine Stelle am 15. Februar 18150 liier auf; für ihn wählte
die Stadtverordneten -Versammlung am 3. Mai 18*50 den Aktuar Emil
Jacobitz aus Frankfurt a. O., welcher am 10. Mai desselben Jahres vom
Landrat von Zastrow in sein hiesiges Amt eingeführt wurde.
Im Mai 1S00 begannen die Feindseligkeiten zwischen Preussen und
Österreich. Täglich gingen auf der Ostbahn Militärzüge durch, und am
27. Mai 1800 kam hier das Füsilierbataillon vom 4\l Regiment ins Quartier,
welches von sämtlichen Wirten aufs beste verpflegt wurde. Den Ehe-
frauen der einberufenen Reservisten und Landwehrmänner wurden neben
den Kreisunterstützungen viele freiwillige Beitrage gegeben. Beim Ein-
treffen des Sieges von Königgrätz wurden überall hier die Häuser geflaggt.
Aus diesem Kriege kehrten alle Driesener wieder zurück bis auf den
Musketier Kaczinowsky, welcher an der Cholera gestorben war. Am
11. November wurde das Friedensfest kirchlich gefeiert. Ein viel
schlimmerer Feind als die Österreicher war in diesem Jahre die Cholera
für Driesen. Am 28. Juni starb der erste an dieser Krankheit, und in
der Woche vom 15. bis 22. Juli wurde für 78 Personen, die hieran ge-
storben, die Danksagung gehalten, und entfielen davon auf die Stadt
08 Fälle. Als die Krankheit immer weiter um sich griff, Hess der
Bürgermeister Jacobitz auf beiden Marktplätzen einige 40 Theertonnen
und mehrere Haufen Kiefern-Strauch abbrennen und einige Wagen mit
brennenden Theertonnen durch die Strassen fahren, um durch den Theer-
geruch die Luft zu reinigen. Es starben in diesem Jahre 310 Personen
in Driesen, davon 158 an der Cholera.
Im Jahre 1807 erwarben die katholischen Einwohner, 100 Seelen
stark, in der neuen Strasse das Haus No. 15 und errichteten darin eine
katholische Kirche und Privatschule.
Als Entschädigung für die neueingeführte Grundsteuer erhielt die
Stadt 3473 Thaler incl. der bis zum Jahre 1807 aufgewachseneu Zinsen.
Durch Besch luss der städtischen Behörden wurde am 2. Mai 1808
das Schulgeld in der Elementarschule aufgehoben.
Zwischen Stadt und Forstfiskus kam am 10. Oktober 1808 ein Ver-
gleich wegen der Weide in der Königlichen Forst zu Stande, wonach
die Stadt eine Landabfindung von 340 Magd. Morgen an der Königlichen
Lubiathfliesser Forst von dieser erhielt.
Da in diesem Jahre auch das Saizmonopol aufhörte, wurde das
Königliche Salzhaus an der neueu Brücke, Richtstrasse No. 14, im
öffentlichen Termin an den Kaufmann Gustav Adolf Sauer verkauft
Gleichzeitig hörte nach dem Freizügigkeitsgesetz das Einzugsgeld auf.
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Geschichte der Stadt Drieaen.
65
Im Jahre 1869 erbaute der Mühlenbesitzer Leopold Stoltz auf dem
Judenberge hinter dem jüdischen Kirchhofe eine neue Darapfsehneideinühle,
der von der Königlichen Regierung der Name „Carlsmühle" und dem
dahinter liegenden Berg der Name „Carlshöhe" beigelegt wurde.
Mitten im tiefsten Frieden erscholl plötzlich am IG. Juli 1870 der
Kriegsruf und durch Kabinets-Ordre war die Mobilmachung der ganzen
Armee befohlen. Es galt dem Erbfeind Preussens und Deutschlands,
desHalb standen mit Preussen die jetzigen Staaten des deutschen Bundes
treu bei einander.
Am 27. Juli fand ein allgemeiner Buss- und Bettag statt, und Gott
erhörte der Deutschen Gebete und war mit Deutschlands Fürsten und
ihren Armeen. In vieleu glänzenden Schlachten wurde Frankreich ge-
schlagen, und König Wilhelm von Preussen erhielt als „Kaiser Wilhelm"
am 18. Januar 1871 zu Versailles die Kaiserkrone. Beim Friedensschluss
fielen die alten deutschen Provinzen „Elsass" und „Lothringen" wieder
an Deutschland zurück und Frankreich hatte ausserdem 5 Milliarden
Thaler an Kriegskosten zu zahlen.
Am 18. Juni 1871 ward in allen Kirchen des Landes und so auch
hier das Friedeusfest gefeiert. Der Kreis Friedeberg hatte an Unter-
stützungen für Frauen der eingezogenen Landwehrmänuer und Reservisten
5000 Thaler gezahlt, davon entfielen auf Driesen 442 Thaler 9 Groschen.
Am 13. Mai 1871 wurde auf dem Festungsplatz eine aus der
städtischen Forst entnommene Friedenseiche gepflanzt, uud der Bürger-
meister Jacobitz führt dies in seinem Verwaltungsbericht hierüber an und
äussert den Wunsch, „dass die Eiche wachsen und gedeihen uud vom
schönsten Punkte des Ortes aus mit weitverbreiteten Zweigen einst eine
glückliche Stadt beschatten möge".
Da im Jahre 1872 in Driesen die Pocken heftig auftraten und viele
Personen daran starben, die in Körben und gewöhnlichen Wagen zur
Leichenhalle geschafft wurden, so wurde vom Schmiedemeister Zander in
Friedeberg ein Leichenwagen für 410 Thaler gekauft.
Der Bürgermeister Jacobitz war in Züllichan zum Bürgermeister
gewählt uud verliess am 1. Juli 1873 Driesen. An seiner Stelle wählte
die Stadtverordneten-Versammlung am 19. Juli 1873 den bereits 21 Jahre
hier angestellten Kämmerer Julius Adolf Koch zum Bürgermeister, der
am 8. August desselben Jahres in sein Amt vom Landrat von Bornstedt
eingeführt wurde. Die Kämmcrerstelle ging von dieser Zeit ab ein und
wurde ein Stadtkassen-Rendant angestellt. Der erste Rendaut war der
Polizei-Verwalter und Rechnungsführer Genschmer aus Berneuchen. Zum
unbesoldeten Beigeordneten wählte die Stadtverordneten- Versammlung
an Stelle des Kämmerers Koch in demselben Jahre den Rentier Ferdinand
Modro.
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G6
Adolf Reckling:
Am 4. Januar 1874 fanden nach der neuen Kirchengemeinde-Ordnung
vom 10. September 1873 liier die ersten Wahlen statt, und es wurden
gewählt in den Kirchenrat: derBeigeordnete Modro, die UatmännerHeiurich
Mareks, Ferdinand Klauss, der Rektor Greulich und der Heutier Carl
Stoltz aus Driesen, der Fabrikbesitzer Krüger aus Vordamm und der
Gutsbesitzer Sch wandt aus Salzkossäthen. Der Patron, die Königliche
Regierung, ernannte zum Patronatsältesten den Major a. I). von Heyn.
Am 1. Juli 1874 trat die Kreis-Ordnung in Kraft. Infolgedessen
wurden die Kämmereidörfer Neu - Ulm und Militzwinkel von der
Polizei -Verwaltung in Driesen abgezweigt und mit den Gemeinden
Trebitsch und Siel» zu einem Amtsbezirk vereinigt und der frühere
Mühlenbesitzer Ferdinand Büttner aus Trebitscher-Mühle als Amts-Vor-
stcher daselbst eingesetzt. Zu derselben Zeit hörte auch in Driesen das
Königliche Rentamt auf, und der letzte Rentmeister Schulz wurde als
Kreisausschuss-Sekretär nach Friedeberg N.-M. versetzt.
Am 1. Oktober 1874 trat das Gesetz über die Beurkundung des
Personenstandes in Kraft, und zum Standesamtsbezirk Driesen wurden Anst-
und Freigut Driesen, Vorwerk Holm und die Gemeinde Kietz zugelegt. Der
Bürgermeister Koch wurde Standesbeamter und der Beigeordnete Modro
sein Vertreter. Sämtliche Geburten, Eheschliessungen und Todesfälle
mussten von dieser Zeit an auf dem Staudesamt beurkundet werden.
Bei der Volkszählung am 1. Dezember 1875 betrug die Einwohner-
zahl in Driesen 4200 Personen, die Häuserzahl 371.
Die Gemeinheitsteilung der städtischen Grundstücke war soweit
vollendet, dass den Bürgern und der Kommune in diesem Jahre nach
einem vorläufig unterzeichneten provisorischeu Recess die neuen Pläne
überwiesen werden konnten. Die Stadtgemeinde Hess ihre Pläne vom
Bauunternehmer Braun in Morgenparzellen einteilen und verpachtete sie
öffentlich.
Im Jahre 1876 kam gegen das bisherige Weidegeld bereits ein Mehr
von 3(i(>3 Mk. ein. Das Etatsjahr wurde, wie beim Staat, auch bei den
Kommunen von 1878 ab auf den 1. April gelegt.
Am 7. April 1 879 starb der Bürgermeister Julius Koch, welcher
27 Jahre als Kämmerer und als Bürgermeister amtiert hatte. Am 25. Juni
desselben Jahres wählte die Stadtverordneten-Versammlung von 55 Be-
werbern den Mühlengutsbesitzer und Amts- Vorsteher Premier-Lieutenant
Reckling in Guscht zum Bürgermeister, der vom Landrat von Bornstedt
am 23. Juli 187V) in sein Amt eingeführt winde.
Zu dieser Zeit bestand der Magistrat aus nachstehenden Personen:
1. Bürgermeister Adolf Reckling; 2. Beigeordnetem Ferdinand Modro:
3. Ratmann Apotheker Robert Starke; 4. Ratmann Rentier Albert Ziegler:
5. Ratmann Reutier Wilhelm Weber; 6. Ratmann Eisen wareuhändler
Heinrich Stephan.
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Geschichte der Stadt Driesen.
07
Die Stadtverordneten-Versammlung zählte zu ihren Mitgliedern:
1. Rentier Ferdinand Schady, Vorsteher; 2. Zimmermeister Otto
Daunhoff, stellvertretenden Vorsteher; 3. Kaufmann Friedrich Matthes,
Schriftführer: 4. Rentier Wilhelm Wernhardt, stellvertretenden Schrift-
führer: 5. Kaufmann Eduard Spude; (>. Kaufmann Gustav Sauer;
7. Mühlenhesitzer Leopold Stoltz: 8. Schmiedemeister Adolf Kahel;
9. Rentier Rudolf Schnell; 10. Kammmachermeister Carl Seil; 11. Porzellan-
warenhändler Julius Wichmann; 12. Töpfermeister Franz Mareks;
13. Fleischermeister August Thiele; 14. Kaufmann Benjamin Schachian;
15. Fleischermeister Julius Klettner; lß. Rentier Albert Giesler; 17. Agent
Heinrich Grün; 18. Gäi tnereibesitzer Ernst Schmidt; 19. Färbermeister
August Grossmann; 20. Tuchmachermeistcr Rudolf Dargatz; 21. Nadler-
meister Adolf Pfeiffer. Drei Stellen waren durch Todesfall resp. Aus-
scheiden unbesetzt.
Beamte der Stadt waren: 1. Stadtsekretär Adolf Wernicke;
2. Gemeinde-Einnehmer Gustav Prietz.
Polizeibeamte: Carl Warnke und Carl Lenz. Nachtwächter und
Schuldiener: Carl Krause; Nachtwächterund Totengräber: Julius Hohm;
Nachwächter und Ausrufer: Carl Lange; Forstaufseher: Jacob Tetzlaff
und Krankenwärter Wilhelm Schröder; Aichmeister: der Fabrikbesitzer
Gustav Stiller.
Kirchenbeamte: Oberpfarrer Carl Oxfort, Diakonus Reiche, Kantor
August Brödtler, Organist Cujus, Küster Ferdinand Widinsky, letztere
drei zugleich Lehrer an der Elementarschule, an welcher ferner amtierten:
der Rektor Köhn, Lehrer Royer, Lehrer Dossow, Lehrer Friedrich
Geuschmer, Lehrer Müller, Lehrer Lange, Lehrer Wolf, Lehrer einer.
Cantor Schmidt, Lehrerin Mosler und Handarbeitslehrerin Pauline Geb-
hardt, die in (> Knaben- und (i Mädchenklassen den Unterricht erteilten.
Das Stadtgebiet umfasste 1(302 ha, davon gehörten der Kämmerei
459 ha incl. 98 ha Forst und Wiesen.
Am 1. April 1879 ward in Driesen die obligatorische Fleischschau
eingeführt und die Untersuchung der Schweine auf Trichinen und Finnen
dem Tierarzt Thuueke übertragen, welcher ausser einer Untersuchungs-
gebühr von 75 Pfg. pro Schwein für die Beaufsichtigung der Wochen-
märkte pro Jahr 600 Mk. erhielt.
Das Resultat der Fleischschau im Jahre 1880 ergab folgendes: Es
wurden untersucht 1892 Schweine, von denen 12 finnig, 5 trichinös und
5 an Rotlauf erkrankt befunden, teils minderwertig verkauft, teils dem
Abdecker übergeben wurden.
Im Jahre 1879 wurde der Bau der Provinzial-Chaussee nach Birn-
baum bis zur Wilhelms -Strasse hierselbst vollendet und im nächsten
Jahre bis Vordamm fertiggestellt. Nach einem mit der Provinz ge-
schlossenen Vertrag gab die Stadt Driesen die Unterhaltung der neuen
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Adolf Hackling:
Brück«' und der Richtstrasse gegen 18 (.H.K) Mk. Entschädigung an die
Provinz Brandenburg ab und liob den Brückenzoll, der ca. 1HX) Mk.
jährlich einbrachte, auf.
Am I. April IST1.) errichtete der Gymnasiallehrer Schröder im Hause
Festungsplatz No. III eine höhere Privat -Knabenschule und erhielt von
der Königlichen Regierung die Genehmigung, die Schüler dieser Anstalt
bis zur Sekunda eines Gymnasiums vorzubereiten. Um das Bestehen
dieser Schule zu sichern, zahlte die Stadt einen jährlichen Zuschuss von
1000 Mk. ge»-en Gewährung von 8 ganzen und 12 halben Freistellen für
befähigte arme Kinder der Stadt Driesen. Zugleich erhielt Fräulein SeUo
von der Itcgierung «lie Konzession zur Errichtung einer höheren Privat-
Mädchensehule. Im Hause Neuestrasse No. 15 befand sich, wie noch
heute, eine katholische Privatschule und Kirche unter Leitung des
Vikars Willnich.
Am 11. .Juni 1879 wurde die goldene Hochzeit Sr. Majestät des
Kaisers und der Kaiserin gefeiert und nach beendetem Gottesdienst das
Gitter um die Friedenseiche eingeweiht.
Vom 1. Oktober IST'.) ab, dem Tage der Einführung der neuen
Geriehtsorganisation, blieben in Driesen nur noch '2 Amtsrichter, und
die bisherigen Amtsgerichtsrät«' Roquette und Cantian Hessen sich
pensionieren. An ihre Stelle traten der Amtsrichter Max Fromme uud
der Amtsrichter Mankiewicz, nachdem «lie Stellen einige Monate von
den Gerichts- Assessoren Krumm und Jerichow verwaltet waren. Zum
Amtsanwalt war «1er Forstkassen - Rendant Georg Kamcke bestellt und
als Schiedsmann der Goldarbeiter Schlecht gewählt.
Am 1. Juli IST9 war der Kentier Ferdinand Klauss, der viele
Jahre, von 1841 ab, zuerst Stadtverordneter und zuletzt Katmann, aus
dem Magistrat ausgetreten und ihm der Titel „Stadtältester* verliehen
worden.
Infolge der örtlich verbundenen Lage der Gemeinde Kietz und der
Güter Amt und Freigut Driesen wurden behufs besserer Kontrole diese
vom Amtsbezirk Vordanim abgezweigt und in polizeilichen Sachen am
I. November IST'.) der Polizei-Verwaltung in Driesen unterstellt.
Am 8., \). und 10. Juli 1880 tagte in Driesen der Märkische Forst-
verein, an welchem «ler Regierungs-Pi äsident Graf von Villers, der Über-
forstmeister von Waldow und 80 Mitglie«ler des Vereins teilnahmen und
bei der Bürgerschaft einquartiert wurden. Am ershm Abend war ge-
selliges Zusammensein im Festungsgarten. Freitag, den {). Juli, vor-
mittags c.) I hr eröffnete der Oberforstmeister von Waldow im Restaurant
Spilke, Richtstrasse No. 8, die VIII. Versammlung des Vereins. Nach-
mittags fand ein F«'stessen im Gesellschaftshanse, Richtstrasse 2a, statt,
an welchem sich der Magistrat uml zahlreich die Bürger beteiligten.
Abends war Konzert im Festungsgarten, und am 10. Juli wurde die
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Geschichte der Stadt Driesen. 09
Königlich Steinspringer und Königlich Driesener Forst besichtigt. Mit
dem Jahre 1881 hören in Driesen die lokalen Bezeichnungen Alt- und
Neustadt und Sand und Posetier Vorstadt auf, da die Stadt au Stelle der
bisherigen 4 Bezirke in Ii eingeteilt und au Stelle der fortlaufenden
Nummern an den Häusern solche nach den Strassen gegeben wurden
und die Vorstadt neue Strassennamen erhielt.
Dem 1. Bezirk wurden zugewiesen: die Kietzerstrasse, Hinter- und
Mittelstrasse, der Kirchplatz und die Schulgasse. Vorsteher des Bezirks:
Schnhmachermeister Julius Born: Stellvertreter: Händler Adolf Teske.
Zum 2. Bezirk gehörten: Richtstrasse, Alter Markt, die Holm- und
Marktstrasse und die Kirchgasse. Vorsteher: Gerbermeister Rudolf
Schwarz; Stellvertreter: Klempnermeister Hermann Stössel.
Zum 3. Bezirk: die Grusen-, Breite- und Netzstrasse und der Neue
Markt. Vorsteher: Porzellanmaler Adolf Mennig; Stellvertreter: Hotel-
besitzer Julius Boeck.
Zum 4. Bezirk: die Neue- und Festungsstrasse und der Festungsplatz.
Vorsteher: Heilgehülfe Rudolf Oswaldt: Stellvertreter: Mühlenbesitzer
Ferdinand Janetzky.
Zum 5. Bezirk: Brückenkopf-, Neuanspacher-, Wasser-, Schützen-
und Acker - Strasse und Driesener Feld. Vorsteher: Vorwerksbesitzer
Rudolf IJettig; Stellvertreter: Webermeister Friedrich Polensky.
Zum t>. Bezirk: Wilhelms-, Friedrich-, Carl-, Garten-, Schweriner-
und Neu-l'linerstrasse. Vorsteher: Kaufmann Heinrich Rädel; Stellver-
treter: Rentier Gustav Siebert.
Der Standesamtsbezirk hatte öoTS Einwohner und es wurden l SS 1
geboren LMM Kinder. Hiervon entfielen auf die Stadt Driesen 1S5,
darunter Kl unehelich, auf Kietz IS, darunter 2 unehelich und auf Amt
und Freigut Driesen mit Vorwerk Holm (». Bei den Geburten waren
2 Zwillings- und eine Drillingsgeburt. Es starben in diesem Jahre
UV.) Personen, dabei befanden sich S Totgeborene, in Driesen 145, in
Kietz 2\ und Amt Driesen i). Ferner wurden 4'A Ehen geschlossen.
Nachdem bereits 1S80 die Riehtstrasse und der Alte Markt wie die
Mittelstrasse zur Hallte umgeptlastert worden war, wurde in diesem Jahr«'
der Neue Markt, die Marktstrasse und Breitestrasse sowie die llolmstrassc
zwischen der Breitenstrasse und Grusen>trasse un ige pflastert und diese
Arbeiten wieder dem Steinset/.ineister Stiehl in Landsberg a. W. über-
tragen. Derselbe musste sämtlich«« Materialien, soweit sie nicht beim
alten Pflaster vorhanden waren, liefern und erhielt pro Quadratmeter Kopf-
steinpflaster 'J,70 Mk. und pro Quadratmeter rundes Pflaster Iii) Pfennige.
Auf Anregung des Kaufmanns Eduard Spudc, der eine Schrift zur
Errichtung eines Denkmals für den Geheimen Ober-Finanz - und Domänen- Hat
Franz Balthasar Schönberg von Brenkenhofl" über dessen Leben und Wirken
herausgegeben hatte, trat unter dem Vorsitz des Landrats von Bornstedt
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Adolf Reckling:
am Sonntag, den 15. Mai 1881 ein zu diesem Zweck gebildetes Komitee
im Bahnhof Friedeberg N.-M. zur ersten Sitzung zusammen. Erschienen
waren ausser den Nachkommen des zu Feiernden, des Majors von Knobels-
dorft'-Mansfelde und des Rittmeisters von Knobelsdorff-Pehlitz, der Ritter-
gutsbesitzer von Rietz-Lielitenow, Bürgermeister Oberstlieutenant Zöllner-
Friedeberg, Oberbürgermeister Meydam-Landsberg a. W., Deichhauptinann
Müller und Stadtrat Röske ans Landsberg a. W., Rektor Sieber-Küstrin,
Bürgermeister Reckling-Driesen und der Mühlenbesitzer Leopold Stoltz
und Kaufmann Eduard Spude- Driesen. Da zu beregtem Zweck bereits
3500 Mk. gesammelt waren, wurde dem anwesenden Bildhauer Steine-
mann, einem Schüler Drakes, welcher in Friedeberg N.-M. das Krieger-
denkmal gefertigt, das in Driesen auf dem Neuen Markt zu errichtende
Brenkenhoffs Deukmal für den Preis von 58(10 Mk. übertragen. Der
Kreistag bewilligte hierzu gleichfalls 1000 Mk.
Auf Grund der Novelle zur Gewerbe-Ordnung wurden in Driesen
1884 die nachbenannten Innungen reorganisiert: 1. die Fleischer-,
2. die Schuhmacher-, 3. die Schneider-, 4. die Böttcher-, 5. die Tuch-
macher-, ('). die Bauhandwerker-, 7. die Tischler-, 8. die Müller-, (J. die
Gold-, Silberarbeiter-, Klempner-, Uhrmacher-, Nadler-, Gelbgiesser- und
Kupferschmiede-, 10. die Gerber-, Kürschner-, Sattler-, Handsehuhmacher-
und Buchbinder-, 11. die Schmiede-, 1*2. die Bäcker-, 13. die Schlosser-,
Feilenhauer- und Büchsenschmiede-, 14. die Stellmacher-, 15. die Barbier-
Innung, lt>. die Töpfer-, Maler-. Glaser - Innung neugebildet und die
Weber-Innung aufgelöst, da Meister dieses Gewerbe nicht mehr betrieben.
In diesem Jahre wurde auch das alte Gerichtsgefängnis abgebrochen
und auf dem Gerichtshofe ein neues erbaut.
Im Frühjahr 1882 verkaufte die Stadt den Verschönerungsgarten
an der alten Netze in Grösse von 35 ar mit der Verpflichtung, darauf
ein Fabriketablissement zu errichten oder ein Haus zu erbauen, an den
Mühlenbesitzer Leopold Stoltz für den Preis von 21 350 Mk. Zugleich
wurde ihm die Verpflichtung auferlegt, den Treidelsteg an der alten
Netze für die Schifffahrt freizuhalten.
Am 1. Mai 1882 erhielt der Bürgermeister Reekling als Hauptmann
der Landwehr-Infanterie die Bezirks-Kompagnie Drieseu des 2. Bataillons
5. Brandenburgischen Landwehr - Regiments No. 48. Zum Bezirk der
3. Kompagnie gehörten die Kontrol platze Woldenberg, Sehüttenburg,
Di iesen I, Driesen II, Modderwiese und Guschter - Holländer, wo im
Frühjahr und Herbst die Kontrolversammlungen abgehalten wurden.
Am 21. Mai 1882 fand auf dem Neuen Markt in Driesen die
Grundsteinlegung zum Brenkenhoff- Denkmal statt. In den Grundstein
wurde eine kupferne Kapsel mit dem nachstehend aufgeführten Inhalt
gefügt:
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Geschichte der Stadt Driesen. 71
1. Nachrichten über den Kreis Friedeberg vom Landrat von Bornstedt:
2. Nachrichten über Brenkenhoff und seine Schöpfungen in und uni
Cüstrin vom Kektor Sieber daselbst ;
o. Nachrichten über die Familie von Brenkenhoff vom Rittmeister Hugo
von Knobelsdorff-Pelilitz :
4. Nachrichten über die Entstellung des Denkmals, unterzeichnet von
allen Komiteemitgliedern ;
ö. Nachrichten über die unter Leitung des Geheimen Oberfinanzrats
von Brenkenhofl* in den Jahren 1704 bis 1774 und unter Leitung
anderer Manner in den Jahren 177Ö bis 17S8 im Warthebruch
ausgeführten Meliorationen vom TViehhauptmaun Müller in Lands-
berg a. W. ;
(>. Historische Nachrichten der Stadt Driesen vom Beigeordneten
Modro-Driesen:
7. Driesener Zeitungen vom November und Dezember 1881, worin die
Arbeiten Brenkenhoffs im Netzbrueh nach Baudirektor Hahns Auf-
zeichnungen vom Beigeordneten Modro-Driesen veröffentlicht sind;
8. Ein Lebensbild Brenkenhoffs vom Kaufmann Eduard Spude-Driesen;
II. Verwaltungsbericht der Stadt Driesen über den Stand der
Gemeinde-Angelegenheiten pro 1880/81 vom Bürgermeister Keckling-
Driesen;
10. Verwaltungsbericht der Driesener (iewerbebank pro 1 SSI ;
11. Handzeichnung vom Netzebruch des Friedeberger Kreises vom
Bürgermeister Keckling;
\'J. Plan der Neumärkische!» Stadt und Schanze Driesen, gezeichnet von
Pressi, kopiert vom Bürgermeister Keckling;
13. Verwaltungsbericht der Stadt Cüstrin pro 1SSO 81;
14. Verwaltungsbericht der Stadt Landsberg pro ISSOSI;
lö. Phui zur Erweiterung der Stadt Driesen nebst der Festung Driesen
von L. Hahn, Königlicher Baudirektor, kopiert von Bürgermeister
Keckling;
HS. Plan der Stadt Driesen vom Jahre 1 SS 1 , gezeichnet vom Bürger-
meister Reckling;
17. Widinungsurkunde fler städtischen Behörden zu Driesen, unter-
zeichnet von allen Mitgliedern;
18. Ein Steffenscher Kalender vom Jahre 1SSO;
Die neuesten Zeitungen und Münzen.
Die Feier eröffnete der Driesener Gesangverein „Harmonie** mit
dem Choral „Lobe den Herrn**, worauf der Bürgermeister Keckling die
Festrede hielt und zum Schluss den Landrat von Bornstedt, als Leiter
• les Friedeberger Kreises, aufforderte, die ersten Hammerschläge vor-
zunehmen, der «lies mit einem Hoch auf den Kaiser ausführte. Nach
dem Landrat folgten mit den nachstehend aufgeführten Widmungssprüchen:
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Adolf Reckling:
Major von Knobelsdortt-Brenkenhoff-Mansfelde :
„Treue dem Fürsten, den Gott uns gegeben,
„Liebe zum Nächsten und selbstloses Streben
„Führet zu Werken, die ewiglich leben."
Rittmeister von Knobelsdorfl-Brenkenhoff-Pehlitz:
„Die gross geschaut, die gross gebaut,
„Die schlummern in den Särgen.
„Möge die Nachwelt und die Gegenwart eingedenk sein,
„Dass die Macht und das Gelingen durch Selbstlosigkeit erlangt
„sind".
Gymuasial-Direktor Schneider-Friedeberg N.-M. :
„Schaffen und Streben
„Zum Besten des Ganzen
„Das ist Leben".
Amtsrichter Fromme-Driesen :
„Mit Gott für König und Vaterland!"
Amtsrichter Dr. Mankiewicz-Driesen :
„Es kann die Spur von seinen Erdentagen
„Nicht in Äonen untergehen!"
Rechtsanwalt Dr. Pöppel-Driesen :
„Stelle fest und trotze dem Sturm der Zeit als ein bleibendes
Denkmal verehrungswürdiger Dankbarkeit gegen die Todten!"
Beigeordneter Modro-Driesen :
„An Gottes Segen ist Alles gelegen, Er spende ihn auch auf
dieses Denkmal der Dankbarkeit!"
Stadtverordneter, Kaufmann Ed. Spude-Driesen :
„Gottes Mühlen mahlen langsam aber fein, Ihr goldenes Mehl
ist Wahrheit und Gerechtigkeit!4'
Rektor Sieber- Cüstrin:
„Was uns noth thut, uus zum Heil
Ward's gegründet von den Vätern;
Doch das ist nun unser Theil,
Dass wir sorgen für die Späteren!"
Bürgermeister, Oberstlieutenant Zöllner-Friedeberg:
„Ehre der Stadt Driesen, die das Andenken der Stadt Driesen
in dieser Weise ehrt!"
Stadtverordneter, Dampfmühlenbesitzer Leopold Stoltz-Driesen :
„Der erste Schlag sei Dankbarkeit,
„Dem Hingeschiedenen geweiht;
„Der zweite gilt der Thätigkeit,
„Die über uns den Segen streut,
„Der dritte für das Musterbild
„Der Gegenwart und Zukunft gilt".
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Geschichte der Stadt Driesen.
73
Bürgermeister Reekling-Driesen :
„Ihm ist die That gelungen, er scheute keine Müh',
„Er hat den Kranz errungen, der Nachwelt Sympathie!"
Hierauf sprach der Oberprediger Oxford ein Gebet, womit die
offizielle Feier der Grundsteinlegung schloss. Es folgte darauf ein Fest-
essen im Hotel Böck. Die schönen Toaste, die dabei ausgebracht
wurden, schreibt die „Landsberger Zeitung", charakterisieren sich am
besten, wenn wir von ihnen sagen, dass auf sie zutrifft der Vers, der
nicht immer von Rednern beherzigt wird:
„Nicht leicht mag trocken scheinen,
Ein Toast bei guten Weinen.
Sollst doch nur den ausbringen,
Der klingt — ohn' Gläserklingen".
Zugleich brachte die „Landsberger Zeitung" auf der Mitte des über
die Feier ausgegebenen Extrablatts das Bildnis von Brenkenhoff mit
seinem Namenszug.
Nur wenige Monate später, am Sonntag, den 20. August 1H82, fand
die feierliche Enthüllung des Brenkenhoff - Denkmals statt, wobei ganz
Driesen im Flaggenschmuck prangte.
Bei der im Jahre 1882 stattgehabten Berufszählung für das deutsche
Reich wurden in Driesen gezählt:
316 Haushaltungen, in welchen Landwirtschaft betrieben wurde,
24ß Gewerbe, welche mit einem Gehülfen oder Lehrling und mehr
arbeiteten und 4848 anwesende Personen.
An Vieh waren vorhanden 128 Pferde, 201 Stück Rinder, 31 '.I.Schweine,
47 Schafe, 23 Ziegen und 36 Bienenstöcke.
Im Jahre 1883 erbaute der Zimmermeister Otto Dannhoff auf
seinem Grundstück, Friedrichstrasse No. 4, eine neue Dampfschneide-
mühle, die vierte in der Stadt und legte mit Genehmigung der städtischen
Behörden einen Schienenstrang über die Karlstrasse bis zur alten Netze
an, um die Hölzer aus dieser vermittelst eines Drahtseils direkt zur
Mühle zu bringen. Für diese Erlaubnis ist vom Unternehmer eine
jährliche Abgabe von 30 Mk. zur Kommunalkasse zu zahlen.
Tin Januar 1883 starb in Berlin der Rentier E. H. Schnell, ein
geborener Driesener und vermachte der Stadt seinen beim Kranken-
hause in der Schwerinerstrasse belegenen Garten von 71 Quadratruten
und den Annen 3000 Mk.
Die den Gebrüdern Robert und Julius Wende in der Netzstrasse No. 4
gehörige Tuchfabrik brannte im August 1883 nieder. Hierbei stellte sich
heraus, dass die Pflichtfeuerwehr veraltet war und ihrem Zweck nicht mehr
entsprach, daher gründete der Kaufmann Hermann Ziegler eine freiwillige
Feuerwehr, welche vom Brandmeister Fichtner aus Berlin ausgebildet
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74
Adolf Reckling:
wurde. Die Pflichtfeuerwehr ist dein Kommando der freiwilligen unter-
stellt und wird als Druckmannschaft verwendet.
Das Stiftungskapital des Beinertscheu Waisenstifts war bereits im
Jahre 1882 vom Amtsgericht in Höhe von 57 042,50 Mk. behufs Erbauung
des Waisenhauses ausgezahlt und dies wurde von dem Maurermeister Zöllner
im folgenden Jahre fertiggestellt, sodass am 1. Dezember 1883 die ersten
5 Waisenkinder darin aufgenommen werden konnten. Der Geheim-
sekretär Beinert hatte «ler Stadt Driesen zu diesem Zweck ein Legat
überwiesen, welches durch Zusehreibung der Zinsen auf 45 000 Mk. an-
wachsen sollte und hiernach sollte die Stadt «lie Anstalt einrichten. Da
aber der Fonds zu dieser Zeit bereits auf OOOOOMk. angewachsen war,
und der Bau nebst Einrichtung 18 000 Mk. gekostet hatte, so konnten
45 000 Mk. noch hypothekarisch angelegt werden. Ausser den Zinsen
hiervon erhält das Stift noch nach Abzug der Legatzinsen jährlich
ca. 1000 Mk., sodass die statutenmässig aufzunehmende Zahl von 6 bis
8 Kindern sehr gut verpflegt werden kann. Zum Kuratorium gehören
ein Magistratsmitglie«l als Vorsitzender und 2 von «ler Stadtverordneten-
Versammlung zu wählende Mitglieder. Ins Stift dürfen nur Waisen-
kinder aus «ler Stadt Driesen und dem ehemaligen f!an«lgerichtsbezirk
Driesen aufgenommen werden, und Kinder aus der Stadt haben den
Vorzug. Den Vorsitz im Kuratorium übernahm der Bürgermeister
Keckling und in dasselbe gewählt wurden der Kaufmann Ed. Spmle und
der Apotheker Conrad. Zu Waiseneltern wurde der Mühlenmeister Tobias
Tourbier und dessen Ehefrau bestellt.
Die Umpflasterung des inneren Teiles der Stadt wurde im
Jahre 1884/85 vollendet, sie hat «ler Kommune im ganzen 55 333,70 Mk.
gekostet. Diese Kosten wurden gedeckt durch «len angesammelten
Strassenpflasterungsfomls in Höhe von 1)449,33 Mk., «lurch eine Anleihe beim
Städteunterstützungsfonds von 35000 Mk. und «lurch die Anzalüungauf den
Platz an «ler alten Netze in Höhe von 0204 Mk., welchen der Kommerzien-
rat Stoltz gekauft hatte.
Die Handarbeitslehrerin Fräulein Pauline Gebhardt und ihre Tante
Fräulein Meissner vermachten der Stadt kurz vor ihrem Tode anfangs
Dezember 1885 ein Legat von 2000 Mk. unter der Bedingung, von «len
Zinsen ihre Gräber zu unterhalten uml den Cberschuss, «ler
alljährlich ca. 78 Mk. betragen hat, zur Christbes« heerung armer Schul-
kinder zu verwenden.
Da die Schulzimmer in der El«Mnentars«:hule überfüllt waren, so
wurden ans Mädcheuschulhaus vier Klassenzimmer ang«*baut und «liese
am 1. Oktober 1880 b««zogen. Zugleich wurden von den bisherigen
0 Klassen 7 für die Knaben- und 7 für «lie Mädchenschule eingerichtet
und «'in Mittelschullehrer, der Kealgvmnasiallehrer Michell, neu als
13. Lehrer augestellt.
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Geschichte der Stadt Priesen.
75
Am 25. Januar 1887 starb der Kaufmann Eduard Spude. Derselbe
war 40 Jahre lang ein thätiges Mitglied der Stadtverordneten-Versaininlu um-
gewesen, deren Vorsteher er 28 Jahre lang war.
Um das Betteln mehr und mehr einzuschränken, wurden im Friede-
berger Kreise. 5 Pflegestationen eingerichtet, in den drei Städten je eine,
die beiden anderen in den Gemeinden Guscht und Wugarten. Die
Wanderer werden in den Stationen verpflegt und erhalten Nachtquartier,
jedoch sollen sie hier dafür arbeiten. Diese Einrichtung kostete dem
Kreise 24 ü> Mk. Gleich im ersten Jahre waren in Driesen 2214 Personen
verpflegt. Durch Kreistagsbeschluss vom 10. Dezember 181)5 gehen die
Pflegestationen wieder ein.
1887 erhielt die Stadt aus dem Nachlas« der verstorbenen Kentiere
Oberfeldt geborenen Selchow ein Legat von (>U0 Mk., deren Zinsen zum
Weihnachtsfest an Arme jährlich zu verteilen sind. Ebenso vermachte
der Rentier Ed. Spude dem Hospital 300 Mk. mit der Bestimmung, dass
die Zinsen am 20. Juli jährlich, dem Geburtstage seiner Ehefrau, an die
Hospitaliten zu verteilen sind.
Der Kaufmann Albert Labus und die Rentiere Johanne Gumpert-
Berlin vermachten dem Hospital 900 Mk. mit der Bestimmung, dass den
Hospitanten am Geburtstage des Kaisers von den Zinsen ein Mahl,
bestehend aus Schweine- oder Kalbsbraten, Backpflaumen und je einer
Flasche Braun- oder Weissbier zu geben und der daun verbleibende Cber-
schuss zu verteilen sei.
Von den 16 neuorganisierten Innungen hatten die Schuhmacher-,
Tischler-, vereinigte Töpfer-, Maler- und Glaser-, die Bäcker- und ver-
einigte Kürschner-, Gerber-, Sattler-, Buchbinder- und Handschuhmacher-
Innung die Vorrechte des § HM)" der Reichsgewerbe -Ordnung erhalten,
wonach nur Mitglieder dieser Innungen Lehrlinge halten dürfen.
Zweimal erscholl im Jahre 1888 der Trauerruf durch unser deutsches
Vaterland: zuerst am *J. März, als unser allgeliebter Kaiser Wilhelm I.
und am 15. Juni, als sein grosser Ilcldcnsohn, der edle Dulder, Kaiser
Friedrich starben. Der Magistrat und die Stadtverordneten hatten
jedesmal Beileidsadressen, sowohl den hinterbliebenen hohen Witwen,
der Kaiserin Augusta und der Kaiserin Victoria, wie den regierenden
Kaisern, Friedrich und unserem jetzigen allgemein geliebten und ver-
ehrten Kaiser Wilhelm IL, übersandt.
Vierzehn Tage wurden täglich mittags von 12 bis 1 Uhr die Glocken
geläutet, und wie überall im Vaterlande, wehten auch hier an den
Häusern die Trauerfahnen. Der Kampfgenossen- und Militär -Verein
hatte zur Beerdigung des geliebten Landesfürsten Deputationen mit ihren
Fahnen entsandt.
Am 1. April 1888, zur Zeit als die Glocken am J. Osterfeiertage
zur Kirche einläuteten, drangen infolge des Walldurchbruchs bei
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I
76 Adolf Reckling.
Alt -Beelitz und Neu - Dessau die Fluten der Netze auf unsere Stadt ein
und überschwemmten den an der alten Netze gelegenen Teil. Nur mit
grösster Anstrengung wurde die Polnische- und die Mühlenbrücke ge-
halten. Die freiwillige Feuerwehr rückte mit Kähnen zur Rettung der
Bewohner von Neu-Dessau am 1. und 2. April aus. Die erst neuerbaute
massive Amtsbrücke wurde zum grössten Teil und die Kosterbrücke
ganz fortgerissen. Der Damm nach Vordamm lag teilweise einen halben
Meter unter Wasser, und der Verkehr nach Vordamm fand auf Kähnen
statt. Reichlich gingen, von auswärts die Unterstützungen für die Über-
schwemmten ein, und der Magistrat in Driesen verteilte dieselben in
Höhe von 45 259 Mk., in Sachen und Naturalien von Neubeelitz ab in
den Gemeinden bis zur Grenze des Landsberger Kreises. Die Alt-
Beelitzer Brücke war gleichfalls fortgerissen, und diese Gemeinde erhielt
zum Bau der neuen Brücke einen Staatszuschuss von 35 000 Mk. Zur
Begrüssung der Kaiserin Friedrich, welche am 9. Juni 1888 von der
Besichtigung des Überschwemmungsgebietes in Elbing zurückkehrte,
hatten sich imter Führung des Bürgermeisters Hauptmanns Reckling in
Driesen der Militär- und Kampfgenossen -Verein in Driesen und der
Krieger -Verein in Kreutz daselbst auf dem Bahnhofperron aufgestellt.
Nachdem der Hauptmann Reckling bei Ankunft Ihrer Majestät die Ver-
eine gemeldet, schritt Ihre Majestät die Front derselben ab und lud den
Hauptmann zur Tafel, wo er seinen Platz neben Ihrer Königlichen
Hoheit der Priuzess Victoria erhielt. Der Stadtmusikus Kunze aus
Driesen, den die Driesener Vereine mitgenommen hatten, spielte während
der Tafel auch den Fackeltanz von Meyerbeer, wobei Ihre Majestät zum
Ober-Präsidenten Grafen v. Zedlitz äusserte, dass dieses Stück bei ihrem
Einzüge in Berlin nach ihrer Verheiratung gespielt worden wäre, als die
Garde-Korps die Quadrille geritten hätten. Der Herr Oberpräsident er-
klärte hierauf, dass er damals diese mitgeritten hätte. Am 8. August 1888
erhielt der Bürgermeister Reckling als Vorsitzender des Unterstützungs-
Komitees von Seiner Majestät «lein Kaiser den Kronen-Orden IV. Klasse
und der Händler Emil Becker für Hülfeleistung bei den Rettungsarbeiten
das Allgemeine Ehrenzeichen. An die Aushändigung der Orden durch
den Landrat von Bornstedt schloss sich ein Festessen im Hotel Boeck
an, an welclwt'm 84 Personen aus der Bürgerschaft teilnahmen.
Am 22. Juni 1890 erschien das Gesetz über die Invalidität*»- und
Altersversicherung, welches am I. Januar 1891 iu Kraft trat. Die
Polizei -Verwaltung hatte hierzu iHHJI Versicherungskarten und über
2000 Arbeitsbescheinigungen auszustellen. Von den Bewohnern der Stadt
Driesen erhielten bereits MS Personen, welche über 70 Jahre alt waren,
Altersrente, davon die männlichen Personen 11,25 Mk., die weibliehen
8,90 Mk. pro Monat.
Da nach der Volkszählung am 1. Dezember 1890 die Einwohnerzahl
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Geschichte der Stadt Driesen.
77
der Stadt Driesen auf 5 KM gestiegen war, erliess der Magistrat ein Orts-
Statut, nach welchem infolge Genehmigung durch Verfügung des Herrn
Regierungspräsidenten den unbesoldeten Magistratsmitgliedern vom
12. Januar 1891 ab statt des bisherigen Charakters „Ratmann" der Titel
„Ratsherr" gegeben wurde.
Am 24. Juni 1891 wurde der Recess über die Gemeinheitsteilung
abgeschlossen. Die Kämmerei erhielt hiernach 450 ha 33 ar 00 Quadrat-
meter Acker, Wiesen und Forst, das Hospital 1 ha 48 ar 50 Quadrat-
meter Wiesen und die Armenkasse 1 ha 4(J ar 40 Quadratmeter Wiesen,
in Summa 459,31,50 ha mit 202,34 Mk. Grundsteuer.
Am 1. April 1892 wurde das Gesetz über die Selbsteiuschätzung
zur Staatseinkommensteuer vom 24. Juni 1891 eingeführt. Driesen mit
Amt und Freigut, Holm und Kietz wurde zum 37. Voreinschätzungs-
bezirk des Kreises zusammengelegt, der Bürgermeister Reckling zum
Vorsitzenden und der Beigeordnete Modro zum Stellvertreter bestellt.
Am 1. Oktober 1892 übernahm der Scliulvorsteher Dr. Lorenz eine
höhere Privatknabenschule in Osterburg i. d. Altmark; um hier diese An-
stalt zu erhalten, kaufte der Magistrat das Grundstück Festungsplatz No. 19
an uud übertrug die Leitung dieser Schule dem Gymnasiallehrer Einst
Schulze aus Seehausen.
Durch Beschluss des Bezirks-Aussehnsses zu Frankfurt a. (>. wurden
am 1. April 1S94 die Güter Amt und Freigut Driesen mit 7 bebauten
Grundstücken und 72 Seelen, wie 15 ha 25 ar Gärteu und Wiesen und
durch Allerhöchsten Erlass des Königs vom 19. Februar 1894 am
1. April 1894 auch die Landgemeinde Kietz mit 30 bebauten Grund-
stücken, 430 Seelen uud 143 ha Wiesen in den Stadtbezirk Driesen ein-
gemeindet. Gegen die Eingemeindung von Kietz hatten die städtischen
Behörden protestiert, wurden jedoch mit ihrer Beschwerde am
15. November 1893 abgewiesen, da ein öffentliches Interesse zur Ein-
gemeindung vorlag.
An Gemeiudeeigentum erhielt die Stadt, die Schulgrundstücke, welche
sofort wegen der Baufälligkeit des Schulhauses verkauft wurden und
5930 Mk. brachten. Die zum Schulhausgrundstück gehörende Fischerei-
gerechtigkeit, welche die Fischerei auf der Neuen Netze von Vordamm
bis Gurkovv, von der Mündung der Drage auf dieser stromaufwärts bis
Friedrichsdorf und auf der alten und faulen Netze mit ihren Keigevvässern
umfasst, behielt der Magistrat für die Stadtgemeinde zurück. Ferner
übernahm die Stadt eine Hypothek für ein lleuablösungskapital der
Schulstelle in Höhe von 1237,50 Mk., eine andere für Holzablösung
über 419,80 Mk. und einen Baarbestand von 487,30 Mk. in der
Gemeindekasse.
Infolge dieser Eingemeindung wurden die eisten 4 Bezirke neu ein-
geteilt und folgeudermasseu zusammengelegt:
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78
Adolf Reckimg:
I. Bezirk: Kietzerstrasse, Kietz, Kirchplatz und Hinterstrasse.
84 Grundstücke und bei der Aufnahme im November 1895 1 337 Seelen.
Bezirks-Vorsteher wurde der frühere Kietzer Schöffe Eigentümer Leopold
Mitling, dessen Stellvertreter der Viehhändler Fritz Höhne.
II. Bezirk: Mittelstrasse, Alter Markt, Schul- und Kirchgasse.
58 Grundstücke mit 881 Seelen. Vorsteher des Bezirks: Kaufmann
Adolf Teske und dessen Stellvertreter Nadlermeister Wilhelm Brose.
III. Bezirk: Rieht-, Markt-, Grusen- und Holmstrasse und Neuer
Markt. (.IS Grundstücke mit 1110 Seelen. Vorsteher des Bezirks der
Mehlhändler Carl Lettner und dessen Vertreter der Kaufmann Heinrich
Pfeiffer.
IV. Bezirk: Breite-, Netz-, Festungs- und Neuestrasse und der
Festungsplatz. 107 Grundstücke mit 1151 Seelen. Vorsteher des
Bezirks: Rentier Gustav Zoch und Vertreter: der Schlossernleister
Carl Ziebarth.
V. Bezirk: Brückenkopf-, Neu-Anspacher-, Wasser-, Schützen- und
Ackerstrasse und Driesener Feld. 43 Grnndstücke mit 705 Seelen.
Vorsteher: Stadtmusikus Wilhelm Kuntze, Vertreter: Rentier August Kehn.
VI. Bezirk: Wilhelm-, Friedrich-, Schweriner-, Carl-, Garten- und
Neu-Ulmerstrasse. 00 Grundstücke mit 820 Seelen. Vorsteher: Fabrik-
besitzer Ernst Schrinner, Vertreter: Kaufmann Paul Helhvig.
Im Ganzen waren bei der Aufnahme Ortsbewohuende 6010 Seeleu
gezählt worden, während die Volkszählung am 2. Dezember 1895 nur 5897
ergeben hatte, davon 2801 männliche und 3058 weibliche Personen, welche
in 488 Wohnhäusern und 2 Baulichkeiten gezählt wurden. Dieselben
lebten in 1278 Haushaltungen von einer und mehr Personen und 159 in
Einzelhaushaltungen. Von den Gezählten waren 5327 evangelische,
409 katholische, 4 altkatholische und 7 lutherische Christen, 110 Juden
und 2 Dissidenten.
Die am 14. Juni 1895 stattgehabte Berufszählung ergab für Driesen
1414 Haushaltungen mit 2705 männlichen und 2987 weiblichen Personen,
von denen 344 Landwirtschaft und 250 ein Gewerbe mit einem und mehr
Gehilfen oder Lehrlingen betrieben.
Von den Gewerbetreibenden ist zur ersten Gewerbesteuerklasse die
Firma C. Stoltz veranlagt, deren Inhaber der Königliche Kommerzien-
rat Leopold Stoltz ist, der dieses Geschäft zu einem Weltgeschäft erhoben
hat und ausser der hier gelegenen Wassermühle wie Dampfmahlmühle
in der Stadt und Dampfschneidemühle daselbst, den Dampfschneidemülden
„Johanna- Mühle" und „Carlsmühle" noch mehrere Mühlen in Ost- um!
Westpreussen besitzt. Seinem für Driesen jahrelangen, segensreichen
Wirken wurde durch sein am 24. November 1895 erfolgtes Ableben ein
Ende gesetzt. Das Geschäft übernahmen seine Söhne, der Premier-
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Geschichte der Stadt Driesen.
79
Lieutenant der Landwehr -Kavallerie Ernst Stoltz und der Sekonde-
Licutenant der Reserve Leopold Stoltz.
Zur zweiten Gewerbesteuerklasse gehören :
1. die Seifenfabrik E. A. Ladiseh, Inhaber: Kaufmann Rudolf
Ladiseh und
2. die Baufirma Gustav Polensky und August Zöllner, welche Mit-
erbauer des Nordostsee -Kanals sind und zur Zeit grösser«»
Arbeiten in Emden am Dortniund-Ems-Kanal ausfuhren.
Zur dritten Gewerbesteuerklasse gehören 33 Gewerbetreibende,
dabei arbeiten mit Dampfbetrieb:
1. die Schneidemühle des Zimmermeisters Otto Dannhoft",
2. die Destillation des Kaufmanns G. A. Sauer,
3. die Destillation des Kaufmanns Ed. Spude, Inhaber Kaufmann
Max Spude,
4. die Gelbgiesserei A. Stiller, Inhaber Fabrikbesitzer Gustav Stiller,
5. die Spinnerei und elektrische Anlage der Gebrüder Robert und
Julius Wende,
0. die Molzbearbeitungs-Fabrik H. 0. Ziegler und Comp., Inhaber
Kaufmann Hermann Ziegler und Kaufmann Franz Hollstein,
7. die Brunnen- und Landwirtschaftliche Maschinen -Fabrik von
Ernst Schrinner.
Zu dieser Gewerbesteuerklasse gehören ferner die Brauerei von
Hermann Kuntzmüller und von Tobias-New-York, die Essigfabrik von
Friedrich Mattlies und die Bildhauerei von Marutzky.
Zur vierten Gewerbesteuerklasse gehören 142 Gewerbetreibende.
Die aufkommende Gewerbesteuer betrug im Etats jähr 1895 ;9(i <>b49 Mk.
und die Betriebssteuer von 37 Gast- und Schankwirten ÜÖO Mk.
Im Standesamtsbezirk Driesen, zu welchem auch das Vorwerk II« »Im
geholt, waren 1895 geboren 190 Kinder gegen 223 des Vorjahres; von
den Geboreneu waren 16 unehelich. Es starben 188 Personen gegen
141 des Vorjahres. Von den Gestorbenen befanden sich im Alter von
80 bis 90 Jahren 9 und 2 Personen im Alter von (,)0 bis 100 Jahren.
Ehen waren 30 geschlossen.
Auf Grund der Versicherungsgesetze erhielten am Schluss des
Jahres 1895
5(> Personen (>5S9,80 Mk. Altersrente,
20 Personen 2393,40 Mk. Invalidenrente und
28 Personen 3*81,40 Mk. L'nfallrente.
Zusammen 12S74,(>0 Mk. pro Jahr.
Am 5. Oktober 1894 starb in Berlin ein ehemaliger Driesener, der
hier im Hause Richtstrasse No. 27 und Marktstrassenecke geborene
Rentier Louis Roedel, welcher ein Legat von 100 000 Mk. mit der
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80 Adolf Reckling:
Bestimmung vermachte, dass dieses Legat den Namen „Louis und Annette
Roedel-Stiftung" führen und am Hochzeitstage des Stifters, dem 3. Juni,
jährlich ein Viertel der Zinsen an bedürftige Driesener verteilt werden
solle. Dreiviertel der Zinsen werden dem Kapital zugeschrieben, bis
dieses die Höhe von 200 000 Mk. erreicht, worauf wie vor, ein Drittel
der Zinsen verteilt werden und zwei Drittel dem Kapital zuwachsen, bis
dieses zwei Millionen Mark beträgt, dann hat die Stadt ein Waisen-,
Kranken- oder Siecheuhaus zu bauen, in welchem die Aufgenommenen
alles frei haben. Die Gelder sind zu vier Prozent hypothekarisch aus-
geliehen und wurden am o". Juni 18% schon 1000 Mk. an Arme verteilt,
während nach 100 Jahren über 25 000 Mk. zur Verteilung kommen.
An weiteren Legaten besitzt die Stadt:
2. Das Legat von Fräulein Meissner-Gebhardt in Höhe von 2000 Mk.;
aus den Zinsen sind die Gräber der Eltern und Stifterinnen zu
unterhalten, während der Überschuss, der zur Zeit 7H Mk.
beträgt, zur Christbeseheerung armer Schulkinder verwendet
wird. Fräulein Pauline Gebhardt war viele Jahre Handarbeits-
lehrerin an der Elementarschule und hatte während dieser Zeit
stets für die armen Kinder viel gethan und gewirkt, wie sie
ebenso als Vorstandsdame des Frauenvereins eine reiche Arbeits-
kraft entfaltet hatte.
){. Das Legat der Reutiere Charlotte Oberfeldt geb. Selchow mit
000 Mk., dessen Zinsen zum Weihnachtsfest au Arme verteilt
werden.
4. Das Legat der verwitweten Förster Wilhelmiue Schmalowsky
mit (1U0 Mk. Von den Zinsen werden der Stifterin und deren
Ehemannes Gräber unterhalten; der Überschuss kommt deu
Hospitaliten zu.
5. Das Legat des Kaufmanns Alexander Gebhardt mit 500 Mk. mit
der gleichen Bestimmung.
G. Das Legat des Kaufmanns Paul Spude mit 1000 Mk., welches
nach dem Besehluss der Stadtverordneten zur Zeit noch seiner
Bestimmung harrt.
7. Das Legat von Fräulein Henriette Würl mit <>00 Mk., wovon
während der Lebenszeit der Stifterin diese noch die Zinsen bezieht
und hiernach deren Grab zu unterhalten ist.
S. Ein Legat des ehemaligen Fechtvereins, zur Zeit 407,05 Mk., welches
zur Errichtung einer Kleinkindcrbcwahranstalt bestimmt ist.
Ferner besitzt das Hospital nachstellende Legate:
',). Legat der Frau Major von Groeben mit 450 Mk. Von den
Zinsen wird deren Grab unterhalten, der Überschuss fliesst zur
Hospitalkasse.
10. Legat Getzlaff mit 200 Mk. zu derselben Verwendung.
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Geschichte der Stadt Priesen.
81
11. Das Rentier Klaff kesehe Legat mit fiOO Mk. desgleichen.
12. Das Legat des Kaufmanns Eduard Spude mit 300 Mk. Die
Zinsen werden am Geburtstage der Ehefrau des Stifters, am
20. Juli, jährlich verteilt.
13. Das Legat des Kaufmanns Albert Labus und Frau Gumpert mit
1100 Mk. Von den Zinsen werden die Hospitaliten am Geburts-
tage des Kaisers gespeist; diese haben davon Kalbs- resp.
Schweinebraten, Backobst, geschälte Kartoffeln und je eine
Flasche Braun- oder Weissbier zu erhalten und den hiernach
verbleibenden Überschnss in Geld.
12. Das dem Magistrat zur Verteilung übergebene Legat des Rentiers
E. H. Schnell von 301)0 Mk., welches bis zum 31. März 1895
noch 518,71 Mk. betrug.
15. Am 1. April 1895 betrug das unter Verwaltung des Kuratorii
des Beinertschen Waisenstifts stehende Kapitalvermögen dieses
Stifts 47 400 Mk. excl. des Wertes der Gebäude. Vom Stifts-
kapital, welches der Kurator Oberstlientenaut a. D. von Rabenau
in Magdeburg für die Erben verwaltet, flössen der Waisenstifts-
kasse nur noch jährlich 800 Mk. zu. Im Stift befinden sich zu
dieser Zeit 13 Kinder.
Der Wunsch nach einem öffentlichen Schlachthause bestand in
Driesen seit 17 Jahren und nachdem die Angelegenheit wiederholt ab-
gelehnt war, beschlossen die städtischen Behörden am 18. Mai 1895 ein
solches zu erbauen und zum Schlachthausverband die Gemeinde Vordamm
mit heranzuziehen. Ein zu diesem Zweck aufgestelltes Verbandsstatut
wurde am 2. November 1895 von den Behörden der Stadt Driesen und
Vordamm genehmigt. Im Bezirk der Stadt Driesen waren im Jahre 1895
auf dem Fleischschauamt 2(>44 Schweine gescldachtet und auf Trichinen und
Finnen makroskopisch und mikroskopisch untersucht worden. Dem Fleisch-
schauamt stand der Tierarzt I. Klasse Theodor Hohenhaus vor, der für
die Untersuchung eines jeden Schweines 75 Pfennige erhielt, aber aus
der Gesamteinnahme nebenbei 2 Trichinenbeschauer zu besolden hatte.
Die Zeitpächte und Mieten der städtischen Grundstücke, die in der
Mitte der achtziger Jahre 21 000 Mk. betragen hatten, sind infolge der
schlechten Lage der Landwirtschaft im Etatsjahre 1894/95 auf 181<>(y$3 Mk.
herabgegangen, jedoch waren sämtliche Kämmereiländereien verpachtet
gewesen. Die 98 ha grosse an den Bila wer- Wiesen belegene Stadtforst
zeigt durchweg einen guten Bestand und liefert den Bedarf an Bau- und
Brennholz für die kommunalen Gebäude der Stadt.
Die aus Fachwerk im Jahre 1752 erbaute evangelische Kirche ist
so baufällig, dass der Neubau derselben schon im Jahre 188G beschlossen
wurde. Die erste vom Königlichen Baurat Giebe in Friedeberg gefertigte
Zeichnung wurde vom Herrn Minister verworfen und eine zweite
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82
Adolf Reckling:
Zeichnung, vom Professor Adler nach der Thomas-Kirche in Berlin und
der neuen Kirche in Luckenwalde entworfen, wegen der schlechten
Akustik in diesen Kirchen vom Gemeinde-Kirehenrat und der Gemeinde-
Vertretung in Driesen angelehnt. Die kirchlichen Behörden Hessen
hierauf auf eigene Kosten vom Geheimen Regierungsrat Professor Johannes
Otzen, dem Erbauer der Lutherkirche in Berlin, einen neuen AnscMag
und eine Zeichnung fertigen, der in der Sitzung am 15. Januar 18Wi von
den kirchlichen Behörden einstimmig angenommen wurde und der
Königlichen Regierung zur Befürwortung beim Herrn Minister eingereicht
ist. Die Kosten zur neuen Kirche sind ohne die innere Einrichtung auf
240 000 Mk. berechnet, und da die Kirchengemeinde arm ist, muss die
politische Gemeinde die Baugelder übernehmen. Das Vermögen der
letzteren betrug am Schlüsse des Etatsjahres 1894 U5 nach Abzug der
Schulden in Höhe von 35 500 Mk. 34 274,(55 Mk., dazu tritt der Wert
der Kämmereiländereien und städtischen Gebäude in Höhe von
000 000 Mk. Zur Bestreitung des städtischen Bedarfs wird neben den
vom Staate seit dem 1. April 18t>5 überwiesenen Realsteuern ein Zu-
schlag von 90";,, von der Staatseinkommeiisteuer erhoben, jedoch werden
hieraus zugleich die Kreissteuern, welche 28,,;'0 betragen, bestritten. Die
Kreissteuern sind infolge der Kreischausseen sehr hohe, da vom Jahre
1888 ab die Strassen von Friedeberg nach Tankow, von Friedeberg nach
Schönrade, von Friedeberg nach Wugarten, von Woldenberg nach
Lammersdorf, von Driesen nach G lischt, von Driesen nach Neuteich und
von Friedeberg-Bahnhof bis zur Netze mit Brücke und von hier bis zum
Auschluss an Chaussee Driesen - Guscht chausseemässig ausgebaut sind
und zu Anschlusspflasteruugen au diese Chausseen 20 000 Mk. in den
Kreisetat eingestellt werden.
Iu der Stadt Driesen bestehen drei Leichensocietäten, welche am
Schlüsse des Jahres 18U5 nachstehenden Vermögensbestand hatten:
I. Leichensocietät: 411» Mitglieder, zahlt (.M) Mk. Sterbegeld. Es
werden bei jeder Leiche von jedem Mitgliede 30 Pfennige Beitrag er-
hoben. Vermögen: IO870/J5 Mk.
II. Leichensocietät zahlt (>0 Mk. Sterbegeld. Die Mitgliederzahl ist
unbeschränkt. Mitgliederbeitrag für die älteren Mitglieder pro Monat
28 Pf., für neuaufgenommene 15 Pf. Vermögen: 5128/.I4 Mk.
III. Leichensocietät zahlt 75 Mk. Sterbegeld und hat 410 Mitglieder.
Ks werden bei jeder Leiche 25 Pfg. Beitrag erhoben. Das Vermögen
beträgt 80(J3,Sü Mk.
Jedes Mitglied der I. und III. Societät, welches IM) resp. 75 Mk.
gezahlt hat, erhält einen Freischein und ist dann von Beiträgen befreit.
Die Sparkasse der Stadt Driesen ist gegrüudet mittels Statut der
städtischen Behörden vom 25. Juni 1852 und genehmigt vom Ober-
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Geschieht« der Stadt Driesen. 83
Präsidenten der Provinz Brandenbnrg, Staatsminister Flottwell, unterm
21. September 1852. Unterin 30. April 1881 ist für die Sparkasse von
dem Magistrat ein revidiertes Statut erlassen worden, welches unterm
25. Mai 1881 die Genehmigung des Ober - Präsidenten der Provinz
Brandenburg, Staatsminister a. D. Achenbach, erhalten hat. Zu diesem
jetzt gültigen Statut sind unterm 14. April 18(JÜ und 4. März 1895 Nach-
träge erlassen worden.
Die erste Einlage in die Sparkasse ist am 16. November 1852 von
der unverehelichten Wilhelmine Granow hierselbst mit 80 Thalern erfolgt.
Nach dem 25 jährigen Bestehen der Sparkasse am 1. Januar 1878 be-
trugen die Einlagen 106 150,23 Mk. auf 427 Büchern. Der angesammelte
Reserve-Fonds betrug zu derselben Zeit 6845,41 Mk.
Am 1 . Januar 1896 betrugen die Einlagen 1 484 365,86 Mk. und der
Reserve- Fonds war angewachsen auf 93 958,91 Mk. Im Umlauf waren
2732 Sparkassenbücher.
Die Bestände der Sparkasse Ende 1895 waren angelegt:
auf Hypotheken zu 4 u. 41/>°/o . . 900424,52 Mk.
in Wertpapieren 484 844,60 Mk.
in Wechsel- Darlehen 4 200,— Mk.
in Faustpfand-Darlehen 47 580, — Mk.
Der Zinsfuss für Einlageu beträgt 3'/:i Prozent.
Der zeitige Vorstand der Sparkasse besteht aus folgenden Personen :
Beigeordneter Ferdinand Modro, Vorsitzender,
Ratsherr Robert Starke, stellvertretender Vorsitzender,
Stadtverordneten-Vorsteher Wilhelm Ladisch,
Kaufmann Friedrich Mattlies,
Brauereibesitzer Hermann Kuntzmüller
Kaufmann Max Spude, \ ,
Kaufmann Heinrich Pfeiffer } m
Verwaltet ist die Sparkasse:
a) seit der Zeit des Bestehens bis 30. August 1873 durch den
Kämmerer Julius Koch;
b) vom 30. August 1873 bis 1. April 1878 durch den Kämmerei-
kassen-Rendanten Franz Genschmer und
c) vom letzteren Zeitpunkte ab durch den Kämmereikassen-
Rendanten Gustav Prietz.
Seit dem 1. Mai 1895 ist dem Rendanten ein berufsmässiger
Kontroleur in der Person des Kämmereikassen-Assistenten Bruno Böttger
beigegeben.
Im Oktober 1888 erliessen der Vorstand des Kampfgenossen- Vereins
und der Vorstand des Militär-Vereins einen Aufruf zur Errichtung eines
Denkmals für den Kaiser Wilhelm 1. und den Kaiser Friedrich. Um
die Sache einheitlich mit der Bürgerschaft zu fördern, trat noch in
aus der
Stadtverordneten-
Versammlung,
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84 Adolf Reckling: Geschichte der 8tadt Driesen.
demselben Jalire unter dem Vorsitz des Bürgermeisters Reckling ein
grösseres Komite zusammen, zu welchem die Stadt verordneten- Versammlung
aus ihrer Mitte den Vorsteher und drei Mitglieder wählte; der Kampf-
genossen-Verein, der Militär-, der Gesang-Verein Harmonie, der Bürger-
uud Volksbildungs - Verein und die Schützeugilde deputierten in das
Komite je ein Mitglied.
Nach jahrelanger Sammlung war es dem Komite gelungen, im Monat
März 189") bei der Erz- und Kunstgiesserei der Aktien - Gesellschaft
Schäfter und Waleker in Berlin, Lindenstrasse 18, für den Preis von
.r)(KK) Mk. das Denkmal fest anzukaufen. Auf einem Sockel von
bayrischem Granit mit polierten Medaillonflächen in Höhe von 2,70 Meter
kommt die überlebensgrosse Figur des Kaiser W ilhelms I. mit Hermelin-
nuintel, Helm mit Federbusch und der Gesetzesrolle in der Hand in
Bronze in 2,30 Meter Höhe zu stehen. Vorn auf der Medaillonfläche
befindet sich das Kopf bild des Kaisers Friedrich in Hochrelief, t»7X'r>2 cm
gross, an jeder Seite in Flachrelief die Kopfbilder des Fürsten Bismarck
und des Generalfeldmarschalls v. Moltke. Auf der Rückseite oben
das eiserne Kreuz, darunter „Wilhelm I., Deutscher Kaiser. 1 896. "
Das Denkmal wird auf dem alten Markt errichtet und wird die Auf-
stellung und Einfriedigung gleichfalls noch 1000 Mk. kosten, welche
Summe aus der Kommunalkasse gedeckt wird. Die Medaillons werden,
wie die Statue des Kaisers, aus echter Bronze hergestellt. Die Grund-
steinlegung fand am Sonntag, den 25. Mai und die Euthüllung am
Sonntag, den 7. Juni 18% statt
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Die Wandgemälde in der Kapelle St. Spiritus
zu Wusterhausen a. Dosse.
Von Karl Altrichter.
Jüngst fiel mir ein Band Zeichnungen in die Hände, an dem ich
seit 1881 mehrere Jahre mit grosser Liebe gearbeitet hatte. Dieses
Werkchen „Historisches Bilderalbum der Stadt Wusterhausen a. D."
hatte nach seiner Vollendung dem damaligen Kronpriuzen, späteren
Kaiser Friedrich, vorgelegen und in dem Grade dessen Interesse erweckt,
dass er mit der Absicht umgegangen war, dasselbe vervielfältigen zu
lassen. Leider waren die von ihm erforderten Anschläge derartig hohe,
dass er zu seinem Bedauern aussprechen musste, dass das W erk wohl
Unicum bleiben würde, da die Kosten für die Herausgabe im Verhältnis
zu dem allgemeinen Interesse dafür sich zu hoch belaufen möchten. So
blieb die Sache vorläufig ruhen.
In der neueren und ueuesten Zeit sind mehrfach dem Mittelalter
angehörige Wandgemälde in Kirchen und anderen Bauwerken entdeckt
worden. Das erwähnte Bilderalbum enthält solche ebenfalls, die jetzt
um so mehr Interesse selbst in weiteren Kreisen erregen möchten, als
ihr vollständiger Untergang nur eine Frage der Zeit ist.*)
In der ehemaligen Kapelle St. Spiritus zu Wusterhausen a. Dosse,
in der jetzt Hospitanten, teils Ortsarme, teils sogenannte Präbendaten,
untergebracht sind, und die amtlich „Hospital zum Heiligen Geist"
genannt wird, belinden sich die Überreste einer Reihe mittelalterlicher
Wandgemälde. Diese Kapelle sollte als historisches Baudenkmal für die
Nachwelt erhalten werden, nachdem durch langjährige Beobachtung fest-
gestellt worden war, dass ein grosser Mauerriss zu irgend welchen
Besorgnissen keine Veranlassung gab. Die Sache kam jedoch anders.
Der Begründer der Berliner Messingwerke, Kommerzienrat Wilhelm
Christof Bordiert, ein geborener Wusterhausener, hatte nach seinem
Testament dem Hospital seiner Vaterstadt den Betrag von 105 (XX) Mk.
mit der Bestimmung vermacht, für den Betrag von 30000 Mk. an Stelle
des Beguinenhauses, wie die Kapelle mit ihren Anbauten auch genannt
wird, für die alten Männer und Frauen ein neues, den billigen An-
forderungen der Zeit entsprechendes Haus zu erbauen und den Betrag
•) Der Abbruch ist inzwischen erfolgt.
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Karl Altrichter:
von 75 000 Mk. zur Verbesserung der Präbendatenstelleu zu verwenden.
Der Magistrat als Patron des Hospitals hatte sich mit Rücksieht auf das
bestehende Abbruchverhot vergeblich bemüht, eine geeignete anderweite
Baustelle zu finden. Es war ihm endlich gelungen, die Erlaubnis zum
Abbruch der Kapelle zu erwirken. So ist denn das Verschwinden der
vorhandenen „architektonisch und kunsthistorisch hochzuschätzenden
Ruine", wie sie der Herr Geheime Baurat Bluth nennt, gewiss.
Bestimmend für die Erteilung der Genehmigung war die hochgradige
Baufälligkeit der Ruine. Es ist jedoch Anordnung seitens des Herrn
Kultusministers getroffen worden, dass bei dem Neubau des Hospitals
der schöne Ostgiebel derselben unter Verwendung des alten
Materials und in der alten Technik wieder aufgeführt wird. Von
der Ausführung dieser Anordnung macht man sich, wie verlautet, in den
beteiligten Kreisen etwas wunderbare Vorstellungen, die im Grunde
genommen auf einem ähnlichen Aufbau in neuem Material hinauskommen.
Sie ist aber glücklicher Weise zur rechten Zeit in eine sach- und kunst-
verständige Hand gelegt worden*).
Unwiederbringlich verloren sind die Überreste alter Wandgemälde,
welche einst die Langseiten dieses Gebäudes im Innern schmückten und
deren Bedeutung annähernd noch erkennbar ist. Unter den denkbar
schwierigsten Verhältnissen ist es mir s. Z. gelungen, nachdem ich durch
vorsichtiges Anfeuchten der sorgfältig vom Staub gereinigten Wände ein
schärferes Hervortreten der Umrisse dieser Bilder hervorgerufen hatte,
dieselben zu zeichneu. Diese Arbeit war wesentlich dadurch erschwert,
dass die Beleuchtung teils ungünstig, teils garnicht vorhanden war und
ein durch das ganze Gebäude in »ler halben Höhe der Bilder gehender
Fussboden den Zusammenhang der Bildreste oberhalb und unterhalb des-
selben zerstörte. Ein genauer Auschluss beider Hälften Hess sich um
so schwieriger herstellen, als überhaupt Lücken vorhanden waren und arge
Verzeichnungen, ohne Veränderungen herbeizuführen, dies nicht gestatteten.
Bevor ich jedoch auf die nähere Beschreibung der Gemälde eingehe,
dürfte es nicht ohne Interesse sein, einen Blick auf das Bauwerk selbst
und seine Geschichte zu werfen.
Man nimmt mit Recht an, dass Wusterhausen noch zur Zeit der
Plothos, also mindestens um 1250, das Stadtrecht erlangt habe. Im
Jahre 1277 ist die Stadtkirche, wie aus einer in Wusterhausen aus-
gestellten Urkunde, in der der Bischof von Havelberg und die Markgrafen
mit ihrem Gefolge aufgeführt sind, mit einiger Sicherheit hervorgehen
*) Die hier abgesprochene Hoffnung hat sich, wie eine Besichtigung des Neu-
baues ergiebt, nicht erfüllt. Statt des monumentalen Ostgiebels sind unterhalb des
Daches und überall von demselben überragt mehrere erkerartige Anbauten errichtet,
die ganz entfernt an die Gestalt des alten Giebels erinnern. Die vom Kultusministerium
gestellte Bedingung ist somit nicht erfüllt.
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Die Wandgemälde in der Kapelle St. Spiritus zu Wusterhausen a. Dosse. 87
dürfte, geweiht worden. Im Jahre 1807 ist der Annen im Hospital zum
Heiligen Geist, denen eine immerwährende Bierspende gestiftet wird, ur-
kundlich gedacht. Die entsprechende Kapelle zum Heiligen Geist musste,
entgegen der Anführung in Bergaus Denkmälern der Mark, bereits vor-
handen gewesen sein, denn die Hospitäler entwickelten sich immer erst
im Schatten der Kapellen, von denen sie den Namen annahmen. Dazu
tritt noch folgendes. Das Wildberger Thor dieser Stadt (s. Abbildung 1),
an dem die Kapelle lag, ist längst als Baulichkeit verschwunden; es sind
jedoch unverkennbare Spuren dafür vorhanden, dass die Baulichkeiten
dieses Thores mit der Kapelle organisch verbunden waren, wie noch
tos Vi/cfaujrr jfjcr u„ Ti'utbtjjiiuvn 'lvQ,,
Abbildung 1.
jetzt aus dem Ostgiebel der Kapelle heraus sich auf der anderen Seite
die noch vorhandene Stadtmauer fortsetzt. Ks ist nicht anzunehmen,
dass die Bürgerschaft lange gezögert haben wird, ihre Stadt zu befestigen,
mindestens den Eingang durch ein massives Thor zu schützen. Da
dieses mit der Kapelle und der daranschliessenden Stadtmauer in e inem
Verbände hergestellt war, so bleibt nur der Schluss übrig, dass die Kapelle
bald nach 1250 entstand.
Der ursprüngliche Bau betrug im Lichten nur I) in in der Breite
und 5,75 ra in der Tiefe und war, wie die noch vorhandenen Spuren
unzweifelhaft erkennen lassen, mit einem Kreuzgewölbe versehen. Nach
Osten, also nach dem Stadtgraben zu, befanden sich drei sehr schmale
Fenster (im Lichten 0,10 m), während grosse Fenster, eines im Süden
und eines im Norden, der Kapelle volles Licht gaben. Die verschiedene
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88
Karl Altrichter:
Breite und Konstruktion derselben macht es aber zweifelhaft, ob von
Anfang an .schon beide vorhanden waren. Das Fenster im Süden war
ursprünglich rundbogig und es ist auf ein spitzbogiges durch einen Ein-
bau eingeschränkt. Das letztere hat 1,85 in Nischenweite, während das-
jenige im Norden spitzbogig ist und nur ca. 1,25 m Nischenweite zeigt,
Form und Mass, wie sie bei den Fenstern des späteren Anbaus wiederkehren.
Diese engen räumlichen Verhältnisse genügten vollkommen den Ansprüchen,
die an diese Thorkapelleu gestellt wurden, in denen vorherrschend
Reisende ihre Andachten zu verrichten pflegten. Der Pfeiler an der
Nordwestecke dieser Kapelle war auffallend stark; er enthielt die noch
jetzt zum Teil vorhandene Wendeltreppe und war/ wie die jetzt in Dach-
höhe erkennbare Vermaueruug der Fortsetzung der Treppe zeigt, erheblich
höher, sodass er als Ausguck dienen konnte. Vielleicht befand sich auf
diesem Turme die noch jetzt vorhandene, 1385 von Knüppel in Torgau
gegossene Glocke, die insofern interessant ist, als sich an ihr das ur-
sprüngliche Wappen der Stadt, die Plothosehe Lilie, beiindet. Im An-
fang des 16. Jahrhunderts spätestens ist dieses Lilienwappen mit dem
Arnsteinschen Adler zu dein jetzigen Stadtwappen verbunden worden.
Die Südwestecke stützte ein einfacherer Pfeiler, in dessen Südseite etwa
in Brusthöhe drei Schädel eingelassen waren, von denen Reste noch im
Aufauge der achtziger Jahre dieses Jahrhunderts vorhanden waren.
Den staftelartig aufsteigenden Ostgiebel zieren Fialen. Er ist von zwei
massigen Strebepfeilern gestützt, zwischen denen einige Reihen, allerdings
durch Verwitterung stark verletzte Rillen und Kundmarken sichtbar
sind. Die Schädel, welche wahrscheinlich von hingerichteten Ver-
brechern herrührten, weisen auf abergläubische Vorstellungen des früheren
Mittelalters. Durch dies „Opfer" sollten die Unterirdischen für die
Belastung der Erde mit diesem Gebäude gewissennassen entschädigt
und dem Bau eine lange Dauer gewährleistet werden.
Zunächst hatte diese Kapelle nach Riedel im Codex diplomatieus
Brandenburgensis nur einen, dem Heiligen Geist geweihten Altar. Uber
ihre weitere Ausschmückung ist nichts bekannt.
Nach etwa 200 Jahren erfuhr die St. Spiritus-Kapelle eine erhebliche
Veränderung.
Im Jahre 1470 wurde ein Erweiterungsbau der eingangs gedachten
Stadtkirche vorgenommen, der 1474 beendigt wurde. Augenscheinlich
eine angemessene Zeit vorher ist die Erweiterung der Kapelle eingetreten,
die ihre gegenwärtige Gestalt in den räumlichen Umrissen entstehen
Hess und zwar zu dem Zwecke, den nötigen Raum für den Gottesdienst
während des Kirchenbaues zu gewinnen. Es sind darüber zwar keine
Urkunden vorhanden, jedoch liegt dies einmal sehr nahe, zum Andern
lassen aber die Überreste der vorhandenen Wandgemälde einen ziemlich
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Die Wandgemälde in der Kapelle St. Spiritus zu Wusterhausen a. Dosse. 89
sicheren Schluss auf die Zeit der Kapellenerweiterung zu, denn Bau und
Ausschmückung werden sieher Zug um Zug erfolgt sein.
Der beschriebenen Kapelle ist ein Langhaus angebaut worden von
etwa 9 m Länge und 6,~5 m Tiefe im Lichten, welches mit einer flachen
Decke abgedeckt war, denn nirgends finden sich Spuren eines Gewölbe-
ansatzes. Dass in der That ein Anbau vorliegt, ergiebt der nicht
organische Zusammenhang mit der Mauer der ursprünglichen Kapelle,
ein erkennbarer Mauerdurchbruch an dem von Norden in die Kapelle
hineinspringenden Pfeiler, # der den Abschluss des hohen Chores andeutete
und die schiefe nach innen neigende Lage der Nordwand des Langhauses,
welche eine erheblich schlechtere Fundamentierung als die ursprüngliche
Kapelle erkennen lässt. Der ältere Kapellenbau steht noch heute tadellos
in lotrechten Wändeu.
Das Langhaus hatte auf der Südseite zwei, an der Nordseite ein
spitzbogiges Fenster und an der Südseite zwischen den Fenstern eine
ebensolche Thür. Die jetzt auch noch au der Nordseite sichtbare Thür
ist wahrscheinlich erst in späterer Zeit ganz kunstlos durch die Wand
gebrochen. Die Südwand wird von zwei Strebepfeilern gestützt. Wie
der Westgiebel gestaltet war, lässt sich jetzt nicht mehr feststellen,
nachdem im Anfang des 17. Jahrhunderts derselbe entfernt, ein weiterer
Fachwerkanbau hergerichtet und das Innere zu profanen Zwecken in
der jetzt sichtbaren Weise, wie eingangs angedeutet, umgestaltet
worden war.
Die Fenster beginnen etwa 2 in vom Fussboden der Kapelle; die
jetzige mittlere Etage, die in der Höhe der unteren Fensterkante liegt,
ist 2,27 m hoch, die darunterliegende 2 m; die Spitze der Fensterbogen
ist 0,50 m unter der obersten Mauerkante. Die Nord- und die Südwand
dieses Langhauses ist mit Überresten von Gemälden bedeckt, die sich
durch die erste und zweite Etage erstrecken und zwar dasjenige auf
Tafel II in der Breite von 2,60 m zwischen den Fenstern der Südwand,
diejenigen No. 1, 2 der Tafel III auf der östlichen Hälfte der Nordwand
in der Breite von zusammen 4 m und diejenigen No. 3 und 4 auf der
westlichen Hälfte dieser Wand. Das Bild No. Ü hat eine Breite von
2,25 m. Ob nun der westliche Teil der Südwand in einer Breite von
2,85 m gleichfalls mit Bildwerken geschmückt war, lässt sich nicht fest-
stellen. Es ist nicht wahrscheinlich, weil die Symmetrie dadurch gestört
worden wäre und es vielleicht auch an der nötigen Beleuchtung gefehlt
hätte. Eher könnte man annehmen, dass hier eine Empore aus Balken
errichtet war zur Aufnahme der Posauuenbläser. Sehr alte Posaunen
befinden sich noch in der Kirchenbibliothek.
Die ursprüngliche Kapelle, die nun den hohen Chor darstellte,
trug, wie einzelne Konturen erkennen lassen, gleichfalls bildnerischen
Wandschmuck, jedoch lässt sich kein rechter Zusammenhang in das
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no
Karl Altrichter:
Liniengewirr hineinbringen. Gegen Ende des 17. Jahrhunderts war noch
mehr davon erhalten. Es ist eine Notiz aus jener Zeit vorhanden, die
das zweifellos crgiebt. Augenscheinlich ein Kirchenbeamter hatte an
diesen Bildern ihm fremde Sehriftzeichen, auf die ich später zurück-
komme, entdeckt und, nachdem er dieselben abgezeichnet, darunter ver-
merkt: „Diese Buchstaben oder Charakters sind in der hiesigen
Hospital - Kirche au der Wand an einem Heiligen oder Königlichen
Bildnis um den Hals oder Aufschlag des Gewandes gemalt mit schwarzer
Farbe, befindlich am Ende der Kirche oder hinter dein Altar, wo das-
selbe zu stehen pflegt, weil das gewesene Gewölbe eingefallen und ein
leimerner Boden, dass unten Leute wohnen können, über welchen Boden
solche Bilder zu sehen. Ob es nun des Heiligen Name oder die Jahres-
zahl daraus zu machen, ist mir unwissend44. Wenn der Chronist auch
etwas aus der Satzkoustruktion gefallen ist, bleibt es doch sicher, dass
der hohe Chor, die Umgebung des Altars, und zwar auch etwa '2 m
über dem Fussboden beginnend, mit Gemälden geschmückt war.
Im Anfang des lü. Jahrhunderts fand hier noch ein zweiter Altar
seine Aufstellung. Vor dem Kyritzer Thor lag die St. Georgskapelle.
Diese war in Verfall geraten und wurde ihr Altar und ihr Einkommen
mit der St. Spiritus-Kapelle vereinigt.
So blieb die Sache bis zur Einführung der Reformation. Dann
scheint die Kapelle als solche bald aufgegeben worden zu sein. Nach
einigen Menschenaltern wurde sie profanen Zwecken geweiht. Zwei
Fussböden wurden durch das Langhaus gezogen, das Kreuzgewölbe ge-
sprengt und in der Höhe des ersten Fussbodens die „leinierne" Decke
angebracht, um die Stube für deu Hausvater des Hospitals herzustellen,
auch Schiff und Langhaus in der ersten und zweiten Etage durch eine
Lelunstakwand getrennt. Der Staker hat nun in diese folgendes ein-
gegraben: „Anno Killi, den 12. Septembr. H. GVLOW44. Damit scheint
mir die Zeit der Umgestaltung zweifellos festgestellt. Die beiden über-
einanderliegenden Böden, sowie der über dem Altarraum wurden teils
zu gewerblichen und militärischen Zwecken, teils im Interesse des
Hospitals verwertet. Dass die Wandbilder dadurch nicht gewannen,
liegt auf der Hand. Schon vorher mögen sie teils durch das Einbringen
der Balken und das Entfernen des Westgiebels, teils durch das Hernnter-
strömen von Regenfluten durch das vermutlich schadhaft gewordene
Dach nicht unerheblich beschädigt worden sein. Einzelne Figuren
.machen geradezu den Eindruck, als ob sie durch wiederholtes Herunter-
treiben von Wasser zur Hälfte herausgewaschen seien.
Bei diesem Umbau ist das Fenster der Nord wand des Langhauses
bis auf den Kaum zu einer Pforte vermauert. Die übrigen Fenster sind
durch Hineinbauen von Steinen auf gewöhnliche Fensteröffnungen ver-
engert. Zu der Vermauerung hat man die zerschlagenen Dienste, die
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Die Wandgemälde in der Kapelle St. Spiritus zu Wusterhausen a. Dosse. <)\
eine sehr sorgfältig ausgeführte und gefüllige Form aufweisen, als ge-
wöhnliches Baumaterial mitverwendet. In dieser schonungslosen Zer-
störung künstlicher Gehildc und ihrem demnächstigen Verbrauch könnte
mau den Anfang einer Verrohung des Geschmackes erblicken, die aus
einer gleichen Beschaffenheit der Gemüter entspringend, die Rohheiten
des darauffolgenden dreissigjährigen Krieges die Zeitgenossen wohl
weniger hart empfinden Hess.
Ich wende in ich zu den Bilder resten selbst.
Das Bild an der Südwand der Kapelle (s. Tafel II umstehend) stellt
zweifellos den Moment dar, als der Heiland unter der Last des Kreuzes
zusammengebrochen war. Der im Vordergründe stehende Krieger, der
dem Beschauer zum grössten Teil seine Rückenansicht darbietet, ist
augenscheinlich bemüht, das Kreuz hochzuziehen, damit der Heiland sich
wieder erheben kann. Der bestimmende Teil dieses Bildes ist leider so
verwischt, dass nur lose und matte in Schwarz und Rot ausgeführte
Vorzeichnungen zu sehen sind, aus denen mit einiger Mühe der Zusammen-
hang herauszulesen ist.
Die aus dem Haufen der Begleiter hoch aufragenden Gestalten
eines Mannes und einer Frau stellen augenscheinlich Josef und Maria
dar. Die in einer gemalten Nische dargestellten betenden Kinder sind
von unendlichem Liebreiz, während die sonstige Begleitung teils Hohn,
teils brutalen Stumpfsinn in den Gesichtszügen erkennen lässt. Nur
Josef scheint tröstend und begütigend auf die trauernde Mutter Gottes
einzureden. Die mittlere Partie, in der die meisten Köpfe liegen, ist
durch einen Zufall ausserordentlich gut, namentlich in den Farben,
frisch erhalten. Dicht am Fussbodel) befand sich ein etwa 30 cm hohes
Holzpaneel, das ich erst entfernte, um die Zeichnung auszuführen.
Dieser Bildstreifen lässt erst einen richtigen Schluss auf die Farben-
pracht sämtlicher Darstellungen machen, zumal in den Bildern ait der
Nordwand mit Ausnahme weniger lebhafter Farben eine bräunliche
Grundfarbe herrschend ist. Auch der Untergrund dieses Bildes zeigt,
soweit noch erkennbar, eine bräunlich-rote Färbung. Mit Rücksicht auf
die geinalte Nische wäre es denkbar, dass zur Darstellung der Strasse
jetzt verwischte Gebäude den Hintergrund bildeten.
Die Nordwand enthielt in seinen 4 Einzeldarstellungen (s. Tafel III
umstehend) einen abgeschlossenen Kreis aus «1er Märtyrergeschichte.
Leider ist das 4. Bild bis auf einen schmalen Streifen mit dem ab-
fallenden Mauerputz verloren gegangen. Immerhin lässt sich aus diesem
Rest der Gegenstand der Darstellung folgern. Es wird ein wüstes
Durcheinander von Gemordeten und Trauernden, die von den geliebten
Toten Abschied nahmen oder sie aufhöbe?», um sie fortzutragen, gewesen
sein. Einen Zusammenhang in diese 4 Darstellungen zu bringen dürfte
um so weniger schwierig sein, als man weiss, wem die Kapelle dereinst
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92
Karl Altrichter:
geweiht war. Den Glanzpunkt scheint «las zweite Feld unter Zugrunde-
legung des 9. Kapitels der Apostelgeschichte zu bilden, zu dem die
anderen Fehler mehr oder weniger Erläuterung sind. Auf Feld 1
erscheint vor dem römischen Richter, der auf dem Riehterstuhl sitzt, iu
Figur 'A augenscheinlich ein gefesselter Christ; schräg hinter ihm steht
ein Wachmann, der an dem Ende seines Spiesses als solcher erkennbar
wird. Zwischen dem Gefesselten und dem Richter sind Überreste einer
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Die Wandgemälde in der Kapelle St. Spiritus zu Wustorhausen a. Dosse. lX\
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94 Karl Altrichter:
Figur erkennbar, vermutlich eines Liktor oder sonst einer teils zur Be-
dienung, teils zur Beschützung des Richters bestimmten Person.
Der Inhalt der Verhandlung und das ergangene Urteil kann dem
kein Geheimnis sein, der die Geschichte der Christenverfolguugen auch
nur oberflächlich kennt: Abdikation oder Tod.
Das schon erwähnte zweite Bild zeigt im Vordergrunde einen Mann
in der Kleidung des mittelalterlichen Henkers. Seine Eigenschaft als
Heide findet ihren Ausdruck in dem Halbmond an der hohen Mütze,
sein Handwerk in einer Schlinge, die er in den Händen hält. Zu be-
merken ist, dass die Haltung des Kopfes eine solche ist, als ob dieser
Mann etwas überrascht nach oben blicke. Von den Augen ist leider
nur die Zeichnung der Lider erhalten. Mindestens gewinnt man den
Eindruck, als ob sein Blick den beiden Gefesselten links nach der Thür
(Fenster der ehemaligen Kapelle) nicht gelte. Die Bruchstücke der
zwischen ihnen und dein Henker stellenden Figur könnten die eines
Wächters oder Kriegers sein. Die beiden Gefesselten stehen schräg
hintereinander. Von der vordereu ist wesentlich der Kopf und am
besten das eine Auge erhalten. Dasselbe, etwas zu Boden gerichtet,
trägt einen melancholischen, totmüden Ausdruck. Von der Figur dahinter
ist ausser den Umrissen besonders die Fesselung der Hände und das
Oberkleid, nach Schnitt und Geschmack des 15. Jahrhunderts, leidlich
erhalten. Der Ausdruck für eine Handlung fehlt in diesem Bilde. Diese
nur anzudeuten, entspricht nicht dem ästhetischen Geschmack des Mittel-
alters. Leider ist der obere Abschluss dieses Bildes vollständig von
der Wand gewaschen, sodass nicht einmal die leisesten Umrisse eineu
Anhalt für die Deutung geben können. Nach meiner Auffassung ist hier
doch eine Handlung dargestellt, aber eine überirdische, die mithin nur
in ihrer Wirkung erscheint. Oben habe ich schon auf die Bekehrung
des Saulus hingewiesen. Die Stellung des Henkers widerspricht nicht
der Annahme, dass auch aus einer leuchtenden Wolke an ihn die Frage
erging: „Warum verfolgst Du mich?" Ich halte es sogar für wahr-
scheinlich, dass die Augen nicht mit einer Irls versehen waren, um das
Geblendetsein zum Ausdruck zu bringen. Der Henker erblindete wie
einst Saulus auf dem Wege nach Damaskus; er konnte demnach auch
sein Henkeramt nicht ausüben. Er steht mit dem Strick in der Hand
wie versteinert. Die Schlussfolgeruug aus diesem Bilde liegt wie bei
dem ersten dieser Abteilung nahe. Auch hier findet als solche sich nur
eine einzige: der heidnische Henker wird zum Christentum bekehrt.
Zugleich aber wird er sehend, ähnlich wie der geblendete Saulus im
Anschluss an Apostelgeschichte Vers 17 und 18. Besouders für die
Örtlichkeit ist massgebend: „Der Herr hat mich gesandt, dass Du
wieder sehend und mit dem Heiligen Geiste erfüllt werdest".
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Die Wandgemfilde in der Kapelle St. Spiritus zu Wusterhausen a. Dosse. <)5
Das Bild dient zweifellos zur Verherrlichung der Macht des heiligen
Geistes.
Im dritten Felde thut ein anderer Henker, was der erste nicht
ausführen konnte. Ein wildes Gewirr von Figuren, deutlich erkennbar
nur ein bartloses Gesicht mit dem Ausdruck ausschweifendster Wildheit.
Von der dazugehörigen Figur ist nur soviel erkennbar, dass sie mit
ziemlicher Gewalt vorwärts strebt, in der hoeherhobenen Rechten den
Speer zum Stoss bereit Da, wohin die Spitze treffen muss, sieht man
im Vordergründe des Bildes eine knieende, barhäuptige Männergestalt,
die, wie abwehrend, die Linke erhebt. Ganz im Vordergrunde ist ein
dunkler Körper gezeichnet, der einem Chorhut nicht unähnlich ist.
Dazwischen scheint eine dritte Figur betend zu knieen. Links scheint
sich eine ähnliche Scene zu wiederholen. Ganz hinten und erhöht er-
scheinen einige Köpfe und eine Hand, die vielleicht den die Hinrichtung
überwachenden Personen angehören. Soweit überhaupt deutliche Formen
erscheinen, sind dieselben und selbst das Gesicht des Henkers bräunlich
gehalten, nur die knieende Figur links am Rande hat ein hellgrünes
Kleid, nach dem sichtbaren Teile des Unterarmes war das weiss-quer-
gestreifte Unterkleid rot (jetzt matt ponceau). Wie im allgemeinen
dieses Bild auf dieser Wandseite am besten erhalten ist, so hat sich
auch der Abschluss des Bildes nach oben erhalten. Ein mattgrünlicher
Hintergrund ist mit einer purpurroten Arabeske abgeschlossen. Die
letzte Abteilung zeigt eine knieende Männergestalt mit gefalteten Händen.
Das Oberkleid ist hellgrün, das auf der Brust erscheinende Unterkleid
matt-ponceau. Davor ist sichtbar ein Kopf, Rücken und rechter Ann
einer zweiten Gestalt, die? über einer dritten, diese umarmend, liegt.
Hier ist augenscheinlich der Sehluss des Dramas aus der Märtyrerzeit,
der Abschied von einem Sterbenden, dargestellt.
Wenn man diese Bilder und deren einzelne Figuren, soweit sie
eben einigermassen in Zeichnung und Schattierung erhalten sind, studiert,
so lassen sich folgende Merkmale aufstellen. Zum Teil grobe Ver-
zeichnungen aus Mangel der Kenntnis von der Perspektive. Dem ersten
Henker z. B. wächst der rechte Arm aus der Brust heraus. Im übrigen
sind die Umrisse sicher und klar, die Falten der Gewänder zwar etwas
einförmig, aber nicht unschön : von der Anatomie geringe Kenntnis.
Die Gestalten sind mehr oder weniger gedrungen, kurzhalsig, die
Nasen gross und dick, die Gesichter meist hart und eckig. Es liegt hier
augenscheinlich ein Erzeugnis der böhmischen Malsehule vor, die bald
nach Kaiser Karl IV. zur Blüte kam.
Was nun die Technik des Malens anlangt, so sind diese Bilder
nicht auf frischen Kalk gebracht, denn die Farben blättern ab und
lassen sich verreiben, wie unnütze Finger dies mehrfach erkennbar
gemacht haben. Das Malen scheint nun in der Weise betrieben worden
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96
Karl Altrichter:
zu sein, dass man die einzelnen Teile des genauen Aufrisses zunächst
in dem Farbenton gleiehmässig anlegte, den sie endgiltig haben sollten,
und dass man dann die Schattierung mit Schwarz oder Dunkelbraun
zum 'IVil in Stricbmanier hineinbrachte und etwaige Lichter in einem
wenig deckenden Weiss aufsetzte. Ich bin geneigt, die auf der Nord-
wand vorherrschende braune Farbe auf eine Veränderung zurückzuführen,
die die aufgetragenen Farben durch den Kalk in Verbindung mit einer
erklärlichen Feuchtigkeit des Feldsteines, aus dem die Nordwand auf-
erbaut ist, erlitten. Auf der Südwand, die unter dem Einfluss der
Sonne trockener bleiben musste und bei der Verwendung von Back-
steinen haben sich die Farben fast unverändert erhalten, namentlich
soweit sie durch das niedrige Paneel geschützt waren. Dies gilt
namentlich von den zwar lebhaft, aber natürlich gefärbten Fleischteilen,
die auf der Nordseite mit Ausnahme derjenigen des zweiten Henkers
durchaus farblos oder braun geworden sind.
Dafür, dass nicht nur ein Künstler der böhmischen Malschule,
sondern thatsächlich ein Böhme sich in diesen Bildern verewigt hat,
bezeugt die obenerwähnte Inschrift. Nach der Aufzeichnung aus dem
Ende des 17. Jahrhunderts sind folgende Schriftzeichen aneinander-
gereiht: E W V S S V K W C L2. Das letzte Zeichen ist die Ab-
kürzung für die lateinische Endung us und mit dem L zusammengezogen.
Die Inschrift heisst:
„Effecit Wussuk WenCesLaUS". „Wenzel Wussuk hat's gemacht".
Die Beziehungen der Mark bald nach Karls IV. Tode zu Böhmen
scheinen noch längere Zeit fortgedauert zu haben. In einer Geheim-
schrift an einem Pfeiler der Stadtkirche, der zweifellos erst bei dem
Erweiterungsbau von 1470 angelegt wurde, findet sich der Vermerk,
dass „Babtist Fabus, ein Böhme" gebaut habe und dass dieser lateinisch
klingende Name nicht einem Deutschen, sondern einem Böhmen angehört
hat, bezeugt die Art, wie derselbe in derselben Inschrift „Wusterhausen"
schreibt, nämlich „HWusterhauseu". Dieses vorschlagende H ist ein
Merkmal der böhmischen Sprache.
Mag Kaiser Karl IV. auch bereits 1378 gestorben sein, so mussten
die Anregungen, die dieser prachtliebende Fürst gegeben hatte, doch
durch mehrere Generationen fort- und nachwirken, um so mehr, als
damals die Zeit nicht so raschlebig und neuerungssüchtig war wie heute.
Es ist deshalb wohl denkbar, dass noch fast nach 7U oder 75 Jahren
jeder, der auf dem Gebiete der Kunst etwas Gutes haben wollte, nach
Böhmen ging oder auf böhmische Künstler zurückgritV, namentlich aber in
der Mark, die damals in ihrer traurigen Verfassung garnicht imstande
war, etwas Eigenes von einiger Bedeutung hervorzubringen. Derartige
Künstler herbeizuschaffen wird aber ferner nicht die Schwierigkeiten
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Die Wandgemälde in der Kapelle St. Spiritus zu Wusterhausen a. Dosse. ')7
bereitet haben, wie es den Anschein haben könnte. Es werden ans der
Zeit, als Karl IV. in Tangermünde residierte, genug Künstlerfamilien aus
Böhmen in der Mark zurückgeblieben sein.
Wie langsam andererseits im Mittelalter gerade auf dem Gebiete
der Kunst die Entwickelung sich fortbewegte, bestätigen die langen
Perioden des romanischen und gotischen Baustils gegenüber den kürzeren
der Renaissance, des Zopfstils und des Rocoeo.
Was nun die genauere Zeit der Herstellung der beschriebenen
Wandbilder anlangt, so weisen die Ausrüstung der Krieger, in der die
Plattenrüstung und der Helm mit Nackenschirm fehlt, in Verbindung mit
der Einfachheit der Kleidung auf das Reformationszeitalter, während
andererseits die mangelhaft»' Anatomie und Perspektive die Zeit vor Dürer
erkennen lassen. Man wird nicht fehlgehen, wenn man die 2. Hälfte
des 15. Jahrhunderts von diesen Gesichtspunkten aus als die Entstehungs-
zeit annimmt. Diese Annahme lindet weiter Bestätigung in den be-
gleitenden, aus der Geschichte der Stadt und ihrer Bauwerke hervor-
gehenden Umständen.
Die Tafel 1 stellt den Ostgiebel der Kapelle dar, wie er sich beim
Eintritt in die Stadt darbietet.
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Die Blockbaukirchc in Burschen.
Von Robert Mielke.
Spuren von einer einst in der Mark uml den östlich benachbarten
Provinzen ausgeübten llolzbaukunst linden sich sowohl in litterarischen
wie in künstlerischen Überlieferungen dieser Länder. Sie führen uns
jenen Zustand einer einheimischen volkstümlichen Bauart vor Augen,
der der entwickelteren einer Feldstein- und Ziegeltechnik vorausging und
in dem altertümlichen Hlockl.au trotz der Unzulänglichkeit seiner Mittel
für ein monumentales Schallen sich im Osten der Mark bis in die
Gegenwart hinein behauptet hat. Insbesondere hat das Dauernhaus in
einzelnen (legenden, wie im Sprecwald, diese Technik bewahrt, während
sich für die Dorf kircheu - im Gegensatz zu denen Schlesiens, Pidens.
Westpreussens und Pommerns — bisher kein Beispiel von noch er-
erhaltenem Blockbau hatte nachweisen lassen. Erst im vorigen Jahre
gelang es, einen solchen Bau in dem Dorfe Burschen bei Liebenau.
Kreis Oststernberg, festzustellen, nur wenige Wochen vor dem beab-
sichtigten Abbruch. Dank dem Eingreifen unseres ProvinziaJ -Konser-
vators, des (ich. Baurates Blutli, ist dieses Schicksal voraussichtlich
von der Kirche abgewendet und damit ein Hauwerk für die Kunst-
geschichte der Mark gerettet, das in seiner Art wohl als das letzte Bei-
spiel des Blockbaues gelten dürfte.*)
Der (irundriss der Kirche in Burschen ist sehr einfach. Das
Schiff besteht aus einein Rechteck von 17,20 m Länge und 10,50 m
Breite, dem westlich ein nach oben sich verjüngender Turm vorgelagert
ist. An der südlichen Längswand sind den Eingängen zwei kleine Vor-
häuser im Fachwerk angehängt, die sich dadurch als spätere Zuthateu
erweisen, während die an der Nordseite befindliche kleine Sakristei
*) Pen Mitteilungen eines Mitgliedes der „Hrandenbnrgia", des Herrn Lackt»
witz verdanke ich einen Hinweis auf eine andere Hlorkbaukirehe ohne Turm in
Ksehbruch bei Priesen in der Ncumaik. Leider ist es mir bisher nicht möglich
gewesen diese Kirche an Ort und Stelle zn besichtigen. liei einer Anwesenheit
in Woldenberg, 20 km nördlich Priesen, wurde mir 'diese Ansähe bestätigt ; jedoch
konnte ich keine sichere Nachricht erhalten, ob dieselbe noch heule vorhanden wäre.
JJa mich die Umstände verhinderten, Kschbruch aufzusuchen, so mtiss ieh mich mit
diesem Hinweis begnügen.
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Robert Miclke: Die Blockbaukirche in Burschen.
99
gleichzeitig mit dem Hauptraum erbaut ist. Ein Chor ist nicht vor-
handen. Die gerade Ostwand wird von zwei hochgelegenen kleinen
Fenstern, jede der Langseiten von
je vier entsprechenden durchbrochen,
die sich nur annähernd einander
gegenüberstehen. Eine verdeckte
Holztreppe führt von aussen durch
die nördliche Wand zu der grossen
westlichen Orgelempore, die auf roh
geschnitzten Ständern ruht,*)
An der Ostseite ist eine gleiche
aber kleinere Empore, welche zu-
gleich den Zugang zu der über dem
Altar befindlichen Kanzel vermittelt.
Das Innere wird von einem hölzer-
nen, Ende des 17. oder Anfang des
18. .Jahrhunderts wenig kunstreich bemalten Tonnengewölbe überdeckt,
über dem das steile im Osten abgewalmte Schindeldach sich erhebt.
Sowohl die Wände des Hauptbaues wie die der Sakristei sind aus
wagerecht aufeinander lagernden, etwa 2~) cm dicken Balken gebildet,
•) Die grobe KerbschniUerei verrät eine gewisse Ähnlichkeit mit den aus dem
17. Jahrhundert stammenden Ornamenten, die sich an den Laubenhäusern zu Schwiebus
befinden. Ein stilistischer Zusammenhang liegt hier um so näher, als die gesamte Innenaus-
stattung vielleicht auch mit Einschluss der Decke, demselben Jahrhundert entstammt.
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100
Robert Mielke:
die an den Ecken durch einen Schwalbenschwanz-Verband in einander
gefestigt sind. Da diese für die Länge des Raumes nicht ausreichten,
so sind sie in der Mitte der Längswand in senkrechte Balken eingenutet,
die ihrerseits wieder durch einen mächtigen Horizontalbalken an ihren
oberen Enden miteinander verbunden sind. Sämtliche ßlockwiiutle ruhen
auf einem Steinfundament. Das kräftig ausladende Hohlkehleugesiiiis
im Äusseren ist wohl später erneuert worden, da es in Farbe und Er-
haltung von dem übrigen Teil erheblich abweicht. Nachträglich an-
gefügt ist dem Ursprungsbau wohl auch die äussere Treppe, die an der
Nordseite zur grossen Empore führt, eine um so berechtigtere Annahme,
als sie einen heute nicht mehr benutzten Eingang verdeckt. Die Ein-
gänge befinden sich an der Südseite unter den erwähnten Fach werk -
Vorbauten.
Abweichend von diesem einheitlichen Blockbau ist der Turm als
ein Ständerbau durchgeführt, dessen Aussenseite mit senkrechten Bretter-
lagen verkleidet ist. Es ist das eine im Sternberger Lande uud im
Kreise Schwiebus-Züllichau nicht seltene Technik, die auch an Stein-
und Fachwerkbauten vorkommt (Kl einzig und K alz ig bei Züllichau,
Schönow bei Burschen). Charakteristisch sind bei derselben die nach
unten weit auseinandergespreizten, auf grossen Schwellen eingezapften
Ständer. Spannriegel und schräge Streben verbinden sie miteinander
und mit dem grossen Mittelständer, der in seinem oberen Teil, dem
Königsstiel, als Träger des spitzen Turmdaches dient.
In diesen Türmen haben wir eine alte Überlieferung vor uns, die,
wie sich ergeben wird, nicht ohne Zusammenhang mit der Entwicklung
des Holzbaues im Osten steht. Ursprünglich dienten diese Türme nur
als Glockenstuhl und standen als solche abseits und ohne Verbindung
mit dem Ilauptbau. Erst nach und nach sind sie in die Höhe ent-
wickelt und in den Gesamtorganismus der Kirche hineingewachsen.
Auch in Burschen steht der Turm noch eine Handlänge von dem Haupt-
hause entfernt und ohne Zusammenhang mit diesem. Dadurch, dass
diese Ständertiirme — stets vom Langhause etwas abgerückt — auch
in anderen weit auseinanderliegenden Gegenden Nord- und Mitteldeutsch-
lands sich nachweisen lassen, bezeugen sie ihren Zusammenhang mit
einer nicht allgemein ausgeübten Bauweise, aus einer Zeit, in der der
Wälderreichtum noch gewisse gemeinschaftliche Formen in der Baukunst
bedingte. Solche Glockentürme — bald ganz abseits stehend, bald in
der Axe des Langhauses errichtet und dann in mehr oder minder aus-
gesprochener Weise als Kirchtürme in die Höhe entwickelt — finden
sich in Hannover (Egesdorf in der Lüneburger Heide), in Schleswig-
Holstein (Nordhackstedt, Heitingen, Sieverstedt, Wamderup, Klein- und
Gross - Solt bei Flensburg, Stedesand bei Niebüll), in Mecklenburg
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Die Blockbaukirche in Burschen.
101
(Rethwisch bei Doberan), in Pommern (Tribohm bei Triebsees), West-
preussen (Schloppe, Ruschendorf bei Deutsch-Krone), Posen (Siedlec
bei Bentschen, Klastave und Kuschten bei Bomst), Schlesien (Syrin,
Lubein, Rudnik u. a.). Tn der Prignitz sind der Tunn in dem durch
sein Hünengrab bekannten Dorfe Mellen, der fast ein Viertel seines
Durchmessers entfernt vor der Westseite der Kirche steht, und der in
Mödlich, der aus dein Jahre 1050 stammt, zu erwähnen. Einzelne von
diesen Ständertürmen sind allerdings erst später nach Vernichtung eines
Massivbaues als Notbehelf errichtet worden, die meisten haben jedoch,
wenn überhaupt, einen hölzernen Vorgänger gehabt. Dies wird bei dem
Mangel eines direkten Beweises dadurch wahrscheinlich gemacht, dass
sieh in Norddeutschland einzelne schon aus dem 13. und 14. Jahrhundert
stammende Granitkirchen finden (Borne bei Beizig, Hohengörsdorf
bei Jüterbogk, Retzow bei Lydien, Eixen bei Triebsees, Alt-
Kaebelich bei Woldeck, Dambek bei Röbel, letztere möglicherweise
noch aus dem ll2. Jahrhundert), die keinen Turm besitzen. Bei diesen
alten turmlosen Kirchen war es durch die Beschaffenheit des Bodens
oder aus anderen Gründen nicht erforderlich, einen hohen auch zur Ver-
teidigung geeigneten Turm zu errichten, und so begnügte man sich mit
einem einfachen Glockengestühl.
Auch in Burschen ist der Ständerturm an Stelle eines älteren
aufgebaut. In einer schönen lateinischen Kursivschrift hat sich der
Meister desselben mit den Worten verewigt: „ANNO : 1690 : DEN :
SO : MAJ : JST : DJESER : TVRM : GEBA \ ET : TOBJAS :HERM AN :
BAVMEJSTER : DES : TYRMES". Jedenfalls hat der Meister Tobias
Herman das Material des älteren Turmes mit verwendet, denn an dem
Gestühl der aus der Mitte des 17. Jahrhunderts stammenden Glocken
stehen noch die Jahreszahlen 1001) und 104'.).
Damit haben wir einen, wenn auch negativen Anhalt für das Alter
des Blockbaues selbst. Dass dieser älter sein muss, lehrt ein Blick auf
seine Hinfälligkeit. Während der über zwei Jahrhunderte alte Turm
noch immer unverändert aufrecht steht, ist der Langbau (1890) zum Teil
auseinander gedrückt; der Zusammenhang der Balken hat sich gelockert,
und zwischen ihnen klaffen fingerdicke Spalten, die nur notdürftig mit
Lehm und Leinwand verkleistert sind. Man wird nicht fehlgehen, ihn
mit Einschluss der Sakristei spätestens in das 1 5. Jahrhundert zu setzen.
Bei dem Mangel jeglicher architektonischen Kunstform — das obere
Hohlkchlengesims an der Aussenseite der Blockwände dürfte, wie schon
erwähnt, erlieblich jünger sein — lässt sich mit einiger Gewissheit nur
annehmen, dass die Küche älter ist als der Turm.*)
*) In meiner ersten kurzen Veröffentlichung („Vosaischo Zeitung" 1896, Nr. 176
vom 15. Arril) setzte ich das Bauwerk in das 14. Jahrhundert. Nachdem ich seither
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102
Robert Mielkc:
Leider versagt uns auch die Geschichte des Ortes einen deutlichen
Hinweis. Der Kreis Oststernberg gehört in seiner volkstümlichen Eigen-
art mit den benachbarten Gebieten Posens, in seinen späteren geschicht-
lichen Beziehungen mit Schlesien zusammen. Die grossen ausgedehnten,
in früheren Jahrhunderten nur teilweis gerodeten Waldungen, in denen,
abseits von jedem bedeutenden Kultlirwege, der Ort ein gescbichtslose.s
Dasein führte, verbargen ihn vor Ereignissen von politischer Bedeutung.
Erst Ende des 14. Jahrhunderts wird das Duukel, das auf dem stillen
Walddorf lagerte, auf einen Augenblick gehoben. In einer Urkunde vom
2. Juli 1304*) wird der Name „Burssen" gemeinschaftlich mit den nahe-
gelegenen Seren, Tempel und Langephuel in einem Vertrage genannt,
in dem Abgesandte des Königs Casimir des Grossen von Polen
(1333 — 1370)**) mit solchen des Hochmeisters von Preussen und des
Johanniterordens eine altere Grenzbestimmung zwischen Polen, Preussen
und der Neumark vom Jahre 12ol erneuern. In dieser früheren Urkunde,
die nicht mehr vorhanden ist, dürfte Burschen vermutlich ebenfalls
erwähnt gewesen sein. Aus dieser dürftigen Notiz können wir allenfalls
schliessen, dass Burschen eine alte Ansiedelung ist, die in ihrer Anlage
sich den» gemeinsamen Typus der ganzen Gegend eng anschloss. Wie
für die Dörfer der Nachbarschaft der Holzbau sich aus den gegebenen
Waldverhältnissen von selbst ergab, so dürfte für seine ursprüngliche
Form der Blockverband anzunehmen sein, der in den Bauernhäusern
sich noch bis in das laufende Jahrhundert hinein erhalten hat. Der
Ständerbau, wie er an den Türmen ausgebildet ist, stellt eine vor-
geschrittenere Technik dar, denn er setzt ein weit entwickelteres
konstruktives Können voraus. Für den Holzbau als einheimische Bau-
weise sprechen auch die Ständertürme gewissermassen als letztes Nach-
klingen, nachdem die massiven, schwerfälligen, aber leicht zerstörbaren
Blockkirchen der Vernichtung anheimgefallen sind, die charakteristischen
Schindeldächer und auch das jüngere Alter der Steinkirchen.
Zwei der ältesten von ihnen aus der Nachbarschaft sind frühestens
in den Anfang des lß. Jahrhunderts zu verlegen. Es sind die Kirchen
jedoch in den benachbarten Gebieten Posens und Westpreussens verschiedene Holz-
kirchen mit der Erscheinung der Burschener zu vergleichen Gelegenheit hatte, möchte
ich mich, ohne dabei die Möglichkeit eines höheren Alters zu bestreiten, mehr für das
nächstfolgende Jahrhundert entscheiden. Bestimmend für mich ist dabei der Mangel
eines Chores oder wenigstens einer Chornische, die bei älteren Kirchen des Ostens
fast immer vorhanden sind. Auch der Turm steht hei diesen meistens unsymmetrisch
zur Axe des Bauwerks.
•) Riedel. Cod. dipl. Brand. Abt. A, Bd. XXIV, S. 75.
•*) Derselbe König, von dem der polnische Geschichtsschreiber Dlugosz rühmt,
dass er Polen von Holz überkommen und von Stein hinterlassen habe.
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Die Blockbaukirche in Burschen.
103
zu Kutschiaa und Kalzig bei Züllichau. Die erstere, aus Ziegeln im
Format 9:13:28 cm erbaut, liisst noch, besonders an den grossen
Spitzbogenfenstern und dem entwickelten Sterngewölbc die Bau Über-
lieferung der Gotik erkennen, während die andere durch das nachlässige
Feld- und Ziegelsteinmauerwerk auf eine noch spätere Zeit hinweist-
Beide sind mit Schindeln gedeckt. Die weit grössere Anzahl der
benachbarten Kirchen besteht aus Faehwerk, welches ohne besondere
Kunst errichtet ist. Es scheint, als ob die Unruhen des 17. und 18. Jahr-
hunderts für viele Holzbauten des Kreises verhängnisvoll geworden seien.
Bergan erwähnt in seinem Inventar von den hier in Betracht
kommenden Kirchen nur die von Klemzig bei Züllichau. Von ihr sagt
er, dass sie „ein Ziegel- und Holzbau aus verschiedenen Zeiten1* sei.
Die höchst malerische Kirche ist zum grössten Teil als Fachwerk er-
richtet: nur die West- und Ostseite sind massiv und mit Brettern
bekleidet. Neuerdings ist auch die nördliche Sakristei in Mauerwerk
aufgebaut. Der Stäuderturm ist allein in der oben beschriebenen Weise
aus Holz. Da Bauformen und die Technik der älteren Teile sie in das
Ende des Mi. Jahrhunderts verweisen, sie überdies keim« Spur von
Blockbau zeigt, so scheidet sie hier für die Altersbestimmung der
Bursehener Kirche als unwesentlich aus.*)
Technisch und stilistisch unmittelbar mit der Kirche von Burschen
zusammengehörig ist allein nur die etwa 30 km südöstlich auf posenschem
Gebiete gelegene Kirche von Kuschten bei Bomst. Obgleich vielfach
ausgebessert und vielleicht auch jünger, bildet sie in der Nachbarschaft
Burschens den letzten Best des kirchlichen Blockbaues. Abgesehen von
der neuerdings im Osten angebauten hölzernen Sakristei ist sie in ihrem
ältesten Teil, dem Chor und Kirehenhaus, in gleicher Weise gebaut,
obgleich er vielfach Spuren einer späteren Ergänzung der schadhaften
Balken zeigt.*"1) Augenblicklich fehlen mir für eine nähere Zeit-
*; Mündliche Überlieferung weiss hin und wieder von Blockkirchen zu be-
richten, die noch vor einem Mcnschcnalter vorhanden waren. So ist mir Ladjewitz
hei Dürleltel und Meddcr wiese unweit des oben erwähnten Eschbruch genannt
worden. Es wird sich ein Zusammenhang zwischen diesen Kirchen und dem Block-
bau des Bauernhauses nicht abweisen lassen, der noch heute in den genannten
Geilenden vereinzelte Repräsentanten aufweist. Aus den höher kultivierten und
trocken gelegeneren (ielilnden mit ihren Fachwerk- und Ziegelbauten hohen sich die
Niederungen der Oder, der Warthe und der faulen Ohra durch die Blockhituser deutlich
ab, obwohl ihr Zusammenhang schon hingst durch Eindringen des fränkischen Fach-
werkbaues gelockert ist. Namentlich zeigt das südlich Schwiebus gelegene Oderthal
noch viele und gute Beispiele dieses Blockbaucs.
•*) Die Ergänzung ist in der Art erfolgt, dass man Teile der alten Balken heraus
schnitt und neue an diese Stelle legte.
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Robert Mielke; Die ßlockbaukirehe i« Burschen.
bestimmung die geschieht) iclion Hinweise; vermutlieh gehört sie in das
15. Jahrhundert, denn die unmittelbar benachbarte zu K las ta wo ist, ob-
wohl sie im Grundriss und in einzelnen Formen ein weit altertümlicheres
Gepräge zeigt, wahrscheinlich jünger. Das geht aus der Technik hervor,
die lediglich Fachwerk bevorzugt, dieses aber mit senkrechten Brettern
aussen verkleidet hat.
Ist also der Bloekbaukircho zu Burschen ein in die älteste Zeit
des märkischen Kirchenbaues zurückgehendes Alter nicht zuzusprechen,
ist sie auch jünger als die schönen Kirchen gleicher Technik in Ober-
schlesien, die bisweilen in das 14. Jahrhundert zurückgehen, so behält
sie doch in der Kunstgeschichte der Mark ihren Wert als einziges
sicheres Denkmal des vollendeten Blockbaues.
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Flachsbau und Leinwandweberei.
Von Lange.
Flachsbau und damit verbundene Leinwand Weberei standen in
vielen Gegenden unseres Vaterlandes vor einein halben Jahrhundert
noch in hoher Blüte und gaben den Bewohnern neben schwerer Arbeit
guten Verdienst. Heute dagegen liegt dieser Erwerbszweig, weil er oben
nicht mehr lohnend genug ist, sehr darnieder oder ist wohl gänzlich
eingegangen und der jetzigen Generation unbekannt.
Erklärte mir doch erst kürzlich ein junger Mann, dass er nie ein
blühendes Flachsfeld gesehen, auch von den Geräten, die bei Be-
arbeitung des Flachses und bei Herstellung der Leinewand gebraucht
werden, keine Kenntnis habe. Es dürfte darum wohl an der Zeit sein
von den Geräten, die in den einzelnen Gegendon verschieden waren,
noch zu sammeln und herbei zu scharten was irgend möglich ist und
den Museen zu Nutz und Frommen der Mit- und Nachwelt zur Aut-
bewahrung zu überweisen. In den Rumpelkammern und auf den Dach-
böden lindet man noch manches wertvolle Stück, was obigen Zwecken
gedient hat und noch wert ist, erhalten zu werden.
Das Säen des Flachssamens (Lein) fällt in die erste Woche des
Wonnemonats auf gut hergerichtetem, nicht allzu leichtem, auch nicht
allzu schwerem Boden, nachdem der Samen auf der Leinklapper vom
Unkraut gereinigt worden ist.
Ist die Saat gut aufgegangen und «las Pflänzloin -1—5 cm hoch,
dann geschieht das Ausjäten oder Wieten des Unkrautes und in langen
Reihen sieht man die Arbeiter knieeud neben einander auf den Flachs-
feldern beschäftigt. Das dabei niedergedrückte Pllänzchen richtet sich
alsbald wieder empor, wächst bei günstiger Witterung üppig und kommt
bald zur Blüte. Der gefährlichste Feind und »1er Schrecken der Anbauer
des Flachses ist die Flachsseide, Guscuta Epilinum, ein Würger und
Schmarotzer, der nicht nur einzelne Stellen, sondern oft ein ganzes
Flachsfeld vernichtet. So traurig und beklagenswert diese Erscheinung
ist, so prächtig und erhebend ist aber der Anblick eines blühenden
Flachsfeldes. Man kann sich nicht satt sehen an dem blauen Blüten-
meero und wenn der Wind darüber hinstreicht ist es, als ob Welle an
Welle leise an uns vorüberzieht. Welche Freude für den glücklichen
Besitzer!
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Lange:
Kommt: nun die Ernte, Anfangs August, dann beginnt die müh-
selige Arbeit und hört nicht eher auf, bis die Leinewand die Bleiche
verlä sst und entweder zum Selbstgebrauch genommen wird oder in die
Hände des Händlers übergeht.
Die Ernte des Flachses geschieht nicht etwa mit der Sichel oder
Sense durch Abschneiden der einzelnen Stengel, sondern durch Ausziehen
derselben mit der Hand, wobei sorgfältig darauf geachtet wird, dass
nicht Unkräuter dazwischen geraten. Der Flachs wird nun in grössere
Hunde gebunden eingebracht und gerecht, d. h. die endständigen Samen-
kapseln von den Stengeln entfernt. Die Kapseln werden sodann auf
grossen Laken ausgebreitet um zu trocknen, dann gedroschen und der
Leinsamen gewonnen. Von demselben wird ein Teil in die Ölmühle zur
Gewinnung des Öles gebracht und der übrige Teil zur Saat für das
nächste Jahr aufbewahrt. Das Öl wird zum Brennen auf der Lampe,
auch als Fett in der Küche und Bäckerei (Pfannenkuchen) benutzt.
Der Flachs wird, nachdem die Samenkapsel entfernt, in kleinere
Bündel gebunden und in die Röte gebracht, liierunter versteht man
«las Einlegen der Flachsbündel in Wasser, um dieselben darin ungefähr
14 Nächte, nach Nächten wird die Zeit gezählt, rosten oder rotten zu
lassen, damit der Stengel mürbe wird und der umschliessende Bast sich
leichter lösen lässt. Ist die Zeit des Uötens vorüber, wird der Flachs
aus dem Wasser genommen und zum Trocknen auf dem Felde, am
liebsten Stoppelfeld, ausgespreitet. Bei abwechselndem Regen und
Sonnenschein, und unter Mitwirkung des Taues ist dies Verfahren so
gut wie eine halbe Bleiche, denn der Bast bekommt dadurch eine
schöne weissliche Färbung. Zum völligen Nachtrocknen kommt dann
der Flachs in vorher erwärmte Öfen (Backöfen), und gelangt von hier
auf die Brake oder den Brecher. Dies Gerät dient dazu, den Stengel
nicht nur in kleinere Teilchen zu zerbrechen, sondern dieselben auch
teilweise vom Baste zu entfernen. Das letzte Verfahren, um die zer-
kleinerten Stengelteilchen gänzlich zu beseitigen und den Bast rein zu
erhalten, ist das Schwingeln oder Schwingen, eine Arbeit, die mit viel
Gewandheit und Geschick gehandhabt sein will, will man sich gegen
Beschädigung der Hände sichern. Das hierzu verwandte Gerät ist der
Schwingelbock und die Schwinge.
Als letzte Arbeit, um den Flachs für das Spinnrad herzurichten,
ist das Hecheln anzusehen. Auch hier ist Vorsicht und Geschick er-
forderlich, um sich gegen Verletzungen zu sichern, doch aber hatten
einige Frauen durch stete Übung in dieser Beschäftigung eine so grosse
Fertigkeit erlangt, dass sie darin zu einer Berühmtheit geworden, gerne
bevorzugt und beschäftigt wurden. Das Hecheln, Gerät Hechel, bezweckte
die Reinigung von dem gröberen und kürzeren, Heede oder Werg, und
dem feineren und längeren, dem eigentlichen Flachse. Dieser wurde
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Flachsbau und Leinwandweberei.
107
handvollweise zusammengelegt, gedreht und gewunden und dann an den
beiden spitzen Enden geknotet, welche Bündeln man Knocken nannte,
welche auf Stangen gereiht nun der weiteren Verarbeitung auf dem Spinn-
rade entgegensahen.
Das Spinnrad, eine segensreiche Erfindung des Braunschweiger
Bürgers Jürgen, hat die Spindel verdrängt, die Herstellung des Garnes
nicht nur vereinfacht und erleichtert, sondern auch die Hebung der
Leinwandindustrie sehr gefördert. Eine Geschichte des Spinnens geben
zu wollen, kann nicht meine Absieht sein, nur will ich daran erinnern,
dass zu dem einspuligen Spinnrade bald ein zweispuliges hinzukam.
Die Handhabung resp. völlige Ausnutzung dieses Geräts hatte ihre
Schwierigkeiten, war aber die Fertigkeit darauf zu spinnen erst erlangt,
so wurde auch fast das doppelte geleistet. Die zweispuligen Räder
scheinen nicht überall verbreitet gewesen zu sein, ja in einigen Gegenden
waren sie völlig unbekannt. Die Altniark machte hiervon jedoch eine
recht rühmliche Ausnahme. Das Spinnen wurde nicht nur von dem
Weiblein allein ausgeübt, nein, Männloin und Kinder wurden dazu heran-
gezogen; denn Leinewand, wozu das Garn von Kindern unter 7 Jahren
gesponnen, zu Hemden verarbeitet, sicherten das Leben der Soldaten im
Kriege gegen Stich und Kugel, machte ihn also unverwundbar.
Die Spinnstuben, jeno abendlichen Zusammenkünfte der Spinner und
Spinnerinnen, haben neben manchen Unzuträglichkeiten doch auch ihr
Gutes gehabt, namentlich wenn die betreffende Hauswirtin als Patriarchin
auftrat und ihres Amtes gehörig zu pflegen verstand. Ein erfreulicher
Wetteifer in der Arbeit war nicht zu verkennen, und zur Unterhaltung
wurden kleine Geschichten erzählt, auch wohl vorgelesen und Volks-
lieder gesungen. *)
Ist Flachs und Heede aufgesponnen, dann beginnt das Weben,
wozu der Webstuhl, Webetau (webe zu) benutzt wurde. Das Weben
selbst wurde in vielen Gegenden von den Hausfrauen, ältesten Töchtern
und Mägden besorgt, während in anderen Gegenden gelernte "Webe-
meister sich damit beschäftigten. Die erste oder Grossmagd erhielt ge-
wöhnlich für diese besondere Arbeit als Anerkennung entweder ein
ansehnlich Stück Leinewand oder ein mit Leinsamen besätes Stück
Ackerland zu ihrer Verfügung. Die Bearbeitung dieses Flachsstückes
wurde von den Anverwandten besorgt. Das Aufbringen oder Aufziehen
des Garnes auf den Webebaum erforderte eine eigene Berechnung in
*) Als Lesestoff dienten die Geschichten der h. Genoveva, der hörnerne Sieg-
fried, Dornröschen, Till Eulenspiegel u. s. w. Das Volkslied: „Wilhelm, komm an
meine Seite ti. s. w." habe ich in meiner Jugend in der Spinnstube oft gehört und
mich gefreut, als ich es in einem früheren Jahrgang de« „Bar" wieder fand. In der
Uckermark wurde es auch beim Tabakaufziehen gesungen.
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108
Lange: Flachsbau und Leinwand weberei.
Bezug auf Länge, Breite und Beschaffenheit des zu webenden Stückes.
Es wurden, namentlich in der Altmark, nicht nur Stoffe zur Anfertigung
von Leibwäsche, Tisch- und Handtüchern gewebt, sondern auch solche
Stoffe, die sich zur Herstellung von Bekleidungsgegenständen cils: Böcke,
Hosen, Westen und Jacken eigneten und durch vorzügliche Dauer-
haftigkeit berühmt waren. Bis zum Buss- oder Bettag musste das
Weben beendet und der Wehestuhl an die Seite gebracht sein, denn
nun begann das Auslegen der Leinewand auf die Bleiche, die letzte
mühevolle Arbeit. War auch diese gethan, so wurde das sorgsam
aufgerollte Leinenzeug, welches zum Verkauf bestimmt war, für den
Händler zurückgelegt, der übrige Teil aber in die Kisten nnd Kasten
der Hausfrau aufgestapelt, welche nicht wenig stolz war auf diesen
erworbenen Schatz. Weiss wohl, dass es anders worden in dieser
neueren Zeit! —
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Der Barzlin im Spreewald.
Von
Sanitatsrat Dr. Robert Behla.
Der eigenartige Spreewald bietet nicht nur ein grosses landschaft-
liches und ethnologisches Interesse dar, auch in archäologischer Be-
ziehung erweist sich derselbe bekanntlich sehr bedeutungsvoll. Der
Gedauke, dass dieser Landstrich in alter Zeit ein ganz unzugänglicher
Sumpf gewesen sei, ist abzuweisen. Die zahlreichen prähistorischen
Funde lehren, dass der Spreewaldsbezirk schon ziemlich früh von
Menschen bewohnt worden ist, nicht überall, aber einzelne über die
Wiesenniederung hervorragende natürliche Sanddünen luden dazu ein.
Ich erinnere z. B. an den zwischen Burg und Struupitz gelegenen Zaucher
Berg, den von Sehulenburg in den Niederlausitzcr Mitteilungen be-
schrieben hat (II. Heft, S. 35K). Schon längst war es meine Absieht,
dem nördlich von Lübbenau gelegenen vorgeschichtlichen Hügel Barzlin,
einer durch zahllose Gefässtrümmer ausgezeichneten Fundstätte einen
Besuch abzustatten und «Uesen auf prähistorische Einschlüsse näher zu
untersuchen, als sich im Sommer lS'.Mi Gelegenheit dazu bot. Ich wählte
meine Fahrt bei schönstem Wetter, Lehde passierend, über die WotschotVkn,
welche ostlich von Lübbenau gelegen ist, um diese neue schöne Schöpfungdcs
unermüdlichen Spreewaldvereins näher kenneu zu lernen. Man bewundert
hier, wie Kunst und sinnige Menschenhand den Beiz der landschaftlichen
Natur zu erhöhen vermocht hat. Wahrlich ein herrlicher Anziehungs-
punkt für Spreewaldtouristen ist hier erschlossen worden, eine neue
Spreewaldblume in dem lieblichen Gelände erblüht. Stattlich und ein-
ladend liegt es da das holzgefügte Gasthaus mit der geräumigen
Veranda und dem weiten Vorgarten. Wotschofska bietet das Angenehme,
nicht blos auf laubengleich beschatteten Gräben schwankenden Kahnes
in die Umgehung zu steuern, sondern auch zu Fuss dahinzuwanderii
auf schön gepflegten Spaziergängen, durch die jungen, grünen Baum-
ptlanzuugen, über hochragende luftige Brücken hinweg, lauschige Busch-
partieen und entzückende Ausblicke gewährend in die benachbarte
Spreewaldlandschaft. Nur ungern trennte ich mich von diesem Herz
und Körper erquickenden Plätzchen, dessen Zauber noch lange nachklang
in der Erinnerung, als ich wieder weitersteuerte in die flache Wiesen-
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Iii)
SanitiUsrat Dr. Robert Behla:
niederung hinein, welch»' zur Zeit landschaftliche Schönheit nicht darbot.
Das Gras war gemäht, lag trocken geworden in langen Reihen, Heu-
schober türmten sich auf, hochbepaekte heubcladene, oft zu zweien zu-
sammengebundene Kähne fuhren vorbei. Der Blick glitt weithin auf
die eintönigen, gelblichen Wiesentläehen, nur das muntere Spiel zahl-
loser blaugcflügelter Libellen, sowie gelbe und weisse, träumerisch
blickende Teichrosen erfreuten «las Auge.
Nach einer Stunde war ich am Zielpunkt meiner Fahrt und vor
mir lag eine ca. 1:* Morgen grosse, fast kreisrunde, ca. 1 Meter über
die Wiesentläehe hervorragende dünenartige Insel. Ich stieg ans Land.
Die Bodeuerh» »hung wird jetzt fast durehweg zu Gartenkulturen benutzt
und ist Besitztum des Herrn Fr. Klepsch, eines Bruders des Herrn
Bürgermeister Klepsch in Lübbenau. Letzterem bin ich noch zu grossem
Danke verpflichtet, insofern er mir vor meiner Abfahrt aus der Stadt
sehr schätzenswerte Mitteilungen über diese Lokalität machte. Mit
gütiger Erlaubnis betrat ich die einzelnen Fehler, und die Oberfläche des
Bodens, zwischen den Gurken- und Kartoftelpflanzen etc., zeigte sich
wie übersäet mit Kesten der Vorzeit. Ich fand zahlreiche graue, mit
Kiesbrockeu versehene, sogenannte slavischc Gefässtrüinmer mit um-
gelegten Rändern, von weiter Mündung, mit flachem Boden. Unter den
Ornamenten erkannte man zuweilen mit einer Tzinkigen Gabel eingeritzte
Wellenlinien, zirkuläre Streifen, stempelförmige Eindrücke, eingedrückte
l'unktlinieu, Guirlundeu von eingedrückten Kreisen, auch Linien vou
4 eckigen Eindrücken. Ein besonderes, dieser Lokalität speeifisches
Ornament trat nicht hervor, die Gesamtverzierung der überwiegend
slavischen Scherben entsprach im allgemeinen derjenigen, die sonst auf
Lausitzer Rundwällen slavischen Ursprungs üblich ist. Von diesen
Überbleibseln wendischer Töpferei konnte ich in kurzer Zeit sehr viele
und gute Specimina sammeln.
Gelegentlich einer Eingrabung an einer nordwärts gelegenen Stelle
repräsentierten sich in der oberen Schicht Thoufragmente der soeben be-
schriebenen Beschaffenheit und Ornamentik; in ca. 1 Meter Tiefe stiess
ich auf eine nässige schlickige Schicht, weicht' durchsetzt war von
Scherben ganz anderer (Qualität und Verzierung, sogenannten vor-
slavischen oder germanischen Trüiniuerresten. Diese Stücke waren ge-
glättet, leicht glänzend, mit Henkeln versehen, hatten nach oben um-
gelegte Ränder, zeigten geometrisch angeordnete breite lineare Eindrücke,
auch Vorsprünge unter dem Rande mit stachelförmigen Eindrücken,
kurz glichen im allgemeinen den Gelassen der Urnenfelder mit Thou-
gefässen des Lausitzer Typus, wie ich sie in meinen „ Urnenfriedhöfen u
näher beschrieben habe. Ich bemerke ausdrücklich, dass vollständig
erhaltene Gefässe von mir nicht zu Tage gefordert wurden. Es wäre
sehr interessant, darüber sicheres zu erfahren, ob hier in frühereu
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Der Barzlin im Spreewald.
111
Jahren auch unversehrte Gefasso, welche gebrannte Knochen bälgen,
ausgegraben wurden, d. I). wirkliche Urnen.
An vielen Stellen der Oberfläche des Barzlin sieht man beide
Arten von Scherben gemischt, da der ßoden durch häufiges Umgraben
durcheinander geraten ist. Mehr nach der Tiefe aber tritt überall die
charakteristische Schichtung hervor.
Ausser diesen massenhaften Scherben, die dem Arbeiter das Graben
ungemein erschweren, konstatierte ich auch mehrfach Feldsteine, zuweilen
pflasterartig angeordnete Lagerungen. Manche dieser Steine machten den
Eindruck, dass sie lange einem heftigen Feuer ausgesetzt waren. Die
Umgebung des Barzlin ist ganz steinarm. Dieselben müssen also aus
weiterer Umgebung hierher transportiert sein. — Es kamen mir auch
zu Gesicht blasig aufgetriebene bimsteinartige Scherben, wie ich sie in
meinen „vorgeschichtlichen Hund wällen" (S. N)*) näher beschrieben
habe. Dieselben sind ohne Zweifel durch abermaliges Brennen im an-
haltenden, heftigen Feuer entstanden. Besonderes Interesse erregten mir
einzelne flache runde Thonstückehen von der Grösse eines Ein- oder
Zweimarkstücks, die zweifellos durch Abbrechen oder Abschleifen her-
gestellt sind. Man hat derartig*; auch auf dem Burger Schlossberg aus-
gegraben. Sie entstammen der unteren Schicht. Vom Barzlin ist auch
ein durchbohrter runder Scherben notiert. Virchow („Zeitschrift für
Ethnologie" 1SS(I. Verl). S. iWo) und Siehe („Vorgeschichtliches aus der
Niederlausitz" lSSIJ, S. 41) machen aufmerksam auf die Ähnlichkeit
mit Geldstücken. Die Bedeutung dieser Gebilde ist noch nicht klar.
Ob sie in der That als Geldstücke fungierten, muss weiterer Forschung
vorbehalten werden. Ich stellte ausserdem fest au Funden: Holzkohle
von Eiche und Erle etc., Knochen von Kind, Ziege, Schaf, Schwein.
Diese Lokalität, ist leider erst ziemlich spät zur Kenntnis gekommen.
Viele dort gefundene Gegenstände aus früherer Zeit sind verloren
gegangen. Der Barzlin ist untersucht worden von Virchow, Siehe,
.Tcntseh etc. Aus der Literatur über den Barzlin**) sind noch folgende
Funde bekannt: 2 Spinnwirtel (1 aus Thon, I aus Sandstein), gesägte
Hirschgeweihe, gelegentlich auch Eisenschlacken, grosse Klumpen mit
Sumpfpflanzen durchkneteten], gebranntem Lehm; auch 2 bronzene llohl-
kelte stammen von hier; der grössere***) ist 10,5 cm lang, an der
Schneide 4 cm breit mit einer sehr weiten, 28 auf 2ö mm im Durch-
'l Vgl. meine „Vorgeschichtliche Kundwulle im östlichen Deutschland". Verlag
von Ascher u. Comp. Berlin lsss.
*i'> Literatur Ober <len Barzlin: Virchow „Zeitseh. f. Ethnologie", Verh. JnSO.
S. MS. — Söhncl „Die Kundwalle der Niederlausitx", S. 2:5. Behla „Die vorgeschicht-
lichen Rundwalle im östlichen Deutschland", S. 108. — Siehe „Vorgeschichtliches aus
der Niederlausitz", 8. 41.
cf. „Zeitschr. f. Ethnologie", Verhandl. 1882. S. 380.
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11L>
Suuitätsrnt Dr. Hubert Behla:
messer haltenden, Öffnung und einer seitlichen Öse versehen und auf
der Fläche mit grossen Höhenlinien verziert. Der andere ist etwas
kürzer und dicker mit leicht vorspringendem Knude, aber sonst ganz
ähnlich etc.
Fasst man alles zusammen, besonders auch im Hinblick auf die
kohlig-schwarze, von der Umgebuni' der Wiesenfläche sich unterscheidende
Erde, so unterliegt es keinem Zweifel, dass hier eine alt«' Siedehmg aus
prähistorischer Zeit vorliegt, die bis in die germanische Zeit v. Chr. Geb.
zurück- und bis in die slnvisehe Zeit hineinreicht. Diese- Stätte ist auf
einer ursprünglichen Sauddüne künstlich erhöht. Es fragt sich zunächst,
war es eine bewohnte Stätte? Der Name giebt uns keinen Aufseh luss.
Seine Deutung ist unsicher: man schreibt Barzlin, Batzlin, Barzcllin etc.
Von Herrn ( "rerichtssekretiir ( iottschalk in Lübbenau wurde mir gesagt, dass
mauclie das Wort aus dem Wendischen ableiteten und dass der Name mit
dem Brüllen des Kindes in Verbindung gebracht wurde. Sollte darin nicht
aber auch ein verstümmeltes „lehn* analog Burglchn bei laibben stecken?
.Jede weitere Mitteilung darüber wird mit Dank entgegengenommen werden.
Jedenfalls ist es interessant, dass dieser Wall einen eigenen Namen hat.
Es sei hier daran erinnert, dass anderweitig auch Kundwälle sich eines
eigenen Namens erfreuen. Am l'enzliner See beim Dorfe Werder heisst
noch heute ein Burg wall Badegast. Auf der Feldmark Wischendorf im
alten Land Datzow c liegt ein Burgwall des Namens Ilackenwall, der
Burgwall bei Buschendorf unweit Malchow heisst Wiwerberg etc. (cf.
meine Kundwälle S. •"><>.)
Ich bin nicht der Ansicht, dass der Barzlin dereinst eine Wohn-
oder Dorfstätte gewesen ist, wie ich überhaupt der Hypothese nicht
huldige, dass die Kundwälle früher ständig bewohnt waren. Im all-
gemeinen können alle die Gegenstände, welche mau für Zeugen von
Haushaltungen hält, dorthin verschleppt worden sein — in Zeiten der
Not. So eine Kesselaulagc war eine Ablagerungsstelle für alles mögliche.
Und passiert es nicht heute noch, dass die Menschen in Kriegszeiten
nach Schlupfwinkeln fliehen, Geräte mitnehmen, dort kochen etc. und
schliesslich vielerlei Dinge absichtlich oder zufällig dort zurückbleiben?
Nehmen wir einmal Lehmklumpen mit I lolzabdrücken. Sind diese
wirklich ein absoluter Beweis dafür, dass in prähistorischer Zeit dort
eine Hütte oder ein Haus stand? Nein. In dem Borchelt bei Freesdorf
kann sich jeder davon durch den Augenschein heute noch 'überzeugen,
dass alles mögliche Material, darunter auch Lehmklumpen enthaltender
Brandschutt, zum Aufbau verwendet worden ist.*) Sodann, welches ist
das charakteristische Zeichen, dass die im Barzlin gefundenen Lehiu-
klumpen mit Holzabdrücken prähistorischer Zeit entstammen? Ein
♦) Vgl. „Mitteilungen des Vereins für die Geschichte Berlins" 1895, N. (5, GO.
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Der Barzlin im Spreewald.
113
Lehmklumpen als Hausbewurf von heute sieht nicht anders aus als ein
solcher aus früherer Zeit. Und gerade vom Barzlin ist es bekannt,
dass im Anfang dieses Jahrhunderts dort Lehmscheunen und Ställe ge-
standen haben. . Der Barzlin zeigt heute keine Uinwallung mehr; er
gleicht in der Hinsicht sehr dem mitten im Moor gelegenen Rundwall
bei Gossmar unweit Luckau. Aber es giebt eine grosse Zahl «lieser An-
lagen, wo die Kesselnatur ganz erhalten ist. Schon a priori kommt man
zu theoretischen Bedenken, dass diese im Zentrum vertieften Wälle
ständig bewohnt waren. Sie sind das denkbar unwohnlichste. In dem
wenig umfangreichen Raum muss sich uaturgemäss bei starken Regen-
güssen das Wasser in der Mitte ansammeln, der Schnee anhäufen, beim
Aufthau das Innere mit Wasser füllen etc. Viele Anlagen sind bekanntlich
sehr klein. Kein praktischer Landmann kann sich darauf einen Wohnungs-
raum für Haus- und Viehwirtschaft vorstellen. Dazu kommt, dass es
vom Garzer Rundwall auf Rügen ausdrücklich heisst, er war in Friedens-
zeiten unbewohnt (ut pacis tempore desertns). Diese Notiz ist sehr
wichtig. — Eine andere Notiz dagegen, die bekannte Mitteilung des Ibrahim
ihn Jacub über den Burgenbau der Slaven, passt nach meiner Ansicht
garnicht auf die Hund wälle. Damit sind wirkliche Burgen gemeint, die
mit Graben und Brücke versehen waren, wie man sie vereinzelt noch
heute in der Lausitz trifft z. B. Fürstlich Drehna (Kreis Luckau), Ukro
(Kreis Luckau). Hier ist noch Wassergraben und Brücke vorhanden.
Ich streife hier nur diesen- Punkt und verweise des Näheren auf meine
Auseinandersetzungen (Rundwälle, S. 47).
Dass die Rnndwälle vorübergehend als Zufluchtsstätten gedient
haben, diese Ansicht lasse ich gelten, sie ist mehr als wahrscheinlich.
Zeigt uns dies doch das Beispiel Arkonas und Garz, zweier Wallanlagen,
die im Frieden dem Kultus dienten, im Kriege zu Zufluchtsstätten
wurden. Aber dies ist nicht der eigentliche wahre Zweck dieser zum
Teil sehr grossartigen Erdaufhäufungen. Jeder, der diese Werke be-
trachtet, muss sich sagen, dass vieler Leute Hände dabei mitgeholfen
haben. Das kann nicht blos von ersten Ansiedlern gemacht sein. Der
Hauptzweck muss ein anderer gewesen sein. Obwohl ja eine ganze
Reihe von Faktoren, — der zum Teil sehr geringe Umfang, die ganz
uuregelmässige Lage, die Nachbarschaft von Näpfchen und Schalensteinen,
die Nähe von Totenfeldern, die vielfachen Sagen, die alten Bezeichnungen:
„heiliges Land*, „heiliger Steg" (accessus lucorum), die erhaltenen
Namen von bestimmten Gottheiten, die Errichtung von Kirchen und
Kapellen in der Bekehrungszeit, die Glockensagen etc. — die Vermutung
nahe legen, dass diese Wälle mit dem heidnischen Kultus etwas zu thun
haben, so muss doch zur Zeit zugestanden werden, dass ganz sichere
zwingende Beweise für diese Hypothese vor der Hand fehlen, insofern
man verlangt, dass in ihrem Innern vor allen Dingen kulturelle Gegen-
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114
Sanitätsrat Dr. Behla:
stände zu Tage treten müssten. Wenn man sieh dies alles näher über-
legt, so ist des eigentlich ein unbilliges Verhingen. Gesetzt, es waren
in Friedenszeiten Opferwälle, so ist nicht anzunehmen, dass in diesen
die rituellen Geräte aufbewahrt wurden. Die „prähistorische Sakristei",
wo dieselben verwahrt wurden, wird aller Wahrscheinlichkeit in einem
Hause des nahewohnenden Priesters ihren Platz gehabt haben. Von
dort wurden sie zu bestimmten feierlichen Gelegenheiten nach den
sakralen Stätten mitgenommen. Dazu kommt, dass in der Bekehrungs-
zeit mit fanatischem Eifer alle Gegenstände, die an das Heidentum
erinnerten, vernichtet, ins Wasser oder in den Sumpf geworfen wurden.
Hölzerne Götzenbilder wurden, wie wir an dem Beispiel von Garz und
Arkoua sehen — dort hat mau bekanntlich bei einer Nachgrabung von
rituellen Dingen auch nichts erübrigt — verbrannt, oder sie haben als ver-
gängliche Gegenstände dem Zahn der Zeit nicht trotzen können. Sei
dem aber wie ihm wolle, man fragt sich immer wieder, wo sind denn
die Stätten, wo zur heidnischen Zeit so viel geopfert wurde, wo die
Überbleibsel von Tieren, Pflanzen und anderen Opfern, die doch that-
sächlich nach tausend faltigen Notizen von Schriftstellern bestimmten
Göttern dargebracht wurden, wo sind die heiligen Inseln und die „sacra
silvarum" mit den „aceessus lueorum?" Der gesunde Menschenverstand
sagt sich, dass es doch Stellen geben muss, die mit dem früheren Kultus
zusammenhängen. Dem übertriebenen Skepticismus muss mau zurufen:
Warum willst du weiter schweifen, sieh das Richtige liegt so nah.
Manche Forscher hält davon, an die sacrale Bestimmung der Rund-
wälle zu glauben, der Umstand ab, dass diese Wälle jetzt meist frei auf
wiesigem Terrain liegen, nicht inmitten von Hainen. Letztere sind
höchstwahrscheinlich verschwunden im Laufe der Jahrhunderte und wer
sich davon einen Begriff im grösseren Styl machen will, der fahre einmal
nach dem Spreewald; ein sehr grosser Teil desselben, die ganze Gegend
zwischen Lübbenau und Leipe, wo sich jetzt dem Auge ebene Wiesen
darbieten, w ar noch vor verhältnismässig kurzer Zeit starrender Urwald.
Also die Umgebung unserer Kingwälle kann sehr wohl ehemals ein
Ilain gewesen sein, wie nach meinen Beobachtungen noch heute immer
Quellen oder Wasser in der Nachbarschaft angetroffen werden.
Die modei ne Forschung hält sich selbstverständlich an die Aus-
grabungsgegenstände. Mustern wir die Inclusa, so zeigt sich zunächst,
dass gerade Waffen an diesen Orten nicht häufig sind. Das spricht
gegen fortifikatorische Bestimmung. Die anderen Altsacheu, denen sich
ja viele moderne beigemischt haben, sind teilweis profane, die an-
scheinend der Kultushypothese widersprechen. Ist denn aber so gut
wie nichts von rituellen Dingen darunter? Es muss zugegeben werden,
dass man den Steinlinden, Kohlen und Knochen nicht ansehen kann,
ob sie zu profanen oder Opferzwecken gedient haben. Aber man muss
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Der Barzlin im Spreewald.
115
sicli doch immer wieder wundern über die durchweg kohlschwarze
Erde des Wallinnern. Dieses deutet auf viele Brände an verschiedenen
Stellen. Man muss sich wundern über die zahllosen Scherben von
Thongefässen.
Mag man auch noch so lange Zeiträume aus Belagerungs- und
Zufluchtszeiten zur Entstehung derselben in Anspruch nehmen, die
ungeheure Zahl und Masse, die Wagner z. B. vom Schliebener Burgwall
auf ca. HH.KI Fuhren scliätzt, setzt geradezu in Erstaunen. Von zufallig
entzwei gegangenen Gelassen können diese Millionen von Scherben
kaum herrühren, auch von zerfallenen Urnen nicht. Immer wieder
finden sich neue kohlige Schichten und Erdstreifen über den alten
Scherbenlagern. Es muss dies einen Grund haben, der uns noch
unbekannt ist. Wir wissen, dass heute noch in der Lausitz an Polter-
abenden Töpfe geworfen werden, dass bei Begräbnissen der alten
Germanen es Sitte war, ein Totenmahl zu feiern und die dabei ge-
brauchten Gefässe zu zertrümmern etc., war es vielleicht auch alter
Brauch, die Thongeschirre, aus denen die Opfermahlzeit genossen wurde,
zu zerschlagen u. dgl.? Weitere Forschungen werden hoffentlich in dieser
Hinsicht weitere Aufklärung bringen. Hat aber das gewöhnliche Topf-
gerät nichts Rituelles an sich, woher kommen unter dieses Geschirr
Räuchergefässe, muldenartige, als Kohlenbecken gedeutete Gefässe,
Scherben mit einem vierspeichigen Rad (Schlichen), ungebrannte Menschen-
knocheu aus fest zusammengebackenen, kompakten Schichten (Sehlieben)
vorslavischer Zeit, wo die Toten doch verbrannt wurden etc.? Wie will
man sich die dicken Lagen halbverkohlter Getreidehalme, die z. B.
Wagner so vielfach im Schliebener und Siehe im Tornower Wall auf
Steinherden konstatiert hat, erklären? Tn der Nähe mancher Rund wälle
sind Bronceidole, in der Umgebung des Bürger Schlossberges die be-
rühmten Broncewagen und der Bonceschmuck von Babow etc. ans Licht
gefordert worden. Macht «las nicht stutzig? Liegt vielleicht der negative
oder geringe Befund von Opfergeräten auf oder neben diesen Anlagen
nur daran, dass noch nicht genügend dort gegraben worden ist? Ist
wirklich alles geschehen, um die Bedeutung derselben völlig klar zu
legen? Durchaus nicht. Die Frbauerfrage kann man in der Lausitz
als gelöst betrachten. Die (Qualität der Schei ben, die Mehrschichtigkeit
mancher Wälle ist so charakteristisch und wiederholt sich immer wieder,
dass man durch ein paar Spatenstiche so zu sagen konstatieren kann,
wes Geistos Kind ein Rundwall ist. Ist aber ein einfaches Lochgraben
oder ein Grabenziehen entscheidend für das Problem des Zweckes?
Keineswegs, das sind alles keine Ausgrabungen grossen Stils. Es ist
durchaus notwendig, einmal in einer der grösseren fundreichen Anlagen,
die auf lauge Benutzung hindeuten, das Wallinnere komplet durch-
zugraben. Was hat Wagner in dem Schliebener Burgwall, in dem er
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116
Sanitätsrat Dr. Robert Behla: Der ßarzlin im Spreewald.
wol ein Dutzend mal grub, schon alles erzielt ! Unter andern an mehr-
fachen unberührten Stellen angebrannte Mensehenknochen; und doch
gesteht er an einer Stelle seiner Schriften ein, dass er kaum den
hundertsten Teil des Wallinnern erschlossen habe. Freilich das kostet
Mittel. Nicht jedem stehen Schliemannsche Mittel zu Gebote. Es bedarf
eines Rundwallausgrabefonds, um diesen Plan zu realisieren. Dann, wenn
das geschehen, wenn die sämtlichen Fundgegenstände eines Walles vor
uus liegen, dann wollen wir einmal das Plenum der inclusa selbst reden
lassen. Dann kann das Urteil anders lauten. Und eine umfangreiche
weitere Ausgrabung ist notwendig, wenn die Rund wall »frage schliesslich
gelöst werden soll.
Wer da glaubt, dass d;is letzte Wort darin gesprochen ist, täuscht
sich. Die jetzt dominierenden Anschauungen von Befestigungen etc.
sind zeitweilige Strömungen. Die Wahrheit über den wahren Zweck der
Aufwerfung muss sich wie überall allmählich entwickeln aus dem Wider-
streit der Meinungen. Es ist notwendig, Rundwall vergleichende Forschung
zu treiben. Dank des Ministerialreskriptes über die Erhaltung und
weitere Bekanntmachung dieser Stätten*) werden immer mehr bekannt
und fordern zur Untersuchung heraus. Viele solcher runden Anlagjen
entpuppen sich bei näherer Prüfung als Pseudorundwälle. Es zeigt sich
ferner, dass nicht alle denselben Zweck hatten. Vieles ist noch der
Klärung bedürftig. Ein Befund gilt nicht für alle. Und wenn erst das
Dogma umgestossen sein wird, wonach diese Wälle erste Ansiedelungs-
pliitze, ständige Wohnsitze etc. gewesen seien, dann wird sich auch die
nach meinem Dafürhalten richtige Ansicht durchbrechen, dass erst die
Dörfer da waren und dann die Wälle als die Werke einer oder mehrerer
Gemeinden angelegt wurden. Welche verschiedene, sich widersprechende
Meinungen haben sich hintereinander im Laufe der Jahrhunderte über
die Pyramiden Egyptens abgelöst, — heute sind sie wieder das, was sie
eigentlich waren, — Gräber.
Luckau i. Lausitz, im November 189(>.
*) Das betreffende Reskript lautet: „Auf Anregung des Kultusministers bat der
Minister für Landwirtschaft durcb Cirkular-Reskript vom 15. Aug. 1888 die Königlichen
Regierungen auf B. 's Buch: >Die vorgeschichtlichen Rundwälle des Ostlichen
Deutschlands« aufmerksam gemacht und dieselben zugleich veranlasst, an der Erhaltung
der Rundwälle, soweit sie sich auf Domänen und forstfiskalischem Grund und Boden
befinden, Bedacht zu nehmen, insbesondere aber die beteiligten Forstbeamten mit
entsprechender Weisung zu versehen. Auch soll zur weiteren Auffindung von Kund-
wällen Herrn B. Mitteilung gemacht werden.
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Die Kirche zu Tammendorf und ihr Erbauer,
der General-Lieutenant Freiherr von Mikrander.
Von Pastor Richter in Teupitz.
Das etwa 4(>0 Einwohner zählende Dorf Tammendorf liegt an der
von Frankfurt a. 0. nach Crossen führenden Chaussee, 2 Meilen von
letzterem auf einer sanft ansteigenden Anhöhe, deren Gipfel die Kirche
einnimmt, von welcher herab man in das Dorf blickt und hinüber zu
dem hinter einem Walde und dem Oderstrom anmutig gelegenen ehe-
maligen Cisterzienser-Kloster Neuzelle, in dessen herrlichen Räumen sich
bekanntlich gegenwärtig ein Schullehrer - Seminar befindet. Unten am
Ende des Dorfes in einer Niederung vis-ä-vis der Kirche residierte in
seinem Schlosse der Freiherr von Mikrander, ein tapferer Degen. — Er
soll der allgemeinen Annahme nach teilgenommen haben an dem Zuge
gegen die Türken, zu welchem bekanntlich der grosse Kurfürst dem
Kaiser infolge eines geschlossenen Vertrages ein Hülfskorps durch den
berühmten General von Schöning zuführen Hess. Der Kurfürst musterte
das Brandenburgische Kontingent am 17. April 1(>83 in der Nähe von
Crossen bei dem Dorfe Sagar.
Es mögen in der Kürze zunächst die äusseren Lebensverhältnisse
unseres Helden vorgeführt werden.
Georg Adolph von Mikrander (Ort und Jahr seiner Geburt sind
unbekannt) war im April 1683 in den Reichsfreiherrnstand erhoben
worden und erhielt in demselben Monat vom Kurfürsten das Bestätigungs-
diplom. Er hatte in österreichischen Diensten gestanden und ward in
kurbrandenburgischen 1680 zum Generalmajor, 1704 zum Geuerallieutenant
ernannt. Später war er Gouverneur von Colberg geworden, welchen
Posten er 1713 an den General Grafen von Schlippenbach abtrat. Es
war ihm auch die Würde eines Chefs der Ritterakademie in Pommern
übertragen worden. Er legte sie seines hohen Alters wegen nieder und
wurde Gouverneur der Stadt Frankfurt a. 0. 1723 starb er hochbetagt
auf seinem Rittersitze Tammendorf, den Ruhm eines gelehrten, tapferen
und einsichtsvollen Mannes hinterlassend. Männliche Descendenten hatte
er, wie es scheint, nicht. Seine Gemahlin, eine geborene von Klingsporn
aus dem Hause Blaustein hatte ihm 2 Töchter geboren, welche den Vater
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Pastor Rifhter:
überlebten. Im Wappen führte er einen geharnischten Manu und führte
dieses Sinnbild mit Recht.
Wir richten nun unsere Blicke auf den Schauplatz seines auch in
ländlicher Zurückgezogeuheit thätigen Lebens, auf Tammendorf, den
langjährigen, lieben Wohn- und Wirknngsort des Schreibers dieser Zeilen.
Das Schloss fand der Freiherr bei Übernahme des Ritterguts vor.
Im Mittelalter erbaut, massiv, war es ein grosses, imposantes Gebäude,
von einem Graben umgeben, zweistöckig, mit zwei Seitenflügeln. Die
weiten Räume des ersten Stocks waren gewölbt (Kreuzgewölbe); die
Umfassungsmauern hatten eine Stärke von über b' Fuss, und man fand
in ihnen, als das Schloss 1840 niederbrannte, Gänge und kleine Gemächer
und in letzteren Apparate zur Herstellung von Münzen. Wahrscheinlich
hatten vor Zeiten Falschmünzer dort ihr heimliches Wesen getrieben.
Einige im Schutt vorgefundene, für numismatische und antiquarische
Forschungen wahrscheinlich Anhalt bietende Münzen entzogen sich der
Cognition, da sie durch unberufene Hände bei Seite geschafft worden
waren. —
Die Krbaunng der Kirche fällt wahrscheinlich in das Jahr 1(>%
und soll sich, wie erzählt wird, der General beim Bau der Arbeit eiues
Frankfurter Regiments bedient haben, welchem er eine Soldzulage ge-
währte aus seinen Mitteln, was wenigstens nichts Unwahrscheinliches
hat. Der Kirchplatz ward von ihm von einer mit Türmchen und Schiess-
scharten versehenen Mauer umgeben, welche zum Teil noch 18)37 stand
und später völlig abgebrochen ward. Die Kirche selbst (Tonnengewölbe,
Rococostil) ist ein schöner Bau und erweckt die Aufmerksamkeit der
an dem Kirchberge Vorüberreisenden. Die unter dem Turm liegende
Hauptthür (Flügel), welche nur bei Trauungen und festlichen Gelegen-
heiten geöffnet wird, da zum gewöhnlichen Gebrauch eine seitwärts des
Gebäudes in einem Vorsprunge angebrachte kleine Thür dient, gewährt
einen herrlichen Blick auf das Dorf und das Oderthal, sowie auf die
gegenüber liegenden Berge mit der Stadt Fürstenberg. Das Innere der
Kirche ist klar, ansprechend, zumal die manche Kirchen beengenden
und verunstaltenden Emporen fehlen. Die beiden einander gegenüber
liegenden Logen, die des Gutsherrn von Tammendorf und die des Guts-
herrn von Riesnitz, liegen in Seitenräumen, die ebenfalls hochgewölbt
sind, so dass die Kirche die Gestalt eines Kreuzes bildet. Die Gesimse
und die Decke sind mit Stuekaturarbeiten schön verziert. — Der Altar
beiludet sich auf einem erhöhten Platz, welcher von dem andern Kirchen-
räum durch ein eisernes Gitter getrennt wird. Es ist ein einfach ge-
schmückter Holztisch, überdeckt mit einer schönen Decke von Violettfarbe.
Auf ihm ist ein Holzschnitzwerk von etwa 4 Fuss Länge und 1 \;» Fuss
Höhe, die Grablegung Christi darstellend, aufgestellt. Es rührt wahr-
scheinlich aus dem 15. oder 1(5. Jahrhundert her und ward aus der
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Die Kirche zu Tammendorf und ihr Erbauer
119
früheren alten Kirche nach deren Abbruch in die jetzige übergeführt.
Die Skulptur ist nicht ohne Knnstwert und ward vor längerer Zeit von
einem Sachverständigen mit Bronzefarbe überzogen.
Auf 6 Stufen steigt man zu dem unter dem Altar befindlichen
Tütengewölbe hinab, welches den Sarg des Freiherrn und 4 — 5 andere
Särge mit den Uberresten der Seinigen enthält. Auch eine Mumie findet
sich darunter, nach der Tradition die Leiche eines Fräuleins von San-
guinis (unbekannter Name) oder einer türkischen in der Familie des
Generals erzogenen jungen Dame. Das reiche, nussbraune Haar war
vor 20 Jahren noch wohlerhalten, auch die Gesichtszüge waren noch
erkennbar und Reste von Seidenkleidern vorhanden. Einen kostbaren
Ring sollen Diebe vom Finger der Toten gezogen haben. Seitdem hat
alles durch das oftmalige Öffnen des Sarges gelitten. Aus diesem Grunde
blieb das Untersuchen des Mikranderschen Sarges den Neugierigen mit
Entschiedenheit versagt. Wahrscheinlich ist auch in diesem Sarge eine
Mumie vorhanden. — Ein anderer Sarg hat an einer Seite eine vier-
eckige Fensterscheibe, welche nach der Bestimmung des Verstorbenen
eingesetzt ward. Zwei einander gegenüber liegende vergitterte Öffnungen
führen dem Gewölbe frische Luft zu, sodass der sonst in Gewölben an-
zutreffende Modergeruch fehlt.
„Ainsi tout passe sur la terre, Esprit, beauttf, graces, talents;
Teile est une fleur Ephemere que renverse le moindre vent".
Gewiss, an diese Wahrheit wird man unwillkürlich erinnert. —
Neben dem Altar, einige Schritte hinterwärts, ziemlich hoch, hängt
das mächtige Bildnis des Erbauers und Schutzherrn der Kirche, um-
geben von allen Waffen der damaligen Zeit und Emblemen mannigfacher
Art (Zirkel, Globen, Papierrollen etc.). Die Gegenstände sind aus stark
vergoldetem Holz geschnitzt und gut gearbeitet. Unter dem Bilde sind
auf einer ovalen Tafel die Namen und Titel des in seiner ganzen Er-
scheinung stattlichen Mannes verzeichnet. Das Bild ist eine Zierde der
Kirche. —
In derselben befinden sich auch unter der auf der rechten Seite
(also nicht über dem Altar) stehenden Kanzel die mit Heiligen- und
Apostelbildern verzierten Klappthüren, welche den Altar der früheren
Kirche schmückten. Leider hat der Versuch einer ungeschickten Hand,
die Bilder durch Wasser (vielleicht Seifenwasser) zu reinigen, die Farbe
sehr verblasst, was zu bedauern ist. Möge dies anderen unkundigen
Konservatoren zur Warnung dienen, damit nicht die Seltenheiten und
wenigen Reste aus altehrwürdiger Zeit uns mehr und mehr verloren
gehen! Möchten doch alle beflissen sein, von dem Untergänge zu retten,
was noch gerettet, erhalten werden kann! —
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120
Pastor Richter: Die Kirche zu Tammendorf und ihr Erbauer.
Wir kehren noch einmal zurück zu der Person des Herrn von
Mikrander. Dass er ein gelehrter, tapferer, einsichtsvoller Herr gewesen
ist, ist bereits erwähnt worden. Die Tradition weiss über ihn manches
zu berichten, woraus wir schliessen können, dass er ein ernster, dabei
milder Mann war. Allsonntäglich versammelte er die Bauern vor seinem
Schlosse, um sie demnächst in die Kirche zu führen, nachdem er sie
zuvor gemustert hatte in militärischer Weise. Die ohne ausreichende
Entschuldigungsgründe Fehlenden oder nachlässig Gekleideten wurden
auf einige Stunden eingekerkert, aber während dieser Zeit gut verpflegt.
Diese gute Verpflegung verwandelte sich indessen in eine schlechte,
spärliche bei vorkommender Wiederholung des Vergehens. Dem Gottes-
dienst wohnte v. M. in würdiger Haltung bei, hörte auch die von der
Kanzel gegen das damals in Gebrauch kommende Tabakrauchen ge-
schleuderten Angriffe an, rauchte aber bald darauf im Schlosse noch
vor der Mittagstafel mit Wohlbehagen seinen holländischen Tabak. Mit
dem Geistlichen stand er, ungeachtet des von demselben geschmähten
und verabscheuten Hänchens, in dein besten Vernehmen und förderte
jeden guten Zweck mit grosser Bereitwilligkeit. Er war auch ein
Freund der Schule und Hess sich von Zeit zu Zeit von dem alten Orts-
lehrer ein Verzeichnis säumiger Schulbesucher vorlegen. In solchen
Listen fanden sich nach der Sitte der Zeit wundersame Dinge z. B.
Stellen wie die folgende: Bauer N. hat 4 (nämlich Kinder), lässt aber
nur selten einen gehen (zur Schule). Kossäth B. hat 2, von welchen er
nur 1 gehen lässt. Kossäth M. hält auch an sich und will trotz meiner
Ermahnung keinen einzigen gehen lassen, obgleich er 3 hat, welche ihm
viel Rumor machen, wie die Leute sagen: Wie will das werden? Ich
bitte in tiefster Ersterbung Eure freiherrliche Gnaden, sich dazwischen
zu legen. — Wahrscheinlich geschah letzteres auch in fühlbarer Weise
nach der Regel nou verba, sed verbera! —
Ich schliesse meinen kurzen Bericht über den Freiherrn von
Mikrander und sein Bauwerk, die Kirche zu Tammendorf. Möge meine
Schilderung dazu beitragen, einen edlen Namen der Vergessenheit zu
entreissen und der vaterländischen Geschichte zu erhalten. Vielleicht
wird auch mancher Leser die sich etwa darbietende Gelegenheit zur
Besichtigung jener Kirche gern benutzen.
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Über die historischen Beziehungen der alten
Stadt Jüterbog zu Berlin.
Von W. Zinckc.
Sehen wir von den allgemeinen Beziehungen sowie davon ab, dass
bereits 1174 ein Philipp von Jüterbock eine so bedeutende Persönlich-
keit ist, dass er als Zeuge auftritt, so verdient jedenfalls der Umstand
Beachtung, dass Markgraf Ludwig i. J. 1336 die Zollhebung in Havel-
berg (theloneuin in Havel borg) für 328 Mk. Silber (brandenburg.) an
.Johann, Bürger zu Cöln (a. d. Spree) und Copikino, dicto Jüterbok,
eorumque legitimis heredibus verpachtet.
Die Familie Coppeke scheint ausserordentlich angesehen und reich
gewesen zu sein. Aus dem Jahre 1344 heisst es: Nos Coppeke
Juterbuck, civis in Colne, Claus .Tuterbuck, filius Nicolai Juterbuck
ac Coppeke Juterbuck (der obenerwähnte), filius Henningi Juterbuck,
civium olim in Brandeburg, schenken 1344 an die neuerbaute Kirche in
Buckow, Filial von Garselitz, 124 Mk. Silber. Die Kirche zu Buckow
wird laut einem, de dato Jüterbogk, 20. Dezember 1351, ausgestellten
Rescript des Markgrafen Ludwig der Römer dem Patronat seiner
Söhne unterstellt. Der erwähnte Markgraf scheint übrigens öfter in
Jüterbock Aufenthalt gehabt zu haben, denn unter dem 25. Februar 1348
verpfändet er von Jüterbock aus an Thilo von Calow, Bürger zu
Luckau, die Juden zu Guben und Luckau für anderthalb hundert margk
brandenb. Silbers.
Markgraf Ludwig der Römer hatte unter der durch das Auftreten
des falschen Waldemar hervorgerufenen Bewegung sehr zu leiden. Um
die letzten Regungen dieser unheilvollen Angelegenheit zu unterdrücken,
hatte er Anstrengungen gemacht, denen er in finanzieller Hinsicht nicht
genügen konnte; er geriet in immer grössere Schulden. Aber viele an-
gesehene und vornehme Bürger Berlins traten als kräftige und rührige
Förderer und Verteidiger der Rechte der Wittelsbacher auf und halfen
dem Markgrafen mit zum Teil sehr bedeutsamen Summen. Unter den
Namen dieser Bürger steht auch erwähnenswert Bethke (Albrecht)
Jüterbogk.
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W. Zincke:
Am 18. Februar 1355 bekunden die Ratmannen in Berlin einen
Erbschaft* verzieht gegen den Rat zu Jüterbock. Derselbe hat folgenden
Wortlaut:
„Den ehrsamen und eifrigen Leuten, den Rathmannen, den
Schöffen und dem Schulzen zu Jüterbock die Rathraannen in
der Altstadt Berlin Zunahme an Hochachtung und Dienstwillig-
keit! Euch und Allen, denen daran gelegen, es zu wissen, thuu
wir hiermit ausdrücklich kund, dass unser Mitbürger Bernhard
Kixe in seinem Namen und Namens der Wittwe seines Vaters
Johannes Kixe, Adelheid, und seiner Tochter Margarethe, in
unserm Beisein freiwillig auf das Erbe oder Haus, das bei Euch
steht und durch den Tod der Ehefrau des weiland Arnold Kixe
an sie gefallen ist, zum Besitze und Niessbrauch der ehrbaren
Herrin Adelheid, Wittwe Eures Mitbürgers Fritz von Züdem
(Ziethen) Verzicht geleistet haben und hierdurch vor uns Ver-
zicht leisten".
Im August desselben Jahres, am Tage der Enthauptung Johannes
des Täufers, den 29. August, war Markgraf Ludwig der Römer zu einem
Kongress in Jüterbock. Er verhandelte hier mit dem Herzog von
Sachsen, dem Bischof von Magdeburg und dem Markgrafen von Meissen
zur Durchführung eines Verbotes, wegen der letztvergangenen Zwietracht
mit Berlin und Köln jemand zur Verantwortung zu ziehen.
Es ist nicht unwahrscheinlich, dass der erwähnte Markgraf bei
seinem wiederholten Aufenthalt in Jüterbock hier auch den in einer
Treuenbriezener Urkunde von 1356 erwähnten Marquard Jutterbock
kennen lernte und in seine Dienste nahm, der sich in diesem Jahre als
Ritter am markgräflichen Hofe in Berlin findet.
Unter der Herrschaft des Markgrafen Sigismund verbinden sich
137(«) die altmärkischen Städte Brandenburg, Stendal, Gardelegen, Oster-
bnrg und Tangermünde „wegen gemeiner Sicherheit" mit dem Erzstift
Magdeburg und den magdeburgischen Städten Calve, Burg, Haldensleben
und Jüterbock.
Das Jahr 1397 bringt Jüterbock mit Berlin in enge Berührung
wegen eines unaugenehmen Rechtsfalles. Erstere Stadt hatte ihr hohes
Gericht geübt und einen gewissen Biodenstorf aus Brietzen hingerichtet.
Sein dort wohnender Bruder Hans befehdete darob die Stadt Jüterbock ,
bis Berlin alle Zwietracht und Streitigkeiten freundlich schlichtete,
derart, „dass man auf beiden Seiten der ganzen Angelegenheit mit allen
ihren Folgen und Misshelligkeiten, kleinen oder grossen, weder jetzt .
noch je in Zukunft mehr gedenken soll". Die blutdürstige Stadt Jüter-
bock mussto 30 Schock meissnischer Groschen Sühne an die Kinder des
Hingerichteten zahlen.
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Über die historischen Beziehungen der alten Stadt Jüterbog xu Berlin. 123
Eine andere Fehde, die um die Zeit 1412 — 1414 füllt, ward gleich-
falls durch Yermittelung des Rates von Berlin beseitigt. Ein Bürger
v<»n Jüterbock, Clav es (Claus) Keling hatte das Unglück gehabt, dass
ihm auf der Oder durch die Märkischen P/3 Last Heringe, 1 Tonne
Hechte und 1 Annbrust genommen wurden. Die Beute wurde nach
Bernau gebracht. Der Rat zu Jüterbock ersucht nun die Ratmannen
zu Berlin, ihrem Mitbürger guten Willen zu zeigen und durch einen
Brief an den Herzog von Mecklenburg und an die von Bernau zu weisen,
damit ihm seine Habe wiedergegeben werde.
In unmittelbarste Beziehungen zu Berlin trat Jüterbock unter,
der Regierung des Burggrafen Friedrich von Nürnberg. Der Raubkrieg
welchen die Quitzows, Bochows, Putlitze u. a. gegen ihren neuen Mark-
grafen und auch gegen den Erzbisehof von Magdeburg führten, berührte
Jüterbock ungemein. 14 \-\ „haben die Quitzowen mit Wichard von
Bochow, der Früwlein Annam, Herrn Caspar Ganses, Edlen Herrn zu
Putlitz Tochter, zur Ehe gehabt, dem Erzbischofte zu Magdeburg grossen
Schaden angerichtet, sonderlieh im Jüterbockischen Lande und hat
der Burggraf bei jenen soviel nicht können erreichen, dass sie sich mit
dem Erzbischof vertragen und von irein fürnemen abgestanden haben".
Im folgenden Jahre (1414) zog Mannschaft von Jüterbock mit in
den Feldzug, den Burggraf Friedrich zu Nürnberg mit seinen vier Heeren
gegen die vier märkischen Raubschlösser auf einmal eröffnete. Die
Abteilung von Jüterbock legte sich unter Führung von Johann von
Torgow am Tage Dorothee mit denen von Briesen, Beelitz, Zinna und
Lelinin vor Schloss Buten (oder Beuthen), darauf „Gosske Prederlauw,
Hansens von Quitzow Hauptmann gesessen". Nach dem Falle von Plaue
übergab Gosskinus Prederlauw auch seinerseits Beuthen. „Sie konnten
frei abziehen, während Wichart von Bochow, mit den seinen an helssen
stricken habende, und die Frawenzimmer in weissen Badekitteln gleicher-
gestalt vom Hausse gehende, mit einem tieften und demüthigeu Fussfal"
in die Gefangenschaft geführt wurden.
Dem Geiste der Zeit entspricht es, dass bei den schnell wechselnden
Interessen Jüterbock gezwungen war, bald für — bald gegen jemand
Partei zu nehmen. Je nach der Seite, nach welcher Erzbischof Günther»
Graf von Schwarzburg, neigte, musste sich auch Jüterbock neigen. So
finden wir am Allerheiligen Abend I41.'i Günther mit den Bürgern von
Magdeburg und Jüterbock in Golwitz; sie „haben den armen leuten
da genommen ö schock Rindviehs, 2 schock Pferde; dazu Korn, Huser
und ezliche (!!) verbrannt, insgesammt schaden von GOU böhmische
groschen".
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124
W. Zincke:
Aus dem Jahre 1419 findet sich ein Notariats-Instroment der Stadt
Berlin „schade wegen". Es heisst daselbst: „Item anno 1419 umb
katherinen hat kerstan wiczleue (Christian von Witzleben), hoybtman
zur Dame und Jäterbock, velen bürgern von Berlin genommen und
vff getreben 4 leste heringe, wo die last kostet 30 beheimische schock
groschen. Darzu 3 pferd und 2 armborst mit andern gerete, daz gud
allis den unsen, alz wi Jeke mackeprange, und laurenz schulzen geherete
und er fing laurencz schulzen darzu, der noch seyn gefangen ist und in
syme globde ; von den 4 lestin behielt er eyne last mit gewalt, dy noch
unbezahlt ist und tet on dy andern dry leste czu borge uff insessin
borgin czu juterbock dy borgin noch da vor steen und nicht ledig sin".
Ein zweites Notariats - Instrument an den Erzbischof Gunther
findet sich unter dem 24. Mai 1420 „über die von den zum Kloster
Zinna gehörigen Dörfern geschehene Verzichtleistung aller ihrer Schäden
und Ansprüche, die ihnen durch das Bündniss des Erzbischofs zu
Magdeburg mit dem Markgrafen zu Brandenburg gegen Balthasar
von Wenden, Caspar zu Putlitz, Wichard von Bochow u. a. in. erwachsen".
in einem Schreiben aus Jüterbock vom 12. März 1420 an „den
vorsichtigen wisen Rathmannen und borge rn to Berlin vnsern lieben
besundern" beklagt sich denn Günther, Erzbischof von Gottes Gnaden
zu Meideborg (Magdeburg) über den Friedebruch der Hauptleute zu
Straussberg, Nauen und Neustadt. Es heisst darin:
„uus hebben geklagt Arend Kepenitz vnd Peter Zichow, unsere
börger zu Jüterbock, dat juwe Howelüde und medebörger von
Straussberg und von Naven nemliken Wemike Moller mit sewen
perden unde der lloptinann vnd die Borgern von der Niestadt
an Sante Simon Jude Dage inen hebben genommen ire Habe,
vier Perde an gereiden Gelde vnd an anderen gerete, als sie dat
achten upp vier bömische schock groschen. In dem Dorpe to
Cunersdorp hebben sie dat genommen und hebben dat tho ge-
drewen to Falkenhain. Als wir doch nicht anders weten, denne
dat wir mit vch in einer gütlichen ennung sitten, darumme
bidden wir iw mit besundern fliethe, dat ir den unsern vor-
genannten ire perde, geld und habe von stat an wederkeret vnd
geldet: wo dat nicht von stat an geschige, so müsten wir den
vnsern günnen, da sie denen iren nachquemen mit Rechte
vnd begeren des juver antwort".
Am 1. April 1421 verlängert Erzbischof Günther mit dem Mark-
grafen Friedrich von Brandenburg in Jüterbock das bereits bestehende
Bündnis und gelobt, jeder Beschädigung der Mark Brandenburg seitens
seiner Unterthanen getreulich zu wehren. Wenige WTochen darauf, am
9. Mai, trifft Günther wieder in Jüterbock zusammen mit Herzog
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Über die historischen Beziehungen der alten Stadt Jüterbog tu Berlin. 125
Albrecht von Sachsen sowie den Markgrafen Friedrich und Johann von
Brandenburg zur Aufrechterhaltung des Friedens und der Landessicherheit.
Besonders eng gestalteten sich die Beziehungen zwischen Jüter-
bock und Berlin unter der Regierung des zweiten Hohenzollern, des
Kurfürsten Friedrich II. Unter ihm wird Jüterbock neben Treuen-
briezen, Baruth, Dame und Wittenberg fast ausschliesslich als Zahlstelle
für Zinsen genannt.
Am tili. Juli 1441 belehnt er dann Bernd Kerstian, Loreuz genannt,
„Bürger in der Stat czu Jwterbog, unsern lieben getruwen" mit
Hebungen aus den Städten Treuenbriezeü, Beelitz und den Dörfern
Zauchwitz, Sticken und Fressdorf. Die von „Ulrich Zeuschel, dem
obersten Küchenmeister" ausgefertigte Urkunde besagt:
„so haben wir die besunder gnade gethan, und Elsen seiner
Tochter diese obingesch rieben guter, jerlichen Zinse und reute
alle zu einem leibgedinge gnädigst verliehen".
1442 findet zu Jüterbock eine „Beteidigung" der sächsischen und
brandenburgischen Räte wegen Grenzen und anderer Punkte statt.
Vier Jahre später findet sich Kurfürst Friedrich II. persönlich in
Jüterbock. 144(>, am 31. Dezember, beleiht er Hans und Heinrich
Loser, Erbmarschalke des Landes czu Sachsen mit Besitzungen in
der Zauche.
Die Bürger der Stadt Jüterbock scheinen dem Kurfürsten von
Brandenburg sehr zugethan gewesen zu sein; denn aus dem Jahre 144S
ist uns ein Dankschreiben des letzteren an sie erhalten, worin er ihnen
seinen Dank und seine Anerkennung zollt für geleistete Dienste in einem
(sonst unbekannt gebliebenen) Heerzuge.
Am Sonntag Lätare des Jahres 1451 findet dann eine vergleichende
Beratung betreffs weggenommener Güter Leipziger Bürger zwischen dem
Kurfürsten Friedrich von Sachsen und dem Kurfürsten Friedrich von
Brandenburg in Jüterbock statt. Letzterer kam von Nürnberg, von
wo aus er unter dem 27. Januar die Einladung hatte ergehen lassen.
Zwischen den beiden genannten Fürsten findet bereits im nächsten
Jahre am 28. April eine neue Zusammenkunft in Jüterbock statt
zwecks Regulierung der Grenzen zwischen Brück, Beizig, Brietzen und
Goltzow. Die Folge davon war am 9. Oktober desselben Jahres ein
Vergleich des Kurfürsten von Brandenburg zwischen Treuenbrietzen mit
Kloster Zinna wegen eines „Malhauffens bei dem Kreuze am Hehrwege
von Jüterbock nach Briezen zu der linden werts".
Gleichzeitig fanden in diesen Jahren noch Beratungen der Kom-
missarien beider Fürsten in Jüterbock statt behufs Entscheidung über
vorgekommene Räubereien. Jüterbock war der berufene Platz für
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126
W. Zinrke:
Kongresse. Am Sonnabend nach Allerheiligen 14<»0 fand in .Tüterbock
ein neue Fürstenversannnliiug statt. In Gegenwart des Kurfürsten von
Brandenburg sowie des Hauptmanns Balthasar von Schlichen belehnt
Bischof Dietrich von Brandenburg den Herzog Ernst von Sachsen und
Meissen mit den Schlössern Elbenau und Gottowe.
Vom l\. Juli 14(i(.) ist des weiteren ein Sehreiben des Kurfürsten
Friedrieh von Brandenburg bekannt an den erwähnten Herzog Ernst
wegen einer Zusammenkunft ihrer Räte in Jüterboek. Der Tag blieb
„märkischcrseitsu aber unhesueht. Es ist darüber ein Schreiben Georgs
von Schleinitz und anderer sächsischer Räte an die Herzoge Ernst und
Albrecht von Sachsen vom 1. August vorhanden, worin sie diesen
melden, dass nur der Rat von Wittenberg mit den Holtzdorffen, Hans
und ('. Meyr, von Hoyne und Köne von llerzberg da waren. Das
hinderte Friedrieh II. aber nicht, sicli an die sachsischen Herzoge um
einen guten Büchsenmeister und 2(H) Reiter zu wenden: sie willfahren
ihm darin auch.
Der Nachfolger Friedrichs II. von Brandenburg, Kurfürst Albree ht
Achilles ist auch einmal wahrend seiner Hijährigen Regierung in Jüter-
boek gewesen. Am Montag nach Sant lucastage, l'J. Oktober 1472,
belehnt er daselbst Hans, Friedlieh, Georg, Liborius und Gurt von
Schlieffeii mit Deutsch- und Wendisch - Wusterhausen, Schenkendorf,
Hoheulöhue und Gross-Machnow.
Der grosse Brand von 147S, durch den die ganze Stadt Jüter-
boek schwer in Mitleidenschaft gezogen wurde, scheint Fürstenver-
sammlungen auf längere Zeit unmöglich gemacht zu haben. Aller
Wahrscheinlichkeit nach lielen auch von diesem Jahre an die grossen
Ausgaben fort, welche der Rat der Stadt nach Berlin entsandte.
1477 wird zum letzten Male des Geschenkes an den Markgrafen
Albrecht Erwähnung gethan: 1 - Fuder Bier zu \) Schilling Groschen,
2'.) Groschen für seine Räte und (J Groschen des Markgrafen Boten für
Uberbringung von Geschenken und Glückwünschen zu Neujahr.
Nach Wiederaufbau der Stadt wurde sie wieder zum Mittelpunkt
fürstlicher Zusammenkünfte bestimmt. 1522 kam Erzbischof Albrecht,
Markgraf von Brandenburg, mit dem Kurfürsten Joachim I. von Branden-
burg und Herzog Georg von Sachsen in Jüterboek zusammen, um
über die Unterdrückung der lutherischen Reformation zu beraten. Eine
zweite Zusammenkunft zu gleichem Zwecke fand 1527 daselbst statt.
Weitere Beratungen in derselben Angelegenheit fanden dann in den
Jahren 1528 und 151.11 statt; an ihnen nahmen allerdings nur kur-
fürstliche Räte teil.
Aus dem letzten Jahre der Regierung Joachims I. (15115) meldet
die Chronik eine Begebenheit, die allerdings nur dein Bereich der
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Über die historischen Beziehungen der alten Stadt Jüterbog zu Berlin. 127
„Curiositäten" angehört, immerhin aber verdient, erwähnt zu werden.
Es heisst daselbst:
„(der Markgraf) hat auch zwene reitende bothen gehabt, einen
Alten und Jungen Beyerlin, deren beide Schilde noch heutigen
Tages in Marienkirchen zu Berlin, am Pfeiler, wen mau zur
leichhauss thür eingehet, auflf der rechten band hangen, welche
überaus schnei haben reiten können, dass derselben einer den
Churfürstcn zu Brandenburg autt' dem Herrentage zu Güter-
bock, als in octava corporis Christi, nebst seinen Herrn Bruder,
dem Erzbisehoffe von Meintz, mit der Monstranz hat sollen
herumb leiten (wie es im Papstum ist gebreuchlich gewesen)
einen Crantz von seinen Gemahl gebracht, für 8 Uhr, der umb
b' Uhr desselbigen Morgens ist gewunden worden".
Ein sehr lebhafter Verkehr zwischen dem Rat vonJüterbogk und
dem von Berlin hat im Jahre 1588 stattgefunden wegen Entscheidung
der Angelegenheiten des bekannten Rosskamms Michael Kohlhase.
1541 fordern die kurfürstlichen Kirchenvisitatoren die Bürger zu
Brandenburg und Jüterbock auf, gewisse geistliche Hebungen näher
anzuzeigen und ferner folgen zu lassen. Mit Bezug auf Jüterbock ist
der Brief geschrieben:
„Dem erbaren hermann lambergk, Bürger zu Jutterboek,
nnscrm guten Freunde".
Es heisst darin : „wau dan die gelegenheit erfordert, das wir des
allen Bericht bedurften, Erfordern wir Euch kraft empfangens Churf.
Befehls, das ir uf den Dienstag zu pfingsten schirst in Berlin vor uns
erscheinet u. s. w."
Laut einer Urkunde vom 20. September 1543, gegeben zu Cölln a. Sp.,
verkauft Kurfürst Joachim II. wiederverkäuflich zur Deckung von
Schulden das Kammergut Chorin für 20 (XK) Thlr. und erklärt: „so ge-
loben wir bei Ehren und treuen den achten Tag nach der meinung
ider eigner Person, mit Pferden und drei knechten zu Drossen, Witten-
berge oder lucko oder Gutterbock in gemeinen gasthoff auf Unser
kosten und erliehe Bezahlung erscheynen zu wollen".
Unter Kurfürst Joachim II. kam Jüterbock wieder öfter als Platz
für Fürstentage oder andere Zusammenkünfte auf. So heisst es aus
dem Jahre 1545: „Dienstag nach Cantate, als man mit dem Sehmal-
Ualdischen Bunde und Kriegsrüstungen widder Keyser Carolum V.
schwanger gegangen, ist landtgraff Philipp aus Hessen von Herrn Johann
Friderich, Churf Arsten zu Sachsen, von der Lochowischen Heide zu
Jüterbock ankommen und mit Markgraf Joachim IL, Churfürsten zu
Brandenburg, welcher am Mittwoch morgen von Kloster Zinna auch
hineinkommen, auf einen halben tag Unterredung gehalten". Joachim IL
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128
W. Zincke:
schloss sich aber dem Bündnis nicht an und blieb dem Kaiser treu;
„darüber ist der landtgraff entrüstet gewesen und von stundt an nach
gehaltener mittagmahlzeit auffgebrochen, widder zum Churfürsten von
Sachsen gegen Torgaw gezogen".
Die theologischen Streitigkeiten, die in erster Tiinie Fürsten und
Geistliehe beschäftigten, übertrugen sieh aber in der Folge auch auf
das Volk und die breiteren Massen. Aus dem Jahre 1547 schildert uns
Hefter in seiner Chronik S. 322 eine Revolte, die ihren Ursprung hat
in Verfügungen, die dem Betroffenen bei seiner Anwesenheit in Berlin
eingehändigt wurden.
1548 fand abermals in .lüterbock eine Theologen Versammlung
statt, zu der auch Kurfürst Joachim II. wieder aus Berlin kam.
Die Einführung der Reformation in den kursächsischen Ländern
zeigte die Einwohner von Jüterbock als sehr praktische Geschäfts-
leute. Luther hatte die Verehrung der Heiligen verworfen. Dadurch
waren in der Stadtkirche HO Altäre mit ihrem Gerät überflüssig ge-
worden. Die Jüterbocker wussten sich zu helfen. Am \\. Februar 15<>2
war durch einen Sturm die Spitze des einen Turmes wenigstens in der
oberen Hälfte herabgeworfen worden. Ilm ihn aufzubauen, bedurfte man
Mittel. In ihrer Wahl war man nicht bedenklich. Das überflüssig ge-
wordene Kirchensilber, 4'A Mark Ii Loth, verkaufte man und zwar in
Berlin für ITC»- 3 Thlr., d. i. 1 j des wirklichen Wertes, abgesehen vom
Kunstwert. In Jüterbock erkannte man bald, dass man sich in Berlin
bei dem Handelsgeschäft hatte übervorteilen lassen; das Geschäft selbst
aber hatte gefallen, und so wurde schon ein Jahr darauf noch mehr
Silbergerät, auch das der Mönehenkirche verkauft, diesmal aber in
Leipzig. Auch der Kurfürst Johann Georg von Brandenburg kam ver-
schiedene Male von Berlin nach .lüterbock, so am 2. November 1591
mit den Herzogen von Weimar zwecks Beratung über die kursächsische
Vormundschaft, und dann 15(.)4, wobei ein Feuer in der Kirche ausbrach.
Reger Verkehr zwischen beiden Städten fand unter der Regierung
des Kurfürsten Joachim Friedrich und seines Nachfolgers statt. Im
Frühjahr 1004 traf er mit dein Kurfürsten von Sachsen und dem Herzog
Casimir von Gotha in Jüterbock zusammen, um sich mit ihnen über
die Jülichsche Erbschaft zu besprechen. Als dann der Erbfall wirklich
eingetreten war, fand Hill, vom l. Februar bis 21. März, volle sieben
Wochen lang, ein Fürstentag in dieser Angelegenheit statt, an dem von
brandenburgischer Seite teilnahmen: Kurfürst Sigismund, seine beiden
Oheime, seines Vaters Brüder: Markgraf Christian von Baireuth und
Markgraf Joachim Ernst von Ansbach; von sächsischer Seite Kurfürst
Christian II. und seine Brüder, die Herzoge Johann Casimir und Johann
Ernst von Sachsen (cfr. Chronisten).
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Über die historischen Beziehungen der alten Stadt Jüterbog zu Berlin. 120
Späterhin, am 26. April 1623, fand in Jüterbock auch eine
Zusammenkunft des Kurfürsten Georg Wilhelm von Brandenburg mit
dem Kurfürsten Johann Georg I. von Sachsen und dem Landgrafen
Moritz von Hessen statt.
Der dreissigjährige Krieg (1618—48) inachte sich in Jüterbock
ausserordentlich bemerkbar; kurbrandenburgische Heerführer und Kom-
missare nahmen hier ständige Quartiere und erfüllten hier die Befehle,
die ihnen von Berlin aus zugingen. Berlin war in dieser Zeit,
namentlich aber in den Pestjahren 1611, 1621, 1626 und 1687, auch der
Zufluchtsort vieler Jüterbocker Bürger. 1689, im August, als eine
schwedische Heerschaar von Pommern aus bis Berlin vorrückte, eilte
der Rat der Stadt Jüterbock in seiner Besorgnis hierher, um sich einen
— allerdings ganz überflüssigen und unnützen — Schutzbrief (für alle
Fälle) auszwirken.
Durch den westfälischen Frieden (1648) war das Erzbistum Magde-
burg an Sachsen übergegangen. Das Bedürfnis nach Ruhe machte sich
aller Orten geltend; der Grosse Kurfürst von Brandenburg hatte mit
seinem eigenen Lande vollauf zu thuu, und so findet sich in dieser
Zeit ganz erklärlich fast gar keine Verbindung zwischen Jüterbock
und Berlin.
Das Jahr 1675 lässt ersteres dann allerdings den Druck der auf-
blühenden Macht, die in Berlin festsass, ziemlich nachhaltig fühlen.
In diesem Jahre hatte der erzstif tische Landesherr Landeskinder werben
lassen, um sie nach berühmten Mustern den Franzosen als Soldaten zur
Verfügung zu stellen. Da aber Frankreich mit dem deutschen Reiche
im Krieg stand, wurden die Geworbenen abgefangen und Brandenburg
erhielt den Auftrag, eine Exekution gegen den Fürsten August aus-
zuführen. Am 16. Dezember erschien der brandenburgische Oberst-
lieutenaut von Golz mit 8 Kompagnien von Berliu vor Jüterbock
und verschaffte sich gewaltsam Einlass und Quartier. Er blieb bis
Ende Mai 1676; die fast halbjährige Kriegsbelastung schätzte die Stadt
auf 10000 Thaler. Sie hatte kaum aufgeatmet, als am 4. Dezember
der kurbrandenburgische General von Wolfersdorf mit gleichfalls
3 Kompagnien vor Jüterbock erschien und sich daselbst bis zum
Juni 1677 einquartierte. Zu gleicher Zeit erschienen ausserdem 300 Mann
kaiserlicher Truppen. Der rege, wenn auch zuweilen gezwungene Ver-
kehr mit Berlin hatte in anderer Beziehung aber auch wieder sein
Gutes. In Jüterbock hatte sich ein stark betriebenes, wiewohl un-
günstiges Gewerbe entwickelt, das des Strumpfstrickens; man strickte
aber nicht blos Strümpfe, sondern auch Beinlinge, die Fortsetzung der
Strümpfe. Da dieser Nahruugszweig namentlich Altersschwachen und
Gebrechlichen durch landesväterliches Reskript gestattet wurde, kam er
9
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W. Zincko:
mit der Zeit so in Aufnahme, dass wir ihn um 1700 finden als w Armee-
lieferant für die preussisehen Truppen".
Umgekehrt war Berlin Lieferant für .Jüterbock. 1737 erbaute
.loachim Wagner aus Berlin »las noch jetzt vorhandene schöne und grosse
Orgelwerk der Nicolaikirche.
Die Regienmgszeit Friedrichs des Grossen ging anfänglich während
der schlesischen Kriege an .lüterboek nicht sehr fühlbar vorüber; als
aber der siebenjährige Krieg ausbrach und König Friedrich II. sofort
aufbrach, war die Grenzstadt .lüterboek sein erstes Hauptquartier.
Am "2\l August 175(> rückte er ein und nahm im Bürgermeister
Schwenkeschen (Gerhardsehen) Hause Wohnung. Hier erfolgte auch
nach Ablehnung des Bündnisses von Sachsens Seite die Kriegserklärung
und diu feindliche Behandlung des Landes. Wie seinerzeit der 30jährige,
so hatte auch der 7jährige Krieg für .lüterboek noch in seinem
Frieden schlimme Nachwirkungen.
Die Geschichte der Freiheitskriege und der Zeit unseres Jahr-
hunderts lebt in den mittleren Altersklassen durch Erzählung der Gross-
väter und Väter noch fort. Mit dem Wiener Frieden wurde .lüterboek
preussisch und damit trat es in direkte Beziehungen zu der preussisehen
Hauptstadt.
Bedarf es ausser diesen oben angeführten Fakten und Daten noch
weiterer Unterstützung, so mögen zum Schlüsse noch einige bedeutende
Männer Erwähnung linden, welche in .lüterboek geboren sind oder
dort gelebt halten und die in engsten Beziehungen standen zu Berlin.
Der erste Platz gebührt zweifellos dem bekannten Schulmann und
märkischen Chronisten
Peter II äfft iz,
der um 15:25 in .lüterboek geboren wurde. Seine Thätigkeit als Lehrer
an der Marien- und Nicolaischide zu Berlin, seine weitere Amtstätigkeit
als Rektor der Petrischale in Cölln a. d. Spree sind dem Historiker
weniger wertvoll als die Abfassung seiner in annalistischer Form ver-
fassten „Kurtzen und wahrhaftigen Beschreibung des Zustandes der
Kurmark Brandenburg von LISS bis 151I5U, die auch uuter dem Titel
„Micro-ehronologieum" bekannt ist. Ist es auch erwiesen, dass Hafttiz
für dieses Werk wenig eigenes schriftstellerisches Talent beanspruchen
kann und gewissennassen nur ein Plagiat der zeitgenössischen Chronik
des Engelbert Wusterwitz geliefert hat, so hat er doch dadurch, dass
er dieselbe ausgiebiger als Angelus nicht blos im „Breviarium", sondern
auch in seinen ausführlichen „Annales Marchiae Brandenburgicae" be-
nützte, ein schätzbares Material zur Rekonstruktion jenes leider nur in
diesen Fragmeuten erhaltenen Werkes geliefert und seinem Micro-chrono-
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Über die historischen Beziehungen der alten 8tadt Jüterbog zu Berlin. 131
" logicum einen von ihm selbst ungeahnten Wert verliehen. HaH'tiz starb
1602 hier in Berlin.
Ein zweiter Name, der verdient, der Vergessenheit entrissen zu
werden, ist der von
Valentin Ernst L ö s e h e r ,
der in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts ein Vorkämpfer der
lutherischen Orthodoxie gegenüber dem Pietismus war. Während seiner
von 1698 bis 1701 dauernden Thätigkeit als Pfarrer und Superintendent
in Jüterbock, seinem ersten geistlichen Amte, hielt er Kateehismus-
examina ab und führte dieselben in der ganzen Diözese ein. Grössere
Beachtung verdient er durch sein Auftreten gegen den von König
Friedrich L, der 1703 in Berlin ein Unionskollegium eingesetzt hatte,
um zwischen der lutherischen und reformierten Kirche zu unterhandeln,
gemachten Unionsversuch, der die Auflösung des Kollegiums zur Folge
hatte. Es würde zu weit führen, hier ausführlichere biographische
Notizen mitzuteilen. Nur soviel verdiene Erwähnung, dass Löscher ein
halbes Jahrhundert lang eiue Säule der deutschen evangelisch-lutherischen
Kirche war, treu ihrem Bekenntnis, mannhaft für ihre Rechte, unermüdet
in Wort und Schrift für ihr Bestes arbeitend. Viele Gedanken und Ge-
sinnungen des Mannes sind zu seiner Zeit wenig beachtet worden, haben
aber etwas Prophetisches für unser Jahrhundert.
Noch eiu anderer Theologe verdient aus dieser Zeit Erwähnung,
der allerdings zuletzt als „grober Fanatiker und Inditterentist" bezeichnet
wurde, der auch geistliche Lieder verfasste, die aber keine Verbreitung
fanden, ein Mann, der ohne Zweifel ein „wunderlicher Heiliger" war,
Johann Michael,
• der nach seiner Amtsniederlegung als Pastor in Ahlsdorf vorübergehend
in Jüterbock lebte und von hier aus gegen seine Zeit ankämpfte.
Michael war. 1638 zu Wittenberg geboren.
Zuletzt möge aber genannt werden ein Mann, der weit über den
Kreis seiner Vaterstadt hinaus als ausgezeichneter Volksschullehrer und
Pädagog gefeiert wird, der am 30. Juli 1809 zu Jüterbock als Sohn
eines sächsischen Feldwebels geborene
Karl Eduard Gabriel.
Hier in Berlin wurde er eines der thätigsten Mitglieder der päda-
gogischen Gesellschaft. Im Herbst 1832 übergab ihm Diesterweg eine
Lehrerstelle an der mit dem Seminar für Stadtschulen verbundenen
Berliner Stadtschule, in welcher Eigenschaft er bis zu seinem Tode 1841
blieb. Gabriel war nicht nur ein ausgezeichneter Lehrer, sondern auch
9*
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1H2 W. Zincke : Über die histor. Besiehungen der alten Stadt Jüterbog zu Berlin.
ein wahrhafter Erzieher. Er war ein erster Anhänger Pestalozzis und
als solcher ein kraftbildender, rationeller Lehrer. Seine schrift-
stellerischen Arbeiten, unter denen die vorzüglichste seine „Anthro-
pologie"4 ist, haben den Namen des vonnaligen Aimahurger Soldaten-
waisenkuaben über alle Teile Deutschlands verbreitet.
Gedenken wir zum Sehluss noch kurz des erst vor wenigen
Jahren verstorbenen, gleichfalls aus Jute r bock gebürtigen Gyinnasial-
direktors (
K e r n iu Berlin,
so dürfte der Beweis erbracht sein, dass Jäter bock der Stadt
Berlin manchen Tribut in geschichtlicher und wissenschaftlicher Form
gebracht hat.
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Über die
Bildung natürlicher Vegetationsformationen
im Norddeutschen Flachlande.
Von P. Graebner.
Wenn jemand auf den grossen Eisenbahnlinien das norddeutsche
Flachland durchkreuzt und so auf tagelangen Fahrten die grossen Thälor,
in denen das Wasser des abschmelzenden Inlandeises sich seinen Weg
bahnte, oder auf den wenig bewegten 1 nluvialplateaus dahin fährt, wird
er wenig angenehm berührt sein durch die Monotonie der Landschaft, die
sich seinen Blicken darbietet ; — im Osten meist ausgedehnte einförmige
Kiefernwälder oder öde Sandfelder, die nur in den nördlicheren Teilen
dem freundlicheren Bilde grösserer Wiesenflächen und üppigerer Äcker
Platz machen, im Westen unabsehbare Heideflächen auf sanft gewölbten
Hügeln, nur hin und wieder unterbrochen durch nicht minder eintönige
Moore. Erst eine genauere Kenntnis des so oft verachteten rauhen
Norddeutschlands zeigt, dass das Urteil, welches unseren heimatlichen
Gefilden jedwede landschaftlich» Schönheit abspricht, nur von solchen
Reisenden gefällt werden kann, die aus einem flüchtigen Besuch sieh
ihre Anschauung gebildet haben. Sobald wir jene Gebiete der Monotonie,
die mit Vorliebe von den Eisenbahnteelinikern ausgesucht werden, ver-
lassen, treten uns die mannigfachsten Formationen entgegen; da finden
wir rauschende Buchenwälder abwechselnd mit üppigen Wiesen, in
manchen Teilen unterbrochen durch weitsehimmernde Wasserflächen.
Giebt schon eine flüchtige Reise durch das Gebiet zu denken,
warum sich der Westen uns so ganz anders gebildet entgegenstellt als
der Osten, so müssen wir uns um so mehr fragen, wie wir uns die
Ausbildung der verschiedenen Formationen auf engbegrenzten Land-
strichen zu denken haben, warum wir hier eine Heid» in unmittelbarer
Nachbarschaft eines Eichen- oder Buchenwaldes sehen, oft, ohne dass
wir äusserlich erhebliche Unterschiede in der Bodengestaltung zu er-
kennen vermögen, warum in der einen Thalmulde sieh ein Grünlandmoor
mit Riedgräsern ausgebildet hat, während eine benachbarte Senkung
durch ein typisches Heidemoor ausgefüllt wird. Es ist denn auch
in der That schon seit früher Zeit das Bestreben vieler Botaniker,
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134
P. Graebner:
Land- und Forstwirte gewesen, hier dem geheimnisvollen Walten der
Natur au£ die Spur zu kommen: es liegt ein eigener Reiz darin, die
Gründe und Gesetze ausfindig zu machen, von denen die Naturprodukte
bei ihrem Entstehen, bei ihrer Ausbildung abhängig erscheinen. Bereits
in den älteren pflanzengeographischen Werken finden wir Andeutungen
und Erklärungsversuche für diese oder jene formationsgeschichtliche
Thatsache, so schon bei Humboldt, bei Grisebach, besonders aber
bei De Candolle. In neuerer Zeit sind manuigfaehe Ansichten über
die Formationsbildung aufgetaucht und besonders eine Reihe von
Beobachtungen und zahlreiche Materialien, die sich in den Museen und
Herbarien gesammelt finden, sind für solche Forschungen nutzbringend
verwertet worden, so besonders von Warming, Engler u. a.; was
speziell das norddeutsche Flachland betrifft, so finden wir in vielen
Arbeiten Theorien und Thatsachen niedergelegt, die gezogenen Schlüsse
stehen sich oft diametral gegenüber, denn während die einen geneigt
sind, für die Selbständigkeit und Ursprünglichkeit der Formationen ein-
zutreten, glauben wieder andere annehmen zu müssen, dass in einem so
alten Kulturlande von natürlichen Formationen keine Rede mehr sein
könne. Besonders Borggreve und E. H. L. Krause, von denen na-
mentlich der letztere sich hervorragende Verdienste um die Ermittelung
florengeschichtlicher Thatsachen erworben hat, nahmen an, dass das
ganze norddeutsche Flachland, wenn es auch nur KM) Jahre von den
Menschen verlassen sein würde, mit Ausnahme vielleicht der Salzsümpfe
mit einem dichten Urwald bedeckt sein würde, und dass die Wälder,
die sich heute unseren Blicken darbieten, nur wenig Ähnlichkeit mit
ursprünglichen besitzen. Demgegenüber vertritt Drude wohl mit Recht
die Ansicht, dass sich unsere „Forsten" in Bezug auf Zusammensetzung
der Vegetation nicht erheblich von den „Urwäldern" unterscheiden.
Eine endgiltige Lösung der Frage der natürlichen Formations-
bildung kann nur durch das gleichmässige Fortschreiten verschiedener
Wissenschaften gegeben werden. In erster Linie ist es die Quartär-
geologie, von der von vornherein die erheblichste Förderung zu erwarten
war, und gerade auf diesem Gebiete ist unsere Kenntnis durch die
Arbeiten von Behrendt, Wahnschaffe, P. E. Müller und Ramann
beträchtlich erweitert worden. Zugleich sind auch die Forschungen der
Meteorologen und K limatologen soweit gediehen, dass sie uns einen um-
fassenderen Uberblick über die Witterungsverhältnisse gestatten. Die
Resultate beider Wissenschaften werden wir dann auf die Übereinstimmung
mit pflanzengeographischen Thatsachen und physiologischen Ermittelungen
zu prüfen und demgemäss zu verwerten haben.
Es ist eine den Gärtnern wohlbekannte Erscheinung, dass eine
ganze Reihe von Pflanzen gegen eine Anreicherung im Wasser löslicher
Mineralstoflfe oder Humussäuren sich so empfindlich zeigt, dass oft eine
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Über die Bildung natürl. Vegetationsformen im Norddeutsch. Flachlande, 135
einmalige nnzeitige Bewässerung, die eine übermässige Lösung der ge-
nannten Verbindungen zur Folge hat, den Tod der kultivierten Pflanze
zur Folge hat. Stellt man nun die Arten, die eine solche Abhängigkeit
zeigen, zusammen, so findet man bald, dass sich, wie zu erwarten steht,
ein inniger Zusammenhang der Kulturmethoden mit ihrem Vorkommen
in der freien Natur herausstellt. Es sind nicht nur solche Pflanzen, die
auf trocknem Boden ihr Dasein fristen, sondern viele derselben (z. B.
eine grosse Zahl von Ericaceen) wachsen häufig an Stellen, an denen
der Fuss des Sammlers tief in das Wasser einsinkt, wenn anders ein
Betreten der wasserzügigen Stollen überhaupt möglich erscheint; die
tropischen Luft-Orchideen, welche in den feuchten Jahreszeiten an Wasser
keinen Mangel leiden, weiden in unseren Gewächshäusern meist in
Moostorf und Sphagnum kultiviert, welches in ähnlicher Weise wie die
Ericaceen eine Ansammlung stagnierenden Wassers nicht erträgt.
Andererseits bemerken wir an anderen Arten, die wir auf unseren Grün-
landmooren (Carices etc.) oder an Wasseriii ufen (Iris Pseudacorus,
Sparganiuin ramosum, .huieus eftusus u. a.) und auf politischen Hügeln
(resp. mergeligen Buchenwäldern, Ulmaria Filipendula, Lamium Galeob-
dolon, Asarum europaeuni u. v. a.) beobachten, eine auffällige Uuempfind-
liehkeit gegen die Einflüsse gelöster Salze etc. Ich habe während ver-
schiedener Jahre zahlreiche Versuche in dieser Richtung gemacht, alle
mit demselben Erfolge: es zeigten sich die Pflanzen aus den verschiedensten
Familien in gleicher Wreise abhängig; Sphagnum verhielt sich wie
Drosera, Juncus squarrosus, Calluna, Erica, Rhynchospora, Ledum,
(Pinns silvestris) und viele andere. Sie alle starben ab, sobald künstlich
der Abfluss des überflüssigen Wassers verhindert, durch nährstoffreichen
Boden geleitetes Wasser dargeboten oder ganz geringe Mengen von
Düngesalzen zugesetzt wurden, was die Pflanzen der Grünlandmoore
ohne jeden Schaden ertrugen. Ich habe Vertreter der letzteren, besonders
Carices, lange Zeit in unten völlig geschlossenen Gefässen gehalten, und
durch die fortwährende Ergänzung des verdunstenden Wassers, welches
immer über der Bodenoberfläehe stand, war die Erde nach kurzer Zeit
vollkommen sauer geworden. Ich sprach darauf hin bereits in früheren
Arbeiten die Ansicht aus, dass wahrscheinlich die Wässer der Heide-
und Grünlandinoore einen sehr verschiedenen Gehalt an gelösten or-
ganischen und anorganischen Stoffen (nicht nur an Kalken) enthielten
und darauf die Verschiedenartigkeit der Vegetation zurückzuführen sei.
Die Arbeiten der Bodenchemiker halten die Richtigkeit der Vermutung
bestätigt. Betrachtet man nun die übrigen Vegetationsformationen in
ihren Beziehungen zu Heidemoor und Wiesenmoor, so ergeben sich ganz
auffällige Übereinstimmungen: dass die Sandfelder, Heiden, Heidemoore,
Ileidetümpel und Seen nur durch den verschiedenen Wassergehalt in
ihrer Vegetation von einander abweichen und so eine zusammengehörige
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P. Graebner:
Gruppe bilden, zu der die Formation der Kiefernwälder in engstem Ver-
hältnis steht, lehrt die blosse Betrachtung in der Natur. In ähnlicher
Weise zeigen sich die pontiscben Hügel, die Buchenwälder, die Fluss-
wiesen, Erlenbrücher, Grünlandmoore und Landwässer (Teiche, Wasser-
läufe und Landseen) mit einander nahe verwandt, ebenso wie Strand-
dünen, Strandwiesen und Salzsümpfe. Einen gewissen Ubergang zwischen
der ersten und zweiten Gruppe bilden die Eichen- und Birkenwälder. —
Es ist augenscheinlich nicht die grössere oder geringere
Wassermenge, die in den verschiedenen Formationen den
Pflanzen zur Verfügung steht, durch welche die eingreifend-
sten Unterschiede in der Formationsgestaltung hervorge-
bracht werden, sondern der Prozentgehalt der gelösten
Stoffe, den das an die Wurzeln gelangende Wasser enthält,
scheint in erster Linie massgebend zu sein für den Charakter
der Vegetation. Der Kalkgehalt des Bodens, den man als ein Haupt-
agens für die Formationsgestaltung auch im norddeutschen Flachlande
anzusehen häufig geneigt war, scheint nur in gewissen Fällen von
wirklich so grundlegender Bedeutung zu sein, wie man vielfach annahm ;
da z. B. die Heide nicht so sehr die Kalkböden (nur, wie es scheint,
.1 urakalke) meidet, vielmehr ist es wahrscheinlich, dass der mit dem
Kalkgehalt zugleich sich einfindende Reichtum an anderen Nährstoffen
den entscheidendsten Einfluss ausübt. Selbstverständlich ist der Kalk-
resp. Mergelgehalt im Diluvium an sich auch von grossem Einfluss auf
die Ausbildung der Vegetation im allgemeinen, aber wohl meist indirekt,
d. h. er wirkt nicht hauptsächlich als ein Bestandteil des von den
Wurzeln aufgenommenen Wassers, sondern dadurch, dass er dem Boden,
dem er beigemischt ist, immer bestimmte physikalische Eigenschaften
verleiht, ihn zu einem für viele Pflanzen geeigneten, sogenannten „warmen**
Boden macht und durch seine Anwesenheit oft sekundäre Veränderungen
(z. B. Ablagerung von Humussandstein) verhindert und ihm dadurch
die für die Vegetation vieler Arten notwendige „Tiefgründigkeit" bewahrt.
E. Laufer und F. Wahnschaffe*) haben in der Umgebung von
Berlin zahlreiche Bodenuntersuchungen vorgenommen, die besonders die
grossen Schwankungen im Gehalt an Eisenoxyd, Kalkerde, Magnesia,
Kali, Natron, Kohlensäure, Phosphorsäure in den verschiedenen Boden-
arten erkennen lassen. Leider fehlen grosse Reihen von Wasseranalysen,
die den einzelnen Formationen entnommen, nach gleichen Grundsätzen
ausgeführt sind, vollkommen. Es wären gerade solche Untersuchungen
für das Studium der Formationsgeschichte von unschätzbarem Werte.
E. Ramann*) hat einige solcher Wässer analysiert und gerade dte
*) Untersuchungen des Bodens der Umgebung von Berlin. Abb. geolog. Spesial-
karte von Preussen a. d. Thür. Staaten, Bd. III; Heft 2, 1881, p. 1—283.
**) Organogene Bildungen der Jetztzeit. Neues Jahrb. Mineralogie etc., Beil.
Bd. X, 1895, p. 119-166. (p. 166 fl.)
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Über die Bildung natflrl. Vegetationsformationen im nordd. Flachlande. 137
hier gewonnenen Resultate sprechen in Zusammenhang mit den von
Laufer und Wahnschaffe angegebenen Werten (durcli verschiedene Rea-
gentien aufgeschlossene Böden) für die gehegten Vermutungen. Rainann
fand u. a. in 100 OCH) Teilen Wasser in einem Heidemoor, welches in
ein Grünlandmoor überging, folgendes Verhältnis:
Wiesenmoor
Grenze
zwischen
Heidemoor
Kali
Schwefelsäure
Phosphorsäure ...
0,140
0,821
15,000
0,504
0,108
1,11«
1,286
0,128
0,141
2,498
0,388
0,912
8,560
0,448
0,108
0,324
0,49«
0,228
0,064
0,972
0,139
0,653
0,960
0,120
0,048
0,264
0,485
0,120
0,099
0,660
Summe der Mineralstoffe
Organische Stoffe
21,687
3,92
12,500
1,92
3,548
1,79
An einer anderen Stelle (am Plager See bei Chorin), wo auf ein
Grünlandmoor ebenfalls ein Heidemoor folgt, welches dann nach dem
Landsee zu in ein Eriophoretum und dieses wieder am Rande des Wassers
in einen Schilfbestand überging, fand Rainann folgendes Verhältnis:
Wh •scmnoor
Heidemoor
Mittei
Heidemoor
(Grenze)
Krio-
jdiorotum
Sfhilf
Natron ....
Kalkerde . . .
Magnesia . . .
Manganoxydul .
Eisenoxydul . .
Schwefelsäure .
Phosphorsäure .
Chlor . . ,
Kieselsäure . .
0,217
o,736
2,«« 7
0,353
0,O|O
1 ,355
0,91«
0,01 I
n. best.
0,K09
0,220
0,4 1 4
0,134
0,152
Spur
0,12«
0,53«)
0,064
n. best.
0,333
0,292
0,553
i »,7S5
0,429
0,101
0,«0«
0,4«3
0,168
0,171
1,447
0,254
1 ,234
1,92S
0,407
0,09S
0,261
0,585
0,164
0,094
1,224
0,44«
1 ,557
3,081
0,612
0,083
0,207
0,979
0,029
0,045
(►,693
Sa. d. Minoralst.
Organ. Stoffe |
7,( >74
0,9>
1,979
0,55
5,015
1,00
6,249
1,20
7,732
0,76
„Das Wasser des Grünland moores entspricht wohl nicht ganz
normalen Verhältnissen; möglich, dass sich ein Teil oberflächlich zu-
gelaufenen Regen wassers beigemischt hatte. Die Stelle, an der die
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138 P- Graebner:
Probenahme ausgeführt wurde, war noch ziemlich locker, reich an
sandigen Beimischungen, ohne saure Reaktion. Es kann daher nicht
auffallen, dass Phosphorsaure nur spuren weise vorhanden ist; die
redimierende Wirkung der organischen Stoffe zeigt sich im Gehalt«' von
Eisenoxydul".
„Auffällig ist der fast gleichbleibende Gehalt an Kali in den
Wässern der ganzen Randgebiete. Am stärksten weicht der Gehalt an
Kalk und Magnesia von einander ab. Während beide im Wasser des
Arundinetums 48°,© und im Grünlandstnoor 41 % der gelösten Salze
ausmachen, betragen sie im Wollgrasmoor mich 1187©, gehen dagegen
in der Grenze des Hochmoores auf 2öp«, im Hochmoor selbst auf
14% herab.«
„Einer jeden Vegetation entspricht demnach ein Wasser mit ab-
weichendem Salzgehalt. Das Beispiel ist um so schärfer, da die ganze
Breite des Moores noch nicht 200 m erreicht und speziell die des Hoch-
moores kaum '20—30 m beträgt."
„Die Verhältnisse des Plager Fenns lassen sich durch ein Profil
darstellen, welches in seiner Art nicht weniger geologische Verhältnisse
charakterisiert, wie dies mit anderen Profilen geschieht."
„Mineralstoflgehalt und Kalkgehalt in 100 000 Wasser".
Flachmoor. Sphagnetum. Sphagnet. Eriophoretum. Arundinetutn..
Grenze.
„Beachtet man die Düngewirkung von Salzen auf Moore und dass
es bisher nicht gelungen ist, Sphagneen in kalkhaltigen Wässern längere
Zeit lebend zu erhalten*), so scheint die Frage, ob die Verschiedenartig-
keit der Vegetation die Folge oder Ursache der wechselnden Zusammen-
*) Sendtner: „Vegetationsverhttltnisae Südbaierns", S. 6;18; Sphagneen in kalk-
haltigem Walser ßtarben ab, in destilliertem Wasser konnten eie jahrelang vegetierend
erhalten werden.
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über die Bildung natürl. Vegetationsformationen im Nordd. Flachlande, 189
setzung der Wässer ist, im ersten Sinne entschieden; nur der wechselnde
Salzgehalt des Wassers, insbesondere Gegenwart oder Fehlen
von Kalk kann die Ursache der Verschiedenheit der Vege-
tation sein."
„Es ist nicht unwahrscheinlich, dass es hei zahlreicheren Unter-
suchungen möglich sein wird, hierbei ganz bestimmte Verhältnisse nach-
zuweisen; die Analysen sprechen dafür, dass die Sphagneen erst bei
einem Salzgehalt, der ü-4 Teile auf 100000 Teile Wasser nicht über-
steigt, dauernd zu vegetieren vermögen."
„Aus den Analysen ergiebt sich endlich noch, dass zwischen dem
Wasser der llochmoorschichten und dem der benachbarten Gebiete ein
geringer Austausch stattfindet. Überall trägt die Zusammensetzung der
Wässer desselben Moores gemeinsame Züge, die durch die vorhandenen
Unterschiede nicht völlig verwischt werden".
Kamann kommt so auf Grund chemischer Analysen zu denselben
Resultaten, wie ich sie zu gleicher Zeit durch Pflanzenkulturen und
Beobachtung im Freien gewonnen habe. Die auffällige Übereinstimmung
spricht sehr für die Richtigkeit der gemachten Annahmen.
Ob wirklich der Kalkgehalt unmittelbar (nicht mittelbar) im weichen
Boden des Flachlandes (im Gebirge auf anstehendem Gestein sind
natürlich ganz andere Verhältnisse massgebend) einen so einschneidenden
Einfluss auf die Ausbildung der Vegetation besitzt, wie bisher ziemlich
allgemein angenommen wurde, erscheint mir, wie bereits oben bemerkt
nicht sicher, da sowohl meine Kulturversuche mit Wiesenmoor-, Wald-
nnd Heidepflanzen (auch Sphagneen) auf kalkfreiem aber an löslichen
Salzen reichem Substrat als auch die auf Heidemooren vorgenommenen
Düngungen mit Kalisalzen etc. dasselbe Resultat ergeben haben, wie es
durch Mergeldüngung" etc. erzielt worden ist. Es scheint danach
im Flachlande nicht so sehr die Höhe des Kalkgehaltes als
vielmehr (in der bei weitem grössten Mehrzahl der Fälle) die Summe
der in dem den Wurzeln zugeführten Wasser gelösten Salzen
für die natürliche Formationsbildung massgebend zu sein.
Will man die Vegetationsformationen in ihrer Entstehung verfolgen,
so wird man gut thuu, sie an solchen Stellen zu beobachten, wo wir
sicher sind, dass von Menschenhand keine Samen dorthingetragen sind,
und wo wir sehen, dass ein aus irgend einem Grunde verkahlter Boden,
durch eine Erdrutsehung, einen Ausstich oder eine Holzung (resp.
Windbruch) sich mit einer Vegetation bedeckt, in der entschieden die
Vertreter einer bestimmten Formation den Vorrang haben. Zahlreiche
Beobachtungen und Aufzeichnungen in dieser Richtung haben mich nun
zu der Überzeugung geführt, dass eine natürliche Einteilung der For-
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140
P. Graebner:
mationen, ihrer Entwickelung entsprechend, in der Weise geschehen
kann, dass der Nahrstoff-Gehalt des zngefiihrten Wassers zur Grundlage
genommen wird und dann die Quantität desselben in Verbindung mit
anderen äusserlich eingreifenden Faktoren zur Abgrenzung der weiteren,
in der Natur gegebenen Vergesellschaftungen benutzt wird. Die Unter-
suchungen der Geologen, besonders E. Laufers und F. Wahnschaffes,
P. E. Müllers und E. Rainanns, haben die Vermutung bestätigt. Be-
sonders auffallend tritt der Unterschied der Formationen nahrstoffarmer
oder -reieher Wässer bei den waldlosen Formationen zu tage Die
Formation, die wir als die der politischen Hügel bezeichnen, haupt-
sächlich an trocknen, mergelhaltigen Abhängen entwickelt, weicht ganz
erheblich von der der trocknen Heide ab, obwohl das Maass der Trocken-
heit bei beiden ein gleiches sein dürfte und ebenso verschieden ist das
Aussehen der Heide- und Grünlandmoore wie auch die Vegetation ihrer
Wasserlachen und Seen.
Wollen wir so versuchen, die Entwickelung unserer Vegetations-
formationen in natürlicher Folge zu betrachten, so wird sich etwa '
folgendes Schema ergeben:
A. Vegetationsformationen mit mineralstoffreichen Wässern.
1. trockener Boden:
a) übermässige Ansammlung (auch organischer); Ruderal-
stellen,
b) Politische Hügel.
2. mässig feuchter Boden (Waldbildung):
a) auf Mergelboden Buchenwälder (an sandigeren Stellen
oft die Weissbuche vorwiegend),
b) auf Sand- oder doch weniger mergel haltigem Boden:
a) trocknerer Boden Eichen-, Birkenwälder (hier all-
mähliche Übergänge zu B 2 b),
ß) feuchterer Boden (in einigen Teilen des Gebietes)
Fichtenwälder.
nasser Boden:
a) ohne übermässige Anreicherung von Nährstoffen, meist an
fliessendem Wasser
er) ohne Überschwemmung und Eisgang Erlen brücher,
ß) mit Überschwemmung ohne Eisgang Auenwälder,
y) mit Überschwemmung und Eisgang natürliche Wiesen,
b) mit übermässiger Anreicherung (auch organischer Stoffe)
Grünland inoore („saure Wiesen").
4. im Wasser, Landseen, Teiche, Flüsse, Bäche.
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Über die Bildung natüil. V'egetationsfonnationen im Nordd. Flacblande. 141
B. Vegetationsformationen mit mineralstoffarmen Wässern.
1. sehr trockener Boden, Sandfelder,
2. trockener bis massig feuchter Boden:
a) mit Ortstein oder dicken Bleisandschichten, Calluna-
Heiden ,
b) ohne Ortstein oder dicke Bleisandschichten, Kiefern-
wälder (hier Übergang zu A '2 b),
3. nasser Boden, Heidemoore,
4. im Wasser, Heideseen, -tümpel.
C. Vegetationsformationen mit salzhaltigen Wässern.
1. trockner Boden, Dünen,
2. feuchter Boden, Strand wiesen,
3. nasser Boden, Salz sümpfe.
A. Vegetationsfortnationen mit nährstoffreichen Wässern.
Wie schon oben hervorgehoben wurde, muss mau in diese Gruppe
alle diejenigen Formationen rechnen, in denen das an die Wurzeln der
Pflanzen gelangende Wasser einen Mineralstoffgehalt von mehr als etwa
fi oder 10 (meist über 15 — '{()) Teilen auf 100 000 enthält, während sich
in der Abteilung B selten mehr als 2 in 100 000 Teilen vorfinden. Je
nach der Quantität des zu Gebote stehenden Wassers werden sich
naturgemäss sehr verschiedenartige Formationen ausbilden, wobei dann
ebenfalls die vorhandene Bodenart ausschlaggebend sein wird; jedoch
zeigt sich hier, dass auch die Einteilung nach den Substraten keinen
Widerspruch ergiebt, da die Mergel-, Lehm- und Thonböden (sterile
Letten kommen bei uns nicht in Betracht) alle zu den nährstoffreichen
Böden gerechnet werden müssen, und nur die Sande und Torfe, die ja
auch die allerverschiedenartigste Vegetation zu tragen vermögen, finden
wir in allen Abteilungen wieder.
i. Vegetationsformation der Rnderalstellen.
Obgleich die Vegetationsformation der Ruderalstellen nicht eigentlich
den natürlichen Formationen wird zugerechnet werden können, habe ich
doch geglaubt, dieselbe hier erwähnen zu sollen, da sie durch in der
Natur gegebene Verhältnisse hervorgerufen wird und sich meist sogar
gegen den Willen des Menschen bildet. Hin und wieder finden wir
auch in unseren Wäldern, besonders Eichen-, ganz ähnliche Lokalitäten,
an denen das Wild täglich grast und an denen durch die Exkremente
derselben eine Anreicherung von organischen, besonders ammoniakhaltigen,
Stoffen eintritt. Derartige Lichtungen, die zwar wohl nie in grösserer
Ausdehnung vorkommen, sah ich mehrfach (bei Neuhaidensleben, bei
Berlin, bei Colberg und in Westpreussen). Die Flora derselben erinnert
lebhaft an die der Dorfstrassen und Schuttstelleu, besonders Urtica
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142
P. Graebner:
dioeca tritt fast immer in grossen Mengen auf, dazwischen meist sehr
viel Nardus stricta, Euphrasia gracilis und Cirsium lanceolatum. An
Pilzen sind oft Ciavaria Ligula, Lycoperdon caelatum und Thelephora-
Arten zahlreich entwickelt.
Die Zusammensetzung der Ruderalfloren in Städten und Dörfern
ist bekannt, Chenopodien, Atriplex-Arten, Urtica, dreien u. a. spieleu
eine grosse Rolle, von seltneren Arten wohl nur Coronopus squamatus
und Potentilla supina. Ungemein zahlreiche Pflanzenarten linden sich
oft zwischen den Pflastersteinen und an den Rinnsteinrändern* kleinerer
Städte; ich sah besonders in Putzig (Westpr.) und in Oderberg in
Brandenburg derartig reich entwickelte Strassenfloren; im letztgenannten
Orte konnte ich mit den Herren Prof. Dr. P. Ascherson, H.
Poeverlein und E. Pritzel im Sommer 18% folgende Pflanzen
in bestimmbarem Zustande notieren: Cystopus Candidus (auf Capsella
bursa pastoris), Barbula muralis, Agrostis vulgaris, A. spica venti,
Dactylis glomerata, Poa annua, P. compressa, Bromus tectorum, Lolium
pereune, Triticum repens, Hordeum murinum, .luncus compressus, J.
glaucus, Urtica urens, U. dioeca, Rumex crispus, Polygonum aviculare,
P. nodosum, Chenopodium glaucum, Ch. album, Atriplex patulum,
Amarantus retroflexus, A. Blitum, Ranunculus repens, Chelidoniuni
majus, Papaver Argemone, Lepidium ruderale, Sisymbrium ofticinale,
Raphanistrum silvestre, Barbarea lyrata, Nasturtium silvestre, Capsella
bursa pastoris, Erysimum chciranthoides, Reseda odorata, Ribes Gros-
sularia (Rinnsteinraiid am Markt), Spergula arvensis, Sagina procumbens,
Cerastium triviale, Stellaria media, Potentilla reptans, P. auserina,
Trifolium arvense, Tr. repens, Medicago sativa, («eranium pusillum,
Sium latifolium, Daucus Carota, Coriandrum sativum, Toriiis Anthriscus,
Lamium purpureum, Elssholzia Patrinii, Glechoma hederacea, Stachys
palustris, Mentha aquatica, Lyeium halimifolium, Veronica aquatica, V.
scutellata, Plantago major, PI. lanceolata, Galium palustre, Erigeron
canadeusis, Gnaphalium uliginosum, Bidens tripartitus, Achillea Mille-
folium, Chrysanthemum inodorum, Chr. Parthenium, Artemisia vulgaris,
A. campestris, Tnssilago Farfarus, Senecio vulgaris, Cirsium arvense,
Crepis tectorum, Leontodon autumnale, Taraxacum vulgare, Sonchus
asper, S. oleraceus; also mit Sicherheit erkennbar 77 Arten.
Südlich des Dorfes Rheda im Kreise Neustadt in Westpreussen war
ein hoher, steiler Diluvialabhang von Geschiebemergel fast auf der
ganzen Höhe und in erheblicher Breite durch starke Regengüsse voll-
ständig seiner Pflanzendecke beraubt worden. Es war mir interessant,
zu beobachten, wie dieser Abhang, eine natürliche Entblössung des
Bodens, sich im ersten Jahre mit einer Vegetation bedeckte, die sehr
lebhaft an die der Ruderalstellen erinnert, trotzdem von einer Einwirkuug
des Menschen nicht die Rede sein konnte, und die zugleich zeigt, dass
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Über die Bildung natürl. Vegetationsformationen im Nordd. Flacbiande. 143
die Flora der Ruderalstellen mit der im nächsten Kapitel zu be-
schreibenden der „poutisehen" Hügel in innigstem Zusammenhange steht,
was auch dadurch klar wurde, dass die unverletzten älteren Teile des
permanenten Abhanges die Formation 2 trugen. Es bringt hier augen-
scheinlich der natürliche Nahrstoftreichtum der unberührten Diluvial-
mergcl im ersten Jahre dieselbe Vegetation hervor, wie wir sie bei den
Wohnsitzen des Menschen an durch Abfälle oder tierische Exkremente
gedüngten Kuderal- oder Segetalstellen (Äcker, Gärten etc.) beobachten.
In späteren Jahren verschwindet die Flora an den natürlichen Stand-
orten fast ganz, da ihr durch die sicli ansiedelnden mehrjährigen, meist
rasenbildenden Pflanzen der Boden entzogen wird, und so können wir
dort alle Übergänge zu der Formation 2 vorfinden. — An dem Steil-
abhang bei Rheda wurden folgende Arten, die über den kahlen Boden
zerstreut waren, beobachtet: Festuca ovina, Agrostis spica venti, Rumex
Acetosella, Mclandryum albmn, Silene Otites, Arenaria serpyllifolia,
Scleranthus perennis, Papaver spec. Stenophragma Thalianum, Viola
tricolor, Erodium cicutarium, Myosotis stricta, Convolvulus arvensis,
Knautia arvensis, Gnaphalium uliginosum, Anthemis arvensis, Senecio
vernalis, Erigeron canadensis, Acltillea Millefoliuni, Centaurea Cyanus.
2. Vegetationsformation politischer Hügel.
Es bedarf zuerst einer kurzen Erklärung, was wir unter der Be-
zeichnung „politische Hügel" zu verstehen haben. Eine grosse Anzahl
derjenigen Ptlanzcnarteii, die wir nur im östlichen Teile unseres nord-
deutschen Flachlandes verbreitet linden, die in diesem Gebiete der Phy-
siognomie mancher Formationen ein sehr charakteristisches Gepräge
geben, gehören alle einer Pflaiizengescllschaft an, die wir deshalb, weil
der Hauptverbreitungsbezirk der betreffenden Arten oder Gattungen sich
im südöstlichen Europa befindet, als die „pontische" bezeichnen, besonders
im Gegensatz zu der nordwestlichen, der „nordisch-atlantischen". Die
Mehrzahl der ersteren bevorzugt nun sehr eigentümliche Standorte, wir
finden sie nieist an den trocknen, oft nach Süden gekehrten Abhängen
trockner Hügel, auf mergeligem Sand oder sandigein Mergel. Die
Lokalität ist meist mit Strauchwerk oder einzelnen kleineren Bäumen
bestanden und zeigt fast immer zwischen den einzelnen Stauden kleiuere
oder grössere Flächen kahlen Bndens, die oft keineswegs trocken er-
scheinen, sondern meist, zu trocknen Zeiten in geringer Tiefe, frisch
und feucht sind. Man sieht deutlich, dass durch die den Abhang herab-
rieselnden Kegcnwassermengen die oberste Bodenschicht erst vor kurzem
fortgespült worden ist, und das ist eben das Charakteristikum der
politischen Hügel und ihr Gegensatz zur Heide (siehe unten), dass an
den immer stark geneigten, oft sehr steilen Abhängen die Bildung
einer oberen ausgelaugten Bodenschicht dadurch verhindert
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144 P. Graebner:
wird, dass durch dauernde, wenn auch geringe Abtragung
der der Atmosphäre ausgesetzt gewesenen Bodenteilchen die
unteren weniger zersetzten zutage kommen und so von den auf-
fallenden Regentropfen immer wieder nährstoffreiche Schichten getroffen
werden. Man kann daher häufig die Beobachtung machen, dass an der
oberen Grenze der mit der charakteristischen Vegetation bedeckten Ab-
hänge, wo das Terrain allmählich in die Fläche des Plateaus übergeht,
die starke Neigung abnimmt und schliesslich verschwindet, die For-
mation sich in eine heidige (Kiefernwald etc.) oder gar in eine echte
Heide verwandelt; bei genauer Betrachtung sieht man, dass der Boden
mit einer mehr oder weniger dicken Blei-Sandlage bedeckt ist, die oberen
Schichten zeigen also einen starken Grad von Verwitterung und Anslaugung,
und daher Armut an löslichen Stoffen, weil die Regenmengen auf der wenig
oder nicht geneigten Oberfläche nichtfortrieselten, sondern immer undimmer
wieder durch dieselben Erdschichten durchsickerten und sie so allmäh-
lich fast aller Nährstoffe beraubten. Von Wichtigkeit ist hierbei auch
die Erscheinung, dass an den stärker geneigten Abhängen die verwesen-
den Ptlanzenreste, weil sie mit der herabgeführten Erde gemischt werden
(oder auch selbst fortgetragen werden), sich vollständig zersetzen, jeden-
falls keine Humusschicht hinterlassen, welche wegen der die Ver-
witterung stark befördernden Eigenschaften der in Wasser löslichen
Humussäuren bei der Bildung der mineralstoffarmen Sande (Heide) eine
grosse Rolle spielen. Wie schon hervorgehoben, sind die Abhänge meist
nur mit Strauchwerk oder niedrigen Bäumen bedeckt. Ein Waldbestand
kann sich naturgemäss bei der geringen Stabilität der Bodenoberfläche
nicht ausbilden.
Man beobachtet im Frühjahr oft zahlreiche Baumsämlinge auf den
verwundeten Stellen; aber schon im Herbst zeigt sich die Mehrzahl der
wenigen erhalten gebliebenen Exemplare verkrümmt und zur Seite ge-
bogen, und gar im nächsten Jahre ist ein grosser Teil verschüttet, wir
sehen hier und dort die einzelnen Triebe aus der Erde hervorragen,
und die am Leben bleibenden Individuen entwickeln sich strauchförinig.
Nur selten vermag eine Pflanze fest Wurzel zu fassen (bes. Espen) und
zu einem Baume auszuwachsen; aber schon in nicht allzuspäten Jahren
bemerkt man, dass der Stamm sich zu neigen beginnt, und häufig
hängen die Bäume dann am Abhang mit der Krone nach unten. Nur
ganz vereinzelt stehen alte Bäume an solchen Orten (Eichen, Linden),
dann aber meist in einer Mulde oder am sanft geneigten Fusse. Die
dichten Bestände von hohem Buschwerk und Bäumen, die als Ufersaum
oft die Abhänge an unseren grossen Strömen begleiten, zeigen schon
eiu ganz verändertes Aussehen; die grossen Exemplare stehen meist
unten an flachen Stelleu, oder die Gehänge sind durch zahlreich von
der Seite her eingewascheue Querfurchen und Thaleiuschnitte abge-
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Über die Bildung natflrl. Vegetationsformen im Norddeutsch. Flachlande. 145
flacht und zergliedert; an solchen Orten geht die Formation in dio der
Erlenbrucher oder der Laubwälder über, und oft ist hier in erheblichen
Mengen Humus abgelagert.
In hervorragendein Maasse ist die Formation der pontischen Hügel
auch im Osten des norddeutschen Flachlandes entwickelt, und zwar
nicht allein deswegen, weil eine grosse Zahl der charakteristischen Be-
wohner nur hier verbreite tist, im Westen fehlt oder nur sporadisch aultritt,
sondern auch weil die günstigen Lokalitäten im östlichen Teile des
Gebiets erheblich häufiger sind, wo sie nicht nur (wie im Westen) an
den Rändern grösserer Wasserläufe, sondern auch von diesen entfernt
sehr zahlreich vorkommen. Es hängt diese Erscheinung mit dem all-
gemeinen Charakter mancher Gebietsteile zusammen. In der Provinz
Hannover überwiegen (besonders in den grossen Heidegegenden) die
sanft geneigten Hügel, namentlich im Osten der Mark etc. ist das
Diluvialplateau durch unzählige mehr oder minder steile Furchen und
Einsenkungen zerklüftet und zerspalten, die wir meist mit der pontischen
Vegetationsformation bedeckt linden. Es mag der Ausdruck „politische"
Hügel für die in Rede stehende Formation nicht immer ganz zutreffend
erscheinen, weil eben die politischen Arten den Westen des Gebietes
meiden, in dem wohl aber die Formation vertreten ist; es scheint mir
jedoch diese Bezeichnung den Charakter der Florengesellschaft genauer
zu bezeichnen, als andere in den Floren gebräuchliche Angaben, die
leicht zu Missverständnissen Veranlassung geben können, da sie eben-
sogut für irgend eine andere völlig verschiedene Formation angewandt
werden können (z. B. trockne Hügel etc.). An den Abhängen der
grossen nordostdeutschen Dilnvialthäler findet sich die Formation sehr
charakteristisch ausgebildet. Als ein Beispiel mag die Vegetation des
vielen märkischen Botanikern wohlbekannten Pimpinellenberges bei
Oderberg angeführt werden. Am Westabhang finden wir zwischen
einzelnen kleinen, meist wenig über mannesliohen Kiefern auf wenig
ausgelaugtem mergeligem Sande Plileum Boehmeri (viel), Koehleria glauca,
Festuca ovina, (Agrostis alba, A. vulgaris), Silene chlorantha, S. Otites,
Alyssum montanum (sehr viel), Trifolium minus, Seduin reflexum, S.
mite, Euphorbia Cyparissias, Euphrasia lutea (viel), Thymus Serpyllum,
Knautia arveusis, Hieraeium echioides (viel), H. Pilosella. An der Süd-
seite desselben Berges konnte ich mit den Herren Prof. Aschers«» n,
H. Poeverlein und E. Pritzel folgende Flora konstatiren: Cladonia
rangiferina, Ceratodon purpureus, (Polytrichuui piliferum), Hypnum
cupressiforme , Stupa capillata , Phleum Boehmeri , Calamagrostis
epigea, (Agrostis alba), (A. vulgaris), Koeleria glauca, (Festuca
ovina, (Anthericuin Liliago, Rumex Acetosa, Dianthus Cartlmsianorum,
D. prolifer, Silene Olites, S. chlorantha, Scleranthus perenuis, (Sei.
annuus), Pulsatilla pratensis, Alyssum montanum (viel), Sedum reflexum,
10
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P. Graebner:
8. mite, S. inaximum, Rosa canina, Trifolium arvense, Tr. agrarium, Tr.
minus, Vicia cassubica, V. tenuiflora, Ouonis spinosa, Euphorbia Cypa-
rissias, Hypericum perforatum, Peueedanuin Oreosclinuin, Armeria elon-
gata, Convolvulus arvensis, Calamintha Acinos, Thymus Serpyllum,
Salvia pratensis, Veronica Teuerium, Kuphrasia lutea (sehr vieh, Scabiosa
suaveolens, Kuautia arvensis, .lasioue moutana, Solidago Virga aurea,
Krigeron acer, Heiichrysum arenarium, Artemisia campestris, Centaurea
pannieulata (viel), Hypochoeris radicata, Chondrilla juncea, Hieraciuin
echioides sehr viel), H. Pilosella, Scor/onera purpurea. Am unteren
Teile des Abhangs wuchs sehr viel Peueedanuin Oreoselinum, dazwischen
besonders Weingaertneria canescens, Koeleria glauca, Carex pilulifera,
Bcrteroa incana, Potentilla cinerea, Astragalus glyciphyllus, Convolvulus
arvensis, Galium Mollugo, Erigeron canadensis (an verwundeten Stelleu),
Achillea Millefolium, Centaurea Scabiosa. Sehr interessant war der
Ubergang der Formation auf dem Gipfel des Hügels, wo der Sandboden
ganz erheblich verwittert , ausgelaugt und oben von einer humosen
Schicht überdeckt war. Die charakteristischen politischen Pflanzet]
traten mehr und mehr zurück und mit dem zahlreicheren Auftreten von
Calluua vulgaris vermehrten sich auch die übrigen Heidepflanzen, von
denen einige schon spärlich sich weiter unten vorfanden, Cladonia rangi-
ferina, Ceratodon purpureus, Polytrichum pilifermn, Hypuuin eupressi-
fornie, Festuca ovina, Weingaertneria canescens, Agrostis alba, A. vulgaris,
Carex eriectorum , (Scleranthus perennis), Silene Otites, Pulsatilla
pratensis, Thymus Serpyllum (viel), Scabiosa canescens, Hieraciuin
Pilosella (viel). Zugleich mit der Zunalnne der Heidepflanzen wurde
auch Pinns silvestris häufiger und höher, und die Formation ging all-
mählich in einen Kiefernwald mit lleidecbarakter über.
Es dürfte nicht notwendig erscheinen, noch weitere vollständige
Vetretationsbilder politischer Hügel zu geben, wohl aber wird es zweck-
mässig sein, aus dem grossen vorhandenen Material noch einiger inte-
ressanter und recht charakteristischer Vorkommnisse Erwähnung zu
thuu. Hei Schwedt a.,0., dessen Umgebung sehr reich au derartigen
Lokalitäten ist, wurden von uns bei Gelegenheit der Frühjahrsversamm-
lung*) des botanischen Vereins der Provinz Brandenburg an verschiedenen
Orten Beobachtungen und Aufzeichnungen gemacht. An den Uollmanns-
bergen**) wuchsen u. a. Avena pratensis, Anthericus Liliago, Dianthus
Cartusianorum, Viscaria viscosa, Thalictruin flexuosuni, Pulsatilla pra-
tensis, Seduni reflexum, Medicago minima, Trifolium alpestre, T. mon-
tanuin, Coronilla varia, Vicia teuuifolia, Helianthemum Chamaecistus,
•) Vgl. P. Ascherson und M. Gürke, Bericht über diu 50. (34. Frühjahrs ) Haupt-
Versammlung dos Botanisehen Vereins der Provinz. Brandenburg zu Schwedt a./O. am
1*2. Juni 1892. Verh. Bot. Ver. Brandenb. XXXIV (1892) S. I-XVI.
*•) Vgl. a. a. O. 8. HI.
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Über die Bildung natürl Vegetationsformationen im Nordd. Flachlande. 147
Peueedanum Oreosclinum, Priinula officinalis, Ajuga genevensis, Salvia
pratensis, Canipanula sibirica, C. persicifolia, Centaurea Scabiosa, 0.
panniculata, Onopordon Acaiitlüuin, Leontodon hispidus, Achyrophorus
macularus, Seorzonera humilis. Am Briesenberge*) fanden sich Phleuin
Boehmeri, Thesiuin interniedium , Filipendula hexapetala, Viola hirta,
Peueedanum Cervaria, Myrrhis bulbosa, Coruus sanguinea, Stachys rectus,
Veronica Teucrinm, Orobanche caryophyllea, Vincetoxicum album, Asperula
tinctoria, Campanula bononiensis, C. glomerata, Chrysanthemum corym-
bosum. Nicht weit davon fand mau noch Brachypodium pinnatum,
Carex montana, Anemone silvestris, Polygala comosa, Sanguisorba minor,
Astragalus Cicer, (ieranium sanguiueum, Lithospermum oflicinale, Oro-
banche lutea, Chondrilla juncea. Am Schwakenberg**) wurde beobachtet:
Thesium intermedium, Thalictrum tlexuosum, Pulsatüla pratensis, Poten-
tilla cinerea, P. Tabernaeinontani, Trifolium alpestre, Helianthemum
Chamaecistus, Falcaria sioides, Briinella grandiflora, Cvnoglossum offi-
cinale, Centn urcu panniculata. Schliesslich am Schäferberg: Phleum
Boehmeri, Nroinus inermis, Thesium intermedium, Dianthus Cartbusianorum,
Viscaria viscosa, Silene uutans, Anemone silvestris, Alyssum calycinum,
Polygala comosa, Saxifraga granulata, Crataegus monogyna, Sanguisorba
minor, Potentilla cinerea, Filipendula hexapetala, Vicia tenuifolia, Tri-
folium motitauum, Medicago minima, Anthyllis Vulneraria, Helianthemum
Chamaecistus, Falcaria sioides, Ajuga geiievensis, Stachys rectus, Salvia
pratensis, (S. dumetorum), Veronica Teucrium, Orobanche caryophyllacca,
(). lutea, Vincetoxicum album, Asperula tinctoria, Guliuui boreale, Scabiosa
columbaria, Campanula. sibirica, Centaurea panniculata, Leontodon
hispidus, Crepis biennis, Seorzonera purpurea. Wenig weiter südwärts
wuchsen Thalictrum tlexuosum, Th. minus, Oxytropis pilosa (sehr viel),
Stachys germanicus und Melampyrum arvense.
An ganz trockenen Orten auf den politischen Hügeln, wo sich eine
Formation entwickelt hat, die etwa der der Sandfelder bei den Pflanzen-
gesellsehaften nahrstoffanuer Wässer entspricht, nimmt die Zahl der
Pflanzenarten naturgeinäss sehr ab, Stupa capillata, (St. pennata) linden
sich hauligalsCharakterptlanzen solch steriler Stellen, bei Schwedt a. O.***)
wuchsen Fsoroiua lentigerum und Ps. fulgens, die sonst den mitteldeutschen
Kalkbcrgen eigentümlich sind, in ihrer Gesellschaft.
Umgekehrt linden wir an den feuchten (oft schattigen) Stellen
besonders im Frühling eine reiche Flora, in den bereits oben erwähnten
Buschwäldern der Diluvialränder; Triticum caninum, Allium Scordo-
prasum, LTiims campestris suberosa, Cleniatis recta, Corydallis cava,
C. solida, C. intermedia, Mercurialis perennis, Lithospermum purpureo-
*) Vgl. a. a. 0. S. IV.
*•) Vgl. a. a O. S. Vit.
•••) Vgl. a. a. 0. 8. V.
10*
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148
I\ Graebner:
eoeruleum (an lichten Orten), Pulinouaria officinalis, Myosotis sparsiflora,
OmphalodfS scorpioides, Chrysanthennnn corymbosum und viele andere
sammelte ich an solchen Lokalitäten, kurz eine Flora, die schon fast
ganz der unserer Laubwälder gleicht.
3. Vegetationsformation der Buchenwälder.
Überall im norddeutschen Flachlaude , wo nicht irgendwelche
schädlichen Einflüsse sich geltend machen, zeigt der Boden die Neigung,
sich mit Wald zu bedecken; es haben deshalb, wie schon hervorgehoben,
einige Forscher angenommen, dass das ganze Gebiet ohne menschlichen
Einfluss einen einzigen Wald darstellen würde. Wenn dem nun auch
wohl sicher nicht so ist, so ist es doch richtig, dass bei weitem der
grösste Teil Norddeutschlands mit Wald bewachsen sein würde. An
allen, Orten, wo nicht Steilheit der Abhänge, die völlige Sterilität des
Bodons, der Ortstein oder mechanische Gewalten zeitweise strömenden
Wassers oder des Windes die Waldbilduug verhindern, wird sich je
nach der Beschaffenheit des Bodens ein Laubwald oder Nadelwald
ausbilden.
Den unmittelbaren Anschluss an die vorbeschriebene Formation
der pontischen Hügel stellt der Buchenwald dar. Bestände von Fagus
silvatica finden wir überall dort, wo ein massig feuchter, mergelhaltiger
Boden vorhanden ist. Unter solchen Verhältnissen findet die Buche so
günstige Lebensbedingungen, dass die übrigen etwa mit ihr aufwachsenden
Bäume, z. B. die Eiche, im Wachstum mit ihr nicht gleichen Schritt zu
halten vermögen. Man hat oft zu beobachten Gelegenheit, dass an ent-
blößten Stellen, wo z. B. durch Windbruch im Walde eine Lücke ent-
standen ist, mit der Buche zugleich oft eine ganze Anzahl anderer
Holzgewächse sich anfinden. An einem solchen Orte sieht man über
den ganzen Boden zerstreut zahllose Sämlinge der Baumarten (Eiche,
Kiefer etc.). Die Kiefern pflänzchen verschwinden sehr bald unter dem
Blätterdach der Laubbäumchen und schon nach einigen Jahren sieht
man, wie die Buche alle anderen Pflanzen an Wachstum bei weitem
übertrifft; in dem dichten Bestände, in dem man nur mit grösster Mühe
und meist unter Zurücklassung einiger Kleiderfetzen seinen Beobachtungen
nachgehen kann, stehen die sparrigen Eichenstämmchen nur noch mit
wenigen blättertragenden Ästchen besetzt da, an Höhe in einem erst
etwa 4 m hohen Bestände bereits um ein Drittel zurückbleibend, andere
sind bereite vor Jahren abgestorben. In einem älteren Walde sieht man
selten noch einen beigemischten Baum, wenn anders wir nicht überhaupt
einen Mischwald vor uns haben, dessen Auftreten weiter unten besprochen
werden mag. — Ich sah nirgend einen Bucheuhochwald, dessen Unter-
grund, wenigstens in einiger Tiefe unter der Erdoberfläche,
nicht aus mergelhaltigem Boden bestanden hätte. — Es erscheint
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Über die Bildung natfirl. Vegetationstonnationen iui Xordd. Flaehlande. 140
wohl sicher, dass zu einer Zeit, als die Ackerkultar noch nicht den
Umfang angenommen hatte, wie heute, die Ausdehnung der Buchen-
wälder eine erheblich grössere gewesen ist, weil gerade ihnen am meisten
Terrain entzogen worden ist wegen ihrer Vorliebe für die Mergelböden,
die gerade für den Landmann die wertvollsten sind.*)
Der allgemeine Charakter der Vegetation unserer Buchenwälder
dürfte bekannt sein. Die Eigentümlichkeit der Flora hat ihren Grund
in verschiedenen durch die Lebensweise des Baumes bedingten Ver-
hältnissen. Zunächst die auffällige Armut an blühenden Pflanzen während
der Sommer- und Herbstzeit; nur im Frühjahr entwickelt sich stellen-
weis eine bunte Decke. Die Anemonen (A. nemorosa, A. ranunculoides)
färben grosse Flächen weiss und gelb, dazu kommen üepatica triloba,
Rannnculus Ficaria, Pulmonaria officinalis (seltener P. angustifolia) und
andere, hin und wieder Dentaria bulbifera, Corydallis cava und Lathraea
squamaria. Wenn auch dies die auffälligsten und bekanntesten frühlings-
blühenden Buchenpflanzen sein mögen, zu denen sich nur wenig später
der Waldmeister gesellt, so ist ihre Zahl doch noch ganz erheblich
grösser. Im Sommer dagegen blüht selten eiue Pflanze unter dem
dichten Schattendache der Buche. Die meisten der genannten Arten haben
eine kurze Vegetationszeit, während der sich der ganze Regenerations-
prozess abspielt. Ganz früh im Jahre, ehe noch die Blätter der Buche
zur Entfaltung gekommen sind, spriessen die Pflänzchen aus der Erde,
blühen und stehen meist schon in Frucht, wenn der Wald sich belaubt.
Viele, wie die Anemonen, Rannnculus Ficaria, Dentaria bulbifera, Cory-
dallis und andere, sterben bald nach der Blütezeit ab und es macht auf
den Besucher einen eigenartig traurigen Eindruck, wenn er schon im
Frühsommer dort ein Meer toten Buchenlaubes findet, aus dem nur hie
und da ein Grashalm oder einige Blättchen hervorragen, wo sieh im
Frühjahr seinen Blicken «'in lebhaft buntes Bild üppigster Vegetation
dargeboten hatte. — Eine weitere Eigentümlichkeit der Buchenflora ist
die, dass ihr fast sämtliche ein- und zweijährige Pflanzen fehlen. Es
hat «lies wohl seinen Grund in «lein sich alljährlich wiederholenden
starken Laubfall. Der Boden ist stets mit einer Decke locker auf-
liegenden Laubes bedeckt, die «len Sämlingen das Eindringen in die Erde
ungemein ersehwert, uud der nächste Herbst begräbt w ieder alles unter
«len fallenden Blättern. Es können hier naturgemäss nur solche Arten
gedeihen, die einen kriechenden Wurzelstock besitzen oder sich
durch die stetig wachsende Laubdecke hindurchzuarbeiten vermögen
(Hepatica etc.).
So gering die Zahl der Phanerogamen in den dicht belaubten
•) Vgl Höck, F., Laubwaldflora Norddeutachlands, Stuttgart 1890, über die Ver-
breitung der Buche und die Häufigkeit der Buchenwälder.
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150
P. Graebner:
Waldungen ist, eine so grosse Menge besonders niederer Pilze*) linden
wir entwickelt. In der sogenannten Buchheide bei Templin waren im
Frühjahr in reinem Buchenbestande zu bemerken**): E<|uisetum hiemale,
E. pratensc, Meliea nutans, Milium effusum, Braehypodiuni silvaticum,
Carex silvatica, C. digitata, Luzula pilosa, Gagea silvatica, Neottia Nidus
avis, Listera ovata, Hepatica triloba, Anemone nemorosa, A. ranunculoides,
Kanunculus Ficaria, ('ardainine silvatica, C. amara, Dentaria bulhiferu
(stellenweis den Boden weithin bedeckend), Kubus saxatilis, Lathyrus
vernus, Yieia sepium, Astragalus glyciphyllus, Viola silvatica, V. Rivi-
niana, Oxalis Aeetosella, Circaea lutetiana, Lathraea squamaria, Pul-
monaria offieinalis, Asperula odorata, Lappa nemorosa.
An sandigeren Stellen, auf sanft geneigten Diluvialhügeln, und auf
ebenem Diluvialterrain (Thalsand) und Alluvialsanden finden wir nicht
selten die Kotbuche durch die Weissbuche (Carpinus Betulus) vertreten.
Ich beobachtete in Westpreussen, wo sich bei Zarnowitz ein ausgedehnter
Weissbuchenbestand erstreckt, der in einen ßotbuchenwald überging,
dass Carpinus dort überwog, wo eine sandige Schicht von ganz erheb-
licher Dicke sich vorfand. Unter Fagus liess sich in den Erdlöchern
und an den Abhängen in geringer Tiefe der Mergel bemerken, was in
dem Wcissbuchenbestande nicht gelang. Hier fand sich in erheblich
starker Lage Saud und zwar, worauf es besonders anzukommen scheint,
ein zwar kalkarmer, aber im übrigen nicht ausgelaugter nährstoff-
reicher Sandboden, aus dem sich in klarem Wasser eine sehr grosse
Menge löslicher Stoffe herauswaschen Hessen (im Gegensatz zu den
später zu besprechenden armen Sauden der Heiden und Kiefernwälder,
aus denen das hindurchfiltrierte Wasser in kaum verändertem Zustande
wieder heraustritt).
Die Flora der Weissbuchenbestände schliesst sich eng an die der
eigentlichen Buchenwälder an, wohl hauptsächlich wegen der ähnlichen
Belichtungs- und Feuchtigkeits Verhältnisse, die den Nicderptlanzen dar-
geboten werden. Der tiefe Schatten bewirkt wenigstens im Sommer
eine überaus grosse Armut an Formen blühender Gewächse; nur die
Zahl der Moose, die in grösseren oder kleineren Polstern sich auf dem
Boden und an den Stämmen ansiedeln, ist Legion. So beobachtete ich in
dem obengenannten Wahle bei Zarnowitz i. Wpr. in grossen Mengen:
Rndula complanata, Dicranella cerviculata, Dicranum scoparium, Cera-
*) Vgl. z. B. P. Henninga und G. Lindau, Verzeichnis der bei Teinpliu am
'20. Mai 1S04 beobachteten und gesammelten Pilze. Verb. Bot. Ver. Brandenb. XXXVJ.
1804. S. XXXII- XXXVI.
*') Vgl. Aschcrson, I\, Bericht über die (iO. ^(i. Fi ühjabrs) Hauptversammlung
des Botaniselien Vereins der Provinz Brandenburg zu Templin am 20. Mai 1894.
Verh. Bot. Ver. Brandenburg XXXVI 189-1, S. XXX.
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(vber die Bildung nattirl. Vegetali<jnsfonuatiouen im Nordd. Flachlandc. 1 öl
todon pnrpureus, Webern nutans, Milium cuspidatum, Brachythecium
velutinura, Hypnum cuspidatum, II. Schreberi, Hylocomium splendens.
4. Vegetationsformationen der Eichen- und Birkenwälder
(e x c 1. A u e n \v il 1 d e r ).
Ganz eng an die Formation der vorbeschriebenen Weissbnchen-
bestände sehliesst sich die des Eichenwaldes an, sowohl was Vorkommen
als was Ansprüche und Vegetationsbedingungen betrifft. — Man beobachtet
sehr oft, besonders auf den schon vorher erwähnten Thalsandfliichen,
das Übergehen oder die allmähliche Vermischung von Eichen- und
Weissbucheuwald. Ich habe versucht, besonders in der Umgebung von
Neuhaidensieben, von Nauen bei Berlin und in Westpreussen, den Ur-
sachen dieses Wechsels auf «lie Spur zu kommen. Es scheint mir, als
ob das Überwiegen der Eiche (zusammen mit der relativen Seltenheit
der Carpinus-Bestände) an den betreffenden Orten dadurch veranlasst
ist, dass die Eichen erhebliche Hindernisse, die sich ihnen entgegenstellen,
zu überwinden und ungünstige Vegetationsverhältnisse zu ertragen ver-
mögen, eine Fähigkeit, die sowohl den Weiss- als den Rotbuchen ab-
geht. Ich fand verschiedentlich unter Eichenwäldern sogenannten
schluffigen Boden, d. h. steinartig zu festen Bänken verkitteten feinen
Sand; ferner zeigte sich in den feuchten Teilen dieser Wälder an
Gräben etc. eine Cariceten-Flora, die zusammen mit dem streng nach
Sumpfgas und Säuren riechenden Wasser darauf schliessen Hess, dass
sich in dein Grundwasser erhebliche Mengen hmnoser und mineralischer
Stoffe angesammelt finden, und last not least erträgt die Eiche einen
ziemlich hohen Grad von Trockenheit und vermag selbst bei stark fort-
geschrittener Heidebildung sich noch gut zu erhalten (vgl. unten). Alle
diese geschilderten Verhältnisse beobachtete ich nie in Buchenwäldern:
Der Boden zeigte sich an allen Stellen weich und durchlässig, besass,
wie auch das Wasser, einen milden (niemals unangenehm strengen)
Geruch und ist auch nie erheblich trocken.
Die Flora der Eichenwälder ist mit den Feuchtigkeit- und Be-
lichtungsverhältnissen ganz ungemein variabel. Wir finden alle Über-
gänge von der Vegetationsgesellschaft, die sich von der des Buchen-
waldes auch um nichts (oder wenig) unterscheidet (in mässig feuchten,
dichten Beständen*) bis zu der der typischen Heide**).
Meist auf trockenerem sandigen Terrain wird die Eiche von der
Birke und zwar von Betula verrucosa abgelöst; dieselbe mischt sich
*) Bei Neuhaidensleben (im Listerbagcn bei Bodendorf) z. B. Neottia Nidus
avis, Corylus Avellana, Kanunculus lanuginosus, Galeadolon luteum, Galium silvaticum,
Pliyteuma nigruni etc. vgl. Graebner, P., Studien über die Norddeutsche Heide. Englers
Bot. Jahrb. XX, 1895 S. 600- Ö54, Taf. IX-X (S. 521).
**) Vgl. a. a. O. S. 544.
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152
P. Graebner:
meist den Eichen- oder Kiefernwäldern (vgl. unten) bei und bildet gern
an solchen Stellen Bestände, wo der Sandboden eine grössere Fein-
körnigkeit zeigt. Infolge der herrschenden Trockenheit findet sich meist
(besonders in reinen Beständen) eine ungemein ärmliche Flora; einige
Gräser (Festuca ovina und Aira caespitosa) bilden oft mit Sporgularia
rubra, Potentilla cinerea, Hieracium Pilosella und wenigen anderen fast
die einzige Vegetation. An anderen Orten, wo sich indessen schon
andere Laubbäume eingemischt haben, ist eine grössere Anzahl von
Arten vertreten*).
Die beiden letztgenannten Formationen, die der Eichen- und Birken-
walduugen, können kaum noch den Vegetationsformationen nährstoff-
reicher Wässer zugerechnet werden, sie bilden gewissermaßen den Über-
gang zur 2. Gruppe. Ich habe es für besser gehalten, sie dieser ersten
Abteilung zuzurechnen, da ihre Flora sich in der Mehrzahl der Fälle
(wenigstens was die Eichenwälder betrifft) eng an die der übrigen Laub-
holzformationen anschliesst, und wenn auch der Nährstoffgehalt des
Bodens, resp. der in demselben sickernden Wässer nicht immer ein hoher
ist, so überwiegt er doch den der heidigen Formationen um ein ganz
bedeutendes.
5. Vegetationsformation der Fichtenwälder.
Die Formation der Fichtenwälder ist zwar im norddeutschen
Flachlande nur an wenigen Stellen, in der Provinz Brandenburg nur im
südlichsten Teile in der Lausitz (Gross-Messow bei Drehna) ausgebildet,
sie bildet jedoch in ihrer grossen Armut an siphonogamen Gewächsen
einen so eigenartigen Anblick dar, dass sie nicht unerwähnt bleiben soll.
In reinen Beständen finden wir Picea excelsa im Flachlande meist auf
ebenem Thalsande auf frischem, tiefgründigem Boden, der oft sogar voll-
kommen sumpfig sein kann**). Die Formation scheint in ihrem Vor-
kommen sich ganz ähnlich wie die der Weissbuchenwälder zu verhalten.
Auch in Skandinavien und den mitteleuropäischen Berg- und Alpen-
gebieten zeigt sie eine Vorliebe für Orte mit frischen an gelösten Mineral-
stoffen reichen Wässern, ohne (wie die Buche) gegen „kalte" Böden
empfindlich zu sein.
Das ganze von Fichten bewachsene Terrain ist dicht bedeckt mit
abgefallenen Nadeln, die lose aufgesclüchtet für den Pflanzenwuchs (bes.
für Keimlinge) ein sehr ungünstiges Substrat darsteilen. Es erklärt sich
dadurch, zusammen mit dem das ganze Jahr andauernden tiefen Schatten,
die Pflanzenarmut dichter Fichtenwälder. Ausser Oxalis (Listera cordata),
wenigen lleidel- und Preisselbeersträuchern, sind es oft nur einige
Gräser und Farne, die hier ihr Dasein zu fristen vermögen.
♦) Vgl. auch a. a. 0. S. 443.
**) Vgl. Drude, O., Deutachlands Pflanzengeographie, S. 818 ff.
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f ber die Bildung natnrl. Vegetatiousformationen im Nordd. Flachlande.
153
V). Vegetationsformation der Erlenbrücher.
Fast überall dort, wo von den mergelhaltigen Diluvialhügeln herab
das Wasser sich in Thälern und Mulden zu Bächen oder Sümpfen ver-
einigt oder die Quellen zuthal rieseln, linden wir Erlen. So oft ich
versucht habe, den Ursprung der die Erlenbrücher speisenden Wasser-
massen festzustellen, fand ich, dass sie in Diluvialhügelu ihren Ursprung
nahmen. Ich versuchte darauf ihre Entstehung zu verfolgen. Es wollte
mir dies lange nicht gelingen; überall sah ich fertige Brücher, zwar
unter bestimmten Bedingungen, aber doch war ich nie sicher, ob hier
wirklich nur der Einfluss des nährstoffreichen Wassers die Hauptursache
der Ausbildung ist, und nicht auch zu erheblichem Maasse die Boden-
beschaffenheit mitwirkt. Erst im letzten Sommer sah ich ein Erlenbruch
auf natürlichem Wege sich ausbilden, und zwar in Hinterpommern. Im
sogenannten Schnittbruch bei Ossecken*) wird das Wasser einiger
kleiner, aus Diluvialthälern kommender Bächlein durch die davorgelagerten
Dünen aufgestaut. Durch das weitere Vordringen des Dünensandes
werden immer weitere Flächen des Landes unter Wasser gesetzt und
versumpfen. Es war nun interessant zu beobachten, wie sich dort die
Erlen in grosser Zahl üppig entwickelten und kräftig emporsprossten,
die kränkelnde Kiefer und andere Bäume im Wachstum erheblich über-
treffend. An den älteren Stellen, wo die Erlen schon eine erhebliche
Höhe erreicht hatten und die ehemalige Anwesenheit von Kiefern,
Buchen etc. sich nur noch aus den vermorschten Stämmen vermuten
Hess, hatte sich bereits der für Erlenbrücher so charakteristische Blätter-
torf gebildet, der dadurch entsteht, dass die Blätter im Herbst auf den
nassen Hoden oder ins Wasser gelangen, wo die Verwesung nicht so
schnell vor sich geht, wie die Vertorfung. Die aufeinander lagernden
Blatten bilden einen festen, für Wasser schwer durchlässigen Torf.
Die Vegetation solcher Erlenbrücher ist sehr eigenartig, wenn auch
wechselnd. Häufig finden wir grosse Bestände von Hopfen oder Brenn-
nesseln (Urtica dioeca) in denselben; stellen weis ist der Boden ganz mit
Kanunculus repens oder mit Athyrium filex femina bedeckt; an inter-
essanteren Arten sind Lycopodium Selago, Glyeeria nemoralis, Daphue
Me/ereum, Circaea alpina, C. intermedia u. a. zu nennen.
7. Vegetationsformation der Auenwälder.
In den Auenwäldern, die in den Flussniederungen grosser Flüsse
meist auf mässig ausgedehntem Terrain entwickelt sind, begegnen wir
meist Mischwäldern verschiedenartiger Gehölze. An typisch ausgebildeten
*) Vgl. Graebner, P., Zur Flora der Kreise Putzig, Neustadt i./Wpr. und Lauen-
burg i./P. Sehr. Naturf. Ges. Danzig N. F. I. Bd. I. Heft. 1895. S. 272-390, Taf. VN,
VIII (8. 290.
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154
P. Graebner:
Stellen, d. Ii. dort, wo alljährlich, besonders zur Winterszeit, das Wasser
des Flusses den Grund der Stämme umspült, fehlen Buche*) und Kiefer
vollständig. Hier finden wir hauptsächlich Eichenbestände untermischt
mit Erlen, Birken, Pappeln und anderen. Es sind solche Auenwälder
auf demselben Terrain entwickelt, auf dem wir sonst Flusswiesen zu
linden gewohnt sind und auch aus solchen entstanden. Als Bestandbildner
haben sich naturgemäss solche Bäume entwickelt und erhalten, deren
Gedeihen durch die zeitweise Überschwemmung nicht wesentlich beein-
trächtigt wird. Dass wir hier nahezu alle Ilolzgewächse der Wälder
nährstoffreicher Böden finden, kann nicht wundernehmen, da bekannt-
lich die Fluss wässer, besonders zu Zeiten des Hochwassers, an gelösten
Substanzen reich sind, sodass unter diesen günstigen Verhältnissen die
erheblich üppiger gedeihenden Laubholzgewächse der Kiefer den Vorrang
streitig machen müssen. Das Überwiegen der Eichen mag seineu Grund
mit in der mechanischen Festigkeit haben, die den vegetativen Organen
dieses Baumes eigen ist. — Die Flora der Auenwälder schliesst sich
meist eng der der Flusswiesen oder der Erlenbrücher und Eichen-
wälder an.
8. Vegetationsformation der natürlichen Wiesen.
Wie bereits gesagt, finden wir natürliche Wiesen vorzugsweise (oder
fast nur) in den Überschwemmungsgebieten grösserer Flüsse. Dort, wo
durch die mechanische Gewalt des fliessenden Wassers und besonders
im Frühjahr durch die des treibenden Eises die Ausbildung der soeben
erwähnten Auenwälder verhindert wird, können nur die rasenbildenden
Pflanzenarten, besonders solche mit ausdauerndem Wurzelstock gedeihen.
Es haben mehrere Forscher geglaubt annehmen zu dürfen, dass alle
unsere Wiesen lediglich Produkte menschlicher Kultur seien, wohl weil
sie eben den zahlreichen Kunstwiesen in ihrer Zusammensetzung ganz
ungemein ähnlich sind**). Dem ist aber nicht so. Die Waldbildung wird
durch das strömend*' Wasser und Eis verhindert, es muss sich also eine
Vegetationsdecke aus niedrigen Pflanzen bilden. Einjährige und zwei-
jährige Pflanzen können auch in grösserer Masse nicht auftreten, weil
sie erstens durch das im Frühjahr oder Herbst noch einmal steigende
Wasser oft ihrer Blüten und unreifen Frucht beraubt würden und
zweitens in der dichten Decke der perennierenden Arten schlecht ge-
deihen können. Für Stauden, besonders solche mit kriechenden Rhizomen,
erscheinen aber die Vegetationsbedingungen besonders günstig; denn sie
bieten den darüber fortgleitenden Wassermassen wenig Hindernisse und
deshalb wenig Gelegenheit, die dichte Decke zu zerstören, des weiteren
ist aber auch ein Verlust der_oberirdischen Teile ihrem Wachstum nicht
•) Vgl. Drude. O., Deutschlands Pflanzengeographie 8. 307.
**) Vgl. oraebner, I\, Studien etc. S. 51ß.
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Über die Bildung natürl. Vegetntionsformationen im Nordd. Flaehlaude. 155
schädlich, sondern das Absterben der Reproduktionsorgane führt zu
einer tun so stärkeren Vermehrung der unterirdischen Stengel und ist
so der Rasenbildung förderlich.
Die Flora der geschlossenen Wiesen ist in ihren Hauptzügen all-
gemein bekannt, vorwiegend Gramineen, untermischt mit dikotylen
Stauden. Es sei hier besonders auf die Arbeiten C. A. Webers*) über
die Vegetation natürlicher und künstlicher Wiesen hingewiesen.
An den Flussrändern selber und an den durch Hochwasser ver-
letzten oder überdeckten schlickigen und sandigen Stellen der Fluss- •
wiesen sehen wir eine durchaus abweichende Vegetation entwickelt, die
sich aber immer nur kurze Zeit erhält. Auf dem kahlen Terrain finden
wir meist sehr spärlich, seltener in dichteren Beständen eine geringe
Anzahl meist einjähriger Pflanzenarten, wie Polygon um nodosum, Juncus
bufonius und andere.
Si. Vegetationsformation der Grünlandmoore.
Ein weiteres Hindernis für die Ausbildung waldiger Formationen
ist die übermässige Anreicherung in Wasser löslicher Stoffe und die
Aufspeicherung ausgefällter Humussäuren, die infolge der fortdauernden
Feuchtigkeit nicht eintrocknen (vgl. unten) und daher als schwammige
Massen erhalten bleiben. Alle unsere Waldbäume vermögen nicht in
solchem strengen Hoden zu wachsen, und es bleibt das Terrain deshalb
kahl und wird fast nur von den rasenbildenden Sauergräsern locker be-
deckt. Die Entstehung eines Grüulandmoores geht etwa in folgender
Weise vor sich: Auf undurchlässigen Lehm- oder Thonschichten stagniert
das von der Seite zufliessende Wasser. Da ein Versickern ganz oder
fast ganz uumögiich ist, geht fast nur durch Verdunstung (oder in
feuchten Zeiten durch seitliches Cberfliessen) Wasser verloren. Die herbei-
geführten Stoffe werden in der Mulde abgelagert (Iluuiiissäuren) oder
bleiben (wenigstens zum Teil) im Wasser gelöst, in dem sie naturgemäss
fortwährend zunehmen. Ich habe mehrmals die Entwicklung der For-
mation beobachten können, besonders deutlich einmal in Colberg an
einer Stelle, an der mich jahrelang mein Schulweg vorbeiführte. Hier
war in einem Teile des jetzigen Kaiserplatzes an einem kleinen Rinnsal,
dessen Wasser aus einer nahe dem Bahnhofe gelegenen Wiese stammte
und in den Wallgraben sich ergoss, in trockenen Jahreszeiten aber leer
war, ein schmaler Wiesenstroifen mit Buschwerk entwickelt. Als dort
eine Gewerbe- Ausstellung errichtet wurde, ebnete man das Terrain
*) Über die Vegetation des Moores von Augustutnal bei Heydekrug. Mittb.
Moorkultur XII. 1894 No. 10 (S. 1 — 12 d. S. Abdr.). Über Veränderung in der Vege-
tation der Hochmoore unter dem Kinttusse der Kultur etc. Mitt. 0. Moorkultur XII.
1804 No. 17, S. 309-820. — Wie kanu man eine gute Wiese auf nicbt abgetorftem
Hochmoor mit den geringsten Kosten herstellen. Ebend. XIII. 1895 No. 1, S. 3-24.
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1Ö6
P. Graebner:
etwas ein, das kleine Rinnsal wurde abgestaut und in einen später
wieder zugeschütteten kleinen Teich geleitet. Es breitete sich nun die
zwar sein* geringe Wassermenge über eine ebene Fläche aus, die jahre-
lang unbenutzt Hegen blieb. Die ehemalige Vegetation verschwand nach
und nach, und die Carices, besonders C. stricto, C. pauicea u. a. breiteten
sich immer mehr und mehr aus, und nach einigen Jahren war der
ganze (wenn auch kleine) Flecken Erde mit braunschwarzem, schwam-
migem Humus dicht bedeckt.
Ein« so starke Anreicherung von Mineralstoflen und Humussäuren
wie in diesem Falle wird man nicht allzu häutig treffen; meist wird der
Prozentgehalt den der Erlenbrücher um etwas zu übersteigen brauchen,
um ein Vorwiegen der Carices etc. zu veranlassen, ein Absterben oder
Verkümmern der Laubbäume zu bewirken.
Ein weiteres Hindernis für die Vegetation bilden oft die grossen
Lagen von Wiesenerz (Raseneisenstein) oder andere ähnliche Ablagerungen,
auch finden wir nicht selten Kalkbänke an Orten, wo sehr kalkreiche
Gewässer in die Moore münden.
Die Grünlandmoore werden oft, selbst von Botanikern, mit den
Wiesen (Moorwiesen oder Wiesenmooren der Flussniederungen) verwechselt,
ebenso mit den aus Heidemooren durch Kultur und Düngung hervor-
gegangenen Wiesen, zum Teil wohl wegen des Namens „Wiesenmoor*,
der ja auch in manchen Gegenden für die moorigen Flusswiesen gebraucht
wird. Wenngleich die Formationen der Wiesen und der Grünlandmoore
in ziemlich engen Beziehungen stehen, sind sie doch streng voneinander
zu scheiden. Wie die ersteren vorwiegend durch die Vegetation von
Gräsern ausgezeichnet sind, sind es die letzteren durch die Prävalenz
der Carices, und zwar besonders hochwüchsiger harter Arten (C. panni-
culata, A. gracilis, C. Goodenoughii, C. pauicea, C. flava, C. Pseudo-
Cyperus, C. rostrata, C. acutiformis etc.). In ihrer weiteren Zusammen-
setzung ist die Flora der Grünlandmoore sehr verschiedenartig und mit
der der Umgebung wechselnd, sodass es zu weit führen würde, hier auch
nur die Haupttypen eingehend zu besprechen.
lü. Vegetation» forirtation der Landseen, Teiche, Flüsse
und Bäche.
Auch in der Vegetation der im Wasser flutenden resp. an den
Uferrändern wachsenden Pflanzen macht sich ein ganz erheblicher Unter-
schied zwischen der der nährstoffreichen Landseen und Flüsse und der
der sogenannten lleidetümpel mit armen („weichen") Wässern bemerkbar.
In der Hauptsache dürfte die Pflanzengesellschaft, wie sie uns fast über-
all in der norddeutschen Ebene entgegentritt, allgemein bekannt sein:
An den Rändern meist Bestände von Phragmites und anderen Rohr-
gräsern, dazwischen Typha-Arten, Sparganiura erectum, Sp. neglectura,
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Über die Bildung: natürl. Vegetationsformationen im Nordd. Flachlande. 157
Sp. simplex, Triglochin maritima, Tr. palustris, Sagittaria sagittifolia,
Alisma Plantago, Hutomus umbellatus, Scirpus lacustris, Sc. maritimus
resp. Sc. Tabernaemontani u. a. ; in flachen Tümpeln treffen wir: Glyceria
aquatica, Gl. fluitans, Gl. plicata, Calla palustris, Lemna minor, Menyanthes
trifoliata, zahlreiche Carex-Arten etc. Im Wasser der Flüsse und Seen
selber begegnen uns ausser der Mehrzahl der ebengenannten Arten noch
besonders Potamogeton natans, P. alpinus, P. lucens, P. perfoliatus, P.
crispus, P. compressus, P. pusillus, P. pectinatus, P. marinus, P. densus,
Stratiotes Aloides, Ranunculus aquatilis, R. divarieatus und zahlreiche
andere. Es lassen sich naturgemäss gerade in dieser Formation zahl-
reiche Typen und Untertypen feststellen, aber auch nur eine oberfläch-
liche Gliederung würde über den Rahmen der Arbeit hinausgehen.
B. Vegetationsformationen mit mineralstoff armen Wässern.
Nachdem im vorigen Abschnitte alle die Formationen abgehandelt
sind, in denen die Pflanzen an den Boden, d. h. an seinen Nährstoffgehalt
hohe oder doch wenigstens höhere Ansprüche stellen, mögen hier die-
jenigen folgen, deren Entstehen und Bestehen wohl lediglich dein Um-
stände zu verdanken ist, dass die den Hauptbestand der vorherbesprochenen
Vegetationsformationen bildenden Arten entweder auf dem zu Gebote
stehenden Substrate überhaupt nicht zu gedeihen oder doch mit den
hier prävalierenden Pflanzen nicht in eine erfolgreiche Konkurrenz zu
treten vermögen. Die wenigen vorliegenden Analysen der Sickerwässer
oder der betr. Bodenarten zeigen, dass kaum mehr als 1—4 Teile ge-
löster anorganischer Substanz in 10U00U Teilen des von den Pflanzen
aufzunehmenden Wassers (in typisch ausgebildeten Formationen) sich
linden; alle hierher gehörigen Formationen können als „heidigeu be-
zeichnet werden*).
1. Vegetationsformation der Sandfelder.
T)ie Formation der Sandfelder gehört zu den sterilsten und pflanzen-
armsten, die wir in der norddeutschen Ebene antreffen, da sie die denk-
bar ungünstigsten Bedingungen für jedes Pfl.mzenleben darbietet. Zu
dein Mangel an Nährstoffen gesellt sich lange andauernde Trockenheit,
die bei dem losen, wenig wasserhaltenden Sande um so fühlbarer wird.
Am besteu vermögen hier noch einige Flechten und unter ihnen wieder
der anspruchslosesten eine, Cornicularia aculeata zu gedeihen, sie über-
ziehen oft weite Strecken in lockerem Rasen, der hin und wieder von
grossen ganz oder fast ganz kahlen Flächen unterbrochen wird, auf
*) Die hier zu behandelnde Gruppe habe ich in meiner Arbeit: Studien Ober
die Norddeutsche Heide, Englers Bot. Jahrb. XX. 1895. S. 6Ü0— 064 c. Tab. IX— X
eingehend besprochen, kann mich deshalb hier kürzer fassen.
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1;j8 P. Graebner:
denen mir zu Zeiten andauernder Feuchtigkeit sicli ein leichter Schimmer
grüner AI gen Vegetation bemerken lässt. Von siphonogomen Gewächsen
gesellen sich kaum andere als Weingaertneria canescens, Erophila verna
und vielleicht noch Teesdalea nudicaulis und Spergula vernalis. Nur
hin und wieder taucht auf dem öden Felde eine einsame Kiefer oder
ein struppiger Waehholder auf.
2. Vegetationsformation der Calluna-Heide.
Wie die Sandfelder finden wir auch die Heide auf einem Terrain,
auf dem die oberen Schichten des sandigen Bodens durch die jährlich
darauf herniedemVselnden Uegenmassen ausgelaugt sind, das von oben
lierabsickernde Wasser löst allmählich alle vorhandenen löslichen Mineral-
stoft'e und entführt sie in tiefere Schichten. Es entsteht dadurch
ein lockerer, feuchter (durch beigemengte Htmiusteile) etwas bläulich-grauer
Sand, der seiner Farbe wegen den Namen „Bleisand* erhalten hat. Hat
nun die Auslaugung einen bestimmten Grad erreicht, so würde das Wasser
in fast reinem Zustande auf eine gewisse Tiefe in den Boden eindringen,
wenn nicht auf der Oberfläche durch absterbende Pflanzenteile eine
humose Schicht sieh gebildet hätte, aus dieser werden nun eine grössere -
Menge von Humussäuren gelöst und in die tieferen Schichten gebracht,
(lelangt das so mit Htimiissüurcn beladene Wasser an die untere Grenze
des Bleisandes, so werden aus dem dort noch nicht ausgelaugten Boden
sofort leicht lösliche Verbindungen (Salze etc.) gelöst und die Humus-
säuren, die die Eigenschaft besitzen, nur in reinem Wasser in grösserer
Menge löslich zu sein, als eiue braune gallertige Masse ausgeschieden,
die, einmal trocken geworden, die Sandkörner zu einein festen in Wasser
unlöslichen Sandstein, dem Ortstein oder Ur, verkittet
Hat sich nun (meist in 30 —SO cm Tiefe) unter dein Walde oder
an offenen Orten eine solche feste Ortsteinschicht gebildet, wie wir sie
in Quadratmeilen grossen Flächen fast ununterbrochen in den grossen
Heidegebieten vorfinden', so kann sich keine andere Vegetation hier
erhalten als die Heide, alle mit ihren Wurzeln tiefer in den Boden ein-
dringenden Gewächse, bes. die Waldhäume, vermögen nicht die dicke
Oi tsteiust hicht zu durchbrechen — die jungen Pflanzen vergehen bei
der ersten Uürreperiode.
Dieselbe wird hervorgerufen durch die Bildung besonders dicker
Bleisamlscliichten (auch ohne Ortstein), in denen Pflanzen mit intensiverer
StofFproduktion als die Heidepflanzen nicht Nahrung genug finden und
daher zu Grunde gehen, ehe sie die unteren besseren und wasserhalten-
deren Bodenarten erreicht haben*).
•) leb habe Ober die Ursachen der Heidebildung etc , die Vegetation und
Gliederung der Heide im weitesten Sinne bereits mehrfach gesprochen, so a. a. Orten,
Sehr. Naturf. Ges. Danzig X. F. IX, 1. 1890. S. 302 ff. und Naturw. Wochenschrift
(Potoni6) 1896.
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über die Bildung natörl. Vegetationaformationen im Nordd. Flaehlande. 159
?. Vegetationsformation der Kiefernwälder.
Diese Vegetationsformation schliesst sich auf der einen Seite dicht
an die der ebengeschilderten Heide an, die sie nur um ein weniges an
Nährstoffgehalt des Bodens übertrifft, oder von der sie sich oft nur
durch den Mangel resp. die schwache Ausbildung des Ortsteins unter-
scheidet, auf der anderen Seite gehen die Kiefernwälder ganz unmerklich
in die Formation der Birken- und Eichenwälder über. Wir finden sie
meist auf sandigem, ziemlich armem Boden entwickelt ; oft mischen sie
sich mit anderen Bäumen (ausser den genannten besonders mit Buchen)
uiid zwar immer an solchen Stellen, wo der Boden au der Oberfläche
in massig dicker Schicht ausgelaugt ist und dadurch den Sämlingen der
Laubbäume das Gedeihen zwar erschwert, aber noch nicht unmöglich
gemacht wird, für die Kiefer aber ein erheblich günstigeres Terrain
vorhanden ist. Anderwärts, wo die Bleisandsehirht dünner ist, sind die
Laubbäume die überlegenen — die Kiefern gehen in der Mehrzahl zu
Grunde und Eiche oder Buche herrschen vor. — Man kann diesen
Kampf überall dort beobachten, wo an den Bändern von Mischwäldern
eine Kahlstelle oder innerhalb derselben durch Windbruch etc. eine
Lichtung entstanden ist: in unzähligen Mengen entstehen auf dem Boden
die Keimlinge aller Arten neben einander, aber schon im ersten Jahre
kann man bei entschiedener l'rävalenz einer Art das üppigere Gedeihen
ihrer Samenpflanzen konstatieren und in älteren Beständen wird die
Übermacht des einen Baumes immer auffälliger.
In ihrer Zusammensetzung gleicht die Flora der trockeneren Kiefern-
wälder meist der der trockeneren Heide, während die feuchteren, moosigen
Bestände alle Übergänge bis zur Annäherung an die Laubwaldflora
zeigen, so sah ich beispielsweise bei Ossecken im Kreise Lauenburg i. I».
in einem Kiefernwalde folgende Arten*): Hypnum Schreberi, Aspidium
spinulosum, A. l'hegoptcris, A. Dryopteris, Lycopodium clavatum, .Tuni-
perus communis, Anthoxanthum odoratum, Aira flexuosa, Poa triviaüs,
T. nemoralis, Carex pilulifera, C. venia, Juncus eflusus, Luzula pilosa,
L. cainpestris, Betitln verrucosa, llumex Acetosella, Moehringia trinervia,
Kubus Jdaeus, Firns aucuparia, Viola silvatica, V. eanina, Calluna vul-
garis (wenig), Vacciniuni Myrtillus, V. Vitis Yidaea, Trientalis europaea
(sehr viel), Veronica officinalis, V. Chamaedrys, |Melainpvruiu pratense,
Hypochoeris radicata, Lactuca muralis.
4. Vegetationsformation der Heidemoore.
Hand in Hand mit der Ausbildung der Heiden geht die der Heide-
moore; beide Formationen sind voneinander nur durch den Grad der
Feuchtigkeit verschieden. In den Mulden und tiefer gelegenen Stellen
•) Vgl. Sch. Naturf. Ges. Danzig N. F. IX, 1, 1806. 8. 289.
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1 CO
P. Graebner:
der Hcido sammelt sich das kalk- und nahrstoffarme Wasser und giebt
den Torfmoosen, den Sphagnum-Arten, Gelegenheit zu massenhafter Aus-
bildung. In der dichten Moosdecke linden wir neben einigen auch für
die trockene, sandige Heide charakteristischen Arten, wie z. B. Calluna,
Empctrum etc. eine grosse Anzahl dieser Formation eigentümlichen
Arten, so besonders Myrica, Leduin, Vaccinium Oxycoccus, V. uliginosum
und viele andere. Die Flora der Heidemoore weicht von der der Grün-
landmoore und der der Flusswiesen (Wiesenmoorc z. T.) ebenso erheb-
lich ab als die
5. Veget ation der Heide Seen und -tümpel
von der der Landseen etc. Zwar besitzen beide letztere eine Anzahl
übereinstimmender Arten (weit mehr als den beiden Arten von Mooren
gemeinsam sind) besonders von Potamogetcu, dennoch ist das Bild eines
Heidegewässers ein so charakteristisches und in jeder Beziehung ab-
weichendes, dass die Formation gesondert besprochen zu werden ver-
dient. Die Wasseransammlungen beobachten wir entweder inmitten des
Moores, wo sie von torfigen Ufern umgeben, meist eine braune Farbe
zeigen. Die Vegetation solcher Tümpel ist gewöhnlich sehr ärmlich; oft
flutet kaum etwas anderes als Hypnum tluitans oder ein Sphagnum,
mitunter auch Scirpus supinus. Anders in den klaren Heidegewässern
mit sandigem Grunde und sandiger Umgebung. Hier linden wir als
Charakterpflanzen eine grosse Zahl interessanter Arten, so besonders
Sparganium affine, Sp. diversifolium, Sp. minimum, Potamogeton polygoni-
folius, Scirpus fluitans, Sc. inulticaulis, Montia rivularis, Ranunculus
hololeucus, Isnardia palustris, Myriophylluin alterniflorum, Helosciadium
inuudatuin, Litorella unillora, Lobelia Dortmauna etc. Es sind dies alles
Pflanzen, die nicht oder doch nur ausnahmsweise in anderen als in
heidigen Gewässern wachsen.
C. Vegetationsformationen mit salzhaltigen Wässern.
Anhangsweise mögen hier noch die Vegetationsformationen auf
salzhaltigen Böden behandelt werden, weil sie in gewisser Weise eine
Zwischenstufe oder Ubergangsform bilden zwischen den beiden vorbe-
schriebenen Hauptgruppen, andererseits aber eine Sonderstellung ein-
nehmen. Die trockneren unter ihnen schliessen sich ziemlich eng an
die Formationen nahrstoffarmer Wasser besonders der Heide an; ja die
Heide selbst kann in einigen charakteristischen Bestandteilen nicht als
absolut salzfeindlich bezeichnet werden, denn in den Dünenthälern der
Ostsee tieften wir nicht selten auf eine sonderbare Mischflora echter
Heidetypen (mit Calluna, Erica Tetralix etc.) und der massig feuchten
Strandwiese (Juncus balticus etc.). Die Vegetation der Dünen mit
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Über die Bildung natürl. Vegetationaformationen im Nordd. Flachlande. Ißf
ihrem trockenen Flugsande ist allgemein bekannt und vor allen von
Warming*) eingehend behandelt worden. In den Thalern zwistheu
ihnen finden wir die charakteristische Formation der Strand wiesen. Der
locker mit Pflanzen bestandene Sandboden trägt eine auffällige Flora
•Tuncus baltieus, J. Gerardi, hin und wieder in Menge Scirpus coin-
pressus und Sc. infus, an anderen Stellen Cakile maritima, Uumex inari-
timus, Sulsola Kali, Eryngium maritimum (auch auf deu Dünen vielfach),
Euphrasia Odoutites u. a. Von den Strandwiesen, die wegen der unvoll-
ständigen Pflanzendecke den Namen „Wiesen" kaum verdienen, giebt es
alle Uebergänge bis zu typischen Wiesen, deren halophile Vegetation
den Salzgehalt des Bodens verrät und den sich anschliessenden Saiz-
sümpfen. Auf den ersteren begegnen uns dichte Bestände von Juneus
compressus und Triglochin maritimum, zwischen ihnen kriechen Gkmx
maritima und Spergularia salina, hin und wieder leuchten uns im Herbst
grosse Harste von Aster Tripolium entgegen. Oft treten auch Plantago
Coronopus und Festnca distans in grossen Mengen auf. In den
Gewässern flutet Ruppia, an den Rändern wächst Samolus Valerandi.
An den Stellen, wo der Salzgehalt grösser wird und zur Ausbildung
typischer Salz sümpfe fuhrt, sind oft weite Strecken mit Salieornia
herbaeca dicht überzogen, anderwärts sind Suaeda maritima oder Obione
peduneulata beigemischt oder in kleineren Bestünden vorhanden.
•) Warming, K., Botaniake Excursionen 2. De psamnaephibe Fonnationer i Dan-
mark. Vidensk. Meddel. fra den naturh. Forening 1S01 p. 15:? 202. Excursioner
til Fano og Blaavand i Juli isO.J. Botunisk Tidskrift XIX. 1 Hefte Kbhvu ISfU p. 52-SÜ.
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Register
Seite
Akten, gerichtliche v. Driesen . . . 24
Altriehter, Karl 85
Auewülder 154
Aufruf des Königs 47
Barzliu -.- . . 108
Bar f us, von 12
Behl», Dr. R KtO
Belling, Joachim Hans 11
Birkenwälder 151
Blockbaukirche in Burschen .... 08
Bluth, Geh. Baurat 8G
Boleslaw. König 2
Bornstedt, von .... 12
Brilnde in Driesen 25
Braken, d. des Flachses ...... 100
Brouiberger Canal ......... 39
Buchenwälder 14S
Buchdruckerei in Driesen 55
Bürgergarde, Bildung. ..... 47, 50
Auflösung 51, 01
Bürgermeister v. Driesen 53, 03, 05, 00
Burschen, Kirche 08
Calluna Heide 15s
Cholera iu Driesen 53, 04
Dampf Schneidemühle 05
Desertion der Soldaten 20
Dreißigjähriger Krieg 19, 129
Driesen, Stadt 1
Eichenwälder 151
Einwohnerzahl Driesens 26, 55, 61, 03, 77
Erlenhrücher 153
Ernte des Jahres 1840 57
FcuerkataBter 25
Fichtenwälder 152
Fischereistreit . . 24
Flachsbau 105
Flachseide (Cuscuta Epilinum) ... 105
Seite
67
Ed »* 1 . 1 j~\ ■ . | . . M » f\ mm MJ 4
. 9,
123
r nennen 11, Kunuret . . . .
11,
126
Gabriel E K Volksschullehrer
• -
131
fifirni«4nn in I)ripuf*n
45
52, 77
Gesinden, Verfahren gegen . .
25
Gerichtswesen in Driesen
01
Gt'werhpstenerHste
• •
78
Giesebrccht Historiker
2
Grnebner Dr Paul
133
Grünlandmoor
133,
155
Gmndstücke, Wert in Dnesen .
• •
81
Hafftig, P. Chronist
130
Hecheln des Flachses
106
107
Henke, Astronom
• 1
56
Hexenprozesse in Driesen . .
. 17
. 18
133,
100
Heideseeen
•
100
19
56
70
Juden iu Driesen .......
38
128
121
23
Kalkgehalt dea Grundwassers . .
139
Kapelle zu St. Spiritus in Wusterhausen
a. D
85
159
22
22
61
66
132
, M
Kriegakontribution von 1806 . .
• •
42
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Register.
Landseeen, Vegetation der
157
T,nml«<lirTii
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SO
Leiehensoeietüten in Driesen
80
100
105
Ml
Ludwig der Römer, Markgraf
121
Martyrergeschiehten
91
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25
1»! .IJZlniiMl, /*ll^.llJJuieilöt*l/.UIJj; m l/ric!?t.II
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Michael. J. Pastor
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jiiKraiuiiT, r rciiieiT v. . . ....
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Napoleonische Kriege
41
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50 :
05
Polizei- Verordnung in Driesen . . .
22
3
13
Pontische Hügel
143
Privatkuabenschulo in Driesen . . .
08
Privilegien der Gewerbe in Driesen 21
, 37
57
Ratbaus in Driesen ... ...
38
riet; Kling, a, ourgenueisier . .
i
Reformation, Einführung
128
1
4
Röten des Flachses .......
100
Ruderalstellen
Iii
113
Salzlösungen für die Pflanzen ....
137
168
127
Schulbau in Driesen . . . .
27
Seit«
Sehuldokument 27
Sehulenburg, v der 15
Seeen. Vegetation der 157
Siebenjähriger Krieg . . 28
Sigismund, Markgraf 4
Silber, Mutung auf 17
Sparr. v 12
Sparkasse in Driesen 82
Sperlinge, Verordnung gegen .... 38
Spinnrad .... 107
Spinnstuben 107
Spiritus, Kapelle St 85
Spreewidd 109
Stadt blieb von Driesen ....... 22
S. adteiuteilung von Driesen . . 09, 78
Stadtgeriebt v<«n Driesen 45
Stadtschulden von Driesen 50
Stadtsiegel von Driesen 18
Stadtverordneten von Driesen . . . 07
Städteordnung 43
Strafen, Abschaltung . 45
Strumpfstricken in Jüterbock .... 129
Taminetidorf Kircbe ........ 117
Tannenberg. Seblaebt 9
Treppmacher, Kommerzienrat ... 49
Treu, Bürgermeister 1
Truppendurcbzügo von 1807 .... 43
Tuehmaeherinuung 27, 37, 55
Urkunde über Driesen ....... 5
Urnenfriedhof. . . . 110
Urwalder ... 134
Vegetationsformationen 132
Viktualientabelle von Driesen ... 38
Waldemar, Markgraf 3
Walldurcbbrucb . 76
Wandgemälde in Wusterhausen a. D. 85
Wedel, Villau/, v .... 14
Westfälischer Friede 129
Wiesenvegetation 154
Winter, strenger 26
Wladislaw, König 2
Wochenmarkte in Driesen 53
Wotschosfka im Spreewald .... 109
Wusterhausen a. D., Geschichte . . 86
Zantoeh, Burg 3
Zincke. W 121
Zustand von Driesen 1800 40
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